Markus Herz (1747 – 1803)
![]() |
Deutsch-jüdischer
Arzt und Philosoph, der als Sohn eines armen Thoraschreibers in
Berlin geboren und in der talmudischen Tradition erzogen wurde. Gönner
finanzierten Herz zunächst an der Königsberger Universität ein Studium der Philosophie, wobei er nebenher noch Medizin hörte.
Sein bevorzugter Lehrer wurde Immanuel Kant, bei
dem er zum Lieblingsschüler avancierte und mit dem ihn zeitlebens eine herzliche Freundschaft verbinden sollte. Immanuel Kant charakterisierte
das beiderseitige Verhältnis in dem Brief vom 11. 5.1781 an Markus
Herz folgendermaßen: »Von einem Manne
aber der unter allen die mir das Glück als Zuhörer zugeführt
hat am geschwindesten und genauesten meine Gedanken und Ideen begriff und
einsah kan ich allein hoffen daß er in kurzer Zeit zu demjenigen Begriffe
meines Systems gelangen werde der allein ein entscheidendes Urtheil über
dessen Werth möglich macht«. ( Immanuel Kant in Rede und Gespräch, Meiners Philosophische Bibliothek Band 329, S.87) Siehe auch Wikipedia |
|
Betrachtungen
aus der spekulativen Weltweisheit
Notwendige Substanzen können weder unter sich noch in Verbindung mit anderen
zufälligen ein Ganzes ausmachen. Denn jedes Notwendige hat seine völlige
Existenz für sich allein und kann von keinem anderen abhängig sein. Gott wird also aus zwei Ursachen nicht mit zur Welt gehören
können.
Erstens, weil er ein notwendiges
Wesen ist, welches zu seiner Vollständigkeit
keiner anderen Dinge als Komplemente bedarf. Und
zweitens, weil das Verhältnis
zwischen Gott und der Welt eben dasjenige als zwischen Ursache
und Wirkung ist. Ein Verhältnis, das niemals als der Grund eines
reellen Ganzen angesehen werden kann.
Wir werden nunmehr, um zu beweisen, daß es nur eine Welt gebe, vorher
überzeugt sein müssen, nicht nur daß die Teile der Welt hervorgebracht,
sondern auch daß sie von einer einzigen Ursache hervorgebracht sind. Wäre es aber möglich, daß viele oberste
Ursachen vorhanden sein könnten, so würden ihre Wirkungen ebenso viele
verschiedene Welten ausmachen, indem von Gründen, die selbst voneinander
ganz unabhängig sind, sich auch keine anderen Folgen gedenken lassen als
solche, die gleichfalls in keiner Abhängigkeit voneinander stehen und nie
aus Mangel ihrer Vollständigkeit in eine Verbindung zu einem Ganzen übergehen
dürfen. Von der anderen Seite läßt sich der Schluß mit
gleicher Strenge umkehren, daß alle Folgen einer
einzigen Ursache notwendig ein einziges Ganzes ausmachen müssen, und daß
es einer einzigen Gottheit durchaus unmöglich ist, zwei Welten hervorzubringen,
die in gar keiner Verbindung stehen. Denn obgleich es scheint, daß
die Verknüpfung zwischen verschiedenen Folgen wegen ihrer gemeinschaftlichen
Ursache, wenn nicht zugleich ein wechselseitiger Einfluß zwischen ihnen
angenommen wird, bloß ideell wäre,* so muß man doch gestehen,
daß hier in diesem Fall das Ideelle mit dem Reellen zusammenkommt, oder
das Reelle ist vielmehr eine unmittelbare Folge von dem Ideellen.
* Ich glaube nicht zu irren,
wenn ich diese Bedenklichkeit für die Ursache halte, warum dieser umgekehrte
Schluß dem Herrn Kant nicht so bündig als der vorige vorkommt.
Denn wenn der unmittelbare Grund der Welt in dem
Willen Gottes zu suchen ist, so muß derjenige
Wille, welcher den Grund einer hervorgebrachten Welt enthält, mit demjenigen,
in welchem eine andere hervorgebrachte Welt gegründet ist, in Gott selbst
als ihrem gemeinschaftlichen Subjekt auf das genaueste verknüpft sein, und es ist ebenso notwendig, daß die Folgen zweier miteinander verknüpfter
Gründe voneinander abhängig sein müssen, als es diejenigen nicht
sein können, deren Gründe nicht in der mindesten Verbindung miteinander
stehen.
Ich glaube, Ihnen die verschiedene Beschaffenheit unserer sinnlichen und reinen
Vernunfterkenntnis und den verschiedenen Einfluß, den sie in der Anwendung
auf den Begriff einer Welt haben, von einer etwas helleren Seite vor Augen gelegt
zu haben, als Sie sie vielleicht bis jetzt betrachtet haben. Ich schmeichle
mir aber, Ihnen keinen unangenehmen Dienst zu erzeigen, wenn ich Sie, ehe ich
diese Betrachtung beschließe, auf einige Anmerkungen aufmerksam mache,
die Herr Kant zwar nur nachlässig berührt, aus denen aber der Tiefsinn,
welcher nach dem Ausspruch unserer grüßten Geister diesem Mann in
allen seinen Schriften eigen ist, doppelt hervorleuchtet, und die den Weltweisen
eine Aussicht eröffnen, die beinahe an das Erhabene grenzt.
Nach der vorhergehenden Betrachtung beruht die Einheit der Welt auf dem wechselseitigen
Kommerzium der Substanzen, welche die Bestandteile der Welt ausmachen, und dieses
auf dem Gemeinschaftlichen ihres Grundes. Dieses wird von unserer Seele als
einem Bestandteil der Welt nicht minder gelten müssen. Sie wird ihre wesentliche
Wirksamkeit, welche darin besteht, sowohl sich selbst als [auch] alle übrigen
Teile der Welt vorzustellen, nur insofern äußern können, als
ihr mit allen äußeren Dingen eine unendliche
Kraft gegenwärtig ist, welche ihre gemeinschaftliche
Ursache ist, vermittels deren Einheit allein es
möglich ist, daß alle Folgen wechselseitig ineinander wirken und
ein Ganzes ausmachen können. Da nun der Raum die Bedingung ist,
unter welcher die Seele vermittels des sinnlichen Erkenntnisvermögens sich
das jenige als ein Ganzes vorzustellen vermag, was objektiv durch wechselseitige
Wirkung ein reelles Ganzes ist, so setzt dieser Begriff notwendig die objektive
Verknüpfung voraus. Die Möglichkeit der verschiedenen Örter,
d. i. der Verhältnisse der Substanzen untereinander, insofern sie sinnlich
erkannt werden, findet also nur darum statt. weil objektiv die allgemeine Ursache
den Substanzen innerlich gegenwärtig ist, die ihrer gemeinschaftlichen
Abhängigkeit wegen miteinander verbunden werden und in ein reelles Ganzes
übergehen. Daher wäre nach Herrn Kant der Raum die
Allgegenwart in der Erscheinung (omnipraesentia
phaenomenon), d. i. die Allgegenwart, als
ein Phänomenon betrachtet, gibt den unendlichen Raum.
Dieselbe Anwendung läßt sich auf den Begriff der Zeit machen. Dieser
als ein subjektives Gesetz unserer sinnlichen Erkenntnis, insofern wir uns verschiedene
Zustände vorstellen, (denn es ist durchaus nötig, daß Sie diesen
Umstand nicht außer acht lassen, daß, obzwar Raum und Zeit gleiche
Bedingungen unserer sinnlichen Vorstellungen sind, so ist doch der Unterschied
zwischen ihnen, daß der erste uns bei der Anschauung des Objekts selbst
und die letzte zur Vorstellung seiner Zustände uns notwendig ist,) setzt
ein dauerhaftes Dasein des Gegenstandes voraus, dessen Bestimmungen aufeinanderfolgen
und seinen Zustand abändern. Wäre nicht in jedem Ding, das sich verändert,
etwas Beständiges, welchem die sich abändernden Merkmale nacheinander
zukommen, so würde man sehr uneigentlich sagen, daß dasselbe sich verändere, sondern es würde
vielmehr mir jedem Augenblick völlig aufhören und sein Dasein mit
einem anderen vertauschen. Wenn nun, wie aus anderen Gründen bewiesen werden
kann, die Dauer eines veränderlichen und mithin zufälligen Dinges
nicht anders möglich ist, als insofern es von einem notwendigen
und ewig dauernden Wesen erhalten
wird, so wird auch der Begriff der Zeit nur unter der
Bedingung stattfinden, wenn irgendeine ewige Dauer vorhanden ist, die
sozusagen die Grundlage der daraus fließenden Zustände ist, und die nicht wiederum durch eine Folge von Augenblicken, sondern durch
eine Anschauung als eine ununterbrochene Linie vorgestellt werden muß.
Folglich wird die Zeit im Gegensatz zum Raum die Ewigkeit
in der Erscheinung (aeternitas phaenomenon)
sein, oder die unendliche und unveränderliche
Ewigkeit gibt uns in der Erscheinung den Begriff einer unendlichen Zeit.
Herr Kant, der auf diesem subtilen Pfad mit mehr als philosophischer Behutsamkeit
gegangen ist, verläßt endlich diese Betrachtung, indem er mit vieler
Bescheidenheit glaubt, daß es besser sei, uns in dem nicht gar zu geräumigen
Bezirk unserer Vernunft zu halten, als dessen Schranken zu überschreiten
und nach dem Beispiel eines Malebranche seine Einbildungskraft auf mystischen
Fluren zügellos weiden zulassen. Indessen glaube
ich nicht, daß Sie sowohl als jeder andere Weltweise diese Betrachtung
zu den unnützen Spekulationen zählen werden, indem sie nicht nur einen
fruchtbaren Samen zur Entwicklung der Natur des Raums, der Zeit, der Bewegung,
der göttlichen Allgegenwart usw. zu enthalten scheint, sondern auch in
der ganzen Metaphysik vielleicht ein Weg sein kann, auf welchem man am kürzesten
zu manchen verborgenen Wahrheiten zu gelangen vermag.
Wenn es mir erlaubt wäre, eine Mutmaßung zu wagen, so würde
ich diese Idee von Raum und Zeit keiner ähnlicher finden als derjenigen,
welche Newton davon hatte, und durch eine kleine
Wendung, die man dieser gibt, können sie vielleicht völlig übereinstimmend
werden. Sie werden sich zu erinnern wissen, wie oft der Begriff, welchen dieser
große Mann vom Raum hatte und der einigen Philosophen so paradox vorkam,
der Stoff unserer Unterredungen war; und niemals habe ich mich überreden
können, daß dieser große Geist einen solchen groben Begriff
von Gott gehabt haben sollte, als seine Gegner ihm unter seinem
sensorio communi haben aufdringen wollen. Man muß allerdings
mit Clarke behaupten, daß, wenn die Rede von Gott ist, es beinahe in allen
Sprachen unmöglich sei, sich gehörig auszudrücken. Und in der
Tat, wenn Größe der Vernunft, Stärke des Geistes und tiefe Kenntnis
der Werke Gottes die einzigen Führer sind, die uns zur wahren und richtigen
Kenntnis der Gottheit selbst leiten; von wem, o teuerster Freund, hat man weniger
eine so niedrige und körperliche Vorstellung vom unendlichen Wesen zu vermuten
als von einem Newton, dem Stolz der menschlichen Vernunft, dessen Geist um so
viel näher demjenigen Zustand zu sein schien, in welchen wir alle einst
versetzt zu werden hoffen, als erhaben er über den gegenwärtigen so
vieler Sterblicher war! S.42ff.
Aus: Markus Herz, Betrachtungen der spekulativen Weltweisheit, Felix Meiner
Verlag Hamburg, Philosophische Bibliothek, Band 424