Alfred Delp (1907 – 1945 hingerichtet)

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Der Gott der weihnachtlichen Begegnung bleibt der Gott der Forderung

Den meisten Mißverständnissen ist das Gottesbild der weihnachtlichen Zeit ausgeliefert. Der Mensch bleibt auch da an der Erscheinung hängen und spürt so oft gar nichts von der bedrängenden Erregung und eigentlich erschreckenden Unfaßlichkeit, die uns in der Kindgeburt Gottes anrühren. Gewiß ist dies alles eine große Tröstung des Menschengeschlechtes und des einzelnen Menschen. Und der Mensch hat seither mehr Recht, mit Vertrauen zum Thron der Gnade zu gehen und zu flehen. Gott steht auf unserer Seite.

Das heißt aber nicht, daß Gott sich selbst abgesetzt hätte. Sowenig wie es vorhin hieß, daß das Schicksal des Menschen nun die lächelnde Wiese und der Blumenpfad wäre.

Diese Tilgung der göttlichen Züge aus dem Antlitz des Kindes wie später des Mannes Jesus, die Auflösung und Erweichung in die Idylle weihnachtsfroher Kindergeschichten und später die Verflüchtigung des ganzen Christus in den Biedermann des guten Beispiels und der frommen Ermahnung: das sind sehr ernst zu nehmende Mitursachen der Ohnmächtigkeit, die heute die Gottesidee im abendländischen Raum in Fesseln geschlagen hat.

Es war und ist schon Gott, der Mensch geworden ist. Gott, der auch als Mensch dem Menschen gegenüber der Herr aller Kreatur und Kreatürlichkeit bleibt. Vor dem der Mensch in Ehrfurcht und Anbetung zu sich selbst kommen soll, weil er so von sich weg vor die letzte Wirklichkeit gerät. Nur dort kann der Mensch geraten.

Zweifach verkündet die Vigil diese Behutsamkeit, mit der man in das Heiligtum des Festes eintreten soll. Paulus sagt über sein Verhältnis zu Christus in der Epistel: ad oboediendum fidei in omnibus gentibus. Abgesehen von dem paulinischen Übermaß wird hier das Gesetz sichtbar, dass alle Gottesbegegnung fordernde Ansprache und Sendung der angesprochenen Kreatur bedeutet. Wer in den Lebensatem Gottes gerät, gerät auch in sein Lebensgesetz. Und das heißt für die angesprochene Kreatur: je näher bei Gott, um so mehr diesem Strom und dem Heimwollen der Kreatur verpflichtet sein.

Die Nähe Gottes ist eine suchende Nähe, und wer von dieser Nähe erfahren hat, wird zugleich in die Unermüdlichkeit, mit der Gott zum Menschen drängt, mit hineingerissen. Und hat in der begnadeten Unruhe zum Menschen hin zugleich ein Anzeichen, wieviel er verstanden hat vom eigentlichen Geheimnis, das zwischen Gott und dem Menschen gilt. Es gibt dort keinen sacro egoismo, sondern das kreatürliche Gesetz der Straße wird gewandelt zum Schicksal der Sendung.

Ein zweites Mal entreißt die Vigil das Bild des kindgewordenen Gottes der Gefahr der Verniedlichung und Verharmlosung, indem es auf eine andere unangetastete Grundbeziehung zwischen Gott und Kreatur hinweist. In der Oration wird plötzlich und unerwartet daran erinnert, daß das Kind, über dessen Ankunft wir uns freuen, der kommende Richter unseres Lebens ist.
Diese lächelnden Augen des Kindes werden sich einmal sammeln in den erwachsenen Ernst der Fragen und des Spruches. Auch nach Weihnachten und infolge der von diesen Geheimnissen uns zuwachsenden großen Tüchtigkeit zum gelungenen Leben bleibt der Mensch in die Bewährung gestellt und unter die Verantwortung gerufen.

Ach, das Kind richtet ja jetzt schon die Welt. Wie viele der Typen, die der Mensch heute vorstellt, können ehrlich vor der Krippe erscheinen? Die meisten wollen ja gar nicht. Hoch zu Roß läßt die schmale und spärliche Tür niemand ein. Die einfachen gesunden Hirten, die finden den Weg. Die königlichen Weisen, die ruft der Stern. Aber die Anmaßung in Jerusalem erschrickt vor diesem Kind. Wieviel von dem, was wir heute leben, kann vor diesem Kinde nicht bestehen! Und wie wäre das eigene und das allgemeine Leben anders, wenn wir daran dächten, daß dem Leben seine größte Stunde schlug, als Gott ein Mensch, ein Kind wurde. Wir würden nicht so fordernd und gewalttätig und gierig zueinander kommen und voreinander stehn. Kinder schlagen keine Wunden. Wir aber wollten so groß sein und mächtig — erwachsen und zuständig: das Ergebnis sind wir selbst und der Trümmerhaufen, der uns geblieben ist.

Alle Stunden seines Lebens, durch das es uns geheiligt und befreit hat — vom Kind bis zum Gekreuzigten —, sind Gerichte über Formen unseres Daseins. Drum sind wir auch so geschlagen und unfrei und in Not. Und darum ist auch seine letzte Stunde die Auferstehung, die sieghafte Heimkehr. Unser Leben aber ist so ausweglos umstellt. Wir sollen das Kind sehr ernst nehmen.

Aus: Delp, Im Angesicht des Todes, (Herder Bücherei Band 30, S.62-64)
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis der Jesuiten in Zentraleuropa