Alfred Delp (1907 – hingerichtet 1945)
Deutscher katholischer Soziologe und Theologe; 1926 trat Delp dem Jesuitenorden bei und war seit 1939 soziologischer Mitarbeiter der »Stimmen der Zeit«; 1942 wurde der junge Jesuitenpater von Graf Moltke in den Kreis gerufen, in dem das Programm für ein besseres Nachkriegsdeutschland erarbeitet werden sollte. Ende Juli 1944 wurde Pater Delp von den Nazi-Schergen verhaftet, am 11. Januar 1945 vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von dem berüchtigten Freisler zum Tod verurteilt und am 2. Februar in Berlin hingerichtet. Bis in die letzten Stunden beschäftigten ihn die Gedanken um die christliche Erneuerung seines Vaterlandes. Aus seinem letzten Brief an die Mitbrüder ist zu entnehmen, dass er der Ansicht war: »Der eigentliche Grund für die Verurteilung ist der, dass ich Jesuit bin und geblieben bin.« Nachstehenden Textauszüge stammen aus den - während seiner Kerkerhaft - in den Jahren 1944-1945 niedergeschriebenen Aufzeichnungen, die unter dem Titel »Im Angesicht des Todes« in Buchform veröffentlicht wurden. Seine im Angesicht des eigenen Todes erspürte und erlittene Interpretation des »Vater Unser«, die er mit den ergreifenden, hoffnugsgewissen Worten verband »Die Zeit hat hier oben Engelsflügel bekommen« wird niemals ihre aktuelle Gültigkeit verlieren«. Siehe auch Wikipedia, Heiligenlexikon und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Letzter Brief an
die Mitbrüder
Vater Unser
Christus
Der Gott der weihnachtlichen Begegnung bleibt der Gott
der Forderung
LETZTER BRIEF
AN DIE MITBRÜDER
Liebe Mitbrüder, nun muß ich doch den andern Weg gehen. Das Todesurteil
ist beantragt, die Atmosphäre ist voll Haß und Feindseligkeit, dass
heute mit seiner Verkündigung und Vollstreckung zu rechnen ist.
Ich danke der Gesellschaft und den Mitbrüdern für alle Güte und
Treue und Hilfe, auch und gerade in diesen schweren Wochen. Ich bitte um Verzeihung
für vieles, was falsch und unrecht war, und ich bitte um etwas Hilfe und
Sorge für meine alten, kranken Eltern.
Der eigentliche Grund der Verurteilung ist der, dass ich Jesuit bin und geblieben
bin. Eine Beziehung zum 20. Juli war nicht nachzuweisen. Auch die Stauffenberg-Belastung
konnte nicht aufrechterhalten worden. Andere Strafanträge, die wirkliche
Kenntnis des 20. Juli betrafen, waren viel milder und sachlicher. Die Atmosphäre
war so voll Hass und Feindseligkeit. Grundthese: ein Jesuit ist a priori
der Feind und Widersacher des Reiches. Auch Moltke wurde sehr häßlich
behandelt, weil er uns, besonders Rösch, kannte. So ist das Ganze von der
einen Seite eine Komödie gewesen, auf anderen aber doch ein Thema geworden.
Das war kein Gericht, sondern eine Funktion des Vernichtungswillens.
Behüt Sie alle der Herrgott. Ich bitte um Ihr Gebet. Und ich werde mir
Mühe geben, von drüben aus das nachzuholen, was ich hier schuldig
geblieben bin.
Gegen Mittag werde ich noch zelebrieren und dann in Gottes Namen den Weg seiner
Fügung und Führung gehen.
Ihnen Gottes Segen und Schutz Ihr dankbarer Alfred Delp S. J.
Aus: Alfred Delp, Im Angesicht des Todes, (Herder
Bücherei Band 30, S.171)
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis der Jesuiten
in Zentraleuropa
VATER
UNSER
Auf dieser absoluten Höhe des Daseins, auf der ich nun
angekommen bin, verlieren viele bisher geläufige Worte ihren Sinn und ihren
Wert. Ich mag sie nicht einmal mehr hören. Das alles liegt so weit unten.
Ich sitze da oben auf meiner Klippe und warte, ob und bis einer kommt und mich
hinunterstößt. Die Zeit hat hier oben Engelsflügel bekommen;
man hört sie leise rauschen, verhalten und ehrfürchtig vor der absoluten
Forderung dieser Höhe. Das gleiche geschieht weit unten und hört sich
an wie das ferne Tosen und Toben eines eingeengten Stromes. Zu eng alles, zu
eng für die wahren Maße und Aufträge. Das war ja immer die heimliche
Ahnung und Meinung: alles sei zu eng. — Zu den Worten, die hier oben ihre
Gültigkeit behalten und ihren Sinn neu enthüllen, gehören die
Worte der alten Gebete, vor allem die Gebetsworte, die der Herr uns gelehrt
hat.
Vater
Es klingt eigenartig in dieser Lage, das Vaterwort. Aber es war
die ganze Zeit über bei mir. Auch in dem häßlichen und haßvollen
Raum, in dem die Menschen Gerechtigkeit mimten. Das Welterlebnis dieser letzten
Zeit war ein Erlebnis des Hasses, der Feindschaft, der Rache, des Vernichtungswillens,
der Eitelkeit und Anmaßung, der von sich selbst berauschten Macht und
Herrlichkeit. Es wäre schlimm, wenn das gnadenlose Leben und Erleben dieser
Zeit, das in irgendeiner Art doch jeden Menschen überfällt, die letzte
Offenbarung der Wirklichkeit wäre. Aber man muß nur gläubig
daran denken, daß Gott sich Vater nennt und uns geheißen hat, ihn
so zu nennen und wissen, daß er es ist, und diese ganze großtuerische
Welt ist zum kulissenhaften Vordergrund degradiert, der in der Mitte des Seins,
inmitten ihrer lauten Deklamationen, kaum Aufmerksamkeit erregt. Der Grundzug
des Lebens ist Erbarmen und führende Väterlichkeit. Ach, all die Hilfskonstruktionen
und Wahnbilder des hilflosen Menschengeistes: Schicksal, Verhängnis, ewiges
Volk, Welt als endgültiger Raum usw.: all das verklingt hier oben in dieser
herben und klaren Luft wie ein unartikuliertes Gewimmer eines menschenähnlichen
Tieres. Dies alles sind keine Menschenworte.
Gott als Vater, als Ursprung, als Führung, als Erbarmen, das sind die inneren
Gewalten, die den Menschen diesen Stürmen und Überfällen gewachsen
machen. Und es wird hier mehr berichtet als nur eine Botschaft, eine Wahrheit.
Dem Glaubenden geschieht die Väterlichkeit, das Erbarmen, die bergende
Kraft in tausend stillen Weisen, mitten in all diesen Überfällen und
Aussichtslosigkeiten und Preisgegebenheiten. Gott hat Worte, wunderbarer Tröstung
und Erhebung voll. Gott hat Wege zum Menschen in alle Verlassenheiten hinein.
All das andere hat seinen Wert, weil es hilft, dem Vater-Gott neu zu begegnen.
Unser
Eines der schrecklichsten Mittel der Gewalt ist die gewaltsame Vereinsamung. Auch jetzt wieder, da wir wissen, in fast jeder Seele wird das gleiche Urteil getragen und seine Vollendung erwartet. Keiner sieht mehr den anderen, keiner hört mehr die flüsternde Stimme des Gefährten und Kameraden auf dieser letzten und anstrengenden Bergfahrt. Der Mensch ist vor sich selbst und den letzten Dingen angekommen. Und doch gilt das alte Wort: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, gerade für diese Stunden. Man möchte zur nächsten Klippe, auf der der andere ausgesetzt ist, hinüberrufen. Menschenwort klingt nicht mehr. Wir sind zu hoch in die Atmosphäre hinauf gerissen. Vater unser: Plötzlich sind die Entfernungen überwunden. Klar und hell wird die Wahrheit, daß der Weg zu Gott — über Gott immer schon der nächste Weg zum Menschen war. Der Mensch weiß sich im Bund und Bündnis mit allen, die anbeten, glauben und lieben. Die gemeinsame Mitte, der personale Gott, der uns anspricht und den wir anrufen, macht den Menschen zum Menschen und die Gemeinschaft zur Gemeinschaft.
Der Du bist im Himmel
Die Jenseitigkeit des Daseins ist oft verstellt und verhüllt.
Unsere Zeit hat sie fast ganz vergessen. So haben wir Gott gezwungen, die Vorläufigkeit
und Unbeständigkeit des Daseins uns ungeheuer hart und erschütternd
ins Bewußtsein zurückzurufen. Auch wir andern, die wir glaubten an
das Leben der kommenden Welt, haben doch praktisch die Weltlichkeit der anderen
geteilt. Und doch bleibt der Mensch nur soviel Mensch, als er die Ordnungen
und seinshaften Beziehungen seiner eigenen Wirklichkeit unangetastet läßt.
Nur der Jenseitige wird fähig sein zur echten Verhaltenheit, zur schöpferischen
Distanz, zur behutsamen Ehrfurcht, zur dienenden Liebe, zum offenen Gehorsam.
Das aber sind die Grundkategorien des Menschen. Nur der Blick und der Entschluß
über uns selbst hinaus ermöglicht uns selbst. Darum sind wir heute
ja so sehr Masse und Objekt und lebensunfähig. Unfähig wirklich der
Grundordnungen und Grundahnungen des Menschen selbst.
Es ist zu wenig, wenn die Jenseitigkeit Idee oder Ideal bleibt. Das langt nicht.
Der idealistische Mensch ist mehr Mensch als der rein faktische und praktische.
Aber zur vollen Entfaltung und Vollendung kommt er nicht. Der innerste Grund
des Menschen bleibt unaufgebrochen, unberührt, ohne Samen. Im personalen
Ich, in der individuellen Geschlossenheit erst wird der Mensch er selbst.
Diese Geschlossenheit wird ohne den Dialog über sich hinaus zur eiskalten,
tödlichen Verschlossenheit. Der Dialog mit dem Menschen gehört zum
Menschen, daß er sich öffne und wirklicher werde. Aber mehr noch
der Dialog mit dem Absoluten. Deswegen ist es zu wenig, eine Idee oder ein Ideal
der Jenseitigkeit zu haben. Der personale Gott ist der Gott des Lebens. Erst
im Dialog mit ihm tritt der Mensch in seinen wirklichen Lebensraum ein. Hier
lernt der Mensch die Grundwerte seines Wesens Anbetung, Ehrfurcht, Liebe, Vertrauen.
Alles im Leben, was unterhalb dieses Dialoges bleibt, es mag mit noch soviel
Eifer und Ernst und Hingabe unternommen sein, bleibt unfertig, auf die Dauer
unmenschlich. Die Anbetung als Weg des Menschen auch zu sich.
Die Welt des personalen Gottes ist der Himmel. Also das, was der Mensch als
seines Lebens größte Beglückung und Erfüllung empfindet.
Das ist nicht zuerst ein Raum oder eine Zeit oder ein ,,Aeon“ usw. Das
ist zuerst Gott und die erfahrene Begegnung mit ihm. Wer Gott erfährt,
ist im Himmel. Die Erfahrung Gottes bricht unsere Grenzen und unsere Daseinsweise,
wo und wenn sie uns jetzt schon geschenkt wird. Es braucht nur an die Erlebnisse
und Aussagen der Mystiker erinnert zu werden. Das Zerbrechen unserer Daseinsweise
— also der Tod — ist umgekehrt und normalerweise die Voraussetzung
für die Erfahrung Gottes. Hier gehen die Dinge leicht ineinander über.
Was der Mensch liebt und ersehnt: Glück, Seligkeit, Himmel — was
er fürchtet und wovor ihm bangt: Tod, Zerbrechen der Daseinsweise —
was er anbetet und ehrfürchtig rühmt: Gott und seine Fülle —
dies alles sammelt sich in einem Punkt.
Amare caelestia erbetet die Kirche oft als große Gnade und Erfüllung.
Das ist wichtig, der Erfüllung, der Zukunft, dem Kommenden nicht bloß
seinsmäßig, sondern haltungs- und bewußtseinsmäßig
verbunden zu sein: ,,aus allen deinen Kräften“. Der Mensch soll wieder
wissen, viel früher und intensiver und entschlossener, daß sein Lebensweg
der vom personalen Dialog mit Gott zur personalen Begegnung und Erfahrung Gottes
ist. Daß dies sein Himmel ist und seine Heimat. Er bleibt dann jenseitig,
nicht nur aus Pflicht und Gehorsam, sondern in innerster Lebendigkeit und Freiheit.
Geheiligt werde Dein Name
Die Bilder des Vaterunser sind die Lebensbilder der Menschen.
Mit dem, was hier genannt ist, steht und fällt der Mensch und die Menschheit.
Wo dies gilt, wachsen wir. Wo dies nicht gilt oder nicht ernst genommen wird,
fallen wir und versinken. Das ist der Schlüssel auch zum Vexierbild, dem
grausigen, unserer Tage. — Diese Bitte lehrt die Menschen um das rechte
Ideal bitten, um die unantastbare, heilige, ehrwürdige Fahne. Mensch und
Menschheit gehen aussichtslos zugrunde, wenn nicht ein unantastbarer Wert, ein
unberührbares Gut in der Mitte des Daseins steht. Die Menschenordnung ist
so auf die Notwendigkeit, etwas ,,heiligen“ zu müssen, angelegt,
daß immer dann, wenn die echte Mitte verdrängt und verstellt ist,
sich ein anderes, Unechtes an diese Stelle setzt und ,,Heiligung“ erzwingt.
Wir kommen doch gerade aus dem mörderischen Dialog mit der selbstgesetzten
Mitte. Diese Ersatz-Werte sind aber viel absoluter und unerbittlicher als der
lebendige Gott. Sie wissen nichts von der Vornehmheit des Wartenkönnens,
von der freien Werbung, vom gnadenhaften Anruf, von der beseligenden Begegnung.
Sie kennen nur Forderung, Zwang, Macht, Drohung und Vernichtung. Wehe dem, der
anders ist!
Dem Namen Gottes soll die große Ehrfurcht erwiesen werden, um die es in
dieser Bitte geht. Die Rühmung Gottes, die Ehrfurcht vor ihm, die Ehrerbietung:
was ich vorher mit zu den Grundkategorien des Lebens gezählt habe, um dessen
Verwirklichung geht es hier. Daß der Name Gottes das große Heilige
sei, das schweigsame Stille und demütige Verhaltenheit Fordernde. Der Mensch
soll nicht nur an seine Mitte, an den Sinn seines Lebens glauben. Er soll in
den konkreten Vollzügen seines Lebens von diesem Glauben Zeugnis geben.
Er soll alles unter dieses Gesetz der Heiligung stellen und was mit ihm sich
nicht verträgt, sein lassen. Gott als die große Ehrfurcht des Menschen
wird auch sein Leben sein. ,,Es ist in keinem anderen Namen Heil.“ Ach,
hier fehlt so viel. Auch so viel bei der Religiosität. Wir haben viel Frömmigkeit
ohne echt vollzogene Ehrfurcht vor Gott! Die religiöse Keuschheit und die
herbe Schweigsamkeit.
Laßt uns dem Leben und den Dingen wieder Namen geben. Ich war jetzt lange
genug Nummer, um zu wissen, was ein Leben ohne Namen ist. Aber solange das Leben
selbst den richtigen Namen nicht mehr weiß oder nicht ehrt, so lange werden
Mensch und Ding immer mehr ihre Namen verlieren in dieser grausamen Namenlosigkeit
und Numeriertheit, in die wir geraten sind. Das Leben ist feinnervig, und es
hängt alles zusammen. Seit der Name Gottes nicht mehr der erste Name des
Lebens, des Landes, der Menschen ist, seitdem hat doch alles, was wert ist,
gehabt zu werden, seinen Namen verloren und ist unter die falsche und verfälschende
Herrschaft fremder Namen gekommen. Seitdem gilt das Klischee, die Etikette,
die Uniform, das Schlagwort, die Masse: Wehe dem, der noch ein Gesicht hat und
ein eigenes Wort und einen eigenen Namen.
Die Anbetung ist der Weg zur Freiheit und die Erziehung zur Anbetung der heilsamste
Dienst am Menschen und die Ermöglichung einer Ordnung, in der Tempel und
Altar wieder stehen, wo sie hingehören, und in der die Wirklichkeit sich
wieder neigt vor und messen läßt an dem Namen Gottes die große
Verantwortung.
Zu uns komme Dein Reich
Der Mensch ist übermenschlicher Kräfte und Mächte
bedürftig. Wenn ihm die Beziehung zu der echten Überwelt nicht mehr
gelingt, dann fängt er an, groß zu träumen oder sich fremde
Götter zu machen: Dinge, Leistungen, Menschen, Ordnungen usw. Ich kenne
das. Ich habe geträumt und gesehnt und geliebt und geschafft, und eigentlich
war dies alles nur ein Lied der Sehnsucht nach dem Endgültigen und Beständigen.
Mit seinen Träumen und seinen Götzen aber kommt der Mensch nicht weiter.
Er erfährt sich immer wieder in die Grenze und das Ungenügen des Kreatürlichen
verwiesen und ihm ausgeliefert. Auch das habe ich erfahren. Wie auf einmal alles
zuschanden wird und man nur noch Scherben in der Hand halt, wo man noch an die
vollen Krüge glaubte. Wie man nur ein blutiges Wimmern und Stöhnen
ist, wo man doch ein Heldenlied singen wollte. Der Mensch allein schafft es
nicht. Daß der Mensch es nicht allein zu schaffen braucht und er der überirdischen
Macht und Kraft, ja des lebendigen Gottes selbst teilhaftig wird: das ist der
Sinn dieses Gebetes um das Reich Gottes. Auch das habe ich erfahren, daß
und wie der Mensch im Nu über sich selbst hinausgehoben wird und die Dinge
ihn nicht mehr anrühren und er ihnen gewachsen bleibt, auch wenn sie ganz
anders kommen, als er sie erwartet. Der echte Dialog wird zur seinshaft verwirklichten
und oft auch erfahrenen Lebensgemeinschaft.
Daß der Mensch in Gottes Gnade sei und die Welt in Gottes Ordnung: das
ist das Reich Gottes. Die Überwindung der menschlichen Not durch Gottes
Fülle, die Sprengung der menschlichen Grenze durch Gottes Kraft, die Bändigung
der menschlichen Wildheit durch Gottes Zucht: das alles ist Reich Gottes. Es
geschieht in Menschen und von und unter den Menschen. Es ist eine stille Gnade
und drängt doch zu Wort und Tat und existiert doch auch als Werk und Ordnung.
Um alles, was uns heute fehlt, beten wir in dieser Bitte. Die große Sinnerfüllung
des Lebens liegt in der Begegnung mit Gott. — Gott verhält sich in
seiner Vornehmheit. Er kommt auch als der Begnadende vornehm und frei wartend.
Er kommt nicht als Gewalttäter, obwohl er sich der Gewalt, dem herzhaften
Entschluß ergibt. Das Reich Gottes ist Gnade, deswegen beten wir darum;
aber die Gnade Gottes steht so oft vor dem geschlossenen Tor und klopft an,
und niemand öffnet ihr.
Zweifach kann der Mensch sich als Hindernis zwischen sich und das kommende Reich
Gottes stellen: durch die personale Verfassung seines Lebens, zu der er sich
entscheidet, und durch die soziale Ordnung seines Lebens, im der er sich befindet,
die er duldet oder fördert. Das mindeste an personaler Haltung, das der
Mensch aufbringen muß, ist die wache und willige Offenheit zu Gott hin.
Der in sich selbst verschlossene Mensch, der Mensch der bloßen Humanität
und Naturalität, ist ein gnadenloses Geschöpf, und sein Weg durch
die Welt ist immer gnadenlos und unbarmherzig. Auf die Dauer wirkt er für
sich und andere zerstörerisch. Er bleibt trotz aller prometheischen Deklamationen
den Dingen, Aufgaben und Problemen unterlegen. Das ist der Schlüssel zur
Geschichte der letzten Epochen, denen keine einzige der fälligen und drängenden
Aufgaben zu erfüllen gelang. Wenn der Mensch es schon nicht zum Entschluß
zu Gott hin bringt, muß er wenigstens in der Offenheit zu und Ansprechbarkeit
durch Gott bleiben. Diese Bitte verlangt von uns allen eine Bekehrung und eine
Selbstbescheidung. — Und die Bereitschaft zu einer Revolution, das heißt
die Bereitschaft zu einer sozialen Umwälzung, damit eine Ordnung wieder
wird, die es dem Menschen ermöglicht, menschgemäß und somit
gottoffen und gottesbereit zu leben. Das frömmste Gebet kann leicht zur
Blasphemie werden, wenn es unter Abfindung mit Zuständen oder gar unter
ihrer Förderung gebetet wird, die den Menschen töten, ihn gottunfähig
machen, ihn notwendig an seinen geistigen und sittlichen und religiösen
Organen verkümmern lassen. Diese Bitte will Großes von Gott ja letztlich
ihn selbst. Sie entläßt den Menschen aber zugleich in eine große
Verantwortung. Von deren Übernahme und Erfüllung hängt es ab,
ob es sich wirklich um ein Gebet oder nur um frommes Gerede handelt.
Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden
Dies ist die Bitte des Menschen um seine Freiheit. Zunächst
klingt das nicht so, aber es ist so. Der Mensch ist ein verwiesenes Wesen. Jeder
Versuch, diese Verweisungen zu übersehen, aufzulösen, zu zerbrechen,
führt zum Ruin des Menschen selbst. Schon die Begegnung mit den innerweltlichen
Gegebenheiten sollte den Menschen nachdenklich und behutsam machen. Er findet
sich in vielerlei Beziehungen einverflochten, die ihm Bindungen aller Art auferlegen,
von der vornehmen Zurückhaltung über Takt und Schicklichkeit bis zum
eigentlichen Dienst und Gehorsam. Hier schon bedeutet jeder Versuch zur Autarkie
eine Selbsttäuschung, eine Selbstblendung, einen Selbstmord. Es gibt keine
schöpferische splendid isolation. Das gilt viel endgültiger und undiskutierbarer
für die transzendentalen Beziehungen der Menschen. Gott gehört in
die Definition des Menschen, und zwar sowohl der deus a quo wie der deus ad
quem et sub quo. Jedes andere Selbstverständnis des Menschen ist fatal
und verhängnisvoll.
Die Bindung an Gott ist eine Bindung an seine Ordnung, die ein Abglanz seines
Wesens ist, eine Bindung an seine Freiheit und an seine geheimnistiefe Größe.
Das sind die Wirklichkeiten, mit denen der Mensch rechnen muß, will er
Mensch bleiben oder werden. Gottes Ordnung bindet ihn zweifach: als Einfügung
in die naturhaften Gegebenheiten der menschlichen Seinsschichten und als freie
Begegnung mit dem fordernden und verpflichtenden Gesetz. Gottes Freiheit ruft
den Menschen darüber hinaus in den heiligen Raum der persönlichen
Fügungen, Berufungen, Schickungen und Sendungen. In diesem persönlichen
Dialog mit dem fordernden Gott wird über die eigentliche, überdurchschnittliche
Größe und Würde des Menschen entschieden. Gottes Größe
aber, die auch mysterium absconditum heißt, heißt den Menschen mit
den dunklen Wegen, den nächtlichen Sendungen, den überhellen Aussagen
rechnen, eben mit dem Geheimnis der Übergröße, das sich in seinen
Äußerungen nicht verbergen läßt.
Nur in diesen Bejahungen gelingt der Mensch und wird er frei. Sonst bleibt er
ewig ein Sklave seiner Angst und der Dinge, die er festhalten möchte. Der
Mensch muß sich hinter sich gelassen haben, wenn er zu sich selbst kommen
will.
Man muß diesen Abschied einmal vollzogen haben, um von seinem Segen sprechen
zu können. Daß es sich um einem Segen handelt, geht aus der Wonne
hervor, die dieser freiem Hingabe gegeben ist: wie im Himmel. Es handelt sich
hier gewiß auch um die Aussage der absoluten Gültigkeit. Aber mehr
um das andere. Der Wille Gottes im Himmel ist die Selbstbejahung Gottes durch
Gott und die Bejahung Gottes durch die Seligen. Die Selbsterkenntnis und Selbstbejahung
Gottes macht den großen Jubel der Dreifaltigkeit aus, das strömende
Leben Gottes. Und die Bejahung Gottes durch die Vollendeten macht eben deren
Vollendung aus, ihr Hineingerissensein in den Jubel und den glückhaften
Strom des göttlichen Lebens. Das heißt aber, der Wille Gottes, der
an uns geschehen soll, ist immer und ursprünglich ein Heilswille. Die Begegnung,
die hingebende Begegnung mit Gottes Freiheit und mit Gottes Geheimnissen ist
die Begegnung mit dem Heil.
Unser tägliches Brot gib uns heute
Man soll diese Bitte ruhig als die Brotbitte stehenlassen. Man
wollte sie ausdeuten nach dem Herrenwort: „Meine Speise ist es, den Willen
des Vaters zu tun“, oder auch sie vom eucharistischen Brot verstehen.
Das sind fromme Gedanken, aber hier ist von dem Brot für den täglichen
Hunger die Rede. Das Vaterunser lehrt uns mit Gott die großen Ordnungen
und Anliegen unseres Lebens durchsprechen. Es kommen jetzt die Sorgen und Anliegen
der ,,Erde“ zur Sprache: das Brot, die Schuld, die Anfechtung, das Böse.
Viel wahrhafter die Dinge, die uns tagtäglich beschäftigen und bedrängen.
Der Herr lehrt den Menschen beten, und des Menschen Sorgen und des Menschen
Segen ist der Inhalt des Herrengebetes.
Das Brot ist eine echte, vor Gott dem Herrn bestehende Sorge des Menschen. Brotsorge
und Brotbitte gehören zum Menschen. Es sind damit zwei Dinge gesagt: Die
Philosophen haben das eine mit dem Satz gemeint: primum vivere.. . Obwohl sie
das als eine zwar nötige, aber in sich geringwertige Voraussetzung anerkannten.
Das ist der Stolz der ,,geistigen“ Leute. Man kann aus dem Brot ein Idol
und aus dem Bauch einen Götzen machen. Ja, aber man muß einmal gehungert
haben, wochenlang. Man muß einmal erlebt haben, daß einem ein unerwartetes
Stück Brot wie eine Gnade vom Himmel zukommt. Man muß gespürt
haben diesen Einfluß des Hungers auf jede Lebensregung, um die Ehrfurcht
vor dem Brot und die Sorge um das Brot wieder zu lernen. Und solange Menschen
hungern und ihnen das tägliche Brot etwas Unwahrscheinliches ist, so lange
wird man diesen Menschen sowohl das Reich Gottes als auch das irdische Reich
vergebens predigen. So war und ist ja das Brot immer wieder eines der großen
Mittel der Verführung. Und es ist sehr wichtig, daß es den richtigen
Leuten gelingt, die Brotsorge an sich zu nehmen und zu meistern. Die Brotsorge
muß aber immer Brotbitte bleiben. Sonst verliert sich der Mensch im irdischen
Raum. Er muß wissen: Unser Brot, es mag noch so reichlich und gesichert
da sein, wird jeden Tag gegeben aus der ewigen Hand. Die Dinge müssen durchsichtig
bleiben bis in die letzten Zusammenhänge. Sonst werden sie falsch und gefährlich.
Deswegen bitten wir auch nicht um die vollen Scheuern und die reichen Vorratskammern,
sondern um das tägliche Brot. Die Ungeborgenheit und Gefährdung des
menschlichen Lebens klingt hier durch. Und daß das Leben im Vertrauen
sich erst bewährt, nicht in der Sicherheit. Die Rentensucht und Versicherungsangst
der letzten Geschlechter haben viel schöpferische Kraft und viel Freiheit
zerstört. Die meisterliche Überlegenheit und schöpferische Distanz
ist hier gemeint. Wer es so unternimmt, dem kommen die Dinge immer wieder zu,
weil er mit ihrem Herrn im geheimen Bündnis steht. Das Brot ist wichtig
und ehrwürdig, aber nicht das Brot allein erhält den Menschen. Das
wissen wir wieder, die im Zeitalter der großen ,,Versorgungen“ den
zweiten Krieg erleiden und zum zweiten Male die große Brotsorge haben.
Brot ist wichtig, die Freiheit ist wichtiger, am wichtigsten aber die ungebrochene
Treue und die unverratene Anbetung.
Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern
Die Schuld gehört zu unserem Leben wie das tägliche
Brot. So bitter nötig wir das Brot haben, so bitter wirklich ist die Schuld.
Ich meine hier gar nicht Erbschuldigkeit des Daseins, die Trübung, die
seit jenem Katastrophenmorgen allen kreatürlichen Glanz befallen hat. Das
ist auch eine Tatsache, aber man hat zu viel aus ihr gemacht. Und deshalb hat
sie zu wenig echtes Echo ausgelöst. Vor allem hat diese Obersteigerung
den Menschen zu zwei Haltungen verführt, da das noch vorhandene naturhafte
Kraftgefühl die behauptete Müdigkeit und Lebensuntüchtigkeit
nicht bestätigt. Daß es sich um eine relative Untüchtigkeit
bezüglich der übernatürlichen Ordnung und Erfüllung handelte,
wurde von den einen nicht verstanden, von den anderen verschwiegen. Die schaudervolle
Revolte gegen Gott, die wir im Abendland erlebt haben, hat von hier ihr Pulver
bezogen — die andere Fehlhaltung aus der Überbetonung der Bedeutung
der Erbschuld liegt in einer gewissen Lässigkeit des Menschen gegenüber
seinem Versagen, da er ja erfahren hat, daß er seither nicht mehr anders
kann. Die Schuld als persönliche Verstrickung nicht nur, sondern als persönliche
Fehlleistung und Verantwortung ist aus dem abendländischen Bewußtsein
zu sehr geschwunden.
Aber genau dies meine ich, wenn ich von der Schuld spreche, die zu unserem täglichen
Leben gehört. Daß wir schuldig werden, weil wir versagen und fehlen.
Und daß wir schuldig sind, weil wir in einer bestimmten Zeit und geschichtlichen
Stunde leben und geschehen lassen, was geschieht. Es gibt die personale Haftung
vor Gott, und es gibt die Gesamthaftung. Unser Geschlecht ist ein schuldiges
Geschlecht, in einem ganz großen Ausmaß schuldig. Dies festzustellen
ist schon wichtig. Aber das genügt noch nicht. Diese Schuld muß überwunden
werden, wir müssen von ihr loskommen, sonst gehen wir unter. Gerade um
die Schuld tanzt der Mensch viele Tänze, die aber nicht in gelöster
Rhythmik geschehen, sondern im Grunde Krämpfe sind.
Der Mensch kann versuchen, seiner Schuld davonzulaufen. Das ist
vergeblich; denn die Schuld steht in seiner Wirklichkeit. Er kann versuchen,
sie einfach zu verleugnen, er kann den alten Griechentraum träumen, er
kann sie wegdiskutieren: das alles mag ihm für eine kurze Stunde den Blick
trüben und das Gewissen vernebeln. Die geschehenen Taten sind unterschriebene
Wechsel. Und diese müssen eingelöst werden. Der Mensch kann sich von
seiner Schuld nur lösen, wenn er sich zu ihr bekennt und zugleich erkennt
und anerkennt, daß die Schuld der Kreatur eine Wunde schlug, deren Heilung
alle Kunst und alle Kraft der Kreatur übersteigt. Als Schuldiger sich dem
heilenden Segen Gottes stellen. Dieses Geschlecht braucht Menschen, die für
seine Schuld vor Gott stehen.
Gott heißt den Menschen, die eigene Hoffnung auf Erbarmen von dem gewährten
Erbarmen abhängig zu machen. Die innerweltliche Schuld muß zugleich
mit der transzendentalen Schuld verschwinden, damit die Welt ab und zu einmal
aufatmen kann. Das heißt für uns den Verzicht auf jede Bitterkeit
und Erbitterung gegen die Menschen, die uns solches getan haben. Ich bin ihnen
nicht böse, auch dem großen Scharlatan des deutschen Rechtes nicht.
Mir tun sie nur unsagbar leid. Und mehr noch das Volk, das ihnen sich und seine
heiligsten Güter ausgeliefert hat. Gott schütze Deutschland.
Führe uns nicht in Versuchung
Diese Bitte sollen wir ernsthaft beten. Der Herr wußte,
was Anfechtung ist und welcher Zerreißprobe der Mensch in der Anfechtung
ausgesetzt werden kann. Und wer ist seiner sicher? In den ,,schönen Tagen“
überhören wir diese Bitte leicht als für uns nicht aktuell. Bis
auf einmal die schönen Tage vorbei sind und man gar nicht mehr weiß,
aus wieviel Windrichtungen die Stürme zugleich losgebrochen sind. Der Weg
auf meine Klippe hier herauf: durch wieviel Stunden der Schwäche und Not
ging er. Stunden der Ohnmacht und des Zweifels und des Nicht-mehr-weiter-Wissens.
Oh, wie können die Dinge ihre wahren Umrisse verlieren und plötzlich
in anderen Zusammenhängen erscheinen. Und die Stunde der Anfechtung wird
niemand geschenkt. Nur in ihr lernt der Mensch sich selbst kennen und ahnt,
welche Entscheidungen von ihm erwartet werden. Hoffentlich bleibe ich da oben
schwindelfrei und stürze nicht wieder. Ich habe mich dem Herrgott ausgeliefert
und vertraue auf die Hilfe der Freunde.
Die Anfechtung überfällt uns von außen und von innen. Die Macht,
die Gewalt, der Schmerz, die erlebte Erniedrigung, das eigene Versagen, der
schweigende Gott, die äußerste Hilflosigkeit: das alles kann bittere
Entscheidungen fordern. Es kann dann von innen die Angst dazukommen, jenes schleichende
Gewürm, das jede Menschensubstanz auffrißt. Es kann die Dämonie
von innen losbrechen, die Wildheit, die Empörung, der Zweifel, der Lebenswille,
der nicht von sich weg will. Das alles kann bittere Stunden bereiten, und die
Welt ist nachher anders, als sie vorher war. Die Haut ist gegerbt, trägt
Narben und Wunden.
Die einzige Chance, diese Stunden zu bestehen, ist der Herrgott und daß
man sich nicht freiwillig in sie begeben hat. Der Herr heißt uns bitten,
daß diese Stunden uns erspart bleiben. Ich rate allen, diese Bitte ernst
zu nehmen. Was war das doch ein Hexenkessel! Und wie es weitergehen wird, wie
lange ich hier an der Kante sitze und warte, ob ich springen muß oder
nicht, das weiß ich nicht. Was da noch alles an Gewürm in einem aufwachen
kann! Der Mensch muß auf alle falsche Sicherheit verzichten, und er wird
der großen Ruhe und Überlegenheit des Herrgotts teilhaftig. Wie ganz
anders waren die Stunden vor dem Volksgerichtshof. Obwohl ich vom ersten Wort
an wußte, ich falle, habe ich mich keine Minute unterlegen gefühlt.
Das war jenseitige Kraft. Dafür hat das Leben dort auch ein Thema bekommen,
eindeutig und klar, für das sich zu leben und zu sterben lohnt. —
Wenn irgendwann, dann gilt es für den Menschen in der Anfechtung: er allein
schafft es nicht. Der Herr bewahre Euch und behüte Euch und helfe Euch
bestehen.
Sondern erlöse uns von dem Übel
Diese Bitte geht noch einmal den Menschen in der Anfechtung
an. Anfechtung ist nicht Bedrängnis schlechthin, sondern Bedrängnis,
die das Heil in Frage stellt. Es geht in der Anfechtung um eine Entscheidung
für und wider Gott, und darin gerade besteht die Anfechtung, daß
die Sauberkeit und Sicherheit dieser Entscheidung gehemmt, bekämpft, gefährdet
wird. Die Entscheidung für Gott wird keinem Menschen erspart, aber die
gefährdete Entscheidung für Gott, die soll der Mensch sich ersparen
oder sich vom Herrgott schenken lassen. Es gehört dazu allerdings viel
mehr Demut und Ehrlichkeit, als wir heute gemeinhin haben.
Das Übel, um dessen Abwendung wir hier bitten, ist entsprechend nicht das
Bedrängende im Leben, die Not, die Sorge, das Harte, das Schwere, die Entbehrung,
der Schmerz, das Unrecht, die Gewalt usw., sondern es ist das Bedrängende,
das uns in die Anfechtung bringt, das die Schwergewichte verlagert, den Mittelpunkt
verschiebt, die Perspektive verdirbt. Es wird schon gleich spürbar, daß
die sogenannten ,,guten Dinge“ des Lebens hier genauso her-gehören
wie die schweren und harten Wirklichkeiten. In ihnen allen steckt die Möglichkeit,
uns in die Anfechtung zu verführen oder zu drängen. Es ist hier alles
gemeint, was sich zwischen uns und den Herrgott stellen kann; und das können
auch wir selbst sein.
Diese Bitte offenbart mehr noch als die frühere den agonalen Charakter
des Lebens. Die Dialektik des Daseins kann sich immer wieder steigern bis zur
Agonie, nicht nur des Ölbergs, sondern auch des versuchten Herrn in der
Wüste. Auch dort war echte Anfechtung, weil ihn hungerte und weil der Teufel
ihn anrühren konnte. — Der Teufel! Ja, es gibt nicht nur das Böse,
es gibt den Bösen, nicht als Gottes Gegenprinzip, aber als des Herrgotts
zähen und elenden Widersacher. Auch daran soll der Mensch denken, daß
er die Geister unterscheiden muß. Und daß überall da, wo die
Dinge sich meinen, die Gewalt sich anbetet, das Leben sich kraft eigenen Rechtes
auf eigenem Weg ,,selbst verwirklichen“ will, nicht die Sache, sondern
die Widersache geführt wird. Dann muß der Mensch klarsehen; er muß
behutsam und entschieden sein. Und er muß auf die Knie gehen und beten,
beten. Das ist zehn Jahre lang zu wenig geschehen.
Aus: Alfred Delp, Im Angesicht des Todes, (Herder
Bücherei Band 30, S.107-122)
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis der Jesuiten
in Zentraleuropa