Abu
Mu’in Nasir Ibn Chosrau Ibn Haris (1003 – 1088)
Persischer Dichter,
der 1045 einen prophetischen Traum hatte, der ihn dazu bewegte seine Beamtenlaufbahn zu beenden und eine Pilgerreise nach Mekka zu unternehmen Von dort aus reiste er nach Ägypten weiter, wo
er die Ismailiten kennen lernte, die eine schiitische Glaubensrichtung vertreten. Ihre Lehren verbreitete er nach seiner Rückkehr in Balch, woraufhin er verfolgt wurde und in das Jungantal floh, das zwischen den hohen Bergen Badachans liegt. Dort verfasste er bis zu seinem Tode zahlreiche
Schriften.
Inhaltsverzeichnis
Sieben
kleine Gedichte Bekenntnis der Einheit Allahs Der Adel des Menschen Heimkehr zu Allah |
Substanz
und Akzidenz Vom gemeinen Menschentrosse Gottergebenheit Gebet |
Sieben
kleine Gedichte
Grundstoff alles Guten, Urquell alles Edlen ist die Wahrheit!
Allerorten wo sie weilet, Edles ruft sie da in‘s Sein.
Dass das Herz dir sehend werde wie dein Auge, übe Wahrheit!
Denn es setzt ein zweites Auge Wahrheit deinem Herzen ein!
Wer blind sich stützt auf andre,
wie kann der Gott erkennen?
Hat doch an ihm der Höchste
nicht Anteil noch Gewinn!
Andre Leute mag die Welt verwunden,
mir bringt nimmermehr sie Wunden bei;
seit sich höher schwang als Erdenschicksal
meine Seele, ist von Furcht sie frei!
Hüt‘ dich wohl, zu ringen
mit dem Zeitlauf,
bös‘ ist dieser Feind und reich an Wehr!
Ohne Glaubens- und Verstandestruppen
schlägt kein Einzelner des Schicksals Heer!
O Mann der Einsicht! Einsichtsvolle
siehst du
als einz‘ge Frucht am Baume dieser Welt!
Dem Weisen gelten nur als Frucht die Klugen,
da er für Dornen all die Toren hält.
Des Erdenbaumes Frucht bist du, und
selber
der wahre Baum auch, reich an Wortfruchtzier!
Doch ob du wirklich süße Frucht willst werden,
ob unfruchtbarer Dorn — das steht bei dir!
Kein einziger ist reich, der arm an
Wissen,
und keiner arm, der nicht an Wissen arm!
Bekenntnis
der Einheit Allahs
Bei dem, der allgerecht ist, alles schafft,
dem Einz‘gen, den nicht Wahn noch Urteilskraft
ermisst, der, End‘ und Anfang aller Wesen,
doch selbst stets end- und anfangslos gewesen,
noch drang in seines Wesens Grund kein Geist,
da nichts an ihm, was Raum und Körper heißt.
Wie fänd‘ ein leiblich Auge seine Spur?
Der Seele Seel‘ erschaut die Seele nur!
Verdeckt sein Nest des Nichtseins raumlos Reich doch,
was mach‘ ich Worte? Ihm kommt keines gleich doch!
Was hilf‘s auch, wenn mit unsrem Fuß wir gingen?
Wohin sollt‘ uns solch schwach Gefährt wohl bringen?
Im Ohnmachtsbausch birgt mein Verstand sich still,
wer bin ich denn, daß ich ihn nennen will?
Ich nennen — ach! Ich kann‘s ja nicht einmal,
zu schwach ist meines Geistes Kapital!
Ihn eins zu nennen, macht uns schon Beschwerden,
nie kann sein Maß von uns berechnet werden!
Der
Adel des Menschen
Du selber weißt nicht, wer du bist — drum
sprich,
worauf denn stützt dein Erdendasein sich?
Dein Ich erkläre mir — als was erkennst du‘s?
Bist Körper oder Seele du — wie nennst du‘s?
Dein Haupt, dein Bart, der Flaum auf Mund und Wangen,
das wähnst du, seist du selbst? Wie wahnbefangen!
Das hält dich all in Kerker nur und Bann,
o schau‘s doch selbst mit Einsichtsaugen an!
Nicht Form nur bist du — such‘ den Geist!
Beschau den Leib, doch auch der Seele Wunderbau!
Du Tor, dich nur als Körper aufzufassen,
bist Seele ja! Musst solche Reden lassen!
Doch welche Art von Seele? Physisch? Nein!
Ein Ding ist‘s, schau, ganz eigen, wunderfein,
die wahre Seele, die da redekund ist,
die mit dem Geist, dem heiligen, im Bund ist.
Drum lässt das Wo und Wie dich unberührt,
sieh, wer du bist, und nimm, was dir gebührt.
Schau wohl, dass keinem Wahn du hier verfallest,
setz‘ fest den Fuß auf, dass du sicher wallest.
Dein Reiz erschließt sich äuß‘rem Auge nicht,
das inn‘re nur schaut voll dir in‘s Gesicht.
Mit Gottes Eigenschaften sind die deinen,
dein Glanz mit seinem eins, dem lichten, reinen.
Denn Wandelloses stets zu schenken liebt er,
und was für dich ihm gut dünkt, gab und gibt er.
Ein Strahl aus seinem Licht bist du, drum her
dein eig‘nes Sein nur gib und werde er!
Denn suchst du recht — die Hülle trennt allein dich,
entfernst du die — mit ihm dann eins ist dein Ich!
Verschieden sind des Weisen Höll‘ und Eden
von jenen ganz, davon die Leute reden!
Heimkehr
zu Allah
Verlässt du diesen traurigen Kamin
auf‘s neu nun, heim zur Blütenau zu ziehn,
dann gehst du jenen Pfad, den du gekommen,
doch Gutes erst zu tun, wird wohl dir frommen.
Denn ernstlich prüft den Waller auf der Reise
an jedem Rastort man in neuer Weise.
Und kann er solchen Fragen Rede stehn,
mag stracks er ein zur ew‘gen Wohnstatt gehn;
wo nicht — darf er dem Rastort nicht enteilen,
muss gleich im ersten, der im Staub noch, weilen.
Und so geht‘s fort und fort — sein Geist muss wandern
zum Geist, indes sein Staub sich paart dem andern.
Und kehrt von Gott sein Geist als reif zurück,
dann geht er ein zu Eden‘s Wonneglück.
Doch sollt‘ auch dann er nicht als reif bestehen,
kann nie dem Feuer er, weil roh, entgehen!
Das muss als Auferstehungslehrsatz gelten,
ob auch so manche Esel drob mich schelten!
Substanz
und Akzidenz
All das, was ist, vom End‘ zum Anbeginn,
von höchster Höh‘ zu tiefster Tiefe hin,
zerfällt nach weiser Meister Lehrsentenzen
in zweierlei: Substanz und Akzidenzen!
Was nennt sich nun Substanz? Was nie vergeht,
was ewig fest nur in sich selbst besteht.
Das Akzidenz vermag — drob ist im Reinen
die Einsicht längst — sich der Substanz zu einen.
Doch bleibt‘s für gänzliches Vergehn empfänglich,
indes der Urstoff ewig unvergänglich!
So Akzidenz nun wie Substanz bist du,
so Zweig wie Stamm — das Weltall ganz bist du!
Aus beiden Welten wurdest du geboren,
drum bist du auch für beide auserkoren.
Mach diese dir und jene untertan,
mach zur Gewissheit Wissen dir und Wahn!
Für jene das, für diese diesen wähle,
Mit diesem schau den Leib — mit dem die Seele!
Vom
gemeinen Menschentrosse
Wohl ist ihr Heim in diesem wirren All,
wohl kreist um sie auch her der ird‘sche Ball,
doch da sie nimmer Heuchelei gemieden,
sind sie in nichts vom Teufel unterschieden.
Der Seele bar, muss tot ihr Herz auch ruhn,
der Lüge Edle zeihn — ist all ihr Tun!
Ob Leib, ob Seel‘ im Menschen überwiegt,
das ist‘s, worin sein Wesensmerkmal liegt.
Hat seelenläuternd sich sein Herz bewährt,
dann ist ihm unvergänglich Sein beschert;
dann ist sein Platz, wo Gott im Glanze thront,
im Reich des Friedens, wo die Wonne wohnt;
dort nimmt, wenn mit dem Geist er Freundschaft schloss,
ihn auf der ew‘gen Klarheit Königsschloss!
Doch wer sich Sinnenlüsten nie entrungen,
vom Teufel, wisse, ist der ganz durchdrungen.
Er isst und schläft und ist befriedigt dann
wie Rind und Esel — in des Stoffes Bann
liegt seine Seel‘ — auf Tieresstufe steht er,
herum im Finstern wirr und elend geht er.
Nie lass mit solchem, Freund, in Bund dich ein,
nie werd‘ aus Torheit kopfwirr und gemein!
Gottergebenheit
Du kannst, da du so eilig musst von hinnen,
durch Angst- und Trübsalszehrung nichts gewinnen.
Drum, was der tolle Wirbellauf der Sphären
dir auch verhängt, lass nie dich Gram verzehren!
Denn ob sich mindert, ob sich mehrt ihr Kreis,
stets läuft er in des eignen Wunsches Gleis.
Und nichts geschieht, wie‘s unser Herz begehrt,
denn uns bleibt ewig freie Wahl verwehrt.
Drum besser, stets dem Frohsinn sich zu weihen,
von Fesseln ganz und Gram sich zu befreien.
Und dennoch! Freud‘ und Gram gemischt nur nährt uns,
in‘s Herz strahlt Hoffnung gleich, hat Gram beschwert uns.
So steht‘s um unser Los — was hilft da Klagen?
Wer kann am Sternenlauf zu rütteln wagen?
Gebet
Auf mich, o Gott, hast Gnade du ergossen,
hast des Gedankens Pforte mir erschlossen —
du gossest aus der Wolke voll von Segen
auf meines Herzens Wurzel Weisheitsregen!
Ist solcher Weisheit je ein Ziel gesetzt,
die ewig frisch der Klugen Seele netzt?
Drum Preis und Dank dir, Herrscher, gunstbereit,
dass du aus mir erschufst solch frische Maid,
mich aufwärts führtest hundert Stufengrade
der Selbstentäuß‘rung und der Wahrheit Pfade!
Vergib, wenn etwas mir darin missraten,
und stopf‘ den Riss im Vorhang meiner Taten.
O mögest du aus Güte mir verzeihen,
mein Inn‘res göttlichen Gedanken weihn!
Auf deine Gnade hoff‘ ich allezeit,
du gibst mir dazu Hoffnungsfreudigkeit.
Und reißest du mich aus der Sinne Schranken,
will hundertfach ich dir, du Urbild, danken.
O mögest, Wahrheitsgott, mein Wort du wahren,
dass nie dem Trug es leiht den Schein des Wahren.
Vor meinem Geist lass stets das Rechte stehn,
lass Falsches nie aus meinem Munde gehn.
Was wahre Einsicht heißt, das ward mir klar,
ich weiß, dass wissensarm ich ganz und gar.
Dass ich so wissensarm und schwach, verzeih mir,
als Richtpfadleiter deine Gnade leih mir! S.
173-178
Enthalten in: Islamische Geisteswelt, Von Mohammed bis zur Gegenwart Herausgegeben
von Rudolf Jockel . Holle Verlag , Darmstadt