Ulrich (Huldrych) Zwingli (1484 – 1531 gefallen)
Reformator
der deutschen Schweiz, war 1506—16 Pfarrer in Glarus, zur gleichen Zeit auch Feldprediger, seitdem Leutpriester in Maria-Einsiedeln (bis 1519) und am Großmünster in Zürich. Entscheidend wurde für ihn die Bekanntschaft mit Erasmus von Rotterdam (1515); in seinem Sinn suchte er nun das Christentum zu humanisieren. Dieser humanistische Ansatz wurde 1519/20 durch persönliche Erlebnisse wie
durch Studium Augustins und des Paulus, seit 1520 auch durch die Lektüre von Schriften Luthers vertieft und umgewandelt. Zwinglis Weg zur Reformation begann mit einer Schrift gegen das Fastengebot (1522); den Streit um diese
Frage entschied der Rat der Stadt Zürich in zwei Disputationen: 1523 billigte er zunächst die Meinung Zwinglis und führte 1525 die
Reformation in Zürich ein. Dieser Weg kam seinen Gedanken entgegen,
räumte er doch der christlichen Obrigkeit das Recht ein, an Stelle
der Gemeinde zu handeln (»Zürcher Staatskirchentum«). Nach
der »Schnur Christi« wurden die Klöster aufgehoben, das
Orgelspiel und der Gemeindegesang abgeschafft, die Feiertage eingeschränkt und schließlich das Abendmahl nur an vier Sonntagen des Jahres gefeiert. Im Verständnis des Abendmahls unterschied sich Zwingli von Luther: betonte dieser die leibhaftige Gegenwart Christi, so verstand Zwingli die
Einsetzungsworte symbolisch. Seine Gedanken suchte Zwingli auch in der praktischen
Politik zu verwirklichen: zunächst entwickelte er gemeinsam mit dem Landgrafen Philipp von Hessen eine gegen Habsburg gerichtete Politik. Das
in diesem Zusammenhang geführte Marburger Religionsgespräch zwischen Luther und Zwingli scheiterte am unterschiedlichen Verständnis des
Abendmahls. Zwingli suchte nun die Reformation in der gesamten Schweiz durchzusetzen und geriet damit in Konflikt mit den katholischen Kantonen. Sein Tod im 2. Kappeler Krieg führte zu einem Rückschlag für die Reformation in der Schweiz, der erst durch Johannes Calvin ausgeglichen wurde. Zwinglis Theologie ist dargestellt in seinen Hauptwerken, den 67 »Schlussreden« und dem »De vera et falsa religione Commentarius« (1525). Siehe auch Wikipedia und Heiligenlexikon |
>>>Christus
Über Gott
und seine Verehrung
Alles, was ist, ist entweder geschaffen oder ungeschaffen.
Ungeschaffen [von niemand anderem geschaffen] ist einzig und allein Gott. Es kann nämlich nur ein Ungeschaffenes
sein. Wäre mehr als eines ungeschaffen, wäre auch mehr als eines unendlich.
Denn diese beiden [Eigenschaften] sind so gleichartig und verbunden, dass
das, was ewig ist, auch unendlich, und das, was unendlich, auch ewig ist. Da
aber nur ein [einziges Unendliches sein kann (denn sobald wir zwei unendliche
Wesenheiten [»substantias«] zulassen, ist jede von beiden begrenzt), steht bereits fest, dass einzig und allein Gott ungeschaffen ist.
Es ergibt sich daraus der Ursprung, die Quelle und das Fundament des ersten
Artikels unseres Glaubensbekenntnisses. Wenn wir nämlich sagen: Ich glaube
an einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels
und der Erde, so bekennen und versichern wir, den untrüglichen Glauben
zu haben, da dieser fest in dem einzigen und alleinigen Schöpfer ruht.
Die Heiden und Ungläubigen alle, die auf das Geschaffene vertrauen, sind
gezwungen zuzugeben, daß sie in ihrem Glauben oder in ihrer Überzeugung
getäuscht werden können, wenn sie auf das Geschaffene vertrauen. Wer
hingegen dem Schöpfer und Anfang aller Dinge vertraut, dem, der selbst
nie einen Anfang hatte, aber alles andere hervorgebracht hat, der kann nie eines
Irrtums überführt werden. Es steht auch fest, daß nichts Geschaffenes
Gegenstand oder Fundament dieser unerschütterlichen und von Zweifeln freien
Tugend des Glaubens sein kann. Alles, was einen Anfang hatte, war einmal nicht
da. Als es nun nicht da war, wie hätte jemand auf etwas vertrauen können,
das noch nicht da war? Was einen Anfang hat, kann deshalb seiner Natur nach
nicht Gegenstand oder Fundament des Glaubens sein. Also ist nur das ewige, unendliche,
ungeschaffene wahre Gut das Fundament des Glaubens, Dadurch fällt alles
Vertrauen in sich zusammen, mit welchem sich gewisse Leute auf allerheiligste
Geschöpfe oder auf allerverehrungswürdigste Sakramente stützen.
Gott [allein] muß es sein, dem man ohne Trug vertrauen soll. Wenn man
nämlich etwas Geschaffenem vertrauen soll, muß also das Geschaffene
Schöpfer sein. Wenn auf die Sakramente, dann müssen die Sakramente
Gott sein, so daß nicht nur das Sakrament des Abendmahls, sondern auch
die Taufe und die Handauflegung Gott wären. Wie absurd dies gelehrten,
geschweige denn erst frommen Ohren vorkommt, können nicht nur Studierte,
sondern alle einigermaßen Vernünftigen beurteilen. Damit die Theologen
diese Wahrheit verstehen können, wollen wir ihnen gerne folgendes Licht
aufstecken. Wenn sie sagen, das Geschaffene müsse man nutzen, Gott allein
aber genießen, sagen sie nichts anderes als wir auch, sofern sie nicht
ihre eigenen Worte aus Gedankenlosigkeit nicht beachten. Denn wenn man nur Gott
allein genießen soll, muß man auch ihm allein Vertrauen. Man muß
dem vertrauen, was man genießen, nicht dem, was man nutzen soll. [...]
Zusammenfassend gilt: Dies ist die Quelle unserer Religion, daß wir erkennen:
Gott ist der ungeschaffene Schöpfer aller Dinge, und alles, was jener als
einziger und allein besitzt, schenkt er umsonst. Dieses erste Fundament unseres
Glaubens aber stürzen alle um, die dem Geschaffenen etwas zuerkennen, was
allein dem Schöpfer zukommt, Wir bekennen nämlich im Glaubensbekenntnis,
daß wir dem Schöpfer Vertrauen; also kann es nicht das Geschaffene
sein, worauf man vertrauen soll.
Weiter denken wir über Gott: Nachdem wir wissen, Gott sei die Quelle und
der Schöpfer aller Dinge, können wir auf keinen Fall annehmen, daß
es irgend etwas vor ihm oder mit ihm gäbe, das nicht aus ihm wäre.
Denn wenn es etwas geben könnte, das nicht aus ihm wäre, wäre
er ja nicht unendlich; er würde sich nämlich nicht dorthin erstrecken,
wo jenes andere wäre, das nicht aus ihm ist. Daraus ergibt sich: Wenn wir
nun sehen, daß in der Heiligen Schrift der Vater, der Sohn und der Heilige
Geist Gott genannt werden, so sind diese nicht etwas Geschaffenes oder verschiedene
Götter, sondern diese drei sind eins, ein Sein, ein Wesen, d.h. Existierendes,
eine Kraft und Macht, ein Wissen und eine Vorsehung,
drei Namen oder Personen, aber alle und jedes einzelne derselbe und eine Gott.
Wir wissen, daß dieser Gott von Natur gut ist; was er auch ist, ist er
ja von Natur aus. Gut aber ist, was sowohl mild als auch gerecht ist. Beraube
die Milde der Gerechtigkeit, und sie wird keine Milde mehr sein, sondern entweder
Gleichgültigkeit oder Furcht. Wenn du andererseits die Gerechtigkeit nicht
durch Güte und Billigkeit leiten lässest, wird sie zum größten
Unrecht und zur schlimmsten Gewalttätigkeit. Wenn wir nun wissen, daß
Gott von Natur aus gut ist, bekennen wir damit auch, er sei liebevoll, mild
und freigebig, ebenso auch heilig, gerecht und unverletzbar. Da er gerecht ist,
muß er jede Berührung mit Missetaten verabscheuen. Daher müssen
wir Menschen, die wir, wenn nicht verrucht, so doch verdorben sind, an seiner
Freundschaft und Gemeinschaft verzweifeln. Da er andererseits gut ist, muß
er gleichermaßen alle Pläne und Taten durch Billigkeit und Güte
leiten lassen.
Hier ist die Quelle dessen, weswegen er seinen einzigen Sohn Fleisch annehmen
ließ, um für die ganze Welt beides zu zeigen und zu verwirklichen:
die Erlösung und die Erneuerung. Da ja seine Güte, d.h. seine Gerechtigkeit
und Barmherzigkeit, hochheilig, d.h. fest und unwandelbar ist, forderte die
Gerechtigkeit Sühne, die Barmherzigkeit Verzeihung, die Verzeihung aber
ein neues Leben. Im Feldherrenmantel des Fleisches kommt der Sohn des höchsten
Königs, zum Opfer gemacht (freilich konnte er nach der göttlichen
Natur nicht sterben), um so die Gerechtigkeit unerschüttert zufriedenzustellen
und denen zugute zu versöhnen, die es aufgrund des Bewußseins ihrer
Missetaten nicht wagten, aus eigener Unschuld vor Gottes Angesicht zu kommen.
Dies hat er aber [getan], weil er liebevoll und barmherzig ist. Diese Eigenschaft
konnte nicht dulden, daß sein Werk verschmäht würde, sowenig
wie seine Gerechtigkeit das Ausbleiben einer Strafe. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit
sind so beisammen: Diese leistete das Opfer, jene nahm es an zur Sühne
aller Missetaten.
Aus welchem Kreis sollte man es nun wählen? Aus dem der Engel? Aber was
betraf sie die von Menschen begangene Übertretung? Oder eben aus dem Kreis
der Menschen? Doch die waren alle schuldig, so daß aufgrund ihrer Urverdorbenheit
niemand, der dazu bestimmt worden wäre, ein wirksames Opfer hätte
sein können. Jenes Lamm nämlich, das dieses Opfer abbildhaft [»typikos«]
vorausverhieß, mußte untadelig, d.h. ganz heil, fleckenlos und rein
sein. So nahm die göttliche Güte das, was sie uns schenkte, von sich
selbst. Ihren Sohn hat sie also mit unserer fleischlichen Hinfälligkeit
umgeben, damit wir erkennten, wie ihre Freigebigkeit und Barmherzigkeit ebenso
unüberwindlich ist wie ihre Heiligkeit oder Gerechtigkeit. Der aber, welcher
sich selbst uns schenkt, wie sollte er uns noch irgend etwas vorenthalten und
nicht geben? — wie der heilige Paulus auseinandergesetzt hat. Wenn er
einen Engel oder Menschen zum Opfer gemacht hätte, wäre seine Gabe
von außerhalb seiner selbst her gekommen. So wäre also etwas geblieben,
was er uns noch als Größeres hätte geben können, nämlich
sich selbst. Als daher die höchste Güte die höchste Wohltat spenden
wollte, hat sie das Kostbarste gegeben, was sie aus ihrer eröffneten Schatztruhe
geben konnte, nämlich sich selbst, damit dem menschlichen Sinn, der immer
nach noch Höherem begehrt, kein Weg mehr offenbliebe, um darüber nachzugrübeln,
auf welche Weise das Opfer eines Engels oder Menschen für alle genügend
sein oder auf welche Weise man unerschüttert auf Geschaffenes vertrauen
könne. Gottes Sohn ist uns so als Bestätigung der Barmherzigkeit,
als Pfand der Verzeihung, als Bezahlung der Gerechtigkeit und als Maßstab
[»norma«] des neuen Lebens gegeben, damit er uns der Gnade Gottes
gewiß mache und das Gesetz des Lebens bringe. Wer könnte diese Freigebigkeit
der göttlichen Güte und Wohltätigkeit genügend würdigen?
Wir hatten Verwerfung verdient, und er zeichnet uns durch Annahme [an Kindesstatt]
aus. Wir hatten den Weg des Lebens zerstört, und er hat ihn wiederhergestellt.
So hat uns also die göttliche Güte erlöst und erneuert, damit
wir dankbar für seine Barmherzigkeit aufgrund seines Sühnopfers gerecht
und schuldlos seien.
Aus: Ernst Sachser, Huldrych Zwingli: Ausgewählte
Schriften. In neuhochdeutscher Wiedergabe mit einer historisch-biographischen
Einführung,
Grundtexte zur Kirchen- und Theologiegeschichte
Bd 1; (S.135-136, 138-139)
© 1988 Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins GmbH, Neukirchen-Vluyn
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Neukirchener
Verlags, Neukirchen-Vluyn