Zenon von Elea (490 – 430 v. Chr.)

  Griechischer Philosoph, der Lieblingschüler des Parmenides war. Er stützte die Lehre seines Meisters vom unwandelbar Seienden mittelbar durch den Beweis, dass die Annahme der Vielheit, der Bewegung und des Raumes zu Widersprüchen führen. Am bekanntesten sind seine Aporien der Bewegung, etwa vom Wettlauf des Achill mit der Schildkröte.

Siehe auch Wikipedia

Inhaltsverzeichnis
Also ist Gott ewig . . . (Hegel über Zenon)
Zenons Bewegungs-Paradoxien (Nietzsche über Zenon)

Kant über die Zenon'schen Paradoxien
Kritische Entscheidung des kosmologischen Streits
Auflösung der kosmologischen Idee von der Totalität der Teilung eines gegebenen Ganzen in der Anschauung

Also ist Gott ewig . . . (Hegel Über Zenon)
»Es ist unmöglich«, sagt er [Zenon], »daß, wenn etwas ist, es entstehe« (und zwar bezieht er dies auf die Gottheit); »denn entweder müßte es aus Gleichem oder Ungleichem entstehen. Beides ist aber unmöglich; denn dem Gleichen kommt nicht zu, aus dem Gleichen mehr erzeugt zu werden, als zu erzeugen, da Gleiche dieselben Bestimmungen zueinander haben müssen.« Mit der Annahme der Gleichheit fällt der Unterschied von Erzeugendem und Erzeugtem hinweg. »Ebensowenig kann Ungleiches aus dem Ungleichen entstehen; denn wenn aus Schwächerem das Stärkere oder aus Kleinerem das Größere oder aus Schlechterem das Bessere oder umgekehrt das Schlechtere aus dem Besseren entspränge, so würde Nichtseiendes aus Seiendem entspringen, was unmöglich ist, - also ist Gott ewig.«

Das ist dann als Pantheismus (Spinozismus) ausgesprochen worden, der auf dem Satze
ex nihilo nihil fit beruhe. Bei Xenophanes und Parmenides hatten wir Sein und Nichts. Aus dem Nichts ist unmittelbar Nichts, aus dem Sein Sein; aber so ist es schon. Sein ist die Gleichheit, ausgesprochen als unmittelbar; hingegen Gleichheit, als Gleichheit, setzt die Bewegung des Gedankens und Vermittlung, Reflexion-in-sich voraus. Sein und Nichtsein stehen so nebeneinander, ohne daß ihre Einheit als [die] Verschiedener aufgefaßt wäre; diese Verschiedenen sind nicht als Verschiedene ausgesprochen. Bei Zenon ist Ungleichheit das andere Glied gegen die Gleichheit.

Weiter wird die Einheit Gottes bewiesen: »Wenn Gott das Mächtigste von allem ist, so kommt ihm zu, Einer zu sein; denn sofern ihrer zwei oder noch mehrere wären, so wäre er nicht über sie mächtig; aber soweit ihm also die Macht über die anderen fehlte, wäre er nicht Gott. Wenn also mehrere wären, so wären sie mächtiger und schwächer gegeneinander, also wären sie nicht Götter; denn Gottes Natur ist, nichts Mächtigeres über sich zu haben. Wären sie gleich, so hätte Gott nicht mehr die Natur, das Mächtigste sein zu müssen; denn das Gleiche ist weder schlechter noch besser als das Gleiche« - oder es ist nicht von ihm verschieden. »Wenn also Gott ist, und zwar ein solcher, so ist Gott nur Einer; er vermöchte nicht alles, was er wollte, wenn mehrere wären.«

»Indem er Einer ist, so ist er überall gleich, hört, sieht und hat auch die übrigen Empfindungen überall; denn wäre dies nicht, so würden die Teile Gottes, der eine über den anderen mächtig sein« (der eine sein, wo der andere nicht ist, ihn verdrängt haben; der eine hätte Bestimmung, die dem anderen fehlte), »was unmöglich ist. Da Gott sich allenthalben gleich ist, so hat er Kugelform; denn er ist nicht hier so, anders anderswo, sondern allenthalben so.«

Ferner: »Da er ewig und Einer und kugelförmig ist, so ist er weder unendlich (unbegrenzt) noch begrenzt. Denn

a) unbegrenzt ist das Nichtseiende; denn dieses hat weder Mitte, noch Anfang und Ende, noch einen Teil, - ein solches ist das Unbegrenzte. Wie aber das Nichtseiende ist, so ist nicht das Seiende.«

Das Unbegrenzte ist das Unbestimmte, Negative; es wäre das Nichtseiende, das Aufheben des Seins und ist somit selbst als ein Einseitiges bestimmt.

b) »Gegenseitige Begrenzung würde stattfinden, wenn mehrere wären; aber da nur das Eine ist, so ist es nicht begrenzt.«

So zeigt auch Zenon: »Das Eine bewegt sich nicht, noch ist es unbewegt. Denn unbewegt ist

a) das Nichtseiende« (im Nichtseienden findet keine Bewegung statt; mit der Bewegungslosigkeit wäre Nichtsein gesetzt oder die Leerheit; das Unbewegte ist negativ); »denn in es kommt kein Anderes, noch geht es in ein Anderes.

b) Bewegt wird aber nur das Mehrere; denn eins müßte ins andere sich bewegen.« Bewegt wird nur, was ein Verschiedenes vom Anderen ist; es wird eine Mehrheit von Zeit, Raum vorausgesetzt. »Das Eine ruht also weder, noch ist es bewegt; denn es ist weder dem Nichtseienden noch dem Vielen gleich. In allem diesem verhält sich Gott so; denn er ist ewig und Einer, sich selbst gleich und kugelförmig, weder unbegrenzt noch begrenzt, weder ruhig noch bewegt.«
Aus: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, Werke 18 (S.297-299)
Suhrkamp taschenbuch wissenschaft stw 618



Zenons Bewegungs-Paradoxien (Nietzsche über Zenon)
Der andre Begriff, von größerem Gehalte als der des Seienden, und gleichfalls bereits von Parmenides erfunden, wenngleich noch nicht so geschickt verwendet wie von seinem Schüler Zeno, ist der des Unendlichen. Es kann nichts Unendliches existieren: denn bei einer solchen Annahme würde sich der widerspruchsvolle Begriff einer vollendeten Unendlichkeit ergeben. Da nun unsre Wirklichkeit, unsre vorhandene Welt überall den Charakter jener vollendeten Unendlichkeit trägt, so bedeutet sie ihrem Wesen nach einen Widerspruch gegen das Logische und somit auch gegen das Reale und ist Täuschung, Lüge, Phantasma. Zeno bediente sich besonders der indirekten Beweismethode: er sagte zum Beispiel »es kann keine Bewegung von einem Orte zum andern geben: denn wenn es eine solche gäbe, so wäre eine Unendlichkeit vollendet gegeben: dies ist aber eine Unmöglichkeit«. Achill kann die Schildkröte, die einen kleinen Vorsprung hat, im Wettlaufe nicht einholen; denn um nur den Punkt, von dem die Schildkröte aus läuft, zu erreichen, müsste er bereits zahllose, unendlich viele Räume durchlaufen haben, nämlich zuerst die Hälfte jenes Raumes, dann das Viertel, dann das Achtel, dann das Sechzehntel und so weiter in infinitum. Wenn er tatsächlich die Schildkröte einholt, so ist dies ein unlogisches Phänomen, also jedenfalls keine Wahrheit, keine Realität, kein wahres Sein, sondern nur eine Täuschung. Denn nie ist es möglich, das Unendliche zu beendigen. Ein andres populäres Ausdrucksmittel dieser Lehre ist der fliegende und doch ruhende Pfeil. In jedem Augenblicke seines Flugs hat er eine Lage; in dieser Lage ruht er. Wäre jetzt die Summe der unendlichen Lagen der Ruhe identisch mit Bewegung? Wäre jetzt das Ruhen, unendlich wiederholt, Bewegung, also sein eigner Gegensatz? Das Unendliche wird hier als Scheidewasser der Wirklichkeit benutzt, an ihm löst sie sich auf. Wenn aber die Begriffe fest, ewig und seiend sind — und Sein und Denken fällt für Parmenides zusammen —, wenn also das Unendliche nie vollendet sein kann, wenn Ruhe nie Bewegung werden kann, so ist der Pfeil in Wahrheit gar nicht geflogen: er kam gar nicht von der Stelle und aus der Ruhe, kein Zeitmoment ist vergangen. Oder anders ausgedrückt: es gibt in dieser sogenannten, doch nur angeblichen Wirklichkeit weder Zeit, noch Raum, noch Bewegung. Zuletzt ist der Pfeil selbst nur eine Täuschung: denn er stammt aus der Vielheit, aus der durch die Sinne erzeugten Phantasmagorie des Nicht-Einen. Angenommen, der Pfeil hätte ein Sein, dann wäre er unbeweglich, zeitlos, ungeworden, starr und ewig —eine unmögliche Vorstellung! Angenommen, die Bewegung wäre wahrhaft real, so gäbe es keine Ruhe, also keine Lage für den Pfeil, also keinen Raum — eine unmögliche Vorstellung! Angenommen, daß die Zeit real sei, so könnte sie nicht unendlich teilbar sein; die Zeit, die der Pfeil brauchte, müßte aus einer begrenzten Anzahl von Zeitmomenten bestehen, jeder dieser Momente müßte ein Atomon sein — eine unmögliche Vorstellung! Alle unsre Vorstellungen, sobald ihr empirisch gegebner, aus dieser anschaulichen Welt geschöpfter Inhalt als veritas aeterna genommen wird, führen auf Widersprüche. Gibt es absolute Bewegung, so gibt es keinen Raum: gibt es absoluten Raum, so gibt es keine Bewegung; gibt es ein absolutes Sein, so gibt es keine Vielheit. Gibt es eine absolute Vielheit, so gibt es keine Einheit. Da sollte einem doch klar werden, wie wenig wir mit solchen Begriffen das Herz der Dinge berühren oder den Knoten der Realität aufknüpfen: während Parmenides und Zeno umgekehrt an der Wahrheit und Allgültigkeit der Begriffe festhalten und die anschauliche Welt als das Gegenstück der wahren und allgültigen Begriffe, als eine Objektivation des Unlogischen und Widerspruchsvollen verwerfen. Sie gehen bei allen ihren Beweisen von der gänzlich unbeweisbaren, ja unwahrscheinlichen Voraussetzung aus, daß wir in jenem Begriffsvermögen das entscheidende höchste Kriterium über Sein und Nichtsein, das heißt über die objektive Realität und ihr Gegenteil, besitzen: jene Begriffe sollen sich nicht an der Wirklichkeit bewähren und korrigieren, wie sie doch aus ihr tatsächlich abgeleitet sind, sondern sollen im Gegenteil die Wirklichkeit messen und richten, und, im Falle eines Widerspruchs mit dem Logischen, sogar verdammen. Um ihnen diese richterlichen Befugnisse einräumen zu können, mußte Parmenides ihnen dasselbe Sein zuschreiben, das er überhaupt allein als Sein gelten ließ: Denken und jener eine ungewordene vollkommne Ball des Seienden waren jetzt nicht mehr als zwei verschiedne Arten des Seins zu fassen, da es keine Zweiheit des Seins geben durfte. So war der überverwegene Einfall notwendig geworden, Denken und Sein für identisch zu erklären; keine Form der Anschaulichkeit, kein Symbol, kein Gleichnis konnte hier zu Hilfe kommen; der Einfall war völlig unvorstellbar, aber er war notwendig, ja er feierte in dem Mangel an jeder Versinnlichungs-Möglichkeit den höchsten Triumph über die Welt und die Forderungen der Sinne. Das Denken und jenes knollig-kugelrunde, durch und durch tot-massive und starr-unbewegliche Sein müssen, nach dem Parmenideischen Imperativ, zum Schrecken aller Phantasie, in eins zusammenfallen und ganz und gar dasselbe sein. Mag diese Identität den Sinnen widersprechen! Gerade dies ist die Bürgschaft, daß sie nicht von den Sinnen entlehnt ist.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 70, Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie. Der griechische Staat.
Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen (S.311-313)
Mit einem Nachwort von Alfred Baeumler
©1976 by Alfred Kröner Verlag in Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart


Kant über die Zenon'schen Paradoxien
Kritische Entscheidung des kosmologischen Streits
Der e l e a t i s c h e Zeno, ein subtiler Dialektiker, ist schon vom Plato als ein mutwilliger Sophist darüber sehr getadelt worden, daß er, um seine Kunst zu zeigen, einerlei Satz durch scheinbare Argumente zu beweisen und bald darauf durch andere eben so starke wieder umzustürzen suchte. Er behauptete, Gott (vermutlich war es bei ihm nichts als die Welt) sei weder endlich, noch unendlich, er sei weder in Bewegung, noch in Ruhe, sei keinem andern Dinge weder ähnlich, noch unähnlich. Es schien denen, die ihn hierüber beurteilten, er habe zwei einander widersprechende Sätze gänzlich ableugnen wollen, welches ungereimt ist. Allein ich finde nicht, daß ihm dieses mit Recht zur Last gelegt werden könne. Den ersteren dieser Sätze werde ich bald näher beleuchten. Was die übrigen betrifft, wenn er unter dem Worte: Gott, das Universum verstand, so mußte er allerdings sagen: daß dieses weder in seinem Orte beharrlich gegenwärtig (in Ruhe) sei, noch denselben verändere (sich bewege), weil alle Örter nur im Universum, dieses selbst also in keinem Orte ist. Wenn das Weltall alles, was existiert, in sich faßt, so ist es auch so fern keinem andern Dinge, weder ähnlich, noch unähnlich, weil es außer ihm kein anderes Ding gibt, mit dem es könnte verglichen werden. Wenn zwei einander entgegengesetzte Urteile eine unstatthafte Bedingung voraussetzen, so fallen sie, unerachtet ihres Widerstreits (der gleichwohl kein eigentlicher Widerspruch ist), alle beide weg, weil die Bedingung wegfällt, unter der allein jeder dieser Sätze gelten sollte.

Wenn jemand sagte, ein jeder Körper riecht entweder gut, oder er riecht nicht gut, so findet ein Drittes statt, nämlich, daß er gar nicht rieche (ausdufte), und so können beide widerstreitende Sätze falsch sein. Sage ich, er ist entweder wohlriechend, oder er ist nicht wohlriechend (vel suaveolens vel non suaveolens): so sind beide Urteile einander kontradiktorisch entgegengesetzt und nur der erste ist falsch, sein kontradiktorisches Gegenteil aber, nämlich, einige Körper sind nicht wohlriechend, befaßt auch die Körper in sich, die gar nicht riechen. In der vorigen Entgegenstellung (per disparata) blieb die zufällige Bedingung des Begriffs der Körper (der Geruch) noch bei dem widerstreitenden Urteile, und wurde durch dieses also nicht mit aufgehoben, daher war das letztere nicht daskontradiktorische Gegenteil des ersteren.

Sage ich demnach: die Welt ist dem Raume nach entweder unendlich, oder sie ist nicht unendlich (non est infinitus), so muß, wenn der erstere Satz falsch ist, sein kontradiktorisches Gegenteil: die Welt ist nicht unendlich, wahr sein. Dadurch würde ich nur eine unendliche Welt aufheben, ohne eine andere, nämlich die endliche, zu setzen. Hieße es aber: die Welt ist entweder unendlich, oder endlich (nichtunendlich), so könnten beide falsch sein. Denn ich sehe alsdann die Welt, als an sich selbst, ihrer Größe nach bestimmt an, indem ich in dem Gegensatz nicht bloß die Unendlichkeit aufhebe, und, mit ihr, vielleicht ihre ganze abgesonderte Existenz, sondern eine Bestimmung zur Welt, als einem an sich selbst wirklichen Dinge, hinzusetze, welches eben so wohl falsch sein kann, wenn nämlich die Welt gar nicht als ein Ding an sich, mithin auch nicht ihrer Größe nach, weder als unendlich, noch als endlich gegeben sein sollte. Man erlaube mir, daß ich dergleichen Entgegensetzung die dialektische, die des Widerspruchs aber die analytische Opposition nennen darf. Also können von zwei dialektisch einander entgegengesetzten Urteilen alle beide falsch sein, darum, weil eines dem andern nicht bloß widerspricht, sondern etwas mehr sagt, als zum Widerspruche erforderlich ist.

Wenn man die zwei Sätze: die Welt ist der Größe nach unendlich, die Welt ist ihrer Größe nach endlich, als einander kontradiktorisch entgegengesetzte ansieht, so nimmt man an, daß die Welt (die ganze Reihe der Erscheinungen) ein Ding an sich selbst sei. Denn sie bleibt, ich mag den unendlichen oder endlichen Regressus in der Reihe ihrer Erscheinungen aufheben. Nehme ich aber diese Voraussetzung, oder diesen transzendentalen Schein weg, und leugne, daß sie ein Ding an sich selbst sei, so verwandelt sich der kontradiktorische Widerstreit beider Behauptungen in einen bloß dialektischen, und weil die Welt gar nicht an sich (unabhängig von der regressiven Reihe meiner Vorstellungen) existiert, so existiert sie weder als ein
an sich unendliches, noch als ein an sich endliches Ganzes. Sie ist nur im empirischen Regressus der Reihe der Erscheinungen und für sich selbst gar nicht anzutreffen. Daher, wenn diese jederzeit bedingt ist, so ist sie niemals ganz gegeben, und die Welt ist also kein unbedingtes Ganzes, existiert also auch nicht als ein solches, weder mit unendlicher, noch endlicher Größe.

Was hier von der ersten kosmologischen Idee, nämlich der absoluten Totalität der Größe in der Erscheinung gesagt worden, gilt auch von allen übrigen. Die Reihe der Bedingungen ist nur in der regressiven Synthesis selbst, nicht aber an sich in der Erscheinung, als einem eigenen, vor allem Regressus gegebenen Dinge, anzutreffen. Daher werde ich auch sagen müssen: die Menge der Teile in einer gegebenen Erscheinung ist an sich weder endlich, noch unendlich, weil Erscheinung nichts an sich selbst Existierendes ist, und die Teile allererst durch den Regressus der dekomponierenden Synthesis, und in demselben, gegeben werden, welcher Regressus niemals schlechthin ganz, weder als endlich, noch als unendlich gegeben ist. Eben das gilt von der Reihe der über einander geordneten Ursachen, oder der bedingten bis zur unbedingt notwendigen Existenz, welche niemals weder an sich ihrer Totalität nach als endlich, noch als unendlich angesehen werden kann, weil sie als Reihe subordinierter Vorstellungen nur im dynamischen Regressus besteht, vor demselben aber, und als für sich bestehende Reihe von Dingen, an sich selbst gar nicht existieren kann.

So wird demnach die Antinomie der reinen Vernunft bei ihren kosmologischen Ideen gehoben, dadurch, daß gezeigt wird, sie sei bloß dialektisch und ein Widerstreit eines Scheins, der daher entspringt, daß man die Idee der absoluten Totalität, welche nur als eine Bedingung der Dinge an sich selbst gilt, auf Erscheinungen angewandt hat, die nur in der Vorstellung, und, wenn sie eine Reihe ausmachen, im sukzessiven Regressus, sonst aber gar nicht existieren. Man kann aber auch umgekehrt aus dieser Antinomie einen wahren, zwar nicht dogmatischen, aber doch kritischen und doktrinalen Nutzen ziehen: nämlich die transzendentale Idealität der Erscheinungen dadurch indirekt zu beweisen, wenn jemand etwa an dem direkten Beweise in der transzendentalen Ästhetik nicht genug hätte. Der Beweis würde in diesem Dilemma bestehen. Wenn die Welt ein an sich existierendes Ganzes ist: so ist sie entweder endlich, oder unendlich. Nun ist das erstere sowohl als das zweite falsch (laut der oben angeführten Beweise der Antithesis, einer-, um der Thesis, andererseits). Also ist es auch falsch, daß die Welt (der Inbegriff aller Erscheinungen) ein an sich existierendes Ganzes sei. Woraus denn folgt, daß Erscheinungen überhaupt außer unseren Vorstellungen nichts sind, welches wir eben durch die transzendentale Idealität derselben sagen wollten.

Diese Anmerkung ist von Wichtigkeit. Man sieht daraus, daß die obigen Beweise der vierfachen Antinomie nicht Blendwerke, sondern gründlich waren, unter der Voraussetzung nämlich, daß Erscheinungen oder eine Sinnenwelt, die sie insgesamt in sich begreift, Dinge an sich selbst wären. Der Widerstreit der daraus gezogenen Sätze entdeckt aber, daß in der Voraussetzung eine Falschheit liege, und bringt uns dadurch zu einer Entdeckung der wahren Beschaffenheit der Dinge, als Gegenstände der Sinne. Die transzendentale Dialektik tut also keinesweges dem Skeptizismus einigen Vorschub, wohl aber der skeptischen Methode, welche an ihr ein Beispiel ihres großen Nutzens aufweisen kann, wenn man die Argumente der Vernunft in ihrer größten Freiheit gegen einander auftreten läßt, die, ob sie gleich zuletzt nicht dasjenige, was man suchte, dennoch jederzeit etwas Nützliches, und zur Berichtigung unserer Urteile Dienliches, liefern werden.

Auflösung der kosmologischen Idee von der Totalität der Teilung eines gegebenen Ganzen in der Anschauung

Wenn ich ein Ganzes, das in der Anschauung gegeben ist, teile, so gehe ich von einem Bedingten zu den Bedingungen seiner Möglichkeit. Die Teilung der Teile (subdivisio oder decompositio) ist ein Regressus in der Reihe dieser Bedingungen. Die absolute Totalität dieser Reihe würde nur alsdenn gegeben sein, wenn der Regressus bis zu einfachen Teilen gelangen könnte. Sind aber alle Teile in einer kontinuierlich fortgehenden Dekomposition immer wiederum teilbar, so geht die Teilung, d.i. der Regressus, von dem Bedingten zu seinen Bedingungen in infinitum; weil die Bedingungen (die Teile) in dem Bedingten selbst enthalten sind, und, da dieses in einer zwischen seinen Grenzen eingeschlossenen Anschauung ganz gegeben ist, insgesamt auch mit gegeben sind. Der Regressus darf also nicht bloß ein Rückgang in indefinitum genannt werden, wie es die vorige kosmologische Idee allein erlaubete, da ich vom Bedingten zu seinen Bedingungen, die, außer demselben, mithin nicht dadurch zugleich mit gegeben waren, sondern die im empirischen Regressus allererst hinzu kamen, fortgehen sollte. Diesem ungeachtet ist es doch keinesweges erlaubt, von einem solchen Ganzen, das ins Unendliche teilbar ist, zu sagen: es bestehe aus unendlich viel Teilen. Denn obgleich alle Teile in der Anschauung des Ganzen enthalten sind, so ist doch darin nicht die ganze Teilung enthalten, welche nur in der fortgehenden Dekomposition, oder dem Regressus selbst besteht, der die Reihe allererst wirklich macht. Da dieser Regressus nun unendlich ist, so sind zwar alle Glieder (Teile), zu denen er gelangt, in dem gegebenen Ganzen als Aggregate enthalten, aber nicht die ganze Reihe der Teilung, welche sukzessiv-unendlich und niemals ganz ist, folglich keine unendliche Menge, und keine Zusammennehmung derselben in einem Ganzen darstellen kann.

Diese allgemeine Erinnerung läßt sich zuerst sehr leicht auf den Raum anwenden. Ein jeder in seinen Grenzen angeschauter Raum ist ein solches Ganzes, dessen Teile bei aller Dekomposition immer wiederum Räume sind, und ist daher ins Unendliche teilbar.

Hieraus folgt auch ganz natürlich die zweite Anwendung, auf eine in ihren Grenzen eingeschlossene äußere Erscheinung (Körper). Die Teilbarkeit desselben gründet sich auf die Teilbarkeit des Raumes, der die Möglichkeit des Körpers, als eines ausgedehnten Ganzen, ausmacht. Dieser ist also ins Unendliche teilbar, ohne doch darum aus unendlich viel Teilen zu bestehen.

Es scheint zwar: daß, da ein Körper als Substanz im Raume vorgestellt werden muß, er, was das Gesetz der Teilbarkeit des Raumes betrifft, hierin von diesem unterschieden sein werde; denn man kann es allenfalls wohl zugeben: daß die Dekomposition im letzteren niemals alle Zusammensetzung wegschaffen könne, indem alsdenn so gar aller Raum, der sonst nichts Selbständiges hat, aufhören würde (welches unmöglich ist); allein daß, wenn alle Zusammensetzung der Materie in Gedanken aufgehoben würde, gar nichts übrig bleiben solle, scheint sich nicht mit dem Begriffe einer Substanz vereinigen zu lassen, die eigentlich das Subjekt aller Zusammensetzung sein sollte, und in ihren Elementen übrig bleiben müßte, wenn gleich die Verknüpfung derselben im Raume, dadurch sie einen Körper ausmachen, aufgehoben wäre. Allein mit dem, was in der Erscheinung Substanz heißt, ist es nicht so bewandt, als man es wohl von einem Dinge an sich selbst durch reinen Verstandesbegriff denken würde. Jenes ist nicht absolutes Subjekt, sondern beharrliches Bild der Sinnlichkeit und nichts als Anschauung, in der überall nichts Unbedingtes angetroffen wird.

Ob nun aber gleich diese Regel des Fortschritts ins Unendliche bei der Subdivision einer Erscheinung, als einer bloßen Erfüllung des Raumes, ohne allen Zweifel stattfindet: so kann sie doch nicht gelten, wenn wir sie auch auf die Menge der auf gewisse Weise in dem gegebenen Ganzen schon abgesonderten Teile, dadurch diese ein quantum discretum ausmachen, erstrecken wollen. Annehmen, daß in jedem gegliederten (organisierten) Ganzen ein jeder Teil wiederum gegliedert sei, und daß man auf solche Art, bei Zerlegung der Teile ins Unendliche, immer neue Kunstteile antreffe, mit einem Worte, daß das Ganze ins Unendliche gegliedert sei, will sich gar nicht denken lassen, obzwar wohl, daß die Teile der Materie, bei ihrer Dekomposition ins Unendliche, gegliedert werden könnten. Denn die Unendlichkeit der Teilung einer gegebenen Erscheinung im Raume gründet sich allein darauf,daß durch diese bloß die Teilbarkeit, d.i. eine an sich schlechthin unbestimmte Menge von Teilen gegeben ist, die Teile selbst aber nur durch die Subdivision gegeben und bestimmt werden, kurz, daß das Ganze nicht an sich selbst schon eingeteilt ist. Daher die Teilung eine Menge in demselben bestimmen kann, die so weit geht, als man im Regressus der Teilung fortschreiten will. Dagegen wird bei einem ins Unendliche gegliederten organischen Körper das Ganze eben durch diesen Begriff schon als eingeteilt vorgestellt, und eine an sich selbst bestimmte, aber unendliche Menge der Teile, vor allem Regressus der Teilung, in ihm angetroffen, wodurch man sich selbst widerspricht; indem diese unendliche Einwickelung als eine niemals zu vollendende Reihe (unendlich), und gleichwohl doch in einer Zusammennehmung als vollendet, angesehen wird. Die unendliche Teilung bezeichnet nur die Erscheinung als quantum continuum und ist von der Erfüllung des Raumes unzertrennlich; weil eben in derselben der Grund der unendlichen Teilbarkeit liegt. So bald aber etwas als quantum discretum angenommen wird: so ist die Menge der Einheiten darin bestimmt; daher auch jederzeit einer Zahl gleich. Wie weit also die Organisierung in einem gegliederten Körper gehen möge, kann nur die Erfahrung ausmachen, und wenn sie gleich mit Gewißheit zu keinem unorganischen Teile gelangte, so müssen solche doch wenigstens in der möglichen Erfahrung liegen. Aber wie weit sich die transzendentale Teilung einer Erscheinung überhaupt erstrecke, ist gar keine Sache der Erfahrung, sondern ein Prinzipium der Vernunft, den empirischen Regressus, in der Dekomposition des Ausgedehnten, der Natur dieser Erscheinung gemäß, niemals für schlechthin vollendet zu halten.
Aus: Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, S. 593-599, 616-620
Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
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