Ernst Wolf
(1902 - 1971)
In Prag geborener deutscher evangelischer
Theologe, der nach seinem Studium in Wien, Rostock und Leipzig seit 1925 Privatdozent
in Rostock und seit 1931 Professor in Halle war. Seit 1945 lehrte er als Professor
für Dogmengeschichte und systematische Theologie in Göttingen. Wolf stand der dialektischen Theologie Karl Barths nahe und war führendes Mitglied
der Bekennenden Kirche.
Siehe auch Wikipedia
Inhaltsverzeichnis
Die christliche Rede von Gott
Unsterblichkeit?
Die christliche
Rede von Gott
Die Frage, ob sich die «andere» Wirklichkeit mit den Kategorien und Begriffen unserer Wirklichkeit beschreiben lasse, ist
doppelsinnig formuliert. Sie fragt dem Wortlaut nach entweder nach einer einer
etwaigen uns in die Hand. gegebenen Möglichkeit einerseits oder einem Verhalten
der «anderen» Wirklichkeit uns gegenüber
andererseits. Natürlich ist sie hier zunächst im Sinn der ersten Fassung
gemeint. Und da ist sie mit einem Nein zu beantworten. Die Begriffssprache einer
von uns ausgehenden Beschreibung der «anderen»
Wirklichkeit gelangt im besten Fall zur Herausstellung von Chiffren,
in denen menschliche Selbsterfahrung in der Besinnung auf den Grund des eigenen
Tuns und der inneren Verfassung oder in der leidvollen Auseinandersetzung mit
der Welt und deren Schranken der Endlichkeit sich in einem Akt des über
sich Hinausgreifens ausspricht, um einen Halt des «Woher»
oder eine Instanz zu gewinnen, vor der Anklage erhoben wird. «Gott»
wird dann z. B. «der Ausdruck für das
Phänomen des gewissensmäßigen, getrosten, überzeugten Handelnkönnens». Oder die «Chiffre Jesus» ist in dieser
Sicht, wie man meint, nur ein Ausdrucksmittel der neutestamentlichen Autoren
für eine bestimmte religiöse Existenzerfahrung, dafür etwa, dass
ich «wirklich Leben habe». Diese Chiffren haben, genau besehen, nur einen symbolischen Wert und im Grunde eine mystische Struktur. Sie können, wo sie als Chiffren erkannt sind, nicht mehr für
sich selbst ernst und wörtlich genommen werden. Sie sind ablösbar,
können ausgewechselt oder preisgegeben werden.
Auf der Basis einer solchen Rede vom «Göttlichen»
in Chiffren stehen um deren symbolischer oder mythischer Struktur willen
auch mannigfache Versuche, in Richtung der Frage nach dem «Wesen» das mit ihnen Gemeinte durch Begriffe zu erläutern, die dem kategorialen
Bereich unserer Wirklichkeit entnommen sind. Das gilt für die ganze Weite
der religionsgeschichtlichen Erscheinungswelt.
Für die Rede des christlichen Glaubens von Gott hingegen gilt als ermöglichende
Voraussetzung, dass sie «im Angesicht Gottes» geschieht, dass er selbst ihr Subjekt bleibt, d. h., dass er sich
unter die Aussagebedingungen des partikularen Seienden «unserer» Wirklichkeit begibt, sofern von ihm in menschlicher
Sprache gesprochen werden kann, weil hier nicht neutral über ihn geredet wird, sondern indirekt in Form des Zeugnisses von seinen Taten in
gehorsamer, anbetender Verkündigung seines Willens. Den Hintergrund dafür
bildet nicht die Unterscheidung zweier Wirklichkeiten, sondern die Frage nach
der Wahrheit der einen Wirklichkeit, von der her auch die Erkenntnis von Wahrheiten in «unserer» Welt lebt. Die Grundform
der christlichen Rede von Gott ist hier die personale Rede, für die die zwischenmenschliche Ich-Du-Beziehung die Kategorien abgibt. Aber nicht
als Begründung der Personalität der Gottesbeziehung
im Personsein des Menschen, von dem man dann zum Personsein Gottes aufstiege, sondern als Ausdruck für das Widerfahrnis des
Angesprochenwerdens von Gott, und zwar als Mensch innerhalb jener Gemeinschaft,
in der Gott sich zum Du des Menschen setzt und den Menschen zum Du für
sich beruft. Offenbarung als Grundvoraussetzung der Rede christlichen Glaubens
von Gott ist im Bezug von Personen bestimmbar. Personales
Sein ist Sein in Beziehung, und zwar in Beziehung, die im Ereignis des
Ich-Du-Verhältnisses erfahren wird. Diese personale Redeweise, die dann
in analogischer Anwendung Kategorien «unserer»
Wirklichkeit gebraucht, um von Gottes Willen zu sprechen und so seinen
ewigen Willen als schöpferische Liebe zu begreifen (die auch das Gericht
einschließt), ist für die christliche Rede von Gott ebenso notwendig
wie unüberbietbar. Über sie kann nicht hinausgegangen werden zu einer
Beschreibung das Wesens der anderen Welt als eines jenseitigen Seins; sie ist notwendig, weil sie ihren Grund hat in der Art von Begegnung,
die der, den christliches Reden als Gott bezeugt, für seine Selbstkundgabe,
eine Selbstoffenbarung gewählt hat. Alles hängt hier an dem unableitbaren
Entstehungsgrund christlichen Glaubens im Handeln Gottes, daran, dass die «andere»
Wirklichkeit es sich gefallen lässt, indirekt oder analogisch sich
den Möglichkeiten unseres Redens von ihr zu übergeben. Dieses Reden
ist von da aus in bestimmter Weise dann eben als «wörtliche
Aussage» zu verstehen. S.77-79
Aus: Die Antwort der Religionen, Eine Umfrage mit 31 Fragen von Gerhard Szczesny
bei »Glaubensfachleuten« der großen Bekenntnisge-meinschaften
Judentum, Katholizismus, Protestantismus, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Veröffentlicht
im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH , Reinsbek bei Hamburg 1971
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau
Claudia Szczesny-Friedmann, München
Unsterblichkeit?
Für die biblische, christliche Sicht des Menschen ist menschliches Leben nicht unsterblich, sondern vielmehr der Herrschaft, ja der Strafherrschaft des
Todes unterworfen. Das Wort Unsterblichkeit kommt im Alten Testament gar nicht,
im Neuen nur zweimal vor und meint hier nicht eine «Eigenschaft» des Menschen. Vielmehr gehört das allgemeine Sein-zum-Tode
ebenso wie die gefährliche Freiheit eines Über-sich-selbst-Verfügens auch in biblischer Sicht zu den
Existenzialien des Menschen. Jenes meint die Grenze, dieses den Grund seiner
in Anspruch genommenen, immer zugleich auch schon verwirkten Herrschaft über
sein Schicksal. Gott «allein» kommt
nach dem Neuen Testament (1. Tim. 6, 16) «Unsterblichkeit» zu — und dem Menschen wird nach 1. Kor. 15, 53 «Unsterblichkeit», «unvergängliches Wesen» als eine künftige Gabe Gottes verheißen, als
die Herausnahme aus der Todesherrschaft. Für die realistische Rede der
Bibel ist der Mensch also sterblich, d. h., er existiert als ganzer, mit Leib und Seele, die wohl unterschieden, aber nicht getrennt werden können, innerhalb
der ihm gesetzten zeitlichen Frist, wie nicht vorher, so auch nicht nachher.
Mit dem Tode steht der eine ganze Mensch, der die Seele seines Leibes und der
Leib seiner Seele ist, an der Grenze, die er nicht überschreiten kann,
es sei denn, dass der eine unsterbliche Gott ihm als sein Jenseits und
seine Zukunft begegnet, als Rettung und ihm zugesprochenes Leben. Sofern die
biblische Botschaft zentral dem Menschen in seinem Sein «vor
Gott» gilt, kommt hier die Frage des Bestehens vor Gott zur Sprache:
die Frage, ob dieser Gott auch seine, des Menschen, Hoffnung ist in der Entscheidung
zwischen «ewigem Tod» als der bleibenden
Feindschaft wider Gott oder «ewigem Leben»
als der Erwähltheit durch Gott, in der dem
sterblichen Menschen die Zukunft von Gottes «Unsterblichkeit» zugesprochen wird. Dass der christliche Glaube Jesus Christus als den zur
Mitte hat, der für den Menschen gestorben ist, seine Schuld und als deren
Folge seinen ewigen Tod auf sich nehmend, und der für ihn auferstanden
ist, ihm damit «ewiges Leben» schenkend, entnimmt die Menschheitsfrage nach der «Unsterblichkeit
der Seele» der breiten Gefahrenzone spekulativer Erörterung
und verweist den Glauben — freilich nur den Glauben — an eine gewisse,
ganz zuversichtliche, ganz ernste, ganz freudige Hoffnung auf Gott als die den
Menschen rettende, ihm in Christus gegenwärtige Zukunft. S.96f.
Aus: Die Antwort der Religionen, Eine Umfrage mit 31 Fragen von Gerhard Szczesny
bei »Glaubensfachleuten« der großen Bekenntnisgemeinschaften
Judentum, Katholizismus, Protestantismus, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Veröffentlicht
im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH , Reinsbek bei Hamburg 1971
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau
Claudia Szczesny-Friedmann, München