John Benjamin Wesley (1703 - 1791)

  Anglikanischer Geistlicher und Begründer des Methodismus. Wesley kam auf einer Reise in die USA (Georgia) in engen Kontakt mit der herrnhuterischen Frömmigkeit, die ihn so tief beeindruckte, dass sie 1738 seine Bekehrung zum Geist der evangelischen Brüdergemeine zur Folge hatte. Danach begann er seine Tätigkeit als Erweckungsprediger, in der er fortan, teilweise drei bis viermal täglich, über die pietistischen Grundthemen Wiedergeburt, Rechtfertigung, Heiligung, Versöhnung, Kindschaft Gottes, Friede und Freude im Heiligen Geiste predigte. Das führte ihn dazu, dass er die methodistische Erweckungsbewegung gründete, aus der die methodistischen Kirchen hervorgingen. So gesehen ist die methodistische Bewegung die wichtigste Frucht des deutschen Pietismus. Ihren Namen haben die Methodisten von ihrer methodisch geordneten frommen Lebensführung.

Siehe auch Wikipedia , Heiligenlexikon und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Bericht über seine Bekehrung
Die Wiedergeburt

Bericht über seine Bekehrung
Als ich mich auf meiner Rückreise nach England im Januar 1738 in augenscheinlicher Todesgefahr befand und dadurch in schlimme Unruhe kam, war nach meiner tiefen Überzeugung allein mein Unglaube die Ursache dieser Unruhe. Ich sah, dass »nur eines not« war, dass ich einen wahren lebendigen Glauben bekäme. Doch ich gab diesem Glauben immer noch nicht das rechte Ziel: Ich wollte nur den Glauben an Gott, aber nicht den Glauben an oder durch Christus. Überdies wusste ich nicht, dass ich diesen Glauben überhaupt noch nicht hatte. Ich dachte, ich hätte nur nicht genug davon. Peter Böhler* aber, den Gott für mich zubereitete, sobald ich nach London kam, bezeugte mir von dem Wesen des wahren Glaubens an Christus (der ja allein den Namen »Glauben« verdient), dass zwei Früchte unzertrennlich mit ihm verbunden seien, nämlich Sieg über die Sünde und beständiger Friede durch das Bewußtsein der Vergebung. Da wurde ich ganz verwirrt und hielt dies für ein neues Evangelium. Wenn dieses stimmte, so war es klar, dass ich keinen Glauben hatte. Doch wollte ich mich nicht davon überzeugen lassen. Deshalb disputierte ich, soviel ich nur konnte, und mühte mich ab, den Beweis dafür zu erbringen, dass auch da Glauben sei, wo diese Früchte nicht wären. Denn seit langem war ich gelehrt worden, alle diesbezüglichen Bibelstellen hinwegzukonstruieren und diejenigen, die anders lehrten, Presbyterianer zu nennen. Außerdem sah ich wohl ein, dass, der Natur der Sache nach, niemand ein solches Bewusstsein der Vergebung haben kann, ohne es auch zu fühlen. Aber ich fühlte es nicht. Folglich, wenn es ohne dieses keinen Glauben gibt, so waren auch alle meine Behauptungen, dass ich Glauben hätte, hinfällig.
Peter Böhler (1712 – 1775) ist der Herrnhuter Bruder, mit dem er in Oxford und London viele Gespräche über den Glauben führte, die in der »Bekehrung« in dem Durchbruch zur Heilsgewissheit ihren Höhepunkt fanden.

Als ich Peter Böhler wieder traf, stimmte er meinem Wunsche zu, die Entscheidung dieser Streitfrage auf Grund der Schrift und der Erfahrung herbeizuführen. Ich befragte zuerst die Schrift. Und sobald ich die Erklärungen der Menschen zurückstellte und einfach die Gottesworte nahm, indem ich sie miteinander verglich und mich bemühte, die dunkleren durch die klareren Stellen zu beleuchten, sah ich, dass sie alle gegen mich sprachen, und hatte dann nur noch die letzte Ausflucht, »dass die Erfahrung sich nie mit einer wörtlichen Auslegung jener Bibelstellen in Übereinstimmung bringen lasse. Deshalb könne ich es auch nicht für richtig halten, bis ich nicht einige lebendige Zeugen dafür gefunden hätte«. Er erwiderte, er könne mir jederzeit solche bringen, wenn es mir recht sei, schon am nächsten Tag. So kam er denn am andern Tag wieder mit drei anderen, die alle aus ihrer eigenen persönlichen Erfahrung bezeugten, daß der wahre lebendige Glaube an Christus unzertrennlich mit dem Gefühl der Vergebung aller vergangenen Sünden und der Freiheit von allen gegenwärtigen Sünden verbunden ist. Einstimmig fügten sie hinzu, daß dieser Glaube ein Geschenk, ein freies Geschenk Gottes sei, und dass er ihn gewiss jedermann schenken wolle, der ernst und ausdauernd danach trachtete. Ich war jetzt ganz überzeugt, und durch die Gnade Gottes entschloß ich mich, danach zu trachten, bis ich es hätte.

1. Dadurch, dass ich vollständig darauf verzichtete, mich überhaupt oder auch nur im geringsten auf meine eigenen Werke oder auf meine Gerechtigkeit zu verlassen. Denn ohne es zu wissen hatte ich seit meiner Jugend meine Hoffnung auf Seligkeit tatsächlich darauf gegründet.

2. Dann wollte ich außer dem beständigen Gebrauch aller anderen Gnadenmittel anhaltend um den rechtfertigenden, seligmachenden Glauben beten, ferner um das völlige Vertrauen auf das Blut Christi, das für mich vergossen wurde, um das Vertrauen auf ihn, als meinen Christus, als meine einzige Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung.

Bis Mittwoch, den 24. Mai (1738), trachtete ich unablässig danach (allerdings mit seltsamer Gleichgültigkeit, Schwerfälligkeit und Kälte und mit ungewöhnlich häufigen Rückfällen in Sünde). Ich denke, es war ungefähr fünf Uhr morgens, als ich mein Neues Testament öffnete und die Worte las: »Die teuren und allergrößten Verheißungen sind uns geschenkt, dass ihr dadurch der göttlichen Natur teilhaftig werdet« (2. Petr. 1, 4). Ehe ich aus dem Hause ging, öffnete ich es noch einmal und fand das Wort: »Du bist nicht fern vom Reiche Gottes« (Mark. 12, 34). Nachmittags wurde ich gebeten, in die St. Paulskirche zu gehen. Die Motette, die gesungen wurde, war: »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir, Herr, höre meine Stimme. Lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens! So du, Herr, willst Sünden zurechnen, Herr, wer wird bestehen? Denn bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte. Israel hoffe auf den Herrn; denn bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm. Und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden« (Psalm 130).

Am Abend ging ich sehr ungern in eine Gemeinschaft in der Aldersgate, wo Luthers Vorrede zum Römerbrief vorgelesen wurde. Ungefähr ein Viertel vor 9 Uhr, als man an der Stelle war, wo er die Veränderung beschreibt, welche Gott durch den Glauben an Christus im Herzen wirkt, da wurde es mir seltsam warm ums Herz. Ich wurde inne, daß ich für das Heil meiner Seele wirklich auf Christus vertraute, auf Christus allein. Dazu wurde mir die Gewissheit geschenkt, dass er meine Sünden, ja gerade die meinigen, weggenommen und mich von dem Gesetz der Sünde und des Todes erlöst habe.

Ich begann von ganzem Herzen für diejenigen zu beten, die mich in besonders häßlicher Weise beleidigt und verfolgt hatten. Dann bezeugte ich öffentlich vor der ganzen Versammlung, was ich jetzt zum erstenmal in meiner Seele erlebte. Gleich darauf redete der Feind mir ein: Dies kann nicht der Glaube sein – wo ist denn deine Freudigkeit? Dann wurde ich belehrt, daß Friede und Sieg über die Sünde ganz wesentlich zum Glauben an den Erlöser gehören. Die große Freude aber, die gewöhnlich den Anfang des Glaubens begleite, besonders bei denen, die vorher sehr traurig waren, gebe Gott das eine Mal, versage sie jedoch das andere Mal, je nachdem es ihm gefällt.

Als ich nach Hause gekommen war, setzten mir heftige Anfechtungen zu. Doch ich schrie zu Gott, und sie verschwanden sofort. Sie kamen aber immer wieder. Doch ebensooft blickte ich empor, und »er sandte mir Hilfe von seinem Heiligtum«. Und hierin bestand offenkundig der Unterschied zwischen meinem jetzigen Zustand und dem früheren. Ich strengte mich an, ja ich kämpfte mit aller meiner Kraft sowohl unter dem Gesetz als auch unter der Gnade. Aber damals wurde ich bisweilen, ja sogar oft besiegt; jetzt war ich ständig Sieger.

Donnerstag, d. 25. Mai (1738). Mein erster Gedanke im Augenblick des Erwachens und mein erstes Wort war: Jesus, mein Herr! Es wurde mir dabei völlig klar: Alle meine Kraft hängt davon ab, daß ich meine Augen ständig auf ihn richte, daß meine Seele ständig seiner harrt. Als ich dann nachmittags wieder in der Paulskirche war, da wurde mir das herrliche Gotteswort in der Motette eine köstliche Labe: »Ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich und seine Wahrheit verkündigen mit meinem Munde für und für« (Psalm 89, 2). Doch der Feind flößte mir die Besorgnis ein: Wenn du jetzt wirklich Glauben hast, warum ist keine merkliche Veränderung zu sehen? Ich antwortete (doch nicht ich): Das weiß ich nicht. Aber eins weiß ich, ich habe nun Frieden mit Gott. Und heute brauche ich nicht zu sündigen, und mein Meister Jesus will nicht, dass ich für den morgigen Tag sorge.

Doch der Versucher fuhr fort: Ist nicht die bloße Tatsache, daß noch irgend etwas wie Furcht da ist, ein Beweis, dass du keinen Glauben hast? Ich wollte, dass mein Herr für mich antwortete, und schlug sein Buch gerade bei jenen Worten des Paulus auf: Auswendig Streit, inwendig Furcht (2. Kor. 7, 5). Also, so folgerte ich, darf auch bei mir Furcht sein, doch ich muss vorwärtsgehen und sie unter meine Füße treten.

... Sonntag, 4. Juni, war wirklich ein Festtag. Die Zeit vom Aufstehen bis nach ein Uhr nachmittags brachte ich mit Beten, Bibellesen und Lobliedern zu und damit, daß ich Sünder zur Buße rief. In allen diesen Tagen fand ich in meinem Neuen Testament kaum etwas anderes als Gottes große und köstliche Verheißungen. Mehr denn je sah ich, daß dies Evangelium vom Anfang bis zum Ende nur eine einzige große Verheißung ist. S. 249-254
Vorlage: Klassiker des Protestantismus, Band VI, Das Zeitalter des Pietismus, herausgegeben von Martin Schmidt und Wilhelm Jannasch, Carl Schünemann Verlag Bremen

Die Wiedergeburt
Ob du getauft bist oder nicht, du musst von neuem geboren werden, sonst ist es nicht möglich, dass du innerlich heilig werden kannst; ohne innere sowohl als äußere Heiligkeit kannst du nicht glückselig sein, weder in dieser noch in der andern Welt.

Sagst du: Ich tue keinem Menschen Unrecht, ich bin ehrlich und redlich in all meinem Tun, auch fluche und missbrauche ich den Namen Gottes nicht; ich entweihe nicht den Tag des Herrn; ich bin kein Trunkenbold und erlaube mir auch sonst keine Ausschweifungen; ich verleumde nicht meinen Nächsten und lebe auch sonst in keiner mutwilligen Sünde.

Wenn dies so ist, so wäre es zu wünschen, daß alle Menschen so weit kämen wie du. Doch musst du noch weiter gehen, oder du kannst nicht selig werden; du musst von neuem geboren sein. Sagst du: Ich gehe noch weiter, ich tue nicht nur nichts Böses, sondern auch all das Gute, das ich tun kann. —

Ich zweifle daran; ich fürchte, du hast tausend Gelegenheiten gehabt, Gutes zu tun, welche du unbenutzt hast vorübergehen lassen, und für welche du Gott verantwortlich bist. Hättest du sie aber auch alle benutzt, so bliebe es doch dabei: Du mußt von neuem geboren werden. Ohne dies hilft alles andere deiner armen befleckten Seele nichts. —

Ich gebrauche aber auch alle von Gott verordneten Gnadenmittel regelmäßig, ich besuche die Kirche und genieße das heilige Abendmahl. —

Es ist gut, dass du es tust, aber alles dies errettet dich nicht von der Hölle, wenn du nicht von neuem geboren bist. Du magst zweimal des Tages zur Kirche gehen; das heilige Abendmahl jede Woche genießen; noch so viel beten, noch so gute Predigten hören, noch so viele Erbauungsbücher lesen; dessen ungeachtet musst du von neuem geboren werden. Keines dieser Dinge, noch irgend etwas anderes kann an die Stelle der neuen Geburt treten.

Wenn du dieses Werk Gottes in deiner Seele noch nicht erfahren hast, so bete unaufhörlich: O Herr, gib mir die größte deiner Segnungen, lass mich neu geboren werden. Versage mir sonst, was du willst, versage mir nur dies nicht. Lass mich von oben geboren werden! Nimm hinweg, was dir gutdünkt: Ehre, Geld, Freunde, Gesundheit, gib mir nur dies, aus dem Geiste geboren zu werden, eines der Kinder Gottes zu sein!

Lass mich geboren werden, nicht aus vergänglichem Samen, sondern aus unvergänglichem, aus dem lebendigen Wort Gottes, das da ewiglich bleibt. Und dann lass mich täglich wachsen in der Gnade und in der Erkenntnis unseres Herrn.
S.272f.
Aus: Jakob Studer, Für alle Tage, Ein christliches Lesebuch, Fretz & Wasmuth Verlag AG. Zürich