Otto Weininger (1880 – 1903 Selbstmord)
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In
Österreich geborener jüdischer Philosoph und Psychologe,
der zum Christentum übertrat und durch Selbstmord endete. Weininger hat
in seinem Hauptwerk »Geschlecht und Charakter« neben einer nicht nachvollziehbaren und unhaltbaren antisemitischen Interpretation
des Judentums eine absurde Psychologie der Geschlechter entwickelt, in deren
Mittelpunkt er die These von einer seelischen und sittlichen Minderwertigkeit
des weiblichen Geschlechts platzierte. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
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Über Judentum,
Frömmigkeit, Religion und Religionsstifter
Frömmigkeit ist der Grund von allem,
und die Basis, auf der alles andere erst
sich erhebt. Man hält den Juden schon für prosaisch, weil er nicht
schwungvoll ist, und nach keinem Urquell des Seins sich
sehnt; mit Unrecht. Alle echte innere Kultur, und was immer ein Mensch für
Wahrheit halte, dass es für ihn Kultur, dass es für ihn
Wahrheit, dass es für ihn Werte gibt, das ruht auf dem Grunde des
Glaubens, es bedarf der Frömmigkeit. Und Frömmigkeit
ist nicht etwas, das bloß in der Mystik und in der Religion sich offenbart; auch aller Wissenschaft und aller Skepsis, allem,
womit der Mensch es innerlich ernst meint, liegt sie am tiefsten zugrunde. Daß sie auf verschiedene Weise sich äußern
mag, ist bestimmt: Begeisterung und Sachlichkeit, hoher Enthusiasmus und tiefer
Ernst, das sind die zwei vornehmsten Arten, in welchen sie zur Erscheinung gelangt.
Der Jude ist nie schwärmerisch, aber er ist auch nicht eigentlich nüchtern;
er ist nicht ekstatisch, aber er ist auch nicht trocken Fehlt ihm der niedere
wie der geistige Rausch, ist er so wenig Alkoholiker, als höherer Verzückung
fähig, so ist er darum nicht kühl, und noch in weiter Ferne von der
Ruhe überzeugender Argumentation: seine Wärme schwitzt, und seine
Kälte dampft. Seine Beschränkung wird immer Magerkeit, seine Fülle
immer Schwulst. Kommt er, wenn er zur schrankenlosen Begeisterung des Gefühles
den Aufflug wagt, nie weit über das Pathetische hinaus, so unterlässt
er, auch wenn er in den engsten Fesseln des Gedankens sich zu bewegen unternimmt,
doch nicht, geräuschvoll mit seinen Ketten zu rasseln. Und drängt
es ihn and kaum zum Kuss der ganzen Welt, er bleibt gegen sie darum nicht
minder zudringlich.
Alle Sonderung und alle Umschlingung, alle Strenge und alle Liebe, alle Sachlichkeit
und alles Hymnische, jede wahre unverlogene Regung im Menschenherzen, sei sie
ernst oder freudig, ruht zuletzt auf der Frömmigkeit. Der Glaube muss nicht, wie im Genius, das ist im frömmsten Menschen, auf eine metaphysische
Entität sich beziehen - Religion ist Setzung seiner
selbst und der Welt mit sich selbst —, er mag auch auf ein empirisches
Sein sich erstrecken, und hierin gleichsam völlig aufzugehen scheinen: es ist doch nur ein und derselbe Glaube an ein Sein, an
einen Wert, eine Wahrheit, an ein Absolutes, an einen Gott.
Dem hier entwickelten umfassendsten Begriff
Religion und Frömmigkeit könnten mannigfache Missdeutungen leicht
begegnen. Darum möchte ich zu seiner Erläuterung noch einiges bemerken.
Frömmigkeit liegt nicht bloß im Besitz, sondern auch im Kampfe, um
Besitz zu erringen: nicht bloß der überzeugte Gottverkünder
(wie Händel, oder wie
Fechner) ist fromm,
sondern auch der irrende, zweifelnde Gottsucher
(wie Lenau, oder
wie Dürer).*
*Der Jude ist nicht der noch nicht
erleuchtete, noch nicht sehende Thomas des Verrocchio, (an der Kirche
Or San Miguele im Florenz), der gar nichts anderes möchte, als glauben,
und es nur noch nicht kann; vielmehr empfindet der Jude seinen Unglauben als
seine Überlegenheit, als den Witz, um den nur er weiß.
Frömmigkeit braucht nicht in ewiger Betrachtung vor dem Weltganzen zu stehen (so wie Bach vor ihm steht);
sie mag (wie bei Mozart)
als eine alle Einzeldinge begleitende Religiosität sich offenbaren. Sie ist endlich nicht an das Auftreten eines Stifters
gebunden: das frömmste Volk der Welt sind die Griechen gewesen und nur darum war ihre Kultur die höchste unter allen bisherigen;
unter ihnen aber hat es sicher nie einen überragenden Religionsstifter
gegeben (dessen sie nicht bedurften; vgl. S. 440).
Religion ist Schöpfung des Alls; und alles, was im Menschen ist, ist nur durch Religion.
Der Jude ist demnach nicht der religiöse Mensch, wofür man ihn so
oft ausgegeben hat, sondern der irreligiöse Mensch.
Soll ich dies nun noch begründen? Soll ich lange aus. führen, wie
der Jude ohne Eifer im Glauben ist, und darum die jüdische Konfession die
einzige, die um keinen Proselyten wirbt, der zum Judentum Übergetretene
dessen Bekennern selbst das größte Rätsel und das verlegenste
Gelächter?*
*Hiegegen kann die jüdische Unduldsamkeit
keinen Einwand bilden. Wahre Religion ist immer eifrig,
aber nie zelotisch. Intoleranz ist vielmehr identisch
mit Ungläubigkeit; wie die Macht das täuschendste
Surrogat der Freiheit ist, so entsteht Intoleranz
nur aus dem Mangel an individueller Sicherheit des
Glaubens.
Soll ich über das Wesen des jüdischen Gebetes hier mich verbreiten
und seine Formelhaftigkeit, seinen Mangel an jener Inbrunst, die nur der Augenblick
geben kann, betonen? Soll ich endlich wiederholen, was die jüdische Religion
ist: keine Lehre vom Sinn und Zweck des Lebens, sondern eine historische Tradition,
zusammenzufassen in dem einen Übergang durchs Rote Meer, gipfelnd also
in dem Danke des flüchtenden Feigen an den mächtigen Erretter? Es
wäre wohl auch sonst klar: der Jude ist der
irreligiöse Mensch, und von jedem Glauben am allerweitesten entfernt. Er
setzt nicht sich selbst und mit sich die Welt, worin das Wesentliche in der
Religion besteht. Aller Glaube ist heroisch: der Jude aber kennt weder den Mut noch das Fürchten, als das Gefühl des bedrohten
Glaubens; er ist weder sonnenhaft noch dämonisch.
Nicht also, wie Chamberlain glaubt, Mystik,
sondern Frömmigkeit ist das, was
dem Juden zuallerletzt mangelt. Wäre er nur
ehrlicher Materialist, wäre er nur ein bornierter Entwicklungsanbeter!
Aber er ist nicht Kritiker, sondern nur Kritikaster [Nörgler,
kleinlicher Kritiker], er ist nicht Skeptiker nach dem Bilde des
Cartesius, nicht Zweifler, um aus dem größten
Mißtrauen zur größten Sicherheit zu gelangen; sondern absoluter
Ironiker wie — hier kann ich eben nur einen Juden nennen — Heine.
Auch der Verbrecher ist unfromm und hat keinen Halt in
Gott; aber e r sinkt damit ins Bodenlose, denn er kann nicht
neben Gott stehen. Das aber ist der eigentümliche Kniff alles
Jüdischen. Der Verbrecher ist daher stets verzweifelter;
der Jude nie. Er ist gar nicht echter Revolutionär (denn woher käme ihm die Kraft und der innere Elan
der Empörung?), und unterscheidet sich eben hiedurch vom Franzosen: er ist nur zersetzend, und gar nie wirklich zerstörend.
Und was ist er nun selbst, der Jude, wenn er nichts
von alledem ist, was sonst ein Mensch sein kann? Was geht in ihm wahrhaft vor,
wenn er ohne irgend welches Letzte ist, ohne einen Grund, auf den das Senkblei
des Psychologen am Ende doch hart und vernehmlich stieße?
Des Juden psychische Inhalte sind sämtlich mit einer gewissen Zweiheit
oder Mehrheit behaftet; über diese Ambiguität
[Doppeldeutigkeit], diese Duplizität,
ja Multiplizität kommt er nie hinaus. Er
hat immer noch eine Möglichkeit,
noch viele Möglichkeiten, wo der
Arier, ohne ärmer im Blicke zu sein, unbedingt sich entscheidet
und wählt. Diese innere Vieldeutigkeit, diesen Mangel an unmittelbarer
innerer Realität irgend eines psychischen
Geschehens, die Armut an jenem An- und Für-sich-Sein, aus welchem allein
höchste Schöpferkraft fließen kann, glaube ich als die Definition
dessen betrachten zu müssen, was ich das Jüdische als Idee genannt
habe.*
*Hieraus erst ist wirklich die Genielosigkeit
des Juden erklärbar (vgl. S. 229: nur Glaube ist schöpferisch. Und
vielleicht spiegeln die geringere geschlechtliche Potenz des Juden und die größere
Schwäche seiner Muskeln, seines Körpers nur diese selbe Tatsache in
der niederen Sphäre wider.
E s ist wie ein Zustand vor dem Sein, ein ewiges Irren draußen vor dem Tore der Realität. Mit nichts kann
der Jude sich wahrhaft identifizieren, für
keine Sache sein Leben ganz und gar einsetzen.
Der Mann erst schafft das Weib. Darum besitzen die Jüdinnen bekanntermaßen jene Einfachheit der Christinnen
nicht, die sich ohne weiteres an das sexuelle Komplement hingibt.
Nicht der Eiferer, sondern der Eifer fehlt dem Juden:
weil ihm alles Ungeteilte, alles Ganze fremd ist. Es ist die Einfalt
des Glaubens, die ihm abgeht, und weil er diese Einfalt
nicht hat, und keine wie immer geartete letzte Position bedeutet, darum scheint
er gescheiter als der Arier, und entwindet sich
elastisch jeder Unterdrückung.
Dies darf man aber nicht, wie
Schopenhauer, und nach ihm, unter Benützung seiner
mangelhaften psychologischen Distinktion, H. S.
Chamberlain, als ein Überwiegen des Willens
und ein abnormes Zurücktreten des Intellektes deuten. Der Jude ist gar
nicht wirklich willensstark, und seine innere Unentschiedenheit könnte
sogar leicht zu einer i r r i g e n Verwechslung mit psychischem »Masochismus«
das ist Schwere und Hilflosigkeit im Augenblicke des Entschlusses, Anlaß
geben.
Innerliche Vieldeutigkeit, ich möchte
es wiederholen, ist das absolut Jüdische,
Einfalt das absolut Unjüdische.
Die Frage des Juden ist die Frage, die Elsa
an Lohengrin richtet: die Unfähigkeit, irgend
einer Verkündigung, sei es auch der inneren Offenbarung, die Unmöglichkeit irgend einem Sein
schlechthin zu glauben.
Man wird vielleicht einwenden, jenes zwiespältige Sein finde sich nur bei
den zivilisierten Juden, in welchen die alte Orthodoxie neben der modernen Gesittung
noch fortwirke. Aber das wäre weit gefehlt. Seine Bildung läßt
das Wesen des Juden nur darum stets noch klarer zum Vorschein kommen, weil es
so an Dingen sich betätigt, die mit tieferem Ernst erwogen sein wollen
als materielle Geldgeschäfte. Der Beweis, daß der Jude an sich nicht eindeutig ist, läßt sich erbringen: der Jude
singt nicht. Nicht aus Schamhaftigkeit,
sondern weil er sich seinen Gesang nicht glaubt.
So wenig die Vieldeutigkeit des Juden mit eigentlicher,
realer Differenziertheit oder Genialität, so wenig hat seine eigentümliche
Scheu vor dem Gesang, oder auch nur vor dem lauten hellen Worte, mit echter
Zurückhaltung etwas zu tun. Alle Scham ist stolz; jene Abneigung des Juden
ist aber ein Zeichen seiner inneren Würdelosigkeit: denn das unmittelbare Sein versteht er nicht, und er würde sich schon lächerlich
finden und kompromittiert fühlen, wenn er nur sänge. Schamhaftigkeit
umfaßt alle Inhalte, die mit dem Ich des Menschen durch eine innige Kontinuität
fester verknüpft sind; die fragliche Gene des Juden aber erstreckt sich
auch auf Dinge. die ihm keineswegs heilig sein können, die er also nicht
zu profanieren fürchten müßte, wenn er öffentlich die Stimme
würde erheben sollen. Und abermals trifft dies mit der Unfrömmigkeit
des Juden zusammen: denn alle Musik ist absolut,
und besteht wie losgelöst von jedweder Unterlage; nur darum hat sie unter
allen Künsten die engste Beziehung zur Religion, und ist der einfache Gesang,
der eine einzelne Melodie mit ganzer Seele erfüllt, unjüdisch wie
jene.
Man sieht, wie schwierig es ist, das Judentum zu definieren. Dem Juden fehlt
die Härte, aber auch die Sanftmut — eher ist er zäh und weich;
er ist weder roh noch fein, weder grob noch höflich. Er ist nicht König,
nicht Führer, aber auch nicht Lehnsmann, nicht Vasall. Was er nicht kennt,
ist Erschütterung; doch es mangelt ihm ebensosehr der Gleichmut. Ihm ist
nie etwas selbstverständlich, aber ebenso fremd ist ihm alles wahre Staunen.
Er hat nichts vom Lohengrin, aber beinahe noch
weniger vom Telramund (der
mit seiner Ehre steht und fällt). Er ist lächerlich als Korpsstudent,
und gibt doch keinen guten Philister ab. Er ist nie schwerblütig, aber
auch nie vorn Herzen leichtsinnig. Weil er nichts glaubt, flüchtet er ins
Materielle; nur daher stammt seine Geldgier: er sucht hier eine Realität
und will durchs »Geschäft« von einem Seienden überzeugt
werden — der einzige Wert, den er als tatsächlich anerkennt, wird
so das »verdiente« Geld. Aber dennoch
ist er nicht einmal eigentlich Geschäftsmann: denn das »Unreelle«,
»Unsolide« im Gebaren des jüdischen Händlers ist
nur die konkrete Erscheinung des der inneren Identität baren jüdischen Wesens auch auf
diesem Gebiete. »Jüdisch«
ist
also eine Kategorie und psychologisch
nicht weiter zurückzuführen und zu bestimmen; metaphysisch mag man
es als Zustand vor dem Sein fassen; introspektiv
kommt man nicht weiter als bis zur inneren Vieldeutigkeit, dem Mangel an irgend
welcher Überzeugtheit der Unfähigkeit zu irgend welcher Liebe, das
ist ungeteilten Hingabe und zum Opfer.
Die Erotik des Juden ist sentimental, sein Humor Satire; jeder Satiriker aber
ist sentimental, wie jeder Humorist nur ein umgekehrter Erotiker. in der Satire
und in der Sentimentalität ist jene Duplizität, die das Jüdische
eigentlich ausmacht (denn die Satire verschweigt zu wenig
und fälscht darum den Humor); und jenes Lächeln ist beiden
gemeinsam, welches das jüdische Gesicht kennzeichnet: kein seliges, kein
schmerzvolles, kein stolzes, kein verzerrtes Lächeln, sondern jener unbestimmte
Gesichtsausdruck (das physiognomische Korrelat
innerer Vieldeutigkeit), welcher Bereitschaft
verrät, auf alles einzugehen,
und alle Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst vermissen läßt; jene
Ehrfurcht, die allein alle andere »verecundia«
erst begründet.
Ich glaube nun gerade deutlich genug gewesen zu sein, um nicht darüber
schlecht verstanden zu werden, was ich mit dem eigentlichen Wesen des Judentums
meine. Ibsens König Hakon
in den »Kronprätendenten«, sein
Dr. Stockmann im »Volksfeind« mögen es, wenn es dessen bedürfen sollte, noch klarer machen, was
dem echten Juden in alle Ewigkeit unzugänglich
ist: das unmittelbare Sein, das Gottesgnadentum, der
Eichbaum, die Trompete, das Siegfriedmotiv, die Schöpfung seiner selbst,
das Wort: ich bin. Der Jude
ist wahrhaftig das »Stiefkind Gottes auf Erden«; und es gibt denn auch keinen (männlichen) Juden, der nicht, wenn auch noch
so dumpf, an seinem Judentum, das ist, im tiefsten
Grunde, an seinem Unglauben, litte.
Judentum und Christentum, jenes das zerrissenste, der inneren Identität
barste, dieses das glaubenskräftigste, gottvertrauendste Sein, sie bilden
so den weitesten, unermeßlichsten Gegensatz. Christentum
ist höchstes Heldentum; der Jude aber
ist nie einheitlich und ganz. Darum eben ist der Jude
feige, und der Heros sein äußerster Gegenpol.
H. S. Chamberlain hat von dem furchtbaren, unheimlichen
Unverständnis des echten Juden für die
Gestalt und die Lehre Jesu, für den Krieger
wie für den Dulder in ihm, für sein Leben wie für sein Sterben,
viel Wahres und Treffendes gesagt. Aber es wäre irrig, zu glauben, der Jude hasse
Christum; der Jude
ist nicht der Antichrist,
er hat zu Jesus nur
eigentlich gar keine Beziehung; es gibt streng genommen nur Arier
— Verbrecher —, die Jesum hassen.
Der Jude fühlt sich durch ihn nur, als ein
seinem Witze nicht recht Angreifbares, weil seinem Verständnis Entrücktes, gestört und unangenehm geärgert.
Dennoch ist die Sage vom Neuen Testament als reifster Blüte und höchster
Vollendung des Alten, und die künstliche Vermittlung, welche das letztere
den messianischen Verheißungen des ersteren angepaßt hat, den Juden
sehr zustatten gekommen; sie ist ihr stärkster äußerer Schutz
gewesen. Daß nun trotz dieses polaren Verhältnisses gerade aus dem
Judentum das Christentum hervorgegangen ist, bildet eines der tiefsten psychoogischen
Rätsel: es ist kein anderes Problem als die Psychologie des Religionsstifters,
um das es sich hier handelt.
Wodurch unterscheidet sich der geniale Religionsstifter von allem übrigen
Genie? Welche innere Notwendigkeit treibt ihn, Religion zu stiften?
Es kann keine andere sein, als daß er selbst
nicht immer an den Gott geglaubt hat, den er verkündet. Die Überlieferung erzählt von Buddha wie von
Christus, welchen Versuchungen sie ausgesetzt waren,
viel stärkeren als alle anderen Menschen. Zwei weitere, Mohammed
und Luther, sind epileptisch
gewesen. Die Epilepsie aber ist die Krankheit des
Verbrechers: Cäsar, Narses, Napoleon,
die »großen« Verbrecher, haben
sämtlich an der Fallsucht gelitten, und Flaubert
und Dostojewskij, welche zu ihr wenigstens tendierten,
hatten beide außerordentlich viel vom Verbrecher in sich, ohne natürlich
Verbrecher zu s e i n.
Der Religionsstifter ist jener Mensch, der ganz gottlos
gelebt und dennoch zum höchsten Glauben sich durchgerungen hat.
»Wie es möglich sei, daß ein natürlicherweise
böser Mensch sich selbst zum guten Menschen mache, das übersteigt
alle unsere Begriffe; denn wie kann ein böser Baum gute Früchte bringen?«
so fragt Kant in seiner Religionsphilosophie,
und bejaht dennoch
prinzipiell diese Möglichkeit: »Denn,
ungeachtet jenes Abfalles erschallt doch das Gebot: wir sollen bessere
Menschen werden, unvermindert in unserer Seele; folglich müssen wir es
auch können . . . « Jene unbegreifliche Möglichkeit der
vollständigen Wiedergeburt eines
Menschen, der alle Jahre und Tage seines früheren Lebens als böser
Mensch gelebt hat, dieses hohe Mysterium ist in jenen sechs oder sieben Menschen
verwirklicht. welche die großen Religionen der Menschheit
begründet haben. Hiedurch scheiden sie sich vom eigentlichen Genie: in
diesem überwiegt von Geburt an die Anlage zum Guten.
Das andere Genie erfährt die Gnade noch vor der Geburt; der Religionsstifter
im Laufe seines Lebens. In ihm stirbt ein älteres Wesen am vollständigsten
und tritt vor einem gänzlich neuen zurück. Je größer ein
Mensch werden will, desto mehr ist in ihm, dessen Tod er beschließen muß.
Ich glaube, daß auch Sokrates hier dem Religionsstifter
(als der einzige unter allen Griechen)* sich nähert;
vielleicht hat er den entscheidenden Kampf mit dem Bösen an jenem Tage
gekämpft, da er bei Potidaea vierundzwanzig
Stunden allein an einem und demselben Orte aufrecht stand.
* Nietzsche
hatte auch wohl recht, als er in ihm keinen echten Hellenen erblickte;
indes Plato wieder ganz und gar Grieche ist.
Der Religionsstifter ist derjenige Mensch, für den bei seiner Geburt kein
einziges Problem gelöst ist. Er ist der Mensch mit den geringsten
individuellen Sicherheiten; in ihm ist alles gefährdet und in Frage gestellt, und alles,
nicht dies oder jenes, hat er erst im Leben selbst sich zu erobern. Denn während
dieser mit der Krankheit zu kämpfen hat und an der physischen Schwäche
leidet, zittert ein anderer vor dem Verbrechen, weil es als eine Möglichkeit
in ihm liegt; ein jeder hat irgendwie bei der Geburt danebengegriffen, sich
mit irgend welcher Sünde beladen. Nur formal ist die Erbsünde für
alle die gleiche, material ist sie für einen jeden eine verschiedene.
Hier hat dieser, dort jener Nichtiges, Wertloses erwählt, als er aufhörte
zu wollen, als sein Wille mit einem Male Trieb, seine Individualität Individuum,
seine Liebe Lust wurde, als er geboren ward; und diese seine individuelle Erbsünde,
das Nichts in der eigenen Person ist es, was er im Leben als Schuld und Makel
und Unvollkommenheit empfindet und was ihm als Denkendem Problem, Rätsel
und Aufgabe wird. Nur der Religionsstifter allein hat die Erbsünde ganz
begangen und sein Beruf wird
es, sie ganz zu sühnen: in ihm ist
alles, ist das All problematisch, aber er löst auch alles, er erlöst
sich zum All. Er beantwortet jedes Problem und befreit sich ganz von der Schuld.
Er faßt den festesten Fuß über dem tiefsten Abgrund, er überwindet
das Nichts an sich und ergreift das Ding an sich, das Sein an sich. Und insofern
kann man allerdings sagen, er sei von der Erbsünde befreit, in ihm Gott
ganz Mensch. aber Mensch auch ganz Gott geworden; denn in ihm war alles Schuld
und alles Problem, und in ihm wird alles Sühne und alles Lösung.
Alle Genialität aber ist nur höchste Freiheit vom Naturgesetz.
»Von der Gewalt, die alle Wesen bindet,
Befreit der Mensch sich, der sich überwindet.«
Wenn dies so sich verhält, dann ist der Religionsstifter
der genialste Mensch. Denn er
hat am meisten überwunden. Er ist
der Mensch, dem das gelungen ist, was die tiefsten Denker der Menschheit nur
zaghaft, nur um ihre ethische Weltanschauung, um die Freiheit
der Wahl nicht preisgeben zu müssen,
als möglich hingestellt haben: die völlige
Neugeburt des Menschen, seine »Regeneration«,
die gänzliche Umkehr des Willens. Die anderen großen Geister haben
zwar auch den Kampf mit dem Bösen zu führen, aber bei ihnen neigt
die Wagschale von vornherein entschieden zum Guten. Nicht so beim Religions¬gründer.
In ihm ist so viel Böses, so viel Machtwille, so viel irdische Leidenschaft,
daß er 40 Tage in der Wüste, ununterbrochen, ohne Nahrung, ohne Schlaf,
mit dem Feind in sich kämpfen muß. Erst dann hat er gesiegt: nicht
zum Tode ist er eingegangen, sondern das höchste Leben hat er in sich befreit.
Wäre das anders, so fehlte jeder Impuls zur Glaubensstiftung.
Der Religionsstifter ist hier ganz der Gegenpol des Imperators, der Kaiser das
Gegenteil des Galiläers: auch in Napoleon ist in einem bestimmten Zeitpunkte seines Lebens eine Umkehr vor sich gegangen,
aber eine Wendung nicht vom Erdenleben weg, sondern eine endgültige Entscheidung
für dessen Schätze und Macht und Herrlichkeiten. Napoleon ist groß
durch die kolossale Intensität, mit welcher er die Idee hinter sich wirft,
durch die gewaltige Spannung seiner Abkehr vom Absoluten, durch den Umfang der ungesühnten Schuld. Der Religionsgründer
aber will und muß nichts anderes den Menschen bringen, als was ihm, dem
belastetsten von allen, gelungen ist: den Bund mit der Gottheit zu schließen.
Er weiß, daß er der schuldbeladenste Mensch ist; und er sühnt:
die größte Schuldsumme durch
den Tod am Kreuze.
Im Judentum waren zwei Möglichkeiten. Vor Christi
Geburt lagen sie noch beisammen, und es war noch nicht gewählt worden.
Es war eine Diaspora da, und zugleich wenigstens eine Art Staat: Negation und
Position, beide waren nebeneinander vorhanden. Christus
ist der Mensch, der die stärkste Negation, das Judentum in sich überwindet,
und so die stärkste Position, das Christentum, als das dem Judentum Entgegengesetzteste,
schafft. Aus dem Zustand vor dem Sein
trennen sich Sein und Nicht-Sein. Jetzt
sind die Lose gefallen: das alte Israel scheidet sich in Juden
und in Christen, der
Jude, wie wir ihn kennen, wie ich ihn beschrieben habe, entsteht
zugleich mit dem Christen. Die Diaspora wird nun vollständig, und aus dem Judentum verschwindet die
Möglichkeit zur Größe: Männer wie
Simson und Josua, die unjüdischesten
im alten Israel, hat das Judentum seither
nicht wieder hervorbringen können.
Christentum und Judentum bedingen sich welthistorisch
wie Position und Negation. In Israel waren die höchsten Möglichkeiten,
die je einem Volke beschieden waren: die Möglichkeit Christi. Die andere Möglichkeit ist der Jude.
Ich hoffe, nicht mißverstanden zu werden: ich
will dem Judentum nicht eine Beziehung zum Christentum
andichten, die ihm fremd ist. Das Christentum ist die absolute Negation
des Judentums; aber es hat zu diesem dasselbe Verhältnis, welches alle
Dinge mit ihren Gegenteilen, jede Position mit der Negation verbindet, welche
durch sie überwunden ist. Noch mehr als Frömmigkeit und
Judentum, sind Christentum und
Judentum nur aneinander, und durch
ihre wechselseitige Ausschließung, zu definieren. Nichts ist leichter,
als Jude, nichts schwerer, als Christ zu sein. Das
Judentum ist
der Abgrund, über dem das Christentum aufgerichtet
ist, und darum der Jude die stärkste Furcht
und die tiefste Abneigung des Ariers.*
*Hierin liegt auch der Unterschied
und die Grenze zwischen dem Antisemitismus des Juden und dem Antisemitismus
des Indogermanen begründet. Dem jüdischen Antisemiten ist der Jude
nur antipathisch (obwohl er dennoch immer wieder jüdische Gesellschaft
aufsucht und sich in einer anderen Mitte nie vollkommen behaglich fühlt),
der antisemitische Arier hingegen ist, wenn er auch noch so mutig den Kampf
gegen das Judentum führt, im Grunde seines Herzens doch immer, was der
Jude nie ist: Judäophobe.
Ich vermag nicht mit Chamberlain zu glauben, daß
die Geburt des Heilands in Palästina ein bloßer Zufall könne
gewesen sein. Christus war
ein Jude, aber nur, um das Judentum in sich am vollständigsten zu überwinden; denn wer über den mächtigsten Zweifel gesiegt hat, der ist der gläubigste, wer über die ödeste Negation sich
erhoben hat, der positivste Bejaher. Das
Judentum war die besondere Erbsünde Christi; sein Sieg über das Judentum, das, worum er
reicher ist, als Buddha und
Confucius und alle andern. Christus ist
der größte Mensch, weil er am größten Gegner sich gemessen
hat. Vielleicht ist er der einzige Jude und
wird es bleiben, dem dieser Sieg über das Judentum
gelungen: der erste Jude wäre der letzte, der ganz und gar Christ
geworden ist; vielleicht aber liegt auch heute noch im Judentum
die Möglichkeit, den Christ hervorzubringen,
vielleicht sogar muß auch der nächste Religionsstifter abermals erst durch das Judentum
hindurchgehen.
So allein nämlich wird die Langlebigkeit des
Judentums begreiflich, welches alle anderen Völker
und Rassen überdauert.
Ganz ohne einen Glauben hätten auch
die Juden nicht bestehen und sich erhalten können;
und dieser eine Glaube ist das dunkle,
dumpfe und doch verzweifelt sichere Gefühl, daß doch etwas, eines
am Judentume, im Judentume sein müsse. Dieses Eine ist eben der Messias, der
Erlöser. Der Erlöser des Judentums
ist der Erlöser vom Judentume. Ein jedes Volk
sonst verwirklicht einen bestimmten Gedanken, eine einzelne Sonder-Idee; und
darum geht auch jede andere Nation zuletzt zugrunde. Nur der Jude
verwirklicht gar keine Sonder-Idee; denn wenn er etwas zu verwirklichen
vermöchte, so könnte er nur die Idee an sich verwirklichen: aus der
Mitte Judäas muß der Gottmensch hervorgehen.
Damit hängt die Lebenskraft des Judentums zusammen:
das Judentum lebt vom Christentum
noch in einem ganz anderen Sinne als in dem Sinne materieller Ausbeutung.
Das jüdische Wesen hat metaphysisch gar keine andere Bestimmung, als dem
Religionsstifter als der Sockel zu dienen. Daraus wird auch die merkwürdigste
Erscheinung in der Weise der Juden klar, die besondere
Art, in der sie ihrem Gotte dienen: nie als einzelne Menschen, sondern stets
nur in einer Menge. Nur zu mehren sind sie »fromm«,
sie brauchen den »Mitbeter«: weil die
Hoffnung der Juden identisch ist mit der permanenten
Möglichkeit, aus ihrer Gattung den größten Überwinder,
den Religionsstifter hervorgehen zu sehen. Das ist die unbewußte Bedeutung
aller messianischen Hoffnungen in der jüdischen Überlieferung: der
Christ ist der Sinn der Juden.
Wenn also im Juden vielleicht noch immer die höchsten Möglichkeiten,
so liegen doch in ihm die geringsten Wirklichkeiten;
er ist wohl der zum Meisten veranlagte und
doch zugleich der innerlich des Wenigsten mächtige
Mensch.
Unsere heutige Zeit läßt das Judentum auf der höchsten Höhe erblicken, die es seit den Tagen des
Herodes erklommen hat. Jüdisch ist
der Geist der Modernität, von wo man ihn betrachte. Die Sexualität
wird bejaht, und die heutige Gattungsethik singt zum Koitus den Hymenaios. Der
unglückliche Nietzsche ist wahrhaftig nicht
verantwortlich für die große Vereinigung von
natürlicher Zuchtwahl und natürlicher Unzuchtwahl, deren schmählicher
Apostel sich Wilhelm Bölsche nennt. Er hat
Verständnis gehabt für die Askese, und nur unter der eigenen zu sehr
gelitten, um nicht ihr Gegenteil oft wünschenswerter zu finden. Aber Weiber
und Juden kuppeln, ihr Ziel ist es: den Menschen schuldig werden lassen.
Unsere Zeit, die nicht nur die jüdischeste, sondern auch die weibischeste
aller Zeiten ist; die Zeit, für welche die Kunst nur ein Schweißtuch
ihrer Stimmungen abgibt, die den künstlerischen Drang aus den Spielen der
Tiere abgeleitet hat; die Zeit des leichtgläubigsten Anarchismus, die Zeit
ohne Sinn für Staat und Recht, die Zeit der Gattungs-Ethik, die Zeit der
seichtesten unter allen denkbaren Geschichtsauffassungen (des
historischen Materialismus), die Zeit des Kapitalismus und des Marxismus,
die Zeit, der Geschichte, Leben, Wissenschaft, alles nur mehr Ökonomie
und Technik ist; die Zeit, die das Genie für eine Form des Irrsinns erklärt
hat, die aber auch keinen einzigen großen Künstler, keinen einzigen großen Philosophen mehr besitzt, die Zeit
der geringsten Originalität und der größten Originalitätshascherei;
die Zeit, die an die Stelle des Ideals der Jungfräulichkeit den Kultus
der Demi - Vierge gesetzt hat: diese Zeit hat auch
den Ruhm, die erste zu sein, welche den Koitus nicht nur bejaht
und angebetet, sondern wie zur Pflicht erhoben hat: nicht um sich zu vergessen,
wie der Römer, der Grieche im Bacchanal, sondern um sich zu finden und
der eigenen Ödigkeit erst einen Inhalt zu geben.
Aber dem neuen Judentum entgegen drängt ein neues
Christentum zum Lichte; die Menschheit harrt des neuen Religionsstifters,
und der Kampf drängt zur Entscheidung wie im Jahre eins. Zwischen Judentum
und Christentum, zwischen Geschäft
und Kultur, zwischen Weib und Mann, zwischen Gattung und Persönlichkeit,
zwischen Unwert und Wert, zwischen irdischem und höherem Leben, zwischen
dem Nichts und der Gottheit
hat abermals die Menschheit die Wahl. Das sind die beiden
Pole: es gibt kein drittes Reich. S.428-441
Aus: Otto Weininger, Geschlecht und Charakter. Eine
prinzipielle Untersuchung. Wien und Leipzig. Wilhelm Braumüller, Universitäts-Verlagsbuchhandlung
Gesellschaft m. b. H. 1922