Simone Adolphine Weil (1909 – 1943)

  Französich-jüdische Philosophin und Mystikerin , die religiöse Schriften von mystischer Katholizität verfasste, obwohl sie nicht konvertierte, sondern Jüdin blieb.

Siehe auch Wikipedia
und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Den, den wir lieben sollen, ist abwesend
Der Atheismus als Läuterung


>>>Christus
Über Christus


Den, den wir lieben sollen, ist abwesend
Gott kann in der Schöpfung nicht anders anwesend sein als unter der Form der Abwesenheit.

Das Böse und die Unschuld Gottes. Man muss Gott in einen unendlichen Abstand rücken, um ihn als an dem Bösen unschuldig vorzustellen; anderseits zeigt das Böse an, daß man Gott in einen unendlichen Abstand rücken muss.

Diese Welt, insofern sie Gottes gänzlich leer ist, ist Gott selbst.

Die Notwendigkeit, insofern sie gegenüber dem Guten das schlechthin Andere ist, ist das Gute selbst.
Das ist der Grund, warum jeder Trost im Unglück von der Liebe und von der Wahrheit entfernt.
Dies ist das Geheimnis der Geheimnisse. Berührt man es, ist man in Sicherheit.

Wer sein Leben in seinen Glauben an Gott setzt, kann seinen Glauben verlieren. Aber wer sein Leben in Gott selbst setzt, der wird ihn niemals verlieren. Sein Leben in das setzen, was jeder Berührung durchaus entzogen ist. Das ist unmöglich. Das ist ein Tod. Das ist es, was wir tun müssen.
S.204-205

Der Atheismus als Läuterung
Fälle wahrer Widersprüche. Gott existiert, Gott existiert nicht. Worin besteht das Problem? Ich bin völlig gewiss, dass es einen Gott gibt, insofern ich völlig gewiss bin, dass meine Liebe keine Täuschung ist. Ich bin völlig gewiss, dass es keinen Gott gibt, insofern ich völlig gewiss bin, dass nichts Wirkliches dem gleicht, was ich mir vorstellen kann, wenn ich diesen Namen ausspreche. Doch das, was ich mir nicht vorstellen kann, ist keine Täuschung.

Es gibt zwei Arten des Atheismus, deren eine eine Läuterung unseres Begriffes von Gott ist.
Vielleicht dass alles, was böse ist, unter einem anderen Gesichtspunkt eine Läuterung auf dem Fortschritt zum Guten und unter einem dritten das höhere Gute ist.
Drei Gesichtspunkte, die wohl zu unterscheiden sind, denn es ist für das Denken und die praktische Lebensführung sehr gefährlich, sie zu verwechseln.

Von zwei Menschen ohne Gotterfahrung ist der, welcher ihn leugnet, ihm vielleicht am nächsten.

Der falsche Gott, der in allem dem wahren gleicht, mit Ausnahme dessen, daß man ihn nicht berührt, verwehrt auf immer den Zugang zu dem wahren.

An einen Gott glauben, der in allem dem wahren gleicht, außer daß er nicht existiert, denn man befindet sich nicht an dem Punkte, an dem Gott existiert.

Die Irrtümer unseres Zeitalters sind ein Christentum ohne Übernatur. Ursache ist der
Laizismus [weltanschauliche Richtung, die die radikale Trennung von Kirche und Staat fordert] - und zuvor der Humanismus.

Insoweit als die Religion ein Quell des Trostes ist, ist sie ein Hindernis für den wahren Glauben: in diesem Sinne ist der Atheismus eine Läuterung. Ich soll Atheist sein mit dem Teil meiner selbst, der nicht für Gott gemacht ist. Unter den Menschen, bei denen der übernatürliche Teil ihrer selbst nicht erweckt ist, haben die Atheisten recht, und die Gläubigen haben unrecht.
S.210-211
Aus: Simone Weil, Schwerkraft und Gnade. Mit einer Einführung von Gustave Thibon
© 1952 by Kösel-Verlag KG, München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Kösel-Verlages, München