>>>Gott
Inhaltsverzeichnis
Das moralische
Gesetz in uns
Von der Einwohnung
Gottes
Metaphysik ist
mehr als Hystorie
Das moralische Gesetz in uns
Der einige Gott ist der ewige König, unsterblich und unerforschlich, der
hat sich gleich erschaffen ein ewiges Bildnis: Die vernünftige Kreatur,
den rechten unsterblichen Menschen, dass er sein sollte wie er ist (1. Jos.
4. Sep. I. Gen. 2). Das Bildnis ist nicht aus einem Erdenkloß, auch nicht
aus einer andern Materia außerhalb Gottes, sondern aus dem Munde Gottes
gekommen als Adam und Eva oder als ein Sohn und Vater. Darum bringt dieses Bildnis
das göttliche Gesetz mit sich und die Überschrift: Non concupiscet,
laß dich nicht gelüsten. Denn in diesem Gebot steht Christus und
alle Schrift gefasst. Oder: Non edes de arbore vetita,
iss nicht von diesem Baume, welchen ich dir verbiete. Ebenso ist
es mit dem Bildnis und der Überschrift. Non habebis
Deos alienos oder liebe Gott und deinen Nächsten. Diese Überschrift
ist das ganze Gesetz und Gott oder Christus selber. Denn obwohl die Kreatur
als ein Bildnis sich selbst das Gesetz ist, so will doch Gott in der Kreatur
und durch dieselbige das Gesetz sein und ist’s auch; denn das Gesetz Gottes
ist Gott selbst, wiewohl Gott in Ewigkeit für sich selbst weder Wille,
Gesetz, noch dies oder das ist, aber aus, mit und durch Kreatur wird er unserthalben
zum Gesetz, zum Wort und Willen, zur Liebe. Also ist Gottes Wort der Wille und
das Gesetz selbst in der Kreatur, es ist die Liebe selber. Damit meint und sucht
Gott nichts anderes als unsere Freude, Wonne, Leben und Seligkeit. Denn die
Gebote Gottes sind lauter Leben und Gott selbst und eben mit diesem Gebot oder
Gesetz – non concupisces, non edes de arbore usw. – gebiert sich Gott selbst, daß wir alles haben und sein sollen
von Gnade in ihm, mit ihm und bei ihm, was er ist und hat von ihm selbst, von
Natur, welches nicht anders sein kann, denn daß Gott selber sei der Mensch;
Gott will das alles in allem sein in dieser Zeit sowohl als in jenem Leben.
Darum beten wir: dein Reich komme, dein Wille geschehe usw., welches alles Christus
heißt in dieser Zeit. Denn wenn Gott selber Mensch ist, so ist Christus
da, wie in dem Erstgeborenen zu sehen ist. Also sehen wir, daß Gott oder
sein Gesetz der Wille Gottes oder Christus sei, und das alles in, mit und durch
Kreatur. Wer dies nicht vernimmt, hat Christus weder gesehen noch erkannt, wühlet
nur im Buchstaben ohne Kraft und Saft. S.165
Von
der Einwohnung Gottes
Der Laie: Ach, welch eine Liebe hat uns
Gott der Vater erzeigt, dass wir Menschen sollen mit ihm leibhaftig vereint
sein durch seinen Sohn Jesum Christum, er in uns und wir in ihm in alle Ewigkeit.
Der Geistliche: Ja freilich ist’s
eine große Liebe, dass der ewige Gott uns Menschen liebt in dem Geliebten,
welches uns allen aus Gnaden widerfährt durch den Glauben, wie der Apostel
sagt: Aus Gnaden seid ihr selig und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es,
dass sich niemand rühme.
Der Laie: Je mehr ich dieser wunderbarlichen
Vereinigung nachsinne, desto mehr erfreue ich darüber von Grund meines
Herzens mit großer Verwunderung . . .
Der Geistliche: Solche
Einigung oder Verbindung muss anders nicht geschehen als durch den Glauben
an Jesum Christum, durch welchen uns alle himmlischen Güter aus Gnaden
zugerechnet werden . . .
Der Laie: Jetzund tut ihr, lieber Herr,
eine seltsame Rede, welche doch nicht sein kann.
Der Geistliche: Wie meinst du das?
Der Laie: Ihr
sprechet, durch den Glauben an Christum werden uns alle himmlischen Güter
zugerechnet aus Gnaden, und also käme kein Mensch zur ewigen Seligkeit!
Denn was sind die himmlischen Güter anders als Friede, Freude, Gerechtigkeit,
Seligkeit, ja der Himmel und Christus selbst? Sollen dem Gläubigen solche
Dinge von außen an zugerechnet werden und sollten nicht wesentlich in
ihm sein, so hätte er gar keine Seligkeit.
Der Geistliche: Wir müssen uns halten
an die gebräuchlichsten Reden dieser Lande, dass uns Christi Gerechtigkeit
aus Gnaden zugerechnet werde.
Der Laie: Ich
sage ausdrücklich: sollte uns das von außen imputiert und zugerechnet
werden, und nicht in uns sein wesentlich, leibhaftig, so wäre es keine
leibhaftige Vereinigung oder Verbindung und würde verleugnet die seligmachende
Geburt Jesu Christi aus der Jungfrau, d. i. der Glaube und die Liebe in uns.
Der Geistliche: Ei, wer wollte das verleugnen, wir wissen ja alle wohl die Geburt Christi
und glauben alle an ihn.
Der Laie: Ich bitte, euer Hochwürden
wolle meine Meinung vertraulicherweise anhören, ich will euch allein meinen
Grund entdecken, welchen mir Gott verliehen hat aus der hl. Schrift. Die äußere
Geburt Christi außer uns macht uns nicht selig, und der wahre Glaube ist
nimmermehr ohne die neue Geburt aus Gott und ohne die Liebe. Wer ohne Erneuerung
seines Geistes, ohne Bekehrung und Besserung seines Lebens nur glaubt mit der
Welt, dass Christus geboren sei aus der Jungfrau, der verleugnet wahrhaftig
die Geburt Jesu Christi, den Glauben und die Liebe. Denn wir müssen in
ihm, mit ihm und durch ihn neue Kreaturen sein, aus Gott selber geboren, wesentliche
Kinder Gottes und nicht imputativische [ungerechtfertigte].
Der Geistliche: Du bringst fremde seltsame
Reden vor und mengst eins in das andere: der Glaube ist für sich, die Liebe
ist für sich, die Geburt Christi ist auch für sich. Diese werden uns
allezeit durch die heiligen Sakramenta und durch den Glauben zugerechnet. Durch
diese zugerechnete Gerechtigkeit müssen wir selig werden und nicht durch
die leibhaftige Einwohnung oder wesentliche Vereinigung mit Christo.
Der Laie: Wenn
wir die Theologie oder heilige Schrift nach der Vernunft führen und nach
dem natürlichen Glauben (welcher doch nicht selig macht), so kann eins
ohne das andere sein als Christi Geburt, Glaube, Liebe, Gerechtigkeit usw. Aber
wenn wir die Schrift nach dem seligmachenden Glauben behandeln, so sind nicht
allein wir mit Christo geeinigt, sondern alle Dinge sind Eins und beieinander,
keines mag ohne das andere sein. Denn die Wiedergeburt in uns ist Christus inhabitans
et regnans und ist der Glaube und die
Liebe, die Gerechtigkeit, Friede und Seligkeit. Denn was wäre das für
eine neue Geburt, so wir nicht in Christo oder in der Liebe oder im Glauben
wandelten?
Der Geistliche: Eine seltsame Theologie machest du! Es wäre nicht …
recte secare verbum, d. i. Gottes Wort recht scheiden noch vorgeben,
wenn man alle Dinge vermengen sollte.
Der Laie: Das sei fern von mir, dass ich
anders sollte glauben denn so! Wir müssen ja aus dem ewigen Samen geboren
werden, das gibt keinen Schatten, sondern ein Wesen, und wir müssen Christum
in uns haben, geistlich und leiblich. Denn wer den Geist Christi nicht hat,
ist nicht sein, und wer sein Blut und Fleisch nicht hat, und darinnen lebt,
der kann nicht sein aus seinem Gebeine, Fleisch und Blut. Dieweil wir nun den
Geist von Gott dem Vater haben durch das Einblasen und den Leib von Gott dem
Sohne, so gibt ja solche neue Geburt keinen Schatten, ist kein Gespenst, sondern
ein leiblich Wesen. Also bleiben wir in Gott und Gott in uns. Gott ist unsere
Wohnung und Himmel, wir sind seine Wohnung und Himmel, das muß durch die
leibliche Einwohnung Jesu Christi geschehen: siehe da, die Hütte Gottes
bei dem Menschen. Und das ist die Stadt Gottes, das neue Jerusalem aus dem Himmel
durch Christum Jesum. S.166-168 […]
Metaphysik
ist mehr als Hystorie
Der Laie: Euer
Hochwürden erzählen nur immer die Geschichte, wie es mit der Person
Christi zugegangen sei, von Anfang bis zu seiner Himmelfahrt, fassen aber nicht
das Haupt mit seinen Gliedern zusammen, dass ihr und wir allesamt mit Christo
getötet und gekreuzigt sein müssen mit allen Sünden . . . Christum
crucificum predigen ist nicht die historiam erzählen, von seiner Passion, von seinem Leiden, Sterben, Auferstehen,
sonst ist es grade als wenn ich aus Tito Livio oder aus einem andern Skribenten
eine historiam narriere
und erkläre. Sondern das heißt und ist Christum den Gekreuzigten
predigen, so er in uns ist und wir in ihm dass wir mit ihm gekreuzigt sind und
alles dasjenige in uns geübt werde, was Christus gelehrt, gelitten, gelebt
und getan hatte. Was ist das, dass ich viel sage: Christi Tod sei geschehen
für die Sünde der Welt, und hat die Menschen erlöst durch sein
Blutvergießen – und ich glaube nicht an ihn, dass er mich erlöset
habe zu seinem Eigentum, erkauft von der Erden in das ewige himmlische Wesen!
Der Glaube wäre ein toter bloßer Wahn, so er nicht in mir wäre
und ich in ihm. Der Apostel Paulus sagt recht: Durch Christum ist mir die Welt
gekreuzigt und ich der Welt. Er war in Christo, und Christus in ihm, und predigte
Christum crucifixum, nicht neben sich noch ab extra, sondern
in ihm, ja Christus redet in ihm. Wenn man Christum neben sich predigt, von
außen an, und nicht sich selbst und alle mit Christo kreuzigt, dass man
in ihm lebe und wandle, so ist Christus crucifixus nicht gepredigt. Wenn man nicht geduldig Verachtung, Verspottung, Verschmähung
leidet, wenn man nicht mit ihm gekreuzigt und getötet sein will, so ist`s
unmöglich, dass man Christus den Gekreuzigten predigen könne, dieweil
wir sitzen in unsern Dienst-Predigten und in der Ringmauer, in warmen Stuben,
und predigen um Lohn der Maulchristen, und gehen nicht aus von solchen unter
die, so von Christo nichts gehört haben! Wir sollten die Schäflein
Christi mitten unter den Wölfen suchen und nicht ablassen, das
ire in orbem zu treiben, bis uns der Tod scheide durch die Hände
der Gottlosen – das wäre Christus crucifixum gepredigt! Dieweil wir aber im Gedinge sitzen, unsres Leibes Genüge,
Weib, Kind mehr lieben als das Heil der Schäflein, so mitten unter den
Wölfen zerstreut sind, so können wir nicht Christum den Gekreuzigten
predigen! Ignorant et negant Christum inhabitantem
seu unionem essentialem credentis cum Christo, so behelfen sich
fast alle mit der justitia imputativa ab extra, das nimmt die Welt gern an, dankt Gott dafür, dass Christus ab extra,
in seiner Person, für sie alles getan habe. Wenn einer spricht de
insertione seu implantatione credentis in Christum, von der wesentlichen
Einwohnung, so schreien sie Ketzer, Hosiander, Schwärmer usw. Denn es steht
gar nicht in Augustana confessione, darauf
doch so viele Städte, Fürsten und Länder geschworen haben. Nun
muss doch unio Christi
und credentis leibhaftig sein, das und kein anders. Denn Christus
ab extra nullum justificat, sed ab
intra. Es muss ja sein Geist in
uns sein, sonst wären wir nicht seine Erlösten. So muss auch
sein Fleisch und Blut leibhaftig in uns sein, dass wir mit seinem gekreuzigten
Leibe vereinigt ein Same zur Auferstehung werden, wie die ganze Schrift zeugt.
Dieweil sie aber solche unbewegliche gesunde reine Lehre Ketzerei heißen
und verwerfen die Hütte Gottes bei den Menschen – wie können
sie Christum predigen? . . . Sie denken nicht anders, sie predigen Christum
crucifixum, wenn sie die Geschichte
erzählen und erklären es nach dem alten Menschen: wie Christus gekreuzigt
sei für die Sünde der Welt, so man`s ihm von außen an imputiert
und sich seines Kreuzes durch den Maulglauben, dass er genug getan habe, er
habe allein für uns getan, wir könnten nichts tun noch verdienen mit
unserer Nachfolgung . . .
Wie wir geführt und geleitet werden durch die sichtbaren Dinge zu dem Unsichtigen,
und durch die zeitlichen Dinge gemahnt werden zu trachten nach Ewigem, also
hat uns Gott in seinem Sohn Jesu Christo einen sichtbaren Spiegel gegeben, auf
dass wir ausdrücklich erkennten, fühlten und ergriffen seinen ewigen
unwandelbaren Willen. Denn in Christo wird gänzlich ersehen, wie wir uns
gegen Gott verhalten sollen und wie Gott gegen uns gesinnt sei. Darum, der da
will zu Gott dem Vater kommen, der muss durch die Menschheit Christi eingehen,
d. i. durch sein Leben. Nun ist Christus – eben das, was er selber lehrt
und lebt – jetzund zu diesen Zeiten ganz unbekannt. Denn das Leben Christi
ist ganz verfallen, wir wissen nicht mehr als die bloße Historia und Geschichte,
es ist weder Kraft noch Saft bei uns zu finden, beides in unseren Schriften
und Leben. Wir rühmen uns wohl des Glaubens, aber die Kraft Christi verleugnen
wir. Taulerus und Theologia germanica beschreiben einen rechten Christen . . . S. 175-177
Aus: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher
Gottesfreunde
Eine Auswahl aus den Schriften der deutschen Mystiker. Herausgegeben von Walter
Lehmann
Verlegt bei Eugen Diederichs/Jena