Valentin Weigel (1533 – 1588)

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Inhaltsverzeichnis

Das moralische Gesetz in uns
Von der Einwohnung Gottes
Metaphysik ist mehr als Hystorie

Das moralische Gesetz in uns
Der einige Gott ist der ewige König, unsterblich und unerforschlich, der hat sich gleich erschaffen ein ewiges Bildnis: Die vernünftige Kreatur, den rechten unsterblichen Menschen, dass er sein sollte wie er ist (1. Jos. 4. Sep. I. Gen. 2). Das Bildnis ist nicht aus einem Erdenkloß, auch nicht aus einer andern Materia außerhalb Gottes, sondern aus dem Munde Gottes gekommen als Adam und Eva oder als ein Sohn und Vater. Darum bringt dieses Bildnis das göttliche Gesetz mit sich und die Überschrift: Non concupiscet, laß dich nicht gelüsten. Denn in diesem Gebot steht Christus und alle Schrift gefasst. Oder: Non edes de arbore vetita, iss nicht von diesem Baume, welchen ich dir verbiete. Ebenso ist es mit dem Bildnis und der Überschrift. Non habebis Deos alienos oder liebe Gott und deinen Nächsten. Diese Überschrift ist das ganze Gesetz und Gott oder Christus selber. Denn obwohl die Kreatur als ein Bildnis sich selbst das Gesetz ist, so will doch Gott in der Kreatur und durch dieselbige das Gesetz sein und ist’s auch; denn das Gesetz Gottes ist Gott selbst, wiewohl Gott in Ewigkeit für sich selbst weder Wille, Gesetz, noch dies oder das ist, aber aus, mit und durch Kreatur wird er unserthalben zum Gesetz, zum Wort und Willen, zur Liebe. Also ist Gottes Wort der Wille und das Gesetz selbst in der Kreatur, es ist die Liebe selber. Damit meint und sucht Gott nichts anderes als unsere Freude, Wonne, Leben und Seligkeit. Denn die Gebote Gottes sind lauter Leben und Gott selbst und eben mit diesem Gebot oder Gesetz – non concupisces, non edes de arbore usw. – gebiert sich Gott selbst, daß wir alles haben und sein sollen von Gnade in ihm, mit ihm und bei ihm, was er ist und hat von ihm selbst, von Natur, welches nicht anders sein kann, denn daß Gott selber sei der Mensch; Gott will das alles in allem sein in dieser Zeit sowohl als in jenem Leben. Darum beten wir: dein Reich komme, dein Wille geschehe usw., welches alles Christus heißt in dieser Zeit. Denn wenn Gott selber Mensch ist, so ist Christus da, wie in dem Erstgeborenen zu sehen ist. Also sehen wir, daß Gott oder sein Gesetz der Wille Gottes oder Christus sei, und das alles in, mit und durch Kreatur. Wer dies nicht vernimmt, hat Christus weder gesehen noch erkannt, wühlet nur im Buchstaben ohne Kraft und Saft. S.165

Von der Einwohnung Gottes
Der Laie: Ach, welch eine Liebe hat uns Gott der Vater erzeigt, dass wir Menschen sollen mit ihm leibhaftig vereint sein durch seinen Sohn Jesum Christum, er in uns und wir in ihm in alle Ewigkeit.

Der Geistliche: Ja freilich ist’s eine große Liebe, dass der ewige Gott uns Menschen liebt in dem Geliebten, welches uns allen aus Gnaden widerfährt durch den Glauben, wie der Apostel sagt: Aus Gnaden seid ihr selig und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es, dass sich niemand rühme.

Der Laie:
Je mehr ich dieser wunderbarlichen Vereinigung nachsinne, desto mehr erfreue ich darüber von Grund meines Herzens mit großer Verwunderung . . .

Der Geistliche:
Solche Einigung oder Verbindung muss anders nicht geschehen als durch den Glauben an Jesum Christum, durch welchen uns alle himmlischen Güter aus Gnaden zugerechnet werden . . .

Der Laie: Jetzund tut ihr, lieber Herr, eine seltsame Rede, welche doch nicht sein kann.

Der Geistliche:
Wie meinst du das?

Der Laie: Ihr sprechet, durch den Glauben an Christum werden uns alle himmlischen Güter zugerechnet aus Gnaden, und also käme kein Mensch zur ewigen Seligkeit! Denn was sind die himmlischen Güter anders als Friede, Freude, Gerechtigkeit, Seligkeit, ja der Himmel und Christus selbst? Sollen dem Gläubigen solche Dinge von außen an zugerechnet werden und sollten nicht wesentlich in ihm sein, so hätte er gar keine Seligkeit.

Der Geistliche:
Wir müssen uns halten an die gebräuchlichsten Reden dieser Lande, dass uns Christi Gerechtigkeit aus Gnaden zugerechnet werde.

Der Laie: Ich sage ausdrücklich: sollte uns das von außen imputiert und zugerechnet werden, und nicht in uns sein wesentlich, leibhaftig, so wäre es keine leibhaftige Vereinigung oder Verbindung und würde verleugnet die seligmachende Geburt Jesu Christi aus der Jungfrau, d. i. der Glaube und die Liebe in uns.

Der Geistliche: Ei, wer wollte das verleugnen, wir wissen ja alle wohl die Geburt Christi und glauben alle an ihn.

Der Laie:
Ich bitte, euer Hochwürden wolle meine Meinung vertraulicherweise anhören, ich will euch allein meinen Grund entdecken, welchen mir Gott verliehen hat aus der hl. Schrift. Die äußere Geburt Christi außer uns macht uns nicht selig, und der wahre Glaube ist nimmermehr ohne die neue Geburt aus Gott und ohne die Liebe. Wer ohne Erneuerung seines Geistes, ohne Bekehrung und Besserung seines Lebens nur glaubt mit der Welt, dass Christus geboren sei aus der Jungfrau, der verleugnet wahrhaftig die Geburt Jesu Christi, den Glauben und die Liebe. Denn wir müssen in ihm, mit ihm und durch ihn neue Kreaturen sein, aus Gott selber geboren, wesentliche Kinder Gottes und nicht imputativische
[ungerechtfertigte].

Der Geistliche:
Du bringst fremde seltsame Reden vor und mengst eins in das andere: der Glaube ist für sich, die Liebe ist für sich, die Geburt Christi ist auch für sich. Diese werden uns allezeit durch die heiligen Sakramenta und durch den Glauben zugerechnet. Durch diese zugerechnete Gerechtigkeit müssen wir selig werden und nicht durch die leibhaftige Einwohnung oder wesentliche Vereinigung mit Christo.

Der Laie:
Wenn wir die Theologie oder heilige Schrift nach der Vernunft führen und nach dem natürlichen Glauben (welcher doch nicht selig macht), so kann eins ohne das andere sein als Christi Geburt, Glaube, Liebe, Gerechtigkeit usw. Aber wenn wir die Schrift nach dem seligmachenden Glauben behandeln, so sind nicht allein wir mit Christo geeinigt, sondern alle Dinge sind Eins und beieinander, keines mag ohne das andere sein. Denn die Wiedergeburt in uns ist Christus inhabitans et regnans und ist der Glaube und die Liebe, die Gerechtigkeit, Friede und Seligkeit. Denn was wäre das für eine neue Geburt, so wir nicht in Christo oder in der Liebe oder im Glauben wandelten?

Der Geistliche: Eine seltsame Theologie machest du! Es wäre nicht … recte secare verbum, d. i. Gottes Wort recht scheiden noch vorgeben, wenn man alle Dinge vermengen sollte.

Der Laie: Das sei fern von mir, dass ich anders sollte glauben denn so! Wir müssen ja aus dem ewigen Samen geboren werden, das gibt keinen Schatten, sondern ein Wesen, und wir müssen Christum in uns haben, geistlich und leiblich. Denn wer den Geist Christi nicht hat, ist nicht sein, und wer sein Blut und Fleisch nicht hat, und darinnen lebt, der kann nicht sein aus seinem Gebeine, Fleisch und Blut. Dieweil wir nun den Geist von Gott dem Vater haben durch das Einblasen und den Leib von Gott dem Sohne, so gibt ja solche neue Geburt keinen Schatten, ist kein Gespenst, sondern ein leiblich Wesen. Also bleiben wir in Gott und Gott in uns. Gott ist unsere Wohnung und Himmel, wir sind seine Wohnung und Himmel, das muß durch die leibliche Einwohnung Jesu Christi geschehen: siehe da, die Hütte Gottes bei dem Menschen. Und das ist die Stadt Gottes, das neue Jerusalem aus dem Himmel durch Christum Jesum.
S.166-168 […]

Metaphysik ist mehr als Hystorie
Der Laie: Euer Hochwürden erzählen nur immer die Geschichte, wie es mit der Person Christi zugegangen sei, von Anfang bis zu seiner Himmelfahrt, fassen aber nicht das Haupt mit seinen Gliedern zusammen, dass ihr und wir allesamt mit Christo getötet und gekreuzigt sein müssen mit allen Sünden . . . Christum crucificum predigen ist nicht die historiam erzählen, von seiner Passion, von seinem Leiden, Sterben, Auferstehen, sonst ist es grade als wenn ich aus Tito Livio oder aus einem andern Skribenten eine historiam narriere und erkläre. Sondern das heißt und ist Christum den Gekreuzigten predigen, so er in uns ist und wir in ihm dass wir mit ihm gekreuzigt sind und alles dasjenige in uns geübt werde, was Christus gelehrt, gelitten, gelebt und getan hatte. Was ist das, dass ich viel sage: Christi Tod sei geschehen für die Sünde der Welt, und hat die Menschen erlöst durch sein Blutvergießen – und ich glaube nicht an ihn, dass er mich erlöset habe zu seinem Eigentum, erkauft von der Erden in das ewige himmlische Wesen! Der Glaube wäre ein toter bloßer Wahn, so er nicht in mir wäre und ich in ihm. Der Apostel Paulus sagt recht: Durch Christum ist mir die Welt gekreuzigt und ich der Welt. Er war in Christo, und Christus in ihm, und predigte Christum crucifixum, nicht neben sich noch ab extra, sondern in ihm, ja Christus redet in ihm. Wenn man Christum neben sich predigt, von außen an, und nicht sich selbst und alle mit Christo kreuzigt, dass man in ihm lebe und wandle, so ist Christus crucifixus nicht gepredigt. Wenn man nicht geduldig Verachtung, Verspottung, Verschmähung leidet, wenn man nicht mit ihm gekreuzigt und getötet sein will, so ist`s unmöglich, dass man Christus den Gekreuzigten predigen könne, dieweil wir sitzen in unsern Dienst-Predigten und in der Ringmauer, in warmen Stuben, und predigen um Lohn der Maulchristen, und gehen nicht aus von solchen unter die, so von Christo nichts gehört haben! Wir sollten die Schäflein Christi mitten unter den Wölfen suchen und nicht ablassen, das ire in orbem zu treiben, bis uns der Tod scheide durch die Hände der Gottlosen – das wäre Christus crucifixum gepredigt! Dieweil wir aber im Gedinge sitzen, unsres Leibes Genüge, Weib, Kind mehr lieben als das Heil der Schäflein, so mitten unter den Wölfen zerstreut sind, so können wir nicht Christum den Gekreuzigten predigen! Ignorant et negant Christum inhabitantem seu unionem essentialem credentis cum Christo, so behelfen sich fast alle mit der justitia imputativa ab extra, das nimmt die Welt gern an, dankt Gott dafür, dass Christus ab extra, in seiner Person, für sie alles getan habe. Wenn einer spricht de insertione seu implantatione credentis in Christum, von der wesentlichen Einwohnung, so schreien sie Ketzer, Hosiander, Schwärmer usw. Denn es steht gar nicht in Augustana confessione, darauf doch so viele Städte, Fürsten und Länder geschworen haben. Nun muss doch unio Christi und credentis leibhaftig sein, das und kein anders. Denn Christus ab extra nullum justificat, sed ab intra. Es muss ja sein Geist in uns sein, sonst wären wir nicht seine Erlösten. So muss auch sein Fleisch und Blut leibhaftig in uns sein, dass wir mit seinem gekreuzigten Leibe vereinigt ein Same zur Auferstehung werden, wie die ganze Schrift zeugt. Dieweil sie aber solche unbewegliche gesunde reine Lehre Ketzerei heißen und verwerfen die Hütte Gottes bei den Menschen – wie können sie Christum predigen? . . . Sie denken nicht anders, sie predigen Christum crucifixum, wenn sie die Geschichte erzählen und erklären es nach dem alten Menschen: wie Christus gekreuzigt sei für die Sünde der Welt, so man`s ihm von außen an imputiert und sich seines Kreuzes durch den Maulglauben, dass er genug getan habe, er habe allein für uns getan, wir könnten nichts tun noch verdienen mit unserer Nachfolgung . . .

Wie wir geführt und geleitet werden durch die sichtbaren Dinge zu dem Unsichtigen, und durch die zeitlichen Dinge gemahnt werden zu trachten nach Ewigem, also hat uns Gott in seinem Sohn Jesu Christo einen sichtbaren Spiegel gegeben, auf dass wir ausdrücklich erkennten, fühlten und ergriffen seinen ewigen unwandelbaren Willen. Denn in Christo wird gänzlich ersehen, wie wir uns gegen Gott verhalten sollen und wie Gott gegen uns gesinnt sei. Darum, der da will zu Gott dem Vater kommen, der muss durch die Menschheit Christi eingehen, d. i. durch sein Leben. Nun ist Christus – eben das, was er selber lehrt und lebt – jetzund zu diesen Zeiten ganz unbekannt. Denn das Leben Christi ist ganz verfallen, wir wissen nicht mehr als die bloße Historia und Geschichte, es ist weder Kraft noch Saft bei uns zu finden, beides in unseren Schriften und Leben. Wir rühmen uns wohl des Glaubens, aber die Kraft Christi verleugnen wir. Taulerus und Theologia germanica beschreiben einen rechten Christen . .
. S. 175-177
Aus: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde
Eine Auswahl aus den Schriften der deutschen Mystiker. Herausgegeben von Walter Lehmann
Verlegt bei Eugen Diederichs/Jena