Heinrich Wilhelm Wackenroder (1773 - 1798)
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Deutscher
Dichter, der eng befreundet mit Ludwig
Tieck war und unerwartet in der Blütezeit seiner Jugendjahre
verstarb. Tief religiös und sein romantisches Herz in leidenschaftlicher
Liebe zur Kunst entbrannt, strebte Wackenroder in seinem Werk die harmonische Verschmelzung von Kunst und Religion an. Siehe auch Wikipedia, Kirchenlexikon und Projekt Gutenberg |
Inhaltsverzeichnis
Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menschenliebe in der Kunst
Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft
Einige
Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menschenliebe in der Kunst
Der Schöpfer, welcher unsre Erde und alles, was darauf ist, gemacht hat,
hat das ganze Erdenrund mit seinem Blick umfaßt, und den Strom seines
Segens über den ganzen Erdkreis ausgegossen. Aber aus seiner geheimnisvollen
Werkstatt hat er tausenderlei unendlich-mannigfaltige Keime der Dinge über
unsre Kugel hergestreut, die unendlich-mannigfaltige Früchte tragen, und
zu seiner Ehre zu dem größesten, buntesten Garten hervorschießen.
Auf wunderbare Weise fährt er seine Sonne um den Erdball in gemessenen
Kreisen herum, dass ihre Strahlen in tausend Richtungen zur Erde kommen,
und unter jedem Himmelsstriche das Mark der Erde zu verschiedenartigen Schöpfungen
auskochen und hervortreiben.
Mit gleichem Auge ruht er in Einem großen Moment auf dem Werke seiner
Hände, und empfängt mit Wohlgefallen das Opfer der ganzen lebendigen
und leblosen Natur. Das Brüllen des Löwen ist ihm so angenehm wie
das Schreien des Rentiers; und die Aloe duftet ihm ebenso lieblich als Rose
und Hyazinthe.
Auch der Mensch ist in tausendfacher Gestalt aus seiner schaffenden Hand gegangen:
- die Brüder eines Hauses kennen sich nicht, und
verstehen sich nicht; sie reden verschiedene Sprachen, und staunen übereinander: aber er kennt sie alle, und freut sich aller; mit gleichem Auge ruht er auf
seiner Hände Werk, und empfängt das Opfer der ganzen Natur.
Auf mancherlei Weise hört er die Stimmen der Menschen von den himmlischen
Dingen durcheinander reden, und weiß, daß alle, - alle, wär
es auch wider ihr Wissen und Willen, - dennoch ihn, den
Unnennbaren, meinen.
So hört er auch die innere Empfindung der Menschen in verschiedenen Zonen
und in verschiedenen Zeitaltern verschiedene Sprachen reden, und hört,
wie sie miteinander streiten und sich nicht verstehen: aber dem ewigen Geiste
löst sich alles in Harmonie auf; er weiß, dass ein jeder die Sprache redet, die er ihm angeschaffen
hat, dass ein jeder sein Inneres äußert, wie er kann und soll;
- wenn sie in ihrer Blindheit untereinander streiten, so weiß und erkennt
er, dass für sich ein jeglicher recht hat; er sieht mit Wohlgefallen
auf jeden und auf alle, und freut sich des bunten Gemisches.
Kunst ist die Blume menschlicher Empfindung zu nennen. In
ewig wechselnder Gestalt erhebt sie sich unter den mannigfaltigen Zonen
der Erde zum Himmel empor, und dem allgemeinen Vater, der den Erdball mit allem,
was daran ist, in seiner Hand hält, duftet auch von dieser Saat nur ein
vereinigter Wohlgeruch.
Er erblickt in jeglichem Werke der Kunst, unter allen Zonen der Erde, die Spur
von dem himmlischen Funken, der, von ihm ausgegangen, durch die Brust des Menschen
hindurch, in dessen kleine Schöpfungen überging, aus denen er dem
großen Schöpfer wieder entgegenglimmt. Ihm ist der gotische Tempel
so wohlgefällig als der Tempel des Griechen; und die rohe Kriegsmusik der
Wilden ist ihm ein so lieblicher Klang, als kunstreiche Chöre und Kirchengesänge.
Und wenn ich nun von ihm, dem Unendlichen, durch die unermesslichen Räume
des Himmels, wieder zur Erde gelange, und mich unter meinen Mitbrüdern
umsehe, - ach! so muss ich laute Klagen erheben, dass sie ihrem ewigen
großen Vorbilde im Himmel so wenig ähnlich zu werden sich
bestreben. Sie zanken miteinander, und verstehen sich
nicht, und sehen nicht, dass sie alle nach demselben Ziele eilen, weil
jeder mit festem Fuße auf seinem Standort stehen bleibt, und seine Augen
nicht über das Ganze zu erheben weiß.
Blöden Menschen ist es nicht begreiflich, dass es auf unserer Erdkugel
Antipoden gebe, und daß sie selber Antipoden sind. Sie denken sich den
Ort, wo sie stehen, immer als den Schwerpunkt des Ganzen, - und ihrem Geiste
mangeln die Schwingen, das ganze Erdenrund zu umfliegen, und das in sich selbst
gegründete Ganze mit einem Blicke zu umspielen.
Und ebenso betrachten sie ihr Gefühl als das Zentrum alles Schönen
in der Kunst, und sprechen, wie vom Richterstuhle, über alles das entscheidende
Urteil ab, ohne zu bedenken, daß sie niemand zu Richtern gesetzt hat,
und daß diejenigen, die von ihnen verurteilt sind, sich ebensowohl dazu
aufwerfen könnten.
Warum verdammt ihr den Indianer nicht, daß er indianisch, und nicht unsre
Sprache redet?
Und doch wollt ihr das Mittelalter verdammen, dass es nicht solche Tempel
baute wie Griechenland? –
O so ahndet euch doch in die fremden Seelen hinein, und merket, dass ihr
mit euren verkannten Brüdern die Geistesgaben aus
derselben Hand empfangen habt!
Begreifet doch, dass jedes Wesen nur aus den Kräften,
die es vom Himmel erhalten hat, Bildungen aus sich herausschaffen kann, und dass einem jeden seine Schöpfungen gemäß sein müssen.
Und wenn ihr euch nicht in alle fremde Wesen hineinzufühlen, und durch
ihr Gemüt hindurch ihre Werke zu empfinden vermöget; so versuchet
wenigstens, durch die Schlussketten des Verstandes mittelbar an diese Überzeugung
heranzureichen. -
Hätte die aussäende Hand des Himmels den Keim deiner Seele auf die
afrikanischen Sandwüsten fallen lassen, so würdest du aller Welt das
glänzende Schwarz der Haut, das dicke, stumpfe Gesicht, und die kurzen,
krausen Haare, als wesentliche Teile der höchsten Schönheit angepredigt,
und den ersten weißen Menschen verlacht oder gehasst haben. Wäre
deine Seele einige hundert Meilen weiter nach Osten, auf dem Boden von Indien
aufgegangen, so würdest du in den kleinen, seltsam gestalteten, vielarmigen
Götzen den geheimen Geist fühlen, der, unsern
Sinnen verborgen, darinnen weht, und würdest, wenn du die Bildsäule
der medicäischen Venus erblicktest, nicht wissen, was du davon halten solltest.
Und hätte es demjenigen, in dessen Macht du standest und stehst, gefallen,
dich unter die Scharen südlicher Insulaner zu werfen, so würdest du
in jedem wilden Trommelschlag, und den rohen, gellenden Schlägen der Melodie,
einen tiefen Sinn finden, von dem du jetzt keine Silbe fassest. Würdest
du aber in irgendeinem dieser Fälle, die Gabe der Schöpfung oder die
Gabe des Genusses der Kunst, aus einer andern Quelle, als aus der ewigen und
allgemeinen, der du auch jetzt alle deine Schätze verdankest, empfangen
haben? -
Das Einmaleins der Vernunft folgt unter allen Nationen der Erde denselben Gesetzen,
und wird nur hier auf ein unendlich größeres, dort auf ein
sehr geringes Feld von Gegenständen angewandt. - Auf ähnliche Weise
ist das Kunstgefühl nur ein und derselbe himmlische Lichtstrahl, welcher
aber, durch das mannigfach geschliffene Glas der Sinnlichkeit unter verschiedenen
Zonen sich in tausenderlei verschiedene Farben bricht.
Schönheit: ein wunderseltsames Wort! Erfindet erst neue Worte für
jedes einzelne Kunstgefühl, für jedes einzelne Werk der Kunst! In
jedem spielt eine andere Farbe, und für ein jedes sind andere Nerven in
dem Gebäude des Menschen geschaffen.
Aber ihr spinnt aus diesem Worte, durch Künste des Verstandes, ein strenges
System, und wollt alle Menschen zwingen, nach euren Vorschriften und Regeln
zu fühlen, - und fühlet selber nicht.
Wer ein System glaubt, hat die allgemeine Liebe aus seinem Herzen verdrängt!
Erträglicher noch ist Intoleranz des Gefühls, als Intoleranz des Verstandes;
- Aberglaube besser als Systemglaube.
Könnt ihr den Melancholischen zwingen, daß er scherzhafte Lieder
und muntern Tanz angenehm finde? Oder den Sanguinischen, dass er sein Herz
den tragischen Schrecknissen mit Freude darbiete?
O lasset doch jedes sterbliche Wesen und jedes Volk unter
der Sonne bei seinem Glauben und seiner Glückseligkeit! und freuet
euch, wenn andere sich freuen, - wenn ihr euch auch über das, was ihnen
das Liebste und Werteste ist, nicht mit zu freuen versteht.
Uns, Söhnen dieses Jahrhunderts, ist der Vorzug zuteil geworden, daß
wir auf dem Gipfel eines hohen Berges stehen, und daß viele Länder
und viele Zeiten unsern Augen offenbar, um uns herum und zu unsern Füßen
ausgebreitet liegen. So lasset uns denn dieses Glück benutzen, und mit
heitern Blicken über alle Zeiten und Völker umherschweifen, und uns
bestreben, an allen ihren mannigfaltigen Empfindungen und Werken der Empfindung
immer das Menschliche herauszufühlen.
Jegliches Wesen strebt nach dem Schönsten: aber es kann nicht aus sich herausgehen, und sieht das Schönste nur in
sich. So wie in jedes sterbliche Auge ein anderes Bild des Regenbogens kommt,
so wirft sich jedem, aus der umgebenden Welt, ein anderes Abbild der Schönheit
zurück. Die allgemeine, ursprüngliche Schönheit aber, die wir
nur in Momenten der verklärten Anschauung nennen, nicht in Worte auflösen
können, zeigt sich dem, der den Regenbogen, und das Auge, das ihn siehet,
gemacht hat.
Ich habe meine Rede angefangen von ihm, und ich kehre wieder zu ihm zurück:
- wie der Geist der Kunst, - wie aller Geist von ihm ausgeht, und durch die
Atmosphäre der Erde, ihm zum Opfer wieder entgegendringt.-
Aus: Wilhelm Heinrich Wackenroder, Herzenergießungen
eines kunstliebenden Klosterbruders, Berlin 1799
Von
zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft
Die Sprache der Worte ist eine große Gabe des Himmels,
und es war eine ewige Wohltat des Schöpfers, dass er die Zunge des ersten
Menschen löste, damit er alle Dinge, die der Höchste um ihn
her in die Welt gesetzt, und alle geistigen Bilder, die er in seine Seele
gelegt hatte, nennen, und seinen Geist in dem mannigfaltigen Spiele mit diesem Reichtum von Namen üben konnte.
Durch Worte herrschen wir über den ganzen Erdkreis; durch Worte erhandeln
wir uns mit leichter Mühe alle Schätze der Erde. Nur das Unsichtbare,
das über uns schwebt, ziehen Worte nicht in unser Gemüt herab.-
Die irdischen Dinge haben wir in unsrer Hand, wenn wir ihre Namen aussprechen;
- aber wenn wir die Allgüte Gottes oder die
Tugend der Heiligen nennen hören, welches doch Gegenstände sind, die
unser ganzes Wesen ergreifen sollten, so wird allein unser Ohr mit leeren Schallen
gefüllt und unser Geist nicht, wie es sollte, erhoben.
Ich kenne aber zwei wunderbare Sprachen, durch welche der Schöpfer den
Menschen vergönnt hat, die himmlischen Dinge in ganzer Macht, soviel es
nämlich (um nicht verwegen zu sprechen) sterblichen Geschöpfen möglich
ist, zu fassen und zu begreifen. Sie kommen durch ganz andere Wege zu unserm
Inneren, als durch die Hülfe der Worte; sie bewegen auf einmal, auf eine
wunderbare Weise, unser ganzes Wesen und drängen sich in jede Nerve und
jeden Blutstropfen, der uns angehört. Die eine dieser wundervollen Sprachen
redet nur Gott; die andere reden nur wenige Auserwählte unter den Menschen, die er zu seinen Lieblingen gesalbt
hat. Ich meine: die Natur und die Kunst.
Seit meiner frühen Jugend her, da ich den Gott der
Menschen zuerst aus den uralten heiligen Büchern unserer Religion kennen
lernte, war mir die Natur immer das gründlichste und deutlichste Erklärungsbuch
über sein Wesen und seine Eigenschaften. Das Säuseln in den Wipfeln
des Waldes, und das Rollen des Donners, haben mir geheimnisvolle Dinge von ihm
erzählet, die ich in Worten nicht, aufsetzen kann. Ein schönes Tal,
von abenteuerlichen Felsengestalten umschlossen, oder ein glatter Fluß,
worin gebeugte Bäume sich spiegeln, oder eine heitere grüne Wiese
von dem blauen Himmel beschienen, - ach diese Dinge haben in meinem inneren
Gemüte mehr wunderbare Regungen zuwege gebracht haben meinen Geist von
der Allmacht und Allgüte Gottes inniger erfüllt, und meine ganze Seele weit
mehr gereinigt und erhoben, als es je die Sprache der Worte vermag. Sie ist,
dünkt mich, ein allzu irdisches und grobes Werkzeug, um das Unkörperliche,
wie das Körperliche, damit zu handhaben.
Ich finde hier einen großen Anlass, die Macht
und Güte des Schöpfers zu preisen. Er hat um uns Menschen eine
unendliche Menge von Dingen umhergestellt, wovon jedes ein anderes Wesen hat,
und wovon wir keines verstehen und begreifen. Wir wissen nicht, was ein Baum
ist; nicht, was eine Wiese, nicht, was ein Felsen ist; wir können nicht
in unserer Sprache mit ihnen reden; wir verstehen nur uns untereinander. Und
dennoch hat der Schöpfer in das Menschenherz eine solche wunderbare Sympathie
zu diesen Dingen gelegt, dass sie demselben, auf unbekannten Wegen, Gefühle
oder Gesinnungen, oder wie man es nennen mag, zuführen, welche wir nie
durch die abgemessensten Worte erlangen.
Die Weltweisen sind, aus einem an sich löblichen
Eifer für die Wahrheit, irregegangen; sie haben die Geheimnisse
des Himmels aufdecken und unter die irdischen Dinge in irdische Beleuchtung
stellen wollen, und die dunkeln Gefühle von denselben, mit kühner
Verfechtung ihres Rechtes, aus ihrer Brust verstoßen. - Vermag
der schwache Mensch die Geheimnisse des Himmels aufzuhellen? Glaubt er
verwegen ans Licht ziehen zu können, was Gott mit
seiner Hand bedeckt? Darf er wohl die dunkeln Gefühle, welche wie verhüllte
Engel zu uns herniedersteigen, hochmütig von sich weisen? - Ich ehre sie
in tiefer Demut; denn es ist große Gnade von Gott dass er uns diese
echten Zeugen der Wahrheit herabsendet. Ich falte die Hände und bete an. –
Die Kunst ist eine Sprache ganz anderer Art als die Natur; aber auch ihr ist,
durch ähnliche dunkle und geheime Wege, eine wunderbare
Kraft auf das Herz des Menschen eigen. Sie redet durch Bilder der Menschen
und bedienet sich also einer Hieroglyphenschrift, deren Zeichen wir dem Äußern
nach kennen und verstehen. Aber sie schmelzt das Geistige
und Unsinnliche, auf eine so rührende und bewundernswürdige Weise,
in die sichtbaren Gestalten hinein, dass wiederum unser ganzes Wesen
und alles, was an uns ist, von Grund auf bewegt und erschüttert wird. Manche
Gemälde aus der Leidensgeschichte Christi, oder von unsrer heiligen Jungfrau, oder aus der Geschichte der Heiligen, haben,
ich darf es wohl sagen, mein Gemüt mehr gesäubert und meinem inneren
Sinne tugendseligere Gesinnungen eingeflößet als Systeme
der Moral und geistliche Betrachtungen. Ich denke unter andern noch mit
Inbrunst an ein über alles herrlich gemaltes Bild unsers heiligen Sebastian,
wie er nackt an einen Baum gebunden steht, ein Engel ihm die Pfeile aus der
Brust zieht und ein anderer Engel vom Himmel einen Blumenkranz für sein
Haupt bringt. Diesem Gemälde verdanke ich sehr eindringliche und haftende
christliche Gesinnungen, und ich kann mir jetzt kaum dasselbe lebhaft vorstellen,
ohne dass mir die Tränen in die Augen kommen.
Die Lehren der Weisen setzen nur unser Gehirn, nur die eine Hälfte unseres
Selbst, in Bewegung; aber die zwei wunderbaren Sprachen, deren Kraft ich hier
verkündige, rühren unsre Sinne sowohl als unsern Geist; oder vielmehr
scheinen dabei (wie ich es nicht anders ausdrücken kann) alle Teile unsers (uns unbegreiflichen) Wesens zu einem einzigen, neuen Organ zusammenzuschmelzen,
welches die himmlischen Wunder, auf diesem zwiefachen Wege, fasst und begreift.
Die eine der Sprachen, welche der Höchste selber
von Ewigkeit zu Ewigkeit
fortredet, die ewig lebendige, unendliche Natur, ziehet
uns durch die weiten Räume der Lüfte unmittelbar zu der Gottheit
hinauf. Die Kunst aber, die durch sinnreiche Zusammensetzungen
von gefärbter Erde und etwas Feuchtigkeit, die menschliche Gestalt in einem
engen, begrenzten Raume, nach innerer Vollendung strebend, nachahmt (eine Art
von Schöpfung, wie sie sterblichen Wesen hervorzubringen vergönnt
ward) sie schließt uns die Schätze in der menschlichen Brust auf,
richtet unsern Blick in unser Inneres, und zeigt uns das Unsichtbare, ich meine
alles was edel, groß und göttlich ist, in menschlicher Gestalt.
Wenn ich aus dem gottgeweiheten Tempel unsers Klosters von der Betrachtung
Christi am Kreuz, ins Freie hinaustrete, und der Sonnenschein vom blauen
Himmel mich warm und lebendig umfängt, und die schöne Landschaft mit
Bergen, Gewässer und Bäumen mein Auge rührt; so sehe ich eine eigene Welt Gottes vor mir hervorgehen, und fühle
auf eigene Weise große Dinge in meinem Inneren sich
erheben. - Und wenn ich aus dem Freien wieder in den Tempel trete, und das Gemälde
von Christo am Kreuze mit Ernst und Innigkeit betrachte, so sehe ich wiederum
eine andre ganz eigene Welt Gottes vor mir hervorgehen
und fühle auf andre, eigene Weise sich große Dinge in meinem Inneren
erheben.
Die Kunst stellet uns die höchste menschliche Vollendung dar. Die
Natur, so viel davon ein sterbliches Auge sieht, gleichet abgebrochenen Orakelsprüchen
aus dem Munde der Gottheit. Ist es aber erlaubt,
also von dergleichen Dingen zu reden, so möchte man vielleicht sagen, dass
Gott wohl die ganze Natur oder die ganze Welt auf ähnliche Art,
wie wir ein Kunstwerk, ansehen möge.
Aus: Wilhelm Heinrich Wackenroder, Herzenergießungen
eines kunstliebenden Klosterbruders, Berlin 1799