Johann Heinrich Voß (1751 – 1826)

  Deutscher Dichter und Übersetzer, der (außer dem Besuch von einigen Theologievorlesungen) ausschließlich Philologie studierte und u. a. auch Kontakte zu Bürger, Hölty, Klopstock und Lessing hatte. Seine rationalistische Haltung machte ihn zu einem Gegner jeder Art von Schwärmerei und Romantizismus. Seine in den Jahren 1824 - 1826 geschriebene zweibändige »Antisymbolik« richtete sich insbesondere gegen Friedrich Creuzer. Bekannt wurde Voß als Übersetzer von Homers »Odyssee« und »Ilias«. In seinen Übertragungen, die u. a. auch Texte Ovid, Vergil, Horaz, Hesiod, Bion, Theokrit und Aristophanes umfassten, legte er besonderen Wert darauf, Versmaß und Originalwort möglichst genau zu treffen.


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Inhaltsverzeichnis

Die erneute Menschheit
Auf die Ausgießung des h. Geistes
 

Der Geist Gottes
Buchstab und Geist

Die erneute Menschheit
2. November 1794.
Stille herrsch', Andacht, und der Seel' Erhebung,
Rings umher! Fern sei, was befleckt von Sünd' ist,
Was dem Staub anhaftet, zu klein der Menschheit
Höherem Aufschwung!

Dem die Weltkreis' all in den Sonnenhimmeln
Staub sind; dem Weltjahre wie Augenblicke;
Dem, gesamt aufstrebend, der Geister Tiefsinn
Nur ein Gedank' ist;

Dessen Macht kein Maß der Erschaffnen ausmißt;
Dessen fernhin dämmerndes Licht Begeist'rung
Kaum erreicht, hochfliegend: den Geist der Geister!
Betet ihn an! Gott!

Nicht der Lipp' Anbetung ist wert der Gottheit,
Nicht Gepräng' abbüßendes Tempeldienstes,
Nicht Gelübd', noch Faste; nur That geklärter
Menschlichkeit ehrt ihn!

Dich allein, Abglanz von der Gottheit Urlicht,
Menschlichkeit! Dich sah der entzückte Denker,
Bebt' in Wollust, rang, wie zur Braut der Jüngling,
Ach! und umschloß dich!

Flog mit dir aufwärts, und vernahm in Demut
Näher Gott! - Allvater, erbarm' dich unser!
Fleht' er auf: Allvater, unendlich groß, un-
endlicher Güte!

Flehn auch wir: Allvater, erbarm' dich ihrer,
(Als sie thun's unkundig!) die: Gott der Heerschar!
Uns nur Gott! aufrufen, der Rache Zorn dir
Löschend in Sühnblut!

Gott, sie nahn lobsingend, vom Blut der Brüder
Wild, die fromm dir dienten den Dienst der Heimat,
Anders nur dich, Großer, den Engeln selbst Viel-
namiger! nennend!

Höchstes Gut allstets, und des Guten Geber!
Ihm, der Raubwild jagt in der Eichelwaldung;
Ihm, der Feind' abwehrt mit Geschoß und Harnisch,
Froh des Gemeinwohls:

Oder ihm, des Seel', in das All sich schwingend,
Mit der Grundursachen Gewicht und Maße,
Harmonie wahrnimmt, aus Verblühn Erschaffung,
Leben aus Tode!

Ob wie tot auch starre der Geist der Menschheit,
Durch der Willkür Zwang und gebotnen Wahnsinn;
Doch erringt siegreich auch der Geist der Menschheit
Neue Belebung.

Zwar er schlief Jahrhunderte, dumpf in Fesseln,
Todesschlaf, seit himmelempor die Freiheit
Vor den Zwingherrn floh und des Götzenpriesters
Laurendem Bannstrahl.

Luther kam: auf schauert' im Schlaf der Geist ihm,
Blickt' umher, schloß wieder das Aug' in Ohnmacht,
Und vernahm leis ahndend den Laut aus Trümmern
Attischer Weisheit.

Bald, wie Glut fortglimmt in der Asch', am Windhauch
Fünkchen hellt, rot wird, und in Feuerflammen
Licht und Wärm' ausgießt: so erhub der Menschheit
Schlummernder Geist sich,

Lebensfroh! Hin sank die verjährte Fessel,
Sank der Bannaltar, und die Burg des Zwingherrn;
Rege Kraft, Schönheit, und des Volks Gemeinsinn,
Blühten mit Heil auf!

Voß: Oden und Elegien, S. 101 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105290 (vgl. DNL Bd. 49, S. 217 ff.)


Auf die Ausgießung des h. Geistes
1769.
Der Wald voll Cedern Gottes zittert!
Es braust des Jordans hohle Flut!
Der Sturm zerreißt die Wolken und erschüttert
Jerusalem mit jäher Wut! -

Willkommen, seligster der Tage,
Verheißen von Jehovens Sohn
Den Jüngern, daß nicht ihre Seele zage,
Wenn ihr des Todes Schrecken drohn!

Der Geist wird auf sie ausgegossen,
Und ihre Blödigkeit entflieht;
Die Lippe, von des Geistes Glanz umflossen,
Tönt Gottes Preis: die Zunge glüht.

Es hört die Sprache seines Landes
Erstaunt der Kreter, Araber,
Der braune Bürger des Cyrenersandes,
Der Grajer und Ausonier.

Bald fliegt ihr Name zu den Sternen,
Wenn ihrer Stimme, fürchterlich
Durch Gotteskraft, sich Ottern schnell entfernen,
Und Satans schwarze Scharen sich,

Und Seuchen in Gehennas Klüfte
Sich stürzen; wenn, durch Gottes Schutz
Gestärkt, sie Becher voll von Pontus Gifte
Verhöhnen, und des Wütrichs Trutz! -

O Gott, bin ich in deines Sohnes
Geheimnisvolles Blut getaucht,
Das ewig an den Stufen deines Thrones
Im schauerhaften Dunkel raucht:

So höre itzt mein gläubig Flehen!
Mit Feuer taufe meinen Geist,
Das ihn im Sturm zu jenen lichten Höhen
Vom Greuel dieses Staubes reißt!

Daß er mit Rüstungen des Äthers
Bewehrt, gestärkt durch deine Macht,
Den ganzen Trupp des höllischen Verräters
Zurückschreck' in die alte Nacht;

Und frei vom Kummer, der hienieden
Ihn oft in dunkle Schatten hüllt,
Die lautre Quelle trinke, die dem Müden
In Edens Palmen Labsal quillt!

Voß: Oden und Lieder, S. 2 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105301 (vgl. DNL Bd. 49, S. 227 ff.)

Der Geist Gottes
12. Dezember 1794.
Was lauschest du, o Volk der Alemannen,
Den Rufern: »Hier, hier webet Gottes Geist,
Der Ulm' und Eich' entwurzelt, und die Tannen
Mit Donnerhall vom Felsabhange reißt!«
Du hörst sein Wehn; doch weißt du nicht, von wannen,
Und nicht, wohin der Strom des Windes fleußt.
Mit linder Macht der Menschheit Knosp' entfaltend,
Fährt Gottes Geist, umbildend und gestaltend.

Oft leis anschwellend, oft unangekündet,
Durchwallt sein Segenshauch die öde Flur:
Gesang und Red' entspringt dem Schlaf, und windet
Den schönen Kranz der Menschheit und Natur.
Urkraft, Verhalt und Zweck, tief ausgegründet,
Umschlingt der Anmut leichtgeknüpfte Schnur.
Viel angestaunt, von wenigen bewundert,
Erscheint dem Volk sein goldenes Jahrhundert.

Es starrt die Meng' in dumpfiger Erkaltung,
Wie wenn der Geist auch atmet, und wie mild.
Erschlaffung däucht des Menschensinns Entfaltung;
Man wähnt Natur, was roh sich hebt und wild.
Dem eitler Tand, dem schnöde Mißgestaltung,
Erscheint der Anmut reizendes Gebild.
Die heiligen Begeisterungen funkeln
Der Nachwelt erst, wie helle Stern' im Dunkeln.

Mir nachschaun wirst du dort im Felsenspalte:
So sprach der Geist: verhülle dein Gesicht!
Schnell braust' ein Sturm, Erdbeben kracht', es hallte
Der Donnerstrahl, doch Gottes Geist war's nicht.
In sanft durchschauerndem Gesäusel wallte
Der Geist einher: der Seher trat ans Licht,
Und sah, wie fern die Herrlichkeit entschwebend

Verschimmerte; stumm sah er nach, und bebend.

Voß: Oden und Lieder, S. 132 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105431 (vgl. DNL Bd. 49, S. 307 ff.)

Buchstab und Geist
1798.
Lebend erlöst' und sterbend der göttliche Sohn der Maria
Vom buchstäblichen Tod durch den beseelenden Geist.
Kreuziget! schrien die Knechte der Satzungen. Kehrtest du wieder,
O du Erlöser vom Tod: Kreuziget! schrieen sie noch.

Voß: Epigramme, S. 10. Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105498 (vgl. DNL Bd. 49, S. 353)