Frederic Vester (1925 - 2003)
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Deutscher Biochemiker, der an den Universitäten Mainz und Paris studierte. Promotion 1953. Forschungstätigkeiten in Heidelberg, an der Yale-Universität, New Haven, USA, an den Atomforschungszentren in Oakridge und Brookhaven, USA, und Cambridge, England. Von 1966—1970 Gast mit eigener Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut in München. Während
dieser Zeit Habilitation an der Universität Konstanz. Mitaufbau der
radiobiochemischen Kurse und Gastdozent von 1961—1971 am Kernforschungszentrum in Karlsruhe.1970 gründete er in München die »Studiengruppe
für Biologie und Umwelt«, die Umweltprobleme zu lösen
versucht. Siehe auch Wikipedia und Homepage Prof. Dr. Dr. h.c. Frederic Vester |
Das Gehen des
Weges selbst ist Ziel
Die Entdeckung der Bedeutung unserer Gene zum Beispiel — als eines astronomisch
gewaltigen Informationsreservoirs auf kleinstem Raum mit noch gar nicht abzusehenden
latenten Programmierungsmöglichkeiten — lässt vermuten,
dass ein eventueller Plan, der dahinterstecken könnte (falls
der Gedanke an einen »Plan« nicht nur das Produkt einer örtlich
begrenzten, weil dort »praktischen« Kodifizierung unserer Gehirnfunktionen
ist), sehr viel gewaltiger sein muss, als man das je ahnte. Die Existenz einer möglichen Gottheit oder übergeordneten Intelligenz zu definieren, erweist sich damit als viel schwieriger, als man sich das früher
vorstellte. Jede verfrühte Festlegung eines solchen Begriffes bedeutet
das Ende des möglichen Erkenntnisfortschritts. Und da bewirkt natürlich
auch der dialektische Materialismus mit seinem festen Glauben an die Nichtexistenz einer übergeordneten
Transzendenz eine ebenso dogmatische — und damit unwissenschaftliche
— Festlegung wie die christlichen Konfessionen, die gerade die Haltung,
ungeprüft zu glauben, als die große
Kraft anpreisen, während mir gerade dieses bedingungslose Glauben aus Gründen, auf die ich weiter unten noch einmal zurückkomme,
das Allerübelste an dieser Religion zu sein
scheint.
Man kann hierzu nur immer wieder die Worte von Max Born zitieren, die er 1964 in einem Vortrag auf der Nobelpreisträger-Tagung in Lindau sagte und die mir von ungeheurer Tragweite scheinen: »Ist doch der Glaube an eine einzige Wahrheit — und deren Besitzer zu sein — die tiefste Wurzel allen Übels auf der Welt.« Und gerade in diesem Sinne schien mir der ethische Wert echter Wissenschaft vor allem auf ihrer undogmatischen Haltung gegenüber Wahrheit und Irrtum zu beruhen, in dem Bewusstsein, dass Wahrheit ständig sich ändert, einfach weil jede neue Erkenntnis schon wieder den Keim zu einer Metamorphose ihrer selbst in sich trägt.
Zunehmende Kenntnis naturwissenschaftlicher Zusammenhänge macht so den Kosmos viel größer, dichter und vielschichtiger, so dass ich es nur noch als Anmaßung empfinden kann, wenn man sich über den Ursprung der Welt (falls es einen solchen gibt) oder über die absoluten ihr zugrundeliegenden Gesetze (falls es solche gibt) oder über die das Ganze steuernde Entelechie (falls es eine solche gibt) so detaillierte, definitive Vorstellungen macht, wie es die meisten Religionen tun. Wenn also schon die kleinen Einblicke, die mir mein Beruf gibt, das Weltbild bereits so ausweiten und als dynamisch, d. h. ständig sich verändernd zeigen, wie schief und willkürlich müssen dann diese bisher angebotenen statischen Weltbilder sein!
Ich wurde einmal in einem Fernsehinterview gefragt, worin ich den Sinn des Lebens sähe, und musste antworten, dass ich erstens nicht wisse, ob es überhaupt einen Sinn gibt, und dass ich ihn, selbst wenn es ihn gäbe, dann natürlich auch nicht durchschauen könne. Aus dem gleichen Grunde könne ich auch nicht sicher an einen Gott glauben oder an eine Entelechie, die alles durchdringt und leitet. Ich halte eine solche »Kraft«, die sich für die uns übersehbaren Zeiträume an ihre eigenen Gesetze zu halten scheint, lediglich für möglich, d. h. für im gleichen Sinne denkbar, wie dass es eine solche intelligente transzendente Kraft nicht gibt. Der unbedingte Glaube an die Nichtexistenz Gottes, ist mir, wie gesagt, genauso suspekt wie der unbedingte Glaube an seine Existenz.
Ich wurde auch gefragt, wie ich mir ohne eine dahinterstehende absolute Intelligenz den Ursprung des Kosmos, des Lebens, unseres Bewusstseins erkläre. Bereits diese Frage ist schon nicht mehr frei gestellt, sondern durch bestimmte Denkmechanismen gesteuert. Denn es ist durchaus möglich, dass lediglich die statistisch große Zahl unserer Gehirnzellen — wie immer bei statistisch großen Zahlen von Einzelteilchen — eine scheinbare (oder echte) Kausalität im Arbeiten dieser Zellen, also im Denken, auftreten lässt, die weder in der umgebenden Wirklichkeit noch in den einzelnen Zellen selber gegeben ist. Die Frage nach der Ursache — und damit letztlich der Zeitbegriff überhaupt — mag daher rein mechanisch aus den »kolligativen« Wechselwirkungen großer Zellzahlen entstehen, sie mag ausschließlich an diese gebunden sein und für die tatsächlichen Abläufe in der Welt völlig irrelevant sein.
Nun gut, wird man sagen, wenn Gott aber möglich ist, warum sollten wir nicht ruhig an ihn glauben? Doch
hier beginnt die Gefahr, liegt der Keim zur Intoleranz, zur Schaffung von Schuldgefühlen, zur plötzlichen Nutzung der Macht,
die auf dem Rücken von Schuldgefühlen ausgeübt werden kann. Denn
wenn es so etwas gibt wie eine alldurchdringende Kraft, einen Plan, eine eigene Informationswelt, aus der alles — und vor allem
das Leben — kommt, dann ist sie wahrscheinlich viel gewaltiger und andersartiger als all das, was uns die Religionen mit ihrem im Grunde vom
Menschen aus projizierten Gott bieten. Denn
von welchem Menschen gehen wir aus! Von dem, wie wir ihn gerade zu unserer Zeit
mit unserer wahrscheinlich noch recht primitiven Psychologie verstanden haben:
ein Gott, dem man danken soll, der beleidigt oder geschmeichelt sein kann, der
einem helfen soll, den man bedrängt usw. Doch einmal festgelegt, wird ein
solches Kunstgebilde zum Fetisch, zum Tabu mit allen bekannten Folgen.
Machen wir uns noch einmal klar, dass von dem in unseren Genen steckenden
Reservoir an Programmierungsmöglichkeiten, von dieser uns noch weitgehend
verschlossenen Geheimbibliothek erst ein paar Seiten aufgeschlagen sein mögen.
Wenn darin also schon Veränderungen und Möglichkeiten stecken, die
für uns unvorstellbar sind, um wieviel mehr wäre dann eine eventuelle allumfassende Intelligenz anders, als wir sie uns heute vorstellen können.
Da die Erkenntnis über uns und unsere Umwelt sich von Tag zu Tag ändert,
ist natürlich jeder Glaube, jede Religion um eine Stagnation gerade jener
Erkenntnis bemüht. Und die einmal festgelegte Momentaufnahme des seinerzeitigen
Erkenntnisstandes muss dann, um weiterhin als »absolute
Wahrheit« gelten zu können, mit unlauteren, immer stärker
die Wirklichkeit verletzenden Mitteln, kurz: mit Lüge verteidigt werden.
Ein durch die naturwissenschaftliche Betätigung geschultes Bewusstsein
kann dagegen die »absolute Wahrheit«
immer nur als Weg verstehen und niemals als erreichbares
Ziel. Das Suchen an sich, das nie endgültig findet, also das Gehen des
Weges selbst ist damit zum Ziel geworden. Ein Suchen, welches für mich
das Leben erst lebens- und liebenswert macht. S.314
- 318
Aus: Jan Brauers (Hrsg.), Mein Gottesbild, Fünfzig
Beiträge namhafter Autoren . ©1990 by nymphenburger in der F.A. Herbig
Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis der F.A.
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