Hans Vaihinger (1852 – 1933)
![]() |
Deutscher
Philosoph, der nach seinem Philosophie- und Theologiestudium
am Tübinger »Stift«, Leipzig und Berlin als Professor
in Straßburg (seit 1883) und Halle (seit 1906) lehrte. Vaihinger, der u. a. insbesondere von Kant und Schopenhauer
(Willen zum Leben) tief beeindruckt war, entwickelte die »Philosophie
des Als-Ob«, die im Wesentlichen eine eigenständige
deutsche Variante des angelsächsischen Pragmatismus darstellt. Nach Vaihingers Philosophie kommt jegliche Erkenntnis
als hypothetische Fiktion (Fiktionalismus) zustande.
Ihr Wahrheitsgehalt bemisst sich allein an ihrem
(subjektiven) praktischen Lebenswert (Pragmatismus).
Eine objektive Wahrheit im Sinne der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit
wird für unmöglich gehalten. Bekannt wurde
Vaihinger auch als Kantforscher, in
dem er einen zweibändigen »Kommentar
zu Kants Kritik der reinen Vernunft« verfasste und die seit
1897 regelmäßig erscheinenden »Kant-Studien« sowie die »Kant-Gesellschaft« gründete. |
Inhaltsverzeichnis
Das Wesentliche in der Philosphie des Als-Ob , Gott als religiöse Fiktion ,
Das
Wesentliche in der Philosophie des Als-Ob
Gelegentlich ist nun auf die »Philosophie des
Als Ob« und ihre systematische Überzeugung der Ausdruck »Skeptizismus« angewendet worden. Mit
Unrecht: Skeptizismus heißt eine Lehre, welche das Zweifeln
oder Bezweifeln zum Prinzip erhebt. In der Philosophie
des Als Ob ist aber nirgends eine solche Richtung eingeschlagen:
es wird in einfacher und direkter Untersuchung nachgewiesen, dass in allen Wissenschaften bewusst
falsche Begriffe und Urteile angewendet werden und es wird gezeigt, dass solche wissenschaftlichen Fiktionen von Hypothesen scharf zu unterscheiden sind, letztere sind Annahmen, welche wahrscheinlich sind, Annahmen,
deren Wahrheit eventuell durch weitere Erfahrungen erwiesen
werden kann, sie sind also verifizierbar. Fiktionen aber sind
niemals verifizierbar, denn sie sind ja Annahmen, von deren Falschheit der Annehmende
von vornherein überzeugt ist, die er aber um ihrer Brauchbarkeit willen
anwendet.
Wenn nun auf diese Weise eine Reihe von Annahmen in der Mathematik, in der Mechanik,
in der Physik, in der Chemie aber auch in der Ethik und in der Religionsphilosophie
sich als brauchbare Fiktionen herausstellen und als solche sich Geltung
verschaffen, so liegt darin doch kein Skeptizismus.
Denn es wird ja nicht an der Realität jener Annahmen gezweifelt, sondern
die Realität derselben wird negiert auf Grund der positiven Tatsachen der
Erfahrung. Man könnte eher den Ausdruck »Relativismus«
auf die Philosophie des Als Ob anwenden,
insofern sie überall alle absoluten Punkte (sowohl
im mathematischen als metaphysischen Sinn) negiert, und insofern zur
Relativitätslehre sowohl der Vergangenheit als der Gegenwart eine natürliche
Verwandtschaft hat.
Bei der Anwendung der Bezeichnung »Skeptizismus«
auf die Philosophie des Als Ob hat man
teilweise wohl zum Ausdruck bringen wollen, daß sie die metaphysischen
Realitäten, besonders Gott und Unsterblichkeit in Zweifel ziehe. Aber auch hier gilt dasselbe wie oben: die Philosophie
des Als Ob hat nirgends ein Hehl daraus gemacht, dass sie diese
Begriffe als ethisch wertvolle Fiktionen betrachte.
Auch hierin ist ihre Überzeugung klar, einfach und entschieden.
Mancher verwechselt freilich die hierher gehörigen Fachausdrücke und meint
wohl in der Philosophie des Als Ob nicht
eigentlich »Skeptizismus«, sondern
»Agnostizismus« zu finden: letzterer
lehrt ja, daß unser menschliches Erkennen auf mehr oder minder enge Grenzen
eingeschränkt sei und spricht vom »Unerkennbaren«,
vom Unknowable im Sinne von Spencer; dass dem
Erkennen gewisse Grenzen gezogen sind, lehrt natürlich auch die Philosophie des Als Ob.
Aber nicht in dem Sinne, dass diese Grenzen nur das menschliche Erkennen einengen, dass aber einem übermenschlichen
Erkennen jene Grenzen nicht gezogen seien. Letzteres ist eben die Lehre
von Kant und von Spencer:
es ist die alte Klage, daß der menschliche Geist
an enge Schranken gebunden sei, von denen höhere Geister nicht eingeengt
seien.
Meiner Meinung nach liegen aber jene Grenzen des Erkennens nicht
in der spezifischen Natur des Menschen im Gegensatz zu eventuell anderen höheren
Geistern, sondern jene Schranken liegen in der
Natur des Denkens überhaupt, d. h. sie müßten, wenn es höhere Geister gebe, auch diese und sogar
den höchsten Geist begrenzen. Denn das
Denken dient ursprünglich nur dem Willen zum Leben, als
Mittel zum Zweck, und erfüllt auch nach dieser Seite hin seine Bestimmung.
Nachdem aber das Denken nach dem Gesetz der Überwucherung
des Mittels über den Zweck sich von seinem ursprünglichen
Zwecke losgerissen und sich zum Selbstzweck gemacht
hat, stellt es sich auch Aufgaben, denen es nicht gewachsen
ist, weil es selbst überhaupt nicht für sie gewachsen ist,
und schließlich stellt sich das so emanzipierte Denken Aufgaben, die in
sich selbst sinnlos sind, wie z. B. die Fragen
nach dem Ursprung der Welt, nach der Entstehung dessen, was wir Materie nennen,
nach dem Anfang der Bewegung, nach dem Sinne der Welt und nach dem Zweck des
Lebens.
Betrachtet man das Denken als eine biologische Funktion, so erkennt man, daß das Denken sich damit unmögliche Aufgaben stellt und über seine natürlichen Grenzen die jedem Denken als solchen
gezogen sind, hinausstrebt. Von diesem Standpunkt aus haben wir natürlich
auch keine Veranlassung zu der beliebten alten Klage über die Grenzen des
menschlichen Erkennens. Wir können höchstens darüber klagen,
daß wir durch das Gesetz der Überwucherung, des Mittels über
den Zweck verführt werden, Fragen zu stellen, die so unbeantwortbar
sind, wie die Frage nach der Wurzel aus -
i. Außerdem lehrt ja eine einfache
Überlegung, daß alles Erkennen eine Zurückführung
des Unbekannten auf Bekanntes bzw. ein Vergleichen ist. Daraus
ergibt sich also, daß dieses Vergleichen bzw. jenes Zurückführen
irgendwo ein natürliches Ende findet. In keinem
Sinne ist also die Philosophie des Als Ob
Skeptizismus oder Agnostizismus
zu nennen.
In ähnlicher Weise erledigt sich auch der Vorwurf, der gegen die Philosophie
des Als Ob erhoben worden ist, nämlich, daß der in ihr
vertretene Wirklichkeitsbegriff nicht einheitlich sei: auf der einen Seite werde
alle Wirklichkeit zurückgeführt auf die Empfindungen
bzw. die Empfindungsinhalte (im Sinne der Lehre
Mills von den »Sensations
and possibilities of sensations«), auf der anderen Seite werde
doch immer wieder der naturwissenschaftliche Wirklichkeitsbegriff,
der alles auf Bewegungen von Massen und Massenteilchen zurückführe, bald stillschweigend, bald ausdrücklich benützt. Und so wird daran
die Frage geknüpft, wie sich denn diese beiden Wirklichkeitsbegriffe der Philosophie des Als Ob zur Einheit bringen
lassen?
Man könnte den Scharfsinn jener Entdeckung eines
doppelten Wirklichkeitsbegriffes in der Philosophie
des Als Ob bewundern, wenn man nicht über die Kurzsichtigkeit
der sich daran anschließenden Frage erstaunt sein müßte. Ich
erlaube mir eine Gegenfrage: ist es denn überhaupt jemals einem philosophischen
System älterer, neuerer oder neuester Zeit, gelungen diese beiden
Sphären in ein logisch rationales Verhältnis zu bringen? Jene
beiden Hemisphären der Wirklichkeit, kurz gesagt, einerseits
die Welt der Bewegung andererseits die Welt des Bewußtseins, sind
noch niemals von irgendeinem Philosophen in ein logisch befriedigendes Verhältnis
gebracht worden. Niemals werden sie auch durch eine rationale Formel in definitiv
einheitlichen Zusammenhang gebracht werden.
Wir stehen hier wieder an einem Punkte, an welchem der Verstand
sich eine unmögliche Aufgabe stellt. Diese Frage
ist auf rationalem Wege ebensowenig zu beantworten, wie die Frage
nach dem Ursprung der Welt oder die Frage nach dem Zweck des Daseins. Trotzdem
wir selbst, die Fragenden, jene beiden Hälften der Wirklichkeit in uns
dauernd vereinigen, oder vielmehr, eben weil der Riß bzw. der scheinbare
Widerspruch zwischen Bewegung und Bewußtsein durch unser eigenes Wesen
geht, ist unser Verstand nicht in der Lage, jene
Grundfrage oder jenes sog. Welträtsel befriedigend zu beantworten.
Wer also einem philosophischen System überhaupt oder speziell der
Philosophie des Als Ob den Vorwurf macht, diese Frage nicht gelöst
zu haben, der steht auf derselben Höhe des Geistes wie derjenige, der gegen
einen Mathematiker den Vorwurf erhebt, er habe in seinem Lehrbuch der Geometrie
das Problem der Quadratur des Kreises nicht gelöst
oder gegen einen Techniker, er habe in seinem Lehrbuch der Maschinenkunde die
Konstruktion des Perpetuum mobile vergessen.
Bei der Erörterung der letzten Weltfragen stößt man immer wieder
auf diesen rational unlösbaren Gegensatz einerseits
der Bewegungen von Massen und Massenteilchen und
andererseits der Empfindungen bzw. der Bewußtseinsinhalte. Für den Philosophen, der sich mit der Analyse unserer Bewußtseinsinhalte
beschäftigt, endigt diese Analyse überall psychologisch mit unseren
Empfindungen, erkenntnistheoretisch mit unseren Empfindungsinhalten. Ihm ist
die Welt eine unendliche Häufung von Empfindungsinhalten,
die aber nicht regellos ihm und uns gegeben werden, sondern in denen gewisse
Regelmäßigkeiten des Zusammenseins und der Abfolge vorhanden sind.
Diese Empfindungsdata, oder wie Windelband sich ausdrückt, die »Gegebenheiten«, oder wie Ziehen
es nennt, die »Gignomene« oder diese
Begebenheiten drängen sich uns mehr oder minder unwiderstehlich auf, ja,
sie üben einen dauern den Terror auf uns aus: wir müssen uns nach
ihnen bzw. nach ihrem zu erwartenden Eintreten richten. Diese Welt
der Empfindungsinhalte ist das Material, mit dem der Philosoph als solcher einzig
und allein rechnen kann. Aber andererseits muß der Philosoph nun
sich auch wohl oder übel damit abfinden, daß der Naturwissenschaftler
eine ganz andere Wirklichkeitssphäre konstruiert, die Welt der Bewegungen,
die bewegte Welt. Ein rationales Verhältnis zwischen diesen beiden
Welten herzustellen, ist ein unmögliches Verlangen
unseres Verstandes, der ja eben von Hause aus gar nicht zur theoretischen
Lösung der Welträtsel bestimmt ist, sondern zur praktischen Unterstützung des Willens zum Leben.
Natürlich quält nun den menschlichen Verstand jener unlösbare
Widerspruch zwischen Bewegungswelt und Bewußtseinswelt und diese
Qual kann auf die Dauer sehr lästig werden. Man wird gut tun, sich daran
zu erinnern, daß schon Kant darauf hingewiesen
hat, daß es Fragen gibt, die uns ewig äffen und die wir doch nicht los werden. Aber es gibt eine Erlösung von solchen
und ähnlichen quälenden Fragen des Verstandes: in der Anschauung und im Erleben verschwindet der ganze quälende Gegensatz
zu nichts. Erlebnis und Anschauung sind höher als alle menschliche Vernunft. Wenn ich ein Reh im Walde äsen sehe, wenn ich ein Kind spielen sehe,
wenn ich einen Mann bei seiner Arbeit oder beim Sport sehe, vor allem aber,
wenn ich selbst arbeite oder selbst spiele —, wo sind dann jene Rätsel,
mit denen sich unser Verstand unnötig abquält? Wir
begreifen die Welt nicht, indem wir über ihre Rätsel nachdenken, sondern
indem wir an ihr arbeiten. Auch hier macht sich also wieder der
Primat des Praktischen geltend.
Alle Überzeugungen nun, welche in der Philosophie
des Als Ob zum Ausdruck gebracht werden oder ihr zugrunde liegen
oder sich aus ihr ergeben, fasse ich zum Schlusse in folgenden Thesen
zusammen.
1. Die philosophische Analyse
führt Erkenntnis theoretisch in letzter Linie auf Empfindungsinhalte, psychologisch auf Empfindungen, Gefühle und Strebungen
bzw. Handlungen. Auf einen anderen Wirklichkeitsbegriff führt die naturwissenschaftliche Analyse, auf Massen und deren kleinste
Teile und deren Bewegungen. Es ist dem Verstande als solchem naturgemäß
unmöglich, diese beiden Wirklichkeitssphären in ein rationales Verhältnis
zu bringen, die aber in der Anschauung und im Erleben eine harmonische Einheit
bilden.
2. Die wahrscheinlich schon in
den elementarsten physischen Vorgängen vorhandenen
Strebungen summieren sich in den organischen Wesen
zu Trieben, die sich schon bei den höheren Tieren, vollends aber
bei den aus den Tieren entstandenen Menschen zum Willen
und zum Handeln entwickeln, das sich in Bewegungen äußert und durch Reize bzw. durch die durch Reize entstandenen Empfindungen
hervorgerufen wird.
3. Dem Willen
zum Leben und zum Herrschen dienen als Mittel die
Vorstellungen, Urteile und Schlüsse, also das Denken. Das Denken
ist somit ursprünglich nur ein Mittel im Kampf ums Dasein und insofern
nur eine biologische Funktion.
4. Es ist eine allgemeine
Naturerscheinung, daß Mittel, die einem Zwecke dienen, öfters eine stärkere Ausbildung
erfahren, als es nötig wäre zur Erreichung
ihres Zweckes. Dann können solche Mittel, je stärker sie selbst
als solche ausgebildet werden, sich von ihrem Zwecke ganz
oder zum Teil emanzipieren und sich als Selbstzwecke etablieren (Gesetz
der Überwucherung des Mittels über den Zweck).
5. Diese Überwucherung des
Mittels über den Zweck ist auch eingetreten bei dem Denken, das im Laufe der Zeit sich immer mehr von seinem ursprünglichen
praktischen Zwecke entfernt hat und schließlich als theoretisches Denken
um seiner selbst willen ausgeübt wird.
6. Infolgedessen stellt sich dieses
anscheinend unabhängige, anscheinend ursprünglich
theoretische Denken Aufgaben, die nicht bloß dem menschlichen Denken,
sondern jedem Denken überhaupt unmöglich sind,
z. B. die Fragen nach dem Ursprung und nach dem Sinn der
Welt. Hierher gehört auch die Frage nach dem
Verhältnis von Empfindung und Bewegung, populär gesprochen von Seelischem
und Materiellem.
7. Solche aussichtslosen,
streng genommen auch einsichtslosen Fragen
sind nicht nach vorwärts,
sondern nur nach rückwärts aufzulösen,
indem man zeigt, wie diese Fragen psychologisch in uns entstanden sind. Solche
Fragen sind zum Teil so sinnlos, wie z. B. die Frage nach der Wurzel
aus - i.
8. Wenn man die Annahme einer
ursprünglichen theoretischen Vernunft als eines eigenen menschlichen Vermögens
mit eigenen eben für dies Vermögen bestimmten Aufgaben als Intellektualismus
oder als Rationalismus bezeichnet, so ist das hier Vorgetragene als Antirationalismus
oder auch als Irrationalismus zu bezeichnen, in demselben Sinne, in welchem
die Geschichte der neueren Philosophie, z. B. von Windelband,
von »idealistischem Irrationalismus«
spricht.
9. Von diesem Standpunkte aus
erscheinen alle Denkvorgänge und Denkgebilde
von vornherein nicht als in erster Linie rationalistische, sondern als biologische
Phänomene.
10. Viele Denkvorgänge und
Denkgebilde zeigen sich nun unter dieser Beleuchtung als bewußt falsche Annahmen, die entweder der
Wirklichkeit widersprechen oder sogar in sich
selbst widerspruchsvoll sind, die aber absichtlich so gemacht werden,
um durch diese künstliche Abweichung Schwierigkeiten
des Denkens zu überwinden und auf Umwegen
und Schleichwegen das Denkziel zu erreichen. Solche künstliche Denkgebilde
heißen wissenschaftliche Fiktionen, die durch ihren Als-Ob-Charakter
sich als bewußte Einbildungen kennzeichnen.
11. Die so entstehende Als-Ob-Welt,
die Welt des »Irrealen«, ist ebenso
wichtig, ja, für das Ethische und Ästhetische viel wichtiger, als
die Welt des im gewöhnlichen Sinne des Wortes sog. Wirklichen oder Realen.
Jene ästhetische und ethische Als-Ob-Welt,
die Welt des Irrealen, wird für uns schließlich
zu einer Welt der Werte, die sich, besonders in
der Form einer religiösen Welt,
der Welt des Werdens in unserer Vorstellung schroff gegenüberstellt.
12. Was wir gewöhnlich das
Wirkliche nennen, besteht aus unseren Empfindungsinhalten,
die sich uns mit größerer oder geringerer Unwiderstehlichkeit gewaltsam
aufdrängen, und als Gegebenheiten von uns für gewöhnlich nicht
abgewiesen werden können.
13. In diesen gegebenen Empfindungsinhalten
zu denen auch das gehört, was wir unseren Körper
nennen, herrscht eine Fülle von Regelmäßigkeiten
in Koexistenz und Sukzession, deren Erforschung den Inhalt der Wissenschaften
bildet. Vermittelst derjenigen Empfindungsinhalte, die wir unseren Körper nennen, können wir auf die reiche Welt der
übrigen Empfindungsinhalte einen mehr oder minder großen Einfluß
ausüben.
14. In dieser Welt zeigen sich uns einerseits überaus viele
Zweckmäßigkeitsbeziehungen, andererseits überaus vieles Unzweckmäßige.
Das müssen wir hinnehmen, so wie es ist, denn nur Weniges können wir
ändern. Für Viele ist es eine befriedigende
Fiktion, die Welt so zu betrachten, als ob ein
vollkommen höherer Geist sie geschaffen oder wenigstens eingerichtet
hätte. Aber das erfordert dann die ergänzende
Fiktion, eine solche Welt so zu betrachten, als ob die durch jenen höheren
göttlichen Geist geschaffene Ordnung durch eine entgegengesetzte Kraft
gestört werde.
15. Nach einem Sinn der Welt zu
fragen, hat keinen Sinn, es gilt das Wort von Schiller: »Wisset, ein erhabner Sinn legt das Große in das Leben, und er sucht
es nicht darin.« (,,Huldigung der Künste“ 1805.) Dies ist positivistischer Idealismus.
Der Verbreitung und Vertiefung dieses positivistischen Idealismus oder idealistischen
Positivismus dienen die von mir im Vereine mit Dr. Raymund
Schmidt im Jahre 1919 neugegründeten »Annalen
der Philosophie mit besonderer Rücksicht auf die Probleme der Als Ob Betrachtung«. Diese Zeitschrift stellt insofern einen ganz neuen Typ dar, als an ihrer
Herausgabe nicht bloß Fachphilosophen (Cornelius,
Groos, Becher, Bergmann, Koffka, Kowalewski) beteiligt sind, sondern
auch hervorragende Vertreter der wichtigsten Einzelwissenschaften: der Theologe
Heim, der Jurist Krückmann, der Mediziner
Abderhalden, der Mathematiker Pasch, der Physiker
Volkmann, der Biologe Botaniker Hansen
(verstorben), der Nationalökonom Pohle,
der Kunsthistoriker Lange. Dadurch wird zum Ausdruck
gebracht, daß die Philosophie nur im engsten Zusammenwirken mit den Einzelwissenschaften
gedeihen kann und daß die Philosophie, wenn sie auch den Einzelwissenschaften
Manches geben kann, doch noch viel mehr von ihnen zu lernen hat. Aus dieser
Wechselwirkung wird auch erst eine fruchtbare und dauernde Vermittlung und Versöhnung
des Positivismus und des Idealismus entstehen können, wie sie wenigstens
im Prinzip und der Absicht nach von der »Philosophie
des Als Ob« angestrebt wird. Die kritische Untersuchung der
Anwendung der verschiedenen Methoden der Als Ob Betrachtung in den verschiedensten Einzelwissenschaften soll einerseits der Förderung
der wissenschaftlichen Methodenlehre dienen. Es soll aber andererseits gleichzeitig
der richtige Weg gefunden werden, auf welchem der Positivismus der Tatsachen
mit dem »Standpunkte des Ideals« (F.
A. Lange} in haltbarer Weise verbunden werden kann. Jene Analyse und
diese Synthese sollen sich gegenseitig ergänzen. S.22ff.
Aus: Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen.
Herausgegeben von Dr. Raymund Schmidt.
Zweiter Band: Erich Adickes / Clemens Baeumker / Jonas Cohn / Hans Cornelius
/ Karl Groos / Alois Höfler / Ernst Troeltsch / Hans Vaihinger . Leipzig
/ Verlag von Felix Meiner / 1921
Gott
als religiöse Fiktion
Im Kantischen Sinne, im Sinne der kritischen Philosophie beißt der Ausdruck »ich glaube an Gott«, nichts anderes
als: »ich handle so, als ob es einen Gott wirklich
gäbe«; in dem der Kantisch- und Kritisch-Denkende sittlich
handelt, handelt er so, als ob das Gute einen unbedingten
Wert in der Welt hätte, derart, daß es das Entscheidende in
der Welt wäre; und das Gute wäre das Entscheidende
in der Welt, wenn es eine Weltregierung gäbe, welche das Gute auch zum
Siege führen würde.
Trotzdem zuletzt mir meine theoretische Vernunft verbietet, eine solche
moralische Weltordnung anzunehmen — ein solcher Begriff ist gänzlich
leer —, so handle ich doch so. als ob es eine solche
moralische Weltordnung geben würde, da mir meine praktische Vernunft gebietet,
das Gute unbedingt zu tun; indem ich diesem Gebot der praktischen Vernunft folge,
handle ich streng genommen, theoretisch unvernünftig; denn meine
theoretische Vernunft sagt mir, daß eine solche moralische Weltordnung
nur ein leerer. wenn auch schöner Begriff ist; aber ich finde nun einmal
in mir das Gebot der praktischen Vernunft, das Gute zu
tun, und dies Gebot imponiert mir als etwas Erhabenes. Ich handle nach
diesem Gebot. Aber indem ich darnach handle, handle ich gerade so, als ob ich
jene theoretisch als unmöglich, ja als widerspruchsvoll erkannte Annahme
einer moralischen Weltordnung machen würde; nicht in dem Sinne. daß
diese mir jenes Gebot gäbe; bewahre: daran denkt meine Seele gar nicht; jenes Gebot gefällt uns, imponiert uns um seiner selbst willen, jenes Gebot
ist eben Inhalt meiner praktischen Vernunft; also dem normal sittlich angelegten
Menschen ist die moralische Weltordnung, resp. der moralische Weltordner,
d. h. Gott ganz und gar nicht eine Voraussetzung für seine freiwillige Unterwerfung unter jenes Sittengebot.
Aber indem jener Kantische Normalmensch jenes Sittengebot ausführt, handelt
er ja gerade so, als ob diese Ausführung des Sittengebotes gewissermaßen
nicht bloß eine empirische Folge in der Zeit hätte, in der Erscheinungswelt,
sondern so, als ob jene moralische Handlung in eine intelligible, übersinnliche Welt hineinreichte und einerseits mitwirkte zur Erreichung
eines allgemeinen köstlichen ewigen höchsten Gute. überhaupt
und andererseits durch eine göttliche Macht in ein System der Zwecke selbst
zweckmäßig eingefügt würde. Das unbedingt sittlich-gute
Handeln ist seiner Natur nach immer und überall so: denn sittlich handeln
heißt eben, entgegen den empirischen Bedingungen so handeln, als ob das
Gute einen unbedingten Wert hätte, als ob es die Macht hätte, in eine überempirische Welt hineinzureichen, in
der ein oberster Weltherrscher für
die Harmonie des Guten und des Bösen sorgte. In diesem Sinne ist
gutes Handeln identisch mit Glauben an Gott und Unsterblichkeit.
In diesem Sinne glaubt also auch der sittlich handelnde
theoretische Atheist an Gott und Unsterblichkeit praktisch, indem er
eben so handelt, als ob es Gott und Unsterblichkeit gäbe. Jedes sittliche
Handeln schließt also eben damit die Fiktion
von Gott und Unsterblichkeit in sich ein — dies ist der
Sinn des praktischen Vernunftglaubens an Gott und Unsterblichkeit.
Aus: Hans Vaihinger, Die Philosophie des Als Ob, 5.
u. 6. Auflage, Leipzig. Felix Meiner, 1920. S. 684ff.
Entnommen aus: Georg Wobbermin, Religionsphilosophie,
5. Band der Quellen-Handbücher der Philosophie, Pan Verlag Rolf Heise –
Berlin 1925 (S.213ff.)