Hermann Carl Usener (1834 – 1905)

Deutscher Religionsphilosoph und klassischer Philologe, der mit Wilhelm Dilthey verschwägert war und sich u. a. intensiv mit der mythologischen und religiösen Begriffsbildung beschäftigt hat.

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Von der Dreiheit zur Dreieinigkeit
Das christliche Dogma von der Dreieinigkeit Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes ist nicht geoffenbart, sondern geworden, hervorgewachsen unter der Wirkung desselben Keimtriebs, den wir in den Religionen des Altertums walten sahen. Die göttliche Dreiheit war schon im zweiten Jh. Glaubenssatz geworden; sie würde sich durchgesetzt. haben, auch wenn die dritte Person in anderer Weise hätte ergänzt werden müssen. Wir hören von Gnostikern es aussprechen: »Wer da sagt, dass das All aus Einem bestehe, der irrt; wer da sagt, es bestehe aus Dreien, der spricht wahr und wird über das All den Nachweis erbringen« (Naassener bei Hippol. 5, 8 p. 150, 35).

Der Schritt von der Dreiheit zur Dreieinheit war unvermeidlich, aber man hat gezögert ihn zu tun. In einem semiarianischen Glaubensbekenntnis von 341 wird er versucht, als Glaubensregel scheint die Dreieinheit zuerst in einer Verfügung des K
aiser Theodosius 380 verkündigt worden zu sein. Die Fragen über das Verhältnis der drei Personen zu einander waren im Laufe des IV. Jahrh. brennend geworden, sie halfen seit dem IX. Jh. die Spaltung der römischen und griechischen Kirche unheilbar zu machen, und haben bis heute theologischem Scharfsinn und mystischer Versenkung unversieglichen Stoff geboten. Und es wird immer so bleiben, bis die Einsicht durchdringt, dass das Dogma ein richtiges Mythologem ist, das menschliche Vernunft in unlösbare Widersprüche verwickeln muss.

Das neue Testament weiß nur von Gott dem Vater und dem Sohne; der heilige Geist ist eine Erscheinungsform Gottes, so des Vaters wie des Sohnes.

Dem Herzen des Volks ist diese dritte Person der Dreifaltigkeit nie näher getreten. Selbst die altkirchlichen Taufsymbole verraten ihr gegenüber eine gewisse Verlegenheit, indem sie in den dritten Artikel die verschiedenartigsten Dinge hineintragen, die allgemeine Kirche, Sündenvergebung, Auferstehung, ewiges Leben. Verschiedene Wege konnten unabhängig von einander zu demselben Ziele führen, den h. Geist als selbständige Form der Gottheit zu fassen und dem Vater und Sohn gleichzustellen. Sowohl das Bewusstsein von den Wirkungen des Geistes wie die kirchliche Gestaltung des Taufakts drängten dazu. Und was von verschiedener Seite gefordert wurde, konnte leichter Anerkennung finden.

Die Begeisterung und Erleuchtung, womit es das Heil erfasst und verkündet, hat dem apostolischen Zeitalter ein starkes Bewusstsein vom Walten des h. Geistes gegeben. Allenthalben kommt es in den Briefen zum Ausdruck. Mit dem gläubigen Vertrauen auf Gott und die Verheißungen des Erlösers steigt unwillkürlich der Gedanke an den Geist auf, durch den und in dem das alles für den einzelnen und die Gemeinde lebendig wird. Den zweiten Korintherbrief schließt Paulus mit dem Gruße: »Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes (sei) mit euch allen«.

Während Christus und Gott als Besitzer der genannten Gaben, der Gnade und der Liebe, gemeint sind, wird an dritter Stelle der enge einheitliche Zusammenhalt der Gemeinde in göttlichem Geiste gewünscht: der letzte Genetiv hat eine andere Wertung als die vorangehenden, das letzte Glied ist also nur scheinbar und formell den anderen gleichartig. Auffallender ist es, wenn im ersten Korintherbrief 12, 4 f. die Gnadengaben des Geistes, die Dienstleistungen für den Herrn und die Kraftwirkungen Gottes zusammengestellt werden. Mit Rücksicht auf eine Strömung in der Gemeinde von Korinth spricht Paulus dort (c. 12) von den Kundgebungen des Geistes, und sucht von ungerechtfertigter Bevorzugung einzelner, wie des Sprechens in Zungen usw., abzumahnen, indem er die Gnadengaben des Geistes als gleichberechtigt erweist.

Aber nicht der Geist als solcher verleiht diese Gnadengaben, vielmehr Gott selbst, wie im weiteren Verlauf (12, 28) ausdrücklich hervorgehoben wird.
Obwohl also dem Apostel die göttlichen Begriffe unwillkürlich zu einer Dreiheit zusammenschießen, in der die entwickelte Dreieinheitslehre sich wiederfinden konnte, ist er selbst weit davon entfernt, eine Dreiheit göttlicher Personen aufstellen zu wollen. Und das gleiche Ergebnis gewinnt man bei der Betrachtung der anderen Briefstellen, die angezogen werden (Ephes. 4, 5f. 1. Petr. 1, 2. Judae 20f.). Aber in der nachapostolischen Zeit scheint Ignatius (Magnes. 13 Ephes. 9) bereits Zeugnis für die drei Personen abzulegen, während Clemens (I Kor. 46, 6) den zwei Personen des Vaters und Sohns zwei Personikationen, Geist und Liebe gegenüberstellt.

Da die Stelle des ersten Johanneischen Briefs 5, 7 f. eine anerkannte Fälschung ist, so bleibt als erstes und einziges vollwichtiges Bibelzeugnis für die Dreieinigkeit der Taufbefehl Christi an seine Jünger bestehn, am Schlusse des Matthäusevangeliums 28, 19: »Gehet hin und unterweiset alle Völker und taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des h. Geistes, und lehret sie alle meine Gebote halten«.

Durch Conybeare ist unlängst festgestellt worden, dass noch Eusebios in den vor dem Nicaenischen Konzil verfassten Schriften keine Kenntnisse dieser trinitarischen Formel verrät, sondern, so oft er auch auf diese Stelle zurückkommt, immer nur folgenden Wortlaut anführt: »Gehet hin und unterweiset alle Völker in meinem Namen, und lehret sie alle meine Gebote halten«. Sogar noch in der nach 335 redigierten Tricennalrede auf Constantin wendet er diese ursprüngliche, ihm von früher geläufige Textgestalt an. Auch der genaueste Bibelkenner Origenes hat vielleicht die Stelle nicht anders anerkannt. In den Kirchen des Westens war die uns überlieferte Erweiterung zuerst in den Text des Evangeliums gedrungen schon im zweiten Jahrh., aus der kirchlichen Praxis heraus. Von den griechischen Vätern kennen sie nur solche, die mit einer westlichen Kirche in Verbindung standen, wie Justinus und Irenäus. Der theologische Austausch, den das Konzil von Nikaia brachte, hat also die Wirkung gehabt, die allgemeine Aufnahme der okzidentalischen Interpolation in die griechischen Handschriften durchzusetzen.

Es darf nicht Zufall heißen, dass bei der Taufe die Drei¬faltigkeit zuerst auftritt. Die Taufe ist in der ältesten christlichen Kirche, so lange als die Liturgie noch nicht dem Taufwasser sakramentale Kraft verlieh, lediglich eine Handlung äußerer und durch die äußere innerer Reinigung gewesen, und als solche aus dem Brauch des klassischen Altertums übernommen worden. Wie die Besprengung bzw. Bekreuzigung mit Weihwasser, so musste die Eintauchung bei der Taufe dreimal erfolgen, genau nach dem vorchristlichen Herkommen, und wenn man anfangs und später in einzelnen Kreisen, im Gegensatz gegen das Heidentum und nachher gegen Sekten, auf den Namen oder den Tod Christi nur einmal eintauchte, so musste doch die eingewurzelte Vorstellung, dass für alle religiösen, vorab für lustrale Handlungen die Dreizahl unerlässlich sei, sich schon von Anfang an vieler Orten geltend machen und schließlich durchdringen. Man ist. dabei nicht stehen geblieben. Die ganze Liturgie der Taufe ist beherrscht von der Dreizahl. Wer sich davon einen Begriff machen will, der lese beispielsweise die übersichtliche Schilderung, welche Symeon von Thessalonike von den Taufzeremonien der griechischen Kirche entwirft (bei Migne PG. 155, 212 ff.).

Die apostolische Taufe auf den Namen Christi ist in einzelnen Gemeinden lange festgehalten worden; zu Rom ist sie trotz den Zeterworten Cyprians noch im dritten Jh. und darüber hinaus, wenn auch nicht mehr ausgeübt, doch als gültig anerkannt worden. Aber der scharfe Gegensatz gegen die Vielgötterei, deren bisherige Anhänger durch die Taufe in die christliche Gemeinschaft aufzunehmen waren, musste frühzeitig dazu drängen, nicht bloß auf Christus, sondern auch auf den Glauben an einen Gott zu verpflichten. Da die Zahl der Eintauchungen gegeben war, so wurde ein dritter Gegenstand des Glaubens unerlässlich zur dritten Eintauchung.

Die von der Liturgie gebieterisch geforderte dritte Person fand man in dem heiligen Geiste. Es ist wohl nicht zu verwegen, wenn ich es als unmöglich bezeichne, dass man von dem Wortlaut des griechischen Textes je hätte zu dieser Ergänzung gelangen können: nicht nur dass deutliche Zeugnisse erwiesen, dass der Geist nicht als eine besondere Form der Gottheit gedacht war, allein schon das neutrale Geschlecht des griechischen Wortes … erlaubte es nicht den Geist auf eine Stufe neben Vater und Sohn zu setzen. Durch die Besiegelung, die mittels Handauflegung und (zeitig hinzugetretener) Salbung erfolgt, wird der Täufling schon in der apostolischen Zeit des h. Geistes teilhaftig: zwischen dieser Beteiligung des h. Geistes bei der Taufe und seiner Erhebung zu einer Person der Trinität lag eine weite Kluft.

Aber die Sprache der Judenchristen, soweit sie nicht zu den Hellenisten zählten, war aramäisch und die hebräische war ihnen aus der h. Schrift geläufig, in aramäischer Sprache war auch die erste Niederschrift des Evangeliums durch Matthäus gehalten. Der Geist heißt aber aramäisch rucha, hebr. ruach und ist weiblichen Geschlechts. Durch die Einführung eines weiblichen h. Geistes war eine ganz veränderte Grundlage geschaffen. Schon das aramäische Evangelium, das die Ebioniten benutzten und noch Hieronymus einer Übersetzung ins Lateinische wert hielt, hatte darauf weiter gebaut. In einer öfter angeführten Stelle waren Jesu die Worte in den Mund gelegt: »Eben hat mich meine Mutter, der h. Geist, an einem meiner Haare ergriffen und auf den großen Berg Thabor getragen«. Damit war unmittelbar der Anstoß zur Bildung einer Dreieinheit gegeben, die sich durch ihre natürliche Zusammensetzung »Vater Mutter Sohn« empfahl.

Man hat diesen Schritt alsbald getan, und eben diese Formulierung ist uns bezeugt. Sie hatte bereits, bevor das griechische Evangelium durchdrang, einen gewissen Bestand gewonnen und Verbreitung erlangt. In die meisten gnostischen Systeme ist dieser weibliche Geist übernommen worden, als Achamoth, Sophia, Prunikos usw. Auch den Mandäern ist, worauf mich Nöldeke aufmerksam macht, die Ruhâ als Mutter des Msihâ (Messias) zugekommen, nur haben beide sich ihnen zu bösen Geistern verschoben. Die auf die Schule des Bardesanes weisenden Akten des Apostels Thomas enthalten zwei Epiklesen des h. Geists, eine für die Taufe (c. 27), die andere für die Eucharistie (c. 46 f.), beide mit neunmaliger Anrufung: die Anrufungen sind meist in weiblichem Geschlecht gehalten, und wiederholt wird der »Mutter« gedacht, in der ersten: »Komm du erbarmungsvolle Mutter« und »Komm du Mutter der sieben Häuser«, in der zweiten: »Komm du geheimnisvolle Mutter«; und da mythologisches Denken um Widersprüche wenig bekümmert zu sein pflegt, brauchen wir nicht gleich orthodoxe Interpolation zu wittern, wenn die erste Epiklese mit der Anrufung schließt: »Komm heiliger Geist und reinige ihnen Nieren und Herz, und besiegle sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des h. Geistes«.

Die von einem Schüler Valentins Marcus gegründete, zur Zeit des Irenäus im südlichen Gallien sehr verbreitete Sekte der Markosier hielt an zwei Weihen fest; die niedere, die Taufe bezeichneten sie als das Werk des sichtbaren Jesus zur Vergebung der Sünden; die höhere, die Erlösung als das Werk des Christus, der in ihn (Jesus) herabkam, zur Vollendung. Auch diese zweite Weihe wurde in vielen Gemeinden der Sekte wie eine Taufe behandelt. Man pflegte die zur Weihe zugelassenen an ein Wasser zu führen und darin zu taufen mit dem Spruche: »Auf den Namen des unerfasslichen Vaters des Weltalls, auf die Wahrheit die Mutter von Allem, auf den in Jesum Herabgekommenen, zur Einigung und Erlösung und Gemeinschaft der Mächte«. Da haben wir, nur in gnostischer Färbung, eben jene aus dem aramäischen Wortlaut des Evangeliums abgeleitete Dreieinheit.

Wenn noch im IV. Jh. ein von den Neuplatonikern ausgegangener Konvertite wie Marius Victorinus die Ketzerei begeht, den h. Geist Jesus' Mutter sein zu lassen, oder wenn der Syrer Aphraates, an den mich Nöldeke erinnert, im J. 343/4 predigt »So lange ein Mensch noch kein Weib genommen hat, liebt und ehrt er Gott seinen Vater und den h. Geist seine Mutter«, so ist das nicht zu verwundern. Merkwürdiger ist, dass in einem Volksbuch der letzten siebziger Jahre der h. Geist wiederholt als »Mutter aller Geister« bezeichnet wird; das kann nicht aus der alten katholischen Anschauung von der Taufe stammen; denn da ist der Geist das männliche Prinzip, das den Mutterleib des Taufwassers befruchtet. Die Quelle des Volksbuchs ist, bewusst oder unbewusst, der Graf von Zinzendorf gewesen, auf den mich ein Freund hinweist. Dieser hat auf dem Brüdertag von Marienborn 1744 unter Berufung auf den Vorgang Aug
ust Hermann Frankes die Bezeichnung des h. Geistes als Mutter der Geister durchgesetzt, und hat dann, je nachdem er Christus als unseren Vater oder als Seelenbräutigam und Mann fasste, Gott Vater unseren göttlichen Großvater oder Schwiegervater sein lassen.

Vor dem Wortlaute der griechischen Evangelien musste freilich diese älteste und natürliche Dreieinheit in Dunst zerrinnen. Aber die Dreieinheit war vorhanden und man musste sich mit dem neutralen Pneuma abfinden. Da erschien das Evangelium des Johannes und schuf eine neue Schwierigkeit, indem es Christus mit dem göttlichen Logos identifizierte, den es nun von dem Geiste zu unterscheiden galt. Aber dasselbe brachte auch eine männliche Umbildung des h. Geists, den »Fürsprecher« (Paraklet): dieser »Geist der Wahrheit« war wie geschaffen sich zu einer Persönlichkeit und zu Bedeutung für das religiöse Leben zu gestalten. Warum hat man nicht ihn an die dritte Stelle der Trias gesetzt? Versucht ist dies wirklich worden. Ein apostolischer Kanon (48 bzw. 49) verordnet : »Wenn ein Bischof oder Presbyter nicht nach der Verordnung unseres Herren tauft auf Vater, Sohn und h. Geist, sondern auf drei Anfangslose oder drei Söhne oder drei Paraklete, so soll er abgesetzt werden.

Hier ist sichtlich das Tatsächliche in frommem Eifer übertrieben und verdreht worden. Man sieht auf den ersten Blick, dass der Anfangslose der Vater, wie der Paraklet der h
eilige Geist ist. Die durch jenen Kanon Verurteilten konnten nur die Formel angewandt haben: »Ich taufe dich auf Gott den anfangslosen und auf den Sohn und auf den Paraklet«.

Das ist allerdings eine starke Abweichung von der Taufformel des Evangeliums, deren strenge Beobachtung der Kanon einzuschärfen bestimmt ist. Dass der Kanon aber die einzelnen Personen verdreifacht, wird verständlich unter der Annahme, dass auf jeden der drei Namen je drei Eintauchungen erfolgten, sei es nun dass, wie es in der äthiopischen Kirche geschieht, die trinitarische Formel dreimal ungeteilt wiederholt oder dass bei jedem der Namen immer dreimal eingetaucht wurde. Wir sehen, es hat Kirchen gegeben, welche von dem Bedürfnis geleitet, die Dreieinheit aus gleichartigen Größen zusammen zu setzen, an Stelle des unpersönlichen Geistes den Johanneischen »Fürsprecher« eingeführt hatten. Durchgedrungen sind sie nicht.

Das Evangelium des Johannes war zu spät gekommen um die begonnene Dogmenbildung aufzuhalten, und der Begriff des Paraklet besaß in seiner durchsichtigen Persönlichkeit einen mythologischen Beigeschmack, der das Schlagwort für die kämpfende Kirche unbequem machte.

Ich kann nicht daran denken, die Geschichte der christlichen Lehre von der Dreieinheit hier auch nur in einem Abriss vorzuführen oder die Schwierigkeiten aufzuzeigen, mit denen die Dogmenbildung zu ringen hatte. Meine Absicht konnte nur sein, die verschiedenen Anläufe zu verfolgen, welche in den ersten zwei Jahrhunderten das Christentum gemacht hat um der unausweichlichen, tief im Geist des Altertums gewurzelten Forderung einer dreiheitlichen Gottheit gerecht zu werden.

Die kirchliche Feier der Dreifaltigkeit, noch von Papst Alexander III. auf dem Lateranischen Konzil 1179 schroff abgelehnt, ist erst durch Papst Johannes XXII. (1316-34) sanktioniert und an den Sonntag nach Pfingsten geknüpft worden. Die dogmatische Dreieinheit ist dadurch nicht volkstümlicher geworden. Die ungebildeteren Schichten des Volks haben sich nirgendwo damit befreunden können. Schon die einzelnen Personen der Dreiheit haben für das religiöse Leben sehr verschiedenartigen Wert. Der h. Geist kommt dafür so gut wie nicht in Betracht; nur das Bild, unter dem es ihn schaut, die über dem Tabernakel schwebende Taube ist dem Volke geläufig. Selbst Gott der Vater tritt in den Nebel der Abstraktion zurück vor den leibhaftigen Personen der Jungfrau und ihres Sohnes. An einem Kapellchen des Visptales im Wallis, das zwischen Vispach und Stalden hart an einer Brücke (Nenbrück) stand, habe ich im J. 1862 folgende Inschrift auf der Türe gelesen und abgeschrieben, die ich, abgesehen von der Schriftform, mit urkundlicher Genauigkeit vorlegen will:

Gott die ehr.
Maria sol man ehren
Mit dem englische grus.
Keiner sol hie weg keren,
Ehr fale ihr zu fuos.

Darunter die Jahreszahl 1727. Es ließ sich nicht wohl deutlicher sagen, wie das katholische Volk tatsächlich empfindet.

Die göttliche Dreifaltigkeit an sich hat sich gleichwohl, durch die Dreiheit namentlich der Bekreuzigung täglich nahe gebracht, dem Gemüte des Volks tief eingegraben, sie treibt daher, nach¬dem die abstrakten Begriffe zurückgedrängt sind und damit die dogmatische Trinität abgestorben ist, neue Sprossen in der Seele des Volks. Zu Jesus, der einzigen greifbaren Person der Trinität, treten die Mutter und der Pflegevater hinzu, um eine neue, unwillkürliche Dreieinheit dem Volke zu schaffen. Wie lange sie schon im Volksmunde lebt, weiß ich nicht. Seit frühester Jugend tönt mir aus dem Munde von Katholiken der Schreckensausruf »Jesus, Maria, Josef« entgegen. Am Niederrhein setzt man diese drei Namen über die Andachtszettel, welche bei den Exequien und vorher in den Häusern verteilt werden; doch pflegt mau in Bonn noch als vierten einen Heiligen hinzuzufügen.

Weit verbreitet muss die Sitte sein, die drei Namen als Schutz über den Grabsteinen und auf den Kreuzen anzubringen; auf dem Kirchhof von Linz am Rhein ist das ganz üblich. Auf bayrischen Totenbrettern (sogen. Marteln) begegnet man häufig dem Spruche

Es ist eine harte Reis,
wenn man keinen Weg nicht weiß.
Frag die drei heiligen Leut,
die zeigen den Weg in d' Ewigkeit:


wer unter diesen dreien verstanden wird, zeigt folgende Variante der zwei letzten Zeilen

Frag Jesus, Maria und Josef, die drei heiligen Leut,
sie zeigen dir den Weg zur Seligkeit.


Niemand wird im Ernste glauben, wie man das mir zugemutet hat, dass das katholische Volk diese Neubildung bewusst an die Stelle der für die Menge wertlos gewordenen Trinität des Dogma gesetzt habe. Es ist vielmehr ein unwillkürlicher, ganz unbewusster Vorgang, wie bei allen mythologischen Gedankengängen, wenn die abgestorbenen Glieder der alten Form durch neue lebensfrische ersetzt werden. Zu allen Zeiten hat das religiöse Bedürfnis nicht an abstrakten Begriffen Genüge finden können, sondern zur lebendigen Persönlichkeit die Hände erhoben: nur sie kann Liebe, Gnade und Erbarmen empfinden. Das ist der Grund, weshalb der Mariendienst seit dem IV. Jh. sich so mächtig und unaufhaltsam entfaltete und die Verehrung der Heiligen diese Bedeutung in der Kirche erlangte. Das letzte Jahrhundert hat in dieser Richtung keine Rückschritte gemacht, sondern den Kultus des Persönlichen eher gesteigert; namentlich zeigt sich das bei dem h. Joseph, der dem Herzen des Volks mehr und mehr nahe gerückt ist. So ist man zu der trinitarischen Neubildung ge¬kommen, welche der alten Formel »Vater, Mutter, Sohn« nahezu entspricht
. S.36-46
Aus: Hermann Usener: Dreiheit. Ein Versuch mythologischer Zahlenlehre. Georg Olms Verlagsbuchhandlung Hildesheim 1966