Ernst Troeltsch (1865 - 1923)
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Deutscher evangelischer Theologe, Philosoph, Politiker und Historiker, der als Professor für systematische Theologie in Bonn (seit 1892), Heidelberg (seit 1894) und für Philosophie in Berlin (seit 1914) lehrte. In den Jahren 1919-21 war Troeltsch auch nebenamtlich Unterstaatssekretär im Preußischen Kultusministerium. Seine geistesgeschichtliche Bedeutung beruht im Wesentlichen in der kritischen Begründung der historischen Methode und dass er ihr in Theologie, Ethik, Geschichtswissenschaft und Soziologie die angemessene Geltung zu schaffen wusste. Troeltsch kommt zu dem Schluss, dass alles Historische relativ ist, also auch das Christentum einschließlich der Zentralfigur Jesu. Aus diesem Grunde kann er das Christentum als eine »unüberbietbare Religion« nicht bestätigen, gesteht ihm jedoch eine faktische Höchstgeltung zu. Dabei geht er von der geschichtsphilosophischen Annahme aus, dass - in Anlehnung an die Leibnizsche Monadologie - alle Religionen die Erhebung zum Göttlichen anstreben und in unterschiedlichen Graden auch verwirklichen. Somit hat jede Religion in gewisser Weise Anteil am Absoluten. Aus seiner Sicht hat bisher - zumindest im europäischen Kulturkreis - das Christentum die höchste Verwirklichungsstufe erreicht. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Glaubenslehre
(Nach Heidelberger Vorlesungen
aus den Jahren 1911 und 1912, veröffentlicht 1925)
Persönlichkeit
Gottes
Eine besondere Erörterung erfordert noch die mit der Erfassung Gottes als
Wille und Wesen gegebene Personalität des Gottesbegriffs, bei der ja nicht nur der Willensbegriff, sondern insbesondere auch der auf die
religiös-ethische Zweckidee gerichtete
Wesensbegriff es notwendig mit sich bringt, den Kern des göttlichen Wesens
als mit den höchsten ethisch-religiösen Kräften des Menschen
verwandt zu denken. Insofern wird der Personalismus der Gottesidee immer auch
zu einem unausweichlichen Anthromorphismus, dagegen aber erheben sich je und
je verschiedene Einwendungen, die näherer Besprechung bedürfen.
a) Der erste ist, daß diese Auffassung Gott verendliche, aber eine Verendlichung ist
damit in Wahrheit weder beabsichtigt noch bewirkt , denn es handelt sich nur
um eine Bezeichnung Gottes durch eine von endlichen Menschen her genommene Analogie.
Solche Analogie aber kann kein Gottesbegriff überhaupt vermeiden. Die Frage
ist nur, von welchem Punkt des menschlichen
Geistes diese Analogie herzunehmen sei, ob vom Vermögen des logischen Einheitsdenkens,
von der künstlerischen Phantasie, vom sittlichen Gesetz, vom animalischen
Lebenstrieb, vom unbewußten Seelischen oder von der durch gültige
Notwendigkeit bestimmten Freiheit. Das wird davon abhängen, was man als
die höchste, am meisten ins Übermenschliche gehende Tätigkeit betrachtet. Es wird also abhängen von unserer Abstufung
der Werte des Geistes. Nun ist aber unter
diesen die sittliche Freiheit der höchste Wert und
also der Gottesbegriff nach ihrer Analogie zu bestimmen, während die Verwertung
aller anderen Analogien vielleicht bestimmte Seiten des göttlichen Wirkens,
aber nicht das Zentrum trifft. Die sittliche Freiheit aber analogisch mit (auf?)
Gott angewandt, bedeutet durchaus keine Verendlichung, da sie die Setzung unbedingter
Werte durch den göttlichen Willen bedeutet und nicht Gott selbst als endlich
handelnden Willen betrachtet.
b) Der zweite Einwurf ist, daß ein solcher
Gottesbegriff einen Dualismus zwischen
Gott und Welt bedeute, während es das Wesen des wissenschaftlichen wie
des religiösen Gedankens sei, die letzte Einheit zu erreichen. Nun ist
aber hier sofort zwischen der dem religiösen und der dem wissenschaftlichen
Gedanken vorschwebenden Einheit sehr zu unterscheiden. Der religiöse Gedanke
geht immer von dem Gegensatz Gottes und der Seele aus und ist immer nur eine praktische, aber nie eine logische Überwindung dieses Gegensatzes. Also vom rein religiösen Gesichtspunkt aus bedeutet
dieser Einwurf des Dualismus nichts. Er kann vielmehr nur von der Wissenschaft
her begründet werden, deren Wesen allerdings die möglichst weitgetriebene
logische Vereinheitlichung der Erfahrung ist. Und zwar bedeutet diese Vereinheitlichung
vom Standpunkte einer erkenntnistheoretischen Philosophie
aus die Einheit des Allgesetzes, vom Standpunkt
einer metaphysischen Philosophie aus die Einheit
der Allsubstanz. Aber im ersteren Fall bedeutet das Allgesetz nur eine
der verschiedenen Durcharbeitungen der Dinge neben anderen. Es bleibt hier immer
die Pluralität verschiedener Auffassungsweisen. Im zweiten Fall aber ist es ganz unmöglich, die Mannigfaltigkeit
der Wirklichkeit in einer bloßen Einheit der Substanz untergehen zu lassen.
Es bleibt auch hier die Pluralität der Wirklichkeit. Die reine Wissenschaft
kann somit niemals auf einen reinen Monismus hinauskommen. Dann aber ist der
Vorwurf des Dualismus bedeutungslos, um so mehr, als es im göttlichen Gottesbegriff
sich nicht um einen äußerlichen Dualismus von Gott und Welt, Seele
und Leib, sondern um den inneren Gegensatz zwischen dem bloß vorgefundenen
naturhaften Leben und dem daraus und dagegen sich erhebenden Geist handelt.
c) Ein dritter Einwurf ist, daß mit dieser
Auffassung der Gottesbegriff unter unmögliche
teleologische Gesichtspunkte gestellt würde, daß insbesondere
damit die endlich-menschlichen Zwecke zu den göttlichen gemacht würden und daraus ein ganz unzulässiger Anthropozentrismus
entstehe. Dagegen gilt nun aber, daß der Zweckgedanke selbst bei religiöser
Betrachtung niemals aus dem Gottesbegriff beseitigt werden kann, ohne die Religion
selbst aufzuheben. Der teleologische Charakter an sich ist also kein Einwurf,
es fragt sich nur, worin der Zweck gesehen wird. Hier sieht nun aber der christliche
Gottesbegriff keineswegs im Menschen an und für sich und seinem Glück
den Zweck der Welt, sondern nur in dem geistig-persönlichen,
gotteinigen Leben der Kreatur, das überhaupt erst durch Hingabe
an Gott aus dem Menschen werden soll. Das ist dann überhaupt kein menschlich
beschränkter Zweck, sondern das ist der Geistes- und Vernunftzweck überhaupt,
den wir freilich uns nur am Menschen klarmachen können, der aber an sich
der Zweck aller Geister ist, in welchen Reichen sie immer sich finden mögen.
Der Zweckgedanke hat also keinerlei Beziehung auf die
sinnlich-endliche Eudämonie, sondern auf die Gewinnung
und Vollendung des gotteinigen Geistes. Das ist dann aber keine Vermenschlichung
des göttlichen Zweckes, sondern umgekehrt eine
Vergöttlichung des menschlichen Zweckes.
d) Der vierte Einwurf bezieht sich auf die Idee
der Freiheit, die mit einem solchen Theismus notwendig verbunden
ist, und zwar in der doppelten Weise: als absolute Freiheit
Gottes und als relative Freiheit der Kreatur. Das erste sei überhaupt ein Unbegriff, das zweite sei durch den Determinismus
und den Begriff des allgemeinen Weltgesetzes widerlegt. Allein der Begriff der Freiheit Gottes ist ausdrücklich als
irrational bezeichnet, wie denn alle Zurückführungen des Universums
auf letzte Gründe im Irrationalen enden. Weiterhin kann aber, welche Bedeutung
immer man der Gesetzmäßigkeit des Universums einräumen möge,
das göttliche Leben nicht mit dieser Gesetzmäßigkeit zusammenfallen,
da diese doch immer erst am wirklichen Leben existiert und nicht das Leben selbst
ist. Ebensowenig kann die Erhebung des Geistes aus
der Natur mit den Naturgesetzen selbst umfaßt werden, da sie
ja ihrem Begriff nach deren Überhöhung und Überwindung ist. Wenn
aber all das gilt, dann bleibt sicher auch die Irrationalität des Weltprozesses
und die Erhebung des Geistes aus ihm neben aller verglei-chenden Rationalität
bestehen und ist niemals zu beseitigen. Freilich entsteht daraus die Frage nach
dem Verhältnis dieser Gesetzmäßigkeit und jener von ihr nicht
erschöpften Lebendigkeit und Schaffenskraft des Lebens. Das ist aber eine
Frage, die vielleicht überhaupt unlösbar ist, jedenfalls hier nicht
gelöst werden kann.
Güte
und Gerechtigkeit Gottes
Ein anderes von jedermann empfundenes Problem ist das der Theodizee. Es steht doch so, dass wir, uns aufkämpfend, hundertfach von der Natur
bedroht werden. Irgendein blinder Zufall ist imstande, die erhabenste sittliche
Würde zu vernichten. Ein dummer Stein, der vom Dach fällt, kann den
wertvollsten Menschen zerstören. Durch irgendeine Ansteckung wird die bedeutsamste
geistige Größe herabgemindert. Winzige fremde Lebewesen vermögen
uns für immer vergiften. Das alles ist das pure Unwesen der zersprengenden
Natur, dem nur sehr bedingt durch Technik, Ordnung und Wissenschaft Ziele gesetzt
sind. Und zu diesen vom religiös-philosophischen Menschen erschütternd
empfundenen Sünden der Natur kommt noch die kolossale Macht der Bosheit
und Niedrigkeit. Die erhabensten Dinge werden mit kleinlichen, selbstischen
Leidenschaften befleckt. Einige rabiate Burschen können genügen, um
durch ihre Selbstsucht einen Weltkrieg zu entfesseln, in dem Tausende ihr Leben
lassen müssen. Nicht einmal verbrecherische Eigenschaften sind hier das
ärgste, sondern die kleinen erbärmlichen Teufeleien, die den Guten
nicht vorwärts kommen lassen. Daher sind die Größten der Menschheit
selten gestorben ohne erschütternde Menschenverachtung. Bismarck und Friedrich
der Große sind Beispiele dafür.
Von hier aus erheben sich für unsere Stellung sehr brennende praktische
Schwierigkeiten. Wie viele suchen, um die Liebe Gottes zu retten, sich selbst
schlecht zu machen, nur damit irgendeine Vernunft in die Sache kommt. Sie dichten
sich Sünden an, um Gott zu entlasten. Das Thema ist im Buche Hiob in gewaltigster
Weise durchgeführt. Was sagt nun die Kirchenlehre hierzu? Sie hat das Problem
in seiner vollen Schwere stets empfunden und demgemäß ihre Theodizee
ausgebildet. Das Wort hat einen Beigeschmack: als ob es überhaupt so etwas
wie eine »Gottesrechtfertigung« gäbe!
Es bedeutet aber einfach nur die Frage. Was können wir uns für Gedanken
machen angesichts der obigen Schwierigkeiten? Die Kirchenlehre antwortet: Welt
und Natur würden ohne Leid, Sünde, Irrtum und Tod sein, wenn die Menschen
Gottes Gebote befolgt hätten. . . . Gegenüber der Kirchenlehre
gilt: Natur ist nicht etwas beliebig hin und her Werfendes, und Sinnlichkeit
ist nicht Trübung, sondern gesetzmäßiges Ganzes. Aus der Gesetzmäßigkeit
der Natur, nicht aus der Sünde stammt, was uns von hier bedroht. Ob die
Spannung von Dämpfen Maschinen treibt, oder ob sie vulkanische Berge stürzt,
es waltet dasselbe Gesetz. Die gleichen Kräfte, die auf der einen Seite
Voraussetzungen des Lebens sind, bedeuten auf der anderen auch seine Zerstörer.
Natur ist nicht feindlich, sondern Voraussetzung. Ohne chemische Gesetze wäre
unser Körper undenkbar. Aber diese selben Gesetze sind auch an unzähligen
Punkten für uns vernichtend. Unter dieser Voraussetzung sieht sich nun
das Eingebettetsein unseres Geistes in die Natur ganz anders an. Für unsere
Kenntnis des Körpers ist es lächerlich, daß der Tod die Folge
der Sünde sein soll; denn alles ist dem Kreislauf des Stoffes unterworfen,
alles naturgesetzlich bedingt. Geburt und Tod stehen in innigem Zusammenhang.
Auch der Kampf ums Dasein ist nicht Folge der Sünde, sondern mit dem Dasein
selbst gegeben.
Nun ist es aber weit leichter, zu sagen, warum die alte Lösung undurchführbar
ist, als eine neue zu finden. Das Riesengenie eines Leibniz hat sich damit abgemüht;
aber alles, was auch der größte Geist darüber sagen kann, ist
doch immer ganz subjektiv. Es bleibt nur, den Doppelcharakter unserer Wirklichkeit
anzuerkennen. Was im Leben stark ist, gewinnt seine Kräfte aus der Natur.
Auf der anderen Seite steht fest, daß wir in eine Welt eingefangen sind,
die gegen den Endzweck des menschlichen Geistes gleichgültig ist, weil
sie zwar wohl im ganzen zu ihm stimmt, aber im besonderen mit ihm zusammenstößt.
Mit dem Werdecharakter des Seins ist auch sein
Kampfcharakter begründet. Wir haben gleichzeitig die Brutalität einer unermesslichen Natur und die Entwicklung
eines aufstrebenden Geisteslebens, wo es, wie in jedem Kampf, Wunden
und Schmerzen gibt. Man kann nicht im Überidealismus die eine oder im Materialismus
die andere Seite leugnen. Sind aber beide da, so müssen sie auch beide
im göttlichen Leben liegen, beide Absichten seines Willens und beide von
Haus aus von ihm gesetzt sein in einer leidenden Welt, die aber eine nicht nur
leidende ist, sondern eine unter Leiden hochkommende. Denn das geistige Leben
wird tiefer und reiner unter den Bedingungen des Kampfes. So ist das Leiden
nach der Weise Jakob Böhmes bis in den göttlichen Willen selbst hinein zu verfolgen.
Daraus ergibt sich dann weiter: Wenn Gott alle diese Leiden
setzte, so sind es Leiden auch für Gott. Wir kommen zudem Gedanken
der Selbstunterziehung Gottes unter die Leiden, die er
für den sich aufkämpfenden Geist wollte. Die Erlösung
ist dann Selberlösung Gottes.
Wenn man nicht das Problem überhaupt abweisen will, müssen
ähnliche Konsequenzen gezogen werden. Der Gedanke der göttlichen Liebe
vollendet sich erst, wenn wir uns nicht der Illusion hingeben, Gott leide nicht.
Es ist vielmehr ein wesentlicher Punkt in der heiligen
Liebe, dass Gott sich selbst dem Leid unterzieht. Das Problem ist nicht nur ein intellektuelles: man fühlt, man lebt das
Leid anders, wenn es nichts Zufälliges ist, sondern zum Sinn der Welt gehört.
Die neueren Dogmatiken, auch die von Schleiermacher, schweigen über diesen Punkt. Kant
nimmt hier als Ausweg den Glauben an einen
Sieg des Guten. Man kann sich allerdings darauf beschränken, doch
verlangt diese Stellung auch die Ausmalung dessen, wie denn dieser Sieg des
Guten zu denken sei, was sehr schwierig ist. Nur den Optimisten trieft die Welt
von Harmonie, und dort, wo es gar nicht geht, trösten sie sich in dem Gedanken,
dass jedes Gemälde auch Schatten braucht, oder die tragischen Züge
werden einfach ignoriert. Goethe war in letzterem ein Meister. Er kannte diese Züge wohl, aber sie waren
ihm unbehaglich. Der Pessimismus wieder betont das Tragische überwiegend,
daher der schroffe Gegensatz des Schopenhauerischen
Kreises zum Goetheschen. Wo der Pessimismus radikal wird, sagt er: Die Welt ist eine Quälerei, aus der es nur Rettung gibt durch Aufhebung des
Willens zum Leben. Maeterlinck, der weder
Pessimist noch Optimist ist, sucht die provisorische Lösung des Problems
durch die Vertiefung in die innere Harmonie der Seele, die sich darüber
klar sei, dass sie nicht nur Natur bedeute, und die darum selig in sich
selbst zu sein vermöge. Beschäftigen tut diese Frage alle tiefen Denker.
Unsere Lösung ist an dieser Stelle derjenigen Jakob
Böhmes verwandt, der seinerseits mit den Neuplatonikern zusammenhängt.
Der
wachsende Gott und sein Weltziel
An diesen Gedanken reiht sich nun ein Letztes. Wenn wir den Begriff der heiligen
Liebe bis ans Ende verfolgen, so haben wir den Gedanken vor uns, dass Gott,
indem er die Kreatur zu sich beruft, durch die eigene
Arbeit der Kreaturen selbst wächst und sich vermehrt. Dieser
These ist gar nicht auszuweichen. Zum Leben Gottes kommt etwas hinzu, und zwar
immer aufs neue. Gott ist gerade im Wachsenden. Es ist die Konsequenz des Theismus,
die Erweiterung des göttlichen Lebens zu haben gegenüber dem Pantheismus,
der sie verneint. Gott erzieht sich in den endlichen Geistern
Mithelfer, durch die dann die Ethisierung und Vergeistigung der Welt vollbracht
wird. Er rechnet auf uns im Haushalt seiner Schöpfung.
Wir haben eine Bedeutung für ihn selbst, und was die einzelne Kreatur unterläßt,
ist Versagen gegen das Universum. Unsere Mithelferschaft ist möglich durch
die Freiheit der Kreatur, die keine überflüssige Dekoration ist, von
der Gebrauch oder Nichtgebrauch zu machen wäre. Sondern durch unser Versagen
wird die göttliche Entwicklung gebrochen. Dies sind Gedanken von
großem praktisch-religiösen Wert, aber auch von außerordentlichen
theoretischen Schwierigkeiten. Reden wir überhaupt von einer Ausweitung
Gottes, so reden wir von einer endlichen Größe; denn nur eine solche
kann wachsen. Aber noch mehr: Dieses Wachstum ist kein Naturprozess. Es
kommt zustande durch Freiheit der endlichen Geister, und so sehr sie als von
Gott ergriffen zu betrachten sind, sie sind doch im Ergreifen relativ schöpferisch
nach dem Maße des Ineinanders von Gnade und Freiheit. Dann aber wäre
auch nach dieser Seite hin Gott begrenzt. Trotz
dieser Einwürfe aber ist der obigen Konsequenz nur durch Gedankenlosigkeit
auszuweichen.
Uns bleibt nun noch die Frage: Worin mag das Ziel
für Gott selbst bestehen? Das Hervorbrechen des höheren
Lebens in den endlichen Geistern muss doch als eine Art Erwachung Gottes
gedacht werden. Angelus
Silesius spricht zu Gott:
»Ohne mich bist du nichts«. So denkt
die Mystik. Gott kommt zustande erst da, wo das endliche Bewusstsein gläubig
wird nicht in dem Sinne, dass Gott erfunden werde, sondern dass er
sich selbst erfasst. Das Aufringen des endlichen Geistes ist ein Moment
im Leben Gottes selbst. Gott ist voller Gott erst durch
sein Geglaubt- und Geliebtwerden von den endlichen Geistern. Damit wenden
wir uns zu diesen selbst. Können wir uns denken, dass die so als Mitwirker
Gottes Gebildeten mit alledem zeitlos und ewig werden? Man sagt »ja«, und es bedeutet den Inbegriff der Seligkeit. In Wahrheit
aber ist diese Zeitlosigkeit der selbständig werdenden Geister schrecklich,
wobei nicht genau zu sagen ist, was eigentlich dagegen rebelliert. Bejahen wir
die Zeitlosigkeit, so heben wir damit den Gedanken auf, dass Gott zuletzt
sein wird alles in allem. An diesem Punkt des christlichen Denkens stehen wir
vor Konsequenzen, die allem pantheistischen Denken höchst unerträglich
sind, und wo der Zusammenstoß mit ihnen radikal erfolgt. Aber in diesem
Zusammenstoß kommt doch auch wieder ein relatives Wahrheitsmoment des Pantheismus zum Bewusstsein. Dem pantheistischen Fühlen ist hier ein
gewisses Recht zuzugestehen. Dennoch erheben sich auch für den
Pantheismus hier große dialektische Schwierigkeiten, vor allem in
dem Problem, wie es überhaupt zur Sonderexistenz kommt, und wozu es der
Arbeit bedarf, wenn jene doch nur Schein ist. Hier sind die Konsequenzen so
stark, dass wir wieder das Bedürfnis empfinden, die Synthese herzustellen. Loisy sagt: »Alle
Diskussionen, alle Sorgen um die Inspiriertheit der Bibel und dergleichen sind
geringfügig gegenüber der Frage: Gibt es reale Einzelexistenz, oder
ist alles nur das tote All-Leben, wo nichts Eigenes besteht«? Das
ist das eigentliche große Problem! Nach der einen Richtung hin weist unser
Gefühl ins Pantheistische, nach der anderen ins Theistische. Die Verbindungslinie
ist hüben wie drüben verborgen. Für die Praxis der Gegenwart
halten wir uns an den Theismus, und erst in den Folgen taucht der pantheistische
Gedanke auf, so dass wir den Zusammenhang behaupten müssen. Ausdenken
lässt es sich nicht. Am Gottesbegriff scheitert zuletzt jedes menschliche
Denken. Es bleibt bestehen: »Was Gott ist, wird
in Ewigkeit kein Mensch ergründen«, wozu man aber auch den
Schluss hinzunehmen muss: »Doch will er
treu sich allezeit mit uns verbünden«. Und dieses »Verbünden« liegt dort, wo der Gottesgedanke den Menschen aus der Tierheit hebt. Das übrige
muss man in Demut dem großen Unbegreiflichen überlassen.
Aus: Religionskundliche Quellenhefte. Herausgeben
von Prof. D. H. Lietzmann und Akademiedirektor Dr. K. Weidel
Heft 44, Aus der Gotteslehre der gegenwärtigen Philosophie und Theologie
von D. Dr. Heinrich Weinel (S.26-33) Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin
Das
religiöse Apriori
Aus: Psychologie und Erkenntnistheorie
in der Religionswissenschaft, Tübingen, J. C. B. Mohr, 1905, S. 50ff.
Fassen wir alles das zusammen, so ergibt sich eine Fülle von Zugeständnissen
des erkenntnistheoretischen formalen Rationalismus an die Irrationalität der psychologischen Tatsächlichkeiten und eine mehrfache Durchbrechung
des noch allzu strengen Kantischen Rationalismus.
Andererseits aber ist doch auch die rein psychologische Untersuchung genötigt,
von der unbegrenzten Fülle und der absoluten Irrationalität des Mannigfaltigen,
des Durcheinanders von Schein und Wahrheit, auf
ein rationales Kriterium zurückzugehen, das nur in dem rationalen Apriori
der Vernunft und in der organischen Stellung dieses Apriori in der Bewusstseinsökonomie
überhaupt gefunden werden kann.
Von diesem Rationalismus aus allein lässt sich die Wahrheitsgeltung
der Religion begründen, und von hier aus allein lassen sich die
Hervorbringungen des wildwachsenden psychischen Lebens kritisch regulieren.
Die Religion wird in ihrer konkreten Lebendigkeit aufgefaßt und nicht
verstümmelt; sie wird aber auch aus dem Wirrwarr ihrer Verworrenheiten,
Verschmelzungen, Einseitigkeiten, Engen, Wucherungen und Verkehrungen immer
wieder auf ihren Grundgehalt und auf ihre organischen Beziehungen zur Gesamtheit
des Vernunftlebens, der geistigen, sittlichen und künstlerischen Leistungen,
hingewiesen. Das ist alles, was die Wissenschaft für sie leisten kann,
aber diese Leistung ist doch auch groß und unentbehrlich genug, um die
Arbeit einer solchen Wissenschaft zu rechtfertigen.
Ob es noch andere Wege gibt, sich dem Objekt der Religion,
Gott, zu nahen, und ob es mit diesen andersartigen Erkenntnissen gelingen
mag, die Erkenntnis der Religion zu stützen und zu befestigen, ist eine
Frage für sich, die nicht in den Umkreis dieser Untersuchung fällt.
Denn gibt es sie, so zeigen sie jedenfalls etwas anderes als die
Gottheit, die im religiösen Erlebnis nahe ist. Es handelt sich hier
nur um die Frage, wieweit in dem religiösen, subjektiven
Zustand selbst Wahrheitserkenntnis enthalten ist. Dazu bedurfte es der
psychologischen Anschauung von der wirklichen Beschaffenheit der religiösen
Zuständlichkeiten und der erkenntnistheoretischen Einsicht in den geltenden,
Wahrheit bewirkenden, Gehalt dieser Zuständlichkeiten.
Auf die Zusammenfassung von beiden kommt es von Hause aus und im allgemeinen
für das Problem an, und in der Zusammenfassung von beiden, in der Vereinigung
des Bewusstseins um eine notwendige Idee mit der Verlebendigung dieser
Idee in bestimmten, sie erregenden Erlebnissen und Vorstellungen, liegt der
eigentliche Kern und Höhepunkt des Problems. Denn in
dieser Zusammenfassung entsteht das Grundphänomen der Religion,
die Empfindung der Gegenwart des Göttlichen in konkreten endlichen Ereignissen
und Wirklichkeiten. Keine Theorie kann dies Höchste
und Letzte mehr erklären. Sie kann nur zeigen, dass in diesem
Punkte die beiden Hauptbetrachtungsweisen, die psychologische und erkenntnistheoretische,
zusammentreffen, und dass ihre gegenseitige Durchdringung die religiöse
Gegenwartsempfindung sowohl vor der Verflüchtigung in bloße abstrakte
Gedanken als vor der Auflösung in allerhand Zufälligkeiten und Menschlichkeiten
bewahrt.
Die lebendige Produktion des inneren Lebens ist entscheidend, aber wir sind
nicht ihrem zufälligen Flusse und seinen Unklarheiten ausgeliefert, sondern
wir können aus ihm immer zum Zentrum und zur geordneten Verknüpfung
der ganzen Vernunft mit diesem Zentrum streben. An diesem Ideal messen wir die
verschiedenen Hervorbringungen des religiösen Lebens der Menschheit, und
in der Kraft dieses Ideals arbeiten wir an der Fortgestaltung unseres gegenwärtigen
religiösen Lebens. Woher aber dasjenige kommt, das uns in der Einheit der
notwendigen Idee eines Göttlichen und einer tatsächlichen Wirkung
und Offenbarung entgegentritt, das vermögen wir nicht zu sagen. Dieses
Etwas selbst, sein Kommen und Gehen, sein Dasein oder Nicht-Dasein, das bleibt
im letzten Grunde das Geheimnis der Religion. Aber wo es ist, da ist es nicht
da wie ein totes Ding, sondern da ergreift es die Freiheit und verlangt von
ihr die Gestaltung des wirren Lebens aus der Einheit seiner Idee und die immer
neue Durchdenkung und Klärung seines eigenen Wesens.
Geschichtliche
Relativität und religiöse Absolutheit
Aus: Die Absolutheit des Christentums
und die Religionsgeschichte, Tübingen, J. C. B. Mohr> 2. Aufl., 1412,
S. 57 ff.
All diese Meinungen, die und den Gedanken der Relativität so abstoßend
machen, sind in keiner Weise notwendig mit ihm verbunden. Er bedeutet nur, daß
alle geschichtlichen Erscheinungen in der Einwirkung eines näher oder entfernter
wirkenden Gesamtzusammenhangs besondere individuelle Bildungen sind, dass
daher von jeder aus der Blick auf einen breiteren Zusammenhang und damit schließlich
auf das Ganze sich eröffnet, dass erst ihre Zusammenschau im Ganzen eine Beurteilung und Bewertung ermöglicht.
Er schließt aber in keiner Weise aus, dass in diesen individuellen
Bildungen Werte von gemeinsamer Grundrichtung und der Fähigkeit der Auseinandersetzung
mit einander auftreten, die in dieser Auseinandersetzung eine letzte, durch
innere Wahrheit und Notwendigkeit begründete Entscheidung hervorbringen.
Nur kann in keinem Moment der Geschichte ein solcher Wert frei von den Besonderheiten
der momentanen Lage sein, und auch jede Urteilsbildung und Zusammenfassung dieser
Werte selbst gibt es nur in einer durch den Moment bedingten Gestalt.
Der absolute, wandellose, durch nichts temporär bedingte Wert liegt überhaupt
nicht in der Geschichte, sondern in dem Jenseits der Geschichte, das nur der
Ahnung und dem Glauben zugänglich ist. Die Geschichte schließt die
Normen nicht aus, sondern ihr wesentlichstes Werk ist gerade die Hervorbringung
der Normen und der Kampf um Zu¬sammenfassung dieser Normen. Aber diese Normen
und ihre Vereinheitlichung selbst bleiben immer etwas Individuelles und temporär
Bedingtes in jedem Moment ihrer Wirksamkeit, immer ein von der Lage mitgeformtes
Streben nach einem vorschwebenden, noch nicht fertig verwirklichten, noch nicht
absolut gewordenen Ziel.
Nicht das Entweder-Oder von Relativismus und Absolutismus,
sondern die Mischung von beiden, das Herauswachsen der Richtungen auf absolute
Ziele aus dem Relativen ist das Problem der Geschichte. Die immer neue
schöpferische Synthese, die dem Absoluten die im Moment mögliche Gestalt
gibt und doch das Gefühl einer bloßen Annäherung an die wahren
letzten allgemeingültigen Werte in sich trägt: das ist die Frage,
um die es sich handelt und die weder durch die Naturalisierung der Geschichte
noch durch die spezialistische Skepsis verdrängt werden kann. Sie erwächst
unmittelbar aus der Sache. S.221-224
Entnommen aus: Georg Wobbermin, Religionsphilosophie, 5. Band der Quellen-Handbücher
der Philosophie, Pan Verlag Rolf Heise – Berlin 1925