Boleslaw Ferdynand Trentowski (1808 - 1869)

  Polnischer Philosoph. Unter den polnischen Philosophen ist Trentowski wohl der am stärksten national ausgerichtete. Allerdings sah auch er im Sinne des romantischen Panslavismus im polnischen Volke nur den Sauerteig für das Slaventum, das als Ganzes ein neues Äon, das Reich Gottes auf Erden, einleiten würde. Die bisherigen philosophischen Systeme lehnte er als zu einseitig realistisch oder idealistisch ab, sie sollten in einer von den Slaven zu leistenden Synthese »aufgehoben« werden. Der folgende Text stammt aus seinem Hauptwerk »Chowanna oder System der nationalen Pädagogik« (1845).

Siehe auch Wikipedia

Licht, Religion und Nationalität
Drei heilige Worte, deren tiefe Bedeutung wir niemals aus dem Gedächtnis verloren haben, und die man als das dreizackige Wahrzeichen der vorliegenden Arbeit ansehen kann, sind: das Licht, die Religion, die Nationalität. Als Licht bezeichnen wir die menschliche Weisheit aller verflossenen Epochen, die sich in dem Brennpunkt der heutigen Individuen konzentriert und einen kühnen Schritt vorwärts bedeutet im Streben nach weiterer Entwicklung, als Geist-Held.

Was ist nun das Licht ohne Religion? Ein Kopf ohne Herz, der Schädel einer Leiche, der abstoßend wirkt durch das faulige Weiß seiner Augen, ein türkischer Schopf irgend eines kahlen Gipfels, der in Schnee und Eis erglänzt. Wir kennen die Schriften Voltaires, Volneys und anderer französischer Enzyklopädisten des vergangenen Jahrhunderts und rufen deshalb: Großer Gott, behüte uns vor der Wiederkehr solcher Weisheit! Wir kennen den Jakobinerklub aus der großen Französischen Revolution; Gott schütze uns vor einer solchen Zeit, — die leicht kommen kann, denn die mittelalterliche Hierologie mit allen Vampiren beginnt heute ihr Grab zu verlassen und auf Erden zu spuken — und vor dergleichen Leuten!

Was ist das Licht ohne Nationalität?
Für ein solches Licht fiel Kotzebue unter dem Dolch eines hitzigen deutschen Patrioten. Und was ist das Licht ohne Religion und Nationalität? — Eine Spekulation eines satanischen Kosmopoliten auf ein Wohlleben!

Jetzt zu drei folgenden Fragen: Die Religion ist nicht ein bestimmter Glaube, sondern die heilige Brache aller Bekenntnisse. Religion ist die Jenseitigkeit, die Gottes Finger in den Grund jeder Persönlichkeit tief eingeschrieben hat, die einzelnen Glaubensbekenntnisse aber gehören der Diesseitigkeit an als verschiedenartige und dem Vergehen unterworfene Erscheinungsformen der ewig gleichen Religion. Was einen Anfang gehabt hat, muß auch ein Ende haben.

Was ist nun aber die Religion, die den Heiligen Geist zurückstößt und ihn verfolgt? Sie ist die widerliche Erscheinung des finsteren Glaubens im Mittelalter, der einen Giordano Bruno, einen Hus, Wiclef und andere strahlende Sterne verbrannt hat, die in der allgemeinen Finsternis der Welt aufgeflammt waren. Es ist der muselmanische Fanatismus, dieser Erzfürst des düsteren Orkus, der auf einem zweirädrigen Triumphwagen sitzt, der mit dem Auge der Vernichtung auf die Erde blickt und den Erinnyen befiehlt, Dörfer und Städte zu verbrennen und die Hand des Vaters gegen die Brust des einzigen Sohnes zu waffnen.

Ein Glaube, der das Licht nicht ertragen kann, und sei es auch ein Irrlicht, ist weder Religion noch Gottes Werk.
Kann er der Atem der ewig gleichen Erleuchtetheit sein, die mit ihrem Glanz jegliches irdische Fünklein verfinstert? Das wäre ein Glaube von Eulen oder anderen bösen Geistern der Nacht, türkischen Eblisen [arabisches Wort für Teufel], aber kein Christenglaube, denn eine solche transzendentale Sonne am Himmel darf vor keinem Talglicht auf Erden erschrecken!

Was ist Religion ohne Nationalität? Eine verfluchte Dienerin blinder Hierologie und irgend einer ausländischen geheiligten Gewalt, die nur irdischen Interessen lebt. Sie gräbt das Grab des Volkes, dessen Vampir sie ist!

Was ist aber Religion ohne Licht und Nationalität? Darauf kann Dir vorläufig die »Monachomachia«
[ Krieg der Mönche, Satire auf Unwissenheit und Trägheit der Mönche 1778, dt.] von Krasicki Antwort geben. Eine solche Religion ist die Ursache der Gottlosigkeit des Volkes und einer allgemeinen Sittenverderbnis, denn sie wird zum Ziel der Verachtung auch für den gemeinen Mann.

Noch drei Fragen. Die Nationalität beruht auf dem Leben der gesamten Nation in jedem einzelnen ihr angehörenden Individuum. Was ist dann Nationalität ohne Licht? Lies die polnischen Chroniken aus dem vergangenen Jahrhundert! Ein solches Nationalgefühl hat das Vaterland ruiniert. Leider haben wir dieses Nationalgefühl auch heute noch, daheim und jenseits der Grenzen. Verflucht in alle Ewigkeit seien patriotische Ignoranten und Schreier! Gott sei Dank freilich, daß ein solcher Nationalismus nicht die Rolle spielt, die er spielen möchte!


Was ist Nationalität ohne Religion? Ein satanisches Nest des grausamsten Terrorismus, der nicht nur in Frankreich sondern auch unter uns bei jeder Revolution sein widerliches Haupt erhoben hat.

Was ist Nationalität ohne Licht und Religion? Das ist die Leichenblässe eines auf schreckliche Art sterbenden Volkes. Deshalb sind das Licht, die Religion und die Nationalität in glücklicher Verschmelzung, eine dreiblättrige Blume, die wir in unserer Chowanna reichen. Wir erklären dabei, dass wir über jedes Blatt, das vom Ganzen losgerissen und vereinzelt ist, Schmerz empfinden.

Enthalten in: Slavische Geisteswelt. West- und Südslavien, Mensch und Welt. (S.113-115)
Herausgegeben von St. Hafner, O. Turecek und C. Wytrzens, Holle Verlag