Andrzej Towianski (1799—1878)
Polnischer Mystiker, der eine mystisch-messianische Lehre verkündigte, die vom Slawentum eine geistige und religiöse Erneuerung forderte. Towianski dürfte wohl eine der umstrittensten Gestalten der polnischen Geistesgeschichte sein. Für die einen war er Künder und Vorbild eines »wahren« Christentums: ein verehrungswürdiger »Meister« von Prophetenrang, für die andern, vor allem der Nachwelt, ein Wirrkopf und Scharlatan. Er kam 1841 aus Litauen nach Paris und predigte den dort zusammen geströmten polnischen Emigranten seine Heilbotschaft von einer moralischen Erneuerung und mystischen Verwandlung. Die bedeutendsten Geister unter den polnischen Emigranten (vor allem der Dichter Mickiewicz) standen unter seinem Einfluss. Auch unter Nichtpolen, insbesondere in Italien, fand der »Meister« begeisterte und opferbereite Anhänger. Siehe auch Wikipedia |
Inhaltsverzeichnis
Aus der Ansprache an die polnischen Emigranten in der Kathedrale Notre-Dame zu Paris (1841)
Aus der »Biesiada«
Aus der Ansprache an die polnischen Emigranten
in der Kathedrale Notre-Dame zu Paris (1841):
... Seit langem war mein Herz bestrebt, Euch näher zu kommen, geliebte
Landsleute, und Euch das zu übergeben, was ich von oben für Euch
erhalten habe, aber erst jetzt hat die Stunde Gottes dafür geschlagen.
Das Wort »von oben« soll Euch, meine
Brüder, nicht verwundern. Ich bringe Euch nämlich nicht Weisheit in
irdischen Dingen, keine Kunde, keine Wissenschaft, keine Talente... davon besitzt
Ihr mehr als ich. Von oben kommt das, was ich Euch bringe, denn es kommt aus
dem Willen und der Gnade Gottes, es kommt aus dem Quell, den Christus der Herr
erschlossen hat.
Durch den Willen Gottes verließ ich das Land meiner Väter und komme
nun zu Euch, Landsleute, damit ich Euch das, was mir für Euch überantwortet
ward, ein Wort des Trostes und der Freude, darlege, damit ich Euch als ersten
verkünde, dass sich die Zeiten schon erfüllt haben, und die Stunde
von Gottes Erbarmen geschlagen hat, dass das Reich Gottes nahe ist und
im Menschen den reinen Anteil Gottes offenbarer fördern wird, jenen Funken
des Feuers Christi, den man durch Jahrhunderte zu löschen versuchte, unterdrückte,
verfolgte.., ich bin gekommen, um Euch die Zeit des Jubeljahres des Herrn zu
verkünden, wo es für den Menschen leichter wird, die Gnade Gottes
zu erlangen und sich mit ihrer Hilfe aus der Knechtschaft zu befreien, wiedergeboren
zu werden und christlich zu leben; um Euch die höhere christliche Epoche
zu verkünden, die sich heute für die Welt auftut, und die Sache Gottes,
die den Menschen in diese Epoche eingehen lässt. Schließlich
komme ich zu Euch, um Euch unsere wichtige Berufung in diesem Werke vorzustellen,
sie euch zu erleichtern und sie gemeinsam mit Euch zu erfüllen. Gott hat
es gefallen, Euch als Söhne eines überaus christlichen Volkes in einer
zehnjährigen geistlichen Übung im fremden Lande dazu vorzubereiten.
Wenn das Böse also den Gipfelpunkt erreicht und schon auf die völlige
Vernichtung des Christentums sinnt, dann eröffnet Gott in seiner unerschöpflichen
Barmherzigkeit dem Menschen zu seiner Rettung mit seiner Sache einen Quell des
Lichtes und der christlichen Stärke, damit der Mensch durch dieses Licht
und durch diese Kraft die Forderung und den Anruf Gottes erkenne und erfülle,
von seinen Irrwegen ablasse und den geraden christlichen Pfad beschreite und
auf diesem Wege sich zur höchsten Stufe des christlichen Fortschrittes
erhebe, damit er Gottes Gerechtigkeit genug tue und die für ihn bestimmte
Barmherzigkeit Gottes erlange. Und ihr, Brüder, Hüter und Märtyrer
der Freiheit, vorbereitet durch die Leiden der Verbannung und des Umherirrens,
Ihr seid als erste berufen, Anteil zu nehmen an dieser großen Sache der
Barmherzigkeit Gottes, an der Sache der Rettung und des Fortschrittes für
den Menschen ...
Aus
der »Biesiada«
Stellen wir uns den Menschen vor als letztes Behältnis, als letzten sichtbaren
Punkt, durch den die Heerscharen der Geister unsichtbar wirken. Diese Heerscharen
sind außerordentlich verschieden in ihrer Art, denn der Geist des Menschen,
ja jeden Geschöpfes, muss mit ihnen eine durch den Spruch des Höchsten
vorbestimmte Harmonie eingehen...
Der Mann aber, der die Sache führt, muss eine so reine und
flammende Seele haben, dass er durch die Kraft seiner lichten Säule,
auf Grund des Verdienstes Seiner in ihm wirksamen Tätigkeit, die ständig
sich herablässt, befähigt ist, die Angriffe des Bösen abzuwehren,
zu siegen und die Sache durchzusetzen — und auf Seinen Punkt als den wichtigsten
wird die Hölle ihre ganze Macht loslassen — die Versuchungen werden
mit dem ausgehenden Geist den Mann der Vorsehung immer mehr angreifen —
so die Worte der Offenbarung. Er muss diesen Stand der Heiligkeit ständig
aufrechthalten, denn das Böse würde durch eine dunkle Säule alsogleich
eindringen. Und dieses Aushalten ist das Kreuz des Neuen Testamentes, ist das
Martyrium des Geistes ...
Das große Gute kommt aus der Vereinigung im Gebet, denn hier bilden viele
lichte Säulen eine einzige lichte Atmosphäre, vor der die bösen
Geister fliehen. Während der Schlacht aber wird diese Atmosphäre allgemein
sein — die erste Erscheinung auf Erden. Und die Welt wird die Macht Gottes
erkennen. Alle Gesetze der Zukunft werden von dem immer stärkeren Entbrennen
der Liebe zu Gott in den Herzen der Menschen abhängen — und deshalb
kommt es gemäß den Regeln der himmlischen Harmonie zu einer immer
umfassenderen Deszendenz der Atmosphäre immer höherer Geister, d.h.
der Gnade des Himmels, so dass zur Zeit des siebenten Boten Gottes die
Erde zum Himmel werden wird, so groß wird die Liebe Gottes sein, deshalb
auch die Heiligung der Menschen, die nur die Liebe Gottes bewirken kann.
Enthalten in: Slavische Geisteswelt 3. West- und Südslavien,
Mensch und Welt. (S. 76ff.)
Herausgegeben von St. Hafner, O. Turecek und C. Wytrzens, Holle Verlag