John Toland (1670 – 1722)

Irischer Philosoph und Theologe, der in seinem 1694/5 erschienenen Hauptwerk »Christianity not mysterious« (Christentum ohne Geheimnis) vehement die Meinung vertritt, dass das Evangelium weder der Vernunft widerspreche, noch diese übersteigen könne. Das Christentum enthalte im Grunde genommen nichts anderes als die natürliche Religion und Moral. Toland traf mit Leibniz zusammen, der sich in der Zeit seines Zusammenseins mit Toland nicht nur mit dessen Politik beschäftigte, sondern auch seine Theologie studierte, da ihm Toland ein Exemplar seiner »Christianity not mysterious« aushändigte. Noch während Tolands Anwesenheit hat Leibniz am 8. August 1701 seine Anmerkungen in seiner »Annotatiunculae subitaneaea ad Librum de Christianismo Mysteriis carente: conscriptae 8: Augusti 1701« niedergeschrieben.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Christentum ohne Geheimnis
oder eine Abhandlung, die zeigt, dass es im Evangelium nichts Widervernünftiges und nichts Übervernünftiges gibt, und dass daher keine christliche Lehre im eigentlichen Sinne ein Mysterium genannt werden kann.

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Fragestellung

I. Über die Vernunft
1. Kapitel. Was die Vernunft nicht ist
2. Kapitel: Worin die Vernunft besteht
3. Kapitel: Von den Mitteln der Belehrung
4. Kapitel: Von dem Grunde der Überzeugung

II: Dass die Lehren des Evangeliums nicht wider die Vernunft sind
1.Kapitel: Der Widersinn und die Folgen de Zugeständnisses einiger wirklichen oder scheinbaren Widersprüche in der Religion
2. Kapitel: Von der Autorität der Offenbarung, soweit sie für diese Frage in Betracht kommt.
3. Kapitel: Dass mit Christentum eine vernünftige und verständliche Religion gemeint war, untersucht an den Wundern, der Methode und dem Stil des Neuen Testaments
4. Kapitel: Beantwortung von Einwürfen, die aus der Verworfenheit der menschlichen Vernunft hergeleitet werden

III. Dass nichts Geheimnisvolles oder Übervernünftiges im Evangelium enthalten ist
1. Kapitel: Die Geschichte und Bedeutung von Mysterium in den Schriften der Heiden
2. Kapitel: Dass nichts deshalb ein Mysterium genannt werden sollte, weil wir keine adäquate Idee von all seinen Eigenschaften haben oder von seinem Wesen überhaupt
3. Kapitel: Die Bedeutung des Wortes Mysterium im Neuen Testament und in den Schriften der ältesten Christen
4. Kapitel: Antwort auf Einwürfe, die auf Grund besonderer Schriftstellen oder auf Grund der Natur des Glaubens erhoben werden
5.Kapitel: Antwort auf Einwürfe, die sich auf Grund der Betrachtung der Wunder ergeben
6. Kapitel: Wann, warum und durch wen Mysterien in das Christentum kamen

Schluss

Vorwort
Ich glaube, jedermann wird gern zugeben, dass niemand mit mehr Freimut und Zuversicht sprechen könnte als der, der die Wahrheit verteidigt oder sie ins rechte Licht setzt. Aber wenn wir der Geschichte der Vergangenheit Glauben schenken oder mit der schuldigen Sorgfalt die Geschehnisse der Gegenwart betrachten, so werden wir niemand in der offenen Aussprache seiner Meinung rückständiger finden als die, die das Recht auf ihrer Seite haben. Wahrlich, man sollte denken, die Güte ihres Motivs und ihres Vorhabens würde ihnen Mut gegen alle feindlichen Angriffe geben: und es fehlt nicht an zahlreichen Beispielen solcher Leute, die der Wahrheit zuliebe mit unerschütterlicher Ruhe die entehrendsten und verletzendsten Dinge ertragen haben. Doch wenn wir richtig zählen und selbst die alten Märtyrer, die Propheten und auch die Apostel in unsere Berechnung einschließen, so wird sich ergeben, dass die ausgemachten Verteidiger der Wahrheit, die einzig der Wahrheit zuliebe handeln, nur eine Handvoll sind im Hinblick auf die zahlreichen Anhänger des Irrtums.

Und das ist die beklagenswerte Lage unserer Zeit, dass ein Mann nicht offen und klar bekennen darf, was er in Sachen der Religion denkt, mag es noch so wahr und heilsam sein, wenn es nur ein Haar breit von den festgelegten Ansichten irgendeiner Partei oder von der gesetzlichen Bestimmung abweicht. Er ist vielmehr entweder gezwungen, fortwährend Schweigen zu wahren oder seine Ansichten der Welt (welch ein Paradoxon!) unter einem erborgten oder erdachten Namen vorzulegen. Nur des kleinsten Teils der Unannehmlichkeiten zu gedenken, denen dieses Verfahren den Mann selbst aussetzt, der den Mut gehabt hat, offener und ehrlicher zu Werke zu gehen, ist ein trauriges Thema; es liegt klar genug am Tage, um von allen denen beklagt zu werden, die wahrhaft edel und tugendhaft sind.

Die lasterhafte Gesinnung der meisten Menschen und der Ehrgeiz einzelner Leute lässt dieses weniger befremdlich in politischen und profanen Angelegenheiten erscheinen. Und noch jetzt kann jemand nicht nur ungestraft Neuerungen und Verbesserungen am Gesetz oder in der Physik und in den anderen Künsten und Wissenschaften vornehmen, sondern er wird dafür sogar noch gebührend unterstützt und belohnt. Doch wie merkwürdig! Dass der geweihte Name der Religion, die nichts anderes verkündet als Heiligkeit, Friede und Reinheit, so allgemein missbraucht werden konnte, um den Ehrgeiz, den Unglauben und die Streitsucht zu fördern, dass das, dessen vollkommenes Verständnis in unserem höchsten Interesse liegt, in einem Zustande der Dunkelheit erhalten, ja mit Fleiß noch mehr verdunkelt werden konnte. Ja, es ist soweit gekommen, dass die Wahrheit nirgends auf heftigeren Widerstand stößt als bei vielen der Leute, die das größte Geschrei darüber machen, und die man für nichts Geringeres halten würde als für die einzigen Verkünder der Gnaden und Orakel des Himmels, Wenn jemand den Mut hat, nur das Geringfügigste zu berühren, das ihnen Gewinn oder Ansehen verschafft, heftet sich sofort das Gerücht und der Ruf der Ketzerei an seine Fersen. Und, wenn er ihr Urteil schätzt, wird er gezwungen, öffentliche Buße zu leisten; und wenn er sich widerspenstig zeigt, fällt er mindestens in ihrer Achtung, ihrem unversöhnlichen Hass zum Opfer. Und er wird wahrscheinlich, wir sind dessen sicher, keine freundlichere Aufnahme bei den erklärten Gegnern der Religion finden, deren Prinzip es ist, alle Gleichheit und Wahrheit niederzutreten, und die ihn daher zwingen, die wackeren Verfechter dieser und aller anderen Tugenden zu hassen und zu belästigen. Aber genug von diesen niederdrückenden Betrachtungen! Nichtsdestotrotz habe ich mich daran gemacht, diese Abhandlung zu veröffentlichen, in der Absicht, dadurch soweit ich dazu fähig bin, die engherzigen Bigotterien des einen und die gottlosen Prinzipien des anderen zu berichtigen.

Weder Atheisten noch Ungläubige irgendwelcher Art können mit Recht böse auf mich sein, wenn ich die Klingen, die ich mit ihnen kreuze und sie nur mit denselben Waffen angreife, die sie mir vorschreiben. Der wahre Christ kann ebenso wenig beleidigt werden, wenn er finde, dass ich die Vernunft verwende, nicht um die Offenbarung zu schwächen oder zu verwirren, sondern um sie zu befestigen und zu erleuchten.; es sei denn, dass er besorgt ist, ich würde mir selbst das zu klar und anderen zu vertraut machen, was Widersinnigkeiten sind, die niemand zugestehen will. Ich hoffe klarzumachen, dass der Gebrauch der Vernunft nicht so gefährlich in der Religion ist, wie es gemeinhin dargestellt wird, und dass auch solche, die ihn gewaltig preisen, wenn er sie zu begünstigen scheint, ihm doch kein Gehör schenken, wenn er gegen sie spricht, vielmehr ihr eigene Autorität dagegen geltend machen. Das sind in der Tat hohe Vorrechte und die denkbar sichersten Mittel, immer im Streite recht zu haben.

Damit die irrigen Ungläubigen nicht sagen können, ich bediene mich einer Hypothese zur Verteidigung meines Glaubens, wie jemand, der sich erst etwas einbildet oder eine Meinung fasst und dann Beweise ersinnt, um sie zu bekräftigen, erkläre ich feierlich, dass die Sache ganz anders ist, und dass ich nur dann einen Artikel meiner Religion festhalte, wenn die höchste Klarheit mich zwingt, ihn anzunehmen. Denn nachdem ich von der Wiege an in tiefstem Aberglauben und Abgötterei erzogen war, gefiel es Gott meine eigene Vernunft und Menschen, die von der ihrigen Gebrauch machten, zu den glücklichen Werkzeugen meiner Bekehrung zu machen. So bin ich früh an Prüfung und Untersuchung gewöhnt worden und darin unterwiesen, meinen Verstand so wenig wie meine Sinne einem Menschen oder irgendeiner Partei gefangen zu geben. Nun, ich denke, die beste Methode, anderen die Wahrheit mitzuteilen, ist die, durch die man sie selbst gelernt hat.

Damit die wohlmeinenden Christen nicht argwöhnen, wie es sehr häufig vorkommt, das ich mehr beabsichtige, als ich behaupte, und dass ich trügerisch schlechte Prinzipien unter dem ehrlichen Gewande verberge, die wahre Religion zu verteidigen, versichere ich, dass ich mit ganzer Aufrichtigkeit und erdenklicher Einfalt schreibe, durchaus überzeugt von dem, was ich behaupte, wie ich es nur von irgend etwas sein kann. Wenn ein guter Mensch nach dieser Beteuerung dabei beharren sollte, schlecht von mir zu denken, so muss das notwendig von starken Vorurteilen ausgehen; es lassen sich ja wenige finden, die nicht in Vorurteile der einen oder anderen Art verwickelt sind, mit denen man schuldige Nachsicht üben muss. Wie gern sind wir alle bereit, bei dem stehen zu bleiben, was wir in unserer Jugend lernten; wie wunderbar berührt uns der Anblick oder die Erinnerung an die Stätten, wo wir diese angenehme Zeit verbrachten! Eine Mutter wird mehr durch das halb unverständliche Lallen ihres schwatzhaften Kleinen gefesselt als durch die beste Rede und die gediegendsten Vorträge. Dass ein Neuling, erst von gestern her, sich anmaßen könnte, alles das umzustürzen, dessen Ergründung den Alten soviel Zeit und Leben und ihnen selbst soviel Mühe und Arbeit kostete, ist vielen ein harter Gedanke. Und wenn andere nur gebeten werden, ihre Ausdrücke zu erklären, die im allgemeinen nichts bedeuten, oder, – worüber sie sich schämen müssten, – einzugestehen, dass sie irrtümlich gedacht hätten, so ist ihnen dies so unbequem, wie einem verschwenderischen Kaufmann, seine Rechnungen zu prüfen; doch es ist gut, wenn sie ihre Leidenschaften bezähmen können. Nicht nur einzelne, sondern oft ganze Gesellschaften legen, solange sie die Dinge nur sehr oberflächlich betrachten, so großen Wert auf gewisse Äußerlichkeiten, als ob sie das wahre Wesen aller Religion wären. Das eine oder andere davon in Frage zu stellen oder zu verwerfen, mag es auch noch so falsch und hinderlich sein, ist gefahrvolle Heterodoxie [von der herrschenden Kirchenmeinung abweichende Meinung]. Und doch, wie ich eben andeutete, bedeuten sie entweder gar nichts, oder sie sind von leitenden Männern erfunden worden, um klare Dinge dunkel zu machen, und nicht selten, um ihre eigene Unwissenheit zu verdecken. Was unverzeihlich ist, die heilige Schrift ist der Folter unterworfen, dieses scholastische Kauderwelsch und die metaphysischen Chimären ihrer Verfasser in Schutz zu nehmen. Aber die Schwäche des größten Teiles dieser Vorurteile ist so offenkundig, dass ihre bloße Erwähnung hinlängliche Widerlegung ist, und ich werde durch etwas dieser Art ebenso wenig bewegt werden, wie ein kluger Mann es bei der Rede eines solchen sein würde, der seine Zuflucht zum Spott nimmt, wenn ihm die Vernunft ausgeht.

Was die edeln Herren betrifft, die andeuten, dass die Leichtgläubigkeit des Papsttumes mich in eine ungebührliche Entfremdung gescheucht hätte, so habe ich zu ihrer Genugtuung nichts zu sagen, als dass ich sie nicht um ihre wohlfeilen und bequemen Mittel, sich aufzublasen, beneide, solange ich Wahrheit und Irrtum für zwei Extreme halte. Religion darf nicht nach unseren Einfällen gestaltet und nicht beurteilt werden, wie sie unseren privaten Zwecke entspricht; sonst würde sie soviel Glaubensbekenntnisse wie Menschen umfassen. Sondern mögen unsere Anschauungen noch so wenig übereinstimmen, und mag unsere irdische Lage sein, wie sie will, Religion ist ewig dasselbe, wie Gott, ihr Urheber, bei dem es keine Veränderung gibt und nicht einen Schatten oder Wechsel.

Wenn mich jemand fragen sollte, ob ich eine so gute Meinung von meinen eigenen Fähigkeiten habe, dass ich mir einbilde, vernünftige Rechenschaft geben zu können über all die widerstreitenden Lehren, doppeldeutigen Ausdrücke und verwirrenden Unterscheidungen, die durch so viele Jahrhunderte hindurch die Gelehrten aller Art hinreichend geübt zu haben, so antworte ich darauf, das ich nicht behauptet habe (wie das Titelblatt bezeugen kann), wir seien fähig die Ausdrücke oder Lehren dieses oder jenen Zeitalters, Konzils oder Volkes zu erklären (deren Mehrzahl wirklich ein undurchdringliches Geheimnis ist), sondern die Ausdrücke und Lehren des Evangeliums. Es werden nicht die Artikel des Ostens oder Westens, der Orthodoxen oder der Arianer, der Protestanten oder Papisten betrachtet, da diese mich selbst verwirren, sondern die Jesu Christi und seiner Apostel. Und indem ich dieses Argument handhabe, verlasse ich mich, wie bei jeder anderen guten Handlung, nicht ausschließlich auf meine eigenen armseligen Kenntnisse, sondern ebenso sehr auf die Gnade Gottes, der mich, hoffe ich, befähigen wird, seinen offenbarten Willen vor den so ungerechten Beschuldigungen des Widerspruches und der Dunkelheit zu verteidigen.

Ich werde wahrscheinlich in manchen Dingen von Leuten abweichen, die nach Gebühr ausgezeichnet sind durch ihre Gelehrsamkeit und Frömmigkeit; aber das sollte nicht gegen mich ausgebeutet werden, wenn die Wahrheit klar und deutlich für mich spricht. Da Religion ja für vernünftige Geschöpfe berechnet ist, ist es Überzeugung und nicht Autorität, die den Ausschlag geben sollte. Ein weiser und guter Mann wird über die Vorzüge einer Angelegenheit nur mit Erwägung der Sache selbst urteilen, ohne Rücksicht auf Zeiten, Orte oder Menschen. Keine Zahlen, keine Exempel, keine Interessen könne je sein wohlgegründetes Urteil ins Schwanken bringen oder seine Lauterkeit verderben. Er kennt keinen Unterschied zwischen papistischer Unfehlbarkeit und dem Zwang, sich blind den Entscheidungen fehlbarer Protestanten zu fügen. Ich für mein Teil würde mich nie durch falsche oder unlautere Konsequenzen bewegen lassen, zu sagen, was ich nicht glaube, ebenso wie ich nicht behaupten würde, dass etwa Schrift und Vernunft einander widersprechen, die (ich bin dessen sicher) sehr wohl zusammen übereinstimmen. Und es kann nicht befremden, dass ich auf diesen Bedingungen beharre, da ich mich ihnen selbst durchaus bereitwillig unterwerfe, und der ganzen Welt dasselbe Recht über mich gebe. Ich bin daher nicht durch ehrwürdige Namen und pomphafte Zitate aus der Fassung zu bringen, die keinen anderen Wert haben als den, dass sie alten Münzen eine hässliche Rostfarbe geben. Gott allein und die, die von ihm inspiriert sind, können Vorschriften geben, die sich auf eine zukünftige Welt beziehen, während menschliche Fähigkeiten menschliche Angelegenheiten regeln. Um mich nun etwas eingehender hinsichtlich der folgenden Arbeit zu äußern, so erwarte ich nicht, dass mir irgendwelche Rücksicht von der Welt erwiesen wird, die niemand verschont; noch weniger bin ich begierig nach irgendwelchen Helfershelfern. Eher werde ich, wenn meine Vernunftgründe nicht zwingend, eine bescheidene und treffende Rüge gern annehmen. Und wenn ich nicht so glücklich darin bin, anderen etwas so klarzumachen, wie es mir selbst erscheint, so habe ich doch ehrlich darnach gestrebt, und das, was ich für Wahrheit hielt, sine ira et studio gesagt, deshalb werden meine guten Absichten keiner weiteren Verteidigung bedürfen.

Einige Stellen im ersten Abschnitt oder die einleitenden Erörterungen über die Vernunft, die, wie ich vermute, sich in der früheren Auflage für gewöhnliche Leser ein wenig unklar erwiesen, sind jetzt populärer gehalten. Ich hatte freilich erklärt, dass das Verständnis dieser Stellen für den nichts ausmacht, der ordentlich nachdenkt, da sie nur eingeschoben sind, um dem vorauszusehenden Gezänk gewisser Leute vorzubeugen, die sich lieber bemühen, einen Streit aufzuschieben und zu verwirren, als ihn beizulegen. Aber ich konnte jetzt nicht umhin, dem Verlangen derer nachzukommen, die sie klarer ausgedrückt wünschten, wenn es mich auch einige Worte mehr kosten sollte, deren ich immer soviel als möglich sparen werde. Ich habe mich ebenso an allen anderen Stellen bemüht, ganz verständlich zu sprechen, und bin nicht ohne Hoffnung, dass meine Versicherungen ihr eigenes Licht in sich tragen. Ich habe an vielen Stellen erklärende Wiederholungen schwieriger Worte durch synonyme Ausdrücke von allgemeinerem und bekannterem Gebrauch angebracht. Diese Arbeit, das gestehe ich zu, ist von keinem Gewinn für die Philosophen, wohl aber von beachtenswertem Vorteil für das einfache Volk, dessen Vernachlässigung mir ferner liegt als denen, die uns in jedem Vorwort sagen, dass sie ihm weder schmeicheln, noch sich darum kümmern.. Ich wundere mich, wie jemand so sprechen kann, besonders von denen, deren vornehmliche Aufgabe es ist, dem Volk zu dienen und ihm die Mühe eines langen und arbeitsreichen Studiums, das ihnen ihre gewöhnlichen Beschäftigungen nicht erlauben. Laien entrichten eben zu diesem Zweck ihre Gebühren für die Bibeln und für den Erhalt der Kirchenbeamten. Aber ich fürchte, einige der letzteren wollen dieses ebenso wenig glauben wie das, dass Behörden ebenfalls für das Volk eingerichtet sind.

Es kann niemand aus dem Beruf der Geistlichkeit folgern, dass das Volk unbedingt ihre willkürlichen Vorschriften anzunehmen hat, ebenso wenig wie ich ihr meine Vernunft zu übergeben habe, die ich gebrauche, um für mich zu lesen, zu schreiben und zu folgern. Der Kluge wird nicht der Erfahrung seines eigenen Gefühls zuwider die Worte des Brauers oder Bäckers für Essen oder Trinken nehmen, wenn er auch in ihrem Handwerk unkundig ist. Und warum kann das Volk nicht ebenso Richter über den Sinn der Dinge sein, wenn es auch nichts von den Sprachen versteht, aus denen sie zu seinem Gebrauch übertragen sind? Wahrheit ist immer und überall dasselbe; und eine umständliche Behauptung darf niemals rücksichtsvoller behandelt werden, weil sie alt oder fremd ist, weil sie ursprünglich lateinisch, griechisch oder hebräisch geschrieben ist. Außerdem ist eine Gottheit, die allein denen verständlich ist, die davon leben, menschlich ausgedrückt, ein Gewerbe; und ich verstehe nicht, wie diejenigen böse auf diesen Namen sein können, die so leidenschaftlich in die Sache verliebt sind. Aber davon an geeigneterer Stelle.

Der Arme, von dem nicht vorausgesetzt wird, dass er philosophische Systeme versteht, begreift bald die Unterschiede zwischen den klaren, überzeugenden Vorschriften Christi und den verwickelten, fruchtlosen Reden der Schriftgelehrten. Denn die jüdischen Rabbinen, zu jener Zeit in stoische, platonische, pythagoreische und andere Sekten eingeteilt, passten durch eine totale Ungebundenheit der Allegorie die Schriften den wildesten Spekulationen ihrer besonderen Lehrer an. Sie machten das Volk, das nichts von ihren kabbalistischen Beobachtungen verstand, glauben, das alles wären unergründliche Mysterien; und so lehrten sie sie die Unterwerfung unter die heidnischen Riten während sie das Gesetz Gottes durch ihr Traditionen in den Wind schlugen. Kein Wunder also, wenn die unparteiische Allgemeinheit und die geistvolleren unter den Leitern diesen unsinnigen Aberglauben verwarfen, wenn er auch schamloserweise dem Moses zugeschrieben wurde an Stelle einer Religion, die der Einsicht aller zugänglich war, wie sie von ihren eigenen Propheten entworfen und verkündigt wurde.

Ich wünschte, man brauchte im Folgenden dieses nicht auch auf die Sache der Christen anzuwenden, wenigstens nicht auf deren reinere und bessere Art. Wer betrachtet, mit welchem Ungestüm und mit welcher Härte manche Leute auf Gehorsam gegen ihr eigenen Vorschriften und Lehren dringen (während sie zugleich mit allem Ungehorsam gegen das göttliche Gesetz Nachsicht üben), wie streng sie die Beobachtung unvernünftiger und unbiblischer Zeremonien zur Pflicht machen und den Glauben an jene unbegreiflichen Erklärungen, die sie selbst steif und fest für unbegreiflich halten, – ich sage, wer dies alles betrachtet, der gerät in starke Versuchung zu argwöhnen, dass sie mehr eine selbstische Absicht haben als die, den Unwissenden zu unterrichten oder den Sünder zu bekehren. Dass jemand gehasst, verachtet und belästigt, ja oftmals liebevoll verbrannt und verdammt wird, weil er diese Torheiten verwirft, die später hinzugefügt sind und in vielen Fällen anstelle der gesegnetsten, reinsten und praktischsten Religion, die Menschen wünschen und genießen können, getreten sind, das ist allen denen ein Gegenstand der Bestürzung und des Schmerzes, die die Vorschriften Gottes den Erfindungen der Menschen vorziehen, wie die geraden Wege der Vernunft den unüberwindlichen Irrwegen der Väter und wahre christliche Freiheit einer teuflischen und antichristlichen Tyrannei.

Aber die allgemeine Methode, dieses Mysterium der Ungerechtigkeit zu lehren und zu verteidigen, ist noch unerträglicher. Wie viele weitschweifige Systeme, unendlich viel schwieriger als die Schrift, müssen mit großer Aufmerksamkeit von denen gelesen werden, die der gegenwärtigen Theologie Meister sein wollen? Welch eine ungeheure Anzahl barbarischer Worte (ohne Zweifel »Geheimnisse«), was für langweilige und widerstreitende Auslegungen muss man geduldig lernen und beobachten, ehe man anfangen kann, einen Professor dieser Fakultät zu verstehen? Der letzte und leichteste Teil der Arbeit wird sein, seine Gedanken in der Bibel zu finden, obgleich der heilige Schriftsteller niemals daran dachte und man dieses Buch, seit man Schuljunge war, niemals gelesen hat. Aber ein Misstrauen gegen die eigene Vernunft, eine blinde Verehrung für die, die vor uns lebten, und ein fester Entschluss, sich allen Darstellungen seiner Partei anzuschließen, tut manches. Man glaube nur als eine sichere Grundlage für alle seine Allegorien, dass die Worte der Schrift, mögen sie auch noch so zweideutig und doppelsinnig außer dem Zusammenhang sein, überall das bedeuten dürfen, was sie immer bedeuten können. Und wenn das nicht genug ist, glaube man, dass jede Wahrheit ein wahrer Sinn einer jeden Schriftstelle ist; d. h. dass jedes Ding aus jedem Dinge gemacht werden kann. Man wird dann nicht nur das ganze Neue Testament im Alten finden und das ganze Alte im Neuen, sondern, ich sichere es zu, es gibt dann keine Erklärung, mag sie auch noch so gewaltsam, noch so widerspruchsvoll und wirr sein, die man nicht leicht bestätigen und zulassen könnte.

Aber ich will nicht wiederholen, was ich ausdrücklich hierüber in einer Abhandlung in Briefen gesagt habe, die mir jetzt vorliegt, betitelt: Systems of Divinity exploded. In der folgenden Abhandlung, die die erste von dreien ist, worin ich meinen Gegenstand im allgemeinen untersuche, ist die Göttlichkeit des Neuen Testamentes als zugestanden angenommen, so dass sie unmittelbar nur Christen im Auge hat, andere aber erst in zweiter Linie, die gebeten werden, meine Argumente unter der besagten Voraussetzung zu erwägen. In der nächsten (zweiten) Abhandlung versuche ich eine ins einzelne gehende rationale Erklärung der vermeintlichen Mysterien des Evangeliums. Und in der dritten beweise ich die Wahrheit der göttlichen Offenbarung gegen Atheisten und alle Feinde geoffenbarter Religion.

Das scheint mir die beste Methode zu sein; denn die natürliche Ordnung ist in den Systemen der Theologie völlig auf den Kopf gestellt. Sie beweisen die Autorität und Vollkommenheit, ehe sie den Inhalt der Schrift lehren, wogegen das erste größtenteils durch das letzte erkannt wird. Wie kann jemand sicher sein, dass die Schrift alle zum Heile notwendigen Dinge enthält, ehe er sie durchgelesen hat! Ja, wie kann er schließen, dass es die Schrift oder das Wort Gottes ist, ehe er sie genau studiert hat, von anderen Mitteln, die er verwenden muss, jetzt nicht zu reden! Diese Verwirrung habe ich also sorgfältig vermieden, denn ich stelle zuerst fest, dass die wahre Religion notwendig vernünftig und verständlich sein muss. Dann zeige ich, dass diese erforderlichen Bedingungen im Christentum zu finden sind. Aber gegenüber der Ansicht, dass ein Mensch von guten Anlagen und Kenntnissen leicht ein klares und zusammenhängendes System entwerfen kann, zeige ich drittens, dass die christliche Religion nicht nur auf diese Weise gebildet, sondern göttlich vom Himmel offenbart ist. Dies drei Gegenstände behandle ich in mehreren Büchern, von denen, wie gesagt, die folgende Abhandlung das erste ist.

Bevor ich schließe, muss ich von den edelen Herren Notiz nehmen, die es lieben, Namen in der Religion zu nennen. Wozu sollen alle Parteiunterschiede dienen, wenn man nicht damit ebenso viele Arten von Häretikern, Schismatikern oder Schlimmerem bezeichnen wollte? Aber ich gebe die Versicherung, dass ich weder Pauli noch Kephas noch Apollos bin, sondern allein des Herrn Jesu Christi, der Anfang und Ende meines Glaubens ist. Ich habe ebenso gut das Recht, andere nach meinem Namen zu nennen, wie sie, mir eine Benennung zu geben, und das Recht hat überhaupt keiner. Ich sage das nicht um vorzubeugen, dass ich gehässig, wie es ein ganz allgemeiner Kunstgriff ist, unter die Anschauung irgend einer Sekte in der Welt eingereiht werde, die mit Recht oder Unrecht von anderen gehasst wird. Das würde in der Tat eine armselige Betrachtungsweise sein! Aber es ist meine entschiedene Meinung, dass einem guten Christen das selbstverständlich nicht erlaubt ist. Indem ich nichtsdestoweniger anderen ihre Freiheit in diesem Punkte lasse, muss es mindestens als unziemlich zugestanden werden. Denn wenn man z. B. unter dem Namen eines Lutheraners geht, so werden, wenn man auch in dieser Gemeinschaft nur in den Hauptartikeln übereinstimmt, ihre Gegner dennoch nicht ermangeln, einen gelegentlich mit den anderen Dingen zu belästigen, in denen man anderer Meinung ist. Und würde man dann seine Meinung erklären, so würden die anderen Lutheraner nicht nur sehr beleidigt sein, sondern sie wären auch imstande, unsere Ehrlichkeit in allen anderen Dingen in Frage zu stellen, – die bekannte Art und Weise der meisten Sekten. Die einzige religiöse Bezeichnung deshalb, die ich meinerseits je zugeben werde, ist die eine, herrlichste, ein Christ zu sein.

Ein Wort oder zwei muss ich noch zur Antwort auf die Gehässigkeit oder das Missverständnis einiger anfügen, die absolut haben wollen, dass ich ein erklärter Feind aller Kleriker bin, und folglich (so sagen sie) aller Religion, weil ich sie zu alleinigen Anstiftern jener unbegreiflichen und geheimnisvollen Lehren mache, von denen ich ja behaupte, dass sie für sie selbst ebenso vorteilhaft sind, wie für die Laien schädlich. In der Tat gibt es solche, die alle Verachtung der wahren Religion leicht übersehen, aber alle diejenigen als gefährliche Häretiker oder unduldbare Atheisten behandeln, die das geringste Missfallen an dem zeigen, was als Zufügungen zum Christentum anerkannt wird, welcher Anlass oder welche Notwendigkeit auch zu ihrer Begründung vorgegeben werden mag. Wenn ein solcher unter Religion den geheimnisvollen Teil davon versteht, dem wird es wirklich keine schwere Sache sein, zu beweisen, dass ich dieser Religion ebenso wenig geneigt bin, wie ich fern davon bin, mich gegenüber den Bekennern einer solchen zu verteidigen.

Was nun den Punkt anbetrifft, dass ich die Kleriker damit belaste, sie seien die Urheber und Anstifter der christlichen Mysterien, so müssten die, die ungehalten darüber sind, meine Feinde sein, weil ich die Wahrheit sage; denn es gibt keine Sache, die klarer aus jeder Seite der Kirchen- und Profangeschichte erhellt. Die Laien haben niemals ihre Hand hierbei im Spiele gehabt, es sei denn bei der Bestätigung der gesetzlichen Sanktionierung, wozu sie jedoch erst durch die Predigt ihrer Priester überredet wurden, wie sie jetzt oft auf ihre Anreizung einen Exkommunizierten verhaften und Irrlehrer verfolgen, nachdem zuerst die Exkommunikation verkündet und die Häresie durch den Klerus festgestellt und erklärt ist. Da jetzt alle Kleriker mit dieser Praxis durchaus nicht einverstanden sind, so sehe ich keinen besseren Grund dafür, dass sie auf jemand ärgerlich sind, der dagegen schreibt, als den, wie wenn ein guter Fürst sich herausnähme, einen Historiker, der Fehler eines Tyrannen hervorhob, zu bestrafen, nur weil der Tyrann auch ein Fürst gewesen ist.

Von allen verderbten Klerikern daher, die ein bloßes Geschäft aus der Religion machen und eine unrechtmäßige Autorität auf das missbrauchte Gewissen des Laienstandes gründen, bin ich ein ausgesprochener Gegner, wie das, hoffe ich, jeder gute und weise Mensch immer ist oder sein wird. Aber wie ich immer ein warmer Freund der reinen und wahren Religion bleiben werde, so werde ich auch immer die höchste Verehrung für ihre wahren Lehrer bewahren. Denn es gibt keine nützlichere Menschenklasse als sie, und ohne sie könnte keine glückliche Gemeinschaft und keine wohlgeordnete Regierung in der Welt geben, gar nicht zu reden von ihren Beziehungen zur künftigen Welt und von der doppelten Hochachtung, die sie dafür verdienen, dass sie sich gegen die Verseuchung ihre Berufes bewährt erzeigen. Aber von den wahren Lehrern habe ich keine Angriffe zu befürchten. Und wenn ränkevolle Gegner durch ihr Missvergnügen ihre Sache aufdecken, so wird es von mir nicht für ein Unrecht gehalten werden; dient es uns doch wohl als ein sie kennzeichnendes Unterscheidungsmerkmal.

Fragestellung
1. Es gibt nichts, worüber die Menschen einen größeren Lärm machen, namentlich in unserer Zeit, als das, was sie nach ihrer eigenen öffentlichen Erklärung nach am allerwenigsten verstehen. Man kann leicht erraten, dass ich die Geheimnisse der christlichen Religion meine. Die Theologen, deren vornehmlicher Beruf es ist, sie anderen zu erklären, bekennen fast einmütig ihre Unwissenheit in diesem Punkte. Sie sagen uns voll Würde, wir müssten anbeten, was wir nicht begreifen können. Und dennoch drängen einige von ihnen ihr dunklen Erklärungen mit mehr Sicherheit und Eifer den übrigen Menschen auf, als einigermaßen gerechtfertigt werden könnte, auch wenn wir zugeben, dass sie durchaus unfehlbar sind. Das Schlimmste dabei ist, sie sind nicht alle einer Meinung. Wenn man dem einen orthodox ist, ist man dem andern ein Ketzer. Derjenige, der zu einer Partei hält, wird von den übrigen zur Hölle verdammt; und wenn er sich für niemand erklärt, erhält er kein milderes Urteil von allen.

2. Einige von ihnen sagen, die Geheimnisse des Evangeliums seien einzig im Sinne der Alten zu verstehen. Aber der ist so mannigfaltig und voll Widerspruch, dass es jedem unmöglich gemacht ist, soviel Unvereinbares zugleich zu glauben. Sie selbst warnten ihre Leser, sich ohne die Kontrolle der Vernunft auf ihre Autorität zu stützen und dachten so wenig daran, zur Glaubensnorm bei ihrer Nachwelt zu werden, wie wir bei unserer Nachwelt. Ferner, da diese Alten nicht alle Schriftsteller waren, so kann nicht eigentlich behauptet werden, dass wir ihre authentische Ansicht besitzen. Die Werke derer, die geschrieben haben, sind erstaunlich verderbt und verfälscht oder nicht vollständig vorhanden. Und wenn sie es wären, so ist doch ihre Bedeutung noch dunkler und in weit höherem Maße ein Gegenstand des Streites als die der Schrift.

3. Andere sagen uns, wir müssten der Meinung einiger doctores ecclesiae folgen, die speziell durch die Kirche als orthodox anerkannt sind. Aber wie wir überhaupt durch keine Autorität befriedigt werden können, sehen wir zudem, dass diese selben doctores ecclesiae nicht mehr übereinstimmen als die ganze Gruppe der Alten; nein – es ist traurig – sie werfen einander ihr Verfahren und ihre Irrtümer vor: dass sie ebenso unverständig, gewaltsam und parteiisch wären wie andere Leute, dass sie zum größten Teil äußerst leichtgläubig und abergläubisch in der Religion wären, so gut wie jämmerlich unwissend und oberflächlich in den geringsten Kleinigkeiten der Literatur. Mit einem Worte, dass sie von derselben Natur und Veranlagung wären wie wir selbst, und dass wir von keinem ihnen vom Himmel verliehenen Rechte wissen, abgesehen davon, dass sie vor uns geboren sind, wenn anders das ein Privileg ist, wie es scheinbar einige zugestehen.

4. Einige geben eine entscheidende Stimme für die Enthüllung der Mysterien und die Interpretation der Schrift einem allgemeinen Konzil; andere wieder einem einzelnen Menschen, den sie für das Haupt der gesamten Kirche auf Erden halten und für den unfehlbaren Richter aller Streitfragen. Aber wir halten es nicht für möglich, dass solche Konzilien (wenn sie existierten) von größerem Gewicht wären als die Alten. Denn sie bestehen aus solchen und anderen, die insgesamt Irrtümern und Leidenschaften unterworfen sind. Und außerdem können wir nicht wie zu einem ständigen Regulativ für die Beseitigung unserer Schwierigkeiten auf ein Wunder zurückgehen, das jetzt, Gott sei Dank, seltener vorkommt als die Säkularspiele im Altertum. Was nun einen einzelnen Richter aller Streitfragen anbetrifft, so sind wir der Ansicht, dass nur ein Mensch, der durch Interessen oder Erziehung stark voreingenommen ist, in vollem Ernste dieses Wahngebilde einer absoluten Oberstellung und das Ungeheuerliche der Unfehlbarkeit ertragen kann. Wir lesen nirgends in der Bibel von solchen ausgewählten Richtern, die von Christus dazu eingesetzt wären, dieses Amt zu bekleiden. Und die Vernunft erklärt sie offenkundig für schamlose Usurpatoren. Auch ist ihre Macht infolge der unseligen Bewunderer beider Teile bis zu dieser Stunde nicht völlig unterschieden von der der Konzilien.

5. Die kommen der Sache am nächsten, die behaupten, wir müssten uns an das halten, was die Heilige Schrift in diesem Punkte bestimmt, und es ist nichts wahrer, wenn es richtig verstanden wird. Aber gewöhnlich ist diese Art zu sprechen doppelsinnig, und nichts wird von vielen der Leute, die so zu reden pflegen, weniger anerkannt, als die eigentliche Meinung der Schrift. Für sie spricht die Schrift entweder im Einklang mit einer untergeschobenen Philosophie, oder sie passen sie recht oder schlecht den großen Systemen und Formularen ihrer besonderen Gemeinschaften an.

6. Einige wollen, dass wir glauben, was der buchstäbliche Sinn bedeutet, mit wenig oder gar keiner Rücksicht auf die Vernunft, die sie als untauglich zur Befassung mit dem geoffenbarten Teil der Religion verwerfen. Andere versichern, dass wir die Vernunft wohl als Mittel, aber nicht als Norm unseres Glaubens verwerten dürften. Der erste behauptet, dass einige Mysterien vernunftwidrig wären oder zu sein schienen und nur durch den Glauben erfasst würden, der zweite, dass kein Mysterium widervernünftig, aber dass sie alle übervernünftig wären. Beide stimmen trotz verschiedenen Prinzipien darin überein, dass die einzelnen Lehren des Neuen Testamentes nicht weiter mit den Untersuchungen der Vernunft in Berührung stehen als zu dem Zwecke, dadurch zu zeigen, dass sie göttliche Offenbarungen sind, und dass sie eigentlich beständig Mysterien bleiben.

7. Im Gegensatz sind wir der Ansicht, dass die Vernunft die eigentliche Grundlage aller Gewissheit ist, und dass nichts Offenbartes, mag es nun seine besondere Form oder seinen Inhalt angehen, von ihrer Prüfung mehr ausgenommen ist als die regelmäßigeren Naturerscheinungen. So folgern wir denn in Übereinstimmung mit dem Titel dieser Abhandlung, dass im Evangelium nichts Widervernünftiges und nichts Übervernünftiges enthalten sei, und dass keine christliche Lehre eigentlich ein Mysterium genannt werden kann.

I. Über die Vernunft
1.
Nachdem die Fragestellung so ordnungsgemäß dargelegt ist, ist unsere nächste Arbeit, an ihre Prüfung heranzugehen. Aber wie eine klare und kurz gefasste Erörterung aller Streitfragen von unerlässlicher Notwendigkeit ist, so ist eine richtige und naturgemäße Methode nicht minder angenehm als nützlich. Der dient man wohl am besten, wenn die Begriffe der vorliegenden Frage in der Reihenfolge definiert werden, die ich zu beobachten beabsichtige, und die darin besteht, erstens zu sehen, was mit Vernunft und ihren Eigenschaften gemeint ist, dann (zweitens) zu untersuchen, ob keine Lehre im Evangelium gegen die Vernunft ist, zuletzt zu beweisen, dass auch nichts Übervernünftigeres darin enthalten und mithin keine dieser Lehren ein Mysterium ist.

1. Kapitel: Was die Vernunft nicht ist.
2.
Wir beginnen mit dem ersten, nämlich mit der Vernunft. Es kommt mir sehr wunderlich vor, dass man Definitionen und Erklärungen für das nötig hat, wodurch man alles andere definiert und erklärt, oder dass man sich nicht einigen kann über das, das alle vorgeben, in gewissem Maße wenigstens zu besitzen, und das einzige Vorrecht ist, das sie vor leb- und seelenlosen Geschöpfen voraushaben. Doch die Erfahrung lehrt uns, dass das Wort Vernunft ebenso zweideutig und doppelsinnig geworden ist wie jedes andere; aber alle, die sich nicht durch eine eitle Originalitätssucht oder Streitlust reizen lassen, stimmen über die Sache selbst im Grunde überein. Ich will sie im Folgenden so kurz wie möglich behandeln.

3. Die sind im Irrtum, die die Seele, an und für sich betrachtet, für Vernunft halten; denn wie der allgemeine Begriff Gold keine Guinee ist, sondern diese ein durch eine besondere Prägung und Bedeutung bestimmtes Goldstück ist, so ist nicht die Seele selbst Vernunft, sondern die Seele, die sich in einer ganz bestimmten und besonderen Art und Weise betätigt. Ebenfalls irren die, die behaupten, Vernunft wäre jene Ordnung, Beziehung und Übereinstimmung, die naturgemäß zwischen allen Dingen waltet; denn nicht dieses, sondern die Gedanken, die die Seele sich in Übereinstimmung damit bildet, müssen diese Bezeichnung rechtmäßig in Anspruch nehmen. Nicht besser fahren die, die ihre eigenen Neigungen oder die Autorität anderer mit diesem Namen bezeichnen. Aber ihr Wesen wird durch die folgenden Betrachtungen besser klar werden.

4. Jeder einzelne erlebt in sich selbst eine Kraft oder Fähigkeit, mannigfache Begriffe oder Vorstellungen von Dingen zu bilden, anzunehmen oder zu leugnen, je nachdem sie in Übereinstimmung oder Widerspruch stehen; ebenso zu lieben und zu wünschen, was ihm gut erscheint, und zu hassen und zu meiden, was er für böse hält. Der richtige Gebrauch aller dieser Fähigkeiten ist es, was wir gesunden Menschenverstand nennen oder Vernunft im Allgemeinen. Aber der eigentliche Vorgang der Aufnahme von Begriffen in den Geist – mag sie nun durch Vermittlung von Sinnesempfindung wie von Farben, Figuren, Tönen, Gerüchen usw. geschehen oder mögen diese Begriffe einfache Wirkungen der Seele auf das sein, was sie von außen empfängt, als bloßes z. B. verständiges, bejahendes oder verneinendes Bewusstsein ohne jede weitere Betrachtungen – dieser bloße Vorgang, sage ich, solche Ideen in den Geist aufzunehmen, ist streng genommen noch nicht Vernunft, weil die Seele hierbei rein passiv ist. Wenn ein geeignetes Objekt sich in angemessener Weise dem Auge, Ohr oder einem anderen normal veranlagten Sinne darbietet, so macht es notwendig solche Eindrücke, deren Aufnahme der Geist zu derselben Zeit nicht verweigern kann. Und wir finden, er kann es nur schwer unterlassen, sich seiner eigenen Gedanken und Funktionen beim Betrachten des Objektes bewusst zu werden. So wenn meine Augen gesund und offen sind wie eben jetzt, habe ich nicht nur eine Vorstellung von dem Gemälde, das vor mir steht, sondern ich erkenne es zugleich, ich nehme es wahr, ich behaupte, dass ich es sehe, ich betrachte es, es gefällt mir, ich wünsche, es wäre mein. Und so bilde ich – oder besser so habe ich oben die Begriffe des Erkennens, Wahrnehmens, Behauptens, Verneinens, Betrachtens, Wollens, Wünschens und die Begriffe all der anderen geistigen Tätigkeiten gebildet, die so veranlasst sind durch die vorhergehenden Eindrücke des sinnlich wahrnehmbaren Objekts.

5. Unter dem Wort Begriff, dessen ich mich hier so oft bediene, und dessen Verwendung in der folgenden Abhandlung noch häufiger sein wird, verstehe ich den unmittelbaren Gegenstand des Geistes, wenn er denkt, oder einen Gedanken, den der Geist auf irgend ein Ding verwendet, mag nun solch ein Gedanke das Bild oder die Vorstellung von etwas Körperlichem sein, wie es der Begriff eines Baumes ist, oder mag es eine Empfindung sein, die durch irgend einen Körper veranlasst ist, wie die Begriffe Kälte und Wärme, Geruch und Geschmack es sind, oder mag es endlich ein bloß intellektueller oder abstrakter Gedanke sein, wie die Begriffe Gott, geschaffene Seelen, Schlussziehen, Zweifel, Denken im Allgemeinen oder Ähnliches.

2. Kapitel: Worin die Vernunft besteht
6.
Aber wenn nun auch diese einfachen verschiedenen Begriffe, aufbewahrt in dem großen Repositorium [Aktenschrank, Bücherregal] des Verstandes, nach unserer Beobachtung nicht das sind, was wir streng genommen Vernunft nennen, so sind sie doch der alleinige Stoff und die Grundlage aller Verstandestätigkeit. Denn der Verstand vergleicht sie bei Gelegenheit miteinander, verbindet sie zu zusammengesetzten Begriffen und erweitert, verengert oder trennt sie, wie es die Umstände erfordern, so dass all unser Wissen nichts anderes ist, als die Wahrnehmung der Ähnlichkeit oder Verschiedenheit unserer Ideen in einer größeren oder geringeren Anzahl, worin auch immer diese Ähnlichkeit oder Verschiedenheit bestehen mag. Und da diese Wahrnehmung entweder unmittelbar oder mittelbar ist, ist unser Wissen zwiefach.

7. Erstens, wenn der Geist ohne den Beistand irgend eines anderen Begriffes unmittelbar die Ähnlichkeit oder Verschiedenheit zweier oder mehrerer Begriffe wahrnimmt, z. B dass 2 + 2 = 4 ist, dass rot nicht blau ist, kann das nicht Vernunftbeweis genannt werden, obgleich das der höchste Grad der Gewissheit ist. Denn hierbei bedarf es keines Nachdenkens und keines Beweises; Selbstverständlichkeit schließt alle Arten von Zweifeln und Ungewissheit aus. Voraussetzungen, die an sich so klar sind, dass sie keiner Prüfung bedürfen, wenn ihre Bezeichnungen einmal verstanden sind, sind allgemein bekannt unter dem Namen Axiome oder Maximen. Und es ist klar, dass ihre Zahl unbegrenzt ist und nicht auf zwei oder drei abstrakte Sätze beschränkt, gebildet (wie alle Axiome sind) durch die Betrachtung einzelner Instanzen, z. B. das Ganze ist größer als einzelne Teile; nichts kann ohne seine Eigenschaften sein.

8. Aber zweitens, wenn der Verstand nicht unmittelbar die Ähnlichkeit oder Verschiedenheit einzelner Begriffe wahrnehmen kann, weil sie nicht nahe genug aneinander gebracht und so verglichen werden können, so verwendet er ein oder mehrere vermittelnde Begriffe, sie zu erforschen: wenn ich z. B. durch ununterbrochenes Anlegen einer Messschnur auf zwei voneinander entfernt liegende Häuser finde, wie weit sie in ihrer Länge ähnlich oder verschieden sind, was ich mit meinem Auge nicht bewerkstelligen kann. Ebenso schließe ich aus der Dichte der Luft und dem Raume, den sie einnimmt, dass sie Festigkeit und Ausdehnung hat und deshalb ebenso gut etwas Körperliches ist (obgleich ich es nicht sehen kann) wie Holz oder Stein, mit denen sie in den Eigenschaften übereinstimmt. Hier sind Festigkeit und Ausdehnung die Messschnur, mit welcher ich finde, Luft und Körper sind gleich, weil Festigkeit und Ausdehnung auf beide anwendbar sind. Wir wissen durch Erfahrung, dass das kleinste vorstellbare Stoffteilchen teilbar ist, denn wir sehen, dass alle Körper teilbar sind; da jedes Stoffteilchen eben etwas Körperliches ist, so wird die Sterblichkeit aller lebenden Körper hergeleitet aus ihrer Teilbarkeit. Diese Methode der Erkenntnis wird recht eigentlich Vernunft oder Beweisführung genannt (im Gegensatz gegen die erst erwähnte Selbstverständlichkeit oder Intuition), und sie kann definiert werden als die Fähigkeit der Seele, Gewissheit über einzelne zweifelhaft und dunkle Dinge zu schaffen, dadurch dass sie vergleicht mit etwas ganz sicher Gewusstem.

9. Nach dieser Definition ist klar, dass der Vermittelungsbegriff nicht beweiskräftig sein kann, wenn seine Übereinstimmung mit beiden in Frage stehenden Begriffen nicht ganz offenbar ist, und dass, wenn mehr als ein Begriff notwendig ist, es klar zu machen, dasselbe Zeugnis für einen jeden von ihnen erforderlich ist. Denn wenn die Verknüpfung aller Teile einer Beweisführung nicht unzweifelhaft wäre, könnten wir niemals der Behauptung oder des Schlusses gewiss werden; und wir verbinden hierbei die beiden Extreme in der Art, dass – obgleich Selbstverständlichkeit des Beweises überhebt – dennoch jede Beweisführung selbstverständlich wird. Noch klarer ist, dass wir, wenn wir keine Vorstellungen und Begriffe von irgendeinem Dinge haben, überhaupt nicht vernünftig darüber denken können, und dass wir da, wo wir Begriffe haben, niemals über Wahrscheinlichkeit hinauskommen, wenn einige dazwischen gelegene, die ihre beständige und notwendige Übereinstimmung oder Verschiedenheit zeigen sollen, uns fehlen. Obgleich wir den Begriff bewohnt haben und den Begriff Mond, haben wir doch keine Vermittelungsbegriffe, um solch eine notwendige Verknüpfung zwischen ihnen zu zeigen, dass sie uns mit Sicherheit darauf schließen lassen könnte, dass dieser Planet bewohnt ist, wie wahrscheinlich es auch erscheinen mag. Da nun Wahrscheinlichkeit nicht Wissen ist, verbanne ich alle Hypothesen aus meiner Philosophie, da ja, wenn ich auch noch so viele zulasse, meine Kenntnis um kein Jota gewachsen ist. Denn wenn die Verknüpfung zwischen meinen Begriffen nicht ganz klar erscheint, kann ich möglicherweise die falsche Seite einer Frage für die richtige halten, was gleichbedeutend wäre mit Nichterkenntnis des Stoffes. Wenn ich zur Erkenntnis gelangt bin, genieße ich die ganze Befriedigung, die damit verbunden ist; wenn ich nur Wahrscheinlichkeit habe, halte ich mein Urteil zurück, oder, wenn es der Mühe wert ist, suche ich nach mehr Gewissheit.

3. Kapitel: Von den Mitteln der Belehrung
10.
Aber außer diesen Eigenschaften der Vernunft müssen wir nun dabei aufs sorgfältigste die Mittel der Belehrung von dem Grund der Überzeugung unterscheiden; denn die Vernachlässigung dieser leichten Unterscheidung hat manchen in unendliche Irrtümer verwickelt; man soll prüfen, ehe man handelt. Die Mittel der Belehrung nenne ich die Wege, auf denen ein Ding lediglich zu unserer Kenntnis gelangt, ohne notwendig unsere Zustimmung zu erfordern. Unter Grund der Überzeugung verstehe ich die Norm, mit der wir über alle Wahrheit urteilen, und die den Verstand unwiderstehlich überzeugt.
Die Mittel der Erkenntnis sind Erfahrung und Autorität. Die Erfahrung (vergl. Nr. 4) ist entweder eine äußerliche, die uns mit den Begriffen der sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände ausrüstet, oder eine innerliche, die uns zu den Begriffen der Tätigkeiten unseres Verstandes verhilft. Dieses ist der gemeinsame Grundstock aller unserer Erkenntnis; und wir können nicht möglicherweise auf einem anderen Wege Begriffe erhalten ohne neue Organe und Fähigkeiten.

11. Autorität (missbräuchlich so genannt, als ob ihre Erkenntnisse ohne Prüfung aufgenommen wären) ist entweder menschlich oder göttlich. Menschliche Autorität nennt man auch moralische Gewissheit; wenn ich z. B. eine verständige Erzählung meines Freundes glaube, weil ich keinen Grund habe, seine Wahrhaftigkeit zu bezweifeln, noch er ein Interesse hat, mich zu täuschen. So müssen alle an sich möglichen Ereignisse, die durch davon unterrichtete Zeitgenossen bezeugt sind, und die der Reihe nach von anderen verschiedenen Zeiten, Völker und Interessesphären weitererzählt wurden, – sofern diese weder sich selbst betrogen haben, noch mit Recht verdächtigt werden können, sich miteinander verbunden haben, um andere zu täuschen, – von uns für so gewiss angenommen werden, als ob wir sie mit unseren eigenen Augen gesehen oder mit unseren eigenen Ohren gehört hätten. Vermöge dieser Mittel glaube ich, dass es eine Stadt gab wie Karthago, einen Reformator wie Luther, und dass es ein Königreich gibt wie Polen. Wenn alle diese Normen bei einer Sachlage zusammentreffen, so nehme ich das für einen Beweis, der nichts anderes ist als die unwiderstehliche Gewissheit infolge der geeigneten Beweismittel. Aber wo eine dieser Bedingungen fehlt, ist die Sache ungewiss oder im besten Sinne nur wahrscheinlich, was in meinen Augen nicht viel anderes ist.

12. Die Autorität Gottes oder göttliche Offenbarung ist die Manifestation der Wahrheit durch die Wahrheit selbst, der es unmöglich ist zu lügen. Näheres darüber in Kapitel 2 der folgenden Abteilung. Nichts in der Natur kann zu unserer Kenntnis gelangen als durch diese 4 Teile: Sinneswahrnehmung, geistige Wahrnehmung, menschliche und göttliche Offenbarung.

4. Kapitel: Von dem Grunde der Überzeugung
13.
Da wir nun aber durchaus der Täuschung unterworfen sind, könnten wir ohne einen untrüglichen Maßstab häufig eine fragwürdige Voraussetzung für ein Axiom halten, Alt-Weiber-Geschichten moralische Gewissheit zuschreiben und menschliche Betrügerei als göttliche Offenbarung ansehen. Dieser untrügliche Maßstab, der die Grundlage aller richtigen Überzeugung ist, ist die offenkundige Gewissheit. Sie besteht in der vollkommenen Gleichförmigkeit unserer Begriffe oder Gedanken mit den Gegenständen oder Dingen, über die wir denken. Denn da wir nur Begriffe in uns haben und nicht die Dinge selbst, steht die Sache so, das wir ein Urteil darüber bilden müssen.

14. Deshalb sind Begriffe repräsentative Wesenheiten und ihre vollkommene Deutlichkeit besteht naturgemäß in den Eigenschaften, die sie durch die wahrheitsgetreue Darstellung ihrer Gegenstände besitzen. Nicht etwa, dass ich dächte, jeder Begriff hätte ein vollkommenes Modell darzustellen, wie die Begriffe Länge und Bewegung in meinem Verstand gleich sind der Länge und Bewegung der Feder, die ich benutze; denn einige Begriffe sind nur das Ergebnis gewisser Kräfte in den Teilchen der Körper, die gewisse Sinnesempfindungen in uns verursachen. Z. B. die Süßigkeit des Zuckers und die Kälte des Eises sind mit diesen Gegenständen nicht mehr verbunden als der Schmerz mit dem Messer, das mich schneidet, und die Übelkeit mit der Frucht, die mich übersättigt. Aber obgleich solche zufälligen Begriffe außerhalb unserer Vorstellung gar keine Existenz haben, so zeigen uns doch Freude, Schmerz und andere Empfindungen, die sie hervorrufen, das Gute und das Böse, das die ihnen zugrunde liegenden Gegenstände und zufügen können; und dieses lässt die Kenntnis dieser Dinge ebenso brauchbar erscheinen wie die der Eigenschaften, die in Wirklichkeit an den Dingen selbst haften. Wozu sollte uns ohne die Hitze und das Licht des Feuers seine Gestalt und quantitative Beschaffenheit dienen? Und was anderes macht die Ambra wertvoll als der Duft? Der Grund dafür, warum ich glaube, der Begriff einer Rose sei klar, ist die wahrheitsgetreue Vorstellung, die er mir von dieser Blume gibt. Ich weiß, er ist wahrheitsgetreu, weil die Rose alle Eigenschaften enthalten muss, die der Begriff darstellt, entweder wesentlich, wie Größe und Gestalt, oder zufällig wie Farbe, Geschmack und Geruch. Und ich kann nicht daran zweifeln, weil die Eigenschaften mit der zugrunde liegenden Ursache verbunden sein müssen oder mit gar nichts, oder sie müssen die Erzeugnisse meines eigenen Hirnes sein. Aber nichts kann nicht Eigenschaften haben; und ich kann nicht einen einzigen Begriff zu meinem Vergnügen bilden, andererseits nicht vermeiden, Begriffe aufzunehmen, wenn Gegenstände auf meinen Sinn einwirken. Deshalb schließe ich, die Eigenschaften einer Rose sind nicht Schöpfungen meiner Phantasie, sondern sie gehören zu einer zugrunde liegenden Ursache, das ist zu dem Gegenstande.

15. Die offenkundige Gewissheit der Begriffe unserer geistigen Funktionen ist ebenso untrüglich, wie die unserer eigenen Existenz; und wenn wir durch irgend eine Unmöglichkeit das letztere in Frage stellen müssten, würde uns doch das erste dazu dienen, uns die größere Gewissheit darüber zu geben. Denn außer der unumgänglichen Voraussetzung unserer Existenz bei dieser These: »Ich zweifle, ob ich bin«, ist klar, dass, was immer zweifelt notwendig sein muss, als irgendetwas, das eine Behauptung aufstellt, und dieses Etwas nenne ich mein Selbst. Wir wollen nun scharf auf diese offenkundige dringen in all den Übereinstimmungen und Verschiedenheiten unserer Begriffe bei rein spekulativen Dingen, und, soweit es möglich ist, bei den Gegenständen der gewöhnlichen Erfahrung (für diese muss notgedrungen einige Mal die Wahrscheinlichkeit eintreten, um die Unvollkommenheit der Beweisführung zu ersetzen). Und wir können ohne ein lässiges Vertrauen auf Autorität oder ein skeptisches Weiterschreiten ins Unbegrenzte erfolgreich die Wahrheit auffinden und sie aus den unterirdischen Höhlen, in denen man sie verborgen glaubt, ans Tageslicht bringen. Es ist uns unmöglich zu irren, solange wir die offenkundige Gewissheit zu unserem Führer haben, und wir können niemals fehlgehen als dann, wenn wir davon abschweifen und unsere Freiheit missbrauchen, indem wir an einem Dinge das in Abrede stellen, was dazu gehört, oder ihm etwas zuschreiben, was wir nicht bei seinem Begriffe sehen. Das ist der erste und allgemeine Ursprung aller unserer Irrtümer.

16. Aber Gott, der weise Schöpfer aller Dinge (immer sei mit Ehrfurcht sein Name genannt und seiner gedacht), der uns befähigt hat, die Dinge wahrzunehmen und Urteile darüber zu bilden, hat uns ebenso mit der Fähigkeit begabt, unsere Urteile über alles, was ungewiss ist, unentschieden zu lassen und nur deutlichen Wahrnehmungen zuzustimmen. Er ist weit davon entfernt, uns unter die Notwendigkeit des Irrtums zu beugen; er verlieh uns auf der einen Seite das Vorrecht einer Fähigkeit, die uns gegen Vorurteil und Übereilung schützen sollte, dadurch, dass er unsere Freiheit allein über das verfügen ließ, was gleichgültig, zweifelhaft oder dunkel ist; ja, er sorgte sogar auf der anderen Seite dafür, dass wir die Wahrheit beurteilen und erfassen können, indem er sie eine Ausnahme von unserer Fähigkeit bilden ließ, von einer klaren Behauptung abzuweichen. Wir müssen notwendig an die Unmöglichkeit davon glauben, dass ein und dasselbe Ding zu gleicher Zeit sein und nicht sein kann, und die ganze Welt kann uns nicht überreden, daran zu zweifeln. Aber wir brauchen nicht zuzugeben, dass ein leerer Raum in der Natur existiert, oder dass die Erde einen jährlichen Lauf um die Sonne vollendet, bis wir Beweise für die Wirklichkeit erhalten haben.

17. Wenn das gemeine Volk seine Zustimmung übereilt, entweder weil es findet, dass das Suchen der Wahrheit mit mehr Schwierigkeiten verknüpft ist, als zu durchlaufen es willens ist, oder weil es nicht unwissend in einer Sache erscheinen will, so ist das sein Fehler. Deshalb wollen wir alle unsere falschen Vorstellungen unseren eigenen Vorurteilen und unserer eigenen Unaufmerksamkeit zuschreiben; wir wollen bekennen, dass wir »eine Verdammnis werden über uns selbst« (Petr. 2, 1), und freudig unseren gütigen Lenker danken, dass er uns ein Gesetz gegeben hat, dass wir uns beugen vor dem Licht und der Erhabenheit der offenkundigen Gewissheit. Und wirklich, wenn wir an einem Dinge zweifeln könnten, das klar ist, oder durch verschiedene Auffassungen getäuscht werden könnten, so könnte es nichts Gewisses geben; weder Gewissen, noch Gott selbst würde in Betracht kommen, weder Gesellschaft, noch Regierung könnte vorhanden sein. Aber es ist ebenso wahr: wenn wir unsere Zustimmung nicht zweifelhaften oder dunklen Sätzen versagen könnten, würde die allmächtige Güte (was unmöglich ist) die wirkliche Ursache aller unserer Irrtümer sein.

18. Wenn einmal danach gefragt werden sollte, warum wahren Behauptungen Zustimmung verweigert wird, obgleich die offenkundige Gewissheit sie notwendig erfordert, antworte ich: Das geschieht, weil sie nicht zur offenkundigen Gewissheit gemacht sind. Denn Klarheit und Dunkelheit sind relative Begriffe, und was irgendeine Sache für mich ist, kann das gerade Gegenteil für einen anderen sein. Wenn Dinge in Worten vorgetragen werden, die der Hörer nicht versteht, und nicht ihre Übereinstimmung mit bereits ganz klaren Wahrheiten oder solchen, die ihm gerade klar gemacht sind, gezeigt wird, kann er sie nicht begreifen. Ebenso wenn die natürliche Ordnung und die angemessene Einfachheit nicht beobachtet wird, kann er sie ebenso leicht als wahr oder falsch sehen; und so schwebt sein Urteil in der Luft (wenn ihn nicht Leidenschaften beherrschen), wo ein anderer wahrscheinlich vollkommene Gewissheit erlangt hätte. Daher kommt es, dass wir häufig mit Zorn und Verwunderung der Dummheit und Hartnäckigkeit anderer zuschreiben, was die Frucht unserer eigenen konfusen Beweisführung ist, des Mangels an gründlicher Systematisierung unserer Gedanken oder der Verwendung doppelsinniger Ausdrücke und Benutzung solcher, für die der andere nicht immer Begriffe hat oder doch Begriffe, die von unseren verschieden sind.

II. Dass die Lehren im Evangelium nicht gegen die Vernunft sind.

1.
Nachdem ich soviel über die Vernunft gesagt habe, brauche ich nicht noch mühsam auseinanderzusetzen, was es bedeutet, gegen sie zu verstoßen; denn ich nehme an, dass durch den vorhergehenden Abschnitt ganz deutlich ist, dass das, was offenbar mit klaren und bestimmten Begriffen oder mit unseren allgemeinen Vorstellungen in Widerstreit steht, gegen die Vernunft ist. Ich gehe deshalb dazu über, zu untersuchen, dass die Lehren des Evangeliums, wenn es Gottes Wort ist, nicht so sein können. Wenn dagegen eingewendet wird, es behaupteten sehr viele, sie wären es, so erwidere ich: Ich kenne keinen Christen der Gegenwart (denn die Asche der Toten sollen wir nicht stören), der ausdrücklich sagt, Vernunft und Evangelium seien widereinander. Es bestätigen vielmehr (was auf dasselbe herauskommt) sehr viele, dass die Lehren des letzteren an sich mit den Prinzipien der ersteren nicht in Widerspruch stehen können, da beide von Gott stammen. Allerdings schienen sie in der Auffassung, die wir von ihnen haben, sich direkt zu widersprechen; aber wenn wir sie wegen unseres verderbten und beschränkten Verstandes nicht in Einklang bringen können, so wären wir durch die Autorität der göttlichen Offenbarung doch dazu verpflichtet, an ihr Übereinstimmung zu glauben und uns dabei zu beruhigen, oder, wie die Alten uns sprechen lehrten, anzubeten, was wir nicht begreifen können.

1. Kapitel: Der Widersinn und die Folgen der Zugeständnisse einiger wirklichen oder scheinbaren Widersprüche in der Religion
2. Dieser berühmte und merkwürdige Punkt ist unzweifelhaft die Quelle aller Widersinnigkeiten, die jemals im Ernste unter Christen ausgesprochen sind. Ohne diesen Vorwand würde man niemals von der Transubstantiation [Wesensverwandlung, im Messopfer sich vollziehende Verwandlung der Substanz von Brot und Wein in Leib und Blut Christi] und den anderen lächerlichen Fabeleien der römischen Kirche etwas hören; auch nicht von dem östlichen Kot, der nahezu restlos in die westlichen Kloaken aufgenommen ist; und wir würden uns auch niemals lächerlich gemacht haben mit der lutherlichen Lehre von der Verkörperung Christi im Brot, oder der Lehre der Ubiquität [Allgegenwart (Gottes oder Christi)], die sie hervorgebracht hat, wie eine Missgeburt naturgemäß eine andere erzeugt. Und obgleich die Sozinianer diese Dogmen nicht anerkennen, bin ich im Zweifel, ob sie oder die Arianer ihre Anschauungen von einem erhöhten und schöpferischen Gott, geeignet zur göttlichen Verehrung, vernünftiger erscheinen lassen können als die Überspanntheiten anderer Sekten in betreff des Artikels der Trinität.

3.
Kurz gesagt, diese Lehre ist die bekannte Zuflucht mancher Leute, wenn sie bei der Erklärung einiger Stellen des Wortes Gottes in Verlegenheit kommen. Aus Furcht, weniger klug zu erscheinen, als sie es gern möchten, scheuen sie nicht, den unerforschlichen Ratschlüssen des Allmächtigen oder der Natur der Sache zuzuschreiben, was wahrscheinlich die Folge einer ungenauen Vernunfttätigkeit, der Unkenntnis der Sprache oder der Unwissenheit in der Geschichte ist. Doch häufiger ist es die Folge früherer Eindrücke, die sie selten hinterher durch freiere und reifere Gedanken zu ersetzen wagen. So »wollen sie der Schrift Meister sein und verstehen nicht, was sie sagen, oder was sie setzen« (1. Tim. 1, 7); sie zwingen uns solche Lehren auf, »die nichts denn Menschengebot sind« (Mt. 15, 9). Und wirklich, sie haben Recht; denn wenn wir einmal dieses Prinzip zugeben, so weiß ich nicht, wovon wir in Abrede stellen können, dass es uns im Namen des Herrn gesagt ist. Diese Lehre, muss ich bemerken, betrifft ganz besonders uns Laien; denn wie sie auch immer dazu kam, zuerst aufgestellt zu werden, so hat es die Geistlichkeit (immer mit Ausnahme derer, die eine Ausnahme bilden) seitdem nicht daran fehlen lassen, sondern sie dehnte sie so weit aus, dass sie nicht allein die klarsten, sondern auch die unwichtigsten Dinge in der Welt mit Geheimnissen erfüllte, damit wir beständig in der Erklärung von ihnen abhängig sein sollten. Und nichtsdestoweniger dürfen sie, wenn sie es auch könnten, sie uns nicht erklären, ohne ihr eigene Absicht zu zerstören, mögen sie es auch niemals so offen eingestehen. Aber wir wollen alle diesen Punkt betreffenden Beobachtungen übergehen und in die Prüfung der Meinung selber eintreten.

4. Das erste, was ich hervorheben möchte, ist das, dass wir, falls eine Lehre im Neuen Testament gegen die Vernunft ist, keine Art von Vorstellung davon haben. Z. B. zu sagen, dass ein Ball zugleich weiß und schwarz ist, ist genau dasselbe wie gar nichts zu sagen. Denn diese Farben sind an demselben Gegenstand so unvereinbar, dass sie jede Möglichkeit einer tatsächlichen Vorstellung oder Idee ausschließen. Ebenso, zu sagen, wie die Papisten, dass Kinder, die vor der Taufe sterben, ohne Pein verdammt werden, bedeutet überhaupt nichts. Denn wenn sie vernünftige Geschöpfe in der anderen Welt wären, so müsste der ewige Ausschluss von Gottes Gegenwart und der Gemeinschaft der Heiligen eine unsägliche Qual für sie sein. Aber wenn man annimmt, sie haben keinen Verstand, dann sind ihr Sinne nicht empfindlich gegen die Verdammung; dann aber können jene Leute nicht sagen: sie schmachten in der Hölle, sondern entweder: sie haben keine Seele oder sie sind in nichts zerronnen; dieses (wäre es wirklich so, wie sie niemals erweisen können) würde vernünftig und leicht genug zu verstehen sein. Wenn wir keine Vorstellung von einem Dinge haben, ist es sicher nur verlorene Mühe für uns, uns damit zu beunruhigen. Denn was ich nicht verstehe, kann mir nicht mehr zur richtigen Anschauung über Gott verhelfen oder meine Handlungen mehr beeinflussen, als ein Gebet in einer unbekannten Sprache meine Verehrung erregen kann. »So wie die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zum Streit rüsten? So ihr nicht deutliche Rede gebt, wie kann man wissen, was geredet ist«? (1. Kor.14, 8.9). Mögen Silben noch so gut zusammengefügt sein, wenn sich keine Vorstellungen damit verknüpfen, sind es nur »Worte, in den Wind geredet« (ib.), sie können nicht die Grundlage des »vernünftigen Gottesdienstes« (Röm. 12, 1) oder der Anbetung sein.

5. Wenn jemand glauben sollte, der Schwierigkeit zu entgehen, indem er sagt, dass die Vorstellungen gewisser Lehren in der Tat gegen die allgemeinen Anschauungen sein könnten, doch im Einklang mit sich selbst, und dass sie, ich weiß nicht was, supraintellektuelle Wahrheiten wären, so ist er noch genau an derselben Stelle, wo er war. Nehmen wir einmal einen Augenblick an, es wäre so; so folgt doch daraus, dass niemand diese Lehren verstehen kann, es seien ihm denn die Vorstellungen davon auf außergewöhnliche Weise mitgeteilt, z. B. durch neue Kräfte und Organe. Und noch dazu könnten andere nicht durch das belehrt werden, was darüber gesprochen wird, sie müssten sich denn desselben Charismas erfreuen. Wenn ich mich aufmachen würde, den Wilden das Evangelium zu predigen, müsste ich erwarten, die Vorstellungen meiner Worte zu werden, ich weiß nicht wie, in der Art in die Seele eingeflößt, dass sie mich verstehen. Und in Übereinstimmung mit dieser Hypothese könnten sie, abgesehen von einem Wunder, meine Sprache nicht besser verstehen als das Zwitschern eines Vogels; und »so sie nun nicht meiner Stimme Bedeutung wissen, würde ich ihnen ein Welscher sein«, wenn ich auch »Geheimnisse im Geist« spreche (1. Kor. 14, 2.11).
Aber was soll das heißen »im Einklang mit sich selbst«? Doch nicht mit unseren allgemeinen Anschauungen? Vier mag im Himmel fünf heißen, aber wenn nur der Name gewechselt ist, so bleibt doch die Sache noch dieselbe. Und da wir ja in dieser Welt nichts ohne unsere allgemeinen Anschauungen wissen können, wie sollen wir dieser beanspruchten Übereinstimmung zwischen dem, was uns gegenwärtig als Widerspruch erscheint, und der Theologie der zukünftigen Welt sicher werden? Denn wenn wir durch die Vernunft zur Gewissheit von Gottes Dasein gelangen, so können wir seine Offenbarungen nicht anders erkennen als durch ihre Übereinstimmung mit unseren natürlichen Kenntnissen von ihm, d. h. mit anderen Worten, durch die Übereinstimmung mit unseren allgemeinen Anschauungen.

6. Zunächst will ich bemerken, dass diejenigen, die sich kein Gewissen daraus machen, zu sagen, sie könnten auf das Zeugnis der Schrift hin einen handgreiflichen Widerspruch gegen die Vernunft glauben, eine jede Widersinnigkeit rechtfertigen; indem sei ein Licht dem anderen gegenüberstellen, machen sie unleugbar Gott zum Urheber aller Ungewissheit. Die bloße Annahme, dass die Vernunft das rechtfertigen könnte und der Geist Gottes ein anderes, treibt uns in unvermeidlichen Skeptizismus; denn wir würden in beständiger Ungewissheit sein, wem wir folgen sollten, ja, wir könnten nichts sicher feststellen. Denn da der Beweis für die Göttlichkeit von der Vernunft abhängig ist, wie sollten wir da, wenn auf irgendeine Weise das klare Licht der einen in Widerspruch treten sollte mit der anderen, von der Unfehlbarkeit der anderen überzeugt werden? Die Vernunft kann in diesem Punkte so gut irren wie in jedem anderen, und wir haben keine besondere Verheißung, dass es nicht so wäre, ebenso wie die Papisten sich nicht sicher sein können, dass ihre Sinne sie in jeder anderen Sache nicht ebenso gut täuschen können, wie bei der Transsubstantiation. Zu behaupten, es trage sein Zeugnis in sich selbst, das hieße, auch den Koran oder die Puranas als Kanon anerkennen. Und auch dies wäre ein merkwürdiger Beweis, wollte man einem Heiden sagen: die Kirche hat's entschieden; denn alle Gesellschaften werden ebenso sehr für sich sprechen, wenn wir nur ihr Wort als sicheres Zeugnis annehmen. Außerdem würde er vielleicht fragen, woher die Kirche das Recht hat, in dieser Sache zu entscheiden? Und wenn ihm geantwortet werden würde: »von der Schrift«, tausend gegen eins, er würde sich abwenden über diesen circulus: man soll glauben, dass die Schrift göttlich ist, weil die Kirche es so bestimmt, und die Kirche hat die entscheidende Autorität von der Schrift. Es wird bezweifelt, ob diese Fähigkeit der Kirche mit den zu diesem Zwecke angeführten Stellen bewiesen werden kann; aber die Kirche selbst (der betroffene Teil) behauptet es! Ei, sind denn nicht diese ewigen Rundläufe ganz ausgezeichnete Erfindungen, gedankenlose und schwachköpfige Leute schwindelig und verwirrt zu machen?

7. Aber wenn wir glauben, die Schrift ist göttlich, nicht auf ihre bloße Zusicherung hin, sondern auf ein wirkliches Zeugnis, das in der offenkundigen Gewissheit der darin enthaltenen Dinge besteht, – in unbezweifelten Tatsachen und nicht in Worten und Buchstaben, – was ist das anderes, als es vermöge der Vernunft zu beweisen? Sie trägt in sich selbst durchaus den Charakter der Göttlichkeit, das gestehe ich ihm zu. Aber die Vernunft ist es, die ihn ausfindig macht, ihn prüft, und mit ihren Prinzipien beweist und für hinreichend erklärt; und dieses erzeugt in uns regelrecht die Zustimmung des Glaubens oder die Überzeugung. Wenn nun alle einzelnen Punkte scharf gesondert werden, wenn nicht nur die Lehren Christi und seiner Apostel betrachtet werden, sondern auch ihr Leben, ihre Weissagungen, ihre Wunder und ihr Tod, so würde sicher alle diese Mühe vergeblich sein, wenn wir bei einem einzigen Berichte Vernunftwidriges zuließen. O, glückliches und bequemes System, das mit einem Schlage diese lästigen Bemerkungen über Geschichte, Sprache, bildlichen und buchstäblichen Sinn, Absicht des Schriftstellers, Kenntnis des Milieus und andere Hilfsmittel der Erklärung fallen lässt! Wir urteilen über eines Menschen Weisheit und Gelehrsamkeit auf Grund seiner Handlungen und Reden; aber Gott, der – wir sind dessen versichert – »sich selbst nicht unbezeugt gelassen hat« (Ap. 14, 17), darf auf diese Weise kein Vorrecht haben vor den unsinnigsten Schwärmern oder dem Teufel selbst.

8. Aber man wird Verehrung für die wahren Gottesworte beanspruchen. Damit sind wir einverstanden; denn wir wissen: »Gott ist nicht ein Mensch, dass er lüge« (Num. 23, 19). Aber es handelt sich nicht um Worte, sondern um ihren Sinn, der durchaus seines Urhebers würdig sein muss und deshalb in Übereinstimmung mit der Eigentümlichkeit aller Sprache bildlich ausgelegt werden muss, wenn die Gelegenheit es erfordert. Sonst könnten wir unter dem Vorwande des Glaubens auf das Wort Gottes die größten Torheiten und Lästerungen aus dem Buchstaben der Schrift abgeleitet werden, z. B. dass Gott Leidenschaften unterworfen und Urheber der Sünde ist, dass Christus ein Felsen ist, in der Tat schuldig und mit unseren Vergehungen befleckt war, dass wir Würmer oder Schafe sind und nicht Menschen. Und wenn in diesen Stellen Bilder erlaubt sind, warum nicht auch, so frage ich, in allen Ausdrücken gleicher Natur, wenn ein zwingender Grund dafür vorliegt.

9. Man wird vielleicht sagen, weshalb ich solange auf diesem Punkte verweilt habe, da doch vorher anerkannt war, dass niemand ausdrücklich Schrift und Vernunft zu sich ausschließenden Gegensätzen macht. Aber an derselben Stelle (§1) waren einige erwähnt, die meinten, dass sie sich doch scheinbar direkt widersprechen, und dass wir bei einem vergeblichen Versuche, sie miteinander in Einklang zu bringen, verpflichtet wären, uns bei der Entscheidung der ersteren zu beruhigen. Ein scheinbarer Widerspruch ist für uns so gut wie ein wirklicher, und unsere Achtung vor der Schrift erfordert von uns nicht solche Zugeständnisse, sondern eher die Folgerung, dass wir die richtige Bedeutung nicht wissen, wenn uns eine Schwierigkeit begegnet, und dass wir so unser diesbezügliches Urteil aufschieben, bis wir mit angemessenen Hilfsmitteln und dem nötigen Eifer die Wahrheit auffinden können. Was nun diese Methode betrifft, sich bei dem zu beruhigen, was man nicht versteht oder nicht mit seiner Vernunft vereinbaren kann, so kennen die, die solches tun, am besten die Früchte, die sie davon haben. Ich für mein Teil stehe dem fern und kann mich nicht mit solchen Prinzipien befreunden. Im Gegenteil, ich bin ziemlich sicher: der versucht vergeblich, ein Urteil überzeugend darzutun, der nicht die Natur der Sache erklärt. Es kann jemand seine wörtliche Zustimmung geben – er weiß nicht was, aus Furcht, Aberglauben, Gleichgültigkeit, Vorteil und ähnlichen schwächlichen und unsauberen Motiven; aber solange er nicht begreift, was er glaubt, kann er sich dabei nicht beruhigen und bleibt einer jeden wahrhaften Befriedigung beraubt. Ihn verwirren fortwährend Bedenklichkeiten, sich nicht von seiner fides implicita zu entfernen, und so ist er geneigt, »sich wägen und wiegen zu lassen durch allerlei Wind der Lehre« (Eph. 4, 14). Ich glaube, weil ich glaube, d. h. weil ich nun gerade einmal den Einfall habe, das ist der Leitsatz ihrer Verteidigung. So sind unvernünftige Menschen »die wandeln in der Eitelkeit ihres Sinnes, deren Verstand verfinstert ist; sie sind entfremdet von dem Leben, das aus Gott ist, durch die Unwissenheit, so in ihnen ist, durch die Blindheit ihres Herzens« (v. 17, 18). Derjenige aber, der etwas versteht, ist dessen so sicher, als ob er selbst der Urheber davon wäre; er kann niemals dazu kommen, seine Erklärung zu bezweifeln; und wenn er vornehm denkt, wird er dem andern stets einen fortlaufenden Bericht davon erstatten.

10. Das natürliche Ergebnis der Erörterungen ist, dass der Glaube an die Göttlichkeit der Schrift oder den Sinn einiger Stellen ohne rationelle Untersuchung und ohne klare Feststellung eine tadelnswerte Leichtgläubigkeit und Unüberlegtheit ist, die sich gewöhnlich auf Unwissenheit und Eigensinn gründet, ja sogar hauptsächlich verfochten wird, weil sie Gewinn bringt. Denn wir erfassen gewisse Lehren nicht infolge der überzeugenden Klarheit in ihnen, sondern weil sie unseren Absichten besser dienen als die Wahrheit, und weil andere Widersprüche, die wir nicht aufgeben wollen, besser durch ihre Vermittelung verteidigt werden.

2. Kapitel: Von der Autorität der Offenbarung, soweit sie für diese Frage in Betracht kommt
11.
Gegen alles das, was wir in diesem Abschnitt festgestellt haben, wird man sich mit großem Pomp auf die Autorität der Offenbarung berufen – ohne das Recht, die Vernunft zum Schweigen zu bringen und nichtig zu machen, – als ob alles insgesamt nutzlos und unstatthaft wäre. Aber wenn man die Unterscheidung, die ich im vorigen Abschnitt §10 gemacht habe, aufmerksam betrachtet, wird die Schwäche dieses Einwands lebendig zutage treten; diese Streitfrage wird hinterher besser verstanden werden. Ich sagte, die Offenbarung wäre nicht ein zwingendes Motiv der Zustimmung, sondern ein Mittel zur Kenntnis. Wir dürfen nicht den Weg, auf dem wir zur Kenntnis eines Dinges kommen, mit den Gründen verwechseln, die wir haben, daran zu glauben. Es kann mich jemand in tausend Dingen unterrichten, die ich nie zuvor gehört habe, und über die ich nicht soviel denken würde, wenn mir nicht davon berichtet wäre; dennoch glaube ich nichts auf sein bloßes Wort hin, ohne offenbare Gewissheit in den Dingen selbst. Nicht die bloße Autorität dessen, der spricht, sondern die klare Vorstellung, die ich mir über das bilde, was er sagt, ist der Grund meiner Überzeugung.

12. Wenn der ehrlichste Mensch auf Erden mir versichern würde, er hätte ein Rohr gesehen ohne zwei Enden, würde und könnte ich ihm nicht glauben, weil dieser Begriff vollkommen dem Begriff eines Rohres widerspricht. Aber wenn er mir erzählte, er hätte einen Stock gesehen, der zufällig in die Erde gelegt wäre und nach einiger Zeit Knospen und Zweige getrieben hätte, könnte ich mich ruhig auf seine Wahrhaftigkeit verlassen, weil diese keineswegs dem Begriff eines Stockes widerspricht, noch die Möglichkeit überschreitet.

13.
Ich sage Möglichkeit; denn Allmacht selbst kann nicht mehr tun. Diejenigen täuschen sich selbst und andere, welche aus dem Grund Zustimmung zu widersprechenden Dingen fordern, weil Gott, wie sie sagen, alles tun kann und es einer Beschränkung seiner Macht wäre, das Gegenteil zu behaupten. Sehr gut! Wir glauben herzlich gern, dass Gott alles tun kann; aber dass ein reines Nichts Gegenstand seiner Macht sein soll, erlaubt gerade die angeführte Allmacht uns nicht zu begreifen. Und dass jeder Widerspruch, – was wir bereits hinreichend erwiesen. Zu sagen z. B., dass etwas zu gleicher Zeit ausgedehnt und nicht ausgedehnt, rund und eckig sei, heißt so gut wie nichts sagen; denn diese Begriffe zerstören sich gegenseitig und können nicht zusammen in demselben Gegenstand bestehen. Aber wenn wir deutlich eine vollkommene Übereinstimmung und Verknüpfung von Gliedern einer Behauptung wahrnehmen, können wir schließen: es ist möglich, weil verständlich. So verstehe ich, dass Gott unmittelbar festmachen kann, was bisher flüssig war, dass er gegenwärtig Seiendes zum Aufhören seiner Existenz oder zur Veränderung seiner Form bestimmen kann und »rufet dem, das nicht ist, dass es sei« (Röm. 4,17). Wenn wir sagen, dass bei Gott kein Ding unmöglich ist, oder dass Gott alles tun kann, so meinen wir: alles, was in sich selbst möglich ist, wie weit es auch über die Fähigkeit der Geschöpfe, es zu bewirken, hinausgehen mag.

14. Mag es aber auch möglich genug erscheinen, so kann doch allein der mit Sicherheit seine Existenz behaupten, der selbst der Urheber ist, oder der durch einige Mittel der Erkenntnis zuerst zu einem sicheren Wissen davon gelangt. Dass es solch ein Eiland gab wie Jamaika, konnte niemals ein Europäer vernunftgemäß leugnen; und doch, dass es genau unter der und der geographischen Breite lag, von diesen Flüssen bewässert wurde, mit jenen Wäldern bedeckt war, dieses Getreide hervorbrachte, diese Ebenen aufweist, das konnte kein Engländer vor der Entdeckung Amerikas mit Sicherheit behaupten.

15. So hat es Gott gefallen, uns in der Schrift einige wunderbare Tatbestände zu offenbaren, wie die Schöpfung der Welt, das jüngste Gericht und manche andere wichtige Wahrheit, die niemand, der sich selbst überlassen wäre, sich je vorstellen könnte, wie niemand meiner Mitgeschöpfe meiner eigenen Gedanken sicher sein kann. »Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, außer dem Geist des Menschen, der in ihm ist? Also weiß auch niemand, was in Gott ist, außer dem Geist Gottes« (1. Kor. 2, 11). Wie das »Geheimnis des Herrn«, so sind »diese Dinge, welche uns und unseren Kindern offenbart sind« (Deut. 29, 29).Doch, wie vorher erörtert war, können wir sie nicht annehmen, allein weil sie offenbart sind; denn außer dem unfehlbaren Zeugnis der Offenbarung von allen erforderlichen Umständen, müssen wir in dem Gegenstand den unbestreitbaren Charakter der göttlichen Weisheit und gesunden Vernunft sehen, die die einzigen Kennzeichen sind, die wir haben, um die Weissagungen und den Willen Gottes von menschlichen Betrügereien und Überlieferungen zu unterscheiden.

16. Wer mir auch immer etwas offenbart, d. h. wer mir auch immer etwas berichtet, was ich vorher nicht wusste, dessen Worte müssen verständlich sein und die Sache selbst möglich. Dieser Maßstab bleibt gültig, mag nun Gott oder ein Mensch der Offenbarer sein. Wenn wir denjenigen für einen Narren halten, der meine Zustimmung zu etwas fordert, das zweifellos unglaublich ist, wie dürfen wir gotteslästerlich dem vollkommensten Wesen zuschreiben, was ein anerkannter Fehler bei einem von uns selbst ist? Unverständliche Berichte können wir nicht mehr auf Grund der Offenbarung Gottes glauben als auf Grund der eines Menschen; denn die begriffenen Vorstellungen sind die einzigen Gegenstände des Glaubens, Leugnens, Beweisens und jeder anderen Verstandestätigkeit. Deshalb müssen alle Dinge, die von Gott oder Menschen offenbart sind, gleich verständlich und möglich sein.
Soweit stimmen beide Offenbarungen überein. Aber darin unterscheiden sie sich: selbst wenn die Offenbarung eines Menschen so beschaffen ist, kann er mich dennoch täuschen hinsichtlich der Wirklichkeit dieser Sache; was aber Gott gefällt, mir zu enthüllen, ist nicht nur meinem Verstande klar (sonst könnte seine Offenbarung mich nicht einsichtsvoller machen), sondern es ist auch immer wahr. Ein Mensch z. B. erzählt mir, dass er einen Schatz gefunden hat. Das ist verständlich und möglich, aber er kann mich leicht täuschen. Gott versichert mir, dass er Menschen auf Erden gebildet hat. Das ist Gott nicht nur möglich und mir überaus verständlich, sondern die Sache ist durchaus gewiss, da Gott nicht fähig ist, mich zu täuschen, wie es ein Mensch ist. Wir müssen denselben Grad von Klarheit von Gott erwarten wie von den Menschen, aber mehr Gewissheit von dem ersteren als von den letzteren.

17. Hiervon überzeugt uns die Vernunft, und die Schrift sagt es ausdrücklich. Jene Propheten und Träumer müssten gesteinigt werden, die sich daran machten, das Volk von der Verehrung des einen Gottes zum Polytheismus zurückzuführen, wenn sie auch ihre Lehre durch »Zeichen und Wunder« bekräftigten (Deut. 13, 1-3). Und wenn auch ein Prophet im Namen des Herrn spricht, so müsste doch, wenn die Prophezeiung nicht in Erfüllung geht, das ein einleuchtendes Zeichen dafür sein, das er »in Vermessenheit aus sich selbst und nicht aus Gott« spricht (Deut. 18, 21.22). Es wurde dem Propheten Jeremias (32, 7.8) im Gefängnis offenbart, dass sein Vetter ihm sein Feld verkaufen würde, aber er hielt es nicht eher für ein Wort des Herrn, ehe sein Vetter wirklich kam, um den Handel mit ihm abzuschließen. Die Jungfrau Maria, obgleich aus dem Geschlechte, das am wenigsten gegen Schmeichelei und Aberglauben gesichert ist, glaubte nicht unbedingt, »sie würde einen Sohn gebären, der der Sohn des Höchsten genannt werden würde, und dessen Königreichs kein Ende sein würde«, bis der Engel ihr eine ausreichende Antwort auf den kräftigsten Einwand gab, der gemacht werden konnte. Und auch dann glaubte sie (so ungleich war sie ihren gegenwärtigen Verehrern), nicht unumstößlich, es würde in Erfüllung gehen; sondern sie erkannte bescheiden nur die Möglichkeit und ihre eigene Unwürdigkeit an und ersehnte und erwartete im übrigen ruhig den Ausgang (Luk. 1, 34.35.38).

18. An wie vielen Stellen sind wir nicht ermahnt, »uns vor den falschen Propheten vorzusehen« (Mt. 7, 15; 2. Tim. 3, 13; Tit. 1, 10). Wir haben nicht nur »alle Dinge zu prüfen und zu wägen« und »das, was das Beste ist, festzuhalten« (1. Th. 5, 21), sondern ebenso »die Geister zu prüfen, ob sie von Gott sind« (1. Joh. 4, 1). Aber wie sollen wir prüfen? Wie sollen wir unterscheiden? »Nicht wie Rosse und Maultiere, die nicht verständig sind« (Ps. 32, 9), sondern wie ein umsichtiger und weiser Mann, der überlegt, was gesagt wird (Eph. 5, 15; 1. Kor. 10, 15). Mit einem Worte: es waren klare und gewichtige Vernunftgründe hinsichtlich der Tat und des Inhaltes und nicht blinder Gehorsam, auf Grund dessen die Menschen von Gott vor alters seine Offenbarungen empfangen haben, die wir unter den gleichen Bedingungen aus ihren Händen anzunehmen willens sind. Ich weiß sehr wohl, wie viele damit prahlen, sie seien streng überzeugt durch die erleuchtende und allwirksame Tätigkeit des Heiligen Geistes; andere, nämlich Vernunftgründe für ihren Glauben hätten sie nicht und billigten sie nicht. Aber wir werden uns bemühen, ihnen an geeigneter Stelle die Augen zu öffnen; denn kein Gegner, mag er noch so widerspruchsvoll und kleinlich sein, sollte hochmütig verachtet werden von jemand, der wahrhaft die Menschen und die Wahrheit liebt. Soviel über die Offenbarung. Nur noch eins: wenn ich sie zu einem Mittel der Belehrung mache, folge ich Paulus selbst, der den Korinthern (1. Kor 14, 6) sagt, dass »er ihnen nichts nütze wäre, so er nicht redete durch Offenbarung oder Erkenntnis oder Weisheit oder Lehre.

3. Kapitel: Dass mit Christentum eine vernünftige und verständliche Religion gemeint war, untersucht an den Wundern, der Methode und dem Stil des Neuen Testamentes
19.
Wird richtig erwogen, was wir vorher über die Vernunft und eben diese Offenbarung sagten, so müssen die Lehren und Vorschriften des Neuen Testamentes (wenn es wirklich göttlich ist) folgerichtig mit der natürlichen Vernunft und unseren eigenen allgemeinen Vorstellungen übereinstimmen. Das wird jeder denkende und wohlmeinende Mensch bei sorgsamer Prüfung finden. Und wer sich auch dieser Aufgabe unterziehen mag, wird bekennen, dass das Evangelium »uns nicht verborgen noch zu ferne, sondern fast nahe bei uns ist in unserem Munde und unserem Herzen« (Deut.30, 11.14). Liefert es doch erstens die ausgezeichnetsten Beispiele einer geschlossenen, durchsichtigen und begreiflichen Beweisführung; es ist meine Pflicht, dieses später in der »Darlegung der Mysterien« zu zeigen. Zweitens: obgleich die Klarheit der Lehre Christi den Beifall der Heiden in Anspruch nehmen konnte und ihre Übereinstimmung mit den Vorbildern und Weissagungen des Alten Testamentes, sowie die Erfüllung aller Kennzeichen des Messias in seiner Person die Beistimmung seiner Landsleute geradezu herausfordern musste, so beweist er, um keinen Raum für Zweifel zu lassen, seine Autorität und sein Evangelium mit solchen Werken und Wundern, dass selbst die steifnackigen Juden ihre Göttlichkeit nicht leugnen konnten. Nikodemus sagt zu ihm: »Niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm« (Joh. 3, 2). Einige der Pharisäer erkennen an, »dass ein sündiger Mensch nicht solche Zeichen tun könne«, und andere gestehen, dass diese Wunder die Macht des Teufels überschreiten (Joh. 9, 16; 10, 21).

20. Jesus selbst wendet sich an seine wirklichen Feinde, als sie ihn für angebliche Gotteslästerung steinigen wollen, mit den Worten: »Tue ich nicht die Werke meines Vaters, so glaubet mir nicht; tue ich sie aber, glaubet doch den Werken, wollt ihr mir nicht glauben, auf dass ihr erkennet und glaubet, dass der Vater in mir ist und ich in ihm« (Joh. 10, 37.38). D. h. glaubt nicht übereilt an mich und gebt so ein Zeugnis meinen Werken; sondern forschet in der Schrift, die vom Messias zeugt; betrachtet die Werke, die ich tue, ob es solche sind, die Gott anstehen und ihm zuzuschreiben sind. Wenn sie es sind, dann schließt daraus und glaubt, dass ich der bin usw. In der Tat sagten dann einige aus dem Volke, dass Christus, wenn er kommen würde, keine größeren Wunder tun könne; Und »viele von den Juden glaubten, wenn sie die Zeichen sahen, die er tat« (Joh.7, 31; 2, 23).

21. »Wie wollen wir entfliehen«, sagt der Apostel (Hebr. 2, 3 - 4) »so wir eine solche Seligkeit nicht achten? welche, nachdem sie erstlich gepredigt ist durch den Herrn, ist sie auf uns kommen durch die, so es gehöret haben; und Gott hat ihr Zeugnis gegeben mit Zeichen, Wundern und mancherlei Kräften und mit Austeilung des Heiligen Geistes nach seinem Willen?« Diejenigen, die Christus, den Stifter unserer Religion, hörten und die Wunder sahen, die er vollbracht hat, »meiden alle Heimlichkeiten voller Schande und gehen nicht mit Schalkheit um, indem sie Gottes Wort fälschen« (2. Kor. 4, 2), und dass sie nichts als Wahrheit kundtun, empfehlen sie selbst der Beobachtung eines jeden Menschen, d. h. sie wenden sich an jedermanns Vernunft im Lichte Gottes. Petrus (1. Petr. 3, 15) ermahnt die Christen, »allezeit bereit zu sein zur Verantwortung jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in ihnen ist.«
Nun, wozu dienen denn alle diese Wunder und alle diese Mahnungen, wenn sie nicht im Hinblick darauf gegeben sind, dass man es mit vernünftigen Menschen zu tun hat? Waren die Lehren Christi unbegreiflich und widerspruchsvoll? Oder sind wir gezwungen, offenbarten Unsinn zu glauben? Wenn nun diese Wunder wahr sind, so muss das Christentum folgerichtig verständlich sein; und sind sie falsch (was unsere Gegner nicht zugeben werden), dann können sie nicht Argumente gegen uns sein.

22. Aber ich will nicht länger bei diesen Stellen verweilen. Alle werden zugeben, dass ich die Wahrheit verteidige, wenn sie die heiligen Schriften mit derselben Billigkeit und Aufmerksamkeit durchlesen, die man nur menschlichen Werken schuldig ist. Es darf kein anderer Maßstab an die Erklärung der Schrift gelegt werden als der, der allen anderen Büchern gemeinsam ist. Wo auch immer vorurteilslose Leute diese Mittel anwenden werden, werden sie finden, dass die offenkundige Betrüger sind oder sich selbst betrügen, die behaupten, das Neue Testament sei ohne jede Ordnung oder bestimmten Plan geschrieben, sondern so, wie es den Aposteln gerade in den Kopf kam, entweder in enthusiastischen Anfällen (wie einige wollen) oder doch nach anderen in nicht normalem Geist und ohne liberale Erziehung. Ich denke, ich kann geradezu sagen, dass diejenigen von wirklicher Methode nichts wissen, die sich hier über Verwirrung und Unordnung beklagen. Die Untersuchung hängt aber nicht von Allgemeinheiten ab. Freilich will ich, wenn es später untersucht wird, nicht versprechen, dass jeder einzelne eine Rechtfertigung der besonderen Methode finden wird, auf die er sich versteift hat, oder die er sich zur Befolgung gewählt hat. Irgendeiner Partei zu folgen, ist nicht mein Geschäft, sondern die Wahrheit aufzudecken.

23. Die leichte Fassbarkeit des Evangeliums hängt nicht nur von seiner Methode ab. Auch sein Stil ist überaus leicht und natürlich. Er bewegt sich in der allgemein üblichen Sprache derer, an die es unmittelbar gerichtet war. Würde jemand mit den Worten Xenophons den gegenwärtigen Griechen oder in korrektem Englisch den Landleuten in Schottland predigen, es würde ihnen mehr Zeit und Mühe kosten, die Worte richtig zu erfassen, als die dadurch bezeichneten Dinge zu verstehen. Die Juden haben von alters her, ebenso gut wie in unserer Zeit, besser hebräisch verstanden als die Sprachen der Gegenden, in denen sie wohnten. Es kann daher kein Einwand zugunsten jener Hypothese der Irrationalität aus der Dunkelheit dieser Sprache hergeleitet werden. Denn alle Menschen verstehen ihr Muttersprache, die sie täglich gebrauchen, während der Stil des Gelehrten dem gemeinen Manne unverständlich wäre. Deshalb sind die klarsten Schriftsteller, die schreiben, wie sie sprechen, ohne die Umkleidung mit hochtrabender Eleganz, von allen Sachkundigen immer für die besten gehalten worden.

Es ist eine sichtbare Fügung der Vorsehung, dass wir die Denkmäler des Alten Testaments in unseren Händen haben, das im Neuen Testament immer vorausgesetzt, angeführt und erwähnt wird. Ja, noch mehr: der jüdische Gottesdienst und die jüdischen Sitten dauern bis auf diesen Tag fort. Wäre dies bei den Griechen und Römern der Fall, so würden wir mit diesen Hilfsmitteln manche nun unbekannten Teile in ihrer Religion richtig verstehen, wozu uns die jüdischen Lehrer und Rabbiner jetzt hinsichtlich ihrer Religion verhelfen. Außerdem haben den Talmud und andere Werke der Rabbiner, die, wie wertlos sie auch sonst sein mögen, uns nicht wenig Aufklärung über die alten Gebräuche und die alte Sprache geben. Und wenn wir trotzdem über den Sinn einiger Ausdrücke in Verlegenheit sein sollten, so wüssten wir es eher auf den Zeitabstand und den Mangel an einer größeren Anzahl Bücher in derselben Sprache schieben, als es der Natur der Sache oder der Unwissenheit des Verfassers zuschreiben, der von seinen Landsleuten und Zeitgenossen leicht verstanden werden konnte. Aber die Wahrheit ist mit solchen Stellen nicht zu ergründen und die Unwahrheit nicht zu widerlegen, so wenig aus dem Ton der Bogenglocke sein Geschick erraten kann.

24. Wenn man einwirft, dass das Evangelium mit wenig oder gar keiner Ausschmückung verfasst sei, dass es nicht wählerisch in den Worten wäre und nicht gelehrt im Ausdruck, so ist diese Anklage wahr. Die Apostel selbst erkennen es an, aber es gibt keinen deutlichen Beweis für ihre Absicht, allgemein verständlich zu sein. »Denn ich kam nicht zu euch«, sagt Paulus (1. Kor. 2, 1. 4), »mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch zu verkündigen die göttliche Predigt. Mein Wort und meine Predigt war nicht in vernünftigen Reden menschlicher Weisheit, sondern in Beweisung des Geistes und der Kraft.« Dieses sagt er mit Bezug auf die Philosophen und Redner jener Zeiten, deren Beredsamkeit bekanntlich vortrefflich und voll kunstvoller Perioden, wohl geeignet war, die Bewunderung der Hörer zu erwecken, aber nicht ihrer Vernunft zu genügen; sie fesselte in der Tat ihre Sinne, solange sie im Theater oder Tempel waren, aber sie machte sie im täglichen Leben nicht besser und draußen nicht klüger.

25. Diese Leute sind ebenso wie viele ihrer modernen Nachfolger vernarrt genug in ihre eigenen lächerlichen Systeme, zu sagen (1. Kor. 1, 24), die Dinge Gottes seien Torheit, weil sie nicht mit ihren unsicheren und sinnlichen Anschauungen übereinstimmen, weil nicht ein jedes Urteil in ein Mysterium eingehüllt und mit Bildern ausgeschmückt ist. Sie erwägen nicht, dass nur Falsches oder Triviales den Beistand eines anlockenden Geschwätzes nötig hat, um zu verblüffen oder zu belustigen. Aber sie sind Feinde und Fremdlinge der schlichten Wahrheit gegenüber. Ihr ganzer Eifer, wie wir ja sehen, geht darauf aus, die Leidenschaften des Volkes zu ihrem Vergnügen mit pomphafter Beredsamkeit und affenartigen Gestikulationen aufzustacheln. Sie rühmen ihr Talent, für oder gegen etwas zu überreden. Und wie der für den besten Redner gehalten wird, der den ärgsten Prozess vor den Richtern als den nichtigsten erscheinen lassen kann, so ist der beste Philosoph, der es dazu bringen kann, dass die wunderlichsten Paradoxa für Beweisführung gelten. Sie sind allein in Sorge um ihren eigenen Ruhm und Gewinn, den sie nicht anders aufbringen können als (vermöge eines Kunstgriffes, der niemals fehlgeht und deshalb immer wieder ausgeübt wird) durch Betrug des Volkes mit ihrem Ansehen und ihrer Sophisterei und unter dem Vorwande, zu belehren, während sie sie geflissentlich in der größten Unwissenheit halten.

26. Aber die Absicht der Apostel war eine ganz andere. Frömmigkeit gegen Gott und Friede unter den Menschenkindern war ihr Gewinn, Christus und sein Evangelium ihr Ruhm; sie kamen nicht, sich selbst zu preisen und zu erhöhen, nicht um ihre Lehre betrügerisch aufzuzwingen, sondern um sie zu erklären. Sie verwirrten nicht und leiteten nicht in die Irre sondern sie suchten den Geist zu überzeugen; sie waren damit beschäftigt Unwissenheit auszutreiben, Aberglauben auszurotten, Wahrheit zu verbreiten und Besserung der Sitten, Befreiung der Gefangenen (Luk. 4, 19) zu predigen, d. h. den Genuss christlicher Freiheit den Sklaven der levitischen und heidnischen Priesterschaft und reuigen Sündern Erlösung zu verkünden.

27. Ich will hier noch einige Schilderungen anfügen, die David vom Gesetz und Wort Gottes gibt, damit wir nichts als den Willen des Himmels zulassen, als das, was mit dieser Beschreibung übereinstimmt. »Das Gesetz des Herrn«, sagt er, »ist ohne Wandel und erquicket die Seele. Das Zeugnis des Herrn ist gewiss und macht die Albernen weise. Die Befehle des Herrn sind richtig und erfreuen das Herz. Die Gebote des Herrn sind lauter und erleuchten die Augen. Die Furcht des Herrn ist rein und bleibet ewiglich. Die Rechte des Herrn sind wahrhaftig, allesamt gerecht. Ich habe mehr Verstand als alle meine Lehrer, denn dein Zeugnis ist mein Gedanke. Ich verstehe mehr als die Alten, weil ich deine Vorschriften halte. Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinen Wegen.« Das Neue Testament ist so voll von dieser Sprache und sein Inhalt stimmt überall so damit überein, dass ich den Leser bei der Einzelbetrachtung in der zweiten Abhandlung darauf hinweisen werde. Aber einstweilen muss ich bemerken, dass nicht ein Buchstabe davon wahr wäre, wenn man auch nur einige scheinbare oder wirkliche Widersprüche in der Schrift zulassen wollte. Soviel mag hier von den Mysterien gesagt sein, aber wir werden hernach darauf zurückkommen.

4. Kapitel: Beantwortung von Einwürfen, die aus der Verworfenheit der menschlichen Vernunft hergeleitet werden.
28.
Es bleibt noch ein Einwand übrig, auf den einige starkes Gewicht legen, obgleich es ihnen wenig dienlich ist. Zugegeben, sagen sie, das Evangelium ist so vernünftig, wie ihr vorgebt, so kann doch die mangelhafte und verdorbene Vernunft göttliche Wahrheiten weder unterscheiden noch fassen. Ja, aber das beweist nicht, dass göttliche Wahrheiten gegen die gesunde Vernunft sind. Sie behaupten freilich, dass die Vernunft keines Menschen gesund ist. Deshalb hoffe ich, die Frage so zu stellen, dass ich jede Ursache zu Streit einem einsichtsvollen und friedlichen Menschen abschneide. Vernunft – gefasst als das Prinzip des Denkens in uns oder genauer als die Fähigkeit, die ein jeder hat, die Vorstellungen zu beurteilen hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit oder Verschiedenheit, um so zu lieben, was ihm gut erscheint, und zu hassen, was er für übel hält, – Vernunft, sage ich, in diesem Sinne ist gesund und unversehrt in einem jedem, dessen Organe nicht zufällig untauglich sind. Sie ist das, was uns zu Menschen macht; wir können ohne sie weder andere unterrichten, noch können wir selbst ohne sie edler sein als die Tiere.

29. Wenn freilich unter Vernunft ein beständiger, richtiger Gebrauch dieser Fähigkeiten verstanden wird, dass nämlich ein Mensch niemals urteilt ohne Übereinstimmung mit klaren Wahrnehmungen, dass er nichts anderes wünscht als das, was wahrhaft gut für ihn ist, und nichts anderes meidet als das, was ihm wirklich schadhaft ist, muss ich gestehen, ist sie durchaus verderbt. Wir sind allzu geneigt, falsche Vorstellungen zu bilden und irrige Urteile über die Dinge. Wir lieben im Allgemeinen das, was unseren Sinnen schmeichelt, ohne schädliche von unschuldigen Vergnügungen zu unterscheiden; und unser Hass ist ebenso parteiisch. Wir sind gegen unseren Körper so nachgiebig, dass wir nur wenig an die Seele und sehr oberflächlich an geistige und abstrakte Dinge denken. Wir sind geneigt, unseren Neigungen nachzugeben, – wir nennen es: der Natur folgen. So hält der »natürliche Mensch« (1. Kor. 2, 14), d. h. der, der seinen Gelüsten freien Lauf lässt, göttliche Dinge für bloße Torheit. Er nennt Religion den Fiebertraum abergläubischer Köpfe oder einen politischen Trick, den Staatsmänner erfunden haben, um den gläubigen Pöbel zu schrecken. Denn wie »die, die da nach Fleisches Art sind, fleischlich gesinnt sind«, so wird seine »fleischliche Gesinnung Feindschaft wider Gott« (Röm. 8, 5. 7). »Die Sünde klebet uns immer an« (Hebr. 12, 1). »Es gibt ein anderes Gesetz in unseren Gliedern (d. h. in unserem Körper), das da widerstreitet dem Gesetz in unserem Gemüte« (d. h. in unserer Vernunft); und »wenn wir das Gute tun wollen, hanget uns das Böse an« (Röm. 7, 23. 21). Wenn wir auf diese Weise dumm und untauglich für irdische Spekulationen werden, »wie könnten wir glauben, wenn uns von himmlischen Dingen gesagt würde?« (Joh. 3, 12).

30. Aber diese Verwirrungen sind sowenig Vernunft, dass ihr nichts mehr entgegengesetzt sein könnte. Wir unterliegen keinem notwendigen Schicksal, zu sündigen. Es ist das kein Mangel in unserem Verstande, sondern ein solcher, der durch uns selbst erzeugt ist, sozusagen fehlerhafte Gewohnheiten, die leicht angeeignet, aber schwer verbessert werden. Es geht uns genau so wie dem Trunkenbold, dessen »Ich kann das Trinken nicht lassen« ein wohlbedachtes »Ich will nicht« ist. Denn bei einer Wette oder für eine Belohnung kann er sein Trinken einen Tag, einen Monat oder ein Jahr unterlassen, je nachdem die Erwägung des Wertes oder die Sicherheit des in Aussicht stehenden Gewinnes ihn beeinflusst. »Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand. Sondern ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizet und gelockt wird« (Jak. 1, 13. 14).

31. Nehmen wir eine angeborene Unfähigkeit der Vernunft an, so könnten wir nicht der Verdammung verfallen dafür, dass wir Gottes Befehle nicht hielten; ebenso wenig wie die, denen das Evangelium niemals offenbart war, dafür bestraft werden, dass sie nicht an Christus glaubten: »Denn wie sollen sie anrufen, an den sie glauben? Wie sollen sie aber glauben, von dem sie nichts gehört haben?« (Röm. 10, 14). Wären unsere vernünftigen Fähigkeiten unvollkommen oder wir nicht fähig, sie richtig zu verwerten, so würde es eine Möglichkeit geben, uns gegenseitig in tausenden von Dingen zu verständigen, falls der Grundstock unserer Vorstellungen sich als absolut unadäquat oder unser Fassungsvermögen als verschieden geartet erweisen sollte. Aber es ist die Vollkommenheit unserer Vernunft und Freiheit, die uns Lohn und Strafe verdienen lässt. Wir sind überzeugt, dass all unsere Gedanken vollkommen frei sind, dass wir die Kraft der Worte verwenden, die Vorstellungen vergleichen, klare von dunkeln Wahrnehmungen scheiden, unsere Urteile über Ungewisses aufschieben und uns allein der offenbaren Gewissheit fügen können. Mit einem Wort, die Überlegungen, die wir bei unseren Absichten verwenden, und die Auswahl, auf die wir uns zuletzt beschränken müssen, beweisen uns unsere freie Verfügung über all unsere Tätigkeiten. Nun, was ist gesunde Vernunft, wenn es dieses nicht ist? Dies ist es zweifellos. Und keine evangelische oder andere erkennbare Wahrheit kann sich als unüberwindlich oder ungeheuerlich für den erweisen, der nach dieser Weise verfährt. Und wenn wir sie gegen sie selbst missbrauchen und sie zum Sklaven unserer verdorbenen Einbildungen machen, so ist das ein Abfall von allem Guten. Ich gestehe, wir sind so sehr an unsichere und voreilige Schlüsse gewöhnt, dass wir ohne große Beharrlichkeit und Übung unsere angeborene Freiheit nicht wiedererlangen können »und auch nichts Gutes tun, weil wir selbst so sehr des Bösen gewohnt sind« (Je. 13, 23). Aber obgleich in der Schrift gesagt ist, dass »wir weder wissen noch verstehen werden«, so ist dort ebenso gesagt, dass wir unsere Wege verbessern, uns von unserer Ungerechtigkeit abwenden und Leben wählen können. Ermahnungen sind dabei aufgestellt, so zu handeln. Wir können auf Grund ernstlicher Reflektion unsere Fehler erkennen und finden, dass das, was wir für so unvernünftig hielten, uns nur so erschien infolge oberflächlicher Untersuchung oder des Mangels an notwendigen Hilfsmitteln, infolge Rücksicht auf Autorität und Prinzipien, die auf Treu und Glauben hingenommen werden, infolge ungeregelter Neigungen und Selbstsucht oder Parteilichkeit.

32. Aber trotzalledem befinden sich einige in einer Welt von Mühen, sich selbst (wenn sie könnten) ihrer Freiheit und ihres freien Willens zu berauben, der edelsten und nützlichsten aller unserer Fähigkeiten, der einzigen, die wir ganz eigentlich unser nennen können, und der einzigen, die weder Macht noch Geschick uns nehmen kann. Unter was für einem Schleier diese Leute auch ihre Torheit zu verbergen suchen, sie sind doch mit dem äußersten Stolz und der äußersten Eigenliebe darin verwickelt. Denn da sie ihre Unwissenheit und ihre Misserfolge nicht eingestehen wollen (die aus Leidenschaft, Trägheit oder Unüberlegtheit hervorgehen), wollen sie alle Schuld von ihrem Willen ablenken und damit eine natürliche Unfähigkeit belasten, die zu bessern nicht in ihrer Macht stände. So betrügen sie geistreich sich selbst und ziehen es vor, auf eine Stufe mit Tieren oder Maschinen gestellt zu werden, anstatt gezwungen zu werden, ihren menschlichen Irrtum anzuerkennen und sich zu bessern.

33. Da nun die Vollkommenheit oder Gesundheit unserer Vernunft uns selbst so klar ist und so deutlich in der Schrift vorausgesetzt ist, wie sehr sie auch von manchen unwissenden Leuten verdreht sein mag, so sollten wir uns mit zuversichtlicherer Hoffnung auf Erfolg um Aneignung von Wissen bemühen. Warum sollten wir solche mittelmäßigen und unziemlichen Gedanken unterhalten, als ob die Wahrheit wie die Allmacht in einem unerreichbaren Lichte wohne und nicht von Menschenkindern entdeckt werden könnte? Die Dinge sind immer dieselben, wie verschiedenartig auch die Anschauungen der Menschen darüber sein mögen; und was ein anderer nicht herausfindet, mache ich vielleicht glücklich ausfindig. Dass nichts dem Blicke früherer Zeiten entgangen ist, ist ein Märchen, das erzählt werden kann, wo einer allein spricht und keiner sonst da ist, der ihm widersprechen könnte. Die Fehler und Irrtümer, die täglich in der Welt bekannt werden, dienen schon allein dazu, uns nahe zu legen, dass viele tüchtige Leute die Wahrheit nicht mit der Sorgfalt und Aufmerksamkeit prüften, wie sie getan haben sollten oder könnten. Tausend Dinge liegen in unserer Macht zu wissen, mit denen wir aus Vorurteil oder Nachlässigkeit vielleicht häufig unser ganzes Leben nicht bekannt werden. Unzählbare Schwierigkeiten schafft man sich, wenn man Mysterien glaubt, wo keine sind, oder wenn man eine zu entmutigende oder unbillige Ansicht über die eigenen Fähigkeiten annimmt, während wir ebensoviel Vernunft besitzen und hoffen können, alles das zu übertreffen, worin andere vor uns ihre Vorgänger übertrafen, bis endlich die Zukunft über beides hinweg schreitet.
Es ist deshalb keine Anmaßung von uns, wenn wir uns bemühen, diese Dinge in ein besseres Licht zu setzen; denn zu wissen, was zu leisten wir fähig sind, ist kein Stolz; nur das ist töricht, sich einzubilden, kein anderer könne uns gleich kommen, da wir alle auf gleicher Stufe stehen. »Denn wer hat dich vorgezogen? Was hast aber, das du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, was rühmst du dich denn, als der es nicht empfangen hätte?« (1. Kor. 4, 7). Haben wir nicht alle dieselben sicheren und gewissen Versprechungen auf Licht und Beistand von oben, so gut wie das Recht an der Vernunft allgemein ist? »So aber jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte von Gott, der da gibt einfältiglich jedermann und rücket's niemand auf, so wird sie ihm gegeben werden« (Jak. 1, 5).

34. Niemand mag nun noch denken, sich mit dieser eingebildeten Verderbtheit entschuldigen zu können. Es mag aus der Schrift, unserem unfehlbaren Orakel, lernen, dass das Evangelium, wenn es Gottes Wort ist, gegen die Meinungen und Wünsche ausschweifender Menschen gerichtet ist, die es lieben, »nach ihren eigenen Lüsten zu wandeln«, »die alles lästern, was sie nicht wissen, und sich damit verderben, dass sie sinnlich erkennen wie die unvernünftigen Tiere« (2. P. 3, 3; Jud. V. 10). »Es ist denen verdeckt, deren Sinn der Gott dieser Welt verblendet hat« (2. Kor. 4, 3-4), und denen, die von der Unwissenheit und einfältigen Leichtgläubigkeit ihrer Brüder leben. Um kurz zu sein, es ist gegen das falsche Denken aller, welche nicht wissen wollen, was Nachdenken und Betrachten heißt; aber es geht nicht über ihr Vernunftvermögen, wenn sie ihre Fähigkeiten besser fördern würden. Die Schöpfung der Welt war gegen das System des Aristoteles, die Unsterblichkeit der Seele gegen die Annahme des Epikur, und die Willensfreiheit* wurde von vielen Philosophen angefeindet.
*Wie die absolute Freiheit, die wir an uns selbst erfahren, sich mit Gottes Allmacht und unserer Abhängigkeit von ihm verträgt, wird an geeigneter Stelle erörtert werden.

Aber heißt das, wider die Vernunft sein? Sind nicht diese Leute schon bei den Heiden selbst völlig vernichtet? Und sind nicht ihre anderen Irrtümer seitdem von den meisten Gelehrten aufgedeckt und verworfen? Außerdem mangelte ihnen ein grundlegendes Mittel der Kenntnis, nämlich die Offenbarung.

III. Dass nichts Geheimnisvolles oder Übervernünftiges im Evangelium enthalten ist
1.
Wir kommen endlich dazu, zu untersuchen, ob eine Lehre des Evangeliums, wenn auch nicht widervernünftig, so doch übervernünftig ist. Dieser Ausdruck wird in doppelter Bedeutung gefasst. Einmal bezeichnet er ein Ding, das an sich selbstverständlich, aber so mit bildlichen Ausdrücken, Symbolischem und Zeremoniellem umkleidet ist, dass die Vernunft den Schleier nicht durchdringen und nicht sehen kann, was darunter ist, bis er entfernt ist. Zweitens bezeichnet er ein Ding, das seiner eigenen Natur nach unbegreiflich ist, und das daher mit unseren gewöhnlichen Verstandeskräften und Ideen nicht beurteilt werden kann, mag es auch noch so deutlich offenbart werden. Bei beiden Bedeutungen ist übervernünftig dasselbe wie Mysterium; und in der Tat sind dies synonyme Ausdrücke in der Theologie.

1. Kapitel: Die Geschichte und die Bedeutung von Mysterium in den Schriften der Heiden
2.
Was mit Vernunft gemeint ist haben wir bereits ausführlich erörtert; um aber auch richtig zu verstehen, was das Wort Mysterium bedeutet, müssen wir seinen Ursprung bis zur Theologie der alten Heiden zurückverfolgen, bei denen das ein wichtiger Ausdruck war. »Diese Völker, die – wie es Paulus (Röm.1, 22. 23. 25.) vortrefflich beschreibt – zu Narren geworden sind, da sie sich selbst für weise hielten, die verwandelt haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in ein Bild gleich dem vergänglicher Menschen und der Vögel und der vierfüßigen Tiere und der kriechenden, die Gottes Wahrheit verwandelt haben in die Lüge, und haben geehret und gedienet dem Geschöpfe (ebenso, ja bisweilen) mehr als dem Schöpfer«, diese Völker, sage ich, verkleideten ihre Religion, aus Scheu oder aus Furcht, sie vor den Blicken aller unterschiedslos bloßzustellen; sie umgaben sie mit mannigfachen Zeremonien, Opfern, Spielen u. s. w. und machten so das abergläubische Volk glauben, dass wunderbare Dinge in geheimnisvollem Dunkel hinter diesen Äußerlichkeiten ruhten. Die Priester lehrten nur sehr selten, und auch dann dunkel, in der Öffentlichkeit, indem sie dafür Anweisungen ihrer Gottheiten geltend machten, damit ihre Geheimnisse nicht der Profanierung durch Unwissende und der Verletzung durch Gottlose ausgesetzt würden. Sie vollzogen die höchsten Handlungen ihres Kultes, die in lächerlichen, unzüchtigen oder unmenschlichen Bräuchen bestanden, in den entlegensten Winkeln von Tempeln oder Hainen, die zu diesem Zwecke geweiht waren. Es war eine unsühnbare Entweihung, wenn einer sie betrat*, außer denen, die einen besonderen Amtscharakter oder ein Vorrecht hatten; ja, es war verboten, auch nur zu fragen, was darin vorginge. Alle die Ausgeschlossenen wurden in diesem Sinn Profane genannt, wie bei uns die nicht in kirchlichem Amt und Würden stehenden Laien.* (Vergil, Aen. IV 259; Callimachus, Hymn. in Apoll v. 2),

3. Aber die schlauen Priester, die es verstanden, alles zu ihrem Vorteil zu drehen, befanden es für gut, bestimmte Leute in den Sinn ihrer Bräuche einzuweihen und darin zu unterrichten. Sie gaben vor*, dass die, die uneingeweiht stürben, in den Höllenpfuhl versänken, während die Gereinigten und Eingeweihten mit den Göttern zusammenwohnten. Das steigerte die Verehrung für sie und weckte den Wunsch, ein so großes Glück zu genießen. Die Eingeweihten wurden nach einigen Jahren der Vorbereitung, die sie würdig machen sollten und so viel Zeit und Mühe kosteten, feierlich vereidigt**, bei Todesstrafe niemals aufzudecken, was sie sähen oder hörten, wenn sie auch unter sich selbst darüber sprechen durften, damit nicht ein so großer Zwang sie versuchte, das Geheimnis auszuplaudern. Und sie hielten diesen Eid so heilig, dass einige von ihnen nach ihrer Bekehrung zum Christentum nur schwer dazu gebracht werden konnten, zu erklären, was bei solcher Einweihung in das Heidentum geschah. Die Athener konnten die Qualen nicht raffiniert genug aussinnen, um den Philosophen Diagoras*** dafür zu strafen, dass er ihre Mysterien dem gemeinen Volk verraten hatte; und nicht zufrieden damit, ihn für das Lachen über ihre Schwäche mit dem Schimpf des Atheismus zu brandmarken, versprachen sie demjenigen ein Talent als Belohnung, der ihn töten würde. Es stand der Tod darauf, zu sagen, Adonis sei ein Mensch; manche erduldeten ihn aus diesem Grunde. Und viele wurden in Stücke zerrissen bei den Mysterien der Ceres****, und den Orgien des Baccchus*****, für ihre unbedachtsame Neugierde.*Platon, Phaedon, ed. Paris 1578 p. 69; Isocrates in Panegyr.; Cicero, de leg. II 14.; **Ovid, Ars amandi II 601; Aristides; ***Aristophanes in Avibus; Suidas in voce.; ****Livius XXXI 14; *****Zeugnis dafür ist die Geschichte von Pentheus, die dem Euripides Stoff zu einer Tragödie gegeben hat.

4. Glaubwürdige Schriftsteller berichten, dass die Priester den Eingeweihten bekannten, wie diese mystischen Darstellungen zuerst zum Gedächtnis an einige bemerkenswerte Ereignisse oder zur Ehre einiger großen Persönlichkeiten eingerichtet wären, die die Welt durch ihre Tugenden und ihre nützlichen Erfindungen verpflichtet hätten, ihnen solche Anerkennung zu zollen. […] Wie es verschiedene Rangstufen gab, so gab es verschiedene Arten von Mysterien. Die berühmtesten waren die samothrakischen*, die eleusinischen, die ägyptischen und die des Bacchus, allgemein bekannt unter dem Namen Orgien, wenn auch dieses Wort manchesmal für eine der ersteren angewandt wird. *Schol. in Aristophan. Plut., Act 4, Sc. 2. **Cat. Epigram. 64, v. 260 .

5. Aus dem Gesagten erhellt, dass man in jenen Tagen unter Mysterium etwas verstand, das an sich selbst verständlich, aber von anderen so verhüllt war, dass es nicht ohne besondere Offenbarung erkannt werden konnte. Ich brauche nicht hinzufügen, dass es bei allen griechischen und römischen Schriftstellern beständig als ein ganz allgemein üblicher Ausdruck für etwas Heiliges oder Profanes verwandt wird, das absichtlich geheim gehalten wird oder zufällig dunkel ist. Und dieses ist noch jetzt die allgemeine Bedeutung davon; denn wenn wir in eine Sache keinen klaren Einblick haben, sagen wir, sie ist uns ein Mysterium, und eine dunkle oder verworrene Abhandlung nennen wir mysteriös. Mysterien in Staat, Wissenschaften und Handel fallen alle unter denselben Begriff.

6. Aber viele, die etwas so Klares nicht leugnen, die aber doch aus Unwissenheit oder Leidenschaft durchaus dazu neigen, das aufrecht zu erhalten, was durch die Verschlagenheit oder den Aberglauben ihrer Vorväter zuerst eingeführt ist, wollen annehmen, dass einige christliche Lehren noch heute im zweiten Sinne Mysterien seien, d. h. an sich selbst unfassbar, wie klar sie auch offenbart sein mögen. Sie denken, eine lange geltende Verordnung würde es der Gottlosigkeit, dagegen aufzutreten, und in der Tat hat Gewohnheit es gefährlich gemacht. Aber ich verachte so elende Betrachtungsweisen, wenn ich zeigen kann, dass im Neuen Testament Mysterium immer im ersten Sinne des Wortes gebraucht wird, d. h. in dem der Heiden, nämlich für Dinge, die ihrer Natur nach durchaus verständlich sind, nur so mit bildlichen Ausdrücken oder Gebräuchen verdeckt, dass die Vernunft sie nicht ohne besondere Enthüllung aufdecken kann; wenn ich weiter zeige, dass der Schleier tatsächlich fortgenommen ist, so wird sich deutlich daraus ergeben, dass die so enthüllten Lehren nicht eigentlich Mysterien genannt werden können.

7. Das hoffe ich im Fortlauf dieses Abschnittes zur vollkommenen Befriedigung aller der echten Christen zu zeigen, die sich mehr um die Wahrheit kümmern als um die alte und gewinnbringende Meinung. Aber ich muss zuerst gewisse allgemeine Spitzfindigkeiten aus dem Wege räumen, mit denen nicht nur die unreifen Anhänger dieser höchst verwickelten Institution bei allen Gelegenheiten viel Staub aufwirbeln, obgleich sie nicht fähig sind, über etwas angemessen zu reden, wenn sie aus dem gewohnten Geleise gestoßen werden; nein, es schämen sich wirklich ihre verehrungswürdigen Lehrer nicht, zeitweise dieses niedrige Spiel zu spielen, das, wie sie wissen, mehr die Anhänger ihrer Vorurteile erfreut als die Gegner irgendwelcher Art belehrt. Ich wünschte, das käme lieber aus einem wohlmeinenden Eifer ohne jedes Wissen als aus listiger Verschlagenheit, wie sich bei diesem Verfahren zeigt.

2. Kapitel: Dass nichts deshalb ein Mysterium genannt werden sollte, weil wir keine adäquate Idee von allen seinen Eigenschaften haben oder von seinem Wesen überhaupt
8.
Ich werde diesen Punkt mit all der Schärfe erörtern, deren ich fähig bin. Zunächst behaupte ich, dass nichts ein Mysterium genannt werden kann, weil wir keine adäquate Idee davon haben oder keine klare Einsicht in alle seine Fähigkeiten zugleich; denn dann würde alles ein Mysterium sein. Die Erkenntnis endlicher Geschöpfe schreitet allmählich fort, je nach den Objekten, die sich dem Verstande darstellen. Adam wusste nicht soviel in seinem zwanzigsten wie in seinem hundertsten Lebensjahr. Und von Jesus Christus ist ausdrücklich bezeugt (Luk. 2, 52), dass er zunahm an Weisheit so gut wie an Alter. Von uns wird gesagt, wir wüssten tausend Dinge, und wir können nicht daran zweifeln; doch wir haben niemals eine vollständige Vorstellung von allem, was dazu gehört. Ich erkenne nichts besser als diesen Tisch, auf dem ich gerade schreibe. Ich begreife, dass er teilbar ist, mehr als ich mir vorstellen kann; aber werde ich sagen, er ist über meine Vernunft, weil ich diese Teile nicht aufzählen und ihre Größe und Gestalt nicht genau wahrnehmen kann? Ich bin überzeugt, dass Pflanzen ein regelrechtes Gewebe haben und eine Menge Gefäße, von denen viele denen von animalischen Wesen gleich oder ähnlich sind, durch die sie einen Saft von der Erde empfangen und ihn verarbeiten, indem sie ihn teilweise in ihr eigene Substanz verwandeln und die überflüssigen Teile ausscheiden. Aber ich begreife nicht klar, wie alle diese Funktionen geartet sind, obgleich ich sehr wohl weiß, was mit einem Baume gemeint ist.

9. Der Grund dafür, dass wir von Körpern nur ihre Eigenschaften kennen, ist der: Gott hat weislich dafür gesorgt, dass wir nicht mehr davon verstehen, als uns nützlich oder nötig ist, d. h. alles, was wir gegenwärtig nötig haben. So ist unser Auge uns nicht verliehen, um alle Größenverhältnisse zu erkennen, wohl auch nicht ein Ding, wie es an sich selbst ist, sondern nur sofern es eine Beziehung zu uns in sich trägt. Was zu winzig ist, kann unserem Blick entgehen und kann uns so weder schaden noch nützen. Und wir haben einen besseren Einblick in Körper, je näher wir an sie herantreten, weil sie dann mehr, günstig oder ungünstig, auf uns einwirken; aber wenn wir uns weiter von ihnen entfernen, verlieren wir mit ihrem Einfluss auch ihren Anblick. Ich bin davon überzeugt, dass eine jede Bewegung einen Schall in meinen Ohren hervorruft, die dazu eingerichtet sind, mit entsprechenden Stärkeabstufungen von der Luft affiziert zu werden; und vielleicht können die kleinen Lebwesen die Schritte der Spinne hören, wie wir die von Menschen und Vieh. Aus diesen und Millionen anderen Instanzen ist offenbar, dass wir nur soweit Gewissheit über etwas haben, wie es uns nützlich oder schädlich ist.

10. Genau gesprochen also wird von uns erklärt, dass wir ein Ding verstehen, wenn wir seine hauptsächlichsten Eigenschaften und deren besonderen Gebrauch kennen. Denn in allem die Schriftsteller richtig verstehen, heißt nichts anderes als sie erkennen und weil wir von allem, was nicht erkennbar ist, keine Ideen haben können, so existiert es für uns gar nicht. Es ist daher unrichtig zu sagen, etwas ist über unsere Vernunft, weil wir nicht mehr davon erkennen, als zu uns in Beziehung steht, und es ist lächerlich, unsere Untersuchung darüber aus diesem Grunde für nichtig zu halten. Was würden wir von einem Mann denken, der hartnäckig behauptet, Wasser ginge über seine Vernunft, und er würde niemals dessen Natur untersuchen oder es in seinem Hause oder Grundstücke verwerten, weil er nicht weiß, wieviele Teile auf einen Tropfen gehen, oder ob die Luft, die hindurchgeht, sich ihm einverleibt oder nicht? Das ist in aller Welt ebenso, als ob ich nicht gehen wollte, weil ich nicht fliegen kann. Indem wir nun sehen, dass die Bezeichnungen der Dinge von ihren bekannten Eigenschaften entlehnt sind, und dass nur die Eigenschaften erkennbar sind, die sich auf uns beziehen, oder die dazu dienen, dieses soweit wie möglich aufzudecken, können wir nicht dafür verantwortlich sein, dass wir nichts anderes davon verstehen, und es kann von vernünftigen Leuten, noch weniger aber von der allweisen Gottheit, nicht mehr von uns verlangt werden.

11. Die kürzeste Methode, sich sichere und nützliche Erkenntnis anzueignen, besteht daher nicht darin, sich und andere mit etwas zu verwirren, dessen Erkenntnis nutzlos oder überhaupt unmöglich ist. Wenn ich leicht die guten und schlechten Wirkungen des Regens auf Erden wahrnehme, was würde ich besser sein, wenn ich seine Entstehung in den Wolken verstände? Denn trotz alledem könnte ich keinen Regen zu meinem Vergnügen machen oder sein Fallen auf einige Zeit verhindern. Eine wahrscheinliche Hypothese würde in solchen Fällen keine Befriedigung geben. Die Zeiger von z. B. zwei Ziffernblättern können dieselbe äußere Bewegung haben, wenn auch die Einrichtung der verborgenen Federn, welche sie hervorrufen, ganz verschieden wäre. Und zu behaupten, es geschehe auf diesem oder jenem Wege, macht nichts aus, wenn man nicht zeigen kann, dass kein anderer möglicher Weg übrig bleibt. Nein, würde man auch die wirkliche Art und Weise erraten, so könnte man deren niemals sicher sein, weil die offenbare Gewissheit eines Sachverhaltes allein vom beweisbaren Zeugnis abhängig ist; und es folgt nicht, dass irgend etwas so und so ist, weil es so sein kann.

12. Die Anwendung dieser Erörterung auf unseren Gegenstand bringt keine Schwierigkeiten mit sich und gestaltet sich folgendermaßen:

1. Eine christliche Lehre kann so wenig wie ein gewöhnliches Stück Natur deswegen für ein Geheimnis angesehen werden, weil wir keine adäquate oder vollkommene Idee von allem haben, was damit in Beziehung steht.
2. Was in der Religion geoffenbart ist, das muss und kann, da es überaus nützlich und notwendig ist, ebenso leicht verstanden und mit unseren allgemeinen Begriffen in Übereinstimmung gefunden werden, wie das, was wir von Holz, Stein, Luft, Wasser oder dergleichen wissen.
3. Wenn wir solche Lehren mit gleicher Vertrautheit auslegen, wie das, was wir von natürlichen Dingen wissen (und ich behaupte, wir können es), so können wir von den einen ebenso gut sagen, wir begreifen sie, als von den andern.

13. Diejenigen treiben also den Scherz zu weit und zeigen einen starken Mangel an besseren Argumenten, die ihre Mysterien mit der kläglichen Ausflucht verteidigen, dass sie das Unbekannte an dem Bekannten messen wollen, oder dass sie auf adäquate Ideen dringen; sie müssten denn zugeben, wie es auch einige tun, dass man einen jeden Grashalm, Sitzen und Stehen, Fisch oder Fleisch, unergründliche Mysterien nennen kann. Und wenn sie aus Eigensinn oder schlechter Laune beständig töricht bleiben und diese Dinge Mysterien nennen wollen, so bin ich willens, soviel, wie es ihnen gefällt, in der Religion zuzugeben, wenn sie mir ebenso erlauben wollen, meine den andern so verständlich zu machen, wie diese mir sind.

14. Aber um diesen Punkt zu Ende zu führen, so schließe ich, dass weder Gott selbst noch eines seiner Attribute, ja nicht einmal die Ewigkeit, aus Mangel einer adäquaten Idee für uns Mysterien sind. Die mysteriösen Geister stellen sich nie mehr bloß als dann, wenn sie von Ewigkeit zu Ewigkeit im Besonderen handeln. Denn sie glauben sich selbst in einer uneinnehmbaren Festung und machen sich weidlich lustig über diese schwerfälligen Geschöpfe, die etwas nicht finden können, wo es nicht ist. Denn wenn irgendwelche Grenzen (am Anfang oder Ende) für die Ewigkeit bezeichnet werden könnten, so wird unmittelbar hinfällig, was es sein soll; und man kann nur eine endliche oder wenigstens eine negative Idee bilden, was die Natur aller Begrenzung ist. Aber man kann nicht sagen, dass deshalb Ewigkeit in dieser Hinsicht übervernünftig ist, oder dass es ein Mangel in uns ist, dass wir ihren Begriff nicht erschöpfen können; denn welche größere Vollkommenheit kann der Vernunft zugeschrieben werden als die, genau die Natur von Dingen zu erkennen? Und beruhen nicht alle Irrtümer darauf, dass einem Dinge Eigenschaften beigelegt werden, die es nicht hat, und solche abgesprochen werden, die darin enthalten sind. Ewigkeit ist daher, weil sie sich nicht vorstellen lässt, nicht übervernünftiger als ein Kreis, weil er vorstellbar ist. Denn in beiden Fällen ist die Vernunft gemäß der verschiedenen Natur der Gegenstände tätig, von denen der eine seinem Wesen nach vorstellbar ist, der andere nicht.

15. Es ist klar, dass die angebliche Mysteriösität der Ewigkeit nicht in dem Mangel einer adäquaten Vorstellung besteht, welches alles ist, was wir gegenwärtig daran erkennen. Die Schwierigkeiten, die sich aus ihrer Dauer ergeben, z.B. dass Zeitfolge sie endlich zu machen scheint, und dass alle Dinge zusammen existieren müssen, wenn sie augenblicklich ist, verzweifele ich, ganz leicht zu lösen und zu zeigen, dass Unendlichkeit also (die sich nicht davon trennen lässt oder die wenigstens nur eine andere Betrachtungsweise desselben Dinges ist) ebenso wenig mysteriös ist wie die Tatsache, dass drei und zwei fünf sind. Aber das gehört natürlich in meine zweite Abhandlung, wo ich auf Grund der allgemeinen Prinzipien, die ich hier jetzt aufstelle, eine Auslegung der schriftlichen Lehrsätze im Einzelnen gebe.

16. Da wir nicht alle Eigenschaften der Dinge kennen, so können wir niemals das Wesen einer Substanz in der Welt begreifen. Um Zweideutigkeiten zu vermeiden, unterscheide ich im Anschluss an einen hervorragenden Philosophen der Neuzeit die Nominalessenz von der Realessenz eines Dinges. Die Nominalessenz ist die Gesamtheit der Eigenschaften und Modifikationen, die wir hauptsächlich an einem Dinge beobachten, und denen wir eine gemeinsame Bezeichnung oder einen Namen geben. So ist die Nominalessenz der Sonne ein leuchtender, heißer und runder Körper, der in einer bestimmten Entfernung von uns ist und eine beständige, regelmäßige Bewegung hat. Ein jeder, der das Wort Sonne sprechen hört, hat eben diese Vorstellung davon. Er mag mehr von ihren Eigenschaften begreifen oder nicht alle diese; aber es ist immer eine Gesamtheit von Modifikationen und Eigenschaften, die seine Vorstellung erzeugt. So besteht die Nominalessenz des Honigs in seiner Farbe, seinem Geschmack und anderen bekannten Attributen.

17. Aber die Realessenz ist die eigentliche Konstitution eines Dinges, die der Grund oder die Stütze aller seiner Eigenschaften ist, und aus der sie naturgemäß hervorgehen oder entstehen. Nun sind wir zwar überzeugt, dass die Modifikationen [Veränderung, Abwandlung] von Dingen einen Gegenstand haben müssen, dem sie anhaften (denn sie können nicht allein bestehen), aber wir wissen absolut nicht, was es ist. Wir begreifen nichts deutlicher als die erwähnten Eigenschaften der Sonne und die, wodurch uns Pflanzen, Früchte, Metalle usw. bekannt sind; und wir haben keine Art von Vorstellung von den besonderen Grundlagen dieser Eigenschaften, obgleich wir indessen ganz sicher sind, dass ein solches Ding notwendig existieren muss. Die bemerkbaren Eigenschaften der Dinge sind daher alles, was wir unter ihrem Namen verstehen, und in diesem Sinne werden sie ihre Nominalessenz genannt.

18. Es folgt nun ganz klar, dass nichts ein Mysterium genannt werden kann, weil wir mit seiner Realessenz unbekannt sind, da sie bei dem einen Ding nicht erkennbarer ist als bei dem anderen und niemals in den Vorstellungen, die wir von Dingen haben, oder in den Namen, die wir ihnen geben, begriffen oder eingeschlossen ist. Ich hätte nicht solange auf diesem Punkte verweilt, wenn es sich nicht um so oft wiederholte Sophistereien einiger handelte, die eher das Lob großer Leser als großer Denker verdienen. Wenn sie die handgreiflichsten Widersinnigkeiten herausbekommen, wenn Widersprüche mit anderen sich einstellen und sie veranlassen, die Religion auf nichtssagende oder unerklärbare Worte zu gründen, dann sagen sie ihnen weislich, dass sie in manchen Dingen unwissend wären, besonders in dem Wesen ihrer eigenen Seele, und dass sie deshalb nicht alles leugnen können, was sie nicht begreifen. Aber damit nicht genug: indem sie (anstatt sie zu widerlegen) diejenigen für lächerliche und anmaßenden Prätendenten, die behaupten, dass nur verständliche und mögliche Dinge der Gegenstand des Glaubens sind, stellen sie sie absichtlich als solche dar, die sich vermessen, das Wesen Gottes mit dem geschaffener Geister zu erklären. Und nachdem sie diese Vermutung ihrer eigenen Phantasie hinreichend verstärkt haben, schließen sie, dass sie sich dann, wenn nicht über das Gewebe des kleinsten Steinchens Rechenschaft abgegeben werden könnte, nicht auf solche strengen Prüfungen des Glaubens einlassen werden, sondern sich einstweilen damit begnügen, ihre Vernunft ihren Lehrern und den Bestimmungen der Kirche zu unterwerfen.

19. Wer erkennt nicht die Schwäche und Nichtigkeit einer solchen Betrachtung? Wir wissen genau soviel von der Seele wie von irgendetwas anderem, wenn nicht mehr. Wir bilden die klarsten Begriffe von Denken, Erkennen, Vorstellen, Wollen, Hoffen, Lieben und ähnlichen Tätigkeiten des Geistes. Aber dem Gegenstand, woran diese Tätigkeiten bestehen, sind wir fremd. So geht es uns mit dem, wovon die Rundung, die Süßigkeit, die Farbe und der Geschmack der Traube abhängen. Es gibt nichts Klareres als die Modifikationen und Eigenschaften des Körpers, dass er ausgedehnt, fest, teilbar, glatt, rau, weich, hart ist usw. Aber wir wissen ebenso wenig von der inneren Konstitution, die der Träger dieser sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften ist, wie wir von dem wissen, worauf die Tätigkeiten der Seele beruhen. Und, wie der große Mann, den ich gerade eben erwähnte, bemerkt, wir können ebenso gut die Existenz eines Körpers verneinen, weil wir keine Idee von seiner Realexistenz haben, wie wir das Wesen der Seele in demselben Sinne in Frage stellen können. Die Vorstellung der Seele ist also in jeder Hinsicht ebenso klar und deutlich wie die des Körpers; und sollte ein Unterschied bestehen (wie es nicht der Fall ist), so müsste die Seele den Vorzug tragen, weil ihre Eigenschaften uns unmittelbarer bekannt und das Licht sind, mit dem wir alles andere erhellen.

20. Was Gott betrifft, so begreifen wir nichts besser als seine Attribute. Es ist wahr, wir kennen die Natur dieses ewigen Gegenstandes oder Wesens nicht, worin die unendliche Güte, Liebe, Erkenntnis, Macht und Weisheit koexistieren; aber wir sind nicht besser mit der Realexistenz eines seiner Geschöpfe bekannt. Wie wir unter dem Begriff und dem Namen Gott seine bekannten Attribute und Eigenschaften verstehen, so verstehen diejenigen aller anderen Dinge unter ihrem Namen, und wir begreifen das eine ebenso deutlich wie das andere. Ich bemerkte am Anfange dieses Kapitels, dass wir nichts von den Dingen wüssten, als solche von ihren Eigenschaften, die uns notwendig und nützlich sind. Wir können dasselbe von Gott sagen; denn jeder Akt unserer Religion ist durch die Betrachtung einer seiner Eigenschaften geleitet, ohne dass man je an seine Natur denkt. Unsere Liebe zu ihm wird entzündet durch seine Güte, unsere Dankbarkeit durch seine Barmherzigkeit, unser Gehorsam wird geregelt durch seine Gerechtigkeit, unsere Hoffnungen werden gestärkt durch seine Weisheit und Macht.

21. Ich denke, ich kann nun mit Recht schließen, dass nichts ein Mysterium ist, weil wir sein Wesen nicht kennen, da es klar ist, dass dieses weder an sich selbst erkennbar ist, noch je von uns so gedacht wird, so dass die göttliche Wesenheit selbst nicht mehr mit Recht mysteriös in diesem Sinne genannt werden kann als die verächtlichsten seiner Geschöpfe. Ich bin nicht sehr bekümmert, dass diese Wesen sich meiner Kenntnis entziehen; denn ich halte an der Anschauung fest: Wir sind entweder fähig genug, das, was die unendliche Güte nicht für gut befunden hat uns zu offenbaren, selbst zu enthüllen, oder wir haben nicht nötig, es überhaupt zu verstehen. Ich hoffe, es ist jetzt ganz klar, dass Mysterien in der Religion nur sehr schlecht bewiesen werden können durch angebliche Mysterien der Natur, und dass diejenigen, die sich bemühen, die ersteren durch die letzteren zu stützen, entweder die Absicht haben, andere zu betrügen oder selbst niemals mit dem schuldigen Eifer diese Dinge betrachtet haben.

3. Kapitel: Die Bedeutung des Wortes Mysterium im Neuen Testament und in den Schriften der ältesten Christen

22.
Nachdem wir so diese adäquaten Ideen und, ich weiß nicht was, Realessenzen abgefertigt haben, kommen wir jetzt auf den wichtigsten Punkt, von dem die ganze Streitfrage hauptsächlich abhängt. Was die Frage betrifft, ob das Christentum Geheimnis ist oder nicht, so sollte sie naturgemäß durch das Neue Testament entschieden werden, in dem der christliche Glaube urbildlich enthalten ist. Ich wünsche aufrichtig, von ihm die Entscheidung abhängig zu machen; an diese Instanz appelliere ich. Denn würde ich nicht die Wahrheit, die ich aus diesen heiligen Urkunden lerne, unendlich viel höher schätzen als alle anderen Betrachtungen, so würde ich niemals behaupten, dass es keine Mysterien im Christentum gibt. Die Schrift hat mich zu diesem Irrtum verleitet, wenn es einer ist; und ich will lieber für heterodox [andersgläubig, von der herrschenden Kirchenmeinung abweichend] gehalten werden mit ihr allein auf meiner Seite, als für orthodox gelten mit der ganzen Welt für, aber mit ihr wider mich.

23. Nun finde ich beim Durchsuchen der Schrift, dass einige evangelische Lehren Geheimnisse genannt werden in einem allgemeineren, andere in einem spezielleren Sinne. Sie werden mehr allgemein so genannt mit Rücksicht auf die ganze Menschheit: denn da es gewisse Tatsachen gibt, die allein Gott bekannt und in seinen Ratschlüssen enthalten sind, oder Erkenntnisse, die in der Welt völlig verloren und vergessen waren, so konnten sie unmöglich von jemand, mochte er noch so weise oder gelehrt sein, entdeckt werden; denn »niemand weiß, was in Gott ist, außer dem Geist Gottes« (1. Kor. 2, 11), wie niemand die geheimen Gedanken eines Menschen ausfindig machen kann, bis er sie ihm selbst erzählt. Solche Offenbarungen Gottes also werden im Neuen Testament Mysterien genannt, nicht wegen ihrer gegenwärtigen Unbegreiflichkeit oder Dunkelheit, sondern mit Beziehung auf das, was sie vor dieser Offenbarung waren, wie das unsere Arbeit genannt wird, was wir längst vollendet haben.

24. Wenn jemand dies in Frage stellen sollte, so mag er den Apostel Paulus und seine Gehilfen am Evangelium selbst sprechen hören. »Wir reden«, so sagt er (1. Kor. 2, 7 - 8), »von der als Geheimnis verborgenen Weisheit Gottes, die Gott verordnet hat vor der Welt zu unserer Herrlichkeit, welcher keiner von den Obersten dieser Welt erkannt hat« usw. Und um zu zeigen, dass diese göttliche Weisheit ein Mysterium war, solange es an einem offenbarenden Unterricht fehlte, fügt er sogleich (v. 9 - 10) hinzu: »Kein Auge hat es gesehen, und kein Ohr gehöret, und in keines Menschen Herz ist das kommen, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben. Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist.« Die scharfsinnigsten Philosophen waren nicht imstande, das Kommen Christi vorherzusagen, die Auferstehung des Fleisches zu enthüllen oder irgendetwas anderes, das im Evangelium überliefert ist. Und wenn sie zufällig hin und wieder einiges der Wahrheit Ähnliches sagten, errieten sie es im besten Falle und konnten niemals ihrer Anschauung gewiss sein. Es ist höchst ergötzlich zu sehen, was für Mühe die forschenden Heiden oftmals darauf verwandt haben, einen Grund für das ausfindig zu machen, das nicht im mindesten von irgendwelchen Prinzipien ihrer Philosophie abhängig war, sondern als eine historische Tatsache durch Gott allein mitteilbar war oder durch solche, die unbezweifelte Zeugnisse darüber hatten. Es ist, wie ich denke, nicht überflüssig, folgendes als Beispiel anzufügen.

25. Dieselbe Erfahrung, die die Heiden ihre sterbliche Beschaffenheit lehrte, machte sie ebenso mit der Gebrechlichkeit ihrer Natur bekannt und dem zahllosen Missgeschick, das ihnen beständig drohte. Sie konnten sich nicht davon überzeugen, dass das Menschengeschlecht bei solcher beklagenswerter Lage doch aus der Hand einer unendlich gütigen und barmherzigen Gottheit käme, und waren so geneigt, alles der Bosheit Erwachsener zuzuschreiben, bis sie erkannten, dass Tod und Missgeschick unschuldige Kinder nicht mehr verschonte als Räuber und Piraten. Schließlich stellten sie sich einen präexistenten Zustand vor, in dem die Seele, abgesondert wirkend wie Engel, sich eine außerordentliche Schuld zugezogen hätte und deshalb zur Bestrafung in den Körper gesteckt sei, den sie oft mit einem Gefängnis vergleichen, noch öfter aber mit einem Grabe. Dies war auch der Ursprung der Seelenwanderung, wenn auch im Verlaufe der Zeit die Rücksicht auf die Sünden dieser Welt ebenso an dieser Vorstellung beteiligt war wie die auf die Sünden der Vorzeit. Nichts ist geistreicher, die der Thebaner Cebes uns hiervon gibt in seinem »Gemälde des menschlichen Lebens«. Er schildert (Cebes. Tab. P. 11 Ed. Amst 1689) die Betrügerei auf einem Throne am Tore des Lebens sitzend in Gestalt eines schönen Weibes, in ihrer Hand einen Becher haltend. Sie bietet ihn allen freundlich an, die auf der Reise in diese Welt sind, und sie nehmen ihn zufällig an; aber der Trank erweist sich als Unwissenheit und Irrtum, woraus alle Verwirrung und alles Unglück ihres Lebens hervorgeht

26. Dieser Punkt war jenen rechtschaffenen Philosophen, die allein den Wunsch hatten, die Menge zu leiten, ein großes Mysterium, und die Lösung konnte auf keine Weisung vom Geiste Gottes Anspruch machen. Uns aber ist jetzt kein Mysterium, da »wir den Geist Christi haben« (1. Kor. 2, 16). Wir wissen, dass Adam, der erste Mensch, ebenso der erste Sünder und Sterbliche wurde, und dass so das ganze Geschlecht, das von ihm stammt, natürlich nicht besser sein konnte, als er war. »Durch eines Menschen ist die Sünde kommen in die Welt und der Tod durch die Sünde« (Röm. 5, 12).

27. Einige Lehren des Evangeliums werden aber im spezielleren Sinne Mysterien genannt, weil sie dem auserwählten Volke Gottes unter der moralischen Ordnung verborgen geblieben waren. Nicht, dass sie überhaupt nichts davon wussten; denn »das Gesetz hatte den Schatten von den zukünftigen Gütern« (Hebr. 10, 1), aber es war alles bis auf die neutestamentlichen Zeiten nicht klar und vollständig offenbart, sondern bis dahin durch allerlei typische Darstellungen, Zeremonien und bildliche Ausdrücke verhüllt. Christus sagt (Luk. 10, 24) seinen Jüngern: »Viele Propheten und Könige wollten sehen, das ihr sehet und haben's nicht gesehen, und hören, das ihr höret und haben's nicht gehöret.« Paulus sagt (2. Kor. 3, 12-13): »Wir haben große Freudigkeit beim Reden und tun nicht wie Mose, der die Decke vor sein Angesicht hing.« Und dann fügt er (v.15) ausdrücklich hinzu: »Diese Decke ist fortgenommen in Christo«, was wahrhaftig nicht behauptet werden konnte, wenn die offenbarten Dinge noch unbegreiflich wären; denn ich kenne keinen Unterschied zwischen: überhaupt nichts hören von einem Dinge, und: es beim Hören nicht verstehen. An einer anderen Stelle (Röm. 16, 25-26) sprach Paulus die bemerkenswerten Worte: »Die Predigt von Jesu Christ, durch welche das Geheimnis offenbaret ist, das von Beginn der Welt her verschwiegen gewesen ist, nun aber offenbaret und kundgemacht durch der Propheten Schriften auf Befehl des ewigen Gottes, den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Völkern.«

28. Diese Stellen allein beweisen hinreichend die Behauptungen, die in § 6 und 7 dieses Abschnittes enthalten sind, nämlich:

1. dass die Mysterien des Evangeliums gewisse an sich wohl begreifliche Dinge waren, aber Mysterien genannt wurden wegen der Decke unter der sie früher verborgen waren.
2. Dass unter dem Evangelium diese Decke gänzlich gehoben ist. Und daraus folgt:
3. der in Aussicht gestellte Schluss, dass solche Lehren nicht eigentlich den Namen Mysterien verdienen.

29. Man kann bemerken, dass die glühendsten Eiferer hinsichtlich der Väter nur dann auf ihre Autorität verweisen, wenn sie denken, dass sie für sie spricht, sie hingegen vernachlässigen und unterdrücken, wenn sie ihrer Sache nicht günstig ist. Damit man sich nicht boshaft zuflüstert, dass ich mich der heiligen Schriften in derselben Art bediene, will ich hier alle Stellen des Neuen Testamentes anführen, wo das Wort Mysterium vorkommt, damit man hintereinander nachlesen kann, was ich verteidige. Das Ganze kann passend auf folgende Hauptpunkte zurückgeführt werden:

1. Mysterium bedeutet Evangelium oder christliche Religion im Allgemeinen, da diese eine spätere Einrichtung, den Heiden gänzlich fremd und den Juden nur ganz unvollkommen bekannt.
2. Einige besondere Lehren, die gelegentlich von den Aposteln enthüllt sind, werden offenbarte Mysterien genannt, d. h. enthüllte Geheimnisse. Und
3. Mysterium ist für etwas gesetzt, das unter Gleichnissen und rätselhaften Sprachformen verhüllt ist.

Von alledem soll das Folgende der Reihe nach handeln.

30. Mysterium steht erstens für Evangelium oder Christentum Im Allgemeinen an folgenden Stellen:

Röm. 16, 25-26: »Die Predigt von Jesu Christ, durch welche das Geheimnis offenbaret ist, das von Beginn der Welt her verschwiegen gewesen ist, nun ab er offenbaret und kundgemacht durch der Propheten Schriften auf Befehl des ewigen Gottes, den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Völkern.« Nun, in welchem Sinne könnte hier gesagt sein, dass das Mysterium offenbart, das Geheimnis offenbar gemacht und unter allen Völkern und unter allen Völkern durch die Predigt durch die Predigt der Apostel aufgerichtet sei, wenn es beständig unbegreiflich bliebe? Eine gewaltige Gnade in der Tat! Die Welt mit einer Fülle unvernünftiger Begriffe und Ausdrücke zu beglücken, wenn sie bereits überreichlich mit den dunklen Abhandlungen des Aristoteles, mit den esoterischen Lehren des Pythagoras und dem mysteriösen Kauderwelsch der anderen philosophischen Schulen versehen war! Denn sie alle machten hohen Anspruch auf seltene und wunderbare Geheimnisse, die nicht jedem der Lernenden mitgeteilt werden konnten, geschweige denn dem gemeinen Volk. Mit diesen Mitteln verteidigten ihre willfährigen Schüler alles Widersinnige, Zusammenhangslose, Zweifelhafte oder Unbegreifliche in den Schriften ihrer verschiedenen Meister. Einem, der sich über Inkonsequenz und Dunkelheit beklagte, antworteten sie sofort: »Ja, mein Lieber, der Philosoph sagt es, und du solltest es deshalb glauben. Er kannte seine eigene Meinung sehr wohl, wenn er sich vielleicht auch nicht darum kümmerte, ob alle anderen es verstanden. So sind die Ursachen deines Zweifels, mein Lieber, nur scheinbar und nicht wirklich.« Aber die christliche Religion bedarf solcher elenden Ausflüchte und Kunstgriffe nicht, da nichts in ihr übervernünftig oder wider die strengste Vernunft ist. Und die, die anderer Ansicht sind, können ebenso gut die eiteln Träume der Philosophen, die Gottlosigkeiten und Märchen des Korans und dergleichen mehr rechtfertigen wie das Christentum.

Die zweite Stelle ist 1. Kor. 2, 7, deren Worte gerade oben in § 24 angeführt sind und hier nicht wiederholt zu werden brauchen.

Die 3. Stelle ist 1. Kor. 4, 1: »Dafür halte uns jedermann: für Christi Diener und Haushaltern über Gottes Geheimnisse«, d. h. für Prediger der Lehren, deren Offenbarung Gott gefallen hat.

Die 4. Stelle ist Eph.6, 9: »Betet für mich, auf dass mir gegeben werde das Wort mit freudigem Auftun meines Mundes, dass ich möge kundmachen das Geheimnis des Evangeliums«.

Parallel damit ist die fünfte Stelle Kol. 4, 3. 4: »Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür des Wortes auftue, zu reden das Geheimnis Christi, auf dass ich dasselbige kundtue, wie ich es soll«. Die Worte sind so klar, dass sie keiner Erklärung bedürfen.

Die 6. Stelle ist Kol 2, 2: »Auf dass ihre Herzen ermahnt und zusammengefasset werden in der Liebe und zu allem Reichtum des gewissen Verstandes, zu erkennen das Geheimnis Gottes, des Vaters und Christi.« Hier ist offenbar gemeint die Offenbarung des Zustandes unter dem Evangelium. Denn was für richtige Vorstellungen die Juden auch vom Vater haben mochten, sie hatten nicht die volle Erkenntnis Christi und seiner Lehren, deren Genuss unser unschätzbares Vorrecht ist.

Die siebente Stelle ist 1. Tim.3, 8. 9: »Auch die Diakonen sollen ehrbar sein, nicht zweizüngig, nicht Weinsäufer, nicht unehrliche Hantierung treiben, sondern das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen haben«; d. h. nach dem leben, was sie glauben.

Die achte und letzte Stelle, die hierher gehört, ist 1. Tim. 3, 16: »Und unbestreitbar groß ist das gottselige Geheimnis: Gott ward offenbaret im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubet von der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit.« Ich will mich nicht auf die verschiedenen Lesarten dieser Worte einlassen und nicht kritisch bestimmen, was echt und unecht ist. Alle Ausleger (wie viel sie sich auch im Sinn unterscheiden möchten) stimmen darin überein, dass die einzelnen Versteile sich auf evangelische Offenbarungen beziehen, so dass das »Mysterium der Gottseligkeit« nicht auf irgendeine einzelne beschränkt werden kann, sondern sie sich auf alle bezieht. Es bezieht sich nicht auf die Natur eines von ihnen im Besonderen, sondern auf ihrer aller Offenbarung im Allgemeinen. Und es muss ohne Streit zugestanden werden, dass die gnädige Offenbarung Christi und seines Evangeliums nicht nur für uns wunderbar, erstaunlich und überraschend ist, sondern dass sie ebenso der ganzen dem Neuen Testament vorangehenden Heilsgeschichte ein überaus großes Mysterium war.

An diesen Stellen erhellt, dass das Evangelium mit folgenden Ausdrücken gleichbedeutend ist: das Mysterium des Glaubens, das Mysterium Gottes und Christi, das Mysterium der Gottseligkeit und das Mysterium des Evangeliums. Keine Lehre also des Evangeliums ist noch ein Mysterium; denn »die Apostel verhielten uns nichts, das da nützlich ist, und haben uns verkündiget all den Rat Gottes« (Ap. 20, 27). Das Evangelium, das vormals wahrhaft ein Mysterium war, kann vielmehr jetzt, nachdem es völlig offenbart ist, diese Bezeichnung nicht mehr eigentlich verdienen.

31. Wir beabsichtigen an zweiter Stelle zu zeigen, dass auch gewisse einzelne Dinge, die gelegentlich von den Aposteln offenbart sind, nur vor dieser Offenbarung Mysterien hießen.
Die Juden, für die die anderen Völker kaum Menschen waren, dachten an nichts weniger als daran, dass je die Zeit kommen würde, wo diese Völker mit Gott versöhnt (Röm. 11, 15) und zu ihren Miterben und Teilhabern an denselben Vorrechten gemacht würden. Dies war nichtsdestoweniger im göttlichen Ratschluss beschlossen. Es war also den Juden ein Mysterium, aber hörte auf nach seiner Offenbarung dem Paulus das zu bleiben, der es in seinen Briefen offen aller Welt erklärt hat.

Die erste Stelle, die wir zu diesem Zwecke anführen wollen, ist Eph.3, 1-6.9): »Nachdem ihr gehört habt von dem Amt der Gnade Gottes, die mir an euch gegeben ist, wie mir kund geworden dieses Geheimnis durch Offenbarung, wie ich droben aufs kürzeste geschrieben habe, davon ihr, so ihr's leset, merken könnt meine Kenntnis des Geheimnisses Christi, welches nicht kund war in den vorigen Zeiten den Menschenkindern, während es nun offenbar ist unter uns, seinen heiligen Aposteln und Propheten, durch den Geist, nämlich dass die Heiden Miterben seien und demselben Körper eingeleibet und Mitgenossen seiner Verheißung in Christo durch das Evangelium«, und »zu erleuchten jedermann, welche da sei die Gemeinschaft des Geheimnisses, das von Beginn der Welt in Gott verborgen gewesen ist«.

Die zweite Stelle ist Röm. 11, 25: »Ich will euch nicht vorenthalten, lieben Brüder, dieses Geheimnis; Blindheit ist Israel zum Teil widerfahren, solange bis die Fülle der Heiden eingegangen sei.«

Die dritte Stelle ist Kol. 1, 25-27: » - Die Gemeine, deren Diener ich worden bin nach dem göttlichen Predigtamt, das mir gegeben ist unter euch, dass ich das Wort Gottes reichlich predigen soll, nämlich das Geheimnis, das verborgen gewesen ist von Beginn der Welt und der Zeiten her, nun aber ist es offenbart seinen Heiligen, welchen Gott gewollt hat kundzutun, welche da sei der herrliche Reichtum des Geheimnisses unter den Heiden.«

Die vierte Stelle ist Eph. 1, 9 .10: »Er hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Wohlgefallen, so er sich vorgesetzt hatte in ihm, dass es ausgeführet würde, da die Zeit erfüllet war, auf dass alle Dinge zusammen verfasset würden in Christo.« Diese Stellen bedürfen keiner Erklärung, denn der Sinn von allen ist, dass das Geheimnis der Berufung der Heiden im Evangelium kundgetan, offenbart und erklärt ist und deshalb nicht länger ein Mysterium bleibt.

Das Nächste, das als Mysterium im oben erwähnten Sinne bezeichnet ist, ist ein näherer Umstand bei der Auferstehung. Der Apostel, der diesen Gegenstand 1. Kor. 15 ebenso klar und gründlich wie ausführlich erörtert hat, stößt auf einen Einwurf oder Zweifel, der über den Zustand derer erhoben werden könnte, die noch am jüngsten Tage auf Erden am Leben gefunden werden sollten. »Siehe«, sagt er v. 51 - 52, »ich zeige euch ein Geheimnis (ich teile euch ein Geheimnis mit): wir werden nicht alle entschlafen (oder sterben), wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbe plötzlich, in einem Augenblick; die Toten werden auferstehen, und wir werden verwandelt werden.« Es ist also nicht die ganze Lehre der Auferstehung, wie man sieht, die hier ein Mysterium genannt wird, sondern allein dieser besondere Umstand dabei, dass nämlich die Lebenden beim Schall der letzten Posaune ihr Fleisch und Blut oder ihre Sterblichkeit ablegen werden, ohne zu sterben, und in einem Augenblick einen unverderblichen und unsterblichen Zustand erlangen, so gut wie die, die wieder aufleben werden.

Eph. 5, 31 u. 32 lernen wir, dass die gegenseitige Liebe und Vereinigung von Mann und Weib ein Bild der unlöslichen Verbindung ist, die zwischen Christus und seiner Kirche besteht. Das war fraglos ein großes Mysterium, ehe es uns erklärt war, aber nun gibt nichts Verständlicheres als die Begründung dieses Bildes oder Gleichnisses.

Die Herrschaft des Antichrists im Gegensatz zum Evangelium oder zur Herrschaft Christi wird ebenso ein Mysterium genannt, da es ein geheimer Plan war, der unmerklich und allmählich ausgeführt wurde. Aber endlich nachdem alle Hindernisse entfernt und überwunden sind, tritt er enthüllt ans Licht und (wie es die göttliche Weissagung war) hört auf, ein Mysterium zu sein. »Lasset euch niemand verführen in keinerlei Rede«, sagt Paulus zu den Thessalonichern (2. Th. 2, 3 -8), »denn der Tag kommt nicht, es sei denn, dass zuvor der Abfall komme und offenbaret werde der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens usw. Und ihr wisset, was es noch aufhält, dass er noch nicht offenbaret werde zu seiner Zeit. Denn es reget sich bereits das Geheimnis der Bosheit, allein dass, der es jetzt aufhält, muss hinweggetan werden; und alsdann wird der Boshaftige offenbaret werden.« Dies sind alle Stellen, die den zweiten Standpunkt betreffen.

32. Mysterium bedeutet drittens, was unter Bildern oder rätselhaften Ausdrücken verhüllt ist. Es steht an folgenden parallelen Stellen.

Die erste ist Matth. 13, 10. 11: »Und die Jünger traten zu ihm und sprachen: Warum redest du zu ihnen durch Gleichnisse? Er antwortete und sprach: Euch ist's gegeben, dass ihr das Geheimnis des Himmelreiches verstehet; diesen aber ist's nicht gegeben.«

Die zweite Stelle ist Markus 4, 11: »Und Jesus sprach zu seinen Jüngern: Euch ist's gegeben, das Geheimnis des Reiches Gottes zu wissen; denen aber draußen widerfährt es alles durch Gleichnisse.« Dieselben Worte werden wiederholt Lukas 8, 10.

Von allen ist klar, dass die Dinge, von denen Christus in Gleichnissen sprach, nicht an sich unbegreiflich waren, sondern nur denen mysteriös, denen sie nicht erklärt wurden, »auf dass sie (wie dort gesagt wird) hören und doch nicht verstehen.« Es ist nun das herkömmliche Verfahren in der Welt für solche, die nicht von einem jeden verstanden werden wollen, sich über eine eigentümliche Art zu sprechen zu verständigen. So gibt es auch nichts Leichteres als die Erklärung dieser Gleichnisse, die Christus auf die Bitte seiner Jünger gab.

33. Es bleiben uns nur zwei Stellen übrig, an denen Mysterium keine Beziehung zu irgendeinem einzelnen Dinge hat, sondern für alle geheimen Dinge in des Wortes umfassendster Bedeutung gesagt ist.

Die erste Stelle ist 1. Kor. 13, 2: »Und wenn ich euch weissagen könnte, und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis, und hätte allen Glauben, also dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.«

Die zweite Stelle ist Kor. 14, 2: »Denn der mit fremden Zungen redet, der redet nicht den Menschen, sondern Gotte; denn ihn verstehet niemand, im Geist aber redet er Geheimnisse.« Das heißt, was ihm verständlich genug ist, ist doch Geheimnis für die, die seine Sprache nicht verstehen.

34.
Hiermit habe ich alle Stellen einzeln angeführt, an denen Mysterien im Neuen Testament erwähnt sind. Falls sich jemand wundern sollte, warum ich die in der Offenbarung Johannis ausgelassen habe, so erwidere ich darauf, dass die Offenbarung nicht eigentlich als ein Teil des Evangeliums betrachtet werden kann; denn es sind keine neuen Lehren darin überliefert. Weit davon entfernt, ein Maßstab des Glaubens oder der Sitten zu sein, ist es überhaupt keine Erklärung auch nur eines Punktes unserer Religion. Der wirkliche Gegenstand dieses Buches oder dieser Vision ist eine prophetische Erzählung der äußeren Lage der Kirche in ihren mannigfachen und wechselvollen Perioden von Glück und Unglück. Aber damit ich nicht in den geringsten Verdacht komme, unehrlich zu verfahren, will ich die wenigen Stellen der Apokalypse anführen, worin das Wort Mysterium vorkommt.

Die erste steht in 1, 20: »Das Geheimnis der sieben Sterne, die du gesehen hast in meiner rechten Hand, und der sieben güldnen Leuchter.« Nun was ist das Mysterium oder Geheimnis dieser Sterne und Leuchter? »Die sieben Sterne sind die Engel der sieben Gemeinen, und die sieben Leuchter sind die sieben Gemeinen«, nämlich von Asien.

Die zweite Stelle ist 17, 5. 7: »Und an ihrer Stirn geschrieben einen Namen, ein Geheimnis: die große Babylon usw. Und der Engel sprach: Ich will dir sagen das Geheimnis von dem Weibe.« Das tut er auch in den folgenden Versen, die man zu Rate ziehen mag. Es verdient unsere Beachtung, dass Mysterium hier zu dem unterscheidenden Merkmal der falschen und antichristlichen Kirche gemacht wird. Mysterium ist ein Name, geschrieben an ihre Stirne; d. h. ihre ganze Religion besteht in Mysterien; das gesteht sie offen ein, sie schreibt den Glauben an Mysterien vor. Und es ist kein Zweifel, soweit eine Kirche sich auf Mysterien einlässt, soweit ist sie antichristlich und kann durchaus mit Recht, freilich mit wenig Ehre, Anspruch auf Verwandtschaft mit der scharlachroten Hure erheben.

Die einzige Stelle, die noch übrig bleibt, ist 10, 5-7: »Und der Engel, den ich sahe stehen auf dem Meer und auf der Erde, hob seine Hand auf gen Himmel und schwur bei dem Lebendigen von Ewigkeit zu Ewigkeit, der den Himmel geschaffen hat, und was darinnen ist, und die Erde, und was darinnen ist, und das Meer, und was darinnen ist, dass hinfort keine Zeit mehr sein soll; sondern in den Tagen der Stimme des siebten Engels, wenn er posaunen wird, so soll vollendet werden das Geheimnis Gottes.« D. h. dass alle die in dieser Weissagung hinsichtlich des Evangeliums (das, wie oben gezeigt war, dasselbe bedeutet wie Mysterium Gottes) bildlich überlieferten Dinge ihre endgültige Erfüllung haben werden und so enden mit diesem Erdball und allem, was darinnen ist.

35. Ich wende mich nun an alle Unparteiischen, ob es nicht einem jeden, der lesen kann, klar ist, dass Mysterium im ganzen Neuen Testament niemals für etwas gesagt wird, das an sich selbst unbegreiflich ist oder nicht durch unsere allgemeinen Anschauungen und Fähigkeiten beurteilt werden kann, wie klar es auch offenbart sei, oder ob es im Gegenteil nicht immer etwas bezeichnet, das seiner Natur nach verständlich genug ist; aber es ist entweder so durch bildliche Worte und Bräuche verhüllt oder so in Gottes Kenntnis und Ratschluss allein geborgen, dass es nicht ohne besondere Offenbarung erkannt werden kann. Jeder, der eine wirkliche Verehrung für die Schrift hegt und aufrichtig glaubt, dass sie das Wort Gottes ist, muss sich immer durch ihre Autorität bestimmen lassen und sich trotz aller Vorurteile ihrer Klarheit ergeben. Derjenige, der sagt, das Evangelium sei der einzige Maßstab seines Glaubens und doch etwas glaubt, das nicht verbürgt ist, ist ein durchtriebener Heuchler und treibt nur schlau seinen Scherz mit aller Welt.

36. Kein günstigeres Urteil kann über die gefällt werden, die, statt sich den Vorschriften der Schrift und der Vernunft zu fügen, ihre Zuflucht zu solchen Leuten nehmen, denen sie gerade besonders folgen oder Bewunderung zollen; sie sind daher bereit, eine Anschauung anzunehmen oder abzuweisen; je nachdem es jenen gefällt, sie zu leiten.

»Bitte Herr Doktor,« sagt eines seiner Pfarrkinder, »was denken Sie über solch ein Buch? Es scheint die Dinge klarzumachen.«

»Oh! mein Teurer,«
antwortet der Doktor, »das ist ein sehr schlechtes Buch; es ist ein gefährlicher Mann, der es geschrieben hat, denn er glaubt nur das, was mit seiner eigenen kurzsichtigen, hochmütigen und fleischlichen Vernunft übereinstimmt.«

Das Pfarrkind: »Meinen Sie, Herr Doktor? Dann bin ich entschlossen, nicht mehr darin zu lesen, denn ich hörte Sie oft gegen die menschliche Vernunft predigen; es tut mir wirklich leid, dass es unglücklicherweise in meine Hände fallen musste, aber ich werde Sorge dafür tragen, dass niemand von unserer Familie ein Auge darauf wirft.«

Der Doktor: »Daran werden Sie gut tun, mein Lieber; übrigens ist das Buch noch schlechter, als ich Ihnen sagte, denn es zerstört eine große Menge der Punkte, die wir lehren; und würde diese Lehre (was Gott verhüten möge) die meisten der guten Bücher einnehmen, die Sie zu Hause haben, und deren Lektüre Ihnen ebensoviel Mühe wie die Anschaffung Geld kostet, so würden sie nicht das geringste wert sein und nur dazu dienen, Als Makulatur unter Pasteten gelegt oder zu anderen niedrigen Zwecken verwandt zu werden.«

Das Pfarrkind: »Gerechter Himmel, guter Doktor, ich bitte Gott, mir die Lektüre einer so niederträchtigen Abhandlung zu vergeben; es ist ein abscheulicher Mensch, der sie schreiben konnte; doch wie? Meine Bücher seien nichts wert, sagen Sie? Dr. H's Reden und Herrn C's Abhandlungen Makulatur? Das werde ich niemals glauben, wer auch das Gegenteil behaupten mag; Herr, warum exkommunizierten Sie nicht den Autor und konfiszierten seine Bücher?«

Der Doktor: »Oh, mein Lieber, so war es früher, aber jetzt scheint man seinen eigenen Sinnen glauben zu können, und nicht wie die Kirche bestimmt; es macht sich eine Duldung geltend, wie Sie wissen.«

Das Pfarrkind: »Diese Duldung, Doktor, wird –«

Doktor: »Still, mein Lieber, sprechen Sie nicht mehr davon; ich bin ebenso bestürzt wie Sie! Aber es ist nicht heilsam oder ratsam, jetzt zu tadeln.«

37. Andere sind dagegen fern von einer solchen Einfältigkeit, aber ebenso fest entschlossen, an ihren alten Systemen festzuhalten. Wenn diese uns von Mysterien erzählen, müssen wir ihnen glauben, und es gibt kein Mittel dagegen. Es ist nicht die Kraft der Vernunfttätigkeit, die sie für Mysterien gewinnt, sondern Nebeninteressen; und sie werden sicher jedem Verfasser zustimmen oder ihn verteidigen, der für ihre Sache schreibt, mag er sie nun mit Vernunft stützen oder nicht. Aber ich bin halb so ärgerlich auf diese Leute als auf jene Sorte Menschen, die sich nicht der Mühe unterziehen wollen, etwas zu prüfen, damit ihr Blick nicht klarer und sie besser unterrichtet und sie so versucht würden, neue Bahnen zu beschreiten. Solche Leute müssen wirklich sehr gleichgültig sein, oder sie dünken sich auf religiösem Gebiet als die alleinigen Schildträger.

38. Das erinnert mich naturgemäß an die Leute, die wenig durch Vernunftgründe bestimmt werden, wenn das Urteil der alten Kirche in Betracht kommt. Die Kirchenväter (wie sie gern sagen) sind die besten Ausleger der Schriftworte; »und was diese ehrenwerten Leute,« so sagt ein höchst geistvoller Mann (Fontenelle in »Histoire des Oracles«), »selbst nicht durch hinreichende Vernunftgründe rechtfertigen konnten, wird jetzt durch ihre alleinige Autorität bewiesen. Wenn die Väter dieses vorausgesehen haben,« fügt derselbe Autor hinzu, »könnten sie nicht dafür getadelt werden, dass sie sich die Mühe ersparten, genauer darüber nachzudenken, als sie es, wie wir sehen, gemeinhin getan haben.« Dass Wahrheit und Falschheit durch Stimmenmehrheit oder durch gewisse Zeitperioden bestimmt werden sollen, scheint mir die lächerlichste aller Torheiten zu sein.

39. Aber wenn Alter im Ernst einer Anschauung einigen Wert geben kann, so brauche ich mich, denke ich, nicht zu fürchten, mich dieser Entscheidung anzuschließen. »Denn wenn die Dauer der Welt betrachten«, sagt ein anderer berühmter Schriftsteller (Perrault in»Parallèle des anciens et des modernes«), »wie das menschliche Leben, bestehend in Kindheit, Jugend, Mannes- und Greisenalter, dann sind natürlich die, die vor uns lebten, die Kinder oder die Jünglinge gewesen, während wir die wirklichen Alten der Welt sind. Und wenn Erfahrung, so fährt er fort, der beachtenswerteste ist, den Erwachsene vor den Jungen voraushaben, dann muss fraglos die Erfahrung derer, die zuletzt in die Welt kommen, unvergleichlich größer sein, als die derjenigen, die lange vor ihnen geboren wurden; denn die, die zuletzt kommen erfreuen sich nicht nur des ganzen Kenntnisschatzes ihrer Vorgänger, sondern sie haben dem auch ihre eigenen Beobachtungen angefügt.« Diese Gedanken sind nicht weniger geistvoll als gerecht und gediegen. Aber auch wenn Alter im gewöhnlichen Sinne verstanden wird, habe ich gleichwohl keinen Grund zu verzweifeln; denn meine Behauptung wird auch der Nachwelt alt werden und so dereinst in der Lage sein, sich durch dieses bequeme Vorrecht der Verjährung unterstützen.

40. Aber da ich sehe, dass ich wahrscheinlich nicht so lange leben werde, kann ich nicht unterlassen, klarzumachen, dass diese selben Väter, die das Glück hatten, zugleich die Jungen und die Alten von der Welt zu sein, auf meiner Seite sind. Es geschieht ohne jede Abhängigkeit von ihren Urteilen, bekenne ich, dass ich mich dieser Mühe unterziehe. Ich habe freimütig am Anfang dieses Buches erklärt, welchen Wert ich auf ihre Autorität lege. Aber meine Absicht ist, die Arglist derer zu zeigen, die die höchste Verehrung für die Schriften der Väter vorgeben, aber niemals verfehlen, ihre Ansicht abzulehnen, wenn sie nicht mit ihrer Laune oder ihrem Interesse übereinstimmt.

41. Clemens Alexandrinus hat überall dieselbe Anschauung vom Mysterium, die ich habe, die die Heiden hatten, und die ich als die des Evangeliums nachgewiesen habe. Im 5. Buche seiner (?), das die Aufmerksamkeit aller derer verdient, die begierig sind, die Natur der jüdischen und heidnischen Mysterien zu verstehen, – in diesem Buche, sage ich, stellt er die Sache außer allem Zweifel und führt einige der Schriftstellen an die ich bereits zu diesem Zwecke zitiert habe. Ja, sagt er uns, (ed. Colon. 1688, p. 578), dass die »christliche Lehre Erleuchtung genannt wurde, weil sie verborgene Dinge ans Licht brachte, indem der Meister (Christus) allein die Decke der Lade (d. h. die moralische Hülle) entfernte«. Er fügt ausdrücklich (p. 576) hinzu, dass die Dinge, die im Alten Testament nur geheimnisvoll und dunkel genannt würden, im Neuen Testament klargemacht seien.

42. Ein jeder weiß, wie die ersten Christen in einer lächerlichen Nachahmung der Juden die ganze Schrift allegorisch auffassten, indem sie die Eigenschaften der im Alten Testament erwähnten Wesen den Ereignissen, die unter dem Neuen Testament geschahen, anpassten. Sie nahmen sich dieselbe Freiheit hauptsächlich bei Menschen, wo sie die geringste Ähnlichkeit zwischen ihren Namen und Tätigkeiten oder ihrer Lebenslage entdecken konnten, und führten diese Liebhaberei schließlich fort bis zu Zahlen, Buchstaben, Stellen und was nicht noch allem. Das, was im Alten Testament daher nach ihrer Erklärung irgendetwas im Neuen repräsentierte, nannten sie seinen Typus oder sein Mysterium. So bedeutet bei Justin dem Märtyrer Typus, Symbol Gleichnis, Schatten, Bild, Zeichen und Mysterium ganz dasselbe. Dieser Kirchenvater behauptet in seinem »Dialog mit dem Juden Tryphon«, dass der Name Josua ein Mysterium war und den Namen Jesus repräsentierte, und dass das Hochhalten von Moses' Händen während der Schlacht mit den Amelekitern in Raphidim (Ex. 17, 11) ein Typus oder Mysterium von Christi Kreuzigung war, wodurch er den Tod überwand wie die Israeliten ihre Feinde. Und dann fügt er folgende Bemerkung an (ed. Colon. 1686, p. 338): »Das ist betreffs dieser beiden heiligen Männer und Propheten Gottes zu beachten, sagt er, dass keiner von ihnen fähig war, in seiner einzelnen Person beide Mysterien zu vereinigen, ich meine den Typus seiner Kreuzigung und den der Benennung mit seinem Namen.« In demselben Dialoge nennt er (p. 294) die Weissagungen der Propheten Symbole, Parabeln und Mysterien, erfüllt durch die nachfolgenden Propheten.

43. Wenn Tertullian in seiner Apologie die Christen jenen unmenschlichen Handlungen gegenüber rechtfertigt, deren sie ihre Feinde höchst ungerecht beschuldigten, sagt er: »Täglich werden wir umringt und verraten. – Aber wenn wir immer verborgen halten, wie werden diese Dinge bekannt, die wir begehen sollen? Ja, wer könnte sie bekannt machen? Solche die schuldig sind? Sicherlich nicht: denn alle Mysterien sind selbstverständlich unter einem Siegel der Verschwiegenheit. Die Samothrakischen, die Eleusinischen Mysterien werden verschwiegen; vielmehr solche, die verraten, jetzt die Bestrafung durch Menschen hervorrufen und erwarten müssen, nachher der Strafe Gottes zu begegnen?« (ed. Paris 1675, p. 8). Es sind geheime Handlungen, sieht man, und nicht unbegreifliche Lehren, die diese Kirchenväter Mysterien nennen.

44. Origines (contra Cels. VI; ed. Cantabr. 1677. p.291) macht die Lager der Israeliten auf ihrer Reise in das gelobte Land zu Symbolen und Mysterien, die denen den Weg beschreiben, die gen Himmel reisen oder nach himmlischen Dingen streben. Ich brauche nicht anzuführen, was er über die Schriften der Propheten, über die Vision des Hesekiel oder die Apokalypse im besonderen sagt; denn es wird allgemein anerkannt, dass er diese mystische und allegorische Methode der Schriftauslegung zu ihrer Vollendung gebracht und allen denen den Stoff geliefert hat, die nach ihm in seinen Spuren gingen, – eine nicht gerade beneidenswerte Ehre, meiner Meinung nach. Aber er war soweit davon entfernt, irgend eine religiöse Lehre für ein Mysterium im gegenwärtigen Sinne zu halten, dass er ausdrücklich versichert, sie stimmen alle mit den allgemeinen Vorstellungen überein und empfehlen sich selbst der Zustimmung jedes wohlgesinnten Hörers (c. Cels.III, aaO p. 135).

45. Die anderen Kirchenväter der ersten drei Jahrhunderte haben genau dieselben Anschauungen vom Mysterium. Und sollten sie in diesem Punkte zufällig an einer Stelle dem widersprechen, was sie an einer anderen festsetzten (wie sie gewöhnlich in den meisten Dingen tun), so würde das nur dazu dienen, auszuschließen, dass sie anderen ein wahrer Maßstab sind, da sie es nicht einmal selbst sind. Aber dies ist ein nicht geringes Vorurteil in unseren Augen, zu sehen, dass selbst diese vergesslichen Leute doch in diesem Punkt sehr beständig bleiben, so dass ich mit Recht hoffen darf, dass jetzt die Angelegenheit der unverständlichen und unbegreiflichen religiösen Mysterien von allen bereitwillig aufgegeben werden wird, die aufrichtige Ehrfurcht vor den Vätern, der Schrift oder der Vernunft haben.

4. Kapitel: Antwort auf Einwürfe, die auf Grund besonderer Schriftstellen oder auf Grund der Natur des Glaubens erhoben werden.
46.
Manche Leute schätzen die Mysterien so sehr, – und es scheint, sie kommen dabei auf ihre Rechnung, – dass sie eher bereit sind, ihr Glück irgendworin zu versuchen, als sie aufzugeben. Dabei setzen sie aber – mögen sie es nun wissen oder nicht – nichts Geringeres aufs Spiel als ihre Religion; denn es ist ein schlechtes Zeichen, wenn man erklärt, was man glaubt, gehe über die Prüfung durch Vernunft, und daher unter keinen Umständen dulden will, dass diese dabei in Frage kommt: das zeigt ihr eignes Misstrauen gegen ihre Sache; und andere schließen, dass das, was nicht die Prüfung der Vernunft auszuhalten wagt, notwendig an sich im Grunde unvernünftig sein muss.

47. Obwohl diese Folgen so einleuchtend sind, so wenden sie sich doch gegen sie und schämen sich nicht, selbst die Schrift zum Zweck der Verteidigung anzuführen. Man wird nichts häufiger in ihrem Munde hören als die Worte des Apostels (Kol. 2, 8): »Sehet zu, dass euch niemand beraube durch die Philosophie und lose Verführung nach der Menschen Lehre und Satzungen, und nicht nach Christo.« Lächerlich! Als ob Vernunft und Wahrheit Eitelkeit und List wären! Mit Philosophie ist hier nicht gesunde Vernunft gemeint (worin alle Exegeten übereinstimmen), sondern die Systeme des Plato, des Aristoteles, des Epikur der Akademiker usw., deren Prinzipien oft geradezu im Widerstreit mit der allgemeinen Anschauung und den guten Sitten stehen. Sophisterei stand nie mehr in Blüte als in den Tagen des Paulus; und einige von den Schulen, die das Christentum annahmen, fanden einen Weg, damit ihre alten Anschauungen zu vermischen, die sie ungern heil und ganz aufgaben. Der Apostel hatte daher schwerwiegende Gründe, seine Bekehrten davor zu warnen, menschliche Erfindungen mit Gottes Lehre zu vermengen. Nichtsdestoweniger ist klar, dass dieser gute Rat wenig Erfolg hatte; denn man wird bei den Vätern die gröbsten Irrtümer und die wunderlichsten Dinge finden, veranlasst durch die einzelnen Systeme der Philosophie, die sie vor ihrer Bekehrung lasen, und die sie törichterweise mit dem Christentum zu vereinbaren strebten, beinahe zum vollständigen Ruin des letzteren, wie wir im letzten Kapitel zeigen werden.

48.
Aber wie keine besondere Hypothese, wie sie auch sei, ein Recht hat, sich zu einer beständigen Norm des Denkens für alle Menschen aufzuwerfen, so kann leere Philosophie oder Sophisterei dieses Recht noch viel weniger in Anspruch nehmen; und ich bin soweit davon entfernt, irgend etwas der Art anzustreben, dass ich gerade dieses Verfahren in diesem Buche bekämpfe. Wenn einige den metaphysischen Unsinn faselnder Philosophen in die Glaubensartikel hinein genommen haben, erheben sie ein lautes Geschrei gegen die Vernunft, vor deren Klarheit und Licht ihre leeren Schatten verschwinden würden. Denn wie in der Philosophie, so hat auch in der Religion jede Schule ihre besonderen Ungereimtheiten, und die »unbegreiflichen Mysterien« der letzteren entsprechen vollkommen den »verborgenen Eigenschaften« der ersteren. Sie sind beide in erster Linie für dieselben Zwecke berechnet, nämlich denen den Mund zu stopfen, die nach einem vernünftigen Grunde fragen, wo ihn niemand angeben kann, und so viele in Unwissenheit zu erhalten, wie es das Interesse erfordert. Aber Gott verhüte, dass ich allen, die jetzt für ihre Mysterien kämpfen, dieselben gottlosen Absichten zuschreibe; es gibt Tausende, von denen ich weiß, dass sie die wohlmeinendsten Menschen in der Welt sind. – Diese sophistische oder verderbte Philosophie wird überall im Neuen Testament als die »Weisheit dieser Welt« (1. Kor. 3, 19) bezeichnet, für die die Griechen ebenso blind eingenommen waren, wie die Juden von der Vorstellung verblendet waren, dass nichts wahr sein konnte, wenn es sich nicht auf wunderbare Weise als solches erwies: »Die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit« (1. Kor. 1, 22). Aber diese berühmte Weisheit war »Torheit bei Gott« und ist es noch jetzt bei denkenden Menschen.

49. Eine Stelle aus dem Römerbrief könnte hier zitiert werden, um zu zeigen, dass die menschliche Vernunft kein tauglicher Richter dessen ist, was göttliche Offenbarung ist. Die Worte lauten (8, 7): »Der fleischliche Sinn ist eine Feindschaft gegen Gott, sintemal er dem Gesetze Gottes nicht untertan ist; denn er vermag's auch nicht«. Aber wenn diese Worte von der Vernunft gesagt sind, kann nichts falscher sein, weil Vernunft sich selbst dem göttlichen Gesetze unterwerfen müsste und unterwirft. Doch diese Unterwerfung beweist nicht die Unvollkommenheit der Vernunft, wie von unserem Gehorsam gegen gerechte Gesetze nicht gesagt werden kann, dass er unsere Freiheit zerstöre. Vernunft muss zuerst das Gesetz Gottes verstehen, um sich ihm dann zu fügen; denn ein Mensch kann für Nichtbeachtung solcher Gesetze, die unverständlich sind, nicht mehr Strafe verdienen, als für Nichtvollendung dessen, was ihm niemals anbefohlen war. Der fleischliche Sinn ist daher an dieser Stelle nicht die Vernunft, sondern die fleischlichen Absichten böser und gottloser Menschen, deren Verhalten sowohl gegen das offenbarte Gesetz Gottes ist, als auch gegen das der gesunden Vernunft.

50. Was über angebliche Weisheit und fleischliche Gesinnung gesagt ist, das lässt sich leicht auf eine andere Stelle anwenden, wo gesagt ist, dass »die Waffen unserer Ritterschaft nicht fleischlich sind, sondern mächtig durch Gott zu zerstören Befestigungen, zu vernichten die Anschläge und alle Höhe, die sich erhebet wider die Erkenntnis Gottes, und so gefangen nehmen alle Vernunft unter den Gehorsam Christi« (2. Kor. 10, 4-5). Es ist aus den Worten sowohl wie aus der Betrachtung des Ganzen klar, dass die Gedanken törichter und weltlicher Menschen gemeint sind, die durch die Vernunft so gut wie durch die Schrift gefangen genommen oder gebessert werden sollten, wie es in der Tat oftmals geschieht; denn solche Leute, die gewöhnlich ein Argument der Schrift nicht gelten lassen, werden zuerst durch die Vernunft überzeugt, und danach nehmen sie auch die Schrift an. Aber kann Vernunft sich selber niederwerfen oder vernichten? Nein, sondern sie entwertet jene leeren und gottlosen Sophismen, die ihren Namen erborgen, um die Unordnung, die sie veranlassen, zu verdecken oder zu autorisieren.

51. Es würde äußerst langweilig sein, Stück für Stück alle die Stellen durchzugehen, die unwissende oder böse Menschen gegen den Gebrauch der Vernunft in der Religion anführen, den ich besonders fordere. Eine einzelne Stelle für meine Absicht, so möchte man doch annehmen, sollte allen Christen, die die Wahrheit lieben, hinreichende Befriedigung geben; denn das Wort Gottes muss überall gleichförmig und sich selbst konform sein. Ich habe verschiedenes im zweiten Kapitel des zweiten Abschnittes angeführt, nicht zu reden von dem, was ich im vorhergehenden Kapitel dieses Abschnittes dargestellt habe. Weil aber diese Betrachtung vielleicht zurückgewiesen werden könnte, und um den Spitzfindlern und Betrügern keine annehmbaren Einwände zu lassen, habe ich genau die strengsten Vorwürfe beantwortet, die ich in den berühmtesten Stücken der Theologie beobachtet habe; ich sage, die ich beobachtet habe, denn würde ich das Evangelium eine Million Mal durchlesen müssen, ehe mir die volkstümliche Vorstellung vom Mysterium je in den Kopf kommen oder irgendeine Stelle in dem Buche mir beibringen könnte, dass sein Sinn über Vernunft oder Erkenntnis ginge. Jedenfalls fühle ich mich nicht geneigt, diejenigen zu beneiden, die andere Gedanken darüber hegen, wenn sie auch immerfort offen bekennen, es sei eine göttliche Offenbarung. Aber da ich sehe, dass mir die wesentlichste Schwierigkeit von einem Freunde gemacht wird, nämlich dass meine Absicht die Natur des Glaubens vernichte, will ich mich, so kurz ich kann, über diesen Gegenstand äußern.

52. Ich will keine Zeit verschwenden mit den gewöhnlichen Einteilungen des Glaubens in historischen, zeitweiligen oder rechtfertigenden, lebendigen oder toten, schwachen oder strengen, weil das meiste hiervon nicht so sehr Glaube selbst ist, als verschiedene Folgen davon. Das Wort bedeutet Vertrauen oder Überzeugung, z. B. wenn wir irgendetwas Glauben schenken, was uns durch Gott oder durch Menschen gesagt wird. So wird der Glaube zweckmäßig in menschlichen und göttlichen eingeteilt. Göttlicher Glaube ist entweder der, wenn Gott selbst unmittelbar zu uns spricht, oder der, wo wir uns auf die Worte oder Schriften solcher verlassen, zu denen Gott, wie wir glauben, gesprochen hat. Aller Glaube nun in der Welt ist der letzten Art, folglich ist er gänzlich auf Vernunftschlüsse gegründet. Denn wir müssen uns zuerst überzeugen, dass diese Schriften denen angehören, deren Namen sie tragen, dann müssen wir das äußere Leben und die Handlungen dieser Leute prüfen, und schließlich müssen wir den Inhalt ihrer Werke verstehen; sonst können wir nicht entscheiden, ob sie Gott würdig sind oder nicht, geschweigedenn ihnen fest glauben.

53. Einem Dinge zu vertrauen, ohne es zu verstehen, ist kein wirklicher Glaube oder Überzeugung, sondern eine schnelle Voreingenommenheit und ein eigensinniges Vorurteil, das eher Enthusiasten und Betrügern ansteht, als den Unterwiesenen des Gottes, der kein Interesse daran hat, seine Geschöpfe zu verblenden, und nicht der Fähigkeit ermangelt, sie richtig zu unterrichten. Ich zeige oben (Abschnitt 2, Kap. 2), dass der Unterschied zwischen menschlicher und göttlicher Offenbarung nicht in den Graden der Klarheit, sondern der Gewissheit besteht. Es treffen häufig in der Geschichte so viele Umstände zusammen, dass sie sie einer anschaulichen Erkenntnis gleichmachen. Ich kann ebenso gut meine eigene Existenz leugnen wie die Ermordung Ciceros oder die Geschichte von Wilhelm dem Eroberer; aber dieses trifft sich nur zeitweise. Gott hingegen spricht immer Wahrheit und Gewissheit.

54. Da nun die Offenbarung die Menschen nicht mit irgendwelchen neuen Fähigkeiten ausrüstet, so folgt, dass Gott seinen Zweck verfehlen würde, wenn er mit ihnen spricht, ohne dass das, was er sagt, mit ihren allgemeinen Vorstellungen übereinstimmt. Könnte sich wohl jener etwas darauf einbilden, klüger als sein Nachbar zu sein, der unfehlbare Gewissheit hat, dass etwas in der Natur existiert, das Bliktri heißt, wenn er nicht zu gleichen Zeit weiß, was Bliktri wäre? Da die vorliegende Frage sich offenbar ebenso verhält, muss Glaube oder Überzeugung notwendig aus zwei Teilen bestehen, Wissen und Zustimmung: Letztere ist es in Wahrheit, die den formellen Akt des Glaubens konstituiert, die jedoch nicht ohne die offenkundige Gewissheit des ersteren entstehen kann. Die getreue Bestätigung davon haben wir im ganzen Neuen Testament. Dort lesen wir (Hebr. 11, 6); dass »es ohne Glauben unmöglich ist, Gott zu gefallen; denn wer zu Gott kommen will, der muss glauben, dass er sei und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde«. So ist die feste Überzeugung eines frommen Mannes, dass seien Bitten gewährt werden, gegründet auf seine Erkenntnis von Gottes Existenz, Güte und Macht.
Es wurde nicht als ein Verbrechen angesehen, nicht eher an Christus zu glauben, als er offenbart war; denn »wie sollen sie glauben, von dem sie nichts gehört haben?« (Röm. 10, 14). Aber mit welchem besseren Grunde könnte jemand dafür verdammt werden, dass er nicht glaubte, was Christus sagte, wenn er es nicht verstehen konnte; denn soweit ich sehen kann, läuft dieses parallel. »Glaube«, wird gleichfalls gesagt (v.17), »kommt von Hören«; aber ohne Verstehen würde natürlich das Hören nichts bedeuten; Worte und ihre Vorstellungen sind in allen Sprachen reziprok.

55. Der Verfasser des Hebräerbriefes definiert (11, 1) Glaube nicht als Vorurteil, Meinung oder Mutmaßung, sondern als Überzeugung und Beweis. »Es ist aber der Glaube«, so sagt er, »eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und die Evidenz dessen, das man nicht siehet.« Die letzten Worte »dessen, das man nicht siehet«, bedeuten nicht, wie einige wollen, Unbegreifliches oder Unverständliches, sondern vergangene oder zukünftige Tatsachen, wie die Erschaffung der Welt, die Auferstehung vom Tode oder den Glauben an etwas unseren körperlichen Augen Unsichtbares, wenn auch den Augen des Verstandes sehr wohl Verständliches. Das erhellt aus allen Beispielen, die dieser Definition angefügt sind.
Übrigens kann es eigentlich gar keinen Glauben an sichtbare oder gegenwärtige Dinge geben; denn dann wäre er Selbstverständlichkeit und nicht vernünftiges Schließen. »Die Hoffnung aber, die man siehet, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man das erst hoffen, das man siehet? So wir aber hoffen, das wir nicht sehen, so warten wir sein durch Geduld« (Röm. 8, 24-25). Ebenso haben die Patriarchen »die Verheißungen nicht empfangen, sondern sie von ferne gesehen und waren doch davon fest überzeugt« (Hebr. 11, 13).

56. Wenn man Glauben nicht in dieser Art definiert, wie konnte dann Christus »das Licht der Welt«, »das Licht der Heiden« genannt werden (Joh. 8, 12; 9, 5; Act. 13, 47)? Wie konnte dann von den Gläubigen gesagt werden, dass sie den »Geist der Weisheit« hätten und »erleuchtete Augen des Herzens«, d. h. des Verständnisses (Eph.1, 17.18)? Denn das Licht des Verstandes ist die Erkenntnis der Dinge; und je nachdem die Erkenntnis größer oder geringer ist, so ist der Geist im gleichen Verhältnis erleuchtet. »Werdet nicht unverständig«, sagt der Apostel (Eph. 5, 17), »sondern verstehet, was da sei des Herrn Wille«. Und an einer anderen Stelle (Röm. 14, 5) ermahnt er, niemals in zweifelhaften Fällen zu handeln, bis sie »ihrer Meinung gewiss seien«.

57. Aber dem allen wird das bemerkenswerte Beispiel vom Glauben Abrahams entgegengehalten werden, der bereit war, seinen einzigen Sohn zu opfern, obgleich Gott verheißen hatte, dass Könige von ihm abstammen würden, und dass sein Same so zahlreich sein würde wie die Sterne am Himmel und der Sand am Meere. Gehorchte Abraham dann blindlings, ohne den offenkundigen Widerspruch zwischen Gottes gegenwärtigem Befehl und seinen früheren Verheißungen auszugleichen? Weit davon entfernt! Denn es ist ausdrücklich bezeugt (Hebr. 11, 17-19), dass »er den eingeborenen dahin gab, der schon die Verheißungen empfangen hatte, von welchem gesagt war: >In Isaak wird dir dein Name gesegnet werden<; denn er kam durch Vernunftschluss dahin, dass Gott auch wohl von den Toten erwecken könne; daher er auch ihn zum Vorbilde wieder bekam.« Er schloss richtig, dass Gott den Isaak durch ein Wunder wieder beleben könne, wie er auf wunderbare Art geboren war – nach einer anderen Verheißung –, als seine Eltern schon über die Zeit des Kindererzeugens hinaus waren und so gut wie erstorben (ib. v. 12). Deshalb heißt es anderswo (Röm. 4, 19-21) von Abraham, »dass er nicht schwach ward im Glauben, sah auch nicht seinen eigenen Leib, welcher schon erstorben war, weil er fast hundertjährig war, auch nicht den erstorbenen Leib der Sara; denn er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern ward stark im Glauben und gab Gott die Ehre und wusste aufs Allergewisseste, was Gott verheißet, das kann er auch tun.«

58. Nun, was ist mit diesem allen anderes gemeint als ganz streng vernünftiges Schließen auf Grund von Erfahrung, der Möglichkeit des Dinges und der Kraft, Gerechtigkeit und Unwandelbarkeit dessen, der es verhieß? Und es kann mir niemand im ganzen Neuen Testamente eine andere Bedeutung von Glauben zeigen als den einer äußerst selten, auf wirkliche Vernunftgründe aufgebauten Überzeugung. In diesem Sinne wird das ganze Christentum überhaupt nicht selten als die Überzeugung bezeichnet, wie wir noch jetzt zu sagen pflegen, dass wir hier oder davon »überzeugt« sind, wenn wir das Bekenntnis einer Religion meinen. Aber sicher kann nichts unsere Überzeugung tiefere Wurzeln schlagen lassen und sie fester gründen als eine gründliche Prüfung und Untersuchung dessen, was wir glauben; wogegen die Schwäche und Unbeständigkeit unseres Glaubens aus dem Mangel an genügenden Vernunftgründen hervorgeht, worauf immer Unglaube folgt; dann bleibt der Gehorsam aus, der immer das Zeichen und die Frucht des wahren Glaubens ist; und hieraus entspringen alle Unregelmäßigkeiten des menschlichen Lebens. »Wer da saget: Ich kenne ihn und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner; denn wer da saget, dass er in ihm bleibet, der soll auch wandeln, gleichwie Er gewandelt hat« (1. Joh. 2, 4 - 6). Und es kann unmöglich anders sein, als dass der, der, ohne zu verstehen, glaubt, »sich wiegen und wägen lassen muss von allerlei Wind der Lehre durch Schalkheit der Menschen und Täuscherei, damit sie uns versuchen zu verführen« (Eph. 4, 14).

59. Obgleich die Autorität des Neuen Testamentes so klar hierin ist, will ich sie doch noch durch die folgenden Beobachtungen bekräftigen. Erstens: wäre der Glaube nicht eine aus vorangehendem Willen und Begreifen hervorgehende Überzeugung von dem Geglaubten, so könnte es keine Stufen und Unterschiede dabei geben; denn das ist klar, dass die Menschen mehr oder weniger von einem Dinge wissen je nach Wunsch und Gelegenheit, es zu lernen. Aber dass es solche Abstufungen gibt, erhellt aus der Schrift (1. Kor 3, 2; Hebr 5, 12 – 14), wo diejenigen, die nur unvollkommene und oberflächliche Erkenntnis von der Religion haben, den unmündigen Kindern verglichen werden, die nur von Milch leben; aber die, die zu einer vollständigeren und festeren Gewissheit gelangen, werden mit den Erwachsenen verglichen, die eine stärkere Speise vertragen können.

60. Meine zweite Beobachtung ist die, dass der Gegenstand des Glaubens allen verständlich sein muss, da das Glauben unter keiner geringeren Androhung als der der Verdammnis befohlen wird: »Wer nicht glaubet, der wird verdammt werden« (Mark. 16, 16). Kann jemand etwa für die Nicht-Verrichtung von Unmöglichkeiten verdammt werden? Verpflichtung zum Glauben setzte daher eine Möglichkeit des Verstehens voraus. Ich zeigte oben, dass Widerspruch und Nichts gleichbedeutende Ausdrücke wären; und ich kann jetzt dasselbe vom Mysterium im theologischen Sinne sagen; denn, frei heraus, Widerspruch und Mysterium sind zwei nachdrucksvolle Mittel, Nichts zu sagen. Widerspruch drückt ein Nichts aus durch ein paar Vorstellungen, die sich gegenseitig vernichten, und Mysterium drückt ein Nichts durch Worte aus, die überhaupt keinen Sinn haben.

61. Die dritte Beobachtung ist folgende: Wenn eine Schriftstelle unverständlich wäre, könnte sie niemals richtig übersetzt werden, man sähe denn den bloßen Schall der Worte und nicht ihren Sinn für göttliche Offenbarung an. Ausdrücke können auf keine Weise verstanden werden, wenn nicht die Dinge, die sie bezeichnen, gleichfalls verstanden werden. Ich kann wohl Dinge verstehen ohne ihren Namen, ohne dass ich ihre Gegenstände kenne. Und, ganz im Ernst, mit welcher Sicherheit kann jemand vorgeben, dass er eine richtige Übersetzung dessen angefertigt hat, was er seinem offenen Eingeständnis nach nicht versteht? Man kann sich kaum vorstellen, wie sehr der Begriff Mysterium in den meisten Übersetzungen zur Dunkelheit der Schrift beiträgt. Wenn ein sonst tüchtiger Sprachkenner auf eine schwierige Schriftstelle stößt, hält er sie zugleich für ein Mysterium und schließt, dass es keinen Zweck hat, mehr Mühe auf das zu verwenden, was an sich selbst unerklärlich ist. Oder ein unfähiger Übersetzer legt seinen eigenen fahrigen Unsinn und alle geheimnisvollen Früchte seiner Unwissenheit dem Allmächtigen zur Last. Das sind die elenden Wichte, die die Atheisten und Gottlosen überreichlich mit dem ganzen Stoff ihrer Einwände gegen die Schrift versorgen. Aber ich hoffe, dass wir mit der Zeit Abhilfe gegen diese Verwirrung finden.

62. Die vierte Beobachtung ist die, dass wir nur dann, wenn Glaube eine verständliche Überzeugung bedeutet, anderen Rechenschaft von unserer Hoffnung geben können, wie uns Petrus (1. Petr. 3, 15) befiehlt. Zu sagen, das, was wir glauben, sei Gottes Wort, würde keinen Zweck haben, wenn wir nicht durch Vernunft beweisen, dass es so ist; und ich brauche nicht hinzuzufügen, dass jedermann gezwungen sein würde, stillschweigend bei der Religion zu verharren, worin er zuerst erzogen ist, wenn wir unseren Glauben nicht prüften und verständen. Angenommen, ein siamesischer Priester würde einem christlichen Prediger sagen, dass Sommonocodom (der Gott der Siamesen) verbiete, die Güte seiner Religion durch das Licht der Vernunft zu prüfen; wie könnte der Christ ihn widerlegen, wenn er gleichfalls behaupten würde, dass gewisse Punkte des Christentums über die Vernunft gingen? Die Frage würde dann nicht sein, ob Mysterien in der wahren Religion erlaubt sind, sondern wer mehr recht hat, sie aufzustellen, Christus oder Sommonocodom?

63. Meine letzte Beobachtung mag die sein, dass die Apostel von den vermeintlichen Mysterien entweder nicht verständlicher schreiben konnten, oder es nicht wollten, dann ist es nicht weiter unser Fehler, wenn wir sie weder verstehen noch glauben, denn Nichts kann nicht Gegenstand des Glaubens sein. Und wenn sie nicht klarer beschreiben konnten (was unsere Gegner nicht zugeben werden), konnten sie noch viel weniger Glauben von anderen erwarten.

64. Aber es wird behauptet, dass Gott ein Recht hat, die Zustimmung seiner Geschöpfe zu dem fordern, was sie nicht begreifen können. Ohne Frage kann er alles befehlen, was gerecht und vernünftig ist; denn tyrannisch handeln, kommt allein dem Teufel zu. Aber ich frage, zu welchem Zwecke sollte Gott verlangen, dass wir glauben, was wir nicht verstehen können? Um unseren Eifer zu üben, sagen einige. Aber das erscheint schon auf den ersten Blick lächerlich; als ob die schlichten Pflichten des Evangeliums und unsere notwendigen Beschäftigungen nicht genügten, all unsere Zeit auszufüllen? Aber wie unseren Eifer üben? Ist es uns möglich, diese Mysterien schließlich zu verstehen oder nicht? Ist es möglich, dann ist alles, wofür ich streite, gewonnen; denn ich habe niemals behauptet, dass das Evangelium ohne die schuldige Mühe und Sorgfalt verstanden werden könnte, ebenso wenig wie irgendein anders Buch. Aber wenn es nach alledem unmöglich ist, sie zu verstehen, dann wäre dieses ein so starkes Stück von Torheit und Ungereimtheit, wie sich dessen ein vernünftiger Mensch niemals schuldig machen würde, die Köpfe des Volkes mit Dingen zu verwirren, die sie niemals verstehen können, sie noch dazu ermahnen und ihnen Eifer anzubefehlen; und alles das, um sie vor Müßiggang zu bewahren, während sie kaum Muße genug für das finden können, was alle als verständlich anerkennen.

65. Andere sagen, dass Gott den Glauben an Mysterien zur Pflicht gemacht hätte, um uns demütiger zu machen. Aber auf welche Weise? Indem er uns die geringe Ausdehnung unserer Erkenntnis sehen ließ. Aber diese außergewöhnliche Methode ist ganz unnötig, denn Erfahrung lehrt uns das täglich; und ich habe ein ganzes Kapitel im zweiten Abschnitt dieses Buches darauf verwandt, zu zeigen, dass wir bei keinem Ding in der Welt eine adäquate Idee von allen seinen Eigenschaften und von seiner Realessenz haben. Es wäre eine weit bessere Antwort gewesen, das Gott so unsere Spekulationen hat verkürzen wollen, damit wir mehr Zeit gewinnen für die Ausübung dessen, was wir verstehen. Aber viele verdecken eine Menge Sünden durch ihr Geschrei und ihren Eifer zur Verteidigung solcher törichten und zwecklosen Spekulationen.

66. Aus allen diesen Beobachtungen und aus dem, was oben durchgegangen war, folgt klar und deutlich, dass der Glaube weit davon entfernt ist, eine einfältige Zustimmung zu etwas Übervernünftigem zu sein, dass diese Anschauung vielmehr den Zwecken der Religion, der Natur des Menschen und der Güte und Weisheit Gottes geradezu widerspricht. Hier werden einige geneigt sein, zu sagen, dass bei dieser Fassung Glaube nicht mehr Glaube, sondern Wissen sei. Ich entgegne: Wenn unter Wissen eine gegenwärtige und unmittelbare Einsicht in die Dinge verstanden wird, so habe ich nirgends etwas Derartiges behauptet, sondern an manchen Stellen gerade das Gegenteil. Aber wenn mit Wissen das Verstehen dessen gemeint ist, was geglaubt wird, dann schließe ich mich dem an, dass Glauben Wissen ist. Ich habe das überall behauptet und die nämlichen Worte werden im Evangelium abwechselnd füreinander gebraucht. »Wir wissen« d. h. wir glauben, »dass dieser ist wahrlich Christus, der Welt Heiland« (Joh. 4, 42). »Ich weiß und glaub's gewiss in dem Herrn Jesu, dass nichts gemein ist an sich selbst« (Röm. 14, 14). »Ihr wisset, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn« (1. Kor. 15, 58).

67. Andere werden sagen, dass diese Anschauung vom Glauben die Offenbarung zwecklos macht. Doch wieso? Es handelt sich ja nicht darum, dass wir alle Gegenstände unseres Glaubens durch Vernunftschlüsse entdecken können. Ich habe im Gegenteil bewiesen, dass keine Tatsache ohne Offenbarung erkannt werden kann. Ich behaupte nur, dass wir das einmal Offenbarte ebenso gut verstehen müssen, wie irgendetwas anderes in der Welt, da Offenbarung nur dazu dient, uns zu unterrichten, während die Überzeugung allein auf der Klarheit ihres Gegenstandes beruht. Dann ist also, erwidern sie, Vernunft mehr wert wie Offenbarung. Ich antworte, gerade so viel wie eine griechische Grammatik über dem Neuen Testamente steht; denn wir gebrauchen die Grammatik um die Sprache zu verstehen, und die Vernunft, um den Sinn jenes Buches zu begreifen. Aber mit einem Worte, man braucht in diesem Falle gar keine Vergleichung, denn Vernunft ist so gut von Gott wie Offenbarung; sie ist das Licht, der Führer, der Richter, den er in jeden Menschen hineingelegt hat, der in diese Welt kommt.

68. Endlich könnte eingewandt werden, dass der Arme und Ungebildete nicht einen solchen Glauben haben könnte, wie ich behaupte. Wirklich, wenn dieses bewiesen werden kann, mag es für ein größeres Mysterium gelten, als es irgendein System der Theologie innerhalb des Christentums aufstellen kann; denn was kann seltsamer und wunderbarer erscheinen, als dass das gemeine Volk eher glauben will, was unverständlich, unbegreiflich und übervernünftig ist als das, was leicht, klar und seiner Aufnahmefähigkeit angemessen ist. Aber das Volk ist Christo mehr verpflichtet, der eine bessere Meinung von ihm hat als diese Leute; denn er predigte ihnen sein Evangelium in einer besonderen Weise, und sie »hörten ihn gern« (Mark. 12, 37), ohne Zweifel, weil sie seine Anweisungen besser verstanden als die geheimnisvollen Vorlesungen ihrer Priester und Schriftgelehrten Die unverdorbenen Lehren des Christentums gehen nicht über ihr Vermögen oder ihre Fassungskraft, aber das Gefasel der theologischen Schulen verstehen sie nicht. Es ist für sie die Sprache der Tiere und unvereinbar mit ihrem weltlichen Beruf; haben doch ihre Lehrer eine lange Lehrzeit hinter sich gehabt, ehe sie das Studium der Bibel begannen. Wie langsam müsste das Evangelium im Anfang fortgeschritten sein, wenn es diejenigen, die zur Verkündung berufen waren, gezwungen hätte, sich solche Fähigkeiten zu erwerben. Und kein Wunder, dass es jetzt so wenig Einfluss auf das Leben der Menschen ausübt, nachdem es so kläglich entstellt und nahezu vernichtet ist durch jene unverständlichen und ungereimten Ausdrücke, Anschauungen und Riten heidnischer oder jüdischer Herkunft.

69. So habe ich die einzelnen Einwürfe, die mir gemacht wurden, deutlich beantwortet, und ich werde nichts Weiteres über diesen Gegenstand des Glaubens hinzufügen, nachdem ich eine Stelle im ersten Petrusbriefe betrachtet habe, wo geschrieben steht, dass die Engel wünschen, in gewisse Dinge hineinzublicken; diese Dinge sind jedoch nicht unbegreifliche Mysterien, sondern das Kommen Christi und der Zustand der Erlösung, die den Juden von Gott geweissagt waren, und über die sie damals sorgsam nachdachten; obwohl jetzt diese Dinge erfüllt sind, wird uns jene Freiheit des Nachdenkens nicht erlaubt. »Ihr werdet das Ende eures Glaubens davonbringen«, sagt Petrus (1. Petrus 1, 9 – 12), »nämlich der Seelen Seligkeit. Nach dieser Seligkeit haben gesucht und geforschet die Propheten, die von der Gnade geweissagt haben, so auf euch kommen sollte, und haben geforschet, auf welche und welcherlei Zeit deutete der Geist Christi, der in ihnen war und zuvor bezeuget hat die Leiden, die über Christum kommen sollten, und die Herrlichkeit danach; welchen es offenbaret ist. Denn sie haben's nicht ihnen selbst, sondern uns dargetan, was euch nun verkündigt ist durch die, so euch das Evangelium verkündigt haben, durch den heiligen Geist, vom Himmel gesandt; was auch die Engel gelüstet zu schauen.« Nun, bei dem allen ist kein großes Mysterium, dass die Engel endliche Geschöpfe sind, nichts wissen können als durch Erfahrung, Schlüsse oder Offenbarung, sollten sie auch ebenso neugierig wie die Juden sein, in jene zukünftigen und so dunkel offenbarten großen Ereignisse einzudringen.

5. Kapitel: Antwort auf Einwürfe, die sich auf Grund der Betrachtung der Wunder ergeben
70.
Wenn sich alle anderen Ausflüchte als unwirksam erweisen, ziehen sich die Anhänger der Mysterien auf die Wunder als auf ihre letzte Ausflucht zurück. Aber das ist ein schwacher Platz, um lange Widerstand zu leisten, und wir zweifeln nicht daran, sie mit Leichtigkeit und Sicherheit bald von dort zu vertreiben. Aber da ich sehe, dass der strittige Punkt niemals recht genau festgelegt ist, werde ich mich zuerst bemühen, eine klare Vorstellung von der Natur der Wunder zu geben, um von da aus zuzusehen, ob ich viel Grund habe, eine Gefahr von diesem Einwande her zu befürchten. Ein Wunder also ist eine alle menschliche Kraft übersteigende Handlung, die die Naturgesetze vermöge ihrer gewöhnlichen Wirksamkeit nicht zu vollbringen vermögen.

71. Nun kann, was der Vernunft widerspricht, kein Wunder sein, denn es ist bereits hinreichend bewiesen, dass Widerspruch nur ein anderes Wort für Unmöglichkeit oder Nichts ist. Folglich muss die Wundertat etwas an sich selbst Verständliches und Mögliches sein, mag auch die Art und Weise, wie sie geschieht, außerordentlich sein. So ist es z. B. verständlich und auch möglich, dass ein Mann mitten im Feuer wandelt; es könnte irgendetwas fähig sein, die Hitze und die Flammen, die ihn umgeben, zurückzutreiben. Aber wenn eine solche Sicherheitsvorrichtung nicht künstlich oder zufällig vorgesehen ist, sondern der unmittelbare Erfolg einer übernatürlichen Kraft ist, dann ist ein Wunder geschehen. Ein tüchtiger Arzt stellt oft dem Blinden das Augenlicht wieder her; und eine Hand oder ein Fuß muss austrocknen, wenn die Zirkulation des Blutes und der Lebensgeister allzu sehr davon ausgeschlossen wird. Aber wenn ohne die übliche Zeit und Sorgfalt diese Glieder in einem Augenblick geheilt werden auf den Befehl oder Wunsch irgendeiner Person, so ist eine solche Handlung wirklich wunderbar, ebenso wie die plötzliche Gesundung eines kranken Körpers, deren Art oder Natur viel Zeit und Mühe erfordert.

72. Kein Wunder ist also gegen die Vernunft, denn die Handlung muss verständlich sein, und die Vollbringung derselben muss für den Urheber der Natur, der allen ihren Prinzipien nach Gefallen gebietet, äußerst leicht erscheinen. Daher sind alle jene Wunder erdichtet, worin sich irgendwelche Widersprüche begegnen, wie jenes, dass Christus geboren sei, ohne dass sich eine Stelle des jungfräulichen Körpers öffnete, dass eine Tages ein Haupt sprach, nachdem es vom Körper abgetrennt und die Zunge herausgeschnitten war, und vieles Derartige bei Papisten, Juden, Brahmanen, Mohammedanern und an allen Orten, wo die Leichtgläubigkeit des Volkes es zur Ware der Priester macht.

73. Wir wollen nun beobachten, dass Gott nicht so verschwenderisch mit Wundern ist, dass er aufs Geratewohl irgendwelche täte. Die Ordnung der Natur wird nicht geändert, aufgehalten oder beschleunigt, es sei denn für einen wichtigen, der göttlichen Weisheit und Majestät würdigen Zweck. Und in der Tat lernen wir aus Schrift und Vernunft, dass niemals ein Wunder getan ist ohne einen besonderen und wichtigen Zweck, der entweder durch den bestimmt wurde, für den das Wunder geschah, oder durch den beabsichtigt und kundgetan wurde. Wenn die Apostel den Blinden, den Tauben, den Lahmen, den Kranken bloß geheilt hätten, so würde ihnen dieses gewiss ein außerordentliches Ansehen verschafft haben, ja manchmal göttliche Verehrung, wie es dem Paulus und Barnabas in Lystra geschah, als sie einen geborenen Krüppel geheilt hatten (Act. 14, 11ff.); aber dies war nur ein Mittel, um die Aufmerksamkeit dieser Götzendiener auf die Lehre zu lenken, die sie in ihrer Stadt predigen wollten. Und es ist kein Wunder im Neuen Testament erwähnt außer solchen, die dazu dienten, die Autorität dessen, der sie tat, zu befestigen, die Aufmerksamkeit auf die Lehren des Evangeliums zu richten, oder zu ähnlichen weisen und vernünftigen Zwecken.

74. Daran gemessen, müssen die berühmten Taten von Kobolden und Feen, von Hexen, Zauberern, und alle heidnischen Wunderdinge als erdichtete, nichtige und abergläubische Fabeln angesehen werden. Denn bei ihnen allen erscheint kein Zweck, der zu einem Wechsel in der Natur berechtigt. Außerdem widersprechen sie deutlich unserer Vorstellung von Gott und stellen seine Vorsehung völlig auf den Kopf. Blendwerk der Hölle würde hierbei die gleiche Bestätigung erhalten wie die göttliche Offenbarung, da zugunsten beider Wunder vollzogen werden. Ja, die Wunder des Teufels und seiner Genossen würden an Zahl und Art diejenigen Gottes und seiner Diener bei weitem übertreffen, wenn anders die geglaubten Geschichten in jeder Grafschaft Englands gut bezeugt wären, von leichtgläubigen Völkern gar nicht zu reden; denn es ist häufig zu beobachten, je unwissender und barbarischer ein Volk bleibt, desto mehr findet man es mit Geschichten dieser Art erfüllt und von größerer Scheu vor dem Satan ergriffen als vor Jehovah. Mit einem Wort, auf diese Weise würden die Heiden in ihrer Abgötterei bestärkt werden, und die garstigste Hexe oder der armseligste Astrolog würde den Propheten und Aposteln gleich sein. Aber warum sollen gute Gründe zur Widerlegung bloßer Fiktionen verwandt werden? Ich fordere irgendeinen auf, ein Beispiel, welches er wolle, für diese lügnerischen Wunder vorzubringen, das alle die wahren Merkzeichen der historischen Klarheit enthält, und zugleich wage ich es, mich zu verpflichten, die Güte des Korans ebenso gut nachzuweisen wie die des Evangeliums, wenn mir der Glaube an irgendwelche Wunder, ausgenommen göttliche, zugestanden wird. Aber die müssen wohl einigen Nutzen aus der abergläubischen Furcht des Volkes ziehen, die sie so hegen und pflegen.

75. Nach dem, was bereits beobachtet war, brauche ich nicht hinzufügen, dass alle Wunder, die geheim geschehen oder nur unter der Partei, der der Glaube daran Nutzen und Vorteil bringt, als falsch und erlogen verworfen werden müssen; denn wie solche niemals das Zeugnis der moralischen Gewissheit in sich tragen können, so widersprechen sie der eigentlichen Absicht der Wunder, die immer zugunsten des Ungläubigen getan werden. Die Papisten müssen allein die Zeugen ihrer eigenen Wunder sein, und niemals können sie die Häretiker dadurch bekehren. Und ihr Verhalten wird nicht weniger lächerlich, wenn sie ein Wunder durch ein anderes bestätigen, wie das der Transsubtanziation durch verschiedene andere.

76. Aus diesem allen insgesamt ergibt sich, dass nichts, was wunderbar ist, widervernünftig ist, mag man die Handlung oder die Absicht betrachten. Aber es gibt eine gute alte Einteilungsregel, die alle Wendungen berücksichtigt. Wenn Wunder auch nicht gegen die Vernunft sind, sagen einige, so sind sie doch sicher übervernünftig. In welchem Sinne denn? Was ist übervernünftig, die Sache selbst oder die Art und Weise? Wenn geantwortet wird, das letzte, so vermute ich, dass der Gegner denkt, ich verstehe unter Wunder irgendein philosophisches Experiment oder ein Phänomen, das nur durch seine Seltenheit überrascht. Könnte ich sagen, wie ein Wunder getan wird, ich glaube, ich würde mir selbst so viel wie möglich tun; aber das, von dem gesagt werden kann, es sei auf diesem oder jenem Wege geschehen, ist überhaupt kein Wunder. Es genügt deshalb, dass die Wahrheit der Handlung bewiesen wird und ihre Möglichkeit für ein Wesen, das fähig ist, die Natur zu leiten durch unverzügliches Fortnehmen, Erweichen, Mischen, Einflößen, Verdichten usw. und dieses vielleicht durch die Vermittlung Tausender zugleich; denn Wunder werden herbeigeführt in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen, wenn auch über ihre gewöhnliche Wirksamkeit, welche daher, auf übernatürliche Weise unterstützt wird.

77. Endlich wird man sagen, dass ich in der »Fragestellung« am Anfang meines Buches doch behauptete, die Art und Weise sowohl die Sache selbst sei erklärbar. Aber wovon denn? Von Wundern? Sicher nicht; sondern von den Lehren, zu deren Bestätigung die Wunder getan werden. Darauf beharre ich noch jetzt und will hinzufügen, dass ich hoffe, es auch deutlich bewiesen zu haben. – Aber wenn man soviel von Wundern spricht, so heißt das, ihnen das Wunderbare zu nehmen; das verrät die Schwäche und Unzulänglichkeit dieses ganzen Einwandes.

6. Kapitel: Wann, warum und durch wen Mysterien in das Christentum kamen
78.
Das Gesetzes Ziel, das Gerechtigkeit ist, kam Jesus Christus nicht aufzulösen, sondern zu erfüllen (Röm. 10, 4; Matth. 5, 17). Denn er predigte klar und vollkommen die reinste Moral, er lehrte den vernünftigen Gottesdienst und die richtige Vorstellung von Himmel und himmlischen Dingen, die durch die Gesetzesbeobachtung nur dunkel angedeutet oder bezeichnet wurden. Indem er so von der Wahrheit alles Äußerliche und Zeremonielle abstreifte, was sie vorher schwer verständlich machte, machte er sie leicht und der schwächsten Fassungskraft zugänglich. Seine Schüler und Nachfolger bewahrten diese Einfachheit eine beträchtliche Zeit lang, wenn auch sehr früh verschiedene Missbräuche unter ihnen Fuß zu fassen begannen. Erstens waren die bekehrten Juden, die mit aller Kraft an ihren levitischen Riten und Festen festhielten, willens, sie beizubehalten und dabei Christen zu sein; und wurde das am Anfang nur bei schwachen Brüdern geduldet, so wurde es später ein Teil des Christentums selbst, unter dem Vorwande der apostolischen Vorschrift oder Tradition.

79. Aber dieses war nichts im Vergleiche zu dem Unrecht, das der Religion durch die Heiden zugefügt wurde; sie wurden in größerer Anzahl als die Juden bekehrt, und so waren die Missbräuche, die sie einführten, von gefährlicherem und allgemeinerem Einfluss. Sie nahmen großen Anstoß an dem schlichten Gewande des Evangeliums mit der wunderbaren Leichtigkeit der darin enthaltenen Lehren, da sie ihr ganzes Leben an pomphaften Gottesdienst und zahllose geheime Mysterien der Gottheiten gewöhnt waren. Die Christen andererseits waren sorgsam darauf bedacht, alle Hindernisse zu entfernen, die den Heiden im Wege lagen. Sie dachten, der erfolgreichste Weg, sie für sich zu gewinnen, sei der Weg des Kompromisses, was zu unverantwortlicher Nachgiebigkeit führte, so dass sie schließlich auch Mysterien aufstellten. Doch da sie am Evangelium keinen Anhalt für irgendwelche Zeremonien hatten außer Taufe und Abendmahl, verhüllten und verwandelten sie diese seltsam durch Hinzufügung mystischer Bräuche aus dem Heidentum. Sie verwalteten sie mit der strengsten Verschwiegenheit; und um ihren Gegnern in keinem Punkte nachzustehen, erlaubten sie niemand, dabei zu sein, als solchen, die vorher vorbereitet oder eingeführt waren. Um ihren Katechumenen den glühendsten Wunsch nach Anteilnahme einzuflößen, ließen sie verlauten, dass da, was so mit Fleiß verborgen wurde, mit heiligem Schauder zu genießende und unaussprechliche Mysterien wären.

80. Damit also Einfachheit, diese edelste Zierde der Wahrheit, das Christentum nicht der Verachtung der Ungläubigen aussetzen sollte, wurde es auf gleiche Stufe mit den Mysterien der Ceres oder den Orgien des Bacchus gesetzt. Törichtes und irriges Beginnen! Als ob der gottloseste Aberglaube durch den Namen Christi sanktioniert werden könnte. Aber das ist immer die Folge kluger und nachgiebiger Bekehrungsmethoden in der Religion, denen es auf die Zahl und nicht auf die aufrichtige Gesinnung der Bekenner hauptsächlich ankommt.

81. Als dann die Philosophen es in ihrem Interesse fanden, Christen zu werden, wurde die Sache täglich schlimmer. Denn sie behielten nicht nur das Aussehen, die Eigentümlichkeit und oft auch die Tracht ihrer besonderen Schulen, sondern auch die meisten ihrer irrigen Anschauungen. Und indem sie vorgaben, ihre Philosophie zur Verteidigung des Christentums zu verwenden, vermischten sie beides so miteinander, dass das, was vorher einem jeden deutlich war, jetzt nur noch Gelehrten verständlich wurde, die es durch ihre strittigen Dispute und nichtigen Spitzfindigkeiten noch unklarer machten. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Philosophen keine geringere Rolle unter den Christen spielen wollten, als sie es vorher unter den Heiden taten; aber das konnten sie unmöglich erreichen, ohne jedes Ding durch Ausdrücke oder anderes schwer verständlich und sich so zu alleinigen Meistern der Auslegung zu machen.

82. Diese Missbräuche wurden beinahe unheilbar, als schließlich die oberste Behörde die christliche Religion offen unterstützte. Viele bekannten sich dann zu der Überzeugung der Kaiser, nur um ihnen den Hof zu machen und um ihre Lage dadurch zu verbessern, oder um sich die Stellen und Ämter zu erhalten, die sie bereits besaßen. Sie blieben Heiden in ihrem Herzen; und es ist leicht verständlich, dass sie auf Grund von politischen Erwägungen alle ihre alten Vorurteile mit sich in die Religion hineinnahmen, die sie rein empfangen hatten. So geht es immer, wenn das Gewissen gezwungen und nicht überzeugt wird, wie es nur zu bald bei diesen Heiden geschah.

83. Die eifrigen Kaiser errichteten prächtige Kirchen und wandelten die heidnischen Tempel, Heiligtümer, Kirchen und Kapellen für den Gebrauch der Christen um nach vorhergehender Entsühnung. Sie stellten darin das Zeichen des Kreuzes auf, um sie Christo zum Eigentum zu geben. Als ihre alten Einrichtungen mit den Pfründen der Priester, Flamini, Auguren und dem ganzen geweihten Stand wurden dem christlichen Klerus zugeeignet. Ja, sogar ihre Gewänder, wie weiße Leinenröcke, Bischofsmützen und dergleichen (Sil. Ital. III, 23, Ovid. Fast. IV 619, Cicero de lege II 18, Lucian de deae Syriae sacerdozibus, Martial Epigr. XII29.) , wurden beibehalten, angeblich um diejenigen unmerklich zu bekehren, die sich nicht mit der christlichen Einfachheit und Armut versöhnen konnten. Tatsächlich lag alledem die Absicht zugrunde, die sich unmittelbar darauf auch erfüllte, dem Klerus Reichtum, Pracht und Würden zu geben.

84. Da die Sachen nun so standen und die Gebräuche bei der Taufe und dem Abendmahl sich merklich mehrten, wird es nicht unzweckmäßig sein, ehe ich fortfahre, eine kurze Parallele der alten heidnischen und der neugeprägten christlichen Mysterien aufzustellen. Ich will mich bemühen, das so zu machen, dass daraus ganz klar wird, sie sind derselben Natur, mögen sie in ihren Gegenständen noch so verschieden sein.

85. Erstens: ihre Ausdrücke waren genau dieselben ohne jede Änderung. Beide gebrauchen für die erste Einführung, vollkommene Mitgliedschaft, Mysterien und Priester dieselben griechischen Bezeichnungen […]. Beide betrachten die Einführung wie eine Art Vergötterung […].

86. Zweitens: Die Vorbereitungen zu ihren Einführungen waren dieselben. Die Heiden wandten verschiedene Waschungen und Reinigungen […] an (Apuleius, Pers. Sat. II 15, Ovid. Fast IV 315) . Sie fasteten (Clem. Alex. Ed. Colon. 1688 p. 13, Arnab. 1. V.) und enthielten sich vor der Einführung der Weiber (Tibull. Eleg. II 1, v. 11. 13.), wenn auch die Klügeren über die lachten, die glaubten, solche Handlungen könnten die Sünden auslöschen (Ovid. Fast. II 35, 45.) oder den Himmel versöhnen. Aber die Väter, die bewunderten Väter, ahmten ihnen in allen diesen Dingen nach; und dieses war der Ursprung der Enthaltsamkeit von gewissen Fleischarten, sowie der lächerlichen jährlichen Fasten und des kirchlichen Zölibates.

87. Drittens: Die Christen hielten ihre Mysterien ebenso geheim, wie es die Heiden taten. Chrysostomus (Hom. In Mt.) sagt: »Wir schließen die Türen, wenn wir unsere Mysterien feiern, und schließen die Uneingeweihten davon aus.« Basilius von Cäserea versichert uns, »dass die Heiligkeit der Mysterien nur durch Stillschweigen gewahrt werde«. Synesius (de Providentia II) sagt, dass »die heidnischen Mysterien bei Nacht vollzogen würden, weil ihre Verehrung aus menschlicher Unwissenheit hervorginge«. Aber wie sollte das bei anderen Tadel verdienen, lieber Synesius, was ist bei euch selbst erlaubt? Oder haben etwa die Christen ein größeres Recht auf Mysterien als die Heiden?

88. Viertens: Die Väter waren außerordentlich auf der Hut, vor Ungläubigen oder Katchumenen verständlich von ihren Mysterien zu reden; deshalb begegnet man in ihren Schriften häufig Ausdrücken, wie die folgenden es sind: »Der Eingeführte weiß, der Eingeführte versteht, was ich meine.« (Augustin in locis pluribus. Chrysost. in Genes. hom. 27). Und wie die Heiden durch laute Ankündigung alle Profanen von ihren Mysterien forttrieben, so riefen die Diakonen der ersten Kirche vor der Feier der Taufe, besonders aber des Abendmahls: »Gehet fort, all ihr Katechumenen, alle die ihr nicht eingeweiht seid«, oder irgendetwas dieser Art; denn sie veränderten die Form oft. Cyrill von Jerusalem hat hierfür eine ganz besonders beweiskräftige Stelle (Praefatio in Catech., ed. Paris. 1631): »Wenn nun die Katechese abgehalten wird und dich ein Katechumene fragen sollte, was die Lehrer sagen, so sag es unter keinen Umständen jemand, der nicht eingeführt ist. Denn wir vertrauen dir ein Mysterium an und die Hoffnung auf das zukünftige Leben. Bewahre das Mysterium also dem, der es vergilt. Und wenn dir jemand sagen sollte: »Was schadet es, wenn auch ich es lerne?« So antworte ihm, dass auch der Kranke nach Wein verlange; aber wenn er ihm unzeitig gegeben wird, macht er ihn wahnsinnig, und es verdoppelt sich das Übel: der Kranke geht zugrunde und der Arzt wird verklagt. So auch wenn ein Katechumene von dem Gläubigen diese Dinge hört, wird er ebenfalls wahnsinnig; denn da er nicht versteht, was er hört, wendet er sich gegen die Sache und lacht über das Gesagte. So wird der Gläubige, der es ihm sagte, als ein Verräter verdammt. Da du nun einer der unsrigen bist, sieh zu, dass du nichts ausplauderst; nicht weil das, was wir sagen, nicht würdig ist, gesprochen zu werden, sondern weil andere nicht würdig sind, es zu hören. Als du selbst ein Katechumene warst, haben wir dir niemals gesagt, was da geschah. Aber nun du durch Erfahrung die Erhabenheit dieser Lehren verstanden hast, wirst du überzeugt sein, dass die Katchumenen unwürdig sind, sie zu hören.«

89. Fünftens: Die Stufen und Grade sind in den Einführungen beider dieselben.
Die Heiden haben fünf Grade (Olympiodor) bis zur vollständigen Aufnahme zu durchlaufen: 1. allgemeine Entsühnung, 2. besondere Einführung, 3. der freie Verkehr mit den Eingeweihten, 4. Einweihung, 5. das Recht alles zu sehen oder Epopten zu sein.

Bei den Christen gab es ebenfalls fünf Stufen, durch die die Bußfertigen wieder zur Gemeinschaft zugelassen wurden. Zunächst wurden sie gezwungen, einige Jahre von der Gemeinde getrennt zu bleiben, um ihre Sünden zu beklagen. 2. Sie wurden der Gemeinde näher gebracht und durften drei Jahre lang die Priester hören, wenn auch nicht sehen. 3. Weitere drei Jahre lang durften sie hören und sehen, sich aber nicht mit der Gemeinde vereinigen. 4. Sie durften mit dem Volke verkehren, aber nicht die Sakramente empfangen. Und 5. Sie wurden zur Gemeinschaft zugelassen. Die Neubekehrten wurden gleichfalls während ihrer Vorbereitung zur Teilnahme an den Mysterien Katechumenen genannt, dann Komptetenten und schließlich Epopten, Vollkommene oder Gläubige. Das sind dieselben Stufen in Namen und Art, auf die Pythagoras seine Schüler verpflichtete.

90. Ich könnte diese Parallele noch weiter ausdehnen, aber es genügt, um zu sehen, wodurch das Christentum geheimnisvoll wurde, und wie eine so göttliche Einrichtung durch Arglist und den Ehrgeiz der Priester und Philosophen zu bloßem Heidentum entartete.

91. Mysterien waren im ersten Jahrhundert nach Christus von sehr geringer Bedeutung. Im zweiten und dritten begannen sie sich in den Zeremonien festzusetzen. Zur Taufe wurde da das Kosten von Milch und Honig (Tertull. Ed. Paris.1675,p. 102 ) hinzugefügt, das Salben (ib. p. 226), das Zeichen des Kreuzes, ein weißes Gewand usw. Bald darauf gab es einen weiteren Zuwachs von Fragen und Antworten, von vorhergehenden Fasten und Waschungen, Küssen und bestimmten Zeiten der Vollziehung. Nach der Taufe wuschen sie sich eine ganze Woche nicht (Tertull., a. a.O.), genau entsprechend dem Aberglauben der Heiden, die das Kleid, in dem sie eingeweiht waren, nicht eher ablegten (Scholiast. in Aristoph. Plut.), bis es ganz in Lumpen zerfiel. Dann wurde Einspritzung von Salz und Wein in den Mund des Getauften hinzugefügt und eine zweite Salbung mit Handauflegung. In späteren Zeiten aber fand man kein Ende mit all den Kerzen, Geisterbeschwörungen, Anblasungen und vielen anderen Absonderlichkeiten jüdischen und heidnischen Musters. Aus dieser Quelle entsprang nicht nur der Glaube an Ahnungen, Vorzeichen, Erscheinungen, die Sitte des Beerdigens mit drei Schaufeln voll Erde* und andere und andere vulgäre christliche Riten, sondern auch Kerzen, Feste oder heilige Tage, Einsegnungen, Bilder, die Sitte in der Richtung nach Osten hin zu beten (Ovid. Fast. IV 777; Lucian a. a. O. ed. Amst. 1687. p. 674), Altäre, Musik, Kirchweihen, Sonderung der Plätze für sogenannte Laien und Kleriker. Denn in den Schriften der Apostel gibt es nichts dergleichen, wohl aber ist all das deutlich enthalten in den Büchern der Heiden und gehörte zu ihrem Gottesdienst.
*Vor dieser Zeremonie ist es kein geweihter Boden. (Cicero de lege II 22. Horat. Od. I 28 v. 35).

92. Alle Bräuche des Abendmahls, – es wäre zu umständlich, sie aufzuzählen – wurden allmählich in derselben Weise eingeführt. So wurde auch durch die Bemühung, die klarsten Dinge in der Welt geheimnisvoll erscheinen zu lassen, ihre wahre Natur verkehrt und ihr reiner Gebrauch vollkommen vernichtet, und sie sind auch jetzt durch keine Reformationen im Christentum in reiner Gestalt wiederhergestellt. Aber wir dürfen nicht vergessen, wie Tertullian (a. a. O. p. 102) selbst zugesteht, dass sie für das zahlreiche Bekreuzigen und andere Taufriten, für das ängstliche Niederfallen vor Brot und Wein und ihre Entgegennahme nur aus des Priesters Hand oder ähnliche Zeremonien nicht einen Schein von Autorität aus der Schrift hatten, sondern nur aus Gewohnheit und Überlieferung.

93. Da es nun ihr eigener Vorteil war, der die erste Kirche veranlasste, die Mysterien wieder zu beleben, so gestaltete sie sich selbst bald mit ihrer Hilfe zu einem besonderen politischen Körper aus, wenn auch nicht sogleich mit ihren verschiedenen Rangstufen und Graden. Denn in den beiden ersten Jahrhunderten begegnen wir keinen Hyperdiakonen, Lektoren oder dergleichen, geschweigedenn den Namen und Ämtern der Päpste, Kardinäle, Patriarchen, Metropoliten, Erzbischöfe, Primaten, Weihbischöfe, Archidiakonen, Dekane, Kanzler, Vikare oder ihrer zahlreichen Anhänger- und Gefolgschaft. Aber in kurzer Zeit hatten die Mysterien den Weg hierfür und für andere hierarchische Bemühungen gebahnt unter dem Vorwande, »Arbeiter in des Herrn Weinberg« zu ziehen.

94. Die Festsetzungen und Bestimmungen betreffs der Zeremonien und der Zucht, die den Glanz dieses neuen Staates mehrten, berührten das Gemüt des unwissenden Volkes seltsam, verwirrten und verstumpften es und machten es glauben, dass die in allem Ernst Mittler zwischen Gott und Menschen wären, die die Heiligkeit gewisser Zeiten, Orte, Personen oder Handlugen bestimmen konnten. Sie schienen beinahe eine besondere und göttliche Art Geschöpfe zu sein, die sich von den übrigen Menschen in ihrer Tracht, in ihrer Art, von Zehnten und Geschenken zu leben, in ihren besonderen Plätzen in der Kirche und durch manches andere unterschieden. Auf diese Weise wurde der Klerus fähig, alles Beliebige zu tun; er nahm schließlich das alleinige Recht der Schriftauslegung für sich in Anspruch und erklärte damit seine Unfehlbarkeit.

95. Dies ist der wahre Ursprung und Verlauf der christlichen Mysterien; und wir können beobachten, ein wie großer Anteil an ihrer Entstehung den Zeremonien zuzuschreiben ist. Diese verfehlen nie, den Geist vom wahren Wesen der Religion abzulenken und die Menschen zu gefährlichen Irrtümern zu verleiten. Denn da Zeremonien leicht beobachtet werden können, hält sich ein jeder für religiös genug, der sie genau befolgt. Aber es steht nichts von Natur so im Gegensatz wie Zeremonie und Christentum. Das letztere enthüllt die Religion klar und offen vor aller Welt, und die erstere liefert sie mystischen Darstellungen von rein willkürlicher Bedeutung aus.

96. Es ist also sichtbar, dass Zeremonien verwirren statt zu klären; vorausgesetzt aber, sie machten die Dinge leichter verständlich, dann würde jene Religion die beste sein, die am meisten davon hat. Sie sind ja im allgemeinen von gleichem Wert oder können doch dazu gemacht werden. Ein Licht, das in die Hände des Täuflings gelegt wird, um das Licht des Evangeliums zu bezeichnen, ist in jeder Beziehung eine ebenso gute Zeremonie wie das Zeichen des Kreuzes auf seine Stirn zu machen zum Zeichen, dass er Christus als seinen Herrn und Heiland anerkennt. Wein, Milch und Honig bedeuten geistige Nahrung, Kraft und Schönheit ebenso gut, wie auf dem Evangelium zu stehen unsere Bereitschaft, es zu hören und zu bekennen, bezeichnet.

97. Mit einem Worte, es gibt keinen höheren Grad von Phantasterei, als den, den die Religion auf solche Torheiten zu gründen; und nichts ist niedriger, als durch diese trügerischen Künste das Evangelium unwirksam zu machen, soweit es nicht einer Partei dient. Aber ich werde anderswo bessere Gelegenheit haben, die Frage der Zeremonien zu erschöpfen; hier behandele ich sie nur, soweit sie auf heidnische Mysterien zurückgehen und später hineingetragen wurden, um die christlichen einrichten zu helfen. Als aber die unermesslich wachsende Zahl der Christen bald alle geheimen Bräuche nahezu unmöglich machte, wurden die Dinge geflissentlich ganz unverständlich oder doch sehr verwickelt gemacht, um so die Wahrung des Mysteriums zu erzwingen. Darin übertrafen unsere angeblichen Christen alle Mysterien der Heiden; denn deren Ehre konnte durch Entdeckung oder die schwatzhafte Zunge eines Eingeweihten zerstört werden; aber den neuen Mysterien wurde ein sicherer Platz über dem Bereich aller Sinne und aller Vernunft angewiesen. Ja, so argwöhnisch war der Klerus gegen seinen eigenen Stand, es möchte jemand irreligiöser Weise diese erhabenen Mysterien dem profanen, neugierigen Laien entdecken, dass man es zweckmäßig fand, das Verständnis derselben ebenso weit über die Fassungskraft des heiligen Stammes selbst zu legen, wie über unsere. So ist es im Allgemeinen bis auf diesen Tag geblieben.

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Schluss
So habe ich mich bemüht, anderen zu zeigen, wovon ich selbst vollkommen überzeugt bin, dass es kein Mysterium im Christentum als der vollkommensten Religion gibt, und dass folglich nichts Widersprechendes oder Unbegreifliches, mag es auch zum Glaubensartikel gemacht sein, im Evangelium enthalten sein kann, wenn es wirklich Gottes Wort ist. Denn ich habe bis hierher nur auf dieser Voraussetzung aufgebaut, wie die Gründe gegen Schluss der Vorrede erkennen lassen.

Trotz aller Einwendungen, die dagegen gemacht werden können, ist klar, dass keine besonderen Beispiele oder Lehren irgendwelcher Art zu einer tauglichen Antwort auf diese Abhandlung dienen können; denn solange ihre Vernunftgründe stichhaltig sind, darf ein jedes Beispiel, das angeführt werden kann, entweder nicht als geheimnisvoll empfunden werden, oder, wenn es ein Mysterium ist, ist es nicht göttlich offenbart. Es gibt keinen Mittelweg, soweit ich sehe. Wenn die Schriftstellen, die ich für meine Behauptung zitiert habe, in Einklang gebracht sind mit denen, die man gegen mich anführen wollte, oder wenn man beweist, sie seien nicht von mir verstanden, – wenn meine Argumente gegen alle unbegreiflichen Mysterien und den Widersinn, dass Gott irgend solche Mysterien offenbart, widerlegt sind, dann erst ist es Zeit für andere, Beispiele anzuführen oder für mich, sie zu betrachten. Nachdem ich nun die Leute überzeugt habe, dass alle Teile ihrer Religion nicht nur an sich gesund und verständlich sein müssen, sondern dass sie ihnen auch so erscheinen müssen, könnte ich es zwar mit Recht jedem einzelnen überlassen, die Vernünftigkeit oder Unvernünftigkeit seiner Religion ausfindig zu machen (was nicht schwierig ist, wenn die Menschen einmal überzeugt davon sind, dass sie ein Recht dazu haben); aber die Pflichten, die ich Gott und der Welt schuldig bin, zwingen mich, weiter darin fortzufahren, falls es mir Zeit und Gesundheit erlauben und mich nicht beschränken, was ja kein Mensch nach seinem Belieben regeln kann.

Meine nächste Aufgabe ist daher (so Gott will), zu beweisen, dass die Lehren des Neuen Testamentes klar, möglich und Gottes würdig sind, so gut wie sie für die höchsten Wohltaten der Menschen berechnet sind. Einige werden mir wahrscheinlich für ein so nützliches Unternehmen nicht danken; und andere werden mich zu einem Häretiker machen in Anbetracht dessen, was ich bereits vollbracht habe. Aber da Pflichtgefühl und nicht Beifallsucht das Motiv meiner Handlungen ist, so achte ich, Gott weiß es, diesen wohlfeilen und lächerlichen Spottnamen eines Häretikers nicht höher, als es Paulus vor mir tat (Act. 24, 14), denn ich mache auf keine andere Orthodoxie Anspruch als auf Besitz der Wahrheit; und ich bin dessen sicher, wo die Wahrheit ist, da muss auch die Kirche sein, die Gottes, meine ich, nicht die einer menschlichen Partei oder menschlichen Politik. Übrigens ist der Vorwurf der Heterodoxie, mit dem man jetzt bei den geringsten Gelegenheiten aus Unwissenheit, Leidenschaft oder Bosheit so freigebig ist wie in den Tagen des Irenäus und Epiphanius, manchmal kein Vorwurf, sondern die denkbar größte Ehre.

Manche guten Leute sind vielleicht geneigt zu sagen, dass meine Ansicht, möchte sie auch noch so wahr sein, nichtsdestoweniger viel Schaden anrichten könnte. Denn wenn das Volk sich in irgendeinem Teil der Religion betrogen sieht, ist es leicht geneigt, das Ganze in Frage zu stellen. Dieser Anstoß ist einfach gesucht und nicht natürlich gegeben; und meine Absicht ist nichtsdestoweniger gut, mögen schlecht veranlagte Leute sie auch missbrauchen, wie sie es so häufig mit Wissenschaft, Vernunft, Schrift und en besten Dingen in der Welt machen. Aber es ist jedem klar, dass gerade die Widersprüche und Mysterien, die der Religion mit Unrecht zur Last gelegt werden, so viele zu Deisten und Atheisten machen. Und es sollte ferner erwogen werden: wenn auch einige, die nicht damit bekannt sind, durch den plötzlichen Glanz der Wahrheit geblendet werden, so ist doch ihre Zahl nicht mit der Zahl derer zu vergleichen, die durch ihr Licht klar sehen wollen. Wenn einige Libertiner und Atheisten wurden, als in der Reformation Priesterbetrug so offen aufgedeckt wurde, ist das Luther, Calvin oder Zwingli zum Vorwurf zu machen? Wer hat denn das größere Gewicht, diese wenigen voreingenommenen Skeptiker, oder jene Tausende, die sich vom Aberglauben Roms bekehrten? Ich bin deshalb dafür, unter keinen Umständen dem Irrtum Raum zu geben; und ich werde, wo ich Fähigkeit und Gelegenheit habe, sicher nicht ablassen, ihn in seinen wahren Farben zu schildern; ich will dabei nicht nutzlose Arbeit tun, indem ich schwächlich etwas verkleinere oder beschönige. S. 55 - 139
Aus: John Toland's Christianity not mysterious (Christentum ohne Geheimnis), herausgegeben von Lic. Leopold Zscharnack, Gießen 1908, Verlag von Alfred Tölpelmann (vormals J. Ricker), Studien zur Geschichte des neueren Protestantismus, 3. Quellenheft.