Christian Thomasius (1655 – 1728)
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Deutscher
Jurist und Philosoph, der nach seinem Philosophie- und Jurastudium in Leipzig einer der ersten war, der in deutscher Sprache lehrte. Christian war der Sohn des Philosophen Jakob Thomasius, der ein Lehrer von Leibniz war. Als einer der führenden Wegbereiter der deutschen Aufklärung entwickelte Thomasius eine eigenständige, von der Vorherrschaft der
Theologie und Scholastik befreite Naturrechtslehre, die das vom gesunden
Menschenverstand geprägte Rechtsempfinden aller Bürger zufrieden
stellen sollte. Mit seinem engagierten und teilweise erfolgreichen Einsatz für ein säkularisiertes Strafrecht wollte er vor allem Intoleranz,
blinder Autoritätshörigkeit sowie dem Aberglauben und dem Hexenglauben und
den daraus resultierenden Hexenprozessen den Boden entziehen. Thomasius gab zwar die Existenz des Teufels zu, verneinte jedoch uneingeschränkt die Möglichkeit seiner körperlichen Erscheinungsweise und des – unter Todesstrafe stehenden - Teufelspaktes. Die Bibelstelle (Math.
4), nach welcher der Teufel Jesus in körperlicher Gestalt erschienen
sein soll, interpretierte er so, dass es sich hierbei um Phantasie oder
Traum Jesu handle oder der »Teufel« gar ein »agent provocateur« gewesen sei. Siehe auch Wikipedia |
Der Teufelspakt
Nachdem ich leider erfahren musste, daß man anlässlich
meiner Disputation de Crimine Magiae Gelegenheit genommen hat, mich fälschlich
zu beschuldigen, als glaubte ich keine Teufel (obwohl das Gegenteil mit offenbaren
und deutlichen Worten in der Disputation selbst zu lesen ist), so habe ich Gelegenheit
genommen, bei dem Discurs von den Ägyptischen Zauberern (II.
Mose 7) meine Unschuld klar zu zeigen und meine Meinung von den Hexen
ausführlicher, als es in der Disputation wegen der Kürze der Zeit
und des damaligen Vorhabens geschehen konnte, zu melden. Gleichwie ich
1. an den Teufel glaube und ihn
2. für eine allgemeine
Ursache des Bösen, folglich auch
3. des Sündenfalles der ersten Menschen halte, so glaube ich
4. auch, dass es
Zauberer und Hexen gibt, die Menschen und Vieh auf verborgene Weise Schaden
zufügen. Ich glaube
5. auch, dass es Kristallseher,
Beschwörer und solche Leute gibt, die mit abergläubischen Sagen und
Segensprechen allerlei wunderliche Sachen verrichten. Ich gebe auch endlich
zu, dass
6. von diesen Leuten etliche Dinge
verrichtet werden, die nicht für Gaukeleien und Betrügereien zu halten
sind, auch nicht den verborgenen Wirkungen der natürlichen Körper
und Elemente wirklich zugeschrieben werden können, sondern mutmaßlich
vom Teufel herkommen. Wie denn auch
7. etliche Dinge zuweilen vorkommen,
bei denen man nichts anderes sagen kann, als dass sie von einer höheren
als menschlichen Macht herkommen und doch Gott
und seinen guten Engeln nicht zugeschrieben werden können, so wenn
z. B. aus dem menschlichen Leibe allerhand natürliche, insbesondere aber
künstliche Dinge wie Zwirn, Stecknadeln, Scherben, Haare, Hecht-Zähne,
und zwar in großer Menge, aus Orten, die dieselben nicht fassen können,
z. B. aus den Ohren, hervorkommen.
8. Ich lobe auch, dass man
die Kristallseher, Beschwörer, Segensprecher usw. in einer wohlbestellten
Republik nicht duldet, sondern daraus verjagt, auch wohl nach Gelegenheit schärfer
bestraft.
9. Ich lobe es, dass man
diejenigen Zauberer und Hexen, die den Menschen auch nur auf verborgene
Weise Schaden tun, am Leben straft — auch schon, wenn der Schaden vermittels sonst unbekannter und geheimer Kräfte der Natur geschehen ist oder wenn auch wirklich kein Schaden darauf erfolgt wäre, sondern die
Zauberer und Hexen, soviel an ihnen lag, mit ihren Beschwörungen
und Gaukeleien sich Schaden zu tun bemüht hätten.
10. Aber ich
leugne noch beständig und kann es nicht glauben, dass der Teufel Hörner,
Klauen und Krallen habe, dass er
11. wie ein Pharisäer
oder ein Mönch oder ein Monstrum oder wie man ihn sonst abmalt, aussieht.
Ich kann es nicht glauben, dass er
12. Pakte
mit den Menschen aufrichtet, sich von ihnen handschriftliche Papiere geben lässt,
bei ihnen schläft, sie auf dem Besen oder auf dem Bock auf den Blocksberg holt usw. Ich glaube
13., dass dieses alles entweder Erfindungen von müßigen Leuten sind oder falsche
Erzählungen derer, die andere betrügen wollen, um sich dadurch ein
Ansehen zu machen oder Geld von ihnen zu bekommen — oder melancholische
Einbildungen oder durch den Henker erpresste Aussagen. Ich glaube
14., dass die allgemeine
gegenteilige Meinung dadurch nichts gewinnt, wenn ich zugleich zugebe, dass
durch Aberglauben und Segensprechen allerhand wunderliche
Sachen geschehen. Denn wer weiß nicht, dass z. B. die Juden,
wenn sie ein Brot mit gewissen Charakteren (Schriftzeichen) bezeichnet ins Feuer
werfen oder sonst das Feuer besprechen, verursachen, dass das Feuer nicht
weiter brennt. Wer weiß nicht, dass die Zigeuner ihr Feuer in den
Ställen und Scheunen anmachen und dass es doch keinen Schaden tut?
Ich habe aber noch keinen gehört, der vorgegeben hätte, dass
entweder diese Juden oder die Zigeuner Hexenmeister wären und Pakte mit
dem Teufel gemacht hätten. Ich glaube
15., dass die allgemeine
Meinung nichts gewinnt, wenn ich zugleich zugebe, dass etliche Krankheiten
vom Teufel herrühren und von den Zauberern mit Hilfe des Teufels zuwege
gebracht werden. Die heiligen Männer, die durch GOTTES
Kraft und durch den Glauben Wunder getan haben, haben deswegen keinen Pakt mit
unserem HErren GOTT gemacht oder ihm eine Handschrift gegeben. Warum sollte
der Teufel nicht auch ohne sichtbaren Pakt durch die Kinder des Unglaubens wirken,
warum sollte ihr böser Glaube, ihr starker Drang und Verlangen nicht auch
durch des Satans Kraft etwas Böses wirken können? Wie sich GOTT den
Gläubigen und Propheten durch Gesichte, Träume, Stimmen offenbart
hat, so kann ja auch der Teufel den Zauberern und Hexen die abergläubischen
Mittel zum Schadenzufügen auf unsichtbare Weise offenbaren. Ich
glaube
16. daran, dass der bisherige
Hexenprozess nichts getaugt hat, da man das Bündnis mit dem Teufel zur Grundlage des Prozesses gemacht hat,
was in der Natur der Dinge nicht vorgegeben ist, und dass ebenso auch sehr
behutsam verfahren werden muss, wenn man Leute beschuldigen will, durch
Hexerei Schaden getan zu haben. Denn es gehört viel Beweismaterial
dazu, und die allgemeinen Indizien — auch die, die in der peinlichen Hals-Gerichts-Ordnung
vorgeschrieben wurden — sind nicht richtig, wie in der Disputation gezeigt
wurde. Sonderlich aber gehören
17. bei den wunderlichen und übernatürlich
erscheinenden Krankheiten große Untersuchungen dazu, ob nicht ein Betrug
dahinterstecke — dem steht nicht entgegen, dass viele gelehrte und
glaubwürdige Leute die Sache bezeugen, auch wenn es sogar Doktoren der
Medizin sind. Denn es werden glaubwürdige und gelehrte Leute ebenso, wenn
nicht eher betrogen wie andere. Und ich glaube gewiss, dass
18. unter den vorgeblichen übernatürlichen
Krankheiten, über die man jetzt ein ganzes Buch zusammengestellt hat, die
meisten mit einer Betrügerei vergesellschaftet sind und dass unter
Hunderten kaum eine ohne hocus pocus und menschliche Geschwindigkeit zugegangen
ist. Die bekannte Betrügerei mit dem goldenen Zahn bescheinigt, dass
Schelmenstücke hinter einem Dinge stecken können, über das die
Herren Ärzte Bücher schreiben und Krankheitsursachen untersuchen.
So muss ich auch
19. bekennen, dass ich selbst
anfänglich nichts anderes sagen würde, als dass die Sache durch
Hilfe des Teufels und Hexerei zugegangen sei, wenn ich sähe, dass
z. B. aus eines Menschen Ohr nacheinander eine ganze Schüssel voll Hecht-Zähne
gezogen würde. Dennoch, wenn die Sache scharf angefasst werden sollte,
wüsste ich nicht, was ich jemand antworten sollte, der mir entgegnete,
man halte eine solche Krankheit deswegen nicht für natürlich, weil
es eine Kontradiktion sei, dass das menschliche Gehirn solche Dinge, und
zwar in so großer Menge, in sich fassen könne. Nun könne aber
ja auch der Teufel nicht Kontradiktoria zuwege bringen, weil die göttliche
Allmacht selbst zwar alles, aber keine Kontradiktoria zuwege bringen könne.
Ebenso führen mich dergleichen Betrachtungen nur dahin, dass ich auch
in diesem Stück lieber sagen möchte: Ich weiß nicht, wie die
Sache zugeht, als dass ich sprechen soll: »Der
Teufel tut es.« Denn so gewiss wie zweimal
drei sechs sind, so gewiss ist es auch, dass ich dasjenige nicht weiß,
was ich nicht weiß. Will aber ein anderer sagen: »Das
Ding ist vom Teufel«, während er doch nicht weiß, wie
es zugeht, kann ich es wohl ertragen, wenn man mir nur vergönnt, dass ich bei meiner docta ignorantia (gelehrten Unwissenheit)
bleibe. Aber gesetzt auch den Fall, es ist ausgemacht, dass die
Sache vom Teufel herkommt, so sehe ich doch
20. nicht, dass dadurch der
Hexenprozess begründet wird. Denn es ist hier nun wieder die Frage,
wer der Hexenmeister ist, der dem Patienten diese Krankheit zugefügt hat,
und auf welche Art der Richter dessen gewiss sein könnte.
Es ist freilich nicht schwer, bald ein Bekenntnis durch den Henker herauszubringen.
Aber das ist nicht genug. Ich fürchte, wenn man mich
und dich marterte, wir würden alles aussagen, was man von uns begehrte.
Und wenn man uns weiter wegen der Umstände (des Falles)
marterte, würden wir auch Umstände, und zwar solche dazulügen,
von denen wir wüßten, daß sie der Richter gerne hörte
und daß wir durch deren Aussage am ehesten von der Marter loskämen. Mit einem Wort: Ich halte dafür, dass die Hexen-Prozesse gar nichts
taugen und dass der (wohlgemerkt) gehörnte leibliche Teufel mit der Pech-Kelle und seine Mutter dazu ein purum
inventum (reine Erfindung) der päpstlichen
Pfaffen sind, deren größtes arcanum (Geheimmittel) es ist, die Leute mit (wohlgemerkt)
solchen Teufeln in Furcht zu versetzen und Geld zu Seelenmessen, reiche Erbschaften und Stiftungen zu Klöstern oder andern frommen Werken
herauszulocken — und daneben unschuldige Leute, die da sagen »Papst,
was tust du«, als ob sie Zauberer wären, die den Leuten Schaden
antun, verdächtig machen. Christus hat die Sünder nicht mit solchen
Teufeln bekehrt, und die Apostel haben bei ihren Predigten keine
(theologischen) Systeme gebraucht, in denen der Teufel
der Eckstein ist, so dass das ganze Gebäude zusammenfällt, wenn
man denselben wegnimmt. Damals hieß es: Wer Christus leugnet, der
leugnet GOtt. Heute heißt es: Wer den gehörnten
und gemalten Teufel leugnet, der leugnet GOtt. Könnten wohl in dem finstersten
Papsttum dergleichen Verzerrungen gehört werden? Ich habe vor kurzer
Zeit von einem vernünftigen Lehrer, desgleichen ich mir viele wünschte,
in der Predigt gehört, vor dem Teufel solle man sich hüten, aber ihn
nicht fürchten. Ebenso hüte z. B. ich mich vor meinen Lästerern,
sowohl vor denen, die des gemalten Teufels Partei nehmen, als auch den anderen,
vor den alten und vor den jungen, sie mögen nun zu Wittenberg oder Delitsch,
hier oder anderswo sein — aber ich fürchte mich nicht. Ich nehme
mich in acht, dass ich ihnen keine Ursache zur Teufelei, das heißt
zur Lästerung, gebe, tun sie es aber dennoch, so lasse ich sie diabolisieren (verteufeln), solange sie wollen, und lasse sie
gehen, wenn sie sich auch in einen Engel des Lichts verstellen und unter dem
Schein des Gebets ihre Lästerungen wider mich ausüben. S.290ff.
Aus: Das Zeitalter der Aufklärung. Herausgegeben von Wolfgang Philipp
In der Reihe: Klassiker des Protestantismus. Herausgegeben von Christel Matthias
Schröder Band VII, Sammlung Dieterich
Carl Schünemann Verlag Bremen