Thomas a Kempis, eigentlich Thomas Hemerken (1379 – 1471)
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Inhaltsverzeichnis
Folge Christus
nach und lerne verschmähen, was vergänglich ist.
Was es heißt:
Jesus über alles lieb haben.
Von dem vertrauten
Umgange mit unserem Herrn Jesus Christus.
Laßt uns ruhen in Gott, unserem
höchsten Gut.
Wir sollen uns selbst
verleugnen und Christus durch das Kreuz nachfolgen.
Folge
Christus nach und lerne verschmähen, was vergänglich ist.
1. Wer mir nachfolgt, der wandelt nicht in der Finsternis, spricht der Herr (Joh. 8, 12). Dies sind Worte aus dem Munde Christi, die uns mahnen, seinem
Leben und Verhalten treu nachzuleben, wenn wir von aller Blindheit des Herzens
geheilt und von dem wahren Lichte erleuchtet werden wollen. Wir sollen also
unsere höchste Aufgabe darin sehen, das Leben Jesu Christi zu erforschen.
2. Die Lehre Christi übertrifft alles, was die Heiligen gelehrt haben,
und wer den Geist Christi hätte, der müsste ein verborgenes Himmelsbrot
darin finden. Da geschieht es aber, dass viele das Evangelium oft hören
und dabei fast ohne Hunger und Durst nach diesem Brote des Lebens bleiben, weil
ihnen die Hauptsache, der Geist Christi, fehlt.
Wer die Lehre Christi in ihrer Fülle kennen lernen und schmecken will,
der muss mit allem Ernste danach streben, dass sein ganzes Leben ein
zweites Leben Jesu werde.
3. Was nützt es dir, über die Dreieinigkeit hochgelehrt streiten zu
können, wenn du die Demut nicht hast, ohne die du der Dreieinigkeit missfällst?
Wahrhaftig, hochgelehrte und tiefsinnige Worte machen den Menschen nicht heilig
und nicht gerecht: ein Leben voll Tugend dagegen macht uns Gott genehm. Es ist
mir ungleich lieber, ein lebendiges Gefühl der Reue und Buße im Herzen
zu haben, als eine schulgerechte Erklärung geben zu können, was Reue
und Buße sei. Hättest du die ganze Bibel und die Aussprüche
aller Philosophen im Gedächtnis, hättest aber dabei die Liebe Gottes
und seine Gnade nicht im Herzen: wozu hülfe dir all jenes, ohne dieses
Einzige?
O Eitelkeit der Eitelkeiten! — alles ist Eitelkeit, außer Gott lieben
und ihm allein dienen. Darin besteht die höchste Weisheit, dass durch
Verachtung der Welt um das himmlische Reich gerungen wird.
4. Also ist es Eitelkeit, vergängliche Reichtümer zu sammeln und darauf
seine Hoffnungen zu bauen. Also ist es Eitelkeit, nach hohen Ehrenstellen zu
trachten und sich gerne obenan zu setzen. Also ist es Eitelkeit, sich den Lüsten
des Fleisches zu überlassen und nach Freuden zu jagen, die uns einst schwere
Strafen zuziehen werden. Also ist es Eitelkeit, nur immer wünschen, dass
man lange lebt, und sich wenig darum bekümmern, dass man fromm lebt.
Also ist es Eitelkeit, das Auge stets heften auf das gegenwärtige und nie
hinausblicken auf das kommende Leben. Also ist es Eitelkeit, sein Herz an das
hängen, was so schnell und unaufhaltsam vorübergeht, und nicht dorthin
eilen, wo ewige Freude wohnt.
5. Gedenke doch immer wieder jenes Wortes: Das Auge kann sich nicht satt sehen,
nicht satt hören das Ohr (Pred. 1, 8). Reiss also dein Herz von den
sichtbaren Gütern los und erhebe es zu den unsichtbaren! Denn, die ihrer
Sinnlichkeit blind folgen, beflecken ihr Gewissen und verlieren die Gnade Gottes. S.9-10 [...]
Was
es heißt: Jesus über alles lieb haben.
1. Wohl dem, der‘s versteht, was es heißt, Jesus lieben und um Jesu
willen sich selbst verachten. Man muß manches Liebe um des Liebsten willen
verlassen; denn Jesus will über alles geliebt sein. Um die Liebe zu den
Geschöpfen ist es ein trügliches, unstetes Ding; aber die rechte Liebe
zu Jesus ist treu und unwandelbar. Wer sich an ein Geschöpf hängt,
fällt mit dem hinfälligen; wer sich an Jesus hält, steht ewig
fest. Den mußt du lieben, den als deinen Freund behalten, der dich auch
dann nicht verläßt, wenn dich alles verläßt, und der es
nicht zuläßt, daß du am Ende verdirbst. Einmal mußt du
dich doch von allen Geschöpfen scheiden, du magst wollen oder nicht.
2. Halt dich fest an Jesus im Leben und im Sterben, und überlaß dich
ganz der treuen Liebe dessen, der allein noch helfen kann, wo alle andere Hilfe
Stückwerk ist. Es ist die Natur deines Geliebten, daß er sein Reich
mit keinem anderen teilen will; er will dein Herz ganz allein für sich
haben; er will darin wie ein König auf seinem Throne herrschen. Könntest
du dein Herz ganz leer machen von allen Geschöpfen, so müßte
Jesus gerne bei dir wohnen. Im Grunde wirst du finden, daß fast alles
verloren ist, was du nicht auf Jesus sondern auf Menschen setztest. Vertraue
nicht und stütze dich nicht auf ein schwankes Rohr, das der Wind hin und
her bewegt. Denn alles Fleisch ist Gras, und alle Herrlichkeit des Fleisches
fällt wie eine Grasblume (Jes. 40, 6).
3. Du bist leicht betrogen, wenn du nur auf das siehst, was an den Menschen
weiter nichts als Glanz und Anstrich ist. Sobald du bei anderen deinen Trost
und Gewinn suchst, wirst du meistenteils nur Schaden und Herzeleid dabei gewinnen.
Wenn du Jesus überall suchst, so wirst du ihn auch überall finden.
Wenn du aber dich selbst suchst, so wirst du dich selbst auch überall finden,
aber zu deinem eignen Verderben. Denn der Mensch, der Jesus nicht sucht, schadet
sich selber ungleich mehr, als alle Welt und alle seine Feinde. S.66-67
[...]
Von
dem vertrauten Umgange mit unserem Herrn Jesus Christus.
1. Ist Jesus bei dir daheim, so ist alles gut und alles leicht. Ist aber Jesus
nicht bei dir, so ist alles bitter und hart. Wenn dir Jesus drinnen nicht spricht,
so ist alle andere Tröstung kraftlos. Aber ein einziges Wort aus seinem
Munde bringt großen Trost in dein Herz. Ist nicht Maria sogleich von der
Stelle, wo sie weinte, aufgestanden, als ihr Martha sagte:
Der Meister ist da und ruft dich? (Joh. 11,28). Selige Stunde, wenn Jesus ruft
von Tränen weg zur Freude des Geistes!
O Mensch! wie ist doch in dir alles so dürr und kalt ohne Jesus! Wie bist
du doch so eitel und töricht, wenn du etwas außer ihm suchst! Ach!
ihn nicht haben, das ist ein größerer Verlust, als die ganze Welt
verloren haben.
2. Was kann dir denn die ganze Welt geben, ohne Jesus? Ohne Jesus sein, das
ist eine ganze Hölle von Angst. Bei Jesus sein, das ist ein Paradies voll
lieblicher Früchte. Ist Jesus bei dir, so kann dir kein Feind schaden.
Wer ihn findet, der hat einen köstlichen Schatz gefunden, ein Gut, besser
als jedes Gut. Wer aber Jesus verliert, der hat zu viel verloren, und mehr als
die ganze Welt. Wer ohne Jesus lebt, der ist von allen Armen der Ärmste.
Wer mit Jesus wohl daran ist, der ist von allen Reichen der Reichste.
3. Es ist eine große Kunst, mit Jesus umgehen zu können. Es ist eine
große Weisheit, Jesus bei sich zu behalten wissen. Sei demütig und
friedsam, und Jesus ist bei dir. Sei fromm und stille, und Jesus bleibt bei
dir. Du kannst Jesus schnell von dir vertreiben und seine Gnade verlieren: du
darfst dich nur nach auswärts neigen. Und, wenn du ihn vertrieben, ihn
verloren hast, zu wem wirst du deine Zuflucht nehmen, wo wirst du wieder einen
Freund finden? Ohne Freund kann dir nicht wohl sein, und wenn Jesus nicht dein
erster Freund ist, so wirst du immer nur überaus traurig und wie verlassen
sein. Du handelst also töricht, wenn du auf einen anderen baust oder in
einem anderen Freude suchst. Man soll lieber die ganze Welt zum Feinde haben,
als Jesus kränken. Von allen deinen lieben Freunden soll dir also Jesus
dein liebster Freund sein.
4. Du sollst alle Menschen um Jesu willen lieb haben, Jesus aber um seiner selbst
willen. Christus ist vor allen anderen Freunden allein gut und treu gefunden
worden; er ist es also vor allen anderen wert, geliebt zu sein. Um seinetwillen
und in ihm sollen dir alle, Freunde wie Feinde, lieb sein. Für alle sollst
du zu ihm bitten, daß alle ihn erkennen und lieb haben.
Laß dich nie danach gelüsten, daß du allein geliebt und gelobt
wirst. Denn das gehört allein Gott zu, der seinesgleichen nicht hat. Auch
sollst du nie die erste Stelle in eines Menschen Herzen einnehmen wollen, noch
einen anderen Menschen diese Stelle in deinem Herzen einnehmen lassen. Jesus
nehme diese Stelle ein in dir und in jedem guten Menschen!
5. Sei rein und frei von innen her, und laß dich von keinem Geschöpf
gefangen nehmen. Du mußt bloß von allem sein und dein Herz rein
vor Gott bringen, wenn du offen sein und inne werden willst, wie freundlich
der Herr ist. Und dazu kommst du nicht, wenn dich seine Gnade nicht zuvor ruft
und einwärts zieht, daß du von allen Dingen Abschied nehmen und geschieden
von allen dich einzig mit dem Einzigen vereinigen kannst. Denn kommt die Gnade
Gottes in den Menschen, so vermag er alles; scheidet sie aber von ihm, so ist
er wieder der arme, schwache Mensch wie vorher und taugt fast zu nichts, als
seinen Rücken den Geißelhieben hinzuhalten. Das muß dich aber
nicht mutlos machen, noch viel weniger zur Verzweiflung bringen. Lerne vielmehr
mit gleichem Mute festzustehen, bereit zu allem, was Gottes Wille ordnet, und
alles, was über dich kommt, zur Ehre Jesu Christi zu tragen. Denn sieh!
nach dem Winter kommt wieder der schöne Frühling, nach der Nacht der
liebliche Morgen, und nach dem Sturmregen der heitere Himmel. S.
67-69 [...]
Laßt
uns ruhen in Gott, unserem höchsten Gut.
1. Der Mensch: Erhebe dich, meine Seele, über alle Dinge, und suche deine
Ruhe immer nur im Herrn, und du wirst sie in ihm allein finden: denn er ist
die ewige Ruhe aller Heiligen. Gib mir also, o du, die Liebe selbst und die
Fülle aller Süßigkeit, Jesus Christus, gib mir Kraft, daß
ich mich erhebe über alles Erschaffene, über alle Schönheit und
Reize, über alles Heil und allen Segen, über alle Ehre und Herrlichkeit,
über alle Macht und Hoheit, über alle Wissenschaft und allen Scharfsinn,
über alle Reichtümer und Künste, über alle Freude und Entzückung,
über alles Lob und Jubelgeschrei, über alle Süßigkeit und
Erquickung, über alle Verheißung und Hoffnung, über alle Verdienste
und Wünsche, über alle Gaben und Geschenke, die du mitteilen kannst,
über alle Himmelslust und Seligkeit, die die Seele fassen und genießen
kann, endlich über alle Engel und Erzengel, über alle Heere des Himmels,
über alles Sichtbare und Unsichtbare — gib mir Kraft, daß ich
mich erhebe über alles, was du, mein Gott, nicht bist, und daß ich,
erhaben über alles, was du nicht bist, in dir allein Ruhe suche und Ruhe
finde.
2. In dir allein, o du mein Herr und Gott, kann ich Ruhe finden, weil du das
beste, du das höchste, du das mächtigste, du das selbstgenügsamste
und reichste, du das lieblichste Wesen und die Fülle des Trostes für
alle anderen Wesen, du die Schönheit und die Liebe, du die Heiligkeit und
die Herrlichkeit selbst bist. In dir allein ist alles Gute auf das vollkommenste
vereinigt; in dir war immer alles Gute aufs vollkommenste vereinigt; in dir
wird immer alles Gute aufs vollkommenste vereinigt bleiben. Was du mir also
immer schenkst, oder von dir offenbarst und verheißest, so groß
und wahr und gut es immer sein mag, so ist es doch noch viel zu gering für
mein Herz, so lange du dich selbst mir nicht schenkst, dich selbst mir nicht
zu sehen und zu genießen gibst. Denn dies mein Herz hast du viel zu groß
geschaffen, als daß es in irgend einem Gut volle und wahre Befriedigung
finden sollte, bis es über alle Geschöpfe und über alle deine
Gaben sich emporgeschwungen und in dir allein seine ganze Ruhe und Seligkeit
gefunden hat.
3. O du mein liebster Bräutigam, Jesus Christus, du heiligster Freund unsterblicher
Seelen, du Gebieter und Beherrscher aller Geschöpfe! Wer gibt mir die Flügel
der wahren Freiheit, daß ich auffliege zu dir und Ruhe und Seligkeit in
dir finde? O wann wird es mir gegeben werden, von allem, was mich bindet und
hemmt, frei zu sein, und zu schauen, zu erfahren, wie süß es ist,
dich, mein Gott, zu genießen? Wann werde ich mein ganzes Wesen in dir
allein sammeln und in Liebe zu dir meiner selbst vergessen und nichts als dich,
dich empfinden und genießen können, dich genießen auf eine
Weise, die die Wenigsten kennen, und die alle gewöhnliche Weisen und Empfindungen
übersteigt?
Jetzt ist Seufzen mein Los; mein Elend im Gefühle des Schmerzens tragen
ist mein Tagewerk. Überall begegnet mir in diesem Tale des Jammers Jammer
genug; Übel genug, die mein Herz verwirren, betrüben und verfinstern,
hindern und zerstreuen, locken und gefangennehmen, daß ich nicht freien
Zutritt zu dir finden, nicht deine freundlichen Umarmungen genießen, nicht
immer im Chor der seligen Geister mitsingen kann. Möchte es dich rühren,
wenn du mein Seufzen hörst, mein Leiden in dem Lande der Trostlosigkeit
siehst!
4. Jesus! Du Abglanz der ewigen Herrlichkeit, du Trostquelle für alle Seelen
im Pilgergewande! Meine Zunge findet kein Wort vor dir, und nur mein Schweigen
redet zu dir! Wie lange zögert noch mein Herr mit seinem Kommen? Ach! daß
er käme zu seinem Armen und froh machte den Traurigen! Daß er ausstreckte
seine Hand und herausrisse aus all seiner Angst den Geängstigten! Komm,
komm doch bald, denn ohne dich, du meine Freude, geht für mich kein Freudentag
mehr auf; ohne dich schlägt keine Freudenstunde mehr für mich, und
leer ist ohne dich mein Tisch. Elend bin ich, bin wie eingekerkert und mit Fesseln
gebunden, bis mich das Licht deiner Gegenwart erquickt, deine Wahrheit frei
macht, dein freundliches Angesicht den Himmel in meine Seele bringt.
5. Mögen andere ihr Paradies suchen, wo sie wollen, nur bei dir suchen
sie‘s nicht; mir gefällt nichts mehr und kann nichts mehr gefallen,
als du, mein Gott, meine Zuversicht, mein ewiges Heil! Nimmer schweigen, nimmer
aufhören zu bitten will ich, bis deine Gnade wieder kommt, bis deine Stimme
in mir wieder spricht.
6. Der Herr: Sieh, da bin ich! Ich komme zu dir, weil du mich gerufen hast.
Die Tränen deines Auges und das Sehnen deines Herzens, die Demut und die
Zerschlagenheit deines Geistes neigten mein Herz und führten mich zu dir
herab.
7. Der Mensch: Und ich sprach: Ja, ich habe dich gerufen, Herr, ich habe mich
gesehnt, dich zu genießen, entschlossen, alles um deinetwillen zu verschmähen.
Aber du hast mich zuvor geweckt, daß ich dich mit Inbrunst suchte. Dir
sei also Lob und Dank, Herr, daß du nach der Fülle deiner Erbarmungen
an deinem Knechte soviel Gnade bewiesen hast. Was darf ich noch sagen vor dir?
Dein Knecht hat kein anderes Wort mehr als: noch tiefer möcht ich mich
vor dir erniedrigen; nie werde ich vergessen können, wie gering und böse
ich bin; unter allen Wundern im Himmel und auf Erden ist keines so groß
wie du selbst; gut sind alle deine Werke, heilig deine Gerichte, allumfassend
deine Führungen; dir also, Weisheit des Vaters, dir sei Lob und Ruhm! Dich
preise und lobe mein Mund und meine Seele, und alle Geschöpfe fallen zugleich
in meinen Lobgesang ein! S.117-120 [...]
Wir sollen uns selbst verleugnen und Christus durch das Kreuz nachfolgen.
1. Der Herr: Lieber Sohn! So weit du von dir zu scheiden vermagst, so weit kannst
du in mich eingehen. Los von dir, eins mit mir. Nichts außer dir verlangen,
das macht dich eins mit dir; dich selbst ganz verlassen, das macht dich eins
mit Gott. Ich will es so: du mußt endlich die vollkommene Verleugnung
deines Willens erlernen und meinen Willen ohne Widerspruch und Klage vollbringen.
So folge denn mir nach.
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ohne
Weg kein Gehen, ohne Wahrheit kein Erkennen, ohne Leben kein Leben. Ich bin
der Weg, den du gehen, die Wahrheit, an die du glauben, das Leben, auf das du
dein ganzes Hoffen richten mußt. Ich bin der Weg ohne Fehl, die Wahrheit
ohne Trug, das Leben ohne Ende. Ich bin der geradeste Weg, die höchste
Wahrheit, das wahre, selige, unerschaffene Leben. Wenn du auf meinem Wege beharrst,
so wirst du die Wahrheit erkennen, die Wahrheit wird dich frei machen und du
wirst das ewige Leben erfassen.
2. Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote. Willst du die Wahrheit
erkennen, so glaube mir. Willst du vollkommen sein, so verkaufe alles. Willst
du mein Jünger sein, so verleugne dich selbst. Willst du das ewige Leben
in Besitz nehmen, so verachte das gegenwärtige. Willst du im Himmel erhöht
werden, so erniedrige dich auf Erden. Willst du mit mir regieren, so trage mit
mir das Kreuz. Denn nur die Diener des Kreuzes finden den Weg zur Seligkeit
und zum wahren Lichte.
3. Der Mensch: Lieber Herr Jesus Christus, voll Leiden war dein Leben und die
Welt verachtete dich und dein Leben. Lehre mich, die Welt verachten und deinem
Leben nachleben. Denn der Knecht ist nicht mehr als sein Herr und der Jünger
nicht mehr als sein Meister. Mein ganzes Leben sei nichts als eine Übung
nach dem Muster deines Lebens; denn darin finde ich Heil und Heiligung. Was
ich außer deinem Leben lese oder höre, ist keine rechte Weide für
mein Herz und keine volle Freude.
4. Der Herr: Lieber Sohn! Gelesen und verstanden hast du nun alles, was ich
gelehrt habe. Wenn du nun auch tust, was du erkennst, dann bist du selig. Wer
meine Gebote hat und sie hält, der hat mich lieb, und den werde ich auch
lieb haben und mich ihm offenbaren und ihn im Reiche meines Vaters mit mir auf
dem Throne sitzen lassen.
5. Der Mensch: Herr Jesus! Was du lehrst und verheißest, das soll auch
an mir wahr, das soll auch an mir erfüllt werden. Mache du mich tüchtig
dazu. Angenommen, angenommen habe ich das Kreuz aus deiner Hand; ich will es
nun auch tragen bis zum Tode, wie du es auf meine Schulter gelegt hast. Wahrhaftig,
das Leben eines frommen Ordensmannes ist ein rechtes Leben am Kreuz, aber es
führt deswegen sicher in das Paradies. Ich habe nun den Weg betreten, ich
habe angefangen: zurückgehen darf ich nicht mehr und aufhören auch
nicht.
6. Wohlan, Brüder! schließt euch an mich, wir wollen Hand in Hand
miteinander gehen. Jesus wird in unserer Mitte sein. Um Jesu willen haben wir
das Kreuz auf unsere Schultern genommen; um Jesu willen wollen wir es auch tragen
bis ans Ende. Der unser Führer ist und uns vorangeht, der wird auch unser
Helfer sein. Seht! unser König geht vor uns her; er wird auch für
uns streiten. Laßt uns als Männer ihm nachgehen. Kein Schrecken schrecke
uns zurück! Das sei unser Entschluß: den Tod der Ehre im Kriege zu
sterben. Die Schande, daß wir von der Fahne des Kreuzes fliehen, wollen
wir unserer Ehre nicht antun. S.181-183
Aus: Thomas von Kempen, Das Buch von der Nachfolge
Christi. Nach der Übersetzung von Johann Michael Sailer, herausgegeben
von Walter Kröber
Reclams Universalbibliothek Nr. 7663 (S.9-10, 66-69, 117-120, 181-183) ©
1950 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
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