Peter Frederick Strawson (1919 - 2006)
Englischer Philosoph, der bis zu seiner Emeritierung Philosophie an der Universität Oxford lehrte und Mitglied verschiedener wissenschaftlicher Institutionen ist. Er ist Vertreter der angelsächsischen analytischen Philosophie (Oxford-Schule). Siehe auch Wikipedia |
Übermenschliche
Einwirkung?
Die primitiven und auch weniger primitiven Theoretiker, die sich ihrer eigenen
Wirkungsmacht und der Motive ihrer Tätigkeit bewusst waren, bewusst
auch der ungeheuren, gefürchteten oder erhofften Wirkungsmächte in
der Natur, welche aber jenseits ihrer eigenen Macht lagen, sie direkt zu verhüten
oder hervorzubringen — diese Theoretiker fanden es anscheinend ganz einfach
und natürlich, diese Wirkungen der Machtausübung übermenschlicher
Agenten zuzuschreiben, die, so launenhaft ihre Handlungen oft auch erscheinen
mussten, durch nicht ganz fremdartige oder gänzlich unergründliche
Motive angetrieben wurden. Deshalb suchten sie sich diese Agenten durch Verehrung
und Geschenke, Opfer und Bewunderung geneigt zu machen und um jeden Preis die
Götter auf ihre Seite zu bringen.
Das also war frühe Wissenschaft: ein Kuhnsches Paradigma, jetzt und wahrscheinlich
für immer aus der Mode gekommen in sich keineswegs unvernünftig, wenn
auch, verglichen mit späteren Theorien, arm an praktischen Erfolgen. Ihre
Bedeutsamkeit im gegebenen Zusammenhang ist ganz offensichtlich. Denn weder
unser Wissen um kausale Wirkung von Motiven im allgemeinen noch die theoretische
Ausdehnung des Modells kausaler Wirksamkeit auf die Sphäre des Übermenschlichen lassen sich einigermaßen überzeugend als auf Humeschen Grundlagen
beruhend vorführen, also auf der Beobachtung von »wiederholt in gleichförmiger
Weise auf vorangegangene Erscheinungen folgende Ereignisse«. Damit ist
natürlich nicht bestritten, dass wir etwas übermenschliche Beweggründe
lernen können oder uns sogar einbilden, über göttliche Beweggründe
etwas aus der Erfahrung zu lernen. Von diesem Lernen, dem Lernen eines erweiterten
Begriffs von Kräften und Verwirklichungstendenzen unbelebter Dinge, ist
jedoch zu sagen, dass es ein allgemeines wie ein besonderes Bewusstsein
kausaler Verwirklichungstendenz voraussetzt; und man muss noch hinzufügen,
dass sich Erfahrung in diesem Bereich normalerweise durch ein entschieden
fortgeschrittenes Selbst-Bewusstsein oder eindringliches Verstehen auswirkt,
das ein Hume-ähnlicher Ansatz nicht vermitteln kann.
Theorien übermenschlicher Einwirkung, nicht bloß auf diesem Gebiet,
werden schließlich von Theorien abgelöst, die, außer im Bereich
menschlichen oder tierischen Handelns, Motive nicht mehr erwähnen. Die
Nachfolgetheorien setzen sich dank ihres größeren Erfolges durch.
Der Gewinn aufgrund größeren Wissens über kausale Verwirklichungstendenz
und Kraft bedeutet nicht nur größere Einsicht, sondern auch größere
Sicherheit der Vorhersage und größere Kontrollmacht.
Aus: Peter F. Strawson: Analyse und Metaphysik, Eine
Einführung in die Philosophe ( S.167-168)
dtv wissenschaft 4615
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Deutschen
Taschenbuch Verlages, München