Philipp
Spiller (1800 – 1879)
Deutscher
Philosoph und Physiker,
der ein spekulatives System entwickelte, das er als »reinen
Monotheismus« bezeichnete,
den er »Aetherismus« nannte, und in dem der Weltäther - als Träger, Hervorbringer und Erhalter der Welt samt all ihren Lebewesen – die absolute, allgegenwärtige,
geistig stets wirksame, alles bewirkende, ewige, allweise, allmächtige und unzerstörbare Urkraft sein soll, die identisch mit dem ist, was der Mensch als Gott verstehen, verehren, fürchten, lieben und anbeten soll.
Siehe auch Wikipedia
Inhaltsverzeichnis
Verhältnis zwischen
Gott und Welt im Allgemeinen und Mensch im Besonderen
Das ewige Leben, die Unsterblichkeit.
Wer ist in Wahrheit Gott?
Verhältnis
zwischen Gott und Welt im Allgemeinen und Mensch im Besonderen
Es ist eine geschichtlich feststehende Tatsache,
dass die Vorstellung,
welche ein Volk von Gott
hat, seiner geistigen Entwicklungsstufe vollkommen entspricht. »Wie
der Mensch, so sein Gott.« Der Wilde
hat einen anderen Gott als
der Halbwilde, dieser einen anderen als der Gebildete und der tiefe Denker hat
wieder seine besonderen Anschauungen
von dem Wesen Gottes*).
Deshalb geht auch die geschichtliche Entwicklung der Religionen
Hand ja Hand mit der Geschichte der Menschheit überhaupt.
*) Xenophanes
hat uns dazu schon um das Jahr 540 v. Chr. eine
passende Erläuterung gegeben, indem er sagte: »Den
Sterblichen scheint es, dass die Götter ihre Gestalt, Kleidung und Sprache
hätten. Die Neger dienen schwarzen Göttern mit stumpfen Nasen, die
Thraker Göttern mit blauen Augen und roten Haaren und, wenn Ochsen und
Löwen Hände hätten, um Bilder zu machen, so würden sie Gestalten
zeichnen, wie sie selbst sind.«
Weil die psychologische Natur aller Menschen
dieselbe ist, so begannen die Religionen fast durchgängig mit dem Fetischismus, so dass sich in den verschiedensten
Gegenden der Erde auch ähnliche Religionsgebräuche entwickelten.
Nur bei Urmenschen und bei Menschen auf niederer Entwicklungsstufe herrscht
die Religion der Furcht.
In einem höheren Zustande übernehmen bevorzugte Menschen (Könige) eine Vermittlung mit Gott, aber immer noch in der Form der Knechtschaft. Erst später fühlen die Menschen überhaupt sich zur Gottähnlichkeit
erhoben und es tritt die Liebe ein, welche beim Christentume in dem Satze gipfelt: »Liebe Gott über Alles und Deinen Nächsten
wie Dich selbst.«
Es ist ein höchst verderblicher, von verkehrter Selbstsucht getragener Irrwahn, dass die Bekenner irgend eines Gotteskultus gerade nur ihn
als einen absolut vollkommenen und richtigen,
jeden anderen aber als falsch ansehen. Jedes Religionsbekenntnis zeigte sich vielmehr bisher nur als ein Kind
seiner Zeit und wurde von der Zukunft zu Grabe getragen.
Dabei fehlt es hier wie in der organischen Natur nicht an Rückfällen
zu früheren Zuständen. Man kann dabei aber dem in China gebräuchlichen Ausspruche: »Die Religionen
sind verschieden, die Vernunft ist nur eine«, nur beistimmen.
Schon bei den Thlinkithianen (im früheren russischen Amerika) begegnen wir dem Mythus der Gottessohnschaft, auf welche das Christentum
zurückging. Wir müssen es leider auch bekennen, dass die religiösen
Anschauungen selbst schon um das sechste Jahrhundert vor
Christus (Konfuzius, Zoroaster, Buddha, Lao-tse) zum Teil viel edler und reiner von grobem Materialismus waren, als im heutigen Christentume, so dass es auch in dieser Beziehung als
eine Rückfallserscheinung anzusehen ist.
Zoroaster, welcher seine Religionsbücher
in der Sprache des Zendvolkes schrieb, fragt den Ormuzd, den Herrn des Lichtes,
wer er sei, und er antwortet: »Mein Name ist Grund
und Mittelpunkt aller Wesen, höchste Weisheit und Wissenschaft, Zerstörer
der Weltübel (!) und Erhalter des All, Fülle der Seligkeit, reiner
Wille!« In Zoroasters Lehre spielt
das Zeruane-Akerene, das ist das unbegrenzte, unerschaffene
All, die Hauptrolle; aus
ihm sind Licht und Finsternis,
das Gute und das Böse entstanden.
Im Buddhaismus, der verbreitetsten unter allen
Religionen, ist das Nichts das Prinzip aller Dinge. Alles ist aus ihm (eigentlich aber durch
dasselbe) hervorgegangen und kehrt auch dahin zurück; es
ist in ewiger Ruhe und in sich unveränderlich, ohne
(bewussten) Willen. Diese leere Einheit ist das Jenseits unseres Geistes — eine Einheit des Geistigen und Natürlichen.
In den Tiefen dieser Gedanken werden wir erst im weiteren Verlaufe unserer Untersuchungen hinabsteigen; sie
sollten nur zur vorläufigen Aufdeckung des großen Kontrastes zwischen
den altorientalischen und neuchristlichen Anschauungen dienen.
Bei den Arabern fand sich schon lange vor Muhamed der Monotheismus
ohne die absolut unverdauliche Dreieinigkeitslehre
*) des Christentums, welche in der Tat ein Fortschritt
nicht ist.
*)
Die Dreieinigkeitsidee, in welcher ein
gutes Stück Heidentum liegt, scheint nur aus Nützlichkeitsrücksichten
entstanden zu sein. »Es wäre im Laufe der Zeiten eine durchgreifende
Spaltung in Gottchristen (Arianer), Jesuchristen
(Katholiken) und Heiligegeistchristen (Manichäer) eingetreten, wenn schlaue Priester nicht alle drei vereint und in der Vorstellung
von der Dreieinigkeit die Einheit des Christentums gerettet hätten?«
Übrigens ist nicht Christus der eigentliche Gründer der aus der Sekte der Essäer hervorgegangenen
neuen Religion, denn seine Gemeinde lebte nach seinem Tode noch nach jüdischer
Weise und nach jüdischen Gesetzen (Beschneidung), es waren Juden-Christen;
erst Paulus (früher
Saulus genannt) wurde Gründer des Heiden-Christentums. Damit soll
aber dem Christus die kulturgeschichliche Sendung
nicht geschmälert werden. Er verwandelte die jüdische und sklavische Furcht vor Gott in Liebe
zu Gott und den Mitmenschen.
Es ist u. a. von Hegel eine optimistische und durch
die Tatsachen
offenbar widerlegte
Auffassung
des Christentums, wenn er u. a. sagt: »Die Natur
Gottes, reiner Geist zu sein, wird dem Menschen in der christlichen Religion offenbar.«
Der freilich als Unchrist bei den Theologen besonders wegen seines »Nathan«
verhasste Lessing
sprach aber die Hoffnung aus, dass es dem Menschengeiste durch eifriges Denken,
also nicht durch eifriges Glauben,
wie es das Christentum in ganz hervorragender Weise verlangt, einst gelingen werde, zur Erkenntnis
der Gottheit zu gelangen.
Der persönliche Gott ist eine überlieferte Gefühls-
und Glaubensangelegenheit ohne jede tatsächliche Grundlage und er ist auch
nicht eine notwendige
Bedingung für
ein sittenreines und menschenwürdiges Leben. Wenn man gegenwärtig
eines solchen Gottes für das Volk noch
nicht entbehren zu können meint, so ist dieses nur ein trauriges
Zeichen von dem geistig noch sehr niedrigen Standpunkte desselben, so dass ihm
jedes Verständnis für tiefere Wahrheiten noch abgeht. Wäre die Freiheit der Entwicklung der Völker durch privilegierte Kasten nicht von jeher gehemmt worden, so
würden wir nach so langem Ringen heute schon weiter sein in der Erkenntnis der Wahrheit.
Die Orthodoxie hat bei den wunderbaren Erscheinungen in der ganzen Natur und bei den überwältigenden Eindrücken, welche die meisten auf
das Gemüt machen (wie die Pracht des Regenbogens
und Polarlichtes, der blendende Glanz des Blitzes, das Rollen des Donners, die
Grauen der Erdbeben u. s. w.) im Volke, wenn sie von einem persönlichen Gott spricht, so lange ein leichtes Spiel gehabt, als
die geistige Stufe desselben eine nur noch niedrige war.
Von den Gewande dieses Gottes fällt aber ein Stück
nach dem anderen mit dem Auftreten der exakten Wissenschaften und es tritt dafür ein unpersönlicher allgewaltiger Gott auf, welcher mit dem Kleide der Wahrheit angetan, nicht bloß gegenstandlose
Gefühle, sondern auch den Verstand, und zwar so stark befriedigt, dass
wir auf die Irrwege der Abgötterei nicht mehr
kommen können, und die Verketzerungssucht der
Priesterschaften ihren Boden verliert. Diderot (starb
1784) hat vollkommen recht, wenn er sagt: »Der
erste Schritt zur Philosophie
ist der Unglaube«.
Wie Wenige wagen es heute noch, diesen Schritt zu tun!
Wir erkennen in der ganzen Natur niemals ein Schaffen eines persönlichen
Gottes, eines »Schöpfers Himmels und
der Erde«; sondern überall nur schrittweise Entwicklung nach Naturgesetzen. — Die Naturgesetze aber sind teils durch die induktive
Methode gewonnen,
teils durch mathematische
Schlüsse entdeckt worden. Erfahrung und Wissenschaft unterstützen einander um die
Naturgesetze zu erkennen und aufzustellen. Sind aber dieselben als unfehlbar
richtig erkannt, so kann man an ihrer Hand die Welt synthetisch aufbauen, Stein
zu Stein fügen und Schritt für Schritt nicht bloß die Vergangenheit
ableiten, sondern auch einen Blick in die Zukunft tun, weil die Naturgesetze
ewig gültige und unerbittlich zwingende Gesetzgeber sind.
Jeder Weltkörper, welcher aus zerstreuten Stoffen sich gebildet oder von
einem größeren Ganzen sich losgesagt hat, erfährt eine Steigerung
seiner Organisation; es treten die Atome der verschiedenen Stoffe teils zueinander,
teils voneinander: die Urbildungen zeigen sich nur kristallinisch mit mathematisch
fester Gestaltung; nach ihrem teilweisen Zerfallen entstehen organisierte Wesen
mit einem durch die Bewegung der Stoffatome bedingten Formenwechsel im Inneren
und Äußeren oder mit organischem Leben.
Mit der allmählichen Entwicklung eines Weltkörpers verändern
sich zwar die Organismen auf ihm und es entsteht nach und nach eine wunderbare
Mannigfaltigkeit, aber stets mit der Zurückweisung auf einen einheitlichen Ursprung.
Jedes Einzelwesen auf einem Weltkörper entwickelt sich stets nur aus einem
unscheinbaren Anfange, welcher bei den organischen Wesen nicht ein Kristallkern,
sondern eine Zelle ist. In diesem Falle verändert es sich wachsend in seiner
Wesenheit: es besteht, altert, stirbt einst ab als selbstständiges Lebewesen,
gibt aber seine Stoffe her zu einem neuen oft ganz veränderten Leben mit
einer im Kampfe ums Dasein erlangten veränderten, meist vollkommneren Organisation.
Auf diese Weise hat auch jedes organische Geschlecht seine Entstehungs- und
Lebensgeschichte, und bietet schließlich auch nur Stoff zu Neugestaltungen
in aufsteigender Stufenfolge dar. Wie jeder einzelne Mensch physisch und psychisch wenigstens andeutungsweise die früheren Entwicklungsstufen
seines Geschlechtes bis zu sich selbst in der kurzen Zeit seiner Lebensdauer
durchwandert, so durchlebt auch die ganze Menschheit in einer langen Periode
eine ähnliche Entwickelung, deren Nachweis der Philosophie
der Geschichte angehört.
So ist also die Welt und
mit ihr der Mensch nicht geschaffen*),
am wenigsten aus Nichts, sondern
sie hat sich in äußerst langen Zeiträumen naturgesetzlich
entwickelt, ist und bleibt in einer fortwährenden Umgestaltung.
*)Wenn
der mit Recht so berühmte Ägyptologe Professor Dr.
Heinrich Brugsh sagt, die Lehre von der Abstammung
des Menschen leide an zwei Fehlern »an ihrer zarten Jugend und an der
Begeisterung ihrer zahlreichen Jünger«, so muss man auf den Gedanken
kommen, dass H. Brugsh selbst als vollendeter Mann
geboren worden ist. Es ist der Fluch einer einseitigen Geistesrichtung, wenn
Brugsh ferner sagt »Der Mensch ist eine Kreatur
(Geschöpf) der unerforschlichen göttlichen Allmacht,
er hat zu allen Zeiten der Würde dieser Abstammung entsprochen
und wird es tun, so lange der Name Mensch existieren wird. Sein Geschlecht auf
die Fratze des Affentums zurückführen, hieße die Zwecke
der Allmacht vollkommen verkennen und dem Zufall anrechnen,
was Ausfluss der höchsten Weisheit ist.« Da haben
wir den wundergläubigen Mann wie er im Buche steht! Mit so angelegten Naturen
vermag die exakteste Naturwissenschaft nichts auszurichten. Wer vom Wunder ausgeht
oder beim Wunder anlangt, mit dem ist nicht zu rechten. Er darf sich nicht rühmen,
von der Natur etwas zu verstehen. Solche Männer richten mehr Unheil an
als sie ahnen.
Es ist natürlich, dass bei der organischen Entwicklung der Menschheit das Seelenleben zuerst und sehr bald durch die Gefühle und
viel später erst durch den Verstand sich zum Ausdruck brachte. Aus dem ersteren entsprangen die nach den Umständen
verschiedenen Anschauungen von dem weltregierenden Wesen und den Arten seiner
Verehrung. Es war viel leichter sich irgendeine Vorstellung von Gott zu machen
und für ihn irgendeinen Kultus zu erfinden, als das Denken zu entwickeln
und durch mühevolle Denkarbeit höhere Stufen des Menschentums zu erklimmen.
Ja, Fühlen und Denken schließen einander häufig nicht bloß
aus, sondern treten einander feindlich gegenüber. Fühlen ist die Mutter des Gaubens, Denken die Mutter
des Wissens.
Daher stehen heute noch in Betreff der Weltordnung zwei feindliche Lager einander schroff gegenüber. In dem einen glaubt
man, dass die Welt durch einen schaffenden persönlichen
Willen so, wie sie jetzt ist, hervorgegangen sei und so in alle Ewigkeit von ihm werde regiert werden; in dem anderen weiß man,
dass es eine Weltengeschichte gibt, dass im Laufe von Millionen von Jahren gewaltige
Entwicklungsprozesse stattgefunden haben und dass sie immerfort noch in kleinerem
Maßstabe stattfinden.
Die Gläubigen verlangen eine hingebende Unterordnung und völlige Entsagung
von aller selbstbewussten Forschung, die Forscher aber eine auf die exakte Wissenschaft
begründete Prüfung aller Verhältnisse. Jene gehen leider nicht
selten ohne den Gedanken an den eigenen Vorteil von der Ansicht aus,
dass nur die Demut der Massen zum Heile für die Menschheit führen könne; diese aber
erwarten die Hebung der Gesittung und des, allgemeinen Menschenwohles von der
Weckung aller Verstandeskräfte.
Dieser schroffe Gegensatz geht schon Jahrtausende durch die Geschichte der Menschheit
und hat zu den traurigsten Folgen geführt: Die Einen haben geduldet und
gelitten für Glaubensphantome, die Anderen haben geduldet
und gelitten für die Wahrheit und sind selbst heute noch
den Verfolgungen ihretwegen ausgesetzt; ja die Verdammungsurteile gegen die
Wissenschaft werden wieder mit einer gewissen Kühnheit in die Welt geschleudert
und das berüchtigte Wort eines christianisierten Juden: »Die Wissenschaft muss zurück« trägt seine Unkrautfrüchte
über die christliche Welt. Es ist für einen eifrigen Menschenfreund
wirklich betrübend wahrzunehmen, dass es die Christenheit nach fast 2000jährigem
Ringen noch nicht weiter gebracht hat, als bis »zum
apostolischen Glaubensbekenntnisse«.
Man muss wohl erstaunt darüber sein, dass Menschen (Orthodoxe,
Reaktionäre u. s. w.) am Irrtume so starr festhalten und ihn so eifrig verteidigen können. Es ist dieses
natürlich, denn sie machen keine falschen Schlüsse, aber sie gehen
zufolge eines unbewussten Denkprozesses von falschen Voraussetzungen aus.
Daher sind solche Richtungen, zum großen Nachteile der Entwicklung der
Menschheit, so schwer auszurotten. Bei einseitigen Studien und Beschäftigungen
konzentriert sich die Gesamtanlage des Menschen auf den vorliegenden Zweck;
daher schreiben sich nicht bloß die hervorragenden Leistungen im Schlechten
oder im Guten, sondern auch der Mangel jeder Anerkennung fremder Richtungen
und sogar die feindselige Stellung gegen sie. Wir haben es daher nicht selten
tief zu bedauern, dass ein guter Kopf eine schlechte Sache vertritt, ohne geradezu
ein Heuchler zu sein.
Ich mag mich in der ganzen Geschichte der Menschheit umsehen wo ich will, ich
finde nirgends, dass die sittliche Weltordnung durch den toten
Glauben gefördert worden ist; ich finde vielmehr, dass die Menschheit
dadurch mehr und mehr zerfällt, dass Hass und Verachtung gegen Andersgläubige schon in die Herzen der unschuldigen
Jugend gepflanzt, dass, wenn nicht der Fanatismus der Massen, so doch deren Stumpfsinn befördert wird, der sie unfähig
macht, sich selbst zu erkennen und für sich selbst zu sorgen.
Aber nicht Aufklärung und wahre Bildung sind zu fürchten, sondern
die Dummheit der verwilderten Massen, die das Gebot der Vernunft nicht kennen,
wie es so viele Erscheinungen der heutigen sozialdemokratischen Bewegung, die
ja unter den Augen und unter dem Einflusse der Orthodoxie herangewachsen und
großgezogen worden ist, so klar beweisen.
Die meisten Religionen haben tatsächlich sich bisher als kulturfeindlich
bewiesen und es ist wirklich nur ein gedankenlos sich hinschleppender Irrtum,
wenn man meint, dass nur das Christentum in den mehr als 1800 Jahren einen Teil
der Menschheit, nämlich der Christenheit auf die jetzige Bildungsstufe
gehoben habe und dass auch nur das Christentum fähig sei die Menschheit
den höheren Zielen entgegen zu führen. Selbst sonst achtungswerte
Leute sind von diesem Spleen besessen, der bei Vielen in Bekehrungsfanatismus
ausartet.
Wenn im Ohristentum die enorme Bildungskraft läge, die man ihm von manchen
Seiten zuschreibt, so sehe ich gar nicht ein, weshalb man dann statt der alten
Klassiker nicht bloß die Bibel, dieses von simplen Menschen zusammengestoppelte
und konfuseste aller Bücher, gelesen hat. Diese so genannte »heilige«
Schrift würde uns nach meiner tiefsten Überzeugung ganz anderswohin
geführt haben; der heutige Bildungsgrad wäre absolut nicht vorhanden.
Bibelgesellschaften sind ein Angriff auf die gesunde Entwicklung der Menschheit.
Wie urteilen asiatische Männer über solches Gebaren? Zu dem Professor
des Sanskrit Dr. Haug am britischen Kollegium zu
Puma (Präsidentschaft Bombay) sagten Brahmanen
in Betreff des fanatischen Religions- und Bekehrungseifers der Christen: »dieser
Fanatismus ist ein deutliches Zeichen von Geistesschwäche
und Borniertheit. Ein weiser Mann verfolgt Niemanden seiner religiösen
Ansichten wegen.« Ferner: »Ihr macht
Euch ganz abhängig
von Gott, wir dagegen vertrauen uns selbst. Das Christentum kommt von einem
fanatischen Volke, welches eine entschieden tiefer stehende Menschenrasse als
wir ist, ohne alle philosophische Ideen, wenn sie nicht erborgt sind; einem solchen Glauben fügen wir uns nie.« Es steht
geschichtlich fest, dass ganz Asien schon lange vor dem Christentume die Prinzipien
der Liebe und eine Weltreligion nicht ohne zum Teil bessere
Formen hatte als das Christentum. Dessen ungeachtet die landläufige Selbstvergötterung
desselben. Wir haben Grund uns zu schämen.
Erst vor einiger Zeit sagte Labu Partâs Tschander zu Madras in einer feurigen Ansprache an versammelte Hindus
u. a.: »Es gibt allerdings eine Anzahl von
Religionen, einige Grundsätze werden indes von allen anerkannt: dass Gott
aller Vater und die Menschen Brüder sind, dass wir uns dem Allmächtigen
unterwerfen müssen, dass wir nach dem Tode zu einem ewigen Leben eingehen.
Ich halte insofern eine Universalreligion für möglich,
wenn sie auf diese Prinzipien sich gründet.« —
In Japan hat der Mikado die hervorragendsten Männer
aller Religionssekten in diesem Sommer zusammenberufen, damit sie gemeinsame,
für alle verständigen Leute annehmbare Religionsgrundsätze sammenstellten. —
Ist der preußische sektiererische Ober-Kirchenrat nicht wütig über
ein so blasses Nivellement? Schopenhauer meint aber in geistreicher Weise: »Die Religionen
sind wie die Leuchtwürmer; sie bedürfen der Dunkelheit
um zu glänzen.« In der Tat stehen solche Geister
in einer Zeit mit so glänzenden Fortschritten auf anderen Gebieten vollkommen
als Fremdlinge da.
Die Religionen begnügten sich bisher mit dem, was durch irgend eine, gleichgültig
mit welchem Rechte, als vollgültig anerkannte Autorität äußerlich
geoffenbart worden ist. Da haben wir denn eine geoffenbarte
Religion von oft sehr zweifelhaftem Werte. Die Kirchen, d. h. ihre
Träger, wollen aber dann Alles nur durch den Autoritäts-Glauben erzwingen,
dulden keinen Widerspruch und maßen sich sogar in wirklich staatsgefährlicher
Weise ein Strafrecht gegen die Selbstdenkenden an. Aber wir sollen als vernunftbegabte
Wesen denken ohne zu glauben, nicht glauben ohne
zu denken. Schiller sagt: »die goldene Zeit der Geistlichkeit fiel immer in
die Gefangenschaft des menschlichen Geistes«.
Die größten Geister unter den Völkern haben von jeher die Volksreligionen
weit überflügelt, Religionen, unter deren Fittichen völkerbetörende
Gaukeleien betrieben und die größten Gräuel verübt wurden.
Man rechnet, dass in etwa 1100 Jahren das christliche Gewissen, nicht etwa die absolute Moral, gegen 9 Millionen Menschen als
Zauberer, Hexen u. s. w. verbrannt oder umgebracht hat. Das Gewissen aber ist nicht der Ausdruck der absoluten
Moral, sondern es
hängt mit dem jeweiligen Gottesglauben zusammen, er mag noch so borniert
sein. Die Moral selbst wächst nur mit der wahren Bildung, da sie auf der
gegenseitigen Achtung der Rechte und des Glückes Anderer beruht. —
Die positiven nur auf Glaubensphantomen beruhenden Religionen
sind meist nur der Ausfluss der Unwissenheit: je größer diese ist,
desto mehr wächst der übernatürliche, rätselhafte, gedankenlose
Zauberapparat mit welchem die Priesterschaft das Volk umnebelt. Also
Sittlichkeit oder Moral haben ihrem Wesen nach mit den durch bloße Glaubensartikel
getragenen Religionen gar nichts zu tun.
In dem Streite um die leeren Formen der Religionen ging und geht fortwährend
noch der großen Masse das Bewusstsein von dem Wesen und
dem Kerne der absoluten Religion oder der Religion an sich
gar nicht auf. Die Religionen beruhten bisher nur auf menschlich einseitigen Anschauungen; sie sollten aber mehr und mehr auf Erkenntnis gegründet sein. Niemand indes hat das Recht die Anschauungen Anderer zu
verdammen, wenn er selbst, sich einer anderen Anschauung hingebend, noch tief
unter dem Ideale wahrer Erkenntnis steht.
Die Ainos auf der Insel Sachalin
z. B. verehren wie die Giljaken u. a. den
Bären als Gottheit, ernähren ihn gut
und verzehren ihn endlich. Das Bärenfleisch ist ihnen offenbar das Sanktissimum
der Katholiken und der Christen überhaupt.
Ob nun jene das Bärenfleisch mit einem weniger überspannten Gefühl
genießen, als diese das ungesäuerte Brot, mag dahin gestellt bleiben;
es gewährt ihnen aber eine hinreichende religiöse Befriedigung,
die der Ausgangspunkt einer vielleicht ebenso sehr oder ebenso wenig wirksamen
Moral ist als bei den Christen. Es steht indes nicht bloß geschichtlich
und tatsächlich fest, sondern es liegt auch in der Natur der Sache,
dass die Form der Gottesverehrung auf den wahren Wert des Menschen ohne allen
Einfluss ist.
Nichts desto weniger werden wir in ethischer Beziehung nicht alle Formen eine
gleiche Berechtigung beilegen: ihr Wert ist nämlich umso höher, je
mehr der Kultus sich lossagt und fern hält vom rohen Materialismus. Nur das rechte Gottesbewusstsein wird uns die rechte
Form der Gottesverehrung an die Hand geben. Wenn wir erst das Wesen
Gottes erfasst hätten, dann würden wir als verständige und vernunftbegabte
Menschen nicht zweifelhaft sein, wie unser Gott gebührend
zu verehren, welcher Kultus ein Gott und Menschen zugleich entsprechender sein
würde.
Das Christentum wie auch alle anderen Kulte haben ihre Dienste getan, sie unterliegen
den Gesetzen der geistigen Entwicklung in der Menschheit und haben für
hervorragende Geister schon lange nur als Übergangsperioden einen geschichtlichen
Wert gehabt. Wir beginnen aber in ein neues Entwicklungsstadium zu treten, welches
uns moralisch besser und schneller zu fördern verheißt, als die bisherigen
mit Glaubensphantomen umnebelten Bekenntnisse. Freilich ist man vorläufig
noch in ein gefährliches Extrem verfallen.
Die Vergötterung des Körperstoffes, wozu einige Naturforscher
beigetragen haben, wäre Pantheismus in seiner verwerflichsten Gestalt. Wenn aber die einheitliche
Kraft für das
Weltall zufolge streng wissenschaftlicher Forschungen in ein einziges anderes
Agens gesetzt werden dürfte, so wäre dieses der reinste Monotheismus,
welcher sich denken lässt und auf welchen die Naturwissenschaften
mit unwiderstehlicher Gewalt hindrängen. Wenn wir die ganze physische
und psychische Natur und Welt als das Werk seiner Wirksamkeit
erkennen, und wissen, dass dieses Agens allein der unfehlbare
Gesetzgeber des Weltalles ist, dann werden wir einen nur auf
die Wahrheit gegründeten Kultus errichten können, dem endlich die
ganze herangebildete Menschheit huldigen muss, weil ihre natürliche Organisation
überall dieselbe ist. Die Zeit aber, in welcher nur ein Hirt und eine Herde
sein wird, liegt wohl noch sehr fern. Dafür sorgen schon die Glaubensfanatiker
in der Unzahl von Religionssekten. —
Die Religion überhaupt ist das Erfülltsein unseres Geistes mit Gottesbewusstsein und zwar zunächst selbst ohne Kenntnis
der Substanz oder des Wesens von Gott, sondern nur in der Erkenntnis seiner Attribute: Allgegenwart, Allmacht, Schöpfer,
Erhalter und Regierer der Welt nach ewig gültigen Vernunftgesetzen, welche
nur allweise und gerecht
sein können; Gott ist daher ein »gerechter
Richter«, und »liebt alle Menschen«.
Ist aber unser Geist mit Gottesbewusstsein erfüllt, so werden wir selbst
in der Lebens- und Geistesgemeinschaft mit Gott nur solche Handlungen vornehmen,
welche in Übereinstimmung mit Vernunftgesetzen sind, der Menschenwille
soll mit dem Weltwillen, der in der Vernunft seinen Ausgangspunkt hat, zusammenfallen.
Geschieht dieses, so haben wir das »Wohlgefallen
Gottes«.
Wenn wir also den einen wahren Gott, also nicht etwa bloß
den Gott der Juden, der Muhamedaner, der Katholiken, der Protestanten und aller
Religionsbekenntnisse überhaupt gefunden hätten, so würden wir
den einen Mittelpunkt für die ganze Menschheit entdeckt
haben und könnten dann den Grund zu einer Universalreligion legen, welche dem Sturme der Meinungen nicht ausgesetzt wäre und keine
Veranlassung geben würde, dass sich Religionssekten so wahnwitzig
verfolgten, wie es jetzt der Fall ist.
Wir stellen also die unendlich wichtige und tief greifende Frage auf: Wer
ist in Wahrheit Gott? Wer führt das Szepter des unendlichen Weltalls
von Ewigkeit zu Ewigkeit? Wer lässt den Grashalm und den Wurm wachsen?
Wer hat uns und alle Geschöpfe überhaupt erzeugt? Wer regiert mit
unendlicher Kraft und mit strengem Gesetze alle die großen und kleinen
Welten? Wer hat die Liebe in unser Herz gepflanzt und die Sehnsucht nach jenen »himmlischen Freuden«, nach der Ruhe
in »jener Welt«?
Wir dürfen nicht hoffen, diese unendlich wichtige Frage, welche die tiefsten
Forscher aller Zeiten so lebhaft beschäftigt hat, mit einem Schlage beantworten
zu können: wir müssen vielmehr Schritt für Schritt an dem sicheren
Ariadnefaden der Naturwissenschaft., welche sich ja mit den Werken »des
Schöpfers«, also mit Gott, beschäftigt, durch das Labyrinth
der Meinungen und Ansichten zur Klarheit der Erkenntnis zu gelangen und den
Schleier des Bildes von Sais zu heben suchen, um,
zum Entsetzen der Finsterlinge, die Wahrheit in ihrem
Strahlenglanze endlich zu erkennen.
Lassen wir zunächst noch einige Streiflichter auf den Weltprozess fallen!
Der Prozess eines werdenden, im wechselvollen Dasein bestehenden und endlich
in seiner Individualität untergehenden Weltkörpers und Weltkörpersystems
hat sich nach vorliegenden Beobachtungen im Weltraume sicher schon oft abgespielt;
ob aber jede Neugestaltung in gleicher oder in veränderter Weise vor sich
gegangen ist und gehen wird, lässt durch Tatsachen sich nicht bestimmen,
da wir selbst in den Äonen von Zeiten nur Eintagsfliegen sind. Die Erscheinungen
auf unserem Planeten lassen auf beide Fälle schließen.
So viel aber steht unwiderruflich fest, dass der ganze Weltprozess im
Kleinen wie im Großen ein gesetzmäßig logischer war und bleiben
wird. Die Welt ist
eine ununterbrochene Schöpfung,
sie ist und bleibt in einem ewigen Werden und nicht in einem starren
Sein, denn
der Gleichgewichtszustand aller Stoffatome ändert sich fortwährend, ohne dass man mit Eduard
von Hartmann von einem »Atomwillen« reden darf. Wenn v. Hartmann ferner meint, dass
die Materie aufgelöst sei in »Wille
und Vorstellung« und dass somit »der radikale Unterschied zwischen
Geist und Materie aufgehoben sei«; so ist dieses nach den bisherigen Begriffen von
der Materie als
den Stoffen der sichtbaren Körperwelt durchaus falsch.
Dagegen ist Schellings Ausspruch: »Jenseits der Materie ist die reine Intensität«, die den Begriff der »Aktion« enthält, und diese »kann nicht als ein Teil der Materie (nämlich im gewöhnlichen Sinne) angesehen werden«, vollkommen
richtig, und wir würden uns für befriedigt erklären können,
wenn uns Schelling nur die aktive Intensität
genau bezeichnet hätte; er sagt und weiß davon gar nichts.
Es gibt eine Kraft außer den Atomen;
letztere selbst zu Automaten zu machen ist einer der gefährlichsten
Missgriffe, welchen Forscher bisher begangen haben, denn sie geben
den Feinden des Materialismus eine gewaltige Waffe in die Hand.
Der rohe Materialismus lässt auch ferner alle geistigen Tätigkeiten nur von dem Gehirn abhängig sein, der Spiritualismus aber nur von einer Substanz oder von einem immateriellen Wesen außerhalb der Körpers. Wir werden aber finden, dass die Wahrheit
auf keiner dieser beiden Seiten ist; wir werden vielmehr die irdische Materie
des Gehirns von einer überirdischen als beeinflusst ansehen und werden
eine gegenseitige Wechselwirkung und Übertragung zwischen beiden erkennen, wobei der außerirdische
Stoff der ursprünglich tätige und der irdische nur der Gegenstand
der Tätigkeit ist. Geistestätigkeit ist aber in den organischen Stoffen
nur während ihrer lebendigen Wechselwirkung, d. h. während des Körperlebens
vorhanden.
Der Weltprozess besteht in einem fortwährenden Kampfe des Logischen gegen
das Unlogische, des Gesetzmäßigen gegen das Gesetzlose, der Vernunft
gegen die Unvernunft und endet endlich mit der Besiegung der letzteren. v.
Hartmann sagt, die Idee des Weltprozesses sei eine Anwendung des Logischen
auf das »leere
Wollen.« Aber
durch den »Willen an sich« oder das leere Wollen kann man eine äußere Wirkung nicht
erhalten. Der Wille vermag selbst nicht auf die Vorstellung zu wirken. Übrigens
ist das leere Wollen ohne Erfüllung eine Qual.
Spinoza
(geb. 1632) nimmt eine die ganze Natur durchdringende Denkkraft, die »Substanz« an und
meint, dass der menschliche Geist ein Teil eines gewissen unendlichen Verstandes
sei, dass er aber nur während der Lebensdauer des Körpers bestehe
und beim Zerfallen desselben in das All
zurückkehre. - In diesen Worten des tiefen Denkers liegt teils
eine, wenn auch noch unklare, Hinweisung auf die eine Urkraft des Weltalles, teils eine Zurückweisung des eitlen Gedankens an eine
persönliche Unsterblichkeit.
Die »Substanz« Spinozas ist wesentlich das »Unbewusste«
v. Hartmanns. Dieser sagt u. a. »das
im Tier- und Pflanzenreiche wirksame Prinzip ist die Kraft des Unbewussten« und: »das Unbewusste
ist die Ursache aller derjenigen Vorgänge in einem organischen und Bewusstseinsindividuum,
welche eine psychische und doch nicht bewusste Ursache voraussetzen.«
Schade nur dass das Wesen dieses »Unbewussten« ein Nebelhaftes bleibt und dass ihm nur die psychischen Erscheinungen zugewiesen
werden, während es doch auch alle organischen und unorganischen Körper gestaltet.
Weil die Welt eine mit ewiger Schrift in Flammenzügen geoffenbarte Vernunftidee ist, so sagt Hegel mit Recht: »was
vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, ist vernünftig,«
und: »das was ist, ist die Vernunft.«
Aber, wir müssen fragen: ist es bloß eine Idee,
welche sich als Vernunft in der physischen und geistigen Welt offenbaren kann?
Die Idee als solche ist absolut machtlos.
Wenn wir die nur dunkle Ahnungen enthaltenden Aussprüche auch hervorragender
Philosophen durchmustern, so ist uns der einheitliche Begriff des Weltenbeherrschers
dadurch noch nicht klar geworden.
Linné z. B. spricht von einem Wesen aller Wesen, einem Urheber
aller Wirkungen,
einem Baumeister, einem Regierer des Weltalls und sagt: »Wer
dieses Wesen dieses (infinite ens) einen
Regierer der Welt nennt, irrt nicht, wer es Erzeuger nennt, irrt nicht, wer
es Vorsehung nennt, nennt es recht; denn die Welt entfaltet nach seinem Ratschlusse
ihre Tätigkeit.«
Oersted dringt etwas tiefer ein, wenn er das ganze Dasein ein Vernunftreich
nennt und weiter sagt: »eine von der Vernunft durchdrungene
Naturanschauung zeigt uns das ganze Dasein als ein unendliches, ewiges Werk
der lebenden Vernunft, die wir in Beziehung auf ihr Selbstbewusstsein
Gott nennen«.
Wir werden im Verlaufe unserer Untersuchungen aber erkennen, dass weder von
Ratschlüssen, noch von Selbstbewusstsein bei unserer einheitlichen weltbeherrschenden
Kraft die Rede sein kann.
In den bisherigen Anschauungen verschwimmt Klares mit Unklarem, Wahres mit Falschem
noch so sehr, dass wir eigentlich immer noch ratlos dastehen. Was sind Platos Ideen? Was ist Hegels absolute Idee oder das reine
Sein? Was ist Schopenhauers Wille, Schellings
Potenz an sich (Wille an sich) oder Subjekt-Objekt? Was ist Spinozas Ursubstanz mit unendlichem Denken, Kants Ding
an sich? Was endlich v. Hartmanns Unbewusstes?
Oken‘s Anschauungen sind oft ebenso geistreich
als widerspruchsvoll. Wenn er sagt: »es ist Alles
Gott, was da ist« so ist dieses doch der verwerflichste Materialismus,
in welchem wenig geändert wird, wenn er an einer anderen Stelle bemerkt: »die Materie ist das lebende Gewand Gottes.«
Zu einer tieferen Anschauung aber erhebt er sich, wenn es heißt: »der Äther ist der göttliche Leib« und: »Gott
und Äther sind identisch.« Es ist zu bedauern, dass
diese in die Nacht der verworrenen Ansichten kühn geschleuderten Gedankenblitze
nicht aus dem Feuer der Wissenschaft hervorgegangen sind oder ihre volle Rechtfertigung
bei ihr finden.
Die iranische Religion sieht den unendlichen Raum (twâsha) als Gottheit, und ein Teil der Iranier sogar als oberste Gottheit an.
Darin läge aber ein großer Fehler, wenn man den leeren Raum, welcher absolut kraftlos ist, als Gottheit ansehen wollte.
Die semitischen Religionen späterer Zeiten weisen auf einen Monotheismus
hin.
Dagegen ist Büchners Ausspruch (Kraft
und Stoff, 1. Art. S. 93): der Stoff ist die Alles gebärende und
Alles wieder in sich zurückziehende »Mutter« ein durchaus unannehmbarer Materialismus, wenn wir die gewöhnlichen Körperstoffe
verstehen, wie es nach Büchners ganzer Auffassungsweise
nicht anders sein kann. (Ich will übrigens Büchners große Verdienste nicht herabsetzen,
denn er hat mächtige Funken in die Finsternis des Volkes geschleudert.)
v. Hartmann spricht mit seinem »Unbewussten« eigentlich am offensten den Zustand der heutigen Forschung aus.
Das ruhelose Ringen der philosophischen Geister nach der Erkenntnis der einheitlichen
Kraft für die Welt mit allen ihren Erscheinungen ließ zwar die Hoffnung
durchschimmern, dass es der exakten Wissenschaft einst gelingen werde, den
einen wahren Gott des Weltalls zu entdecken, und dem theologischen,
weltzerfleischenden Irrwahn somit den Lebensfaden abzuschneiden; aber ein absolut
sicheres und klares Ergebnis haben wir bis jetzt daraus noch nicht gewinnen
können. Wir wollen uns indes bemühen, die Sprache der Philosophen,
die uns mit ihren ungewohnten Ausdrücken sehr oft wie eine ganz fremde
gegenüber tritt, überall in eine uns Allen verständliche zu übertragen,
um so ihre in der Tat oft tiefen Forschungen nutzbarer zu machen.
Die Philosophen haben aber einen recht fruchtbaren Boden so lange nicht gefunden
als sie die Ergebnisse der Naturwissenschaften noch nicht aufnahmen oder noch
nicht kannten. Man hat dem Grundsatze, dass die Natur mit allen ihren Körpern
und Erscheinungen nur durch sich selbst erfasst werden kann, eine viel zu geringe
Bedeutung beigemessen. Wir sehen aber mit Freude, »dass
der Gang der Philosophie eine Umwandlung mystisch-genialer Konzeptionen in rationelle
Ergebnisse« mehr und mehr anzunehmen im Begriff ist. Den Gegnern Darwins, dessen eifriger
Anhänger ich bin, will ich aber gern zugeben, dass seine Lehre noch unzureichend
ist auch alle psychischen Erscheinungen zu erklären und die Frage nach
der einen Alles beherrschenden Kraft wissen¬schaftlich
zu beantworten.
Spinoza, dieser von seinen Glaubensgenossen so grimmig verfolgte Jude,
einer der tiefsten Denker, den die Erde je getragen hat, sagte:
»Gott ist eine Ursubstanz mit unendlichem Denken,
unendlicher Ausdehnung mit unendlichem Sein; sie ist unteilbar, wirkt gesetzlich,
ist die bleibende Ursache aller Dinge. Die besonderen Dinge sind nur Kraftäußerungen
Gottes«.
Spinoza verwarf also schon vor mehr als 200 Jahren
den Glauben an einen persönlichen Gott, der irgendwo im Weltraume seinen
Sitz haben solle.
Auch der bedeutende Astronom, aber furchtbare »Gotteslästerer«
Lalande schrieb:
»Ich habe den Himmel überall durchforscht und
nirgends eine Spur von Gott gefunden.«
Der berühmte Pater Secchi und jeder Denkende
stimmt heutzutage diesen Männern bei. Die großen Massen des Volkes,
welche durch die Kirchen im Glauben förmlich gezüchtet werden, so
wie ihre Zuchtmeister erheben über eine solche Gottlosigkeit freilich ein
Zetergeschrei, dass die Welt einfallen möchte. Aber je mehr die Denkkraft
des Volkes durch vernunftgemäße Erziehung angeregt und genährt
werden wird, desto mehr wird der persönliche Gott für
die moralische und vernünftige Entwicklung der Völker als entbehrlich,
ja als schädlich erkannt werden. Wenn es einen persönlichen Gott gibt, der allmächtig ist, warum hat er da nicht sittlich fertige Menschen
geschaffen , sondern warum lässt er das Laster blühen, warum die wahre
Sittlichkeit erst durch schwere Kämpfe erringen und dafür die Lasterhaftigkeit
mühelos gedeihen?
Auf die Gefahr hin von den Finsterlingen verketzert zu werden, wollen wir uns
also der sicheren Leitung der exakten Wissenschaften anvertrauen und nach dem unpersönlichen Gotte des Weltalls forschen.
Wenn wir hören: »Gott ist ein Geist«
(2. Korinther 3, 17.), so können wir diesen
Ausspruch nur dann als unverfänglich annehmen, wenn wir unter Geist etwas
Unsichtbares oder vielmehr etwas Unkörperliches überhaupt verstehen.
Diese Bedingung würde der uns bereits bekannte Weltäther wohl
erfüllen. Wollten wir aber unter Geist in jenem Ausspruche etwas absolut
Immaterielles verstehen, so würde ein solcher Gott auf die Stoffe im Weltraume naturgesetzlich
durchaus nicht wirken können. Gott
ist also kein Geist im landläufigen Sinne.
Der Weltäther allein ist das ewig Seiende
des Weltalls; die Weltkörper selbst mit allen ihren Wesen sind das ewig
wechselnde, das niemals Seiende, sondern das stets
Vergehende und einer Umgestaltung Unterworfene. Von dem Weltäther wissen
wir bereits, dass er durch den ganzen Weltraum nach streng logischen Gesetzen
wirkt; er beherrscht alle Stoffatome im Weltraume und tritt auch mit denen des
organisierten Körpers in eine mechanisch-gesetzliche Wechselwirkung. v.
Hartmann spricht in seiner Philosophie des Unbewussten auch von einem »unfehlbar Logischen im Unbewussten« und schreibt ihm organisches Bilden, die Erscheinung der Instinkte u. s. w. als Wirkungen zu. Wenn er aber dem »Unbewussten« einerseits Unteilbarkeit, andererseits Individualität zuschreibt, so ist dieser Zusammenhang offenbar falsch, weil das Unteilbare
entweder Null oder das Unendliche und dieses kein teilbares Einzelwesen (Individuum) ist. Der Weltäther
ist unendlich, also unteilbar. Das Unbewusste von v. Hartmann
»irrt niemals oder schwankt auch nur, sondern es
trifft augenblicklich und unter allen Umständen das Richtige,« mag
es nach unseren Begriffen neubildend, erhaltend, zerstörend oder nur umbildend
wirken; es handelt nur gesetzmäßig nach logischer
Notwendigkeit, es ist allweise.
In der Tat aber geht die unablässig gestaltende,
ordnende, bildende, belebende Kraft von dem nur gesetzmäßig
wirkenden Weltäther aus, mag es sein bei den für die Atome geltenden
Gesetzen in der Chemie und der organischen Natur, mag es sein bei den das unendliche
Weltall beherrschenden Gesetzen der Gravitation. Selbst wenn eine Erscheinung
dieser unserer Anschauung noch so fern zu liegen scheint, so lässt sie
doch leicht und ungezwungen sich ihr unterordnen. Da es der Weltäther ist,
welcher die Atome und Molekel eines Körpers zwingt je nach ihrer Gestalt
eine bestimmte Lagerung anzunehmen und diese mehr oder weniger energisch festzuhalten;
so wird z. B. einer Stahlfeder, welche man nötigt eine andere Gestalt anzunehmen,
allein durch den Weltäther die frühere Form wiedergegeben mit der
alten Lagerung der Atome und Molekel, welche selbst aber kraftlos sind. Der
Weltäther erhält also auch u. a. eine aufgezogene Federuhr (wie
jede Gewichtuhr durch die Gravitation) im Gange. Wären die Stoffatome
der irdischen Elementarkörper kugelförmig, so würden sie wie
der Weltäther nach allen Richtungen mit gleicher Kraft wirken. Da dieses
nicht der Fall ist, so haben sie mancherlei andere Gestalten, welche auch die
verschiedenen Kohäsionsverhältnisse bedingen.
Wenn nun auch das Wesen der Gravitation, die Körpergestaltung, die Adhäsion,
Kohäsion, die damit zusammenhängende Elastizität und alle statischen
und dynamischen Erscheinungen des Gleichgewichtes und der Bewegung unschwer
auf die Kraft des Weltäthers zurückgeführt werden können;
so scheint doch die Erforschung des Seelenlebens für unsere
Untersuchung eine kaum zu überwindende Schwierigkeit darzubieten. Werden
wir aber, um das Wesen der Seele, ich will nicht einmal sagen, zu begreifen,
sondern als etwas Gegebenes anzunehmen, eines persönlichen Gottes bedürfen,
eines Gottes, welcher uns die Seele eingehaucht hat?*) Darauf
muss mit einem entschiedenen Nein geantwortet werden,
wenn auch leider selbst Darwin meint, dass der Urform für alle Lebewesen vom Schöpfer das Leben eingehaucht worden sei.
*) Das Volk wird immerfort noch durch die Bibel (»das Buch der Bücher,«
in welchem man für alle, auch die borniertesten Geistesströmungen
ein Wort findet) in unvernünftiger Weise belehrt, denn es steht 1.
Mose 2. 7 geschrieben: »Und der Herr machte
den Menschen aus einem Erdenkloß und er blies
ihm einen lebendigen Odem in seine Nase. Und also (!) ward
der Mensch eine lebendige Seele.« — Dr.
H. Lang, Pfarrer in Zürich sagt in seiner Schrift über das Leben
Jesu und die Kirche der Zukunft: »die freie Forschung
der Neuzeit hat der Bibel schon längst den Nimbus geraubt, den Unwissenheit in sie legt.«
Bei der Übereinstimmung der Stoffe, aus denen Tier- und Menschenkörper
zusammengesetzt sind, darf man sich nicht verwundern, dass das Wesen der Seele
bei Tieren und bei Menschen dasselbe und dass der Unterschied nur ein gradweiser
ist. Als Bedingung für das Vorhandensein eines Seelenlebens genügt
aber noch nicht eine rein mechanische Rückwirkung eines organisierten Körpers,
wie sie etwa bei den sog. Sinnpflanzen vorkommt. Die hierbei
auftretenden Bewegungen sind nämlich nur eine Folge der durch eine bloße
Berührung erfolgenden Auslösung einer während der Vegetation
erzeugten Spannung des Molekularzusammenhanges oder eines Reizes durch die Lichtschwingungen.
Wie der ganze Erdkörper und alle seine leblosen und Lebewesen auf ihm von
den unscheinbarsten Anfängen an organisch und logisch gesetzlich sich entwickelt
haben, so auch nicht bloß der menschliche Leib, sondern auch alles menschliche
Können, Tun und Wissen: die menschliche Sprache, die Religion, die Kunst
und Wissenschaft, der menschliche Geist und überhaupt die ganze Geschichte
des Menschengeschlechtes. Die Entwicklung des geistigen Lebens im
ganzen Menschengeschlechte ist im Großen und Ganzen eine mit der von der
übrigen Welt gleichlaufende.
Der Mensch ist nur durch eine mehr und mehr lebhaft gewordene Wechselwirkung
mit der vielgestaltigen Natur und mit Seinesgleichen oft unter den härtesten
Kämpfen das geworden was er ist; jede außernatürliche Einwirkung ist eine leere Erfindung und Phantasterei. Gerade seine im Naturzustande
noch vorhandene Schwäche gegenüber der kräftigeren Tierwelt musste
ihn anspornen auf Mittel eines erfolgreichen Kampfes zu sinnen. Je mehr er sich
befreite von der Bewältigung durch rohe Naturkräfte und je mehr er
diese nicht nur ungefährlich, sondern sogar für sich nutzbar zu machen
verstand, desto mehr schritt er in seiner geistigen und menschenwürdigen
Entwickelung vor. Die Menschheit zieht mit ihren weiteren Fortschritten sogar
die übrige organische Welt nach und nach immer mehr in ihre Dienste, so
dass schließlich fast nur Kulturpflanzen und Kulturtiere leben werden.
Die Erscheinungen auch im gesamten Völkerleben sind ganz entsprechend denen
im übrigen Naturleben. Völker entwickeln sich, bleiben auf einer gewissen
Stufe bisweilen lange stehen, gehen im Kampfe ums Dasein zugrunde, neue treten
auf die Weltbühne, überragen die alten, und so wächst unter dem
Einfluss der freien geschlechtlichen Wahl und unter dem Gesetze der Vererbung
die Krone des Baumes der tieferen Erkenntnis immer höher und höher.
Wie in allen Gebieten der Natur, so kommen zwar auch hier Rückfälle
vor (ich erinnere nur an den in der katholischen Kirche
einreißenden Baalsdienst); aber niemals zeigen sich plötzlich
sehr bedeutende Sprünge nach vorwärts (natura
non facit saltum), wenn auch einzelne
Meteore im Gebiete der geistigen Welt die Zukunft prophetisch anzeigen. Einzelne
Männer führen das Schlepptau für die große Menge und leiten
sie ohne größere Umwege und Fehltritte schneller zum rechten Ziele.
Ja ganze Völkerschaften werden dann, wie jetzt die Chinesen und Japaner
von dem Strome der Zeit in das Kulturleben mit fortgerissen.
Auch geistig hochbegabte oder geniale Menschen sind das Produkt äußerer
günstiger Einwirkungen und Umstände: eine glückliche und harmonische
Verbindung der Eltern, Erziehung, Natureinflüsse, Zeitumstände verschiedener
Art und eine normale und bildsame Organisation. Ländergestaltung und wiederholte
Umgestaltung der Erdoberfläche, die zu frei- und unfreiwilligen Wanderungen
und dann zu Anpassungen an neue Lebensbedingungen die Veranlassung und Nötigung
wurden, ferner die damit zusammenhängenden Natureinflüsse wie Licht,
Luft, Temperatur, Klima überhaupt und Ernährungsweise haben auf die
Entwicklung des ganzen materiellen und geistigen Lebens wesentlichen Einfluss:
Verkümmerung (Steppengebiete) oder fröhliche
Entfaltung (Altgriechenland), Schlaffheit oder
Energie des Körpers und Geistes, Rohheit oder Sanftmut, Trägheit oder
Fleiß, Stumpfsinn oder lebendiges Bewusstsein, ja selbst verkehrter oder
edlerer Götterglaube, Herabdrückung oder Entwicklung des reinen Denkens
und der Vernunft.
Je niedriger ein Volk steht, desto weniger unterscheiden sich die Einzelnen
in körperlicher und geistiger Beziehung voneinander. (Die
Baskiren z. B. sind aus einer Form gegossen.) Je mehr in der Natur aus
der Einförmigkeit die Mannigfaltigkeit sich gestaltete, desto eher, tiefer
und mannigfaltiger entwickelte sich auch der Mensch, weil die Veranlassung Begriffe
in sich aufzunehmen, zu vergleichen, zu schließen, zu denken mit der äußeren
Anregung wuchs. Ist aber einmal eine gewisse Stufe des Denkens erreicht, so
nimmt dann der Fortschritt einen rascheren Gang als früher und der Mensch
entfernt sich durch eigene Kraft dann schneller von seinen
Urahnen als die Menschen und Völker auf noch niedrigeren Stufen. Die übrigen
bildungsfähigen Völker, werden dann in den Strom der Kultur hineingezogen.
So kommt, jetzt freilich immer noch unter harten Kämpfen, später aber
immer leichter, die »göttliche« Vernunft zur Herrschaft, während die rohen und bildsamen Völker, so
wie alle geistig starren und verknöcherten Naturen naturgemäß
zugrundegehen, wie u. a. die Orthodoxen und Reaktionäre, die das Rad der
fortschreitenden Zeit nicht nur aufhalten, sondern zurückdrehen wollen.
—
Der Kampf ums Dasein muss aber von dem physischen mehr und mehr auf das moralische
und geistige Gebiet übergetragen werden. Die Völker sollen einander
nicht zu vernichten, sondern durch menschenwürdige Eigenschaften zu übertreffen
suchen; die Rassenkämpfe sollen Geisteskämpfe, die Herrschsucht soll
Bildungstrieb und die niedrig stehenden Völker sollen durch Beispiel und
Belehrung höher stehender gehoben werden. —
Wenn Wilhelm v. Humboldt sagt: »die
Weltgeschichte ist nicht ohne eine Weltregierung verständlich,« so kann der Naturforscher dabei niemals an eine, von einen persönlichen
Gott ausgehende Leitung denken, sondern er wird und kann diese Regierung nur
eine naturgesetzliche sein lassen, welche in der Erstrebung der in der ganzen
Natur ausgeprägten Vernunftgesetze gipfelt. Das von der weltbeherrschenden
Kraft ausgebende psychische Dasein ist ein fortwährender Kampf des Logischen
gegen das Unlogische, des Vernünftigen gegen das Unvernünftige, welcher
wenn auch nur allmählich, mit dem Siege des ersteren enden wird.
Wie wenig unser Leib durch eine schöpferische Tat eines persönlichen Gottes plötzlich
in die Welt gesetzt worden ist, ebenso wenig ist auch der Geist uns
durch einen solchen Gott eingehaucht worden. Auch er ist das Ergebnis einer
mit dem leiblichen Organismus stufenweise fortschreitenden Entwicklung. Dieses
hier, wenn auch nur in allgemeinen Umrissen, zu zeigen sind wir nach dem Plane
der Schrift verpflichtet.
Wie also der organische Leib das Ergebnis einer allmählichen
äußerst langsamen Entwicklung ist, so auch die Seele des tierischen Körpers,
welche beim Menschen durch das Selbstbewusstsein und Denken den
höchsten Grad von Vollkommenheit erreicht hat, so dass Denken und menschliches Sein untrennbar sind: »Ich denke, also bin ich.«
Um nun über das Wesen der Seele uns zu verständigen,
müssen wir uns erinnern, dass von den verschiedenen höchst wunderbar
zusammengesetzten Organen aus Empfindungsnerven nach dem Gehirn als dem Zentralorgane
gehen und sich hier in eine außerordentliche Menge äußerst
feiner Ästchen verbreiten. Von dem Gehirn aber gehen Bewegungsnerven aus,
die mit jenen in äußerst verwickelter Weise verflochten sind und
mit den Muskeln in Verbindung stehen.
Wenn wir die Tatsachen anstaunen, dass die Molekularbewegungen in einem Eisendrahte
fähig sind die Tonschwingungen nicht bloß einzelner Instrumente sowohl
nach ihrer Höhe als auch nach ihrer spezifischen Verschiedenheit
(Klarinette, Horn, Flöte u. s. w.), sondern auch verschiedener Instrumente
in einem Konzerte gleichzeitig überzutragen; wenn wir es ferner bewundern
wie die Atombewegungen in einer elektrischen Batterie in veränderter Form
durch den Telegraphendraht mit Blitzesschnelligkeit fortgepflanzt und wie dadurch
selbst Massenbewegungen (u. a. des Hammers bei Glockenwerken) erzeugt werden;
wie die bewegende Kraft dabei selbst auch auf Entfernungen
(hier durch Luft, die aber auch fehlen kann) sich wirksam zeigt: so möchte
das Staunen und Bewundern wohl seinen höchsten Grad erreichen, wenn wir
die Vorgänge in unserem Seelenleben damit zusammenhalten, und doch sind
auch diese geheimnisvollen Erscheinungen den allgemeinen, rein mechanisch wirkenden
Naturgesetzen unterworfen.
Wenn wir endlich wahrnehmen, dass alle physikalischen Kräfte, wie sie z.
B. im Schall, Licht, in der Elektrizität und Wärme vorkommen, nicht
bloß auf unsere Empfindungsnerven und Muskeln, sondern auch auf die Seele
wirken, und wenn wir andererseits durch unsere Seelenkraft, wie sie im Willen
sich zu äußern imstande ist, physikalische Erfolge erzeugen,(z.
B. eine entfernte Magnetnadel abzulenken); so ist doch klar, dass bei
diesen Wechselwirkungen noch ein Stoff eingreifen muss, der sich zwar unserer
sinnlichen Wahrnehmung entzieht, aber in beiden Fällen die Atome der angewendeten
Körper beherrscht.
Wenn man nun in der Physiologie fortwährend noch von einem besonderen »Nervenprinzip« spricht, welches in den Nerven und durch die Nerven teils die Vermittelung der Außenwelt mit dem Zentralorgan, teils die Rückwirkung von da aus an die Außenwelt
angeblich vermittelt: so ist mir bei dem heutigen Stande der Physik jenes Wort
immer nur als ein gedankenloser Notbehelf erschienen;
Denn
eben, wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zu rechter Zeit sich ein.
Mit Worten lässt sich trefflich streiten.
Mit Worten ein System bereiten.
Weil einzelne sich gestehen müssen, dass sie mit dem »Nervenprinzip«
durchaus nichts anfangen können, sondern weil sie etwas mehr Greifbares
haben wollen, so sprechen sie von einem »Nervenäther«,
um die psychischen Vorgänge auf eine reale Grundlage zurückzuführen.
Ein besonderer Nervenäther ist aber auch eine Illusion.*)
*)
Graf A. de Gasparin schreibt einem
»Nervenfluidum« die Wirkungen zu, welche die Spiritualisten
der Geisterwelt beilegen; Prof. Thury glaubt dafür
eine allgemeine verbreitete »Weltkraft« annehmen zu müssen
und der Akademiker Dr. W. Richardson spricht von
einer »nervösen Atmosphäre.«
Es ist aber hier vorzüglich festzuhalten, dass der Weltäther, wie
er die Atome aller Stoffe, so auch die der Nerven und des Gehirns umgibt, an
ihren Bewegungen teilnimmt, eine Übertragung bewirkt und so überhaupt
eine Wechselwirkung zwischen ihnen vermittelt. Es lässt sich durch einen
einfachen Versuch sogar nachweisen, dass er eine vermittelnde Teilnahme zeigt.
Wenn man bei einem Frosche das Rückenmark von vorn nach hinten der Länge
nach halbiert, so be¬schränken sich die auf äußere Reize
erfolgenden Bewegungen (die Reflexbewegungen) des
Frosches nur auf die gereizte Hälfte. Lässt man aber bei jenem Schnitte
eine wenn auch ganz schmale Verbindungsbrücke oder durchschneidet man ohne
Längenschnitt jede der beiden Hälften quer an zwei Stellen, die nur
in einiger Entfernung von einander liegen. so entstehen durch Reizung eines
Hauptpunktes allgemeine Reflexbewegungen. Die Wirkung der Reizung hält
sich also nicht an die vorgezeichneten Bahnen, sondern sucht sich unter Mitwirkung
des die Atome umgebenden und beherrschenden Weltäthers, dieses bisher sogen.
Nervenprinzips, neue Bahnen. Er vermittelt auch in der Physik
die Wirkung auf die Entfernung. Die chemische Beständigkeit der organischen
Gebilde wird während ihrer Lebenszeit allein durch den Antrieb des Weltäthers
(nach v. Hartmann des »unbewussten
Willens«,) aufrechterhalten, so dass er allein das Lebensprinzip
ist. Da der Weltäther in seinem Wesen absolut unveränderlich und von
den Körperstoffen völlig unabhängig ist so kann er weder selbst
erkranken, noch für sich in einem Organismus eine Erkrankung bewirken.
Es ist überraschend dass v. Hartmann durch
reines Denken in Betreff seines »Unbewussten«
zu demselben Ergebnis gelangt ist. Er sagt nach einer Reihe von geistvollen
Untersuchungen: »Es muss also ein
über den materiellen Leitungsgesetzen der Nervenströmungen
stehendes Prinzip (?) vorhanden sein, welches die Veränderungen der Umstände
schafft, vermöge deren die Bahnen jener Nervenströmung verändert
werden, und dieses Prinzip kann nur ein immaterielles sein.«
v. Hartmann meint wohl, dass es insofern
immateriell ist, als es mit den irdischen, überhaupt den Weltkörperstoffen,
nichts gemein hat. Er charakterisiert dieses Prinzip nicht und kann es auch
von seinem Standpunkt aus nicht, denn es ist ihm das »Unbewusste«:
aber es ist nichts als der Weltäther. —
Er ist es auch allein, der in allen normal organisierten Menschengehirnen bei
allen Rassen auf der ganzen Erde die Einheit des Bewusstseins erzeugt, indem er an den Schwingungen der Gehirnatome nicht nur gleichmäßig
teilnimmt, sie überträgt und je nach dem Zustande derselben auch Umwandlungen
der Bewegungsarten vermittelt, sondern auch seine Gesetze einprägt. Daher
kommt es u. a. auch, dass die Instinkte keiner Lehre und Übung bedürfen,
sondern sogar ohne jede Mitwirkung von außen in die Erscheinung treten,
wenn die Veranlassung dazu eintritt. Wenn das soeben geborene Kalb an das Euter
seiner Mutter gehen will, so braucht es nicht erst angewiesen zu werden, in
welcher Aufeinanderfolge es seine Beine gebrauchen soll, um nicht zu fallen
u. s. w. Wie der Weltäther die Gravitationsgesetze erzeugt, so sorgt er
auch hier für die Erhaltung des Gleichgewichtes.
Wenn v. Hartmann ferner u. a. sagt:
»Das Prinzip
der praktischen Philosophie
besteht darin, die Zwecke des Unbewussten
zu Zwecken seines Bewusstseins
zu machen«; so heißt dieses in der einfachen Sprache der
Naturwissenschaft: Es ist eines jeden Menschen Lebensaufgabe seinen Willen unterzuordnen
dem Weltwillen, oder den vom Weltäther ausgehenden und in der ganzen Erscheinungswelt
erkennbaren Vernunftgesetzen. Dann sind die Ziele des Bewusstseins nicht
mehr auf das gegenwärtige Diesseits oder auf ein bestimmtes Jenseits gerichtet, sondern verschwimmen in dem allgemeinen Weltprozess, für welchen Jeder mit voller
Hingabe kämpfen und leisten soll. »Nur in der
vollen Hingabe an das Leben
und seine Schmerzen, nicht in feiger persönlicher
Entsagung und Zurückziehung (Klosterunfug)
ist etwas für den Weltprozess zu leisten«.
Der tätige Weltwille liegt aber zweifellos im Weltäther:
denn er wirkt mathematisch streng (Gravitations-, Kristallisations-
u. a. Gesetze), er beherrscht wie die rein vegetativen Lebensprozesse,
so auch die Instinkte, die Seelentätigkeiten, die Vernunft, den Willen. Schelling sagt weniger klar als ahnungsvoll: »Wollen
ist Ursein« und »der Wille ist es,
welcher der ganzen Welt und jedem einzelnen Dinge das Dass verleiht«.
v. Hartmanns Ausspruch: »Es gibt nur das
Unbewusste und seine Tätigkeit, aber nichts Drittes«; ist
für uns leicht zu deuten. Das Unbewusste ist der Weltäther, das Werk
seiner Tätigkeit ist die sichtbare Welt. Die durch den Weltäther im
Weltraume erzeugten Entwicklungen sind ein steter Weltprozess des Ewigwahren
gegen das, was nicht ist, wie es sein soll.
Kehren wir nun zur physikalisch-physiologischen Wirksamkeit des Weltäthers
in dem organisierten Leibe zurück! Die Schwierigkeiten sind weniger groß
als es scheint. Die Übertragung der Zustände der Außenwelt nach
dem Zentralorgane geschieht durch die Empfindungsnerven, der Weltäther
nimmt organisatorisch teil bei den Bewegungen der Gehirnatome und diese werden
unter Umständen von ihm zu Rückwirkungen auf die Bewegungsnerven veranlasst.
Um aber das Wesen der Seele zu begreifen müssen wir noch dem Zentralorgan
etwas Aufmerksamkeit widmen. Es muss sogleich an der Spitze behauptet werden, dass es eine Chimäre ist, die Seele als etwas absolut Unmaterielles
anzusehen; denn es ist eine Tatsache, dass wir mit der allmählichen
Beseitigung der einzelnen Gehirnteile wie einem Tiere so auch dem Menschen die
Seele gewissermaßen stückweise herausschneiden können. Es bleibt
ihm dann nur ein vegetatives Leben übrig. Vom kleinen Gehirne aus gehen
vorzüglich die Nerven für die Organe, vom großen, welches beim
Menschen mit seinen Halbkugeln von der Stirn aus die anderen Gehirnteile überdeckt
und mit einer grauen Nervensubstanz, die aus eigentümlichen kugeligen oder
strahligen Zellen besteht, bekleidet ist, sind wesentlich die rein-geistigen
Tätigkeiten abhängig.
Wenn schon Protagoras (in
der Mitte des fünften Jahrhunderts vor Chr.) sagte: Der
Mensch ist das Maß aller Dinge, so ahnte er den innigen und gesetzmäßigen
Zusammenhang zwischen der Außenwelt mit ihren wechselnden Zuständen
und der menschlichen Erkenntnis durch seine Organe. Da jene aber der Ausfluss
einer über ihnen stehenden und sie beherrschenden Kraft sind, so liegt
darin auch die gesetzliche Abhängigkeit unserer eigenen Natur von ihr.
Auch Spinoza spricht schon mit anerkennenswerter
Klarheit über die Wechselwirkung zwischen uns und der Außenwelt,
indem er behauptet, dass der Mensch die Außendinge nur mittels der Veränderungen seines eigenen Köpers auffasst; wenn er aber hinzufügt, dass die Vorstellung, welche wir von den physischen Dingen haben, mehr den Zustand unseres eigenen
Körpers als die Natur jener Dinge anzeige, so ist dieses nur in beschränktem
Maße richtig und passt weniger für einen gesunden Geist in einem
gesunden Körper. Wenn wir unserer Weltseele, dem Weltäther, die ihr
im organisierten Körper zukommende Einwirkung anweisen und zuschreiben,
so ist das Wesen der Tierseele nicht mehr so dunkel und rätselhaft, als
man gewöhnlich meint, und wir haben nicht mehr notwendig zu einem persönlichen, Wunder wirkenden
Gott zu greifen, um schließlich unseren Verstand gefangen zu geben.
Wir werden übrigens unter den Seelentätigkeiten die rein mechanischen
von den wesentlich physischen unterscheiden müssen. Wie es in der Physik Zurückwerfungs- oder Echoerscheinungen
gibt (bei Schall, Licht, strahlender Wärme, dynamischer
Elektrizität), so auch im tierischen Organismus in Betreff der durch
die Nerven geleiteten Schwingungen von Gegenständen der Außenwelt.
In dem Zentralorgan werden durch Übertragung der Zustände der Außenwelt
Bewegungs¬zustände erzeugt, welche mit jenen Veranlassungen erscheinen
und verschwinden (Ton), oder einen bleibenden Lagerungs-
oder Spannungszustand der Gehirnatome erzeugen.
Wie es ferner in der Physik Umwandlungen von Bewegungsarten gibt (Wärme
z. B. lässt sich in Schall oder Elektrizität umwandeln), welche
durch die Gestalt und Lagerung der Stoffatome, auf welche die Bewegungen treffen,
erzeugt werden, so auch werden im Organischen Körper, namentlich in der
Substanz des Zentralorgans, die durch die Empfindungs¬nerven angekommene
Schwingungen umgewandelt, z. B. plötzlicher Schall oder schnelle Abkühlung
erregt Schrei etc. Der Schrei des Kindes bei seiner Geburt ist bloß als
Folge des so plötzlichen Temperaturwechsels anzusehen.
Dieses sind unwillkürliche, unbewusste, rein mechanisch eintretende Rückwirkungen
oder Reflexbewegungen der Nerven zufolge äußerer Reize und sind somit
unfähig einen Vorsatz zu fassen.
Wir müssen diese Erscheinungen als solche ansehen, bei denen der erregende
Reiz einen Empfindungsnerven trifft, welcher ihn bis zu einem Teile des Zentralorgans
fortpflanzt, worauf er von diesem auf motorische Nerven überspringt, die
dann ihrerseits eine Muskelbewegung auslösen. Diese unbewussten Reflexwirkungen
treffen augenblicklich und zweifellos das Richtige, während bewusste Überlegung
in vielen Fällen. wie z. B. beim Balancieren eines Menschen auf einem Seile,
zu spät kommen würde.
Man erstaunt wirklich über die Schnelligkeit solcher Reflexbewegungen bei
Pferden, welche nicht bloß nach der Musik mit großer Präzision
tanzen, sondern selbst nach den Bewegungen der Hände, des Kopfes oder auch
nur der Augen des Führers die verwickelsten Bewegungen einzeln oder selbst
bis zu 6 oder 8 Stück ausführen. Diese letzteren Erscheinungen müssen
wir wohl schon als eine Reaktion der Seelentätigkeit ansehen,
wie u. a. auch die Sympathie, wobei der die Gehirnatome umgebende Weltäther
in lebhafteren Schwingungen sich befinden wird, so dass der physische Mechanismus durch Leitung und Übertragung der Schwingungen zu einem psychischen geworden
ist. Die einfachen Reflexwirkungen sind bloß mechanische Rückwirkungen
auf äußere Reize, mit denen sie erscheinen und verschwinden, und
sie sind unfähig einen Vorsatz zu fassen. Ist aber letzteres der Fall,
so zeigt sich der Organismus beseelt, und es treten bewusste Reflexwirkungen
ein.
Die Seele ist
die lebendige Wechselwirkung
zwischen den Atomen
des organisierten Körpers
und dem Weltäther.
Sowie diese Wechselwirkung aufhört oder sich nur beschränkt auf die
Herbeiführung der zur chemischen Verwandtschaft notwendigen Atombewegung,
so entweicht die Seele aus dem Körper, d. h. der Weltäther, diese Weltseele, hört
auf die Atome des Organismus ohne Veränderung ihres materiellen Wesens
gesetzmäßig zu beherrschen, sie zu ordnen zu gruppieren, an allen
ihren Bewegungen teil zu nehmen.
Ist bei einem Organismus ein gleichmäßig gegliederter Zusammenhang
der Körperteile vorhanden, wie bei Regen- und anderen Würmern, so
können Teile nach der Trennung vom Ganzen noch beseelt bleiben und dann
als Einzelwesen selbstständig fortleben. Bei anderen Tieren, den Gliedertieren,
behalten die Hauptteile nur einige Zeit noch einen bewussten Willen, bei noch
anderen aber haben die Stücke nur noch eine unbewusste Bewegung ehe sie
absterben.
Bei den nach Raum und
Zeit auf unsere Sinne hinreichend kräftig erfolgenden Einwirkungen
von außen bilden sich in unserem Gehirne durch Übertragung auch bleibende
Anordnungen der einzelnen Atomgruppen, gleich wie sich aus einer kristallisierbaren
Flüssigkeit auch durch mechanische Anregung Kristalle erzeugen. Wenn nun
auch die Außenwelt aufgehört hat unmittelbar auf die Sinne einzuwirken,
so bleiben doch noch die Eindrücke derselben, wir sind uns also der früher
erhaltenen Eindrücke noch bewusst und können uns auch ohne eine nachfolgende
Einwirkung ein treues Bild von ihnen machen, d. h. wir haben eine Vorstellung von ihnen.
Dass Vorstellungen im Gehirne nach und nach verklingen liegt in dem Widerstande,
den die bestimmte Lagerung der Gehirnatome bei der Aufnahme der Vorstellung
entgegensetzte und welcher sie in die ursprüngliche Lage zurückzuführen
strebt, gleichwie es bei einer ans ihrer Lage gebrachten angespannten Saite
der Fall ist. —
Auch das Tier kann sich von Außendingen klare Vorstellungen machen wie
der Mensch und sie sind jenem oft fester eingeprägt als diesem, wie uns
u. a.. der oft so außerordentlich entwickelte Ortssinn beweist; aber das
Tier vermag nicht Begriffe zu bilden und kann nur
in beschränktem Maße Ursache
und Wirkung verbinden. Die Kausalität ist überhaupt nicht eingeboren, sondern nur
allmählich entwickelt und dann erst angeboren.
Gleich wie wir nicht alle Ätherschwingungen als Licht, nicht alle Luftschwingungen
als Ton erkennen, so werden auch nicht alle auf das Hirn übertragenen Bewegungen
überhaupt geeignet sein schon bleibende Eindrücke oder Vorstellungen
zu erwecken; sondern sie müssen bei jedem Menschen eine gewisse Stärke
erreicht haben, um klar und fest zu sein.
Wie ferner eine Saite von bestimmter Spannung nicht für jeden beliebigen
Ton eine Resonanz besitzt, sondern nur für den ihrer Spannung entsprechenden:
so wird auch in einem Hirn nur dann eine bewusste Vorstellung entstehen, wenn
die Anordnungen seiner Atome geeignet ist diese Vorstellung fest zu halten und
ein klares Abbild zu geben. Wie aber endlich der Ton einer Saite allmählich
verklingt, so verwischt auch die Zeit die Vorstellung mehr und mehr.
Die Erscheinungen des Gedächtnisses gehören teils zu den mechanischen Reflexwirkungen, teils zu den Äußerungen
des Willens, auf welchen wir noch zu sprechen kommen. Durch wiederholtes Hören,
Vorlesen, Selbstlesen empfängt das Hirn mehr oder weniger leicht bleibende
Eindrücke, und diese werden dann in späterer Zeit durch den Willen
objektiv ausgelöst. Bei Irrsinnigen geschieht diese Auslösung oft
unwillkürlich, so dass sie unbewusst denselben Satz stundenlang wiederholen.
Auch die Gedächtniseindrücke verschwimmen mit der Zeit mehr oder weniger.
Das fügsame jugendliche Hirn nimmt die Eindrücke leichter an und hält
sie nach ihrer Befestigung auch länger fest.
Da das Gedächtnis eine Folge des durch lebhafte oder oft wiederholte schwächere
Eindrücke befestigten Zustandes der Molekular- oder Atomgruppen des Gehirns
ist, so kann es durch Erschütterungen desselben vorübergehend oder
ganz verloren gehen. Die geistige Arbeit muss von vorn begonnen werden. in anderen
Fällen, namentlich bei Geistesschwachen, haben Erschütterungen wohltätig
gewirkt.
Lebhafte Eindrücke bringen auch lebhafte Vorstellungen zuwege, indem sie
in den Gehirnatomen eine solche Anordnung und Spannung derselben zurücklassen,
dass es auf irgendeinen Reiz antwortet. Hierbei tritt die Wahrnehmung ein, dass die Fähigkeit für das Festhalten gewisser Eindrücke (Zahlen, Namen, Tatsachen) bei verschiedenen Menschen
sehr verschieden ist. Durch fleißige Übung vermag man diese einseitigen
Anlagen des Gehirns mehr oder weniger zu beseitigen.
Es gibt aber auch schlummernde Gedächtnisvorstellungen,
welche nicht jeden Augenblick durch den Willen zum Bewusstsein gelangen und
dann ausgelöst werden können. Ich weiß z. B. den Namen eines
mir bekannten Gegenstandes, aber ich vermag nicht ihn sofort zu sagen. Es fehlt
zeitweise an einer Leitung zwischen der Hauptbatterie oder den Gehirnteilen,
welche den Gedächtnisgegenstand festhalten und den motorischen Nerven,
welche das Sprechen vermitteln. Der Wille ist dem Bewusstsein nicht
stets zugänglich. Wenn aber das Vergessene auf einmal wie aus dem
Dunkeln hervorblitzt, so hat der Wille die Verbindungsfäden zum Bewusstsein
gefunden. Durch anhaltendes Reiben entsteht Feuer. Die Mnemotechnik bemüht
sich, durch äußere Zeichen dem Gedächtnis und
den in ihm schlummernden Vorstellungen zur Hilfe zu kommen; ein Mechanismus
unterstützt einen anderen.
Dass unser Nervensystem allein nicht ausreicht die von
der Außenwelt anlangenden Eindrücke uns wahrnehmen oder zum Bewusstsein
gelangen zu lassen, ist eine alltägliche Erfahrung. Wenn ich fleißig
nachdenkend schreibe, so höre ich die Uhr nicht schlagen und das Straßengeräusch
stört mich nicht, ja ich vergesse sogar die im Munde befindliche Speise
zu ge¬nießen. Erst mit der Wahrnehmung des sinnlichen
Eindruckes beginnt das Bewusstsein, so dass sie eigentlich der erste Grund für
alles bewusste Denken ist. Wird also das Gehirn durch eine anderweitige energische
Tätigkeit in Anspruch genommen, so entgeht ihm die Wahrnehmung; ein Zeichen,
dass sie eine Seelentätigkeit des Gehirnes ist und nicht bloß von
der Gehirnmasse, sondern noch von einem »höheren Prin¬zip«,
nämlich unserem Weltäther abhängt.
Das Bewusstsein, welches Vorstellungen zu seinem Inhalte hat, ist trotz alles
Stoffwechsels in der Gehirnsubstanz das Bleibende und kann
daher auch nur durch etwas Unwandelbares in seiner Substanz unveränderliches,
von den irdischen Stoffen unabhängiges und unvergängliches Etwas
festgehalten werden. v. Hartmann sagt
was es ist, weiß es aber
nicht: »Das Bewusstsein ist eine bloße
Erscheinungsform des Unbewussten in einem wohl organisierten Körper«.
Wir aber wissen schon, dass dieses Unbewusste nur der Weltäther
sein kann. Die unbeschränkte Denkkraft der Substanz Spinozas
kann zwar an sich Bewusstsein nicht
erzeugen, wohl aber in einem begrenzten Naturkörper als Bewusstsein sich
geltend machen. Die meisten Tiere haben nur ein dunkles,
der Mensch aber ein klares
Bewusstsein. Jene sind also auch ohne eine Geschichte; dieser aber lebt mit
der Kenntnis seiner Vergangenheit, mit dem Bewusstsein der Gegenwart und mit
einer Ahnung von seiner Zukunft. Bei jenen ist das Sein ein mehr passives, bei
diesem ein aktives.
Wenn das Bewusstsein ein klares ist, so sammelt und vergleicht es die Beobachtungen
und schließt davon das Ich
nicht aus. Auf diese Weise wird der Übergang
vom Bewusstsein
zum Selbstbewusstsein,
dieser die Menschennatur charakterisierenden Eigenschaft, gebahnt. Die Entwicklung
des Bewusstseins geht Hand in Hand mit der des Selbstbewusstseins, beide aber
sind nicht dasselbe. Das Bewusstsein geht aus von einem Sichbewusstwerden eines
Objektes oder eines außer uns befindlichen Gegenstandes, beim Selbstbewusstsein
aber wird das Objekt
zum Subjekt. Es
gibt kein Selbstbewusstsein ohne
Bewusstsein, wohl aber Bewusstsein ohne Selbstbewusstsein, Das Bewusstsein an
sich hat keine Grade, weil es nichts als eine rein materielle Rückwirkung
ist wohl aber das Selbstbewusstsein, weil es nicht bloß von einem gegenständlichen
Bewusstsein ausgeht, sondern mit der Entwicklung des Ich innig
zusammenhängt. Daraus entspringen äußerst wichtige Folgerungen.
Die Menschheit lebt z. B. nicht um sich regieren zu lassen, d. h. sie hat nicht
wie das Tier bloß eine Seele, die mit ihrem Bewusstsein in rein passiver
Abhängigkeit von der Weltseele ist; sondern sie hat auch Selbstbewusstsein,
um sich regieren, d. h. im wahren Sinne des Wortes leben zu
können und sich als Verstandesgeschöpf mit der Weltseele als Eines
zu fühlen. Wie weit aber sind wir heute noch von diesem Ziele der Menschheit
entfernt!
Wenn wir uns mir dem Gedanken, dass der Weltäther nicht bloß auf
die Organisation der Gehirnsubstanz von wesentlichem Einfluss ist, sondern auch
mit seinen Atomen in eine lebendige Wechselwirkung tritt, hinreichend vertraut
machen; so ergibt sich, dass das Gehirn bei gesunden Menschen nicht bloß
auf rein mechanische Weise zu Reflexerscheinungen und zu Abspiegelungen der
Außenwelt im Bewusstsein und in den Vorstellungen fähig ist, sondern
dass es bei den wechselnden und vielseitigen Eindrücken von außen
unter Vermittlung der Bewegungsnerven auch zu einer freien Rückwirkung
auf die Außenwelt zu erheben sich vermag, oder es treten, nach
dem sich Vorstellungen erzeugt haben, der Wille und das Wollen in
die Erscheinung. Aber nicht bloß das bewusste Vorstellen, Fühlen,
Begehren und Wollen, sondern auch das bewusste Denken muss vom naturwissenschaftlichen
Standpunkte aus betrachtet werden.
Zunächst aber einige Betrachtungen über den Willen!
Es gibt für jeden Körperteil, dessen Muskeln eine gewisse Bewegung
desselben hervorbringen sollen, bestimmte von diesen Muskeln zum Zentralorgan
gehende Nervenfasern. Sind diese zerschnitten oder verletzt, so vermag der noch
so mächtige Antrieb des Wollens diese Bewegung nicht hervorzubringen; es
ist als ob in der Klaviatur des Gehirns die Saite zu der betreffenden Taste
fehlt. Schlägt man im Gehirn falsche Tasten an, erscheinen auch nicht die
beabsichtigten Bewegungen. Wer ist nun aber der Klavierspieler? Man sagt wohl
der Wille! Aber was ist der Wille? Kann er etwas absolut Unmaterielles sein?
Wenn wir die physiologische Seite des Willens betrachten, so zeigt sich, dass
dazu das Gehirn nicht einmal ausschließlich notwendig ist, sondern dass
teils das Rückenmark (nach Versuchen bei Fröschen), teils die Ganglien
(nach Versuchen bei Insekten) genügen und
dass wir selbst in nervenlosen Tieren (Polypen) noch
Willensfähigkeiteu erkennen.
Hirn und das Rückenmark mit seinen Ganglien sind ihrem Wesen nach gleich,
zu selbständigen Willensäußerungen geeignet und in ihren Leistungen
ziemlich unabhängig von einander; in jenen aber liegt ein höherer
Grad von Vollkommenheit, denn ihm ausschließlich gehört das Selbstbewusstsein
an. Das Rückenmark der Säugetiere steht aber höher als die Ganglien
der Insekten. Die vom Willen unabhängigen pulsierenden Bewegungen des Herzens,
der Arterien und der Därme so wie die andauernden Bewegungen in anderen
Organen, mit einem Worte: die vegetativen Tätigkeiten des Körpers
sind von dem Gehirn unabhängig.
Doch treten wir dem Wesen des Willens näher!
Mechanische Leistungen können nie ohne eine mechanisch wirkende Kraft hervorgebracht
werden. Vollführen wir also mit unserem Körper zufolge unserer Willenskraft
eine Bewegung unserer Glieder oder des ganzen Körpers, so kann dieses nicht
das Ergebnis eines stofflosen Nichts sein, sondern wir müssen festhalten,
dass alle sichtbaren Bewegungen der Stoffe auch von einem Stoffe ausgehen, wenn
er sich auch unserer sinnlichen Wahrnehmung entzöge, wie dieses mit den
Atomen der gewöhnlichen Körper und mit dem Weltäther der Fall
ist.
Beschwere ich meinen Arm, welchen ich aufheben will, mit einem so großen
Gewicht, dass dieses zu tun mir unmöglich wird, so wirkt die Kraft eines
irdischen Stoffes (des Gewichtes) der Kraft meines
Willens entgegen. Statt die vom Willen ins Leben gerufene Kraft anzuwenden könnte
ich um meinen Arm eine Schnur binden, diese über eine Rolle führen
und daran auch ein Gewicht hängen. Von der Größe dieses Gewichtes
wird es abhängen, ob das erste Gewicht auch ohne Mitwirkung meines Willens
gehoben werden kann oder nicht. Ich kann das zweite Gewicht grade so groß
wählen, dass es das erste und das Gewicht meines Armes im Gleichgewicht
hält. Hier also ist der Wille durch das zweite Gewicht ersetzt.
Dürfen wir also meinen, dass der Wille als eine an nichts Materielles gebundene
oder als eine abstrakte Kraft fähig sein kann einer materiellen Kraft das
Gleichgewicht zu halten? Nimmermehr! Es muss auch der Wille ausgehen von einem
Stoffe, welcher in einem gewissen Spannungszustande sich befindet und mit unseren
Körperstoffen (dem Arme mit seinen Muskeln)
in einer leitenden Verbindung steht, so dass er diese Spannkraft wie eine Feder
nur zu lösen braucht, um zur Wirksamkeit zu gelangen. Es geschieht hierbei
durch die Bewegungsnerven eine Übertragung oder Transmission vom Zentralorgan
aus zu den Muskeln. Wie es beim Abfeuern eines Geschützes nur einer unbedeutenden
Kraft bedarf, um nach deren Auslösung einen ungemein großen Erfolg
durch eine zweite als Spannkraft gewissermaßen gefesselte Kraft hervorzurufen,
so auch im tierischen Organismus, bei welchem der Wille die Auslösung erzeugte.
Da nun dieser zu einer mechanischen Leistung fähig ist, so ist
es unmöglich, dass er nicht an einen Stoff gebunden sein sollte.
Die Bewegung der bloßen Gehirnatome aber ist nicht kräftig genug
um für sich eine Tat, d. h. eine äußere Handlung zu erzeugen.
Weil die Gehirnatome vom Äther umgeben sind, so sind Vorstellung und Wille
im »Unbewussten«
(v. Hartmann) verbunden. Die Vorstellung liegt im Hirn, der Wille in
seinem Äther. Obwohl nun der Weltseele, dem Weltäther, die Bedingungen
zu einem bewussten Denken fehlen, obwohl ihm das Denken des
Bewusstseins unmöglich ist; so bringt er doch objektiv in uns die Erscheinung
des Bewusstseins und die Befreiung der Vorstellung vom Willen hervor. Es tritt
eine Wechselwirkung beider ein und sie wirken dabei ungetrennt, gleichwie ich
und mein Spiegelbild, das Subjekt wird zum Objekte und das Objekt zum Subjekte
für den Beschauer.
Die Vollkommenheit der Wechselwirkung hängt von der Beschaffenheit des
Spiegels, d. i. von der Entwicklung der Gehirnsubstanz ab. Wenn nun der bewusste
Wille das Gewollte will, so erscheint eine körperliche Tat. Die
letztere ist das mechanische Äquivalent der vom Gehirn ausgehenden und
von der Spannkraft des Weltäthers eingeleiteten und unterhaltenen Atombewegungen
der Gehirnsubstanz, der motorischen Nerven und der Muskeln. Wir werden durch
viele Erscheinungen in der Physik und Chemie auf die große Kraft hingewiesen,
welche in den Schwingungen des Weltäthers, den man auch Lichtäther
nennt, liegt; z.B. Wasserstoff und Chlorgas verbinden sich unter einer heftigen
Detonation zu Salzsäure, wenn man unmittelbare Sonnenstrahlen auf das Gemenge
leitet. Hier haben wir zugleich eines der wunderbarsten Beispiele davon, dass
durch das Zusammenwirken außerrdentlich vieler kleiner Teilkräfte
ein großer Gesamterfolg entsteht.
Erst also, wenn das Wollen seinen Willen durchsetzt, wird es zur Tat, welche
nur der Gegenwart angehört; ein bloß auf die Zukunft gerichtetes
Wollen ist nur eine Absicht oder ein Vorsatz. Zweck ist aber das vorgesteckte
Ziel, dessen Erreichung nur durch bestimmte ursächliche Mittel, welche
dem Zwecke entsprechen, möglich ist. Geht dieser z. B. auf Bewegung eines
stoffbegabten Körpers, so kann das erste ursächliche Mittel nicht
stofflos sein.
Der Weltäther ist der absolute Wille, die unbewusste Weltseele,
die das Gesetzmäßige. das Logische in uns als Objekt bildet und es
als Inhalt an sich zieht, gleichwie in gleichgerichteten elektrischen Bewegungen
das Bestreben der Anziehung oder der Herstellung einer Einheit liegt. Ein schlechter
Violinspieler kann sein Instrument verstimmen, ein guter aber es verbessern
und es dahin bringen, dass die Holzfasern (Gehirn) willig
die Schwingungen der Saite (Weltäther) annehmen.
Ein gesundes Gehirn denkt korrekt.
Weil Vorstellungen und Bewusstsein die Grundbedingungen für bewusste Willensakte
sind, so sagt Spinoza mit Recht:
»Der Wille ist die Bejahung des Vorgestellten.«
Das Bewusstsein ist dem Willen untergeordnet, aber der Wille ist dem Bewusstsein
nicht unbedingt zugänglich oder mit ihm unmittelbar gegeben. Wir werden
also unter Willen das Bestreben verstehen die Vorstellungen zur Wirklichkeit
zu machen und müssen ihn als die unmittelbare Ursache unseres
in unserem Bewusstsein vorgestellten Handelns ansehen. Der Willensakt ist eine
bewusste Reflexwirkung. Niedere, unbewusste und ungewollte Reflexbewegungen
gehen bloß bei hinreichender Stärke in bewusste Willenstätigkeiten
über.
Schelling sagt: »Das
Wollen ist der Aktus« und »der Wille
an sich ist die Potenz«.
Was mit solchen Phrasen erreicht ist, überlasse ich dem Leser zu beurteilen.
Schopenhauer kommt als scharfer Denker der
Wahrheit zwar viel näher: »der Wille ist das
Wesen der Welt, das Ding an sich«. Aber diese Erklärung enthält
einen Widerspruch, denn »das Ding an sich«
ist das Schaffende und Gestaltende, »die Welt«
dagegen das Erzeugte. Der absolute oder der Weltwille ist der Gestaltungstrieb
des Weltäthers. Der Weltwille ist ein seiner sich nicht bewusster
Wille, welcher ohne Selbstbewusstsein logisch gesetzmäßig
handelt; da er aber die Stoffatome der organisierten Körper umgibt,
ihre Schwingungen leitet und an ihnen teilnimmt, so finden wir auch hei höher
organisierten Tieren und bei Menschen einen Willen, der hier, nämlich im
Einzelwesen, ein bewusster werden kann.
Schon Leibnitz erklärt die unbewussten
Vorstellungen »für das Band, welches
jedes Wesen mit dem ganzen übrigen Universum verbindet«. Wenn
wir uns also unbewussten Gefühlseingebungen ohne denkende Intelligenz überlassen,
so schwärmen wir in dem »unendlichen Nichts« oder unsere Seele
ist mit der Weltseele in einer tatenlosen Verknüpfung; der Weltäther,
dieses seiner selbst nicht bewusste, in unserem Gehirne ist in relativem Ruhezustande
gegen die Gehirnatome. Da haben wir das Bild eines religiösen Schwärmers.
Wenn Schelling gesagt hätte: der Weltwille
(statt der Wille) ist die eigentlich geistige Substanz des
Menschen, der Grund
von Allem, das Einzige im Menschen, das Ursache vom Sein ist; so könnten
wir ihm vollkommen Recht geben. Wenn er aber hinzufügt, dass er
(der Wille) das ursprünglich Stofferzeugende ist, so ist dieses
grundfalsch, weil der Stoff nicht erzeugt worden, sondern von Ewigkeit vorhanden
ist und auch niemals erzeugt werden kann. Das Ende der Schellingschen
Philosophie ging doch darauf hinaus: Aus Nichts hat Gott die Welt erschaffen,
wogegen H. v. Mühler ganz brav und treffend
sang:
Nichts und Nichts zusammen
kleben,
Müsst eine schöne Schöpfung geben!
Nun tritt in Beziehung des Willens noch eine schwierige
Frage an uns. Man spricht so häufig von einem freien Willen:
ich kann wollen und nicht
wollen. Die Frage ob der Wille als solcher frei oder unfrei ist, lässt
sich weniger leicht als man gewöhnlich meint beantworten.
Die Biene baut ihre kunstvollen Zellen, welche bei möglichst wenigem Wachs
einen möglichst großen Rauminhalt besitzen, mit mathematischer Genauigkeit
nicht zufolge eines aus freier Denkkraft hervorgegangen Willens, sondern nach
einer ihr durch Vererbung übertragenen Gewohnheit, welche durch Erfahrung
in langen Zeiträumen den Natur-Vernunftgesetzen sich mehr und mehr angepasst
hat. —
Man darf also nicht meinen, dass die Tätigkeiten von Tieren, welche man
instinktive zu nennen pflegt, zufolge eines selbstbewussten Zweckes geschehen:
Der Vogel bebrütet die Eier nicht, weil er will, sondern
weil er zur Erhaltung seiner Gattung naturgesetzlich brüten muss.
Das Naturgesetz wird ihm vom »Unbewussten«
diktiert und wenn er dabei auch zugrunde geht, wie es wohl vorkommt. Der Spruch:
Du sollst mit Schmerzen gebären, hat noch
niemals die Entwicklung des Menschengeschlechtes aufgehalten. Es ist klar, dass
der Instinkt,
dieses zweckmäßige Handeln ohne Bewusstsein
des Zweckes, eine der wichtigsten Äußerungen des »Unbewussten«
ist. Dass aber der Instinkt nicht bloß ein dem Gehirn stereotyp eingepflanzter
Geistesmechanismus ist, sondern dass er eine Tätigkeit ist, die auch veränderten
Verhältnissen sich anpasst, lässt sich aus vielen Tatsachen nachweisen.
Verschieden organisierte Tiere tun dasselbe (Wandern)
und gleich organisierte Tiere Verschiedenes (Gewebe
von Spinnen). —
Der seiner selbst sich nicht bewusste Weltwille,
unsere Weltseele, ist es, welche den tierischen Organismus unbewusst zu unfehlbar
richtigen mechanischen Verrichtungen antreibt. Das neugeborene Kalb braucht
nicht belehrt zu werden, in welcher Reihenfolge es die Beine zu setzen hat,
um beim Gehen nach dem Euter der Kuh den Schwerpunkt nicht zu verlieren. Wie
der Weltäther zufolge seiner Gravitationswirkung die Ruhe und Bewegung
einer Gleichwaage je nach der Belastung im Gleichgewichte hält oder in
Bewegung versetzt, so verlegt er auch den Schwerpunkt des Kalbes beim Gehen
so, dass das Tier willenlos dem »unbewussten Willen«
oder dem Willen »des
Unbewussten« folgt.
Wenn Zufall
und Freiheit
als absolute Begriffe
betrachtet gleichbedeutend erscheinen, so kann es eine absolute Freiheit
nicht geben, weil es in der Welt keinen
absoluten Zufall gibt.
Wenn wir uns unbewussten Gefühlen,
Gewohnheiten, Leidenschaften
hingeben, so ist dieses nur ein Beweis
davon, dass die Seele
zu denken selbst dann nicht aufhört, wenn
wir uns des Gedankens auch nicht bewusst werden.
Also von einer Freiheit des Willens ist hierbei keine
Rede.
Der Begriff der Freiheit wird schon von Spinoza
auf die unabänderliche Gesetzmäßigkeit der Welt mit allen ihren
Erscheinungen
zurückgeführt; sie ist ihm »das selbstwillige
Vollziehen des Weltbesten«. Kein Mensch
muss das Schlechte
müssen! Da in der Welt Alles untereinander
als Ursache und Wirkung
verknüpft ist, so kann es eine absolute Freiheit
nicht geben. Der Mensch ist sich zwar seiner Handlungen, nicht aber der
sein Tun und Lassen erzeugenden Ursache bewusst, sondern er wird geleitet durch
eine unbewusste Macht, durch ein »Weltprinzip«,
welches man wohl »Gott« zu nennen
pflegt. Wie wenig diese Weltseele gesetzlos oder willkürlich,
also schlecht handeln kann, sondern nur nach festen Gesetzen, also unfrei wirksam
sein muss, ebenso wenig kann der normal, d. h. naturgesetzlich entwickelte
Mensch schlecht handeln, sondern er wird nur in der Entartung
die Schmach der Willkür
und Unfreiheit auf sich nehmen.
Eine unbedingte Willensfreiheit besteht also deshalb nicht,
weil auch der Wille unter dem Gesetze
der Notwendigkeit
steht, welches stets Ursache und Wirkung verbindet.
Wir sind mit unserem Wollen nur die folgsamen Kinder der uns umgebenden und
beeinflussenden Verhältnisse. Der augenblickliche Zustand des Geistes und
die auf ihn wirkenden Beweggründe bestimmen den Willen. Der Geist überhaupt
ist keineswegs absolut frei und selbstständig, weil er durch eine notwendig
gegliederte Kette von Ursachen bestimmt ist. Wenn er aber das Wahre in sich
aufgenommen und lebhaft ergriffen hat, so handelt er gesetzmäßig
und ist tätig; wenn er das Unwahre aufnimmt, so ist er gesetzlos und leidend.
Der Wille ist nun das Bestreben die eine der beiden Richtungen nach außen
geltend zu machen, er ist aber in keinem der beiden Fälle absolut frei,
er ist vielmehr in letzter Instanz dem seinen Organismus beherrschenden Weltwillen
unterworfen. Wir können aber im menschlichen Leben nur den wahrhaft
frei nennen, welcher durch denkende Intelligenz sich den Vernunftgesetzen
des Weltwillens anschließt, nicht
den, welcher von der durch Naturgesetze eingeprägten Freiheit abweicht
oder von ihr den rechten Gebrauch nicht macht, denn er verfällt in Irrtum,
welcher die Unfreiheit und Lüge
ist.
Der Begriff der Freiheit liegt in dem klaren Bewusstsein der
inneren Notwendigkeit, oder sie ist, wie Hegel
sagt, »das Formelle am Vernünftigen«.
—
Je mehr das Bewusstsein wächst, desto mehr die Freiheit, und es ist offenbar
eine Steigerung des Weltprozesses, wenn der Geist sich erkennt, wenn
er zum Selbstbewusstsein gelangt. Das Selbstbewusstsein entsteht nur aus der
in der ganzen Natur hervortretenden Gesetzmäßigkeit, welche uns überfährt
in das Gebiet des Denkens und des Verstandes.
Sie bestehen in der Fähigkeit den logischen Zusammenhang von Ursache und
Wirkung nicht bloß subjektiv richtig zu erkennen, sondern auch objektiv
zu befolgen und zur Erscheinung zu bringen.
Da der Weltäther logisch gesetzlich wirkt, so werden wir in Anerkennung
der Tatsachen es verstehen, wenn ich sage: der Weltäther denkt
unbewusst, der Weltäther ist der unbewusste Wille. Wir werden
es aber demzufolge nicht verstehen, wenn bei Hegel
das mit dem Nichts identische »reine Sein«
den Ausgangspunkt der Logik
bilden soll; denn das Nichts ist eben nichts und kann auch nicht denken, weder
bewusst, noch unbewusst. Wenn wir aber das den Weltraum erfüllende angebliche
Nichts, welches als Körper in der Tat Nichts,
wohl aber als Stoff Etwas
ist, nämlich den Weltäther, als den Ausgangspunkt betrachten, so haben
wir in der Tat eine konkrete Grundlage für das an unseren organischen Körper
während seiner normalen Lebensfunktionen gefesselte logische Denken,
da ja der Weltäther die durchaus logischen Gesetze der Körper- und
somit auch der Seelenwelt diktiert. Unser ganzes organisches und psychisches
Sein wird von derselben Kraft beherrscht, welche die Weltkörpersysteme
zusammenhält.
Das ist vielfältig herausgefühlt worden, wenn man auch das Wesen des
»Unbewussten« zu erkennen nicht vermocht
hat. Carus hat in seinem Buche »Psyche
und Physis« das Unbewusste in seinen Beziehungen
zum Leiblichen untersucht.
Auch Perty und Wundt
suchen den Instinkt
und die Sinneswahrnehmungen auf unbewusste geistige Prozesse
zurückzuführen; desgleichen Helmholtz
und Andere.
Herbart sagt: Es gibt »bewusstlose Vorstellungen,
die im Bewusstsein sind, ohne dass man sich ihrer bewusst ist«,
ohne dass man dieselben »als die seinigen beobachtet und an das Ich anknüpft«,
d. h. ohne dass man dieselben mit dem Selbstbewusstsein in Verbindung
bringt, so dass, wie schon bemerkt, ein wesentlicher Unterschied zwischen Bewusstsein
und Selbstbewusstsein
vorhanden ist.
Schelling sagt in einer allerdings etwas mystischen, aber jetzt für
uns doch verständlicheren Weise, als er es selbst wohl gedacht hat: »Dieses
ewig (!) Unbewusste, was, gleichsam die Sonne im Reiche der Geister, durch sein
eigenes ungetrübtes Licht sich verbirgt und, obgleich es nie Objekt (d.
h. Körper) wird, doch allen freien Handlungen seine Identität
aufdrückt, ist zugleich dasselbe für alle
Intelligenzen, die unsichtbare Wurzel, wovon alle Intelligenzen nur die Potenzen
sind, und das ewig vermittelnde des sich selbst bestimmenden
Subjektiven in uns, des Objektiven oder Anschauenden, zugleich der Grund der
Gesetzmäßigkeit in der Freiheit und der Freiheit in der Gesetzmäßigkeit«.
Der edle wahre Freiheitssinn im Menschen verlangt, dass überall
die Vernunft zur Geltung komme; wo also Vernunftgesetze regieren, da ist auch
Freiheit und nur derjenige ist unfrei, welcher gegen die Vernunft handelt und
ein Knecht der Leidenschaften oder solcher Triebe ist, welche Leiden schaffen.
Ein Kampf gegen Naturgesetze ist ein Vernichtungskampf
gegen uns selbst.
Die Gesetzmäßigkeit in der Freiheit, welche das Wesen der Vernunft
ist, tritt beim Menschen zunächst freilich nur als eine natürliche
Anlage auf. Aber in sittlich entwickelten Naturen zeigt sich
ein mit Zuversicht auftretendes Naturgesetz, gerade wie ein mathematisch entwickelter
Kopf alle mathematischen Wahrheiten als Bestandteile ewig gültiger Gesetze
gewissermaßen als seine alten Freunde erkennt. Es ist Einem beim Auffinden
einer Wahrheit, als habe man dasselbe schon früher einmal gedacht, als
sei die Wahrheit
nichts Neues.
Wir wissen bereits, dass das unbewusste Denken zeitlos ist, das bewusste aber
ist an eine Zeitfolge gebunden, weil die Vorstellungen als die Grundlage des
Denkens erst durch die in der Materie zeitlich sich fortpflanzenden Schwingungen
erweckt und im Zentralorgan befestigt werden. Beim bewussten Denken finden Gehirnschwingungen
von einer größeren Stärke statt, weshalb die Bluteinfuhr zum
Gehirne schneller geschieht, als zu jedem anderen Organ, also auch ein lebhafterer
Stoffwechsel stattfindet und eine frühere Ermüdung eintritt. Das Gehirn
bedarf zu einer neuen Tätigkeit der Ruhe und der Nahrung. Leute mit sitzender
Lebensweise und ohne große körperliche Anstrengung behalten daher
genug Kraft zum Denken und gehören daher nicht selten zu den politischen
und religiösen Grüblern, Schwärmern und Brauseköpfen. Wie
durch das Turnen die Körperkraft gestärkt und gestählt wird,
so wird durch das bewusste Denken das Gehirn vervollkomm¬net und höher
organisiert.
Hierbei ist nun weiter zu bemerken, dass das Endziel des Weltprozesses
nicht in der Entwicklung des Bewusstseins zum Selbstbewusstsein liegt,
indem diese Entwicklung nur als Mittel
dient; sondern es liegt in der Erlangung einer absoluten Glückseligkeit,
welche der Weltwille in den Weltwesen zu erzielen sucht. Durch die Erkenntnis
der in der Natur mustergültig dargestellten Naturgesetze und durch klare
Begriffe gewinnt unser Geist die Herrschaft über die Leidenschaften
oder Affekte, und
dadurch wird wahres Glück im Familien- und Völkerleben begründet.
—
Der Menschenwille ringt nach positivem
Glück, das Bewusstsein aber tritt ihm feindlich entgegen und wenn er durch
den Weltwillen vernichtet oder vielmehr in ihm aufgelöst ist, so tritt
dann der erreichbar beste Zustand, die Schmerzlosigkeit, ein.
Wenn freilich Leute durch betäubende und berauschende Mittel sich in einen
bewusstlosen Zustand versetzen und dabei im höchsten
Glücke zu schwärmen meinen, so könnte es fast scheinen, als ob
die Bewusstlosigkeit die Bedingung für die Glückseligkeit
sei, aber dieses ist eine von den wirklichen Illusionen, von denen v.
Hartmann in seinem Pessimismus
eine allzu große Anzahl aufführt.
Wir sind hier fast unvermerkt auf ein Gebiet übergetreten, welches eines
der dunkelsten in der ganzen Philosophie und Naturwissenschaft ist. Es ist die
Frage, welche Rolle der Mensch, die ganze Menschheit in dem Entwicklungsprozess
der Welt zu übernehmen berufen ist.
Weit entfernt von der Anmaßung, volle Wahrheit hineinbringen zu können,
mag es immerhin gestattet sein, einige Streiflichter auf den Weltprozess und
die Endziele der Menschheit zu werfen.
Der ganze Weltprozess (der materielle
wie der geistige) ist ein logisch gesetzlicher und zugleich
ein unterbrochener, ein unendlicher. Ihm ist auch die ganze Menschheit ohne
Gnade und Barmherzigkeit unterworfen. Auch Hegel anerkennt
eine organisch-naturgesetzliche Entwicklung, wenn er sagt:
»Die menschliche Geschichte ist eine Reihe zwingender Notwendigkeiten«.
Die Einheit in der Mannigfaltigkeit der Menschen liegt bei
gesunden Naturen nur in der gleichen Bildsamkeit zu einer gemeinsamen geistigen
Vollkommenheit, welche den Gesetzen der Vernunft, also Naturgesetzen,
vollkommen entspricht. Je mehr ein Mensch von diesen Bestrebungen sich ausschließt,
um so mehr sondert er sich ab von der idealen Einheit, und
geht für den Wert der Menschheit verloren. Das gilt ebenso sehr von dem
im Schlamme der Leidenschaften versunkenen Gesindel, als von den starren unbildsamen
Naturen, wie den Reaktionären und Orthodoxen, ohne dass wir sonst zwischen
beiden Richtungen eine Parallele ziehen wollen. Die Phrase von der sozialen
Gleichheit und der Gleichheit der Menschenrechte ist so lange noch eine verfrühte
und sehr gefährliche, als es leider heute noch, und lange noch an einer
inneren Berechtigung zu dieser Gleichheit fehlt und fehlen
wird. Jeder Mensch soll in der Gesellschaft nur so viel gelten, als er nach
seiner physischen und psychischen Kraft zu gelten die Berechtigung hat. Jedes
Mehr oder Weniger verstößt gegen die ersten Grundsätze der Gerechtigkeit,
auf deren Befolgung die Staatsgesetze als der Ausfluss der höchsten Moral
zu sehen haben. Der Weltprozess in Betreff der ganzen Menschheit ist also noch
nicht sehr weit vorgeschritten.
Da wir wissen, dass die Erde nach ihrer Befreiung vom Zentralkörper in
einem glühend flüssigen Zustande war, wenn wir die Erde jetzt mit
einer wunderbar mannigfaltigen Organisation ausgestattet sehen, und da wir als
vernunftbegabte Menschen den Gedanken an jede plötzliche Wunderschöpfung
verwerfen, vielmehr eine stufenweise, wenn auch äußerst langsame
Entwicklung annehmen müssen; so werden wir gezwungen,
an dem Gedanken einer natürlichen Urzeugung für den
Beginn des organischen Lebens festzuhalten. Die Stoffe für die organischen
Körper waren von jeher vorhanden, die organisierten und zusammengesetzten
Stoffe entstanden nur allmählich erst später. Unorganisierte Stoffe
halten zufolge des stabilen Gleichgewichtes ihrer Atome ihre Gestalt fest (Kri¬stalle),
unorganische können aber auch unter dem Einfluss geeigneter Verhältnisse
(Wasser, Licht, Wärme, Elektrizität)
eine organische und wechselnde Form annehmen und durch den Stoffwechsel sich
organisieren.
Wie dort die Atome der chemisch-indifferenten Stoffe durch den Weltäther
in einem stabilen Gleichgewicht erhalten werden, so gehen sie hier aus einem
stabilen Gleichgewicht fortwährend in ein anderes über, was sich beim
Organismus als vegetatives und als Seelenleben äußert. Kristalle
zeigen wie Pflanzen und Tiere gegen Licht, Wärme, Elektrizität und
Magnetismus ein ganz bestimmtes Verhalten; alle zeigen nach geschehener Verletzung
das Bestreben, verloren gegangene Teile wieder zu ersetzen, überall greifen
also dieselben gestaltenden Kräfte ein, welche ihren Ausgangspunkt im Weltäther
haben. Bildet und gestaltet der Weltäther einen Körper,
so legt er in ihn zugleich und sofort das Gesetz seiner Organisation, die in
ihren höheren Stufen mit ihm in eine weniger oder mehr gesteigerte Wechselwirkung
tritt. Ist letzteres der Fall, so ist der Körper nach unserer Auffassung
beseelt.
Thales nahm freilich an, dass auch schon der Magnet
eine Seele besitze, welche sich in der Anziehung und Abstoßung toter Massen
äußert und er hatte in der Tat insofern nicht unrecht, als es nach
meiner Auffassung auch der Weltäther ist, welcher diese bisher unerklärten
Erscheinungen hervorbringt. Je tiefer eingreifend nun diese Wechselwirkung zwischen
einem organisierten Leib und dem Weltäther ist, oder je reiner und kräftiger
die Resonanz der Atome, desto entwickelter das Seelenleben, desto mächtiger
die Denkkraft, desto höher die Geistesstufe, desto inniger die
Harmonie zwischen
Weltseele und Menschengeist.
Wie schwierig es den Philosophen bisher geworden ist, einen klaren Begriff von
Geist aufzustellen, zeigt u. a. Hegel. Auf die
Frage: Was ist aber der Geist? antwortet er:
»Er ist das Eine, sich selbst gleiche Unendliche, die reine Identität,
welche zweitens sich von sich trennt als das Andere ihrer selbst, als das Fürsich-
und Insichsein gegen das Allgemeine« (Hegels
Werke, Bd. 9, 3. Aufl. 5. 393.) Der Leser mag daraus sich selbst einen
Vers machen.
Nach unserer Ansicht aber ist das Rätsel naturwissenschaftlich leicht zu
lösen, wobei wir an den Ausspruch von Laplace
denken können, dass die einfachsten Wahrheiten immer zuletzt aufgefunden
werden.
Es besteht also in der ganzen Natur eine aufsteigende, durch allmähliche
Entwicklung entstandene Stufenfolge. Von der unorganisierten Materie geht es
zu der einfachst organisierten, wobei die Organisation zunächst nur in
einer Atom- und Molekular-Anziehung besteht. Von der Kristallbildung, die schon
in den Urgebirgsmassen auftritt, geht es zur chemischen Anziehung; dadurch entsteht
als organische Ursubstanz das Protoplasma; dann entstehen Moneren, die einfachen
Zellen, die einfachsten aus Zellen bestehenden Pflanzen- und Tierformen mit
nach und nach aufsteigender Lebens-, Seelen- und Denkkraft, welche im Menschen
ihren Gipfelpunkt erreicht. Überall aber ist nur ein gradweiser Unterschied,
selbst zwischen Tier und Mensch, denn überall greift dieselbe gestaltende
Kraft ein, und schon die Keimzelle ist durch den Weltäther belebt und beseelt.
Auch das Tier zeigt Hass und Liebe, Kummer und Vergnügen, Schmerzgefühl
und Wohlbehagen, sowie Dankbarkeit; es macht Erfahrungen, es vergleicht, folgert,
schließt und zeigt so Spuren des Denkens; es hat seine Gebärden-
und Lautsprache, baut sich Wohnungen oft kunstreicher als die der Menschen,
es erzieht seine Jungen, straft oder liebt, sie, es ist bildungsfähig,
besonders im Umgange mit Menschen, es hat nicht bloß ein Familienleben,
sondern bildet auch Genossenschaften mit zum Teil vortrefflichen Einrichtungen.
Genug! Es ist auch in psychischer Beziehung nur ein gradweiser Unterschied zwischen
Tier und Mensch.
Wie den chemischen, so liegen auch den morphologischen Verhältnissen ganz
bestimmte Zahlen- und Formverhältnisse zugrunde, so dass es recht auffällig
ist, wie in dem Gestaltungstrieb mathematisch-gesetzliche Verhältnisse
maßgebend sind.
Jetzt freilich liegen uns die natürlichen Bedingungen zu einer selbstständigen
Entwicklung der Keimzellen nicht mehr nahe, wenn wir nicht etwa in der grauen
schleimigen Masse auf dem Meeresboden die Anfänge für Organisation
erkennen wollen, sondern die Keimzellen entstehen jetzt nicht mehr elternlos,
sie besitzen aber schon die Anlage nicht bloß zu den körperlichen,
sondern sogar zu den psychischen Eigenschaften der Eltern.
Jede höhere Art geht durch natürliche Zeugung aus einer niederen hervor.
Nur durch Summierung sehr vieler kleiner Schritte in sehr langen Zeiten entstehen
große Formunterschiede: vorteilhafte, d. h. den allgemeinen Naturgesetzen
mehr entsprechende Abweichungen hei der Zeugung werden hervorgerufen, festgehalten
und erlangen durch natürliche Auslese bei der Begattung und durch Vererbung
eine größere Dauer. Es muss also schon im Ei selbst die Anlage zu
einer höheren Entwicklungsfähigkeit angenommen werden, welche durch
die des Mutterorganismus, auf welchen Nahrungsstoffe, Lebensweise und mannigfache
Naturverhältnisse einwirken, bedingt wird.
v. Hartmann sagt
mit Recht: »Der Organismus des Embryo, des Fötus,
des Kindes u. s. w. hat in jedem Stadium seines Lebens genau so viel
Seele als er für seine leibliche Erhaltung und Fortentwicklung
braucht und als seine Bewusstseinsorgane zu fassen vermögen«.
Auch die Entwicklung der Seele schreitet organisch vorwärts, und
ist dem Körper nicht durch einen persönlichen Schöpfer eingehaucht
oder ist abhängig von einem außerhalb der Naturkräfte stehenden
so genannten Lebensprinzip.
Die Welt, jeder Weltkörper und jedes Wesen auf ihm ist jederzeit nur so
vollkommen, als es nach allen natürlichen Verhältnissen nur irgend
möglich ist. Daher ist der Ausspruch von Leibnitz,
»dass die bestehende Welt die beste sei von allen möglichen«
in seiner absoluten Fassung offenbar falsch; denn die Welt von
heute ist nicht die Welt von morgen. Die augenblicklich bestehende Welt in ihrer
Gesamtheit ist nur gerade für diesen Augenblick die beste.
Jeder einzelne Weltkörper aber geht in seiner Entwicklung mit allen seinen
Wesen einem Höhepunkt entgegen, über welchen hinauszugehen er nicht
vermag.
Wie eine Stufenfolge von den unorganisierten Stoffen bis zum Grashalm, von da
bis zum Rind, welches ihn verzehrt, weiter zum Menschen, welcher des Rindes
Fleisch genießt, stattfindet; wie ferner jeder einzelne Mensch die Stufen
der nur für den Augenblick lebenden Kindheit, der schwärmerischen
Jünglingszeit, des nach Besitz und Ruhm strebenden Mannes und endlich des
müden, nach ewigem Frieden sich sehnenden Greisenalters durchlebt, so auch
jedes einzelne Volk, so auch die ganze Menschheit, so endlich jeder Weltkörper.
Wie aber die einzelnen Gebilde sich zu höherer Vollkommenheit entwickeln,
altern, absterben und Stoffe zu höher entwickelten Wesen geben, so auch
wird jeder einzelne Weltkörper solche Stufen der Entwicklung durchlaufen,
um mit allen seinen Gebilden der Neugestaltung zu einer höheren Organisation
zu dienen.
Wie allein durch die Gestaltungskraft unserer Weltseele, des Weltäthers,
und nicht durch einen schaffenden
persönlichen Gott aus jener feurigen Wolke unser Planetensystem,
unsere Mutter-Erde mit der buntesten Mannigfaltigkeit der zahllosen Wesen sich
entwickelte, so organisierte dieselbe Kraft unter lange andauernden Einwirkungen
der vielgestaltigen Außenwelt auch das wunderbar zusammengesetzte Menschengehirn
und machte es fähig, der Knotenpunkt zu sein für das seelische Bewusstsein,
für die Vorstellungen, für das Selbstbewusstsein und den Verstand
mit seinen durch die Weltseele ihm eingeprägten logischen Vernunftgesetzen,
die im Geiste des Menschen überhaupt ihren Ausdruck finden.
Nach unserer Auffassung ist also der menschliche Geist die
durch unsere bekannte Weltseele in unserem von ihr selbst wunderbar organisierten
Gehirne hervorgebrachte Überein¬stimmung oder Harmonie in den Gesetzen
der Wirksamkeit beider.
Die Logik der Weltgesetze ist auch die Logik des denkenden Gehirns oder des
Geistes, welcher sich eben durch die Befolgung der Denkgesetze
offenbart.*
* Es ist z. B. einerseits mathematisch
bewiesen, dass die Kugeloberflächen zunehmen, wie die Quadratzahlen ihrer
Strahlen und andererseits hat die beobachtende Astronomie nachgewiesen, dass
die Gravitationskraft abnimmt wie die Quadratzahlen der Entfernung vom Mittelpunkt
der Anziehung wachsen. Der Weltäther wirkt in der Tat mathematisch-gesetzlich.
Plato sagt in seinem Werke von der Republik (VII), dass in der Geometrie, also
im mathematischen Denken, die Erkenntnis des Ewigen liege . . . So bewährt
sich auch das von Ohm durch Abstraktion aufgefundene mathematische Gesetz in
Betreff der so genannten elektrischen Ströme praktisch in allen Fällen.
Und so zeigt es sich in allen Fällen, dass Naturgesetze auch Vernunftgesetze
sind.
Die menschliche Vernunft ist daher die gesetzlich geordnete
Selbstbestimmung
bei der logischen Verbindung von
Urteilen. Wegen
der Einheit des geistigen Wesens der Menschheit muss endlich einmal die Zeit
kommen, in welcher auch das religiöse Bewusstsein aller Menschen auf der
gleichen Grundlage der durch die Vernunft gebotenen Wahrheit
beruhen wird. Dann sind die Bedingungen für eine Universalreligion
gegeben, welcher kein vernünftiger Mensch sich wird entziehen können.
Nun aber müssen wir endlich noch an die Beantwortung der hochwichtigen
Frage treten: Welche Zukunft hat der Mensch, das ganze Menschengeschlecht, in
dem Weltprozesse? S. 48-108
Aus: Gott im Licht der Naturwissenschaften
, Studien über Gott, Welt, Unsterblichkeit von Philipp Spiller, Berlin
1873. Denicke’s Verlag , Link & Reinke (Aktualisierung der Schreibweise
unter Berücksichtigung der neuen Rechtschreibung)
Das
ewige Leben, die Unsterblichkeit.
»Bei Nacht ward die Unsterblichkeit ersonnen,
denn sehend blind sind wir ins Licht der Sonnen«.
H. W. Schlegel.
Es geht durch die Religionen fast aller Völker der Vorzeit der von ihren
Priestern genährte Glaube
an eine Seelenwanderung
d. h. die Meinung, dass unser Seelenleben übertragen werde auf ein anderes
Lebewesen. Bei den Juden und Ägyptern waren die Vorstellungen noch sehr
roh, bei den Pythagoräern nahmen sie schon einen höheren Aufschwung,
aber dem Christentum war es vorbehalten sie in den plumpsten
Materialismus zurückzuführen. Wer nicht für einen Ketzer
gehalten werden will, der muss an eine »Auferstehung des Fleisches«
glauben. Das ist eine der tollsten Ideen, die je aus einem Menschengehirn entsprungen
sind. Ein normal organisierter Mensch erkennt sofort das Sinnlose des Dogmas.
Darüber also hier kein Wort. Schleiermacher
hält die persönliche Unsterblichkeit sogar im weiteren Sinne geradezu
für irreligiös.
Sollen wir aber meinen, dass all unser geistiges Ringen, dass
unser Kämpfen und Dulden für die Wahrheit
während unseres Körperlebens mit dem Aufhören des letzteren absolut
verschwinden werde? Sollen wir dem allgemeinen Gefühlsdrange nach einem
»künftigen Leben« gar keine Berechtigung
beilegen, ihm gar keine Aussicht auf Befriedigung verheißen dürfen?
Eine verneinende Antwort erscheint uns trostlos. Sie würde unser ganzes
Dasein als etwas durchaus Unfruchtbares erscheinen lassen und jedes edlere Bestreben
im Keime unterdrücken.
Es steht fest, dass alle Vorstellungen nur durch die Sinne zur Geltung gelangen,
und dass der Mensch ohne deren Benutzung ein rein vegetatives Wesen ist, wie
es sich u. a. in den Zuständen der Ohnmacht,
des Schlafes überhaupt, des Winterschlafes insbesondere, des Starrkrampfes
und Scheintodes zeigt. Es muss auch zugegeben werden, dass die Seele ein Ergebnis
der Organisation des Stoffes ist, welche in den Nerven und
im Gehirne den höchsten Grad der Vollkommenheit erreicht.
Locke sagt demgemäß ganz richtig: »durch
äußere Eindrücke und Erfahrungen gelangen wir zur Erkenntnis«.
Wenn er aber hinzufügt: »Es gibt nichts in
unserem Verstande, was nicht vorher in den Sinnen wäre«;
so leugnet er in auffallender Weise das abstrakte
Denken;
und wenn er schließlich sagt: »Wie kann die
Seele fortleben ohne den Leib, da sie mit ihm und durch ihn
sich entwickelt hat?« und fortfährt: »die
Sinne sind die Eingangspforten für sie gewesen; wird sie mit denselben
vergehen?« so stellt er sich auf einen zu grellen Materialismus
im gewöhnlichen Sinne, weil er eben die Kraft
nicht kennt, welche in Wirklichkeit den Organismus
beseelte. Diese Kraft liegt nämlich nicht in
den zur Organisation des Leibes dienenden Stoffatomen selbst: der Leib
organisiert sich nicht selbst, seine Stoffatome
sind nicht Automaten mit selbständigen Kraftquellen (die
Kraft erzeugt sich nicht selbst); sondern er wird organisiert
durch eine außerhalb seiner Atome vorhandene Kraft. Ich kann das von mir
verfasste Buch verbrennen, nicht aber den Geist,
der es mir diktierte.
Auch bei Cabanis (geb. 1757)
kann von einer Unsterblichkeit keine Rede sein, wenn er nach seinem Ausspruche:
Les nerfs voilà tout l‘homme (die
Nerven sind der ganze Mensch) den Menschen, d. h. hier die Menschenseele
mit den Nerven auf gleiche Stufe stellte.
Bei Parmenides aus Elea (geb.
520 v. Chr.) tritt eine tiefere Einsicht hervor: »das
was in uns denkt ist eines mit der Organisation (mit dem Organisator) des Ganzen«,
also nicht bloß des Menschen.
Bei Anaximander (geb.
610 v. Chr.) tritt dieser Gedanke in einer mehr materiell gefärbten
Weise auf, wenn er sagt: »Woraus das Seiende seinen
Ursprung hat, dahin muss es notwendig seinen Untergang haben«.
Diderot steht wesentlich
auf keinem höheren Standpunkte mit den Aussprüchen: »Die
Materie ist beseelt«, »der Stoff denkt«.
Es kann aber durchaus nicht zugegeben werden, dass mit der Desorganisation
des organisierten Körpers, d. h. mit dem Tode
des Körpers, die Seele auch stirbt, denn sie ist gleichbedeutend
mit der Urkraft
im Weltalle, welche den Stoff organisiert hat. Diese Urkraft ist
unerschaffen und unvertilgbar, sie ist ewig. Beim Sterben verlieren wir zwar
unser persönliches Bewusstsein, weil die äußere
Form, in welche es während des physischen Lebens vorübergehend gekleidet
war, zerfällt: aber wir leben fort, weil weder der Stoff selbst, noch die
ihm eigentümliche Kraft, welche den Körper organisierte und belebte,
je stirbt oder überhaupt sterben kann. Wir leben
zunächst fort in unseren Kindern und Mitmenschen, in unseren Taten und
Gedanken in der Menschheit und in der Natur. »Wo
sind die Toten? Bei uns selbst! Trotz Tod und Verwesung sind wir noch beisammen.«
(Schopenhauer.)
Von den Anschauungen eines reinen Materialismus unterscheidet sich schon die
Lehre des Buddhaismus recht vorteilhaft. Nach ihr
ist das Sterben ein Auflösen in das Nirvana
oder das ruhende Leere,
welches nach unserer Auffassung
die Weltseele, der
Weltäther,
ist. —
Auch der spätere Brahmanismus macht die Ewigkeit des Stoffes und das Nirvana
(dieses Nichts
in körperlicher,
nicht aber in materieller
Beziehung)
zum Prinzip.
Auch der 2600 Jahre v. Chr. lebende Chinese Lao-tse
hatte viel edlere Anschauungen, als sie unsere heutigen professionellen
Theologen besitzen. Er sagt im 52. Kapitel seines Werkes Tao-te-
king (Lehre vom höchsten Wesen):
»Die Erdenwelt hat einen Anfang gehabt;
es muss daher ein Wesen (Tao) geben, das
sie geschaffen hat, oder bildlich (!) eine Mutter, die sie
geboren hat. Wenn wir nun die Mutter der Erdenwelt gefunden haben, wenn wir
so von ihr wissen, so erkennen wir dadurch, dass wir ihre Kinder sind, und wenn
wir wissen, dass wir ihre Kinder sind, so begeben wir uns ja nur (wenn
wir sterben) in den Schutz dieser Mutter zurück. Ob dann auch der
Leib vergehe, wir haben nichts zu fürchten. Nicht ist das Verlassen
des Körpers für uns ein Unglück, sondern in Wahrheit wird es
heißen: wir haben das ewige Leben empfangen.«
Nun aber ist es von Interesse zu wissen, was Lao-tse
unter Tao versteht. Er sagt im 34. Kapitel:
»Weithin verbreitet sich das erhabene Tao
aus nach links wie nach rechts (d. h. es ist unendlich);
alles was da ist, besteht nur durch dasselbe, alles was da lebt, lebt durch
das Tao, und alles was wir wünschen erhalten wir durch das Tao.
Es hat Alles wohl eingerichtet, doch hat es keinen Namen (weil
es kein begrenztes Einzelwesen, kein Körper ist). Es liebt alle
Wesen und sorgt für sie alle, aber es will nicht ihr Herr und Gebieter
sein. Es ist ewig und hat kein irdisches Verlangen. Man kann
es daher einfach nennen.«
Wer möchte wohl in diesen
Eigenschaften und in dieser Wirkungsweise des
Tao nicht unseren Weltäther
wieder erkennen. Dass er es ist ergibt sich auch aus anderen Stellen, denn
Lao-tse unterscheidet
ausdrücklich eine schaffende Naturkraft und das
Geschaffene, indem er sagt:
»Das eine unnennbare Tao
ist der Schöpfer Himmels und der Erde, das andere dagegen, welches man
für Jeden verständlich bezeichnen kann, ist die fort und fort schaffende
Kraft der Natur,
die Natur selbst,
bildlich (!) die Mutter des Seienden. Nur der,
welcher von Leidenschaften
ganz frei ist, wird imstande sein, das höchste geistige Wesen
zu erfassen: der dagegen, dessen Seele beständig von Leidenschaften getrübt
wird, sieht nur das Endliche,
die Schöpfung.«
In Betreff einer persönlichen Fortdauer spricht Lao-tse
sich schon im 19. Kapitel aus, indem er sagt:
»Wer sein Ich
nicht verliert., dauert fort; er stirbt, aber er vergeht nicht, er hat
das ewige Leben.«
Wir sehen daraus nicht ohne gewisse Beschämung, dass diese, wenn auch nicht
mit voller Klarheit entwickelten Lehren viel edler sind, als die, welche uns
das Christentum mit seiner plumpen Vorstellung von der Auferstehung des Fleisches
darbietet.
Es wird nicht ohne Interesse sein, wenn ich hier auch einige Kernsprüche
Buddhas, welcher um das Jahr
477 v. Chr. starb, anführe:
»Der Mann, der frei ist von Leichtgläubigkeit,
aber das Unerschaffene (!) kennt, der alle Bande zerschnitten,
alle Versuchungen abgewiesen, allen Wünschen entsagt hat, der ist der Größte
der Menschen.«
»Wer da weiß, dass dieser Leib gleich ist
Schaum, wer gelernt hat, dass er unwirklich ist, der wird den Pfeil Mâras
(Verführer) zerbrechen und nimmermehr
schauen den König des Todes.«
»Alles, was wir sind, ist das Ergebnis
dessen, was wir gedacht haben, es ist begründet auf unsere
Gedanken, es ist bereitet aus unseren Gedanken.«
»Die Überlegung ist der Pfad der Unsterblichkeit,
Gedankenlosigkeit ist der Pfad des Todes.
Wer überlegt, stirbt nicht, der Gedankenlose ist als wäre er bereits
tot.«
»Ein Bettler (Bhikshu),
der seine Lust hat am Denken, der mit Furcht schaut auf die Gedankenlosigkeit,
wird nicht in Vernichtung gehen, er ist nahe dem Nirvâna«
(d. h. dem Erlöschen in der begierdelosen Seeligkeit
des Nichts).
Dieses Nichts ist wohl der Weltäther. Eine noch deutlichere Hinweisung
auf ihn liegt in dem Spruche 92—93:
»Die, welche keine Schätze haben, deren Leidenschaften
beschwichtigt sind, die nicht in Genüssen sich verlieren,
die das Leere, das Unbedingte, das Absolute erkannt haben, — ihr Pfad
ist schwer zu verstehen, gleich dem der Vögel in der Luft.«
Aber auch noch so manche andere Heiden, auch Juden, und sogar eine Menge als
Christen getaufte Menschenkinder haben sich zufolge einer besseren Gehirnentwicklung
einen klaren Verstand erworben und die Freiheit des Denkens sich nicht nehmen
lasten.
Schon Plato setzt im Timaeus
III. die Unsterblichkeit der Seele in die Erkenntnis
der Wahrheit. Offenbar liegt darin eine individuelle Fortdauer
nicht ausgedrückt, sondern die Unsterblichkeit wird in die Übereinstimmung
mit den in der Wahrheit gipfelnden Vernunftgesetzen gelegt, welche Weltgesetze
sind.
Aristoteles teilt dem unsterblichen Teile der
Seele ein Gedächtnis
nicht zu, auch nicht Liebe
und Hass, also durchaus
nichts Persönliches.
Spinoza sagt: »Der menschliche
Geist kann mit dem Körper nicht absolut vernichtet werden, sondern es bleibt
von ihm etwas übrig was ewig ist.« Die einfachen Seelenbewegungen
sind freilich an die Dauer des organischen Lebens gebunden, nicht aber
der organisierende Geist.
Es ist wohl kaum noch nötig anzuführen, dass auch andere hervorragende
Philosophen wie Schelling, Fichte,
Hegel, Schopenhauer,
eine individuelle Fortdauer der Seele nicht
annehmen.
Wie die Orthodoxie noch krampfhaft festhält an der Persönlichkeit
Gottes, so auch an einer persönlichen Fortdauer des so genannten »Ebenbildes«
von Gott, eines jeden einzelnen Menschen, und sie weist ihnen je nach ihren
Verdiensten verschiedene Aufenthaltsorte an: die Hölle, das Fegefeuer,
den Himmel. Ja es gibt sogar Fabriken, in denen »Heilige«
gemacht werden, die man in seinem Wahnwitze noch zu selbstsüchtigen Zwecken
benutzen zu können meint, wenn man selbst zu träge ist, als dass man
durch eigene Kraft ein gewisses Ziel erreichen könnte.
»Doch Heilige gibt es, die aus
Glut
Losbeten den Sünder, durch Spenden
An Kirch‘ und Seelenmessen wird
Erwerben ein hohes Verwenden.«
Heinrich Heine.
Es ist aber gerade ein ungeheurer Kulturfortschritt, wenn der selbstgefällige
Egoismus, der
in der Hoffnung auf eine persönliche Fortdauer sich abspiegelt,
gebrochen und die Selbstverleugnung so weit geführt wird,
dass Jeder nur für das geistige Wohl seiner Mitmenschen und der künftigen
Geschlechter je nach seinen Kräften und seiner Stellung arbeitet. Man kann
es mit vollem Rechte behaupten, dass aller Fortschritt in der Menschheit
wesentlich von dem Aufgeben der Selbstsucht und von der vollen
Hingabe an die Entwicklung des Ganzen abhängt. Durch die
Selbstsucht isoliert sich auch der Einzelne. Käme sie in der Menschheit
zu einer allgemeinen Geltung, so würde sie aus indifferenten
Atomen bestehen, die nur dem Gesetze der Gravitation, also der Herrschaft des
Mächtigsten sklavisch folgen und eine einheitliche Gemeinschaft mit Selbstbestimmung
nicht eingehen würden. Das traurigste Beispiel von Selbstsucht
bieten jetzt wohl die so genannten Kirchenfürsten, an ihrer Spitze der
Papst dar. Doch hoffen wir mit Schiller, welcher
sagt: »Die selbstsüchtigen Zwecke des Einzelnen
schlagen bewusstlos zur Vollführung des Guten aus.«
Jeder Einzelne in der menschlichen Gesellschaft, er mag je nach seinen Fähigkeiten
und Leistungen eine Stellung niedrig oder hoch einnehmen, muss sich vielmehr
als erhaltendes und opferwilliges Glied des Ganzen fühlen und seine Stellung
nach besten Kräften auszufüllen suchen. Ist es anders, so ist weder
das Glück des Einzelnen,
noch der Fortschritt
des Ganzen möglich.
Leider ist diese Moral zurzeit noch sehr wenig zu einem Volksbewusstsein geworden.
Die heutige Sozialdemokratie ist eine schmachvolle Missgeburt eines an sich
guten auf die Menschenrechte gegründeten Gedankens; aber
es fehlt den großen Massen noch das rechte Bewusstsein der Menschenpflicht,
weil sie großgezogen worden sind im Schatten orthodoxer Gedankenlosigkeit,
welche die Kirchen im Volke mit blinder Energie festzuhalten streben.
Es ist klar, dass mit dem Aufhören des lebendigen Wechselspieles der Stoffatome
in unserem Körper, d. h. mit dem Aufhören der organischen Tätigkeit
im Körper oder mit dem Tode, auch das ihm inwohnende besondere
oder individuelle Seelenleben aufhört; es ist die Resonanz der Stoffatome
des organisierten Körpers für die Weltätherschwingungen mit der
Rückkehr jener ins stabile Gleichgewicht verschwunden und die früheren
Schwingungen der Gehirnatome verklingen und verschwimmen in der unendlichen
Weltseele.
Also auch an geistig persönliches Fortleben ist nicht
zu denken, wohl aber an ein harmonisches gleichmäßiges aller hochentwickelten
Geister, welche sich mit den ewig wahren Weltgesetzen in Übereinstimmung
befinden.
Gerade also das Aufgeben des selbstsüchtigen Egoismus bietet uns eine Hoffnung
für die Zukunft eines mehr und mehr zur Vollkommenheit gesteigerten Weltprozesses.
Je mehr wir mit den wechselnden Erscheinungen
der Außenwelt
im weitesten Sinne des Wortes in Verbindung treten, je mehr wir uns bestreben
das Gesetzmäßige in ihnen zu erforschen und zu unserem geistigen
Eigentum zu machen, desto höher wird unsere Organisation nach Körper,
Seele und Geist werden, desto größer wird die Übereinstimmung
unserer Seele mit der Weltseele werden und desto eher werden wir das
ewige Leben erlangen. Bei zynischer Abgeschlossenheit vertiert der
Mensch trotz Rosenkranzgebet. Weil der Geist sich nur entwickelt
im lebhaften Verkehr mit der Außenwelt und um so schneller und besser,
je mannigfaltiger sie ist (man vergleiche nur die turanische
oder tatarische Rasse mit der arischen): so ist es eine Sünde gegen
die Menschheit einen Menschen durch besondere Vorkehrungen gleichgültig
zu machen gegen alles was wirklich ist; selbst das gegenstandlose reine
Denken führt auf Abwege, auf Unwahres, denn das
Seiende ist wahr durch sich selbst. Der Kunst
freilich ist das reine Denken fremd, denn sie erhebt nur das Sinnliche bis zur
schönsten Form,
sie ist der Ausfluss eines rein formellen, geistig unbewussten Gestaltungstriebes.
Daher sind Kunstanlagen und Leistungen oft schon im jugendlichen Alter, dem
noch die geistige Entwicklung fehlt, vorhanden und erkennbar.
Hat sich aber unser Geist im lebhaftesten Verkehre mit der Natur denkend entwickelt,
so tritt Seeligkeit ein, d. h. die Empfindung oder vielmehr
das Bewusstsein der Übereinstimmung unseres Denkens und Handelns mit den
Natur-Vernunftgesetzen. Sie wird nach v. Hartmann
erreicht, »wenn man die Zwecke des Unbewussten
zu Zwecken seines Bewusstseins macht.«
Das heißt jetzt nach unserer Auffassung: wenn unser Sein sich in voller
Übereinstimmung befindet mit dem durch unsere Weltseele,
den Weltäther, vorgezeichneten Vernunftgesetzen; dann ist unser
Geist in Wahrheit ein Ausfluss oder ein Teil des Gottesgeistes.
Der Weltgeist erscheint
uns dann in der sinnlichen Gestalt des durch ihn für die Erkenntnis der
Wahrheit vollkommen organisierten Menschengehirns: der Mensch ist dann
ein Ebenbild Gottes, es ist in ihm Gottesbewusstsein, Seeligkeit.*
*Wenn wir
nach unseren Darstellungen den Weltäther als die Weltseele ansehen müssen,
so würde diese neue Anschauungsweise, welche man vielleicht Aetherismus
nennen könnte, der reinste Monotheismus
sein, aber ohne Beigabe jeder persönlichen Selbstbestimmung und Laune,
zugleich aber mit Verwerfung des bisherigen Materialismus,
welcher ein Pantheismus
ohne innere Wahrheit ist. Der Aetherismus scheint mir diejenige Gottesidee
zu sein, welche allein eine Zukunft hat.
Ist aber in uns das Gefühl der Übereinstimmung mit den Gesetzen des
Daseins oder ist Freude nicht vorhanden,
so tritt Traurigkeit ein und wir werden des ewigen Lebens nicht
teilhaftig, wenn nicht etwa noch rechtzeitig Reue
und Demut
eintreten, welche keine Tugenden,
sondern nur Ausflüsse der Erkenntnis des unangemessenen und gesetzwidrigen
Verhaltens gegen die Vernunftgesetze sind. Die wahre Tugend ist nämlich
die Bestimmtheit des Handelns durch Einsicht und Vernunft, also in notwendiger
Übereinstimmung mit den notwendigen Gesetzen der Natur, welche zwar Allen
zugänglich, aber nicht für Alle leicht erkennbar
sind. S. 108-118
Aus: Gott im Licht der Naturwissenschaften , Studien über Gott, Welt, Unsterblichkeit
von Philipp Spiller, Berlin 1873. Denicke’s Verlag , Link & Reinke
(Aktualisierung der Schreibweise unter Berücksichtigung der neuen Rechtschreibung)Wer
ist in Wahrheit Gott?
Wollen wir die durch unsere gedrängte Untersuchung
erlangten Kenntnisse zu einem kurzen Bekenntnisse zusammenfassen,
so würde es heißen:
Gott
ist eine nach dem Raume
unendliche, nach
der Zeit ewige
(d. h. unerschaffene und unvertilgbare) stoffliche
Substanz, nämlich
der Weltäther.
Er ist in der Tat die Weltseele,
indem er seiner Natur nach die im Weltraume schwebenden Stoffatome nach bestimmten
Gesetzen zu Körpern
gestaltet, ihnen gesetzmäßige Bewegungen
erteilt, mit ihren Atomen zum Teil in so innige Wechselwirkung
tritt, dass er sie nicht nur organisiert, sondern auch beseelt und sie dann,
wenn auch für jedes Einzelnwesennur vorübergehend, befähigt,
an dem Weltprozesse lebendig teilzunehmen.
Unser Gott besitzt also wirklich die Eigenschaften,
welche ihm in den besseren Religionsbekenntnissen beigelegt werden:
er ist ein Geist
insofern er ein Körper
nicht ist;
er ist allgegenwärtig,
denn er nimmt den unendlichen
Weltraum ein, er durchdringt alle Körper
und umgibt jedes Körperatom in dem unendlichen Weitraume;
er ist allmächtig,
denn kein Atom
kann sich seiner Wirksamkeit entziehen;
er ist der Schöpfer des Himmels
(d.h. der Himmels- oder Weltkörper) und der Erde mit allen ihren
Wesen; er hat also auch uns Menschen
geschaffen und beseelt, denn er hat die Stoffe dazu organisiert und
ist mit ihnen in lebendige Wechselwirkung
getreten;
er ist in diesem Sinne auch der Erhalter und Ernährer
seiner Geschöpfe, die wesentlich Produzenten (Pflanzen)
und Konsumenten (Tiere) sind;
er regiert die ganze Welt mit sich gleich bleibender
Kraft nach unveränderlichen Vernunftgesetzen von Ewigkeit
zu Ewigkeit,
weil er unendlich und ewig ist;
er ist allweise,
denn er wirkt nur nach strengen Vernunftgesetzen; er ist gerecht, weil er von
diesen Gesetzen niemals abweicht und nur diejenigen bestraft, welche gegen die
von ihm diktierten Vernunftgesetze handeln,
er irrt niemals (und ist daher allein
unfehlbar), weil er ohne Selbstbewusstsein
und ohne vorgesetzten Zweck
nur jene Vernunftgesetze zur Geltung bringt. (Spinoza
tritt den Zweckbegriffen in der Natur entgegen, indem
er meint, dass die Verteidiger desselben auf die Unwissenheit, welche ein Beweismittel
nicht kennt, sich berufen.)
Der geweihte »Kirchhof« zur
Bestattung der Leichen ist der Orthodoxie allein der
»Gottesacker«, als ob Gott nur allein unter ihrer
Aegide dort eine Aussaat für eine spätere Ernte mache. Für mich
ist die Mutter-Erde überall ein geweihter Gottesacker, obwohl ich Kirchhöfe,
wenn sie nicht durch religiösen Fanatismus entweiht werden, so lange noch
als die angemessenen Grabstätten ansehe, als sich gegen das Verbrennen
der Leichname das Vorurteil noch sträubt.
Ich hoffe dass es, falls ich auf meinem Totenbette unzurechnungsfähig werden
sollte (d.h. wenn meine irdischen Stoffatome nur noch leisen Nachwirkungen der
Weltseele folgten, ohne eine lebendige Wechselwirkung mit ihr zu unterhalten),
kein Pfaffe wagen wird, aus mir noch einen blindgläubigen Konfessionsketzer
machen zu wollen. Ich werde schon ohne Spediteur dahin kommen, wohin
ich gehöre. S. 119-120
Aus: Gott im Licht der Naturwissenschaften , Studien über Gott, Welt, Unsterblichkeit
von Philipp Spiller, Berlin 1873. Denicke’s Verlag , Link & Reinke
(Aktualisierung der Schreibweise unter Berücksichtigung der neuen Rechtschreibung)