Philipp Spiller (1800 – 1879)

Deutscher Philosoph und Physiker, der ein spekulatives System entwickelte, das er als »reinen Monotheismus« bezeichnete, den er »Aetherismus« nannte, und in dem der Weltäther - als Träger, Hervorbringer und Erhalter der Welt samt all ihren Lebewesen – die absolute, allgegenwärtige, geistig stets wirksame, alles bewirkende, ewige, allweise, allmächtige und unzerstörbare Urkraft sein soll, die identisch mit dem ist, was der Mensch als Gott verstehen, verehren, fürchten, lieben und anbeten soll.

Siehe auch Wikipedia

Inhaltsverzeichnis

Verhältnis zwischen Gott und Welt im Allgemeinen und Mensch im Besonderen
Das ewige Leben, die Unsterblichkeit.
Wer ist in Wahrheit Gott?

Verhältnis zwischen Gott und Welt im Allgemeinen und Mensch im Besonderen
Es ist eine geschichtlich feststehende Tatsache, dass die Vorstellung, welche ein Volk von Gott hat, seiner geistigen Entwicklungsstufe vollkommen entspricht. »Wie der Mensch, so sein Gott.« Der Wilde hat einen anderen Gott als der Halbwilde, dieser einen anderen als der Gebildete und der tiefe Denker hat wieder seine besonderen Anschauungen von dem Wesen Gottes*). Deshalb geht auch die geschichtliche Entwicklung der Religionen Hand ja Hand mit der Geschichte der Menschheit überhaupt.
*) Xenophanes hat uns dazu schon um das Jahr 540 v. Chr. eine passende Erläuterung gegeben, indem er sagte: »Den Sterblichen scheint es, dass die Götter ihre Gestalt, Kleidung und Sprache hätten. Die Neger dienen schwarzen Göttern mit stumpfen Nasen, die Thraker Göttern mit blauen Augen und roten Haaren und, wenn Ochsen und Löwen Hände hätten, um Bilder zu machen, so würden sie Gestalten zeichnen, wie sie selbst sind.«

Weil die psychologische Natur aller Menschen dieselbe ist, so begannen die Religionen fast durchgängig mit dem Fetischismus, so dass sich in den verschiedensten Gegenden der Erde auch ähnliche Religionsgebräuche entwickelten.

Nur bei Urmenschen und bei Menschen auf niederer Entwicklungsstufe herrscht die
Religion der Furcht. In einem höheren Zustande übernehmen bevorzugte Menschen (Könige) eine Vermittlung mit Gott, aber immer noch in der Form der Knechtschaft. Erst später fühlen die Menschen überhaupt sich zur Gottähnlichkeit erhoben und es tritt die Liebe ein, welche beim Christentume in dem Satze gipfelt: »Liebe Gott über Alles und Deinen Nächsten wie Dich selbst.«

Es ist ein höchst verderblicher, von verkehrter Selbstsucht getragener Irrwahn, dass die Bekenner irgend eines Gotteskultus gerade nur ihn als einen absolut vollkommenen und richtigen, jeden anderen aber als falsch ansehen. Jedes Religionsbekenntnis zeigte sich vielmehr bisher nur als ein Kind seiner Zeit und wurde von der Zukunft zu Grabe getragen.

Dabei fehlt es hier wie in der organischen Natur nicht an Rückfällen zu früheren Zuständen. Man kann dabei aber dem in China gebräuchlichen Ausspruche: »Die Religionen sind verschieden, die Vernunft ist nur eine«, nur beistimmen.

Schon bei den Thlinkithianen (im früheren russischen Amerika) begegnen wir dem Mythus der Gottessohnschaft, auf welche das Christentum zurückging. Wir müssen es leider auch bekennen, dass die religiösen Anschauungen selbst schon um das sechste Jahrhundert vor Christus (Konfuzius, Zoroaster, Buddha, Lao-tse) zum Teil viel edler und reiner von grobem Materialismus waren, als im heutigen Christentume, so dass es auch in dieser Beziehung als eine Rückfallserscheinung anzusehen ist.

Zoroaster, welcher seine Religionsbücher in der Sprache des Zendvolkes schrieb, fragt den Ormuzd, den
Herrn des Lichtes, wer er sei, und er antwortet: »Mein Name ist Grund und Mittelpunkt aller Wesen, höchste Weisheit und Wissenschaft, Zerstörer der Weltübel (!) und Erhalter des All, Fülle der Seligkeit, reiner Wille!« In Zoroasters Lehre spielt das Zeruane-Akerene, das ist das unbegrenzte, unerschaffene All, die Hauptrolle; aus ihm sind Licht und Finsternis, das Gute und das Böse entstanden.

Im Buddhaismus, der verbreitetsten unter allen Religionen, ist das
Nichts das Prinzip aller Dinge. Alles ist aus ihm (eigentlich aber durch dasselbe) hervorgegangen und kehrt auch dahin zurück; es ist in ewiger Ruhe und in sich unveränderlich, ohne (bewussten) Willen. Diese leere Einheit ist das Jenseits unseres Geistes — eine Einheit des Geistigen und Natürlichen.

In den Tiefen dieser Gedanken werden wir erst im weiteren Verlaufe unserer Untersuchungen hinabsteigen; sie sollten nur zur vorläufigen Aufdeckung des großen Kontrastes zwischen den altorientalischen und neuchristlichen Anschauungen dienen.

Bei den Arabern fand sich schon lange vor Muhamed der Monotheismus ohne die absolut unverdauliche
Dreieinigkeitslehre *) des Christentums, welche in der Tat ein Fortschritt nicht ist.
*) Die Dreieinigkeitsidee, in welcher ein gutes Stück Heidentum liegt, scheint nur aus Nützlichkeitsrücksichten entstanden zu sein. »Es wäre im Laufe der Zeiten eine durchgreifende Spaltung in Gottchristen (Arianer), Jesuchristen (Katholiken) und Heiligegeistchristen (Manichäer) eingetreten, wenn schlaue Priester nicht alle drei vereint und in der Vorstellung von der Dreieinigkeit die Einheit des Christentums gerettet hätten?«
Übrigens ist nicht Christus der eigentliche Gründer der aus der Sekte der Essäer hervorgegangenen neuen Religion, denn seine Gemeinde lebte nach seinem Tode noch nach jüdischer Weise und nach jüdischen Gesetzen (Beschneidung), es waren Juden-Christen; erst Paulus (früher Saulus genannt) wurde Gründer des Heiden-Christentums. Damit soll aber dem Christus die kulturgeschichliche Sendung nicht geschmälert werden. Er verwandelte die jüdische und sklavische Furcht vor Gott in Liebe zu Gott und den Mitmenschen.


Es ist u. a. von Hegel eine optimistische und durch die Tatsachen offenbar widerlegte Auffassung des Christentums, wenn er u. a. sagt: »Die Natur Gottes, reiner Geist zu sein, wird dem Menschen in der christlichen Religion offenbar.«

Der freilich als Unchrist bei den Theologen besonders wegen seines »Nathan« verhasste Lessing sprach aber die Hoffnung aus, dass es dem Menschengeiste durch
eifriges Denken, also nicht durch eifriges Glauben, wie es das Christentum in ganz hervorragender Weise verlangt, einst gelingen werde, zur Erkenntnis der Gottheit zu gelangen.

Der
persönliche Gott ist eine überlieferte Gefühls- und Glaubensangelegenheit ohne jede tatsächliche Grundlage und er ist auch nicht eine notwendige Bedingung für ein sittenreines und menschenwürdiges Leben. Wenn man gegenwärtig eines solchen Gottes für das Volk noch nicht entbehren zu können meint, so ist dieses nur ein trauriges Zeichen von dem geistig noch sehr niedrigen Standpunkte desselben, so dass ihm jedes Verständnis für tiefere Wahrheiten noch abgeht. Wäre die Freiheit der Entwicklung der Völker durch privilegierte Kasten nicht von jeher gehemmt worden, so würden wir nach so langem Ringen heute schon weiter sein in der Erkenntnis der Wahrheit.

Die Orthodoxie hat bei den wunderbaren Erscheinungen in der ganzen Natur und bei den überwältigenden Eindrücken, welche die meisten auf das Gemüt machen (wie die Pracht des Regenbogens und Polarlichtes, der blendende Glanz des Blitzes, das Rollen des Donners, die Grauen der Erdbeben u. s. w.) im Volke, wenn sie von einem persönlichen Gott spricht, so lange ein leichtes Spiel gehabt, als die geistige Stufe desselben eine nur noch niedrige war.

Von den Gewande dieses Gottes fällt aber ein Stück nach dem anderen mit dem Auftreten der exakten Wissenschaften und es tritt dafür ein
unpersönlicher allgewaltiger Gott auf, welcher mit dem Kleide der Wahrheit angetan, nicht bloß gegenstandlose Gefühle, sondern auch den Verstand, und zwar so stark befriedigt, dass wir auf die Irrwege der Abgötterei nicht mehr kommen können, und die Verketzerungssucht der Priesterschaften ihren Boden verliert. Diderot (starb 1784) hat vollkommen recht, wenn er sagt: »Der erste Schritt zur Philosophie ist der Unglaube«.

Wie Wenige wagen es heute noch, diesen Schritt zu tun!

Wir erkennen in der ganzen Natur niemals ein Schaffen eines persönlichen Gottes, eines »Schöpfers Himmels und der Erde«; sondern überall nur schrittweise Entwicklung nach Naturgesetzen. — Die Naturgesetze aber sind teils durch die induktive Methode gewonnen, teils durch mathematische Schlüsse entdeckt worden. Erfahrung und Wissenschaft unterstützen einander um die Naturgesetze zu erkennen und aufzustellen. Sind aber dieselben als unfehlbar richtig erkannt, so kann man an ihrer Hand die Welt synthetisch aufbauen, Stein zu Stein fügen und Schritt für Schritt nicht bloß die Vergangenheit ableiten, sondern auch einen Blick in die Zukunft tun, weil die Naturgesetze ewig gültige und unerbittlich zwingende Gesetzgeber sind.

Jeder Weltkörper, welcher aus zerstreuten Stoffen sich gebildet oder von einem größeren Ganzen sich losgesagt hat, erfährt eine Steigerung seiner Organisation; es treten die Atome der verschiedenen Stoffe teils zueinander, teils voneinander: die Urbildungen zeigen sich nur kristallinisch mit mathematisch fester Gestaltung; nach ihrem teilweisen Zerfallen entstehen organisierte Wesen mit einem durch die Bewegung der Stoffatome bedingten Formenwechsel im Inneren und Äußeren oder mit organischem Leben.

Mit der allmählichen Entwicklung eines Weltkörpers verändern sich zwar die Organismen auf ihm und es entsteht nach und nach eine wunderbare Mannigfaltigkeit, aber stets mit der Zurückweisung
auf einen einheitlichen Ursprung. Jedes Einzelwesen auf einem Weltkörper entwickelt sich stets nur aus einem unscheinbaren Anfange, welcher bei den organischen Wesen nicht ein Kristallkern, sondern eine Zelle ist. In diesem Falle verändert es sich wachsend in seiner Wesenheit: es besteht, altert, stirbt einst ab als selbstständiges Lebewesen, gibt aber seine Stoffe her zu einem neuen oft ganz veränderten Leben mit einer im Kampfe ums Dasein erlangten veränderten, meist vollkommneren Organisation.

Auf diese Weise hat auch jedes organische Geschlecht seine Entstehungs- und Lebensgeschichte, und bietet schließlich auch nur Stoff zu Neugestaltungen in aufsteigender Stufenfolge dar. Wie jeder einzelne Mensch physisch und psychisch wenigstens andeutungsweise die früheren Entwicklungsstufen seines Geschlechtes bis zu sich selbst in der kurzen Zeit seiner Lebensdauer durchwandert, so durchlebt auch die ganze Menschheit in einer langen Periode eine ähnliche Entwickelung, deren Nachweis der Philosophie der Geschichte angehört.

So ist also die Welt und mit ihr der Mensch nicht
geschaffen*), am wenigsten aus Nichts, sondern sie hat sich in äußerst langen Zeiträumen naturgesetzlich entwickelt, ist und bleibt in einer fortwährenden Umgestaltung.
*)Wenn der mit Recht so berühmte Ägyptologe Professor Dr. Heinrich Brugsh sagt, die Lehre von der Abstammung des Menschen leide an zwei Fehlern »an ihrer zarten Jugend und an der Begeisterung ihrer zahlreichen Jünger«, so muss man auf den Gedanken kommen, dass H. Brugsh selbst als vollendeter Mann geboren worden ist. Es ist der Fluch einer einseitigen Geistesrichtung, wenn Brugsh ferner sagt »Der Mensch ist eine Kreatur (Geschöpf) der unerforschlichen göttlichen Allmacht, er hat zu allen Zeiten der Würde dieser Abstammung entsprochen und wird es tun, so lange der Name Mensch existieren wird. Sein Geschlecht auf die Fratze des Affentums zurückführen, hieße die Zwecke der Allmacht vollkommen verkennen und dem Zufall anrechnen, was Ausfluss der höchsten Weisheit ist.« Da haben wir den wundergläubigen Mann wie er im Buche steht! Mit so angelegten Naturen vermag die exakteste Naturwissenschaft nichts auszurichten. Wer vom Wunder ausgeht oder beim Wunder anlangt, mit dem ist nicht zu rechten. Er darf sich nicht rühmen, von der Natur etwas zu verstehen. Solche Männer richten mehr Unheil an als sie ahnen.

Es ist natürlich, dass bei der organischen Entwicklung der Menschheit das
Seelenleben zuerst und sehr bald durch die Gefühle und viel später erst durch den Verstand sich zum Ausdruck brachte. Aus dem ersteren entsprangen die nach den Umständen verschiedenen Anschauungen von dem weltregierenden Wesen und den Arten seiner Verehrung. Es war viel leichter sich irgendeine Vorstellung von Gott zu machen und für ihn irgendeinen Kultus zu erfinden, als das Denken zu entwickeln und durch mühevolle Denkarbeit höhere Stufen des Menschentums zu erklimmen. Ja, Fühlen und Denken schließen einander häufig nicht bloß aus, sondern treten einander feindlich gegenüber. Fühlen ist die Mutter des Gaubens, Denken die Mutter des Wissens.

Daher stehen heute noch in Betreff der Weltordnung zwei feindliche Lager einander schroff gegenüber. In dem einen
glaubt man, dass die Welt durch einen schaffenden persönlichen Willen so, wie sie jetzt ist, hervorgegangen sei und so in alle Ewigkeit von ihm werde regiert werden; in dem anderen weiß man, dass es eine Weltengeschichte gibt, dass im Laufe von Millionen von Jahren gewaltige Entwicklungsprozesse stattgefunden haben und dass sie immerfort noch in kleinerem Maßstabe stattfinden.

Die Gläubigen verlangen eine hingebende Unterordnung und völlige Entsagung von aller selbstbewussten Forschung, die Forscher aber eine auf die exakte Wissenschaft begründete Prüfung aller Verhältnisse. Jene gehen leider nicht selten ohne den Gedanken an den eigenen Vorteil von der Ansicht aus, dass nur die
Demut der Massen zum Heile für die Menschheit führen könne; diese aber erwarten die Hebung der Gesittung und des, allgemeinen Menschenwohles von der Weckung aller Verstandeskräfte.

Dieser schroffe Gegensatz geht schon Jahrtausende durch die Geschichte der Menschheit und hat zu den traurigsten Folgen geführt: Die Einen haben geduldet und gelitten für
Glaubensphantome, die Anderen haben geduldet und gelitten für die Wahrheit und sind selbst heute noch den Verfolgungen ihretwegen ausgesetzt; ja die Verdammungsurteile gegen die Wissenschaft werden wieder mit einer gewissen Kühnheit in die Welt geschleudert und das berüchtigte Wort eines christianisierten Juden: »Die Wissenschaft muss zurück« trägt seine Unkrautfrüchte über die christliche Welt. Es ist für einen eifrigen Menschenfreund wirklich betrübend wahrzunehmen, dass es die Christenheit nach fast 2000jährigem Ringen noch nicht weiter gebracht hat, als bis »zum apostolischen Glaubensbekenntnisse«.

Man muss wohl erstaunt darüber sein, dass Menschen (Orthodoxe, Reaktionäre u. s. w.) am Irrtume so starr festhalten und ihn so eifrig verteidigen können. Es ist dieses natürlich, denn sie machen keine falschen Schlüsse, aber sie gehen zufolge eines unbewussten Denkprozesses von falschen Voraussetzungen aus.

Daher sind solche Richtungen, zum großen Nachteile der Entwicklung der Menschheit, so schwer auszurotten. Bei einseitigen Studien und Beschäftigungen konzentriert sich die Gesamtanlage des Menschen auf den vorliegenden Zweck; daher schreiben sich nicht bloß die hervorragenden Leistungen im Schlechten oder im Guten, sondern auch der Mangel jeder Anerkennung fremder Richtungen und sogar die feindselige Stellung gegen sie. Wir haben es daher nicht selten tief zu bedauern, dass ein guter Kopf eine schlechte Sache vertritt, ohne geradezu ein Heuchler zu sein.

Ich mag mich in der ganzen Geschichte der Menschheit umsehen wo ich will, ich finde nirgends, dass die sittliche Weltordnung durch den toten Glauben gefördert worden ist; ich finde vielmehr, dass die Menschheit dadurch mehr und mehr zerfällt, dass Hass und Verachtung gegen Andersgläubige schon in die Herzen der unschuldigen Jugend gepflanzt, dass, wenn nicht der Fanatismus der Massen, so doch deren Stumpfsinn befördert wird, der sie unfähig macht, sich selbst zu erkennen und für sich selbst zu sorgen.

Aber nicht Aufklärung und wahre Bildung sind zu fürchten, sondern die Dummheit der verwilderten Massen, die das Gebot der Vernunft nicht kennen, wie es so viele Erscheinungen der heutigen sozialdemokratischen Bewegung, die ja unter den Augen und unter dem Einflusse der Orthodoxie herangewachsen und großgezogen worden ist, so klar beweisen.

Die meisten Religionen haben tatsächlich sich bisher als kulturfeindlich bewiesen und es ist wirklich nur ein gedankenlos sich hinschleppender Irrtum, wenn man meint, dass nur das Christentum in den mehr als 1800 Jahren einen Teil der Menschheit, nämlich der Christenheit auf die jetzige Bildungsstufe gehoben habe und dass auch nur das Christentum fähig sei die Menschheit den höheren Zielen entgegen zu führen. Selbst sonst achtungswerte Leute sind von diesem Spleen besessen, der bei Vielen in Bekehrungsfanatismus ausartet.

Wenn im Ohristentum die enorme Bildungskraft läge, die man ihm von manchen Seiten zuschreibt, so sehe ich gar nicht ein, weshalb man dann statt der alten Klassiker nicht bloß die Bibel, dieses von simplen Menschen zusammengestoppelte und konfuseste aller Bücher, gelesen hat. Diese so genannte »heilige« Schrift würde uns nach meiner tiefsten Überzeugung ganz anderswohin geführt haben; der heutige Bildungsgrad wäre absolut nicht vorhanden. Bibelgesellschaften sind ein Angriff auf die gesunde Entwicklung der Menschheit.

Wie urteilen asiatische Männer über solches Gebaren? Zu dem Professor des Sanskrit Dr. Haug am britischen Kollegium zu Puma (Präsidentschaft Bombay) sagten Brahmanen in Betreff des fanatischen Religions- und Bekehrungseifers der Christen: »dieser Fanatismus ist ein deutliches Zeichen von Geistesschwäche und Borniertheit. Ein weiser Mann verfolgt Niemanden seiner religiösen Ansichten wegen.« Ferner: »Ihr macht Euch ganz abhängig von Gott, wir dagegen vertrauen uns selbst. Das Christentum kommt von einem fanatischen Volke, welches eine entschieden tiefer stehende Menschenrasse als wir ist, ohne alle philosophische Ideen, wenn sie nicht erborgt sind; einem solchen Glauben fügen wir uns nie.« Es steht geschichtlich fest, dass ganz Asien schon lange vor dem Christentume die Prinzipien der Liebe und eine Weltreligion nicht ohne zum Teil bessere Formen hatte als das Christentum. Dessen ungeachtet die landläufige Selbstvergötterung desselben. Wir haben Grund uns zu schämen.

Erst vor einiger Zeit sagte Labu Partâs Tschander zu Madras in einer feurigen Ansprache an versammelte Hindus u. a.: »Es gibt allerdings eine Anzahl von Religionen, einige Grundsätze werden indes von allen anerkannt: dass Gott aller Vater und die Menschen Brüder sind, dass wir uns dem Allmächtigen unterwerfen müssen, dass wir nach dem Tode zu einem ewigen Leben eingehen. Ich halte insofern eine Universalreligion für möglich, wenn sie auf diese Prinzipien sich gründet.«

In Japan hat der Mikado die hervorragendsten Männer aller Religionssekten in diesem Sommer zusammenberufen, damit sie gemeinsame, für alle verständigen Leute annehmbare Religionsgrundsätze sammenstellten. —

Ist der preußische sektiererische Ober-Kirchenrat nicht wütig über ein so blasses Nivellement? Schopenhauer meint aber in geistreicher Weise: »Die Religionen sind wie die Leuchtwürmer; sie bedürfen der Dunkelheit um zu glänzen.« In der Tat stehen solche Geister in einer Zeit mit so glänzenden Fortschritten auf anderen Gebieten vollkommen als
Fremdlinge da.

Die Religionen begnügten sich bisher mit dem, was durch irgend eine, gleichgültig mit welchem Rechte, als vollgültig anerkannte Autorität äußerlich geoffenbart worden ist. Da haben wir denn eine geoffenbarte Religion von oft sehr zweifelhaftem Werte. Die Kirchen, d. h. ihre Träger, wollen aber dann Alles nur durch den Autoritäts-Glauben erzwingen, dulden keinen Widerspruch und maßen sich sogar in wirklich staatsgefährlicher Weise ein Strafrecht gegen die Selbstdenkenden an. Aber wir sollen als vernunftbegabte Wesen denken ohne zu glauben, nicht glauben ohne zu denken. Schiller sagt: »die goldene Zeit der Geistlichkeit fiel immer in die Gefangenschaft des menschlichen Geistes«.

Die größten Geister unter den Völkern haben von jeher die Volksreligionen weit überflügelt, Religionen, unter deren Fittichen völkerbetörende Gaukeleien betrieben und die größten Gräuel verübt wurden. Man rechnet, dass in etwa 1100 Jahren das christliche Gewissen, nicht etwa die absolute Moral, gegen 9 Millionen Menschen als Zauberer, Hexen u. s. w. verbrannt oder umgebracht hat. Das Gewissen aber ist nicht der Ausdruck der absoluten Moral, sondern es hängt mit dem jeweiligen Gottesglauben zusammen, er mag noch so borniert sein. Die Moral selbst wächst nur mit der wahren Bildung, da sie auf der gegenseitigen Achtung der Rechte und des Glückes Anderer beruht. —

Die positiven nur auf Glaubensphantomen beruhenden Religionen sind meist nur der Ausfluss der Unwissenheit: je größer diese ist, desto mehr wächst der übernatürliche, rätselhafte, gedankenlose Zauberapparat mit welchem die Priesterschaft das Volk umnebelt. Also Sittlichkeit oder Moral haben ihrem Wesen nach mit den durch bloße Glaubensartikel getragenen Religionen gar nichts zu tun.

In dem Streite um die leeren Formen der Religionen ging und geht fortwährend noch der großen Masse das Bewusstsein von dem Wesen und dem Kerne der absoluten Religion oder der Religion an sich gar nicht auf. Die Religionen beruhten bisher nur auf menschlich einseitigen Anschauungen; sie sollten aber mehr und mehr auf Erkenntnis gegründet sein. Niemand indes hat das Recht die Anschauungen Anderer zu verdammen, wenn er selbst, sich einer anderen Anschauung hingebend, noch tief unter dem Ideale wahrer Erkenntnis steht.

Die Ainos auf der Insel Sachalin z. B. verehren wie die Giljaken u. a. den Bären als Gottheit, ernähren ihn gut und verzehren ihn endlich. Das Bärenfleisch ist ihnen offenbar das Sanktissimum der Katholiken und der Christen überhaupt.

Ob nun jene das Bärenfleisch mit einem weniger überspannten Gefühl genießen, als diese das ungesäuerte Brot, mag dahin gestellt bleiben; es gewährt ihnen aber eine hinreichende religiöse Befriedigung, die der Ausgangspunkt einer vielleicht ebenso sehr oder ebenso wenig wirksamen Moral ist als bei den Christen. Es steht indes nicht bloß geschichtlich und tatsächlich fest, sondern es liegt auch in der Natur der Sache, dass die Form der Gottesverehrung auf den wahren Wert des Menschen ohne allen Einfluss ist.

Nichts desto weniger werden wir in ethischer Beziehung nicht alle Formen eine gleiche Berechtigung beilegen: ihr Wert ist nämlich umso höher, je mehr der Kultus sich lossagt und fern hält vom rohen Materialismus. Nur das rechte Gottesbewusstsein wird uns die rechte Form der Gottesverehrung an die Hand geben. Wenn wir erst das Wesen Gottes erfasst hätten, dann würden wir als verständige und vernunftbegabte Menschen nicht zweifelhaft sein, wie unser Gott gebührend zu verehren, welcher Kultus ein Gott und Menschen zugleich entsprechender sein würde.

Das Christentum wie auch alle anderen Kulte haben ihre Dienste getan, sie unterliegen den Gesetzen der geistigen Entwicklung in der Menschheit und haben für hervorragende Geister schon lange nur als Übergangsperioden einen geschichtlichen Wert gehabt. Wir beginnen aber in ein neues Entwicklungsstadium zu treten, welches uns moralisch besser und schneller zu fördern verheißt, als die bisherigen mit Glaubensphantomen umnebelten Bekenntnisse. Freilich ist man vorläufig noch in ein gefährliches Extrem verfallen.

Die Vergötterung des Körperstoffes, wozu einige Naturforscher beigetragen haben, wäre Pantheismus in seiner verwerflichsten Gestalt. Wenn aber die einheitliche Kraft für das Weltall zufolge streng wissenschaftlicher Forschungen in ein einziges anderes Agens gesetzt werden dürfte, so wäre dieses der reinste Monotheismus, welcher sich denken lässt und auf welchen die Naturwissenschaften mit unwiderstehlicher Gewalt hindrängen. Wenn wir die ganze physische und psychische Natur und Welt als das Werk seiner Wirksamkeit erkennen, und wissen, dass dieses Agens allein der unfehlbare Gesetzgeber des Weltalles ist, dann werden wir einen nur auf die Wahrheit gegründeten Kultus errichten können, dem endlich die ganze herangebildete Menschheit huldigen muss, weil ihre natürliche Organisation überall dieselbe ist. Die Zeit aber, in welcher nur ein Hirt und eine Herde sein wird, liegt wohl noch sehr fern. Dafür sorgen schon die Glaubensfanatiker in der Unzahl von Religionssekten. —

Die Religion überhaupt ist das Erfülltsein unseres Geistes mit Gottesbewusstsein
und zwar zunächst selbst ohne Kenntnis der Substanz oder des Wesens von Gott, sondern nur in der Erkenntnis seiner Attribute: Allgegenwart, Allmacht, Schöpfer, Erhalter und Regierer der Welt nach ewig gültigen Vernunftgesetzen, welche nur allweise und gerecht sein können; Gott ist daher ein »gerechter Richter«, und »liebt alle Menschen«.

Ist aber unser Geist mit Gottesbewusstsein erfüllt, so werden wir selbst in der Lebens- und Geistesgemeinschaft mit Gott nur solche Handlungen vornehmen, welche in Übereinstimmung mit Vernunftgesetzen sind, der Menschenwille soll mit dem Weltwillen, der in der Vernunft seinen Ausgangspunkt hat, zusammenfallen. Geschieht dieses, so haben wir das »Wohlgefallen Gottes«.

Wenn wir also den einen wahren Gott, also nicht etwa bloß den Gott der Juden, der Muhamedaner, der Katholiken, der Protestanten und aller Religionsbekenntnisse überhaupt gefunden hätten, so würden wir den einen Mittelpunkt für die ganze Menschheit entdeckt haben und könnten dann den Grund zu einer Universalreligion legen, welche dem Sturme der Meinungen nicht ausgesetzt wäre und keine Veranlassung geben würde, dass sich Religionssekten so wahnwitzig verfolgten, wie es jetzt der Fall ist.

Wir stellen also die unendlich wichtige und tief greifende Frage auf:
Wer ist in Wahrheit Gott? Wer führt das Szepter des unendlichen Weltalls von Ewigkeit zu Ewigkeit? Wer lässt den Grashalm und den Wurm wachsen? Wer hat uns und alle Geschöpfe überhaupt erzeugt? Wer regiert mit unendlicher Kraft und mit strengem Gesetze alle die großen und kleinen Welten? Wer hat die Liebe in unser Herz gepflanzt und die Sehnsucht nach jenen »himmlischen Freuden«, nach der Ruhe in »jener Welt«?

Wir dürfen nicht hoffen, diese unendlich wichtige Frage, welche die tiefsten Forscher aller Zeiten so lebhaft beschäftigt hat, mit einem Schlage beantworten zu können: wir müssen vielmehr Schritt für Schritt an dem sicheren Ariadnefaden der Naturwissenschaft., welche sich ja mit den Werken »des Schöpfers«, also mit Gott, beschäftigt, durch das Labyrinth der Meinungen und Ansichten zur Klarheit der Erkenntnis zu gelangen und den Schleier des Bildes von Sais zu heben suchen, um, zum Entsetzen der Finsterlinge, die Wahrheit in ihrem Strahlenglanze endlich zu erkennen.

Lassen wir zunächst noch einige Streiflichter auf den
Weltprozess fallen!

Der Prozess eines werdenden, im wechselvollen Dasein bestehenden und endlich in seiner Individualität untergehenden Weltkörpers und Weltkörpersystems hat sich nach vorliegenden Beobachtungen im Weltraume sicher schon oft abgespielt; ob aber jede Neugestaltung in gleicher oder in veränderter Weise vor sich gegangen ist und gehen wird, lässt durch Tatsachen sich nicht bestimmen, da wir selbst in den Äonen von Zeiten nur Eintagsfliegen sind. Die Erscheinungen auf unserem Planeten lassen auf beide Fälle schließen.

So viel aber steht unwiderruflich fest,
dass der ganze Weltprozess im Kleinen wie im Großen ein gesetzmäßig logischer war und bleiben wird. Die Welt ist eine ununterbrochene Schöpfung, sie ist und bleibt in einem ewigen Werden und nicht in einem starren Sein, denn der Gleichgewichtszustand aller Stoffatome ändert sich fortwährend, ohne dass man mit Eduard von Hartmann von einem »Atomwillen« reden darf. Wenn v. Hartmann ferner meint, dass die Materie aufgelöst sei in »Wille und Vorstellung« und dass somit »der radikale Unterschied zwischen Geist und Materie aufgehoben sei«; so ist dieses nach den bisherigen Begriffen von der Materie als den Stoffen der sichtbaren Körperwelt durchaus falsch.

Dagegen ist Schellings Ausspruch: »Jenseits der Materie ist die reine Intensität«, die den Begriff der »Aktion« enthält, und diese »kann nicht als ein Teil der Materie (nämlich im gewöhnlichen Sinne) angesehen werden«, vollkommen richtig, und wir würden uns für befriedigt erklären können, wenn uns Schelling nur die aktive Intensität genau bezeichnet hätte; er sagt und weiß davon gar nichts.

Es gibt eine Kraft außer den Atomen; letztere selbst zu Automaten zu machen ist einer der gefährlichsten Missgriffe, welchen Forscher bisher begangen haben, denn sie geben den Feinden des Materialismus eine gewaltige Waffe in die Hand.

Der rohe Materialismus lässt auch ferner alle geistigen Tätigkeiten nur von dem Gehirn abhängig sein, der Spiritualismus aber nur von einer Substanz oder von einem immateriellen Wesen außerhalb der Körpers. Wir werden aber finden, dass die Wahrheit auf keiner dieser beiden Seiten ist; wir werden vielmehr die irdische Materie des Gehirns von einer überirdischen als beeinflusst ansehen und werden eine gegenseitige Wechselwirkung und Übertragung zwischen beiden erkennen, wobei der außerirdische Stoff der ursprünglich tätige und der irdische nur der Gegenstand der Tätigkeit ist. Geistestätigkeit ist aber in den organischen Stoffen nur während ihrer lebendigen Wechselwirkung, d. h. während des Körperlebens vorhanden.

Der Weltprozess besteht in einem fortwährenden Kampfe des Logischen gegen das Unlogische, des Gesetzmäßigen gegen das Gesetzlose, der Vernunft gegen die Unvernunft und endet endlich mit der Besiegung der letzteren. v. Hartmann sagt, die Idee des Weltprozesses sei eine Anwendung des Logischen auf das »leere Wollen.« Aber durch den »Willen an sich« oder das
leere Wollen kann man eine äußere Wirkung nicht erhalten. Der Wille vermag selbst nicht auf die Vorstellung zu wirken. Übrigens ist das leere Wollen ohne Erfüllung eine Qual.

Spinoza (geb. 1632) nimmt eine die ganze Natur durchdringende Denkkraft, die »Substanz« an und meint, dass der menschliche Geist ein Teil eines gewissen unendlichen Verstandes sei, dass er aber nur während der Lebensdauer des Körpers bestehe und beim Zerfallen desselben in das All zurückkehre. - In diesen Worten des tiefen Denkers liegt teils eine, wenn auch noch unklare, Hinweisung auf die eine Urkraft des Weltalles, teils eine Zurückweisung des eitlen Gedankens an
eine persönliche Unsterblichkeit.

Die »Substanz« Spinozas ist wesentlich das »Unbewusste« v. Hartmanns. Dieser sagt u. a. »das im Tier- und Pflanzenreiche wirksame Prinzip ist die Kraft des Unbewussten« und: »das Unbewusste ist die Ursache aller derjenigen Vorgänge in einem organischen und Bewusstseinsindividuum, welche eine psychische und doch nicht bewusste Ursache voraussetzen.« Schade nur dass das Wesen dieses »Unbewussten« ein Nebelhaftes bleibt und dass ihm nur die psychischen Erscheinungen zugewiesen werden, während es doch auch alle organischen und unorganischen Körper gestaltet.

Weil die Welt eine mit ewiger Schrift in Flammenzügen geoffenbarte
Vernunftidee ist, so sagt Hegel mit Recht: »was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, ist vernünftig,« und: »das was ist, ist die Vernunft.« Aber, wir müssen fragen: ist es bloß eine Idee, welche sich als Vernunft in der physischen und geistigen Welt offenbaren kann? Die Idee als solche ist absolut machtlos.

Wenn wir die nur dunkle Ahnungen enthaltenden Aussprüche auch hervorragender Philosophen durchmustern, so ist uns der einheitliche Begriff des Weltenbeherrschers dadurch noch nicht klar geworden.

Linné
z. B. spricht von einem Wesen aller Wesen, einem Urheber aller Wirkungen, einem
Baumeister, einem Regierer des Weltalls und sagt: »Wer dieses Wesen dieses (infinite ens) einen Regierer der Welt nennt, irrt nicht, wer es Erzeuger nennt, irrt nicht, wer es Vorsehung nennt, nennt es recht; denn die Welt entfaltet nach seinem Ratschlusse ihre Tätigkeit.«

Oersted dringt etwas tiefer ein, wenn er das ganze Dasein ein Vernunftreich nennt und weiter sagt: »eine von der Vernunft durchdrungene Naturanschauung zeigt uns das ganze Dasein als ein unendliches, ewiges Werk der lebenden Vernunft, die wir in Beziehung auf ihr Selbstbewusstsein Gott nennen«.

Wir werden im Verlaufe unserer Untersuchungen aber erkennen, dass weder von Ratschlüssen, noch von Selbstbewusstsein bei unserer einheitlichen weltbeherrschenden Kraft die Rede sein kann.

In den bisherigen Anschauungen verschwimmt Klares mit Unklarem, Wahres mit Falschem noch so sehr, dass wir eigentlich immer noch ratlos dastehen. Was sind Platos Ideen? Was ist Hegels absolute Idee oder das reine Sein? Was ist Schopenhauers Wille, Schellings Potenz an sich (Wille an sich) oder Subjekt-Objekt? Was ist Spinozas Ursubstanz mit unendlichem Denken, Kants Ding an sich? Was endlich v. Hartmanns Unbewusstes?

Oken‘s Anschauungen sind oft ebenso geistreich als widerspruchsvoll. Wenn er sagt: »es ist Alles Gott, was da ist« so ist dieses doch der verwerflichste Materialismus, in welchem wenig geändert wird, wenn er an einer anderen Stelle bemerkt: »die Materie ist das lebende Gewand Gottes.« Zu einer tieferen Anschauung aber erhebt er sich, wenn es heißt: »der Äther ist der göttliche Leib« und: »Gott und Äther sind identisch.« Es ist zu bedauern, dass diese in die Nacht der verworrenen Ansichten kühn geschleuderten Gedankenblitze nicht aus dem Feuer der Wissenschaft hervorgegangen sind oder ihre volle Rechtfertigung bei ihr finden.

Die iranische Religion sieht den
unendlichen Raum (twâsha) als Gottheit, und ein Teil der Iranier sogar als oberste Gottheit an. Darin läge aber ein großer Fehler, wenn man den leeren Raum, welcher absolut kraftlos ist, als Gottheit ansehen wollte.

Die semitischen Religionen späterer Zeiten weisen auf einen Monotheismus hin.

Dagegen ist Büchners Ausspruch (Kraft und Stoff, 1. Art. S. 93): der Stoff ist die Alles gebärende und Alles wieder in sich zurückziehende »Mutter« ein durchaus unannehmbarer Materialismus, wenn wir die gewöhnlichen Körperstoffe verstehen, wie es nach Büchners ganzer Auffassungsweise nicht anders sein kann. (Ich will übrigens Büchners große Verdienste nicht herabsetzen, denn er hat mächtige Funken in die Finsternis des Volkes geschleudert.)

v. Hartmann
spricht mit seinem »Unbewussten« eigentlich am offensten den Zustand der heutigen Forschung aus.

Das ruhelose Ringen der philosophischen Geister nach der Erkenntnis der einheitlichen Kraft für die Welt mit allen ihren Erscheinungen ließ zwar die Hoffnung durchschimmern, dass es der exakten Wissenschaft einst gelingen werde, den
einen wahren Gott des Weltalls zu entdecken, und dem theologischen, weltzerfleischenden Irrwahn somit den Lebensfaden abzuschneiden; aber ein absolut sicheres und klares Ergebnis haben wir bis jetzt daraus noch nicht gewinnen können. Wir wollen uns indes bemühen, die Sprache der Philosophen, die uns mit ihren ungewohnten Ausdrücken sehr oft wie eine ganz fremde gegenüber tritt, überall in eine uns Allen verständliche zu übertragen, um so ihre in der Tat oft tiefen Forschungen nutzbarer zu machen.

Die Philosophen haben aber einen recht fruchtbaren Boden so lange nicht gefunden als sie die Ergebnisse der Naturwissenschaften noch nicht aufnahmen oder noch nicht kannten. Man hat dem Grundsatze, dass die Natur mit allen ihren Körpern und Erscheinungen nur durch sich selbst erfasst werden kann, eine viel zu geringe Bedeutung beigemessen. Wir sehen aber mit Freude, »dass der Gang der Philosophie eine Umwandlung mystisch-genialer Konzeptionen in rationelle Ergebnisse« mehr und mehr anzunehmen im Begriff ist. Den Gegnern Darwins, dessen eifriger Anhänger ich bin, will ich aber gern zugeben, dass seine Lehre noch unzureichend ist auch alle psychischen Erscheinungen zu erklären und die Frage nach der einen Alles beherrschenden Kraft wissen¬schaftlich zu beantworten.

Spinoza,
dieser von seinen Glaubensgenossen so grimmig verfolgte Jude, einer der tiefsten Denker, den die Erde je getragen hat, sagte:

»Gott ist eine Ursubstanz mit unendlichem Denken, unendlicher Ausdehnung mit unendlichem Sein; sie ist unteilbar, wirkt gesetzlich, ist die bleibende Ursache aller Dinge. Die besonderen Dinge sind nur Kraftäußerungen Gottes«.

Spinoza verwarf also schon vor mehr als 200 Jahren den Glauben an einen persönlichen Gott, der irgendwo im Weltraume seinen Sitz haben solle.
Auch der bedeutende Astronom, aber furchtbare »Gotteslästerer« Lalande schrieb:

»Ich habe den Himmel überall durchforscht und nirgends eine Spur von Gott gefunden.«

Der berühmte Pater Secchi und jeder Denkende stimmt heutzutage diesen Männern bei. Die großen Massen des Volkes, welche durch die Kirchen im Glauben förmlich gezüchtet werden, so wie ihre Zuchtmeister erheben über eine solche Gottlosigkeit freilich ein Zetergeschrei, dass die Welt einfallen möchte. Aber je mehr die Denkkraft des Volkes durch vernunftgemäße Erziehung angeregt und genährt werden wird, desto mehr wird der persönliche Gott für die moralische und vernünftige Entwicklung der Völker als entbehrlich, ja als schädlich erkannt werden. Wenn es einen
persönlichen Gott gibt, der allmächtig ist, warum hat er da nicht sittlich fertige Menschen geschaffen , sondern warum lässt er das Laster blühen, warum die wahre Sittlichkeit erst durch schwere Kämpfe erringen und dafür die Lasterhaftigkeit mühelos gedeihen?

Auf die Gefahr hin von den Finsterlingen verketzert zu werden, wollen wir uns also der sicheren Leitung der exakten Wissenschaften anvertrauen und nach dem
unpersönlichen Gotte des Weltalls forschen.

Wenn wir hören: »Gott ist ein Geist« (2. Korinther 3, 17.), so können wir diesen Ausspruch nur dann als unverfänglich annehmen, wenn wir unter Geist etwas Unsichtbares oder vielmehr etwas Unkörperliches überhaupt verstehen. Diese Bedingung würde der uns bereits bekannte
Weltäther wohl erfüllen. Wollten wir aber unter Geist in jenem Ausspruche etwas absolut Immaterielles verstehen, so würde ein solcher Gott auf die Stoffe im Weltraume naturgesetzlich durchaus nicht wirken können. Gott ist also kein Geist im landläufigen Sinne.

Der
Weltäther allein ist das ewig Seiende des Weltalls; die Weltkörper selbst mit allen ihren Wesen sind das ewig wechselnde, das niemals Seiende, sondern das stets Vergehende und einer Umgestaltung Unterworfene. Von dem Weltäther wissen wir bereits, dass er durch den ganzen Weltraum nach streng logischen Gesetzen wirkt; er beherrscht alle Stoffatome im Weltraume und tritt auch mit denen des organisierten Körpers in eine mechanisch-gesetzliche Wechselwirkung. v. Hartmann spricht in seiner Philosophie des Unbewussten auch von einem »unfehlbar Logischen im Unbewussten« und schreibt ihm organisches Bilden, die Erscheinung der Instinkte u. s. w. als Wirkungen zu. Wenn er aber dem »Unbewussten« einerseits Unteilbarkeit, andererseits Individualität zuschreibt, so ist dieser Zusammenhang offenbar falsch, weil das Unteilbare entweder Null oder das Unendliche und dieses kein teilbares Einzelwesen (Individuum) ist. Der Weltäther ist unendlich, also unteilbar. Das Unbewusste von v. Hartmann »irrt niemals oder schwankt auch nur, sondern es trifft augenblicklich und unter allen Umständen das Richtige,« mag es nach unseren Begriffen neubildend, erhaltend, zerstörend oder nur umbildend wirken; es handelt nur gesetzmäßig nach logischer Notwendigkeit, es ist allweise.

In der Tat aber geht die unablässig gestaltende, ordnende, bildende, belebende Kraft von dem nur gesetzmäßig wirkenden Weltäther aus, mag es sein bei den für die Atome geltenden Gesetzen in der Chemie und der organischen Natur, mag es sein bei den das unendliche Weltall beherrschenden Gesetzen der Gravitation. Selbst wenn eine Erscheinung dieser unserer Anschauung noch so fern zu liegen scheint, so lässt sie doch leicht und ungezwungen sich ihr unterordnen. Da es der Weltäther ist, welcher die Atome und Molekel eines Körpers zwingt je nach ihrer Gestalt eine bestimmte Lagerung anzunehmen und diese mehr oder weniger energisch festzuhalten; so wird z. B. einer Stahlfeder, welche man nötigt eine andere Gestalt anzunehmen, allein durch den Weltäther die frühere Form wiedergegeben mit der alten Lagerung der Atome und Molekel, welche selbst aber kraftlos sind. Der Weltäther erhält also auch u. a. eine aufgezogene Federuhr (wie jede Gewichtuhr durch die Gravitation) im Gange. Wären die Stoffatome der irdischen Elementarkörper kugelförmig, so würden sie wie der Weltäther nach allen Richtungen mit gleicher Kraft wirken. Da dieses nicht der Fall ist, so haben sie mancherlei andere Gestalten, welche auch die verschiedenen Kohäsionsverhältnisse bedingen.

Wenn nun auch das Wesen der Gravitation, die Körpergestaltung, die Adhäsion, Kohäsion, die damit zusammenhängende Elastizität und alle statischen und dynamischen Erscheinungen des Gleichgewichtes und der Bewegung unschwer auf die Kraft des Weltäthers zurückgeführt werden können; so scheint doch die Erforschung des
Seelenlebens für unsere Untersuchung eine kaum zu überwindende Schwierigkeit darzubieten. Werden wir aber, um das Wesen der Seele, ich will nicht einmal sagen, zu begreifen, sondern als etwas Gegebenes anzunehmen, eines persönlichen Gottes bedürfen, eines Gottes, welcher uns die Seele eingehaucht hat?*) Darauf muss mit einem entschiedenen Nein geantwortet werden, wenn auch leider selbst Darwin meint, dass der Urform für alle Lebewesen vom Schöpfer das Leben eingehaucht worden sei.
*) Das Volk wird immerfort noch durch die Bibel (»das Buch der Bücher,« in welchem man für alle, auch die borniertesten Geistesströmungen ein Wort findet) in unvernünftiger Weise belehrt, denn es steht 1. Mose 2. 7 geschrieben: »Und der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß und er blies ihm einen lebendigen Odem in seine Nase. Und also (!) ward der Mensch eine lebendige Seele
Dr. H. Lang, Pfarrer in Zürich sagt in seiner Schrift über das Leben Jesu und die Kirche der Zukunft: »die freie Forschung der Neuzeit hat der Bibel schon längst den Nimbus geraubt, den Unwissenheit in sie legt.«

Bei der Übereinstimmung der Stoffe, aus denen Tier- und Menschenkörper zusammengesetzt sind, darf man sich nicht verwundern, dass das Wesen der Seele bei Tieren und bei Menschen dasselbe und dass der Unterschied nur ein gradweiser ist. Als Bedingung für das Vorhandensein eines Seelenlebens genügt aber noch nicht eine rein mechanische Rückwirkung eines organisierten Körpers, wie sie etwa bei den sog.
Sinnpflanzen vorkommt. Die hierbei auftretenden Bewegungen sind nämlich nur eine Folge der durch eine bloße Berührung erfolgenden Auslösung einer während der Vegetation erzeugten Spannung des Molekularzusammenhanges oder eines Reizes durch die Lichtschwingungen.

Wie der ganze Erdkörper und alle seine leblosen und Lebewesen auf ihm von den unscheinbarsten Anfängen an organisch und logisch gesetzlich sich entwickelt haben, so auch nicht bloß der menschliche Leib, sondern auch alles menschliche Können, Tun und Wissen: die menschliche Sprache, die Religion, die Kunst und Wissenschaft, der menschliche Geist und überhaupt die ganze Geschichte des Menschengeschlechtes. Die Entwicklung des geistigen Lebens im ganzen Menschengeschlechte ist im Großen und Ganzen eine mit der von der übrigen Welt gleichlaufende.


Der Mensch ist nur durch eine mehr und mehr lebhaft gewordene Wechselwirkung mit der vielgestaltigen Natur und mit Seinesgleichen oft unter den härtesten Kämpfen das geworden was er ist; jede außernatürliche Einwirkung ist eine leere Erfindung und Phantasterei. Gerade seine im Naturzustande noch vorhandene Schwäche gegenüber der kräftigeren Tierwelt musste ihn anspornen auf Mittel eines erfolgreichen Kampfes zu sinnen. Je mehr er sich befreite von der Bewältigung durch rohe Naturkräfte und je mehr er diese nicht nur ungefährlich, sondern sogar für sich nutzbar zu machen verstand, desto mehr schritt er in seiner geistigen und menschenwürdigen Entwickelung vor. Die Menschheit zieht mit ihren weiteren Fortschritten sogar die übrige organische Welt nach und nach immer mehr in ihre Dienste, so dass schließlich fast nur Kulturpflanzen und Kulturtiere leben werden.

Die Erscheinungen auch im gesamten Völkerleben sind ganz entsprechend denen im übrigen Naturleben. Völker entwickeln sich, bleiben auf einer gewissen Stufe bisweilen lange stehen, gehen im Kampfe ums Dasein zugrunde, neue treten auf die Weltbühne, überragen die alten, und so wächst unter dem Einfluss der freien geschlechtlichen Wahl und unter dem Gesetze der Vererbung die Krone des Baumes der tieferen Erkenntnis immer höher und höher. Wie in allen Gebieten der Natur, so kommen zwar auch hier Rückfälle vor (ich erinnere nur an den in der katholischen Kirche einreißenden Baalsdienst); aber niemals zeigen sich plötzlich sehr bedeutende Sprünge nach vorwärts (natura non facit saltum), wenn auch einzelne Meteore im Gebiete der geistigen Welt die Zukunft prophetisch anzeigen. Einzelne Männer führen das Schlepptau für die große Menge und leiten sie ohne größere Umwege und Fehltritte schneller zum rechten Ziele. Ja ganze Völkerschaften werden dann, wie jetzt die Chinesen und Japaner von dem Strome der Zeit in das Kulturleben mit fortgerissen.

Auch geistig hochbegabte oder geniale Menschen sind das Produkt äußerer günstiger Einwirkungen und Umstände: eine glückliche und harmonische Verbindung der Eltern, Erziehung, Natureinflüsse, Zeitumstände verschiedener Art und eine normale und bildsame Organisation. Ländergestaltung und wiederholte Umgestaltung der Erdoberfläche, die zu frei- und unfreiwilligen Wanderungen und dann zu Anpassungen an neue Lebensbedingungen die Veranlassung und Nötigung wurden, ferner die damit zusammenhängenden Natureinflüsse wie Licht, Luft, Temperatur, Klima überhaupt und Ernährungsweise haben auf die Entwicklung des ganzen materiellen und geistigen Lebens wesentlichen Einfluss: Verkümmerung (Steppengebiete) oder fröhliche Entfaltung (Altgriechenland), Schlaffheit oder Energie des Körpers und Geistes, Rohheit oder Sanftmut, Trägheit oder Fleiß, Stumpfsinn oder lebendiges Bewusstsein, ja selbst verkehrter oder edlerer Götterglaube, Herabdrückung oder Entwicklung des reinen Denkens und der Vernunft.

Je niedriger ein Volk steht, desto weniger unterscheiden sich die Einzelnen in körperlicher und geistiger Beziehung voneinander. (Die Baskiren z. B. sind aus einer Form gegossen.) Je mehr in der Natur aus der Einförmigkeit die Mannigfaltigkeit sich gestaltete, desto eher, tiefer und mannigfaltiger entwickelte sich auch der Mensch, weil die Veranlassung Begriffe in sich aufzunehmen, zu vergleichen, zu schließen, zu denken mit der äußeren Anregung wuchs. Ist aber einmal eine gewisse Stufe des Denkens erreicht, so nimmt dann der Fortschritt einen rascheren Gang als früher und der Mensch entfernt sich durch eigene Kraft dann schneller von seinen Urahnen als die Menschen und Völker auf noch niedrigeren Stufen. Die übrigen bildungsfähigen Völker, werden dann in den Strom der Kultur hineingezogen. So kommt, jetzt freilich immer noch unter harten Kämpfen, später aber immer leichter, die »göttliche« Vernunft zur Herrschaft, während die rohen und bildsamen Völker, so wie alle geistig starren und verknöcherten Naturen naturgemäß zugrundegehen, wie u. a. die Orthodoxen und Reaktionäre, die das Rad der fortschreitenden Zeit nicht nur aufhalten, sondern zurückdrehen wollen. —

Der Kampf ums Dasein muss aber von dem physischen mehr und mehr auf das moralische und geistige Gebiet übergetragen werden. Die Völker sollen einander nicht zu vernichten, sondern durch menschenwürdige Eigenschaften zu übertreffen suchen; die Rassenkämpfe sollen Geisteskämpfe, die Herrschsucht soll Bildungstrieb und die niedrig stehenden Völker sollen durch Beispiel und Belehrung höher stehender gehoben werden. —

Wenn Wilhelm v. Humboldt sagt: »die Weltgeschichte ist nicht ohne eine Weltregierung verständlich,« so kann der Naturforscher dabei niemals an eine, von einen persönlichen Gott ausgehende Leitung denken, sondern er wird und kann diese Regierung nur eine naturgesetzliche sein lassen, welche in der Erstrebung der in der ganzen Natur ausgeprägten Vernunftgesetze gipfelt. Das von der weltbeherrschenden Kraft ausgebende psychische Dasein ist ein fortwährender Kampf des Logischen gegen das Unlogische, des Vernünftigen gegen das Unvernünftige, welcher wenn auch nur allmählich, mit dem Siege des ersteren enden wird.

Wie wenig unser Leib durch eine schöpferische Tat eines persönlichen Gottes plötzlich in die Welt gesetzt worden ist, ebenso wenig ist auch der Geist uns durch einen solchen Gott eingehaucht worden. Auch er ist das Ergebnis einer mit dem leiblichen Organismus stufenweise fortschreitenden Entwicklung. Dieses hier, wenn auch nur in allgemeinen Umrissen, zu zeigen sind wir nach dem Plane der Schrift verpflichtet.

Wie also der organische Leib das Ergebnis einer allmählichen äußerst langsamen Entwicklung ist, so auch die Seele des tierischen Körpers, welche beim Menschen durch das Selbstbewusstsein und Denken den höchsten Grad von Vollkommenheit erreicht hat, so dass Denken und menschliches Sein untrennbar sind: »Ich denke, also bin ich.«

Um nun über das Wesen der Seele uns zu verständigen, müssen wir uns erinnern, dass von den verschiedenen höchst wunderbar zusammengesetzten Organen aus Empfindungsnerven nach dem Gehirn als dem Zentralorgane gehen und sich hier in eine außerordentliche Menge äußerst feiner Ästchen verbreiten. Von dem Gehirn aber gehen Bewegungsnerven aus, die mit jenen in äußerst verwickelter Weise verflochten sind und mit den Muskeln in Verbindung stehen.

Wenn wir die Tatsachen anstaunen, dass die Molekularbewegungen in einem Eisendrahte fähig sind die Tonschwingungen nicht bloß einzelner Instrumente sowohl nach ihrer Höhe als auch nach ihrer spezifischen Verschiedenheit (Klarinette, Horn, Flöte u. s. w.), sondern auch verschiedener Instrumente in einem Konzerte gleichzeitig überzutragen; wenn wir es ferner bewundern wie die Atombewegungen in einer elektrischen Batterie in veränderter Form durch den Telegraphendraht mit Blitzesschnelligkeit fortgepflanzt und wie dadurch selbst Massenbewegungen (u. a. des Hammers bei Glockenwerken) erzeugt werden; wie die bewegende Kraft dabei selbst auch auf Entfernungen (hier durch Luft, die aber auch fehlen kann) sich wirksam zeigt: so möchte das Staunen und Bewundern wohl seinen höchsten Grad erreichen, wenn wir die Vorgänge in unserem Seelenleben damit zusammenhalten, und doch sind auch diese geheimnisvollen Erscheinungen den allgemeinen, rein mechanisch wirkenden Naturgesetzen unterworfen.

Wenn wir endlich wahrnehmen, dass alle physikalischen Kräfte, wie sie z. B. im Schall, Licht, in der Elektrizität und Wärme vorkommen, nicht bloß auf unsere Empfindungsnerven und Muskeln, sondern auch auf die Seele wirken, und wenn wir andererseits durch unsere Seelenkraft, wie sie im Willen sich zu äußern imstande ist, physikalische Erfolge erzeugen,(z. B. eine entfernte Magnetnadel abzulenken); so ist doch klar, dass bei diesen Wechselwirkungen noch ein Stoff eingreifen muss, der sich zwar unserer sinnlichen Wahrnehmung entzieht, aber in beiden Fällen die Atome der angewendeten Körper beherrscht.

Wenn man nun in der Physiologie fortwährend noch von einem besonderen »Nervenprinzip« spricht, welches in den Nerven und durch die Nerven teils die Vermittelung der Außenwelt mit dem Zentralorgan, teils die Rückwirkung von da aus an die Außenwelt angeblich vermittelt: so ist mir bei dem heutigen Stande der Physik jenes Wort immer nur als ein gedankenloser Notbehelf erschienen;

Denn eben, wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zu rechter Zeit sich ein.
Mit Worten lässt sich trefflich streiten.
Mit Worten ein System bereiten.


Weil einzelne sich gestehen müssen, dass sie mit dem »Nervenprinzip« durchaus nichts anfangen können, sondern weil sie etwas mehr Greifbares haben wollen, so sprechen sie von einem »Nervenäther«, um die psychischen Vorgänge auf eine reale Grundlage zurückzuführen. Ein besonderer Nervenäther ist aber auch eine Illusion.*)
*) Graf A. de Gasparin schreibt einem »Nervenfluidum« die Wirkungen zu, welche die Spiritualisten der Geisterwelt beilegen; Prof. Thury glaubt dafür eine allgemeine verbreitete »Weltkraft« annehmen zu müssen und der Akademiker Dr. W. Richardson spricht von einer »nervösen Atmosphäre.«

Es ist aber hier vorzüglich festzuhalten, dass der Weltäther, wie er die Atome aller Stoffe, so auch die der Nerven und des Gehirns umgibt, an ihren Bewegungen teilnimmt, eine Übertragung bewirkt und so überhaupt eine Wechselwirkung zwischen ihnen vermittelt. Es lässt sich durch einen einfachen Versuch sogar nachweisen, dass er eine vermittelnde Teilnahme zeigt. Wenn man bei einem Frosche das Rückenmark von vorn nach hinten der Länge nach halbiert, so be¬schränken sich die auf äußere Reize erfolgenden Bewegungen (die Reflexbewegungen) des Frosches nur auf die gereizte Hälfte. Lässt man aber bei jenem Schnitte eine wenn auch ganz schmale Verbindungsbrücke oder durchschneidet man ohne Längenschnitt jede der beiden Hälften quer an zwei Stellen, die nur in einiger Entfernung von einander liegen. so entstehen durch Reizung eines Hauptpunktes allgemeine Reflexbewegungen. Die Wirkung der Reizung hält sich also nicht an die vorgezeichneten Bahnen, sondern sucht sich unter Mitwirkung des die Atome umgebenden und beherrschenden Weltäthers, dieses bisher sogen. Nervenprinzips, neue Bahnen. Er vermittelt auch in der Physik die Wirkung auf die Entfernung. Die chemische Beständigkeit der organischen Gebilde wird während ihrer Lebenszeit allein durch den Antrieb des Weltäthers (nach v. Hartmann des »unbewussten Willens«,) aufrechterhalten, so dass er allein das Lebensprinzip ist. Da der Weltäther in seinem Wesen absolut unveränderlich und von den Körperstoffen völlig unabhängig ist so kann er weder selbst erkranken, noch für sich in einem Organismus eine Erkrankung bewirken.

Es ist überraschend dass v. Hartmann durch reines Denken in Betreff seines »Unbewussten« zu demselben Ergebnis gelangt ist. Er sagt nach einer Reihe von geistvollen Untersuchungen: »Es muss also ein über den materiellen Leitungsgesetzen der Nervenströmungen stehendes Prinzip (?) vorhanden sein, welches die Veränderungen der Umstände schafft, vermöge deren die Bahnen jener Nervenströmung verändert werden, und dieses Prinzip kann nur ein immaterielles sein.« v. Hartmann meint wohl, dass es insofern immateriell ist, als es mit den irdischen, überhaupt den Weltkörperstoffen, nichts gemein hat. Er charakterisiert dieses Prinzip nicht und kann es auch von seinem Standpunkt aus nicht, denn es ist ihm das »Unbewusste«: aber es ist nichts als der Weltäther. —

Er ist es auch allein, der in allen normal organisierten Menschengehirnen bei allen Rassen auf der ganzen Erde die
Einheit des Bewusstseins erzeugt, indem er an den Schwingungen der Gehirnatome nicht nur gleichmäßig teilnimmt, sie überträgt und je nach dem Zustande derselben auch Umwandlungen der Bewegungsarten vermittelt, sondern auch seine Gesetze einprägt. Daher kommt es u. a. auch, dass die Instinkte keiner Lehre und Übung bedürfen, sondern sogar ohne jede Mitwirkung von außen in die Erscheinung treten, wenn die Veranlassung dazu eintritt. Wenn das soeben geborene Kalb an das Euter seiner Mutter gehen will, so braucht es nicht erst angewiesen zu werden, in welcher Aufeinanderfolge es seine Beine gebrauchen soll, um nicht zu fallen u. s. w. Wie der Weltäther die Gravitationsgesetze erzeugt, so sorgt er auch hier für die Erhaltung des Gleichgewichtes.

Wenn v. Hartmann ferner u. a. sagt: »Das Prinzip der praktischen Philosophie besteht darin, die Zwecke des Unbewussten zu Zwecken seines Bewusstseins zu machen«; so heißt dieses in der einfachen Sprache der Naturwissenschaft: Es ist eines jeden Menschen Lebensaufgabe seinen Willen unterzuordnen dem Weltwillen, oder den vom Weltäther ausgehenden und in der ganzen Erscheinungswelt erkennbaren Vernunftgesetzen. Dann sind die Ziele des Bewusstseins nicht mehr auf das
gegenwärtige Diesseits oder auf ein bestimmtes Jenseits gerichtet, sondern verschwimmen in dem allgemeinen Weltprozess, für welchen Jeder mit voller Hingabe kämpfen und leisten soll. »Nur in der vollen Hingabe an das Leben und seine Schmerzen, nicht in feiger persönlicher Entsagung und Zurückziehung (Klosterunfug) ist etwas für den Weltprozess zu leisten«.

Der tätige
Weltwille liegt aber zweifellos im Weltäther: denn er wirkt mathematisch streng (Gravitations-, Kristallisations- u. a. Gesetze), er beherrscht wie die rein vegetativen Lebensprozesse, so auch die Instinkte, die Seelentätigkeiten, die Vernunft, den Willen. Schelling sagt weniger klar als ahnungsvoll: »Wollen ist Ursein« und »der Wille ist es, welcher der ganzen Welt und jedem einzelnen Dinge das Dass verleiht«. v. Hartmanns Ausspruch: »Es gibt nur das Unbewusste und seine Tätigkeit, aber nichts Drittes«; ist für uns leicht zu deuten. Das Unbewusste ist der Weltäther, das Werk seiner Tätigkeit ist die sichtbare Welt. Die durch den Weltäther im Weltraume erzeugten Entwicklungen sind ein steter Weltprozess des Ewigwahren gegen das, was nicht ist, wie es sein soll.

Kehren wir nun zur physikalisch-physiologischen Wirksamkeit des Weltäthers in dem organisierten Leibe zurück! Die Schwierigkeiten sind weniger groß als es scheint. Die Übertragung der Zustände der Außenwelt nach dem Zentralorgane geschieht durch die Empfindungsnerven, der Weltäther nimmt organisatorisch teil bei den Bewegungen der Gehirnatome und diese werden unter Umständen von ihm zu Rückwirkungen auf die Bewegungsnerven veranlasst.

Um aber das Wesen der Seele zu begreifen müssen wir noch dem Zentralorgan etwas Aufmerksamkeit widmen. Es muss sogleich an der Spitze behauptet werden,
dass es eine Chimäre ist, die Seele als etwas absolut Unmaterielles anzusehen; denn es ist eine Tatsache, dass wir mit der allmählichen Beseitigung der einzelnen Gehirnteile wie einem Tiere so auch dem Menschen die Seele gewissermaßen stückweise herausschneiden können. Es bleibt ihm dann nur ein vegetatives Leben übrig. Vom kleinen Gehirne aus gehen vorzüglich die Nerven für die Organe, vom großen, welches beim Menschen mit seinen Halbkugeln von der Stirn aus die anderen Gehirnteile überdeckt und mit einer grauen Nervensubstanz, die aus eigentümlichen kugeligen oder strahligen Zellen besteht, bekleidet ist, sind wesentlich die rein-geistigen Tätigkeiten abhängig.

Wenn schon Protagoras (in der Mitte des fünften Jahrhunderts vor Chr.) sagte: Der Mensch ist das Maß aller Dinge, so ahnte er den innigen und gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen der Außenwelt mit ihren wechselnden Zuständen und der menschlichen Erkenntnis durch seine Organe. Da jene aber der Ausfluss einer über ihnen stehenden und sie beherrschenden Kraft sind, so liegt darin auch die gesetzliche Abhängigkeit unserer eigenen Natur von ihr.

Auch Spinoza spricht schon mit anerkennenswerter Klarheit über die Wechselwirkung zwischen uns und der Außenwelt, indem er behauptet, dass der Mensch die Außendinge nur mittels der Veränderungen seines eigenen Köpers auffasst; wenn er aber hinzufügt, dass die
Vorstellung, welche wir von den physischen Dingen haben, mehr den Zustand unseres eigenen Körpers als die Natur jener Dinge anzeige, so ist dieses nur in beschränktem Maße richtig und passt weniger für einen gesunden Geist in einem gesunden Körper. Wenn wir unserer Weltseele, dem Weltäther, die ihr im organisierten Körper zukommende Einwirkung anweisen und zuschreiben, so ist das Wesen der Tierseele nicht mehr so dunkel und rätselhaft, als man gewöhnlich meint, und wir haben nicht mehr notwendig zu einem persönlichen, Wunder wirkenden Gott zu greifen, um schließlich unseren Verstand gefangen zu geben.

Wir werden übrigens unter den Seelentätigkeiten die rein mechanischen von den wesentlich physischen unterscheiden müssen. Wie es in der Physik Zurückwerfungs- oder Echoerscheinungen gibt (bei Schall, Licht, strahlender Wärme, dynamischer Elektrizität), so auch im tierischen Organismus in Betreff der durch die Nerven geleiteten Schwingungen von Gegenständen der Außenwelt. In dem Zentralorgan werden durch Übertragung der Zustände der Außenwelt Bewegungs¬zustände erzeugt, welche mit jenen Veranlassungen erscheinen und verschwinden (Ton), oder einen bleibenden Lagerungs- oder Spannungszustand der Gehirnatome erzeugen.

Wie es ferner in der Physik Umwandlungen von Bewegungsarten gibt (Wärme z. B. lässt sich in Schall oder Elektrizität umwandeln), welche durch die Gestalt und Lagerung der Stoffatome, auf welche die Bewegungen treffen, erzeugt werden, so auch werden im Organischen Körper, namentlich in der Substanz des Zentralorgans, die durch die Empfindungs¬nerven angekommene Schwingungen umgewandelt, z. B. plötzlicher Schall oder schnelle Abkühlung erregt Schrei etc. Der Schrei des Kindes bei seiner Geburt ist bloß als Folge des so plötzlichen Temperaturwechsels anzusehen.

Dieses sind unwillkürliche, unbewusste, rein mechanisch eintretende Rückwirkungen oder Reflexbewegungen der Nerven zufolge äußerer Reize und sind somit unfähig einen Vorsatz zu fassen.

Wir müssen diese Erscheinungen als solche ansehen, bei denen der erregende Reiz einen Empfindungsnerven trifft, welcher ihn bis zu einem Teile des Zentralorgans fortpflanzt, worauf er von diesem auf motorische Nerven überspringt, die dann ihrerseits eine Muskelbewegung auslösen. Diese unbewussten Reflexwirkungen treffen augenblicklich und zweifellos das Richtige, während bewusste Überlegung in vielen Fällen. wie z. B. beim Balancieren eines Menschen auf einem Seile, zu spät kommen würde.

Man erstaunt wirklich über die Schnelligkeit solcher Reflexbewegungen bei Pferden, welche nicht bloß nach der Musik mit großer Präzision tanzen, sondern selbst nach den Bewegungen der Hände, des Kopfes oder auch nur der Augen des Führers die verwickelsten Bewegungen einzeln oder selbst bis zu 6 oder 8 Stück ausführen. Diese letzteren Erscheinungen müssen wir wohl schon als eine
Reaktion der Seelentätigkeit ansehen, wie u. a. auch die Sympathie, wobei der die Gehirnatome umgebende Weltäther in lebhafteren Schwingungen sich befinden wird, so dass der physische Mechanismus durch Leitung und Übertragung der Schwingungen zu einem psychischen geworden ist. Die einfachen Reflexwirkungen sind bloß mechanische Rückwirkungen auf äußere Reize, mit denen sie erscheinen und verschwinden, und sie sind unfähig einen Vorsatz zu fassen. Ist aber letzteres der Fall, so zeigt sich der Organismus beseelt, und es treten bewusste Reflexwirkungen ein.

Die Seele ist die lebendige Wechselwirkung zwischen den Atomen des organisierten Körpers und dem Weltäther. Sowie diese Wechselwirkung aufhört oder sich nur beschränkt auf die Herbeiführung der zur chemischen Verwandtschaft notwendigen Atombewegung, so entweicht die Seele aus dem Körper, d. h. der Weltäther, diese Weltseele, hört auf die Atome des Organismus ohne Veränderung ihres materiellen Wesens gesetzmäßig zu beherrschen, sie zu ordnen zu gruppieren, an allen ihren Bewegungen teil zu nehmen.

Ist bei einem Organismus ein gleichmäßig gegliederter Zusammenhang der Körperteile vorhanden, wie bei Regen- und anderen Würmern, so können Teile nach der Trennung vom Ganzen noch beseelt bleiben und dann als Einzelwesen selbstständig fortleben. Bei anderen Tieren, den Gliedertieren, behalten die Hauptteile nur einige Zeit noch einen bewussten Willen, bei noch anderen aber haben die Stücke nur noch eine unbewusste Bewegung ehe sie absterben.

Bei den nach Raum und Zeit auf unsere Sinne hinreichend kräftig erfolgenden Einwirkungen von außen bilden sich in unserem Gehirne durch Übertragung auch bleibende Anordnungen der einzelnen Atomgruppen, gleich wie sich aus einer kristallisierbaren Flüssigkeit auch durch mechanische Anregung Kristalle erzeugen. Wenn nun auch die Außenwelt aufgehört hat unmittelbar auf die Sinne einzuwirken, so bleiben doch noch die Eindrücke derselben, wir sind uns also der früher erhaltenen Eindrücke noch bewusst und können uns auch ohne eine nachfolgende Einwirkung ein treues Bild von ihnen machen, d. h. wir haben eine Vorstellung von ihnen.

Dass Vorstellungen im Gehirne nach und nach verklingen liegt in dem Widerstande, den die bestimmte Lagerung der Gehirnatome bei der Aufnahme der Vorstellung entgegensetzte und welcher sie in die ursprüngliche Lage zurückzuführen strebt, gleichwie es bei einer ans ihrer Lage gebrachten angespannten Saite der Fall ist. —

Auch das Tier kann sich von Außendingen klare Vorstellungen machen wie der Mensch und sie sind jenem oft fester eingeprägt als diesem, wie uns u. a.. der oft so außerordentlich entwickelte Ortssinn beweist; aber das Tier vermag nicht Begriffe zu bilden und kann nur in beschränktem Maße Ursache und Wirkung verbinden. Die Kausalität ist überhaupt nicht eingeboren, sondern nur allmählich entwickelt und dann erst angeboren.

Gleich wie wir nicht alle Ätherschwingungen als Licht, nicht alle Luftschwingungen als Ton erkennen, so werden auch nicht alle auf das Hirn übertragenen Bewegungen überhaupt geeignet sein schon bleibende Eindrücke oder Vorstellungen zu erwecken; sondern sie müssen bei jedem Menschen eine gewisse Stärke erreicht haben, um klar und fest zu sein.

Wie ferner eine Saite von bestimmter Spannung nicht für jeden beliebigen Ton eine Resonanz besitzt, sondern nur für den ihrer Spannung entsprechenden: so wird auch in einem Hirn nur dann eine bewusste Vorstellung entstehen, wenn die Anordnungen seiner Atome geeignet ist diese Vorstellung fest zu halten und ein klares Abbild zu geben. Wie aber endlich der Ton einer Saite allmählich verklingt, so verwischt auch die Zeit die Vorstellung mehr und mehr.

Die Erscheinungen des Gedächtnisses gehören teils zu den mechanischen Reflexwirkungen, teils zu den Äußerungen des Willens, auf welchen wir noch zu sprechen kommen. Durch wiederholtes Hören, Vorlesen, Selbstlesen empfängt das Hirn mehr oder weniger leicht bleibende Eindrücke, und diese werden dann in späterer Zeit durch den Willen objektiv ausgelöst. Bei Irrsinnigen geschieht diese Auslösung oft unwillkürlich, so dass sie unbewusst denselben Satz stundenlang wiederholen. Auch die Gedächtniseindrücke verschwimmen mit der Zeit mehr oder weniger. Das fügsame jugendliche Hirn nimmt die Eindrücke leichter an und hält sie nach ihrer Befestigung auch länger fest.

Da das Gedächtnis eine Folge des durch lebhafte oder oft wiederholte schwächere Eindrücke befestigten Zustandes der Molekular- oder Atomgruppen des Gehirns ist, so kann es durch Erschütterungen desselben vorübergehend oder ganz verloren gehen. Die geistige Arbeit muss von vorn begonnen werden. in anderen Fällen, namentlich bei Geistesschwachen, haben Erschütterungen wohltätig gewirkt.

Lebhafte Eindrücke bringen auch lebhafte Vorstellungen zuwege, indem sie in den Gehirnatomen eine solche Anordnung und Spannung derselben zurücklassen, dass es auf irgendeinen Reiz antwortet. Hierbei tritt die Wahrnehmung ein, dass die Fähigkeit für das Festhalten gewisser Eindrücke (Zahlen, Namen, Tatsachen) bei verschiedenen Menschen sehr verschieden ist. Durch fleißige Übung vermag man diese einseitigen Anlagen des Gehirns mehr oder weniger zu beseitigen.

Es gibt aber auch schlummernde Gedächtnisvorstellungen, welche nicht jeden Augenblick durch den Willen zum Bewusstsein gelangen und dann ausgelöst werden können. Ich weiß z. B. den Namen eines mir bekannten Gegenstandes, aber ich vermag nicht ihn sofort zu sagen. Es fehlt zeitweise an einer Leitung zwischen der Hauptbatterie oder den Gehirnteilen, welche den Gedächtnisgegenstand festhalten und den motorischen Nerven, welche das Sprechen vermitteln. Der Wille ist dem Bewusstsein nicht stets zugänglich. Wenn aber das Vergessene auf einmal wie aus dem Dunkeln hervorblitzt, so hat der Wille die Verbindungsfäden zum Bewusstsein gefunden. Durch anhaltendes Reiben entsteht Feuer. Die Mnemotechnik bemüht sich, durch äußere Zeichen dem Gedächtnis und den in ihm schlummernden Vorstellungen zur Hilfe zu kommen; ein Mechanismus unterstützt einen anderen.


Dass unser Nervensystem allein nicht ausreicht die von der Außenwelt anlangenden Eindrücke uns wahrnehmen oder zum Bewusstsein gelangen zu lassen, ist eine alltägliche Erfahrung. Wenn ich fleißig nachdenkend schreibe, so höre ich die Uhr nicht schlagen und das Straßengeräusch stört mich nicht, ja ich vergesse sogar die im Munde befindliche Speise zu ge¬nießen. Erst mit der Wahrnehmung des sinnlichen Eindruckes beginnt das Bewusstsein, so dass sie eigentlich der erste Grund für alles bewusste Denken ist. Wird also das Gehirn durch eine anderweitige energische Tätigkeit in Anspruch genommen, so entgeht ihm die Wahrnehmung; ein Zeichen, dass sie eine Seelentätigkeit des Gehirnes ist und nicht bloß von der Gehirnmasse, sondern noch von einem »höheren Prin¬zip«, nämlich unserem Weltäther abhängt.

Das Bewusstsein, welches Vorstellungen zu seinem Inhalte hat, ist trotz alles Stoffwechsels in der Gehirnsubstanz das Bleibende und kann daher auch nur durch etwas Unwandelbares in seiner Substanz unveränderliches, von den irdischen Stoffen unabhängiges und unvergängliches Etwas festgehalten werden. v. Hartmann sagt was es ist, weiß es aber nicht: »Das Bewusstsein ist eine bloße Erscheinungsform des Unbewussten in einem wohl organisierten Körper«. Wir aber wissen schon, dass dieses Unbewusste nur der Weltäther sein kann. Die unbeschränkte Denkkraft der Substanz Spinozas kann zwar an sich Bewusstsein nicht erzeugen, wohl aber in einem begrenzten Naturkörper als Bewusstsein sich geltend machen. Die meisten Tiere haben nur ein dunkles, der Mensch aber ein klares Bewusstsein. Jene sind also auch ohne eine Geschichte; dieser aber lebt mit der Kenntnis seiner Vergangenheit, mit dem Bewusstsein der Gegenwart und mit einer Ahnung von seiner Zukunft. Bei jenen ist das Sein ein mehr passives, bei diesem ein aktives.

Wenn das Bewusstsein ein klares ist, so sammelt und vergleicht es die Beobachtungen und schließt davon das Ich nicht aus. Auf diese Weise wird der Übergang vom Bewusstsein zum Selbstbewusstsein, dieser die Menschennatur charakterisierenden Eigenschaft, gebahnt. Die Entwicklung des Bewusstseins geht Hand in Hand mit der des Selbstbewusstseins, beide aber sind nicht dasselbe. Das Bewusstsein geht aus von einem Sichbewusstwerden eines Objektes oder eines außer uns befindlichen Gegenstandes, beim Selbstbewusstsein aber wird das Objekt zum Subjekt. Es gibt kein Selbstbewusstsein ohne Bewusstsein, wohl aber Bewusstsein ohne Selbstbewusstsein, Das Bewusstsein an sich hat keine Grade, weil es nichts als eine rein materielle Rückwirkung ist wohl aber das Selbstbewusstsein, weil es nicht bloß von einem gegenständlichen Bewusstsein ausgeht, sondern mit der Entwicklung des Ich innig zusammenhängt. Daraus entspringen äußerst wichtige Folgerungen.

Die Menschheit lebt z. B. nicht um sich regieren zu lassen, d. h. sie hat nicht wie das Tier bloß eine Seele, die mit ihrem Bewusstsein in rein passiver Abhängigkeit von der Weltseele ist; sondern sie hat auch Selbstbewusstsein, um sich regieren, d. h. im wahren Sinne des Wortes leben zu können und sich als Verstandesgeschöpf mit der Weltseele als Eines zu fühlen. Wie weit aber sind wir heute noch von diesem Ziele der Menschheit entfernt!

Wenn wir uns mir dem Gedanken, dass der Weltäther nicht bloß auf die Organisation der Gehirnsubstanz von wesentlichem Einfluss ist, sondern auch mit seinen Atomen in eine lebendige Wechselwirkung tritt, hinreichend vertraut machen; so ergibt sich, dass das Gehirn bei gesunden Menschen nicht bloß auf rein mechanische Weise zu Reflexerscheinungen und zu Abspiegelungen der Außenwelt im Bewusstsein und in den Vorstellungen fähig ist, sondern dass es bei den wechselnden und vielseitigen Eindrücken von außen unter Vermittlung der Bewegungsnerven auch zu einer freien Rückwirkung auf die Außenwelt zu erheben sich vermag, oder es treten, nach dem sich Vorstellungen erzeugt haben, der Wille und das Wollen in die Erscheinung. Aber nicht bloß das bewusste Vorstellen, Fühlen, Begehren und Wollen, sondern auch das bewusste Denken muss vom naturwissenschaftlichen Standpunkte aus betrachtet werden.

Zunächst aber einige Betrachtungen über den Willen!

Es gibt für jeden Körperteil, dessen Muskeln eine gewisse Bewegung desselben hervorbringen sollen, bestimmte von diesen Muskeln zum Zentralorgan gehende Nervenfasern. Sind diese zerschnitten oder verletzt, so vermag der noch so mächtige Antrieb des Wollens diese Bewegung nicht hervorzubringen; es ist als ob in der Klaviatur des Gehirns die Saite zu der betreffenden Taste fehlt. Schlägt man im Gehirn falsche Tasten an, erscheinen auch nicht die beabsichtigten Bewegungen. Wer ist nun aber der Klavierspieler? Man sagt wohl der Wille! Aber was ist der Wille? Kann er etwas absolut Unmaterielles sein? Wenn wir die physiologische Seite des Willens betrachten, so zeigt sich, dass dazu das Gehirn nicht einmal ausschließlich notwendig ist, sondern dass teils das Rückenmark (nach Versuchen bei Fröschen), teils die Ganglien (nach Versuchen bei Insekten) genügen und dass wir selbst in nervenlosen Tieren (Polypen) noch Willensfähigkeiteu erkennen.

Hirn und das Rückenmark mit seinen Ganglien sind ihrem Wesen nach gleich, zu selbständigen Willensäußerungen geeignet und in ihren Leistungen ziemlich unabhängig von einander; in jenen aber liegt ein höherer Grad von Vollkommenheit, denn ihm ausschließlich gehört das Selbstbewusstsein an. Das Rückenmark der Säugetiere steht aber höher als die Ganglien der Insekten. Die vom Willen unabhängigen pulsierenden Bewegungen des Herzens, der Arterien und der Därme so wie die andauernden Bewegungen in anderen Organen, mit einem Worte: die vegetativen Tätigkeiten des Körpers sind von dem Gehirn unabhängig.

Doch treten wir dem Wesen des Willens näher!

Mechanische Leistungen können nie ohne eine mechanisch wirkende Kraft hervorgebracht werden. Vollführen wir also mit unserem Körper zufolge unserer Willenskraft eine Bewegung unserer Glieder oder des ganzen Körpers, so kann dieses nicht das Ergebnis eines stofflosen Nichts sein, sondern wir müssen festhalten, dass alle sichtbaren Bewegungen der Stoffe auch von einem Stoffe ausgehen, wenn er sich auch unserer sinnlichen Wahrnehmung entzöge, wie dieses mit den Atomen der gewöhnlichen Körper und mit dem Weltäther der Fall ist.

Beschwere ich meinen Arm, welchen ich aufheben will, mit einem so großen Gewicht, dass dieses zu tun mir unmöglich wird, so wirkt die Kraft eines irdischen Stoffes (des Gewichtes) der Kraft meines Willens entgegen. Statt die vom Willen ins Leben gerufene Kraft anzuwenden könnte ich um meinen Arm eine Schnur binden, diese über eine Rolle führen und daran auch ein Gewicht hängen. Von der Größe dieses Gewichtes wird es abhängen, ob das erste Gewicht auch ohne Mitwirkung meines Willens gehoben werden kann oder nicht. Ich kann das zweite Gewicht grade so groß wählen, dass es das erste und das Gewicht meines Armes im Gleichgewicht hält. Hier also ist der Wille durch das zweite Gewicht ersetzt.

Dürfen wir also meinen, dass der Wille als eine an nichts Materielles gebundene oder als eine abstrakte Kraft fähig sein kann einer materiellen Kraft das Gleichgewicht zu halten? Nimmermehr! Es muss auch der Wille ausgehen von einem Stoffe, welcher in einem gewissen Spannungszustande sich befindet und mit unseren Körperstoffen (dem Arme mit seinen Muskeln) in einer leitenden Verbindung steht, so dass er diese Spannkraft wie eine Feder nur zu lösen braucht, um zur Wirksamkeit zu gelangen. Es geschieht hierbei durch die Bewegungsnerven eine Übertragung oder Transmission vom Zentralorgan aus zu den Muskeln. Wie es beim Abfeuern eines Geschützes nur einer unbedeutenden Kraft bedarf, um nach deren Auslösung einen ungemein großen Erfolg durch eine zweite als Spannkraft gewissermaßen gefesselte Kraft hervorzurufen, so auch im tierischen Organismus, bei welchem der Wille die Auslösung erzeugte. Da nun dieser zu einer mechanischen Leistung fähig ist, so ist es unmöglich, dass er nicht an einen Stoff gebunden sein sollte. Die Bewegung der bloßen Gehirnatome aber ist nicht kräftig genug um für sich eine Tat, d. h. eine äußere Handlung zu erzeugen.

Weil die Gehirnatome vom Äther umgeben sind, so sind Vorstellung und Wille im »Unbewussten« (v. Hartmann) verbunden. Die Vorstellung liegt im Hirn, der Wille in seinem Äther. Obwohl nun der Weltseele, dem Weltäther, die Bedingungen zu einem bewussten Denken fehlen, obwohl ihm das Denken des Bewusstseins unmöglich ist; so bringt er doch objektiv in uns die Erscheinung des Bewusstseins und die Befreiung der Vorstellung vom Willen hervor. Es tritt eine Wechselwirkung beider ein und sie wirken dabei ungetrennt, gleichwie ich und mein Spiegelbild, das Subjekt wird zum Objekte und das Objekt zum Subjekte für den Beschauer.

Die Vollkommenheit der Wechselwirkung hängt von der Beschaffenheit des Spiegels, d. i. von der Entwicklung der Gehirnsubstanz ab. Wenn nun der bewusste Wille das Gewollte will, so erscheint eine körperliche Tat. Die letztere ist das mechanische Äquivalent der vom Gehirn ausgehenden und von der Spannkraft des Weltäthers eingeleiteten und unterhaltenen Atombewegungen der Gehirnsubstanz, der motorischen Nerven und der Muskeln. Wir werden durch viele Erscheinungen in der Physik und Chemie auf die große Kraft hingewiesen, welche in den Schwingungen des Weltäthers, den man auch Lichtäther nennt, liegt; z.B. Wasserstoff und Chlorgas verbinden sich unter einer heftigen Detonation zu Salzsäure, wenn man unmittelbare Sonnenstrahlen auf das Gemenge leitet. Hier haben wir zugleich eines der wunderbarsten Beispiele davon, dass durch das Zusammenwirken außerrdentlich vieler kleiner Teilkräfte ein großer Gesamterfolg entsteht.

Erst also, wenn das Wollen seinen Willen durchsetzt, wird es zur Tat, welche nur der Gegenwart angehört; ein bloß auf die Zukunft gerichtetes Wollen ist nur eine Absicht oder ein Vorsatz. Zweck ist aber das vorgesteckte Ziel, dessen Erreichung nur durch bestimmte ursächliche Mittel, welche dem Zwecke entsprechen, möglich ist. Geht dieser z. B. auf Bewegung eines stoffbegabten Körpers, so kann das erste ursächliche Mittel nicht stofflos sein.

Der Weltäther ist der absolute Wille, die unbewusste Weltseele, die das Gesetzmäßige. das Logische in uns als Objekt bildet und es als Inhalt an sich zieht, gleichwie in gleichgerichteten elektrischen Bewegungen das Bestreben der Anziehung oder der Herstellung einer Einheit liegt. Ein schlechter Violinspieler kann sein Instrument verstimmen, ein guter aber es verbessern und es dahin bringen, dass die Holzfasern (Gehirn) willig die Schwingungen der Saite (Weltäther) annehmen. Ein gesundes Gehirn denkt korrekt.

Weil Vorstellungen und Bewusstsein die Grundbedingungen für bewusste Willensakte sind, so sagt Spinoza mit Recht:

»Der Wille ist die Bejahung des Vorgestellten.« Das Bewusstsein ist dem Willen untergeordnet, aber der Wille ist dem Bewusstsein nicht unbedingt zugänglich oder mit ihm unmittelbar gegeben. Wir werden also unter Willen das Bestreben verstehen die Vorstellungen zur Wirklichkeit zu machen und müssen ihn als die unmittelbare Ursache unseres in unserem Bewusstsein vorgestellten Handelns ansehen. Der Willensakt ist eine bewusste Reflexwirkung. Niedere, unbewusste und ungewollte Reflexbewegungen gehen bloß bei hinreichender Stärke in bewusste Willenstätigkeiten über.

Schelling sagt: »Das Wollen ist der Aktus« und »der Wille an sich ist die Potenz«. Was mit solchen Phrasen erreicht ist, überlasse ich dem Leser zu beurteilen.

Schopenhauer kommt als scharfer Denker der Wahrheit zwar viel näher: »der Wille ist das Wesen der Welt, das Ding an sich«. Aber diese Erklärung enthält einen Widerspruch, denn »das Ding an sich« ist das Schaffende und Gestaltende, »die Welt« dagegen das Erzeugte. Der absolute oder der Weltwille ist der Gestaltungstrieb des Weltäthers. Der Weltwille ist ein seiner sich nicht bewusster Wille, welcher ohne Selbstbewusstsein logisch gesetzmäßig handelt; da er aber die Stoffatome der organisierten Körper umgibt, ihre Schwingungen leitet und an ihnen teilnimmt, so finden wir auch hei höher organisierten Tieren und bei Menschen einen Willen, der hier, nämlich im Einzelwesen, ein bewusster werden kann.

Schon Leibnitz erklärt die unbewussten Vorstellungen »für das Band, welches jedes Wesen mit dem ganzen übrigen Universum verbindet«. Wenn wir uns also unbewussten Gefühlseingebungen ohne denkende Intelligenz überlassen, so schwärmen wir in dem »unendlichen Nichts« oder unsere Seele ist mit der Weltseele in einer tatenlosen Verknüpfung; der Weltäther, dieses seiner selbst nicht bewusste, in unserem Gehirne ist in relativem Ruhezustande gegen die Gehirnatome. Da haben wir das Bild eines religiösen Schwärmers.

Wenn Schelling gesagt hätte: der Weltwille (statt der Wille) ist die eigentlich geistige Substanz des Menschen, der Grund von Allem, das Einzige im Menschen, das Ursache vom Sein ist; so könnten wir ihm vollkommen Recht geben. Wenn er aber hinzufügt, dass er (der Wille) das ursprünglich Stofferzeugende ist, so ist dieses grundfalsch, weil der Stoff nicht erzeugt worden, sondern von Ewigkeit vorhanden ist und auch niemals erzeugt werden kann. Das Ende der Schellingschen Philosophie ging doch darauf hinaus: Aus Nichts hat Gott die Welt erschaffen, wogegen H. v. Mühler ganz brav und treffend sang:

Nichts und Nichts zusammen kleben,
Müsst eine schöne Schöpfung geben!

Nun tritt in Beziehung des Willens noch eine schwierige Frage an uns. Man spricht so häufig von einem freien Willen: ich kann wollen und nicht wollen. Die Frage ob der Wille als solcher frei oder unfrei ist, lässt sich weniger leicht als man gewöhnlich meint beantworten.

Die Biene baut ihre kunstvollen Zellen, welche bei möglichst wenigem Wachs einen möglichst großen Rauminhalt besitzen, mit mathematischer Genauigkeit nicht zufolge eines aus freier Denkkraft hervorgegangen Willens, sondern nach einer ihr durch Vererbung übertragenen Gewohnheit, welche durch Erfahrung in langen Zeiträumen den Natur-Vernunftgesetzen sich mehr und mehr angepasst hat. —

Man darf also nicht meinen, dass die Tätigkeiten von Tieren, welche man instinktive zu nennen pflegt, zufolge eines selbstbewussten Zweckes geschehen: Der Vogel bebrütet die Eier nicht, weil er will, sondern weil er zur Erhaltung seiner Gattung naturgesetzlich brüten muss. Das Naturgesetz wird ihm vom »Unbewussten« diktiert und wenn er dabei auch zugrunde geht, wie es wohl vorkommt. Der Spruch: Du sollst mit Schmerzen gebären, hat noch niemals die Entwicklung des Menschengeschlechtes aufgehalten. Es ist klar, dass der Instinkt, dieses zweckmäßige Handeln ohne Bewusstsein des Zweckes, eine der wichtigsten Äußerungen des »Unbewussten« ist. Dass aber der Instinkt nicht bloß ein dem Gehirn stereotyp eingepflanzter Geistesmechanismus ist, sondern dass er eine Tätigkeit ist, die auch veränderten Verhältnissen sich anpasst, lässt sich aus vielen Tatsachen nachweisen. Verschieden organisierte Tiere tun dasselbe (Wandern) und gleich organisierte Tiere Verschiedenes (Gewebe von Spinnen).

Der seiner selbst sich nicht bewusste Weltwille, unsere Weltseele, ist es, welche den tierischen Organismus unbewusst zu unfehlbar richtigen mechanischen Verrichtungen antreibt. Das neugeborene Kalb braucht nicht belehrt zu werden, in welcher Reihenfolge es die Beine zu setzen hat, um beim Gehen nach dem Euter der Kuh den Schwerpunkt nicht zu verlieren. Wie der Weltäther zufolge seiner Gravitationswirkung die Ruhe und Bewegung einer Gleichwaage je nach der Belastung im Gleichgewichte hält oder in Bewegung versetzt, so verlegt er auch den Schwerpunkt des Kalbes beim Gehen so, dass das Tier willenlos dem »unbewussten Willen« oder dem Willen »des Unbewussten« folgt.

Wenn Zufall und Freiheit als absolute Begriffe betrachtet gleichbedeutend erscheinen, so kann es eine absolute Freiheit nicht geben, weil es in der Welt keinen absoluten Zufall gibt.


Wenn wir uns unbewussten Gefühlen, Gewohnheiten, Leidenschaften hingeben, so ist dieses nur ein Beweis davon, dass die Seele zu denken selbst dann nicht aufhört, wenn wir uns des Gedankens auch nicht bewusst werden. Also von einer Freiheit des Willens ist hierbei keine Rede.

Der Begriff der Freiheit wird schon von Spinoza auf die unabänderliche Gesetzmäßigkeit der Welt mit allen ihren Erscheinungen zurückgeführt; sie ist ihm »das selbstwillige Vollziehen des Weltbesten«. Kein Mensch muss das Schlechte müssen! Da in der Welt Alles untereinander als Ursache und Wirkung verknüpft ist, so kann es eine absolute Freiheit nicht geben. Der Mensch ist sich zwar seiner Handlungen, nicht aber der sein Tun und Lassen erzeugenden Ursache bewusst, sondern er wird geleitet durch eine unbewusste Macht, durch ein »Weltprinzip«, welches man wohl »Gott« zu nennen pflegt. Wie wenig diese Weltseele gesetzlos oder willkürlich, also schlecht handeln kann, sondern nur nach festen Gesetzen, also unfrei wirksam sein muss, ebenso wenig kann der normal, d. h. naturgesetzlich entwickelte Mensch schlecht handeln, sondern er wird nur in der Entartung die Schmach der Willkür und Unfreiheit auf sich nehmen.

Eine unbedingte Willensfreiheit besteht also deshalb nicht, weil auch der Wille unter dem Gesetze der Notwendigkeit steht, welches stets Ursache und Wirkung verbindet.

Wir sind mit unserem Wollen nur die folgsamen Kinder der uns umgebenden und beeinflussenden Verhältnisse. Der augenblickliche Zustand des Geistes und die auf ihn wirkenden Beweggründe bestimmen den Willen. Der Geist überhaupt ist keineswegs absolut frei und selbstständig, weil er durch eine notwendig gegliederte Kette von Ursachen bestimmt ist. Wenn er aber das Wahre in sich aufgenommen und lebhaft ergriffen hat, so handelt er gesetzmäßig und ist tätig; wenn er das Unwahre aufnimmt, so ist er gesetzlos und leidend. Der Wille ist nun das Bestreben die eine der beiden Richtungen nach außen geltend zu machen, er ist aber in keinem der beiden Fälle absolut frei, er ist vielmehr in letzter Instanz dem seinen Organismus beherrschenden Weltwillen unterworfen. Wir können aber im menschlichen Leben nur den wahrhaft frei nennen, welcher durch denkende Intelligenz sich den Vernunftgesetzen des Weltwillens anschließt, nicht den, welcher von der durch Naturgesetze eingeprägten Freiheit abweicht oder von ihr den rechten Gebrauch nicht macht, denn er verfällt in Irrtum, welcher die Unfreiheit und Lüge ist.

Der Begriff der Freiheit liegt in dem klaren Bewusstsein der inneren Notwendigkeit, oder sie ist, wie Hegel sagt, »das Formelle am Vernünftigen«. —

Je mehr das Bewusstsein wächst, desto mehr die Freiheit, und es ist offenbar eine Steigerung des Weltprozesses, wenn der Geist sich erkennt, wenn er zum Selbstbewusstsein gelangt. Das Selbstbewusstsein entsteht nur aus der in der ganzen Natur hervortretenden Gesetzmäßigkeit, welche uns überfährt in das Gebiet des Denkens und des Verstandes. Sie bestehen in der Fähigkeit den logischen Zusammenhang von Ursache und Wirkung nicht bloß subjektiv richtig zu erkennen, sondern auch objektiv zu befolgen und zur Erscheinung zu bringen.

Da der Weltäther logisch gesetzlich wirkt, so werden wir in Anerkennung der Tatsachen es verstehen, wenn ich sage: der Weltäther denkt unbewusst, der Weltäther ist der unbewusste Wille. Wir werden es aber demzufolge nicht verstehen, wenn bei Hegel das mit dem Nichts identische »reine Sein« den Ausgangspunkt der Logik bilden soll; denn das Nichts ist eben nichts und kann auch nicht denken, weder bewusst, noch unbewusst. Wenn wir aber das den Weltraum erfüllende angebliche Nichts, welches als Körper in der Tat Nichts, wohl aber als Stoff Etwas ist, nämlich den Weltäther, als den Ausgangspunkt betrachten, so haben wir in der Tat eine konkrete Grundlage für das an unseren organischen Körper während seiner normalen Lebensfunktionen gefesselte logische Denken, da ja der Weltäther die durchaus logischen Gesetze der Körper- und somit auch der Seelenwelt diktiert. Unser ganzes organisches und psychisches Sein wird von derselben Kraft beherrscht, welche die Weltkörpersysteme zusammenhält.

Das ist vielfältig herausgefühlt worden, wenn man auch das Wesen des »Unbewussten« zu erkennen nicht vermocht hat. Carus hat in seinem Buche »Psyche und Physis« das Unbewusste in seinen Beziehungen zum Leiblichen untersucht. Auch Perty und Wundt suchen den Instinkt und die Sinneswahrnehmungen auf unbewusste geistige Prozesse zurückzuführen; desgleichen Helmholtz und Andere.

Herbart
sagt: Es gibt »bewusstlose Vorstellungen, die im Bewusstsein sind, ohne dass man sich ihrer bewusst ist«, ohne dass man dieselben »als die seinigen beobachtet und an das Ich anknüpft«, d. h. ohne dass man dieselben mit dem Selbstbewusstsein in Verbindung bringt, so dass, wie schon bemerkt, ein wesentlicher Unterschied zwischen Bewusstsein und Selbstbewusstsein vorhanden ist.

Schelling
sagt in einer allerdings etwas mystischen, aber jetzt für uns doch verständlicheren Weise, als er es selbst wohl gedacht hat: »Dieses ewig (!) Unbewusste, was, gleichsam die Sonne im Reiche der Geister, durch sein eigenes ungetrübtes Licht sich verbirgt und, obgleich es nie Objekt (d. h. Körper) wird, doch allen freien Handlungen seine Identität aufdrückt, ist zugleich dasselbe für alle Intelligenzen, die unsichtbare Wurzel, wovon alle Intelligenzen nur die Potenzen sind, und das ewig vermittelnde des sich selbst bestimmenden Subjektiven in uns, des Objektiven oder Anschauenden, zugleich der Grund der Gesetzmäßigkeit in der Freiheit und der Freiheit in der Gesetzmäßigkeit«.

Der edle wahre Freiheitssinn im Menschen verlangt, dass überall die Vernunft zur Geltung komme; wo also Vernunftgesetze regieren, da ist auch Freiheit und nur derjenige ist unfrei, welcher gegen die Vernunft handelt und ein Knecht der Leidenschaften oder solcher Triebe ist, welche Leiden schaffen. Ein Kampf gegen Naturgesetze ist ein Vernichtungskampf gegen uns selbst.

Die Gesetzmäßigkeit in der Freiheit, welche das Wesen der Vernunft ist, tritt beim Menschen zunächst freilich nur als eine natürliche Anlage auf. Aber in sittlich entwickelten Naturen zeigt sich ein mit Zuversicht auftretendes Naturgesetz, gerade wie ein mathematisch entwickelter Kopf alle mathematischen Wahrheiten als Bestandteile ewig gültiger Gesetze gewissermaßen als seine alten Freunde erkennt. Es ist Einem beim Auffinden einer Wahrheit, als habe man dasselbe schon früher einmal gedacht, als sei die Wahrheit nichts Neues.

Wir wissen bereits, dass das unbewusste Denken zeitlos ist, das bewusste aber ist an eine Zeitfolge gebunden, weil die Vorstellungen als die Grundlage des Denkens erst durch die in der Materie zeitlich sich fortpflanzenden Schwingungen erweckt und im Zentralorgan befestigt werden. Beim bewussten Denken finden Gehirnschwingungen von einer größeren Stärke statt, weshalb die Bluteinfuhr zum Gehirne schneller geschieht, als zu jedem anderen Organ, also auch ein lebhafterer Stoffwechsel stattfindet und eine frühere Ermüdung eintritt. Das Gehirn bedarf zu einer neuen Tätigkeit der Ruhe und der Nahrung. Leute mit sitzender Lebensweise und ohne große körperliche Anstrengung behalten daher genug Kraft zum Denken und gehören daher nicht selten zu den politischen und religiösen Grüblern, Schwärmern und Brauseköpfen. Wie durch das Turnen die Körperkraft gestärkt und gestählt wird, so wird durch das bewusste Denken das Gehirn vervollkomm¬net und höher organisiert.

Hierbei ist nun weiter zu bemerken, dass das Endziel des Weltprozesses nicht in der Entwicklung des Bewusstseins zum Selbstbewusstsein liegt, indem diese Entwicklung nur als Mittel dient; sondern es liegt in der Erlangung einer absoluten Glückseligkeit, welche der Weltwille in den Weltwesen zu erzielen sucht. Durch die Erkenntnis der in der Natur mustergültig dargestellten Naturgesetze und durch klare Begriffe gewinnt unser Geist die Herrschaft über die Leidenschaften oder Affekte, und dadurch wird wahres Glück im Familien- und Völkerleben begründet. —

Der Menschenwille ringt nach positivem Glück, das Bewusstsein aber tritt ihm feindlich entgegen und wenn er durch den Weltwillen vernichtet oder vielmehr in ihm aufgelöst ist, so tritt dann der erreichbar beste Zustand, die Schmerzlosigkeit, ein.

Wenn freilich Leute durch betäubende und berauschende Mittel sich in einen bewusstlosen Zustand versetzen und dabei im höchsten Glücke zu schwärmen meinen, so könnte es fast scheinen, als ob die Bewusstlosigkeit die Bedingung für die Glückseligkeit sei, aber dieses ist eine von den wirklichen Illusionen, von denen v. Hartmann in seinem Pessimismus eine allzu große Anzahl aufführt.

Wir sind hier fast unvermerkt auf ein Gebiet übergetreten, welches eines der dunkelsten in der ganzen Philosophie und Naturwissenschaft ist. Es ist die Frage, welche Rolle der Mensch, die ganze Menschheit in dem Entwicklungsprozess der Welt zu übernehmen berufen ist.

Weit entfernt von der Anmaßung, volle Wahrheit hineinbringen zu können, mag es immerhin gestattet sein, einige Streiflichter auf den Weltprozess und die Endziele der Menschheit zu werfen.

Der ganze Weltprozess (der materielle wie der geistige) ist ein logisch gesetzlicher und zugleich ein unterbrochener, ein unendlicher. Ihm ist auch die ganze Menschheit ohne Gnade und Barmherzigkeit unterworfen. Auch Hegel anerkennt eine organisch-naturgesetzliche Entwicklung, wenn er sagt: »Die menschliche Geschichte ist eine Reihe zwingender Notwendigkeiten«.

Die Einheit in der Mannigfaltigkeit der Menschen liegt bei gesunden Naturen nur in der gleichen Bildsamkeit zu einer gemeinsamen geistigen Vollkommenheit, welche den Gesetzen der Vernunft, also Naturgesetzen, vollkommen entspricht. Je mehr ein Mensch von diesen Bestrebungen sich ausschließt, um so mehr sondert er sich ab von der idealen Einheit, und geht für den Wert der Menschheit verloren. Das gilt ebenso sehr von dem im Schlamme der Leidenschaften versunkenen Gesindel, als von den starren unbildsamen Naturen, wie den Reaktionären und Orthodoxen, ohne dass wir sonst zwischen beiden Richtungen eine Parallele ziehen wollen. Die Phrase von der sozialen Gleichheit und der Gleichheit der Menschenrechte ist so lange noch eine verfrühte und sehr gefährliche, als es leider heute noch, und lange noch an einer inneren Berechtigung zu dieser Gleichheit fehlt und fehlen wird. Jeder Mensch soll in der Gesellschaft nur so viel gelten, als er nach seiner physischen und psychischen Kraft zu gelten die Berechtigung hat. Jedes Mehr oder Weniger verstößt gegen die ersten Grundsätze der Gerechtigkeit, auf deren Befolgung die Staatsgesetze als der Ausfluss der höchsten Moral zu sehen haben. Der Weltprozess in Betreff der ganzen Menschheit ist also noch nicht sehr weit vorgeschritten.

Da wir wissen, dass die Erde nach ihrer Befreiung vom Zentralkörper in einem glühend flüssigen Zustande war, wenn wir die Erde jetzt mit einer wunderbar mannigfaltigen Organisation ausgestattet sehen, und da wir als vernunftbegabte Menschen den Gedanken an jede plötzliche Wunderschöpfung verwerfen, vielmehr eine stufenweise, wenn auch äußerst langsame Entwicklung annehmen müssen; so werden wir gezwungen, an dem Gedanken einer natürlichen Urzeugung für den Beginn des organischen Lebens festzuhalten. Die Stoffe für die organischen Körper waren von jeher vorhanden, die organisierten und zusammengesetzten Stoffe entstanden nur allmählich erst später. Unorganisierte Stoffe halten zufolge des stabilen Gleichgewichtes ihrer Atome ihre Gestalt fest (Kri¬stalle), unorganische können aber auch unter dem Einfluss geeigneter Verhältnisse (Wasser, Licht, Wärme, Elektrizität) eine organische und wechselnde Form annehmen und durch den Stoffwechsel sich organisieren.

Wie dort die Atome der chemisch-indifferenten Stoffe durch den Weltäther in einem stabilen Gleichgewicht erhalten werden, so gehen sie hier aus einem stabilen Gleichgewicht fortwährend in ein anderes über, was sich beim Organismus als vegetatives und als Seelenleben äußert. Kristalle zeigen wie Pflanzen und Tiere gegen Licht, Wärme, Elektrizität und Magnetismus ein ganz bestimmtes Verhalten; alle zeigen nach geschehener Verletzung das Bestreben, verloren gegangene Teile wieder zu ersetzen, überall greifen also dieselben gestaltenden Kräfte ein, welche ihren Ausgangspunkt im Weltäther haben. Bildet und gestaltet der Weltäther einen Körper, so legt er in ihn zugleich und sofort das Gesetz seiner Organisation, die in ihren höheren Stufen mit ihm in eine weniger oder mehr gesteigerte Wechselwirkung tritt. Ist letzteres der Fall, so ist der Körper nach unserer Auffassung beseelt.

Thales nahm freilich an, dass auch schon der Magnet eine Seele besitze, welche sich in der Anziehung und Abstoßung toter Massen äußert und er hatte in der Tat insofern nicht unrecht, als es nach meiner Auffassung auch der Weltäther ist, welcher diese bisher unerklärten Erscheinungen hervorbringt. Je tiefer eingreifend nun diese Wechselwirkung zwischen einem organisierten Leib und dem Weltäther ist, oder je reiner und kräftiger die Resonanz der Atome, desto entwickelter das Seelenleben, desto mächtiger die Denkkraft, desto höher die Geistesstufe, desto inniger die Harmonie zwischen Weltseele und Menschengeist.

Wie schwierig es den Philosophen bisher geworden ist, einen klaren Begriff von Geist aufzustellen, zeigt u. a. Hegel. Auf die Frage: Was ist aber der Geist? antwortet er: »Er ist das Eine, sich selbst gleiche Unendliche, die reine Identität, welche zweitens sich von sich trennt als das Andere ihrer selbst, als das Fürsich- und Insichsein gegen das Allgemeine« (Hegels Werke, Bd. 9, 3. Aufl. 5. 393.) Der Leser mag daraus sich selbst einen Vers machen.

Nach unserer Ansicht aber ist das Rätsel naturwissenschaftlich leicht zu lösen, wobei wir an den Ausspruch von Laplace denken können, dass die einfachsten Wahrheiten immer zuletzt aufgefunden werden.

Es besteht also in der ganzen Natur eine aufsteigende, durch allmähliche Entwicklung entstandene Stufenfolge. Von der unorganisierten Materie geht es zu der einfachst organisierten, wobei die Organisation zunächst nur in einer Atom- und Molekular-Anziehung besteht. Von der Kristallbildung, die schon in den Urgebirgsmassen auftritt, geht es zur chemischen Anziehung; dadurch entsteht als organische Ursubstanz das Protoplasma; dann entstehen Moneren, die einfachen Zellen, die einfachsten aus Zellen bestehenden Pflanzen- und Tierformen mit nach und nach aufsteigender Lebens-, Seelen- und Denkkraft, welche im Menschen ihren Gipfelpunkt erreicht. Überall aber ist nur ein gradweiser Unterschied, selbst zwischen Tier und Mensch, denn überall greift dieselbe gestaltende Kraft ein, und schon die Keimzelle ist durch den Weltäther belebt und beseelt.

Auch das Tier zeigt Hass und Liebe, Kummer und Vergnügen, Schmerzgefühl und Wohlbehagen, sowie Dankbarkeit; es macht Erfahrungen, es vergleicht, folgert, schließt und zeigt so Spuren des Denkens; es hat seine Gebärden- und Lautsprache, baut sich Wohnungen oft kunstreicher als die der Menschen, es erzieht seine Jungen, straft oder liebt, sie, es ist bildungsfähig, besonders im Umgange mit Menschen, es hat nicht bloß ein Familienleben, sondern bildet auch Genossenschaften mit zum Teil vortrefflichen Einrichtungen. Genug! Es ist auch in psychischer Beziehung nur ein gradweiser Unterschied zwischen Tier und Mensch.

Wie den chemischen, so liegen auch den morphologischen Verhältnissen ganz bestimmte Zahlen- und Formverhältnisse zugrunde, so dass es recht auffällig ist, wie in dem Gestaltungstrieb mathematisch-gesetzliche Verhältnisse maßgebend sind.

Jetzt freilich liegen uns die natürlichen Bedingungen zu einer selbstständigen Entwicklung der Keimzellen nicht mehr nahe, wenn wir nicht etwa in der grauen schleimigen Masse auf dem Meeresboden die Anfänge für Organisation erkennen wollen, sondern die Keimzellen entstehen jetzt nicht mehr elternlos, sie besitzen aber schon die Anlage nicht bloß zu den körperlichen, sondern sogar zu den psychischen Eigenschaften der Eltern.

Jede höhere Art geht durch natürliche Zeugung aus einer niederen hervor. Nur durch Summierung sehr vieler kleiner Schritte in sehr langen Zeiten entstehen große Formunterschiede: vorteilhafte, d. h. den allgemeinen Naturgesetzen mehr entsprechende Abweichungen hei der Zeugung werden hervorgerufen, festgehalten und erlangen durch natürliche Auslese bei der Begattung und durch Vererbung eine größere Dauer. Es muss also schon im Ei selbst die Anlage zu einer höheren Entwicklungsfähigkeit angenommen werden, welche durch die des Mutterorganismus, auf welchen Nahrungsstoffe, Lebensweise und mannigfache Naturverhältnisse einwirken, bedingt wird.

v. Hartmann sagt mit Recht: »Der Organismus des Embryo, des Fötus, des Kindes u. s. w. hat in jedem Stadium seines Lebens genau so viel Seele als er für seine leibliche Erhaltung und Fortentwicklung braucht und als seine Bewusstseinsorgane zu fassen vermögen«. Auch die Entwicklung der Seele schreitet organisch vorwärts, und ist dem Körper nicht durch einen persönlichen Schöpfer eingehaucht oder ist abhängig von einem außerhalb der Naturkräfte stehenden so genannten Lebensprinzip.

Die Welt, jeder Weltkörper und jedes Wesen auf ihm ist jederzeit nur so vollkommen, als es nach allen natürlichen Verhältnissen nur irgend möglich ist. Daher ist der Ausspruch von Leibnitz, »dass die bestehende Welt die beste sei von allen möglichen« in seiner absoluten Fassung offenbar falsch; denn die Welt von heute ist nicht die Welt von morgen. Die augenblicklich bestehende Welt in ihrer Gesamtheit ist nur gerade für diesen Augenblick die beste. Jeder einzelne Weltkörper aber geht in seiner Entwicklung mit allen seinen Wesen einem Höhepunkt entgegen, über welchen hinauszugehen er nicht vermag.

Wie eine Stufenfolge von den unorganisierten Stoffen bis zum Grashalm, von da bis zum Rind, welches ihn verzehrt, weiter zum Menschen, welcher des Rindes Fleisch genießt, stattfindet; wie ferner jeder einzelne Mensch die Stufen der nur für den Augenblick lebenden Kindheit, der schwärmerischen Jünglingszeit, des nach Besitz und Ruhm strebenden Mannes und endlich des müden, nach ewigem Frieden sich sehnenden Greisenalters durchlebt, so auch jedes einzelne Volk, so auch die ganze Menschheit, so endlich jeder Weltkörper. Wie aber die einzelnen Gebilde sich zu höherer Vollkommenheit entwickeln, altern, absterben und Stoffe zu höher entwickelten Wesen geben, so auch wird jeder einzelne Weltkörper solche Stufen der Entwicklung durchlaufen, um mit allen seinen Gebilden der Neugestaltung zu einer höheren Organisation zu dienen.

Wie allein durch die Gestaltungskraft unserer Weltseele, des Weltäthers, und nicht durch einen schaffenden persönlichen Gott aus jener feurigen Wolke unser Planetensystem, unsere Mutter-Erde mit der buntesten Mannigfaltigkeit der zahllosen Wesen sich entwickelte, so organisierte dieselbe Kraft unter lange andauernden Einwirkungen der vielgestaltigen Außenwelt auch das wunderbar zusammengesetzte Menschengehirn und machte es fähig, der Knotenpunkt zu sein für das seelische Bewusstsein, für die Vorstellungen, für das Selbstbewusstsein und den Verstand mit seinen durch die Weltseele ihm eingeprägten logischen Vernunftgesetzen, die im Geiste des Menschen überhaupt ihren Ausdruck finden.

Nach unserer Auffassung ist also der menschliche Geist die durch unsere bekannte Weltseele in unserem von ihr selbst wunderbar organisierten Gehirne hervorgebrachte Überein¬stimmung oder Harmonie in den Gesetzen der Wirksamkeit beider.

Die Logik der Weltgesetze ist auch die Logik des denkenden Gehirns oder des Geistes, welcher sich eben durch die Befolgung der Denkgesetze offenbart.*

* Es ist z. B. einerseits mathematisch bewiesen, dass die Kugeloberflächen zunehmen, wie die Quadratzahlen ihrer Strahlen und andererseits hat die beobachtende Astronomie nachgewiesen, dass die Gravitationskraft abnimmt wie die Quadratzahlen der Entfernung vom Mittelpunkt der Anziehung wachsen. Der Weltäther wirkt in der Tat mathematisch-gesetzlich. Plato sagt in seinem Werke von der Republik (VII), dass in der Geometrie, also im mathematischen Denken, die Erkenntnis des Ewigen liege . . . So bewährt sich auch das von Ohm durch Abstraktion aufgefundene mathematische Gesetz in Betreff der so genannten elektrischen Ströme praktisch in allen Fällen. Und so zeigt es sich in allen Fällen, dass Naturgesetze auch Vernunftgesetze sind.

Die menschliche Vernunft ist daher die gesetzlich geordnete Selbstbestimmung bei der logischen Verbindung von Urteilen. Wegen der Einheit des geistigen Wesens der Menschheit muss endlich einmal die Zeit kommen, in welcher auch das religiöse Bewusstsein aller Menschen auf der gleichen Grundlage der durch die Vernunft gebotenen Wahrheit beruhen wird. Dann sind die Bedingungen für eine Universalreligion gegeben, welcher kein vernünftiger Mensch sich wird entziehen können.

Nun aber müssen wir endlich noch an die Beantwortung der hochwichtigen Frage treten: Welche Zukunft hat der Mensch, das ganze Menschengeschlecht, in dem Weltprozesse?
S. 48-108
Aus: Gott im Licht der Naturwissenschaften , Studien über Gott, Welt, Unsterblichkeit von Philipp Spiller, Berlin 1873. Denicke’s Verlag , Link & Reinke (Aktualisierung der Schreibweise unter Berücksichtigung der neuen Rechtschreibung)

Das ewige Leben, die Unsterblichkeit.
»Bei Nacht ward die Unsterblichkeit ersonnen,
denn sehend blind sind wir ins Licht der Sonnen«.

H. W. Schlegel.

Es geht durch die Religionen fast aller Völker der Vorzeit der von ihren Priestern genährte Glaube an eine Seelenwanderung d. h. die Meinung, dass unser Seelenleben übertragen werde auf ein anderes Lebewesen. Bei den Juden und Ägyptern waren die Vorstellungen noch sehr roh, bei den Pythagoräern nahmen sie schon einen höheren Aufschwung, aber dem Christentum war es vorbehalten sie in den plumpsten Materialismus zurückzuführen. Wer nicht für einen Ketzer gehalten werden will, der muss an eine »Auferstehung des Fleisches« glauben. Das ist eine der tollsten Ideen, die je aus einem Menschengehirn entsprungen sind. Ein normal organisierter Mensch erkennt sofort das Sinnlose des Dogmas. Darüber also hier kein Wort. Schleiermacher hält die persönliche Unsterblichkeit sogar im weiteren Sinne geradezu für irreligiös.

Sollen wir aber meinen, dass all unser geistiges Ringen, dass unser Kämpfen und Dulden für die Wahrheit während unseres Körperlebens mit dem Aufhören des letzteren absolut verschwinden werde? Sollen wir dem allgemeinen Gefühlsdrange nach einem »künftigen Leben« gar keine Berechtigung beilegen, ihm gar keine Aussicht auf Befriedigung verheißen dürfen? Eine verneinende Antwort erscheint uns trostlos. Sie würde unser ganzes Dasein als etwas durchaus Unfruchtbares erscheinen lassen und jedes edlere Bestreben im Keime unterdrücken.

Es steht fest, dass alle Vorstellungen nur durch die Sinne zur Geltung gelangen, und dass der Mensch ohne deren Benutzung ein rein vegetatives Wesen ist, wie es sich u. a. in den Zuständen der Ohnmacht, des Schlafes überhaupt, des Winterschlafes insbesondere, des Starrkrampfes und Scheintodes zeigt. Es muss auch zugegeben werden, dass die Seele ein Ergebnis der Organisation des Stoffes ist, welche in den Nerven und im Gehirne den höchsten Grad der Vollkommenheit erreicht.

Locke sagt demgemäß ganz richtig: »durch äußere Eindrücke und Erfahrungen gelangen wir zur Erkenntnis«. Wenn er aber hinzufügt: »Es gibt nichts in unserem Verstande, was nicht vorher in den Sinnen wäre«; so leugnet er in auffallender Weise das abstrakte Denken; und wenn er schließlich sagt: »Wie kann die Seele fortleben ohne den Leib, da sie mit ihm und durch ihn sich entwickelt hat?« und fortfährt: »die Sinne sind die Eingangspforten für sie gewesen; wird sie mit denselben vergehen?« so stellt er sich auf einen zu grellen Materialismus im gewöhnlichen Sinne, weil er eben die Kraft nicht kennt, welche in Wirklichkeit den Organismus beseelte. Diese Kraft liegt nämlich nicht in den zur Organisation des Leibes dienenden Stoffatomen selbst: der Leib organisiert sich nicht selbst, seine Stoffatome sind nicht Automaten mit selbständigen Kraftquellen (die Kraft erzeugt sich nicht selbst); sondern er wird organisiert durch eine außerhalb seiner Atome vorhandene Kraft. Ich kann das von mir verfasste Buch verbrennen, nicht aber den Geist, der es mir diktierte.

Auch bei Cabanis (geb. 1757) kann von einer Unsterblichkeit keine Rede sein, wenn er nach seinem Ausspruche: Les nerfs voilà tout l‘homme (die Nerven sind der ganze Mensch) den Menschen, d. h. hier die Menschenseele mit den Nerven auf gleiche Stufe stellte.

Bei Parmenides aus Elea (geb. 520 v. Chr.) tritt eine tiefere Einsicht hervor: »das was in uns denkt ist eines mit der Organisation (mit dem Organisator) des Ganzen«, also nicht bloß des Menschen.

Bei Anaximander (geb. 610 v. Chr.) tritt dieser Gedanke in einer mehr materiell gefärbten Weise auf, wenn er sagt: »Woraus das Seiende seinen Ursprung hat, dahin muss es notwendig seinen Untergang haben«.

Diderot steht wesentlich auf keinem höheren Standpunkte mit den Aussprüchen: »
Die Materie ist beseelt«, »der Stoff denkt«.

Es kann aber durchaus nicht zugegeben werden, dass mit der Desorganisation des organisierten Körpers, d. h. mit dem Tode des Körpers, die Seele auch stirbt, denn sie ist gleichbedeutend mit der Urkraft im Weltalle, welche den Stoff organisiert hat. Diese Urkraft ist unerschaffen und unvertilgbar, sie ist ewig. Beim Sterben verlieren wir zwar unser persönliches Bewusstsein, weil die äußere Form, in welche es während des physischen Lebens vorübergehend gekleidet war, zerfällt: aber wir leben fort, weil weder der Stoff selbst, noch die ihm eigentümliche Kraft, welche den Körper organisierte und belebte, je stirbt oder überhaupt sterben kann. Wir leben zunächst fort in unseren Kindern und Mitmenschen, in unseren Taten und Gedanken in der Menschheit und in der Natur. »Wo sind die Toten? Bei uns selbst! Trotz Tod und Verwesung sind wir noch beisammen.« (Schopenhauer.)

Von den Anschauungen eines reinen Materialismus unterscheidet sich schon die Lehre des Buddhaismus recht vorteilhaft. Nach ihr ist das Sterben ein Auflösen in das Nirvana oder das ruhende Leere, welches nach unserer Auffassung die Weltseele, der Weltäther, ist. —

Auch der spätere Brahmanismus macht die Ewigkeit des Stoffes und das Nirvana (dieses Nichts in körperlicher, nicht aber in materieller Beziehung) zum Prinzip.

Auch der 2600 Jahre v. Chr. lebende Chinese Lao-tse hatte viel edlere Anschauungen, als sie unsere heutigen professionellen Theologen besitzen. Er sagt im 52. Kapitel seines Werkes Tao-te- king (Lehre vom höchsten Wesen): »Die Erdenwelt hat einen Anfang gehabt; es muss daher ein Wesen (Tao) geben, das sie geschaffen hat, oder bildlich (!) eine Mutter, die sie geboren hat. Wenn wir nun die Mutter der Erdenwelt gefunden haben, wenn wir so von ihr wissen, so erkennen wir dadurch, dass wir ihre Kinder sind, und wenn wir wissen, dass wir ihre Kinder sind, so begeben wir uns ja nur (wenn wir sterben) in den Schutz dieser Mutter zurück. Ob dann auch der Leib vergehe, wir haben nichts zu fürchten. Nicht ist das Verlassen des Körpers für uns ein Unglück, sondern in Wahrheit wird es heißen: wir haben das ewige Leben empfangen.«

Nun aber ist es von Interesse zu wissen, was Lao-tse unter Tao versteht. Er sagt im 34. Kapitel:

»Weithin verbreitet sich das erhabene Tao aus nach links wie nach rechts (d. h. es ist unendlich); alles was da ist, besteht nur durch dasselbe, alles was da lebt, lebt durch das Tao, und alles was wir wünschen erhalten wir durch das Tao. Es hat Alles wohl eingerichtet, doch hat es keinen Namen (weil es kein begrenztes Einzelwesen, kein Körper ist). Es liebt alle Wesen und sorgt für sie alle, aber es will nicht ihr Herr und Gebieter sein. Es ist ewig und hat kein irdisches Verlangen. Man kann es daher einfach nennen.«

Wer möchte wohl in diesen Eigenschaften und in dieser Wirkungsweise des Tao nicht unseren Weltäther wieder erkennen. Dass er es ist ergibt sich auch aus anderen Stellen, denn Lao-tse unterscheidet ausdrücklich eine schaffende Naturkraft und das Geschaffene, indem er sagt:

»Das eine unnennbare Tao ist der Schöpfer Himmels und der Erde, das andere dagegen, welches man für Jeden verständlich bezeichnen kann, ist die fort und fort schaffende Kraft der Natur, die Natur selbst, bildlich (!) die Mutter des Seienden. Nur der, welcher von Leidenschaften ganz frei ist, wird imstande sein, das höchste geistige Wesen zu erfassen: der dagegen, dessen Seele beständig von Leidenschaften getrübt wird, sieht nur das Endliche, die Schöpfung

In Betreff einer persönlichen Fortdauer spricht Lao-tse sich schon im 19. Kapitel aus, indem er sagt:

»Wer sein Ich nicht verliert., dauert fort; er stirbt, aber er vergeht nicht, er hat das ewige Leben.«

Wir sehen daraus nicht ohne gewisse Beschämung, dass diese, wenn auch nicht mit voller Klarheit entwickelten Lehren viel edler sind, als die, welche uns das Christentum mit seiner plumpen Vorstellung von der Auferstehung des Fleisches darbietet.

Es wird nicht ohne Interesse sein, wenn ich hier auch einige Kernsprüche Buddhas, welcher um das Jahr 477 v. Chr. starb, anführe:

»Der Mann, der frei ist von Leichtgläubigkeit, aber das Unerschaffene (!) kennt, der alle Bande zerschnitten, alle Versuchungen abgewiesen, allen Wünschen entsagt hat, der ist der Größte der Menschen.«

»Wer da weiß, dass dieser Leib gleich ist Schaum, wer gelernt hat, dass er unwirklich ist, der wird den Pfeil Mâras (Verführer) zerbrechen und nimmermehr schauen den König des Todes

»Alles, was wir sind, ist das Ergebnis dessen, was wir gedacht haben, es ist begründet auf unsere Gedanken, es ist bereitet aus unseren Gedanken.«

»Die Überlegung ist der Pfad der Unsterblichkeit, Gedankenlosigkeit ist der Pfad des Todes. Wer überlegt, stirbt nicht, der Gedankenlose ist als wäre er bereits tot.«


»Ein Bettler (Bhikshu), der seine Lust hat am Denken, der mit Furcht schaut auf die Gedankenlosigkeit, wird nicht in Vernichtung gehen, er ist nahe dem Nirvâna« (d. h. dem Erlöschen in der begierdelosen Seeligkeit des Nichts).

Dieses Nichts ist wohl der Weltäther. Eine noch deutlichere Hinweisung auf ihn liegt in dem Spruche 92—93:

»Die, welche keine Schätze haben, deren Leidenschaften beschwichtigt sind, die nicht in Genüssen sich verlieren, die das Leere, das Unbedingte, das Absolute erkannt haben, — ihr Pfad ist schwer zu verstehen, gleich dem der Vögel in der Luft.«

Aber auch noch so manche andere Heiden, auch Juden, und sogar eine Menge als Christen getaufte Menschenkinder haben sich zufolge einer besseren Gehirnentwicklung einen klaren Verstand erworben und die Freiheit des Denkens sich nicht nehmen lasten.

Schon Plato setzt im Timaeus III. die Unsterblichkeit der Seele in die Erkenntnis der Wahrheit. Offenbar liegt darin eine individuelle Fortdauer nicht ausgedrückt, sondern die Unsterblichkeit wird in die Übereinstimmung mit den in der Wahrheit gipfelnden Vernunftgesetzen gelegt, welche Weltgesetze sind.

Aristoteles teilt dem unsterblichen Teile der Seele ein Gedächtnis nicht zu, auch nicht Liebe und Hass, also durchaus nichts Persönliches.

Spinoza sagt: »Der menschliche Geist kann mit dem Körper nicht absolut vernichtet werden, sondern es bleibt von ihm etwas übrig was ewig ist.« Die einfachen Seelenbewegungen sind freilich an die Dauer des organischen Lebens gebunden, nicht aber der organisierende Geist.

Es ist wohl kaum noch nötig anzuführen, dass auch andere hervorragende Philosophen wie Schelling, Fichte, Hegel, Schopenhauer, eine individuelle Fortdauer der Seele nicht annehmen.

Wie die Orthodoxie noch krampfhaft festhält an der Persönlichkeit Gottes, so auch an einer persönlichen Fortdauer des so genannten »Ebenbildes« von Gott, eines jeden einzelnen Menschen, und sie weist ihnen je nach ihren Verdiensten verschiedene Aufenthaltsorte an: die Hölle, das Fegefeuer, den Himmel. Ja es gibt sogar Fabriken, in denen »Heilige« gemacht werden, die man in seinem Wahnwitze noch zu selbstsüchtigen Zwecken benutzen zu können meint, wenn man selbst zu träge ist, als dass man durch eigene Kraft ein gewisses Ziel erreichen könnte.

»Doch Heilige gibt es, die aus Glut
Losbeten den Sünder, durch Spenden
An Kirch‘ und Seelenmessen wird
Erwerben ein hohes Verwenden.«

Heinrich Heine.

Es ist aber gerade ein ungeheurer Kulturfortschritt, wenn der selbstgefällige Egoismus, der in der Hoffnung auf eine persönliche Fortdauer sich abspiegelt, gebrochen und die Selbstverleugnung so weit geführt wird, dass Jeder nur für das geistige Wohl seiner Mitmenschen und der künftigen Geschlechter je nach seinen Kräften und seiner Stellung arbeitet. Man kann es mit vollem Rechte behaupten, dass aller Fortschritt in der Menschheit wesentlich von dem Aufgeben der Selbstsucht und von der vollen Hingabe an die Entwicklung des Ganzen abhängt. Durch die Selbstsucht isoliert sich auch der Einzelne. Käme sie in der Menschheit zu einer allgemeinen Geltung, so würde sie aus indifferenten Atomen bestehen, die nur dem Gesetze der Gravitation, also der Herrschaft des Mächtigsten sklavisch folgen und eine einheitliche Gemeinschaft mit Selbstbestimmung nicht eingehen würden. Das traurigste Beispiel von Selbstsucht bieten jetzt wohl die so genannten Kirchenfürsten, an ihrer Spitze der Papst dar. Doch hoffen wir mit Schiller, welcher sagt: »Die selbstsüchtigen Zwecke des Einzelnen schlagen bewusstlos zur Vollführung des Guten aus.«

Jeder Einzelne in der menschlichen Gesellschaft, er mag je nach seinen Fähigkeiten und Leistungen eine Stellung niedrig oder hoch einnehmen, muss sich vielmehr als erhaltendes und opferwilliges Glied des Ganzen fühlen und seine Stellung nach besten Kräften auszufüllen suchen. Ist es anders, so ist weder das Glück des Einzelnen, noch der Fortschritt des Ganzen möglich.

Leider ist diese Moral zurzeit noch sehr wenig zu einem Volksbewusstsein geworden. Die heutige Sozialdemokratie ist eine schmachvolle Missgeburt eines an sich guten auf die Menschenrechte gegründeten Gedankens; aber es fehlt den großen Massen noch das rechte Bewusstsein der Menschenpflicht, weil sie großgezogen worden sind im Schatten orthodoxer Gedankenlosigkeit, welche die Kirchen im Volke mit blinder Energie festzuhalten streben.

Es ist klar, dass mit dem Aufhören des lebendigen Wechselspieles der Stoffatome in unserem Körper, d. h. mit dem Aufhören der organischen Tätigkeit im Körper oder mit dem Tode, auch das ihm inwohnende besondere oder individuelle Seelenleben aufhört; es ist die Resonanz der Stoffatome des organisierten Körpers für die Weltätherschwingungen mit der Rückkehr jener ins stabile Gleichgewicht verschwunden und die früheren Schwingungen der Gehirnatome verklingen und verschwimmen in der unendlichen Weltseele.

Also auch an geistig persönliches Fortleben ist nicht zu denken, wohl aber an ein harmonisches gleichmäßiges aller hochentwickelten Geister, welche sich mit den ewig wahren Weltgesetzen in Übereinstimmung befinden.

Gerade also das Aufgeben des selbstsüchtigen Egoismus bietet uns eine Hoffnung für die Zukunft eines mehr und mehr zur Vollkommenheit gesteigerten Weltprozesses. Je mehr wir mit den wechselnden Erscheinungen der Außenwelt im weitesten Sinne des Wortes in Verbindung treten, je mehr wir uns bestreben das Gesetzmäßige in ihnen zu erforschen und zu unserem geistigen Eigentum zu machen, desto höher wird unsere Organisation nach Körper, Seele und Geist werden, desto größer wird die Übereinstimmung unserer Seele mit der Weltseele werden und desto eher werden wir das ewige Leben erlangen. Bei zynischer Abgeschlossenheit vertiert der Mensch trotz Rosenkranzgebet. Weil der Geist sich nur entwickelt im lebhaften Verkehr mit der Außenwelt und um so schneller und besser, je mannigfaltiger sie ist (man vergleiche nur die turanische oder tatarische Rasse mit der arischen): so ist es eine Sünde gegen die Menschheit einen Menschen durch besondere Vorkehrungen gleichgültig zu machen gegen alles was wirklich ist; selbst das gegenstandlose reine Denken führt auf Abwege, auf Unwahres, denn das Seiende ist wahr durch sich selbst. Der Kunst freilich ist das reine Denken fremd, denn sie erhebt nur das Sinnliche bis zur schönsten Form, sie ist der Ausfluss eines rein formellen, geistig unbewussten Gestaltungstriebes. Daher sind Kunstanlagen und Leistungen oft schon im jugendlichen Alter, dem noch die geistige Entwicklung fehlt, vorhanden und erkennbar.

Hat sich aber unser Geist im lebhaftesten Verkehre mit der Natur denkend entwickelt, so tritt Seeligkeit ein, d. h. die Empfindung oder vielmehr das Bewusstsein der Übereinstimmung unseres Denkens und Handelns mit den Natur-Vernunftgesetzen. Sie wird nach v. Hartmann erreicht, »wenn man die Zwecke des Unbewussten zu Zwecken seines Bewusstseins macht.«

Das heißt jetzt nach unserer Auffassung: wenn unser Sein sich in voller Übereinstimmung befindet mit dem durch unsere Weltseele, den Weltäther, vorgezeichneten Vernunftgesetzen; dann ist unser Geist in Wahrheit ein Ausfluss oder ein Teil des Gottesgeistes. Der Weltgeist erscheint uns dann in der sinnlichen Gestalt des durch ihn für die Erkenntnis der Wahrheit vollkommen organisierten Menschengehirns: der Mensch ist dann ein Ebenbild Gottes, es ist in ihm Gottesbewusstsein, Seeligkeit.*
*Wenn wir nach unseren Darstellungen den Weltäther als die Weltseele ansehen müssen, so würde diese neue Anschauungsweise, welche man vielleicht Aetherismus nennen könnte, der reinste Monotheismus sein, aber ohne Beigabe jeder persönlichen Selbstbestimmung und Laune, zugleich aber mit Verwerfung des bisherigen Materialismus, welcher ein Pantheismus ohne innere Wahrheit ist. Der Aetherismus scheint mir diejenige Gottesidee zu sein, welche allein eine Zukunft hat.

Ist aber in uns das Gefühl der Übereinstimmung mit den Gesetzen des Daseins oder ist Freude nicht vorhanden, so tritt Traurigkeit ein und wir werden des ewigen Lebens nicht teilhaftig, wenn nicht etwa noch rechtzeitig Reue und Demut eintreten, welche keine Tugenden, sondern nur Ausflüsse der Erkenntnis des unangemessenen und gesetzwidrigen Verhaltens gegen die Vernunftgesetze sind. Die wahre Tugend ist nämlich die Bestimmtheit des Handelns durch Einsicht und Vernunft, also in notwendiger Übereinstimmung mit den notwendigen Gesetzen der Natur, welche zwar Allen zugänglich, aber nicht für Alle leicht erkennbar sind.
S. 108-118
Aus: Gott im Licht der Naturwissenschaften , Studien über Gott, Welt, Unsterblichkeit von Philipp Spiller, Berlin 1873. Denicke’s Verlag , Link & Reinke (Aktualisierung der Schreibweise unter Berücksichtigung der neuen Rechtschreibung)
Wer ist in Wahrheit Gott?
Wollen wir die durch unsere gedrängte Untersuchung erlangten Kenntnisse zu einem kurzen Bekenntnisse zusammenfassen, so würde es heißen:

Gott ist eine nach dem Raume unendliche, nach der Zeit ewige (d. h. unerschaffene und unvertilgbare) stoffliche Substanz, nämlich der Weltäther.

Er ist in der Tat die Weltseele, indem er seiner Natur nach die im Weltraume schwebenden Stoffatome nach bestimmten Gesetzen zu Körpern gestaltet, ihnen gesetzmäßige Bewegungen erteilt, mit ihren Atomen zum Teil in so innige Wechselwirkung tritt, dass er sie nicht nur organisiert, sondern auch beseelt und sie dann, wenn auch für jedes Einzelnwesennur vorübergehend, befähigt, an dem Weltprozesse lebendig teilzunehmen.

Unser Gott besitzt also wirklich die Eigenschaften, welche ihm in den besseren Religionsbekenntnissen beigelegt werden:

er ist ein Geist insofern er ein Körper nicht ist;

er ist allgegenwärtig, denn er nimmt den unendlichen Weltraum ein, er durchdringt alle Körper und umgibt jedes Körperatom in dem unendlichen Weitraume;

er ist allmächtig, denn kein Atom kann sich seiner Wirksamkeit entziehen;

er ist der Schöpfer des Himmels (d.h. der Himmels- oder Weltkörper) und der Erde mit allen ihren Wesen; er hat also auch uns Menschen geschaffen und beseelt, denn er hat die Stoffe dazu organisiert und ist mit ihnen in lebendige Wechselwirkung getreten;

er ist in diesem Sinne auch der Erhalter und Ernährer seiner Geschöpfe, die wesentlich Produzenten (Pflanzen) und Konsumenten (Tiere) sind;

er regiert die ganze Welt mit sich gleich bleibender Kraft nach unveränderlichen Vernunftgesetzen von Ewigkeit zu Ewigkeit, weil er unendlich und ewig ist;

er ist allweise, denn er wirkt nur nach strengen Vernunftgesetzen; er ist gerecht, weil er von diesen Gesetzen niemals abweicht und nur diejenigen bestraft, welche gegen die von ihm diktierten Vernunftgesetze handeln,

er irrt niemals (und ist daher allein unfehlbar), weil er ohne Selbstbewusstsein und ohne vorgesetzten Zweck nur jene Vernunftgesetze zur Geltung bringt. (Spinoza tritt den Zweckbegriffen in der Natur entgegen, indem er meint, dass die Verteidiger desselben auf die Unwissenheit, welche ein Beweismittel nicht kennt, sich berufen.)

Der geweihte »Kirchhof« zur Bestattung der Leichen ist der Orthodoxie allein der »Gottesacker«, als ob Gott nur allein unter ihrer Aegide dort eine Aussaat für eine spätere Ernte mache. Für mich ist die Mutter-Erde überall ein geweihter Gottesacker, obwohl ich Kirchhöfe, wenn sie nicht durch religiösen Fanatismus entweiht werden, so lange noch als die angemessenen Grabstätten ansehe, als sich gegen das Verbrennen der Leichname das Vorurteil noch sträubt.

Ich hoffe dass es, falls ich auf meinem Totenbette unzurechnungsfähig werden sollte (d.h. wenn meine irdischen Stoffatome nur noch leisen Nachwirkungen der Weltseele folgten, ohne eine lebendige Wechselwirkung mit ihr zu unterhalten), kein Pfaffe wagen wird, aus mir noch einen blindgläubigen Konfessionsketzer machen zu wollen. Ich werde schon ohne Spediteur dahin kommen, wohin ich gehöre
. S. 119-120
Aus: Gott im Licht der Naturwissenschaften , Studien über Gott, Welt, Unsterblichkeit von Philipp Spiller, Berlin 1873. Denicke’s Verlag , Link & Reinke (Aktualisierung der Schreibweise unter Berücksichtigung der neuen Rechtschreibung)