Oswald Arnold Gottfried Spengler (1880 – 1936)

Deutscher Geschichts- und Kulturphilosoph sowie freier Schriftsteller, der mit seinem Hauptwerk »Der Untergang des Abendlandes - Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte« eine von Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Nietzsche, den biologistischen Strömungen und darwinistischen Motiven beeinflusste Kultur- und Geschichtsphilosophie kreierte. Diese geht von der u. a. auch schon von Giovanni Battista Vico (1668 – 1744), Ernst von Lasaulx (1805 – 1861) und Karl Lamprecht (1856 – 1915) vertretenen »Kulturzyklentheorie« (Lehre von Blüte und Verfall der Kulturen) aus und entwickelt eine »Morphologie der Weltgeschichte«, die den Formenwandel der als Großorganismen verstandenen Kulturen und ihrer »Lebensstile« beschreibt. »Von Goethe habe ich die Methode, von Nietzsche die Fragestellungen, und wenn ich mein Verhältnis zu diesem in eine Formel bringen soll, so darf ich sagen: ich habe aus seinem Ausblick einen Überblick gemacht. Goethe aber war in seiner gesamten Denkweise, ohne es zu wissen, ein Schüler von Leibniz gewesen. So empfinde ich das, was mir zu meiner eigenen Überraschung zuletzt unter den Händen entstanden ist, als etwas, das ich trotz des Elends und Ekels dieser Jahre mit Stolz nennen will: als eine deutsche Philosophie«

Weiteres siehe Wikipedia und Kirchenlexikon

 

Inhaltsverzeichnis
Der Untergang des Abendlandes

Wille - die allbewegende Kraft
Das Wesen der Religion
Der Geist der Zahlen
  Das Wort Gottes
Das Urgefühl des nachdenklich gewordenen Daseins
Der unsichtbare Gott
 

Jahre der Entscheidung

Der Untergang des Abendlandes
Wille - die allbewegende Kraft
Die Seelenelemente sind für jeden Menschen, welcher Kultur er auch angehört, die Gottheiten einer inneren Mythologie. Was Zeus für den äußeren Olymp ist, das ist für den der inneren Welt, für jeden Griechen mit vollkommener Deutlichkeit vorhanden, welcher über den andern Seelenteilen thront. Was für uns »Gott« ist, Gott als Weltatem, als die Allkraft, als die allgegenwärtige Wirkung und Vorsehung, das ist, aus dem Weltraum in den imaginären Seelenraum zurückgespiegelt und von uns mit Notwendigkeit als wirklich vorhanden empfunden, »Wille«.

Zum mikrokosmischen Dualismus der magischen Kultur, zu ruach und nephesch, pneuma und psyche gehört mit Notwendigkeit der makrokosmische Gegensatz von Gott und Teufel, persisch Ormuzd und Ahriman, jüdisch Jahwe und
Beelzebub, islamisch Allah und Iblis, dem absolut Guten und dem absolut Bösen, und man wird bemerken, dass im abendländischen Weltgefühl beide Gegensätze zugleich verblassen. In demselben Grade wie aus dem gotischen Streit um den Vorrang von intellectus oder voluntas sich der Wille als Mittelpunkt eines seelischen Monotheismus herausbildet, entschwindet die Gestalt des Teufels aus der wirklichen Welt. Zur Barockzeit hat der Pantheismus der Außenwelt einen inneren unmittelbar zur Folge, und was — in welcher Bedeutung auch — der Gegensatz Gott und Welt bezeichnen soll, das bezeichnet jedes Mal das Wort Wille gegenüber der Seele überhaupt: die allbewegende Kraft in ihrem Reich.*
*Es versteht sich, dass der Atheismus keine Ausnahme bildet. Wenn der Materialist oder Darwinist von »der Natur« redet, die etwas zweckmäßig anordnet, die eine Auslese trifft, die etwas hervorbringt oder vernichtet, so hat er dem Deismus des 18. Jahrhunderts gegenüber nur ein Wort verändert und das Weltgefühl unverändert bewahrt.

Sobald das religiöse Denken in ein streng wissenschaftliches übergeht, besteht auch ein doppelter Begriffsmythos in Physik und Psychologie. Der Ursprung der Begriffe Kraft, Masse, Wille, Leidenschaft beruht nicht auf objektiver Erfahrung, sondern auf einem Lebensgefühl. Der Darwinismus ist nichts anderes als eine außergewöhnlich flache Fassung dieses Gefühls. Kein Grieche wurde das Wort Natur im Sinne einer absoluten und planmäßigen Aktivität so gebraucht haben, wie die moderne Biologie es tut. Der »Wille Gottes« ist für uns ein Pleonasmus. Gott (oder »die Natur«) ist nichts als Wille. So gut der Gottesbegriff seit der Renaissance unmerklich mit dem Begriff des unendlichen Weltraums identisch wird und die sinnlichen, persönlichen Züge verliert — Allgegenwart und Allmacht sind beinahe mathematische Begriffe geworden —, so gut wird er zum unanschaulichen Weltwillen. S.398f.
Aus: Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes, dtv- Taschenbuch 30073

Das Wesen der Religion
Jede Seele hat Religion. Das ist nur ein anderes Wort für ihr Dasein. Alle lebendigen Formen, in denen sie sich ausspricht, alle Künste, Lehren, Bräuche, alle metaphysischen und mathematischen Formenwelten, jedes Ornament, jede Säule, jeder Vers, jede Idee ist im Tiefsten religiös und muss es sein. Von nun an kann sie es nicht mehr sein. Das Wesen aller Kultur ist Religion; folglich ist das Wesen aller Zivilisation Irrreligion. S. 458

Religion nennen wir das Wachsein eines Lebewesens in den Augenblicken, wo es das Dasein überwältigt, beherrscht, verneint, selbst vernichtet. Das rassehafte Leben und der Takt seiner Triebe werden klein und dürftig vor dem Blick in die ausgedehnte, gespannte und lichterfüllte Welt; die Zeit weicht dem Raume. Die pflanzenhafte Sehnsucht nach Vollendung erlischt und das tierhafte Urgefühl der Angst vor dem Vollendetsein, dem Richtungslosen, dem Tode bricht hervor. Nicht Hassen und Lieben, sondern Fürchten und Lieben sind die Grundgefühle der Religion. Hass und Furcht unterscheiden sich wie Zeit und Raum, wie Blut und Auge, wie Takt und Spannung, wie Heldenhaftes und Heiliges. Aber ebenso verschieden ist Liebe im rassehaften und Liebe im religiösen Sinne.

Alle Religion ist dem Lichte verwandt. Das Ausgedehnte wird auch religiös als Augenwelt von dem Ich als Lichtmitte aus erfasst. Gehör und Getast werden dem Gesehenen eingeordnet und das Unsichtbare, dessen Wirkungen man sinnlich verspürt, wird zum Inbegriff des Dämonischen. Alles, was wir mit den Worten Gottheit, Offenbarung, Erlösung, Fügung bezeichnen, ist irgendwie ein Element der belichteten Wirklichkeit. Der Tod ist für den Menschen etwas, das er sieht und sehend erkennt, und im Hinblick auf den Tod ist die Geburt das andre Geheimnis: beide begrenzen für das Auge das gefühlte Kosmische als Leben eines Leibes im Lichtraum.

Es gibt eine tiefe, auch den Tieren bekannte Furcht vor dem mikrokosmischen Freisein im Raume, vor dem Raume selbst und seinen Mächten, vor dem Tode, und eine andere Furcht für das kosmische Strömen des Daseins, das Leben, die gerichtete Zeit. Die erste weckt eine dunkle Ahnung, dass die Freiheit im Ausgedehnten eine neue und tiefere Art von Abhängigkeit als die pflanzenhafte ist. Sie lässt das Einzelwesen im Gefühl seiner Schwäche die Nähe und Verbindung mit anderen suchen. Die Angst führt zum Sprechen und eine Art von Sprache ist jede Religion. Aus der Angst vor dem Raume erheben sich die Numina der Welt als Natur und die Götterkulte. Aus der Angst für die Zeit entstehen die Numina des Lebens, des Geschlechtes, des Staates mit ihrem Mittelpunkt im Ahnenkult. Das ist der Unterschied von tabu und totem, denn auch das Totemistische erscheint stets in religiöser Form, aus einer heiligen Scheu vor dem, was dem Verstehen selbst entzogen und ewig fremd ist.

Die höhere Religion bedarf der wachen Spannung gegen die Mächte des Blutes und Daseins, die immer in der Tiefe lauern, um ihr uraltes Recht über diese jüngere Seite des Lebendigen wieder an sich zu nehmen: »Wachet und betet, daß Ihr nicht in Anfechtung fallet.« Trotzdem ist Erlösung ein Grundwort jeder Religion und ein ewiger Wunsch für jedes wache Wesen. In diesem allgemeinen, fast vorreligiösen Sinne bedeutet er das Verlangen nach Befreiung von den Ängsten und Qualen des Wachseins, nach Entspannung der Spannungen des furchtgebornen Denkens und Grübelns, nach Lösung und Aufhebung des Bewusstseins von der Einsamkeit des Ich im All, der starren Bedingtheit aller Natur und dem Blick auf die unverrückbare Grenze allen Seins, das Alter, den Tod.

Auch der Schlaf erlöst. Der Tod selbst ist der Bruder des Schlafs. Auch der heilige Wein, der Rausch bricht die Strenge der geistigen Spannungen und ebenso der Tanz, die dionysische Kunst und jede andere Art von Betäubung und Außersichsein. Das ist ein Entrinnen aus dem Wachsein mit Hilfe des Daseins, des Kosmischen, des »es«, die Flucht aus dem Raume in die Zeit. Aber höher als das alles steht die eigentlich religiöse Überwindung der Angst durch das Verstehen selbst. Die Spannung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos wird zu etwas, das man liebt, in das man sich ganz versenken kann.* Dies nennen wir Glauben und mit ihm beginnt das menschliche Geistesleben überhaupt.
*»Wer Gott mit inbrünstiger Seele liebt, der verwandelt sich in ihm.« (Bernhard von Clairvaux)

Es gibt nur kausales Verstehen, ob es hingenommen oder angewandt, ob es vom Empfinden abgezogen ist oder nicht. Es ist gar nicht möglich, Verstandensein und Kausalität zu unterscheiden: beide Worte drücken dasselbe aus. Wo etwas für uns »wirklich« ist, sehen und denken wir es in ursächlicher Form, so wie wir uns selbst und unser Tun als Ur-Sache empfinden und kennen. Dies Ansetzen von Ursachen ist aber nicht nur in der religiösen, sondern in der anorganischen Logik des Menschen überhaupt von Fall zu Fall verschieden. Zu einer Tatsache wird soeben dies und im Augenblick darauf etwas ganz anderes als Ursache gedacht. Jede Art des Denkens hat für jedes ihrer Anwendungsgebiete ein eigenes »System«. Im alltäglichen Leben kommt es nie vor, dass derselbe Kausalzusammenhang genau so noch einmal gedacht wird. Noch in der modernen Physik sind Arbeitshypothesen, das heißt Kausalsysteme, nebeneinander im Gebrauch, die sich teilweise ausschließen wie die elektrodynamischen und thermodynamischen Vorstellungen.

Dies widerspricht dem Sinn des Denkens nicht, denn man »versteht« bei dauerndem Wachsein stets in Gestalt einzelner Akte, deren jeder seine eigne kausale Einstellung besitzt. Die Ansicht, dass die ganze Welt als Natur in Bezug auf ein Wachsein durch eine einzige Kausalverkettung geordnet sei, ist durch unser Denken, das stets nur Einzelzusammenhänge denkt, gar nicht zu vollziehen. Sie bleibt ein Glaube; sie ist sogar der Glaube schlechthin, denn auf ihm beruht das religiöse Weltverstehen, das überall, wo es etwas bemerkt, mit Denknotwendigkeit Numina annimmt, flüchtige für Zufallsereignisse, an die es nie wieder denkt, und dauernde, die etwa in Quellen, Bäumen, Sternen, Hügeln, den Sternen, also an bestimmten Orten hausen oder wie die Gottheiten des Himmels, des Krieges, der Weisheit überall gegenwärtig sein können. Begrenzt sind sie nur innerhalb jedes einzelnen Denkaktes. Was heute Eigenschaft eines Gottes, ist morgen selbst ein Gott. Andere sind bald eine Vielheit, bald eine Person, bald ein unbestimmtes
Etwas. Es gibt unsichtbare (Gestalten) und unbegreifliche (Prinzipien), die dem Begnadeten entweder erscheinen oder begreiflich werden können. Das Schicksal* ist in der Antike und in Indien etwas, das als Ur-Sache über den vorstellbaren Gestaltgöttern steht; das magische Schicksal ist aber eine Wirkung des einzigen und gestaltlosen höchsten Gottes.
*Für das religiöse Denken ist Schicksal stets eine kausale Größe. Die Erkenntniskritik kennt es deshalb nur als ein unklares Wort für Kausalität. Nur solange man nicht daran denkt, kennt man es wirklich.

Das religiöse Denken geht stets dahin, in der Ursachenfolge Ordnungen des Wertes und Ranges zu unterscheiden bis zu allerhöchsten Wesen oder Prinzipien, die allererste »waltende« Ursachen sind. Fügung ist das Wort für das umfassendste aller auf Wertung beruhenden Kausalsysteme. Wissenschaft ist im Gegensatz dazu ein Verstehen, das von einem Rangunterschied der Ursachen grundsätzlich absieht: was sie findet, ist nicht Fügung, sondern Gesetz.

Das Verstehen von Ursachen erlöst. Der Glaube an die gefundenen Zusammenhänge bringt die Weltangst zum Weichen. Gott ist die Zuflucht des Menschen vor dem Schicksal, das sich fühlen, erleben, aber nicht denken, vorstellen, nennen lässt, das versinkt, solange das »kritische« — scheidende — furchtgeborene Verstehen Ursachen hinter Ursachen greifbar, d. h. für das äußere oder innere Auge in optischer Aufreihung feststellt, aber auch nur so lange. Es ist die verzweifelte Lage des höheren Menschen, dass sein mächtiges Verstehenwollen sich in beständigem Widerspruch zu seinem Dasein befindet. Es dient dem Leben nicht mehr; herrschen kann es auch nicht; so bleibt etwas Ungelöstes in allen bedeutenden Lagen. »Es darf sich einer nur für frei erklären, so fühlt er sich den Augenblick als bedingt. Wagt er es, sich für bedingt zu erklären, so fühlt er sich frei.«
(Goethe) S. 880-884
Aus: Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes, dtv- Taschenbuch 30073

Der Geist der Zahlen
Es ist nun kein Zweifel mehr: die Formenwelt einer Naturwissenschaft entspricht vollkommen den zugehörigen der Mathematik, der Religion und der bildenden Kunst. Ein tiefer Mathematiker — nicht ein meisterhafter Rechner, sondern jemand, der den Geist der Zahlen in sich lebendig fühlt,—begreift, dass er damit »Gott kennt«. Pythagoras und Plato haben das so gut gewusst wie Pascal und Leibniz. S.506 [...]

Das Mittel aber, in dem die ganze geistige Kraft sich sammelt, ist die durch die Sprache vom Sehen abgezogene Form des Wirklichen, deren Quintessenz sich nicht jedem Wachsein erschließt: die begriffene Grenze, das mitteilbare Gesetz, der Name, die Zahl. Deshalb beruht jede Beschwörung der Gottheit auf der Kenntnis ihres wirklichen Namens, auf der Ausübung der nur dem Wissenden bekannten und zu Gebote stehenden Riten und Sakramente in genau der richtigen Form und unter Gebrauch der richtigen Worte. Das gilt nicht nur vom primitiven Zauberwesen, sondern auch von jeder physikalischen Technik und noch viel mehr von jeder Medizin. Deshalb ist Mathematik etwas Heiliges, das regelmäßig aus religiösen Kreisen hervorgeht — Pythagoras, Descartes, Pascal —, und die Mystik heiliger Zahlen, der 3, 7, 12, ein wesentlicher Zug aller Religion*, deshalb das Ornament und seine höchste Form im Kultbau etwas Zahlenhaftes in gefühlter Gestalt.
* Darin unterscheidet sich die Philosophie nicht im Geringsten vom urwüchsigen Volksglauben. Man denke an Kants Kategorientafel mit ihren 3 x 4 Einheiten, an Hegels Methode, an Jamblichs Triaden.

Es sind starre, zwingende Formen, Ausdrucksmotive oder Mitteilungszeichen, durch wel
che innerhalb der Welt des Wachseins das Mikrokosmische mit dem Makrokosmos in Verbindung tritt. In der priesterlichen Technik heißen sie Gebote, in der wissenschaftlichen Gesetze. Beide sind Name und Zahl, und der primitive Mensch würde keinen Unterschied finden zwischen der Zauberkraft, mit welcher der Priester seines Dorfes die Dämonen, und der, mit welcher der zivilisierte Techniker seine Maschinen beherrscht.

Das erste und vielleicht das einzige Ergebnis des menschlichen Verstehenwollens ist der Glaube. »Ich glaube« ist das große Wort gegen die metaphysische Angst und zugleich ein Bekenntnis der Liebe. Mag das Forschen und Kennenlernen seinen Gipfel in einer plötzlichen Erleuchtung oder einer erfolgreichen Berechnung haben, so wäre doch alles eigene Empfinden und Begreifen ohne Sinn, wenn nicht die innere Gewissheit von »etwas« sich einstellte, das als das Andre und Fremde und zwar genau in der ermittelten Gestalt in der Verkettung von Ursache und Wirkung »ist«.

Der Mensch als Wesen des sprachgeleiteten Denkens kennt also als seinen höchsten geistigen Besitz den endlich errungenen festen Glauben an dieses der Zeit und dem Schicksal entrückte Etwas, das er schauend abgesondert und durch Name und Zahl gezeichnet hat. Aber was das ist, bleibt zuletzt dennoch dunkel. Wurde die geheime Logik des Alls damit selbst berührt oder nur ein Schattenbild? Das ganze Ringen und Leiden, die ganze Angst des grübelnden Menschen richtet sich auf diesen neuen Zweifel, der Verzweiflung werden kann. Er braucht in seinem geistigen Tiefendrang den Glauben an ein letztes Etwas, das sich denkend erreichen, ein Ende des Zertrennens, das keinen Rest von Geheimnis mehr übrig lässt. Die Winkel und Abgründe seiner geschauten Welt müssen sämtlich durchleuchtet sein — nichts anderes kann ihn erlösen.
S.885f.
Aus: Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes, dtv- Taschenbuch 30073,

Das Wort Gottes
Das Wort Gott klingt anders unter den Wölbungen gotischer Dome und in den Klosterhöfen von Maulbronn und Sankt Gallen als in den Basiliken Syriens und den Tempeln des republikanischen Rom. In dem Wälderhaften der Dome liegt die architektonische Verwirklichung eines Weltgefühls, das im Hochwald der nordischen Ebenen sein ursprünglichstes Symbol gefunden hatte. Und zwar im Laubwalde mit dem geheimnisvollen Gewirr seiner Äste und dem Raunen der ewig bewegten Blättermassen über dem Haupte des Betrachters, hoch über der Erde, von der die Wipfel durch den Stamm sich zu lösen versuchen. [...] Das Waldesrauschen, dessen Zauber kein antiker Dichter je empfunden hat, das jenseits aller Möglichkeiten des apollinischen Naturgefühls liegt, steht mit seiner geheimen Frage nach dem Woher und Wohin, seinem Versinken des Augenblicks im Ewigen in einer tiefen Beziehung zum Schicksal, zum Gefühl für Geschichte und Dauer, zur faustischen schwermütig-sorgenvollen Richtung der Seele in eine unendlich ferne Zukunft.
Aus: Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes, dtv- Taschenbuch 30073, S.508f.

Aus dem Urgefühl des nachdenklich gewordenen Daseins entsteht die Vorstellung des Göttlichen
Wenn man in einem hohen Walde mächtiger Stämme steht und den Sturm über sich wühlen hört, begreift man plötzlich den Sinn des Gedankens von der Kraft, welche die Masse bewegt.

So entsteht aus dem Urgefühl des nachdenklich gewordenen Daseins eine immer bestimmtere Vorstellung des Göttlichen rings in der Außenwelt. Der Erkennende empfängt den Eindruck einer Bewegung in der äußeren Natur. Er fühlt um sich ein schwer zu beschreibendes fremdes Leben unbekannter Mächte. Er fährt den Ursprung dieser Wirkungen auf numina zurück, auf das »andre«, insofern es ebenfalls Leben besitzt. Aus dem Staunen über die fremde Bewegung entspringen Religion und Physik. Sie enthalten die Deutung der Natur oder des Bildes der Umwelt hier durch die Seele, dort durch den Verstand. Die »Mächte« sind zugleich erster Gegenstand der fürchtenden oder liebenden Verehrung und der kritischen Forschung. Es gibt eine religiöse und eine wissenschaftliche Erfahrung.

Nun beachte man wohl, auf welche Weise das Bewusstsein der einzelnen Kulturen die ursprünglichen numina geistig verdichtet. Es belegt sie mit bedeutungsvollen Worten, mit Namen, und bannt — begreift, begrenzt — sie auf diese Art. Damit unterliegen sie der geistigen Macht des Menschen, der den Namen in seiner Gewalt hat. Es war schon gesagt worden, dass die ganze Philosophie, die ganze Naturwissenschaft, alles, was zum »Erkennen« in irgendeiner Beziehung steht, im tiefsten Grunde nichts ist als die unendlich verfeinerte Art, den Namenszauber des primitiven Menschen auf das »Fremde« anzuwenden.

Das Aussprechen des richtigen Namens (in der Physik: des richtigen Begriffes) ist eine Beschwörung. So entstehen Gottheiten und wissenschaftliche Grundbegriffe zuerst als Namen, die man anruft und an die sich eine sinnlich immer bestimmtere Vorstellung knüpft. Aus dem numen [»göttliches Wesen als wirkende Macht ohne persönlichen Gestaltscharakter«] wird ein deus [»Gott mit persönlichem Gestaltscharakter«], aus dem Begriff eine Vorstellung.


Was für ein befreiender Zauber liegt für die Mehrzahl der gelehrten Menschen in der bloßen Nennung solcher Worte wie »Ding an sich«, »Atom«, »Energie«, »Schwerkraft«, »Ursache«, »Entwicklung«! Es ist der gleiche, der den latinischen Bauern bei den Worten Ceres, Consus, Janus, Vesta ergriff.*
*Und man darf behaupten, dass der handfeste Glaube, den z. B. Haeckel mit dem Namen Atom, Materie, Energie verband, von dem Fetischismus des Neandertalmenschen nicht wesentlich verschieden war.
Aus: Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes, dtv- Taschenbuch 30073, S.510f.

Der unsichtbare Gott
Die(se) Verarmung des Sinnlichen bedeutet zugleich eine unermessliche Vertiefung. Menschliches Wachsein ist nicht mehr die bloße Spannung zwischen Leib und Umwelt. Es heißt jetzt: Leben in einer rings geschlossenen Lichtwelt. Der Leib bewegt sich im gesehenen Raum. Das Tiefenerlebnis ist ein gewaltiges Eindringen in sichtbare Fernen von einer Lichtmitte aus: es ist jener Punkt, den wir Ich nennen. »Ich« ist ein Lichtbegriff. Von nun an ist das Leben des Ich ein Leben unter der Sonne, und die Nacht dem Tode verwandt. Und daraus bildet sich ein neues Angstgefühl, das alle andern in sich aufnimmt: die Angst vor dem Unsichtbaren, vor dem, was man hört, fühlt, ahnt, wirken sieht, ohne es selbst zu erblicken. Tiere kennen ganz andere, dem Menschen rätselhafte Formen der Angst, denn auch die Angst vor der Stille, die urwüchsige Menschen und Kinder durch Lärm und lautes Reden unterbrechen und verscheuchen wollen, ist bei höheren Menschen im Verschwinden begriffen.

Die Angst vor dem Unsichtbaren aber bezeichnet die Eigenart aller menschlichen Religiosität . Gottheiten sind geahnte, vorgestellte, erschaute Lichtwirklichkeiten . Der »unsichtbare Gott« ist der höchste Ausdruck menschlicher Transzendenz . Das Jenseits liegt dort, wo die Grenzen der Lichtwelt sind; Erlösung ist Befreiung aus dem Banne des Lichts und seiner Tatsachen.

Aus: Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes, dtv- Taschenbuch 30073, S.564f.

Jahre der Entscheidung

Wir leben in einer verhängnisschweren Zeit
Die bedrohte Existenz Deutschlands im Sturm der Tatsachen
Deutschland ist keine Insel
Schwärmerei für Luftschlösser
Die allgemeine Angst vor der Wirklichkeit
Die Flucht in erdachte und weltfremde Wunschbilder
Die bewegenden Mächte der Zukunft
Das Volk der Dichter und Denker – ein Volk der Schwätzer und Hetzer?
Die Geschichte hat mit menschlicher Logik nichts zu tun.
Der Mensch ist ein Raubtier.
Der Kampf ist die Urtatsache des Lebens
Die Vereinigten Staaten von Amerika
Weder wirkliches Volk noch wirklicher Staat?
Die Ähnlichkeit der Vereinigten Staaten mit dem bolschewistischen Russland
Die Macht des Dollarimperialismus
Die Vereinigten Staaten sind ein führendes Element der Weltpolitik geworden
Die Integrationsschwierigkeiten im Amerikanertum
Die Macht der Unterwelt
Der Revolver in der Hosentasche ist eine amerikanische Erfindung.
Die Notwendigkeit der Einordnung in eine Rangordnung.
Die Gesellschaft beruht auf der naturgegebenen Ungleichheit der Menschen.
Der Gegensatz von vornehm ist nicht arm, sondern gemein.
Nihilismus ist der abgründige Hass des Proleten gegen die überlegene Form jeder Art.
Der Besitz im ursprünglichen Sinne.
Besitz ist eine Waffe.
Echter Besitz ist Seele.
Geld ist ein Abstraktum.
Hohe Kultur ist mit Luxus und Reichtum untrennbar verbunden.
Besitz bedeutet Verantwortung, Sorge und Arbeit.
Planmäßige Züchtung des Neides.
Schaffung von Gegensätzen zwischen reich und arm.
Der Typus des Demagogen.
Die Rolle des geistigen Mobs
Das Verhängnisvolle des gesunkenen Priesters.
Eine Kirche ist so viel wert, wie ihr Priestermaterial.
Alle kommunistischen Systeme des Abendlandes sind aus christlich-theologischem Denken entstanden
.
Die Großmutter des Bolschewismus ist die christliche Theologie.
Der Marxismus ist eine Religion.
Das Ideal des Klassenkampfes.
Das Objekt des Klassenkampfes.
Der Kapitalismus ist eine Art die Dinge zu sehen.
Die künstliche Zweiteilung der Menschheit.
Der Sozialismus ist der Kapitalismus der Unterklasse.
Der Kapitalismus von unten.
Es gibt höhere und niedere Arbeit.
Sieg der niederen Massenarbeit über die Führerarbeit.
Die Landflucht.
Die farbige Gesamtrevolution der Erde.
Müdigkeit der weißen Völker: Unfruchtbarkeit.
Es kommt nicht auf die reine, sondern auf die starke Rasse an.
Die Bedeutung der elementaren Fruchtbarkeit.
Das Weib von Rasse will Mutter sein.
Der Verfall der weißen Familie.
Die Zunahme der Bevölkerung.
Auslese durch die Widerstände des Lebens.
Die Bedeutung des Barbarentums.
Das Deutsche Volk ist das unverbrauchteste der weißen Welt.
Der Kampf um den Planeten hat begonnen.
Totenmarsch einer großen Kultur.
Der Mensch kann den Mensch nicht täuschen.
Die große Gefahr des Zusammenschlusses von Klassenkampf und Rassenkampf.
Die stärkste formgebende Macht wird die Welt beherrschen.

Wir leben in einer verhängnisschweren Zeit
Hat heute irgendein Mensch der weißen Rassen einen Blick für das, was ringsumher auf dem Erdball vor sich geht? Für die Größe der Gefahr, die über dieser Völkermasse liegt und droht? Ich rede nicht von der gebildeten oder ungebildeten Menge unserer Städte, den Zeitungslesern, dem Stimmvieh der Wahltage – wobei zwischen Wählern und Gewählten längst kein Unterschied des Ranges mehr besteht –, sondern von den führenden Schichten der weißen Nationen, soweit sie nicht schon vernichtet sind, von den Staatsmännern, sofern es welche gibt, von den echten Führern der Politik und der Wirtschaft, der Heere und des Denkens. Sieht irgendjemand über diese Jahre und über seinen Erdteil, sein Land, selbst über den engen Kreis seiner Tätigkeit hinaus?
Wir leben in einer verhängnisschweren Zeit. Die großartigste Geschichtsepoche nicht nur der faustischen Kultur Westeuropas mit ihrer ungeheuren Dynamik, sondern eben um dieser willen der gesamten Weltgeschichte ist angebrochen, größer und weit furchtbarer als die Zeiten Cäsars und Napoleons. Aber wie blind sind die Menschen, über die dieses gewaltige Schicksal hinwegbraust, sie durcheinander wirbelnd, erhebend oder vernichtend. Wer von ihnen sieht und begreift, was mit ihnen und um sie her geschieht? Vielleicht ein alter weiser Chinese oder Inder, der schweigend, mit einer tausendjährigen Vergangenheit des Denkens im Geiste um sich blickt – aber wie flach, wie eng, wie klein gedacht ist alles, was an Urteilen, an Maßnahmen in Westeuropa und Amerika hervortritt! Wer begreift von den Bewohnern des Mittleren Westens der Vereinigten Staaten wirklich etwas von dem, was jenseits von New York und San Franzisko vor sich geht? Was ahnt ein Mann der englischen Mittelklasse von dem, was auf dem Festland drüben sich vorbereitet, um von der französischen Provinz zu schweigen? Was wissen sie alle von der Richtung, in welcher ihr eigenes Schicksal sich bewegt? Da entstehen lächerliche Schlagworte wie Überwindung der Wirtschaftskrise, Völkerverständigung, nationale Sicherheit und Autarkie, um Katastrophen im Umfang von Generationen durch prosperity und Abrüstung zu »überwinden«
S.21f .

Die bedrohte Existenz Deutschlands im Sturm der Tatsachen
Aber ich rede hier von Deutschland, das im Sturm der Tatsachen tiefer bedroht ist als irgendein anderes Land, dessen Existenz im erschreckenden Sinne des Wortes in Frage steht. Welche Kurzsichtigkeit und geräuschvolle Flachheit herrschen hier, was für provinziale Standpunkte tauchen auf, wenn von den größten Problemen die Rede ist! Man gründe innerhalb unserer Grenzpfähle das Dritte Reich oder den Sowjetstaat, schaffe das Heer ab oder das Eigentum, die Wirtschaftsführer oder die Landwirtschaft, man gebe den einzelnen Länderchen möglichst viel Selbständigkeit oder beseitige sie, man lasse die alten Herren von der Industrie oder Verwaltung wieder im Stile von 1900 arbeiten oder endlich, man mache eine Revolution, proklamiere die Diktatur, zu der sich dann ein Diktator schon finden wird – vier Dutzend Leute fühlen sich dem schon längst gewachsen – und alles ist schön und gut.
S. 22

Deutschland ist keine Insel

Aber Deutschland ist keine Insel. Kein zweites Land ist in dem Grade handelnd oder leidend in das Weltschicksal verflochten. Seine geographische Lage allein, sein Mängel an natürlichen Grenzen verurteilen es dazu. Im 18. und 19. Jahrhundert war es »Mitteleuropa«, im 20. ist es wieder wie seit dem 13. Jahrhundert ein Grenzland gegen »Asien«, und niemand hat es nötiger, politisch und wirtschaftlich weit über die Grenzen hinaus zu denken, als die Deutschen. Alles was in der Ferne geschieht, zieht seine Kreise bis ins Innere Deutschlands.
Aber unsere Vergangenheit rächt sich, diese 700 Jahre jammervoller provinzialer Kleinstaaterei ohne einen Hauch von Größe, ohne Ideen, ohne Ziel. Das lässt sich nicht in zwei Generationen einholen. Und die Schöpfung Bismarcks hatte den großen Fehler, das heranwachsende Geschlecht nicht für die Tatsachen der neuen Form unseres politischen Lebens erzogen zu haben. Man sah sie, aber begriff sie nicht, eignete sie sich innerlich mit ihren Horizonten, Problemen und neuen Pflichten nicht an. Man lebte nicht mit ihnen. Und der Durchschnittsdeutsche sah nach wie vor die Geschicke seines großen Landes parteimäßig und partikularistisch an, das heißt flach, eng, dumm, krähwinkelhaft . Dieses kleine Denken begann, seit die Staufenkaiser mit ihrem Blick über das Mittelmeer hin und die Hansa, die einst von der Scheide bis Nowgorod geherrscht hatte, infolge des Mangels an einer realpolitischen Stützung im Hinterlande anderen, sicherer gegründeten Mächten erlegen waren. Seitdem sperrte man sich in zahllose Vaterländchen und Winkelinteressen ein, maß die Weltgeschichte an deren Horizont und träumte hungernd und armselig von einem Reich in den Wolken, wofür man das Wort Deutscher Idealismus erfand. Zu diesem kleinen, innerdeutschen Denken gehört noch fast alles, was an politischen Idealen und Utopien im Sumpfboden des Weimarer Staates aufgeschossen ist, all die internationalen, kommunistischen, pazifistischen, ultramontanen, föderalistischen, »arischen« Wunschbilder vom Sacrum Imperium, Sowjetstaat oder Dritten Reich. Alle Parteien denken und handeln so, als wenn Deutschland allein auf der Welt wäre. Die Gewerkschaften sehen nicht über die Industriegebiete hinaus. Kolonialpolitik war ihnen von jeher verhasst, weil sie nicht in das Schema des Klassenkampfes passte. In ihrer doktrinären Beschränktheit begreifen sie nicht oder wollen nicht begreifen, dass der wirtschaftliche Imperialismus der Zeit um 1900 gerade für den Arbeiter eine Voraussetzung seiner Existenz war mit seiner Sicherung von Absatz der Produkte und Gewinnung von Rohstoffen, was der englische Arbeiter längst begriffen hatte.
S. 22f

Schwärmerei für Luftschlösser
Die deutsche Demokratie schwärmt für Pazifismus und Abrüstung außerhalb der französischen Machtgrenzen. Die Föderalisten möchten das ohnehin kleine Land wieder in ein Bündel von Zwergstaaten ehemaligen Gepräges verwandeln und damit fremden Mächten Gelegenheit geben, den einen gegen den andern auszuspielen. Und die Nationalsozialisten glauben ohne und gegen die Welt fertig zu werden und ihre Luftschlösser bauen zu können, ohne eine mindestens schweigende aber sehr fühlbare Gegenwirkung von außen her.
S. 24

Die allgemeine Angst vor der Wirklichkeit
Dazu kommt die allgemeine Angst vor der Wirklichkeit. Wir »Bleichgesichter« haben sie alle, obwohl wir ihrer sehr selten, die meisten nie bewusst werden. Es ist die seelische Schwäche des späten Menschen hoher Kulturen, der in seinen Städten vom Bauerntum der mütterlichen Erde und damit vom natürlichen Erleben von Schicksal, Zeit und Tod abgeschnitten ist. Er ist allzu wach geworden, an das ewige Nachdenken über das Gestern und Morgen gewohnt und erträgt das nicht, was er sieht und sehen muss: den unerbittlichen Gang der Dinge, den sinnlosen Zufall, die wirkliche Geschichte mit ihrem mitleidlosen Schritt durch die Jahrhunderte, in die der einzelne mit seinem winzigen Privatleben an bestimmter Stelle unwiderruflich hineingeboren ist. Das ist es, was er vergessen, widerlegen, abstreiten möchte.
S. 25

Die Flucht in erdachte und weltfremde Wunschbilder
Er flieht aus der Geschichte in die Einsamkeit, in erdachte und weltfremde Systeme, in irgendeinen Glauben, in den Selbstmord. Er steckt, als ein grotesker Vogel Strauß, seinen Kopf in Hoffnungen, Ideale, in feigen Optimismus: es ist so, aber es soll nicht so sein, also ist es anders. Wer nachts im Walde singt, tut es aus Angst. Aus derselben Angst schreit heute die Feigheit der Städte ihren angeblichen Optimismus in die Welt hinaus. Sie vertragen die Wirklichkeit nicht mehr. Sie setzen ihr Wunschbild der Zukunft an die Stelle der Tatsachen – obwohl die Geschichte sich noch nie um Wünsche der Menschen gekümmert hat –, vom Schlaraffenland der kleinen Kinder bis zum Weltfrieden und Arbeiterparadies der großen.
S. 25

Die bewegenden Mächte der Zukunft
So wenig man von den Ereignissen der Zukunft weiß – nur die allgemeine Form künftiger Tatsachen und deren Schritt durch die Zeiten lässt sich aus dem Vergleich mit anderen Kulturen erschließen –, so sicher ist es, dass die bewegenden Mächte der Zukunft keine anderen sind als die der Vergangenheit: der Wille des Stärkeren , die gesunden Instinkte, die Rasse, der Wille zu Besitz und Macht: und darüber hin schwanken wirkungslos die Träume, die immer Träume bleiben werden: Gerechtigkeit, Glück und Friede.
Dazu kommt aber für unsere Kultur seit dem 16. Jahrhundert die rasch wachsende Unmöglichkeit für die meisten, die immer verwickelter und undurchsichtiger werdenden Ereignisse und Lagen der großen Politik und Wirtschaft noch zu übersehen und die in ihnen wirkenden Mächte und Tendenzen zu begreifen, geschweige denn zu beherrschen. Die echten Staatsmänner werden immer seltener. Das meiste, was in der Geschichte dieser Jahrhunderte gemacht und nicht geschehen ist, ist von Halbkennern und Dilettanten gemacht worden, die Glück hatten. Aber sie konnten sich immerhin auf die Völker verlassen, deren Instinkt sie gewähren ließ. Erst heute ist dieser Instinkt so schwach und die redselige Kritik aus fröhlicher Ungewissheit so stark geworden, dass die wachsende Gefahr besteht, ein wirklicher Staatsmann und Kenner der Dinge werde nicht etwa instinktiv gebilligt oder auch nur murrend ertragen, sondern durch den Widerstand aller Besserwisser gehindert, das zu tun, was getan werden muss. Das erste konnte Friedrich der Große erfahren, das letzte wurde beinahe das Schicksal Bismarcks. Die Größe und die Schöpfungen solcher Führer würdigen können erst späte Geschlechter und nicht einmal die. Aber es kommt darauf an, dass die Gegenwart sich auf Undank und Unverständnis beschränkt und nicht zu Gegenwirkungen übergeht. Besonders die Deutschen sind groß darin, schöpferische Taten zu beargwöhnen, zu bekritteln, zu vereiteln. Die historische Erfahrung und die Stärke der Tradition, wie sie im englischen Leben zu Hause sind, gehen ihnen ab.
S. 26

Das Volk der Dichter und Denker ein Volk der Schwätzer und Hetzer?
Das Volk der Dichter und Denker, das im Begriff ist, ein Volk der Schwätzer und Hetzer zu werden! Jeder wirkliche Staatslenker ist unpopulär, die Folge der Angst, Feigheit und Unkenntnis der Zeitgenossen, aber selbst um das zu verstehen, muss man mehr sein als ein »Idealist«.
S.26

Die Geschichte hat mit menschlicher Logik nichts zu tun.
Wer Geschichte nicht erlebt, wie sie wirklich ist, nämlich tragisch, vom Schicksal durchweht, vor dem Auge der Nützlichkeitsanbeter also ohne Sinn, Ziel und Moral, der ist auch nicht imstande, Geschichte zu machen. Hier scheidet sich das überlegene und das unterlegene Ethos des menschlichen Seins. Das Leben des einzelnen ist niemand wichtig als ihm selbst: ob er es aus der Geschichte flüchten oder für sie opfern will, darauf kommt es an. Die Geschichte hat mit menschlicher Logik nichts zu tun. Ein Gewitter, ein Erdbeben, ein Lavastrom, die wahllos Leben vernichten, sind den planlos elementaren Ereignissen der Weltgeschichte verwandt. Und wenn auch Völker zugrunde gehen und alte Städte altgewordener Kulturen brennen oder in Trümmer sinken, deshalb kreist doch die Erde ruhig weiter um die Sonne und die Sterne ziehen ihre Bahn.
S.37

Der Mensch ist ein Raubtier.
Der Mensch ist ein Raubtier. Ich werde es immer wieder sagen. All die Tugendbolde und Sozialethiker, die darüber hinaus sein oder gelangen wollen, sind nur Raubtiere mit ausgebrochenen Zähnen, die andere wegen der Angriffe hassen, die sie selbst weislich vermeiden. Seht sie doch an: sie sind zu schwach, um ein Buch über Kriege zu lesen, aber sie laufen auf der Straße zusammen, wenn ein Unglück geschehen ist, um ihre Nerven an dem Blut und Geschrei zu erregen, und wenn sie auch das nicht mehr wagen können, dann genießen sie es im Film und in illustrierten Blättern. Wenn ich den Menschen ein Raubtier nenne, wen habe ich damit beleidigt, den Menschen – oder das Tier? Denn die großen Raubtiere sind edle Geschöpfe in vollkommenster Art und ohne die Verlogenheit menschlicher Moral aus Schwäche.
S. 37

Der Kampf ist die Urtatsache des Lebens
Sie schreien: Nie wieder Krieg! – aber sie wollen den Klassenkampf. Sie sind entrüstet, wenn ein Lustmörder hingerichtet wird, aber sie genießen es heimlich, wenn sie den Mord an einem politischen Gegner erfahren. Was haben sie je gegen die Schlächtereien der Bolschewisten einzuwenden gehabt? Nein, der Kampf ist die Urtatsache des Lebens, ist das Leben selbst, und es gelingt auch dem jämmerlichsten Pazifisten nicht, die Lust daran in seiner Seele ganz auszurotten. Zum mindesten theoretisch möchte er alle Gegner des Pazifismus bekämpfen und vernichten.
Je tiefer wir in den Cäsarismus der faustischen Welt hineinschreiten, desto klarer wird sich entscheiden, wer ethisch zum Subjekt und wer zum Objekt des historischen Geschehens bestimmt ist. Der triste Zug der Weltverbesserer, der seit Rousseau durch diese Jahrhunderte trottete und als einziges Denkmal seines Daseins Berge bedruckten Papiers auf dem Wege zurückließ, ist zu Ende. Die Cäsaren werden an ihre Stelle treten. Die große Politik als die Kunst des Möglichen fern von allen Systemen und Theorien, als die Meisterschaft, mit den Tatsachen als Kenner zu schalten, die Welt wie ein guter Reiter durch den Schenkeldruck zu regieren, tritt wieder in ihre ewigen Rechte.
Deshalb will ich hier nichts tun als zeigen, in welcher geschichtlichen Lage sich Deutschland und die Welt befinden, wie diese Lage aus der Geschichte vergangener Jahrhunderte mit Notwendigkeit hervorgeht, um unausweichlich auf gewisse Formen und Lösungen zuzuschreiten. Das ist Schicksal. Man kann es verneinen, aber damit verneint man sich selbst. S. 38

Die Vereinigten Staaten von Amerika
Sind die Vereinigten Staaten eine Macht, die Zukunft hat? Flüchtige Beobachter redeten vor 1914 von unbegrenzten Möglichkeiten, nachdem sie sich ein paar Wochen lang umgesehen hatten, und die neue »Gesellschaft« Westeuropas nach 1918, aus Snob und Mob gemischt, schwärmt vom jungen, starken, uns weit überlegenen und schlechtweg vorbildlichen Amerikanertum, aber sie verwechseln Rekorde und Dollars mit der seelischen Kraft und Tiefe des Volkstums, die dazugehören, wenn man eine Macht von Dauer sein will, den Sport mit Gesundheit der Rasse und geschäftliche Intelligenz mit Geist. Was ist der »hundertprozentige« Amerikanismus? Ein nach dem unteren Durchschnitt genormtes Massedasein, eine primitive Pose oder ein Versprechen der Zukunft?
S.79

Weder wirkliches Volk noch wirklicher Staat?

Sicher ist, dass es hier bisher weder ein wirkliches Volk noch einen wirklichen Staat gibt. Können sich beide durch ein hartes Schicksal noch herausbilden oder schließt das der Typus des Kolonialmenschen aus, dessen seelische Vergangenheit anderswo lag und abgestorben ist? Der Amerikaner redet wie der Engländer nicht von Staat oder Vaterland, sondern von this country. In der Tat handelt es sich um ein unermessliches Gebiet und um eine von Stadt zu Stadt schweifende Bevölkerung von Trappern, die in ihm auf die Dollarjagd gehen, rücksichtslos und ungebunden, denn das Gesetz ist nur für den da, der nicht schlau oder mächtig genug ist, es zu verachten.
S. 79

Die Ähnlichkeit der Vereinigten Staaten mit dem bolschewistischen Russland
Die Ähnlichkeit mit dem bolschewistischen Russland ist viel größer als man denkt: Dieselbe Weite der Landschaft, die jeden erfolgreichen Angriff eines Gegners und damit das Erlebnis wirklicher nationaler Gefahr ausschließt und so den Staat entbehrlich macht, infolge davon aber auch ein echt politisches Denken nicht entstehen lässt. Das Leben ist ausschließlich wirtschaftlich gestaltet und entbehrt deshalb der Tiefe, um so mehr als ihm das Element der echten geschichtlichen Tragik, das große Schicksal fehlt, das die Seele der abendländischen Völker durch Jahrhunderte vertieft und erzogen hat. Die Religion, ursprünglich ein strenger Puritanismus, ist eine Art von pflichtgemäßer Unterhaltung geworden und der Krieg war ein neuer Sport. Und dieselbe Diktatur der öffentlichen Meinung hier und dort, ob sie nun parteimäßig oder gesellschaftlich vorgeschrieben ist, die sich auf alles erstreckt, was im Abendland dem Willen des einzelnen freigestellt ist, Flirt und Kirchgang, Schuhe und Schminke, Modetänze und Moderomane, das Denken, Essen und Vergnügen. Alles ist für alle gleich. Es gibt einen nach Körper, Kleidung und Seele genormten Typus des Amerikaners und vor allem der Amerikanerin, und wer sich dagegen auflehnt, wer das öffentlich zu kritisieren wagt, verfällt der allgemeinen Ächtung, in New York wie in Moskau.
S. 80

Die Macht des Dollarimperialismus
Und endlich findet sich eine fast russische Form des Staatssozialismus oder Staatskapitalismus, dargestellt durch die Masse der Trusts, die den russischen Wirtschaftsverwaltungen entsprechend Produktion und Absatz bis ins Einzelne planmäßig normen und leiten. Sie sind die eigentlichen Herren des Landes, hier wie dort. Es ist der faustische Wille zur Macht, aber aus dem organisch Gewachsenen ins seelenlos Mechanische übersetzt. Der Dollarimperialismus, der ganz Amerika bis nach Santiago und Buenos Aires hin durchdringt und überall die westeuropäische, vor allem die englische Wirtschaft zu untergraben und auszuschalten sucht, gleicht mit seiner Einordnung der politischen Macht in wirtschaftliche Tendenzen genau dem bolschewistischen, und dessen Losung: »Asien den Asiaten« entspricht im wesentlichen durchaus der heutigen Auffassung der Monroedoktrin für Lateinamerika: Ganz Amerika für die Wirtschaftsmacht der Vereinigten Staaten. Das ist der letzte Sinn der Gründung »unabhängiger« Republiken wie Kuba und Panama, des Eingreifens in Nikaragua und des Sturzes unbequemer Präsidenten durch die Macht des Dollars bis nach dem äußersten Süden hin.
S.80

Die Vereinigten Staaten sind ein führendes Element der Weltpolitik geworden
Aber diese staat- und gesetzlose »Freiheit« des rein wirtschaftlich gerichteten Lebens hat eine Kehrseite. Es ist aus ihm heraus eine Seemacht entstanden, die stärker zu werden beginnt als die Englands, und die zwei Ozeane beherrscht. Es sind Kolonialbesitzungen entstanden: die Philippinen, Hawaii, die Westindischen Inseln. Und man ist von geschäftlichen Interessen und durch die englische Propaganda immer tiefer in den ersten Weltkrieg bis zur militärischen Beteiligung hineingezogen worden. Damit aber sind die Vereinigten Staaten ein führendes Element der Weltpolitik geworden, ob sie es wissen und wollen oder nicht, und sie müssen nun nach innen und außen staatspolitisch denken und handeln lernen oder in ihrer heutigen Gestalt verschwinden. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Ist der »Yankee« dieser schweren Aufgabe gewachsen? Stellt er eine unzerstörbare Art des Lebens dar oder ist er nur eine Mode der leiblichen, geistigen und seelischen Kleidung?
S.80

Die Integrationsschwierigkeiten im Amerikanertum

Aber wie viel Einwohner des Landes gehören diesem herrschenden angelsächsischen Typus innerlich überhaupt nicht an? Von den Negern ganz abgesehen sind in den zwanzig Jahren vor dem Kriege nur noch wenige Deutsche, Engländer und Skandinavier eingewandert, aber 15 Millionen Polen, Russen, Tschechen, Balkanslaven, Ostjuden, Griechen, Vorderasiaten, Spanier und Italiener. Sie sind zum großen Teil nicht mehr im Amerikanertum aufgegangen und bilden ein fremdartiges, anders denkendes und sehr fruchtbares Proletariat mit dem geistigen Schwerpunkt in Chikago. Sie wollen ebenfalls den gesetzlos freien Wirtschaftskampf, aber sie fassen ihn anders auf.

Die Macht der Unterwelt.
Gewiss, es gibt keine kommunistische Partei. Die hat es als Organisation für Wahlzwecke auch im Zarenreich nicht gegeben. Aber es gibt hier wie dort eine mächtige Unterwelt fast Dostojewskischer Prägung mit eigenen Machtzielen, Zersetzungs- und Geschäftsmethoden, die infolge der üblichen Korruption der Verwaltungs- und Sicherheitsorgane, vor allem durch den Alkoholschmuggel, der die politische und soziale Demoralisation bis zum äußersten gesteigert hat, bis in sehr wohlhabende Schichten der Gesellschaft hinaufreicht. Sie schließt das Berufsverbrechertum ebenso ein wie die geheimen Gesellschaften von der Art des Ku-Klux-Klan. Sie umfasst Neger und Chinesen so gut wie die entwurzelten Elemente aller europäischen Stämme und Rassen, und sie besitzt sehr wirksame, zum Teil schon alte Organisationen nach Art der italienischen Camorra, der spanischen Guerillas und der russischen Nihilisten vor und Tschekisten nach 1917. Das Lynchen, die Entführungen und Attentate, Mord, Raub und Brand sind längst erprobte Mittel der politisch-wirtschaftlichen Propaganda. Ihre Anführer nach Art der Jack Diamond und Al Capone besitzen Villen, Autos und verfügen über Bankguthaben, welche die vieler Trusts und selbst mittlerer Staaten übertreffen.
S.81f

Der Revolver in der Hosentasche ist eine amerikanische Erfindung .
In weiten, dünnbevölkerten Gebieten haben Revolutionen notwendig eine andere Form als in den Hauptstädten Westeuropas. Die lateinamerikanischen Republiken beweisen das unaufhörlich. Hier gibt es keinen starken Staat, der durch den Kampf gegen ein Heer mit alten Traditionen gestürzt werden müsste, aber auch keinen, der die bestehende Ordnung schon durch die Ehrfurcht vor seinem Dasein verbürgt. Was hier government heißt, kann sich sehr plötzlich in nichts auflösen. Schon vor dem Kriege haben die Trusts bei einem Streik oft genug ihre Werke durch eigene Befestigungen und Maschinengewehrschützen verteidigt. Es gibt im »Lande der Freiheit« nur den Entschluss freier Männer, sich selbst zu helfen – der Revolver in der Hosentasche ist eine amerikanische Erfindung –, aber er steht den Besitzenden ebenso frei wie den andern. Erst kürzlich haben die Farmer in Iowa ein paar Städte belagert und mit Aushungern bedroht, wenn ihnen ihre Produkte nicht zu einem menschenwürdigen Preis abgenommen würden. Vor wenigen Jahren hätte man jeden für irrsinnig erklärt, der das Wort Revolution in Beziehung auf dies Land ausgesprochen hätte. Heute sind derartige Gedanken längst an der Tagesordnung. Was werden die Massen von Arbeitslosen tun – ich wiederhole: zum überwiegenden Teil nicht »hundertprozentige Amerikaner« –, wenn ihre Hilfsquellen vollständig erschöpft sind und es keine staatliche Unterstützung gibt, weil es keinen organisierten Staat mit genauer und ehrlicher Statistik und Kontrolle der Bedürftigen gibt? Werden sie sich der Kraft ihrer Fäuste und ihrer wirtschaftlichen Interessengemeinschaft mit der Unterwelt erinnern? Und wird die geistig primitive, nur an Geld denkende Oberschicht im Kampf mit dieser ungeheuren Gefahr auf einmal schlummernde moralische Kräfte offenbaren, die zum wirklichen Aufbau eines Staates führen und zur seelischen Bereitschaft, Gut und Blut für ihn zu opfern, statt wie bisher den Krieg als Mittel zum Geldverdienen aufzufassen? Oder werden die wirtschaftlichen Sonderinteressen einzelner Gebiete doch stärker bleiben und, wie 1861 schon einmal, zum Zerfall des Landes in einzelne Staaten führen – etwa den industriellen Nordosten, die Farmergebiete des Mittleren Westens, die Negerstaaten des Südens und das Gebiet jenseits der Rocky Mountains?
S. 82f

Die Notwendigkeit der Einordnung in eine Rangordnung.
Eine lebendige Gesellschaft erneuert sich unaufhörlich durch wertvolles Blut, das von unten, von außen einströmt. Es beweist die innere Kraft der lebendigen Form, wie viel sie aufnehmen, verfeinern und angleichen kann, ohne unsicher zu werden. Sobald aber diese Form des Lebens nicht mehr selbstverständlich ist, sobald sie der Kritik in Bezug auf ihre Notwendigkeit auch nur Gehör verstattet, ist es mit ihr zu Ende. Man verliert den Blick für die Notwendigkeit der Gliederung, die jeder Art Mensch und menschlicher Tätigkeit ihren Rang im Leben des Ganzen anweist, den Sinn für die notwendige Ungleichheit der Teile also, die mit organischer Gestaltung identisch ist. Man verliert das gute Gewissen des eigenen Ranges und verlernt es, Unterordnung als selbstverständlich entgegenzunehmen, aber in demselben Grade verlernen es, erst in Folge davon, die unteren Schichten, diese Unterordnung zu leisten und als notwendig und berechtigt anzuerkennen. Auch hier beginnt, wie jedes Mal, die Revolution von oben, um dann Revolten von unten Platz zu machen. »Allgemeine« Rechte wurden von jeher denen gegeben, die gar nicht daran gedacht hatten sie zu verlangen.
S. 100

Die Gesellschaft beruht auf der naturgegebenen Ungleichheit der Menschen.
Aber die Gesellschaft beruht auf der Ungleichheit der Menschen. Das ist eine naturhafte Tatsache. Es gibt starke, schwache, zur Führung berufene und ungeeignete, schöpferische und unbegabte, ehrenhafte, faule, ehrgeizige und stille Naturen. Jede hat ihren Platz in der Ordnung des Ganzen. Je bedeutender eine Kultur ist, je mehr sie der Gestaltung eines edlen tierischen oder pflanzlichen Leibes gleicht, desto größer sind die Unterschiede der aufbauenden Elemente, die Unterschiede, nicht die Gegensätze, denn diese werden erst verstandesmäßig hineingetragen. Kein tüchtiger Knecht denkt daran, den Bauern als seinesgleichen zu betrachten, und jeder Vorarbeiter, der etwas leistet, verbittet sich den Ton der Gleichheit von Seiten ungelernter Arbeiter. Das ist das natürliche Empfinden menschlicher Verhältnisse. »Gleiche Rechte« sind wider die Natur, sind die Zeichen der Entartung alt gewordener Gesellschaften, sind der Beginn ihres unaufhaltsamen Zerfalls. Es ist intellektuelle Dummheit, den durch Jahrhunderte herangewachsenen und durch Tradition gefestigten Bau der Gesellschaft durch etwas anderes ersetzen zu wollen. Man ersetzt das Leben nicht durch etwas anderes. Auf das Leben folgt nur der Tod.
Und so ist es im tiefsten Grunde auch gemeint. Man will nicht verändern und verbessern, sondern zerstören. Aus jeder Gesellschaft sinken beständig entartete Elemente nach unten, verbrauchte Familien, heruntergekommene Glieder hochgezüchteter Geschlechter, Missratene und Minderwertige an Seele und Leib – man sehe sich nur einmal die Gestalten in diesen Versammlungen, Kneipen, Umzügen und Krawallen an; irgendwie sind sie alle Missgeburten, Leute, die statt tüchtiger Rasse im Leib nur noch Rechthabereien und Rache für ihr verfehltes Leben im Kopfe haben, und an denen der Mund der wichtigste Körperteil ist. Es ist die Hefe der großen Städte, der eigentliche Pöbel, die Unterwelt in jedem Sinne, die sich überall im bewussten Gegensatz zur großen und vornehmen Welt bildet und im Hass gegen sie vereinigt: politische und literarische Boheme, verkommener Adel wie Catilina und Philipp Egalite, der Herzog von Orleans, gescheiterte Akademiker, Abenteurer und Spekulanten, Verbrecher und Dirnen, Tagediebe, Schwachsinnige, untermischt mit ein paar traurigen Schwärmern für irgendwelche abstrakten Ideale. Ein verschwommenes Rachegefühl für irgendein Pech, das ihnen das Leben verdarb, die Abwesenheit aller Instinkte für Ehre und Pflicht und ein hemmungsloser Durst nach Geld ohne Arbeit und Rechten ohne Pflichten führen sie zusammen. Aus diesem Dunstkreis gehen die Tageshelden aller Pöbelbewegungen und radikalen Parteien hervor. Hier erhält das Wort Freiheit den blutigen Sinn sinkender Zeiten. Die Freiheit von allen Bindungen der Kultur ist gemeint, von jeder Art von Sitte und Form, von allen Menschen, deren Lebenshaltung sie in dumpfer Wut als überlegen empfinden. Stolz und still getragene Armut, schweigende Pflichterfüllung, Entsagung im Dienst einer Aufgabe oder Überzeugung, Größe im Tragen eines Schicksals, Treue, Ehre, Verantwortung, Leistung, alles das ist ein steter Vorwurf für die »Erniedrigten und Beleidigten«.
S. 101f

Der Gegensatz von vornehm ist nicht arm, sondern gemein.

Denn, es sei noch einmal gesagt, der Gegensatz von vornehm ist nicht arm, sondern gemein. Das niedrige Denken und Empfinden dieser Unterwelt bedient sich der entwurzelten, in all ihren Instinkten unsicher gewordenen Masse der großen Städte, um seine eigenen Ziele und Genüsse der Rache und Zerstörung zu erreichen. Deshalb wird dieser ratlosen Menge ein »Klassenbewusstsein« und »Klassenhass« durch ununterbrochenes Reden und Schreiben eingeimpft, deshalb werden ihr die führenden Schichten, die »Reichen«, die »Mächtigen«, in gerader Umkehrung ihrer wirklichen Bedeutung als Verbrecher und Ausbeuter gezeichnet, und endlich bietet man sich ihr als Retter und Führer an. Alle »Volksrechte«, die oben aus krankem Gewissen und haltlosem Denken rationalistisch beschwatzt wurden, werden nun als selbstverständlich von unten, von den »Enterbten« gefordert, niemals für das Volk, denn sie sind immer denen gegeben worden, die gar nicht daran gedacht hatten sie zu verlangen und die damit nichts anzufangen wussten. Sie sollten das auch gar nicht, denn diese Rechte waren nicht für das »Volk« bestimmt, sondern für die Hefe der sich selbst ernennenden »Volksvertreter«, aus der sich nun ein radikaler Parteiklüngel bildet, der den Kampf gegen die gestaltenden Mächte der Kultur als Gewerbe betreibt und die Masse durch das Wahlrecht, die Pressefreiheit und den Terror entmündigt.
S. 102

Nihilismus ist der abgründige Hass des Proleten gegen die überlegene Form jeder Art
So entsteht der Nihilismus, der abgründige Hass des Proleten gegen die überlegene Form jeder Art, gegen die Kultur als deren Inbegriff, gegen die Gesellschaft als deren Träger und geschichtliches Ergebnis. Dass jemand Form hat, sie beherrscht, sich in ihr wohl fühlt, während der gemeine Mensch sie als Fessel empfindet, in der er sich nie frei bewegen wird, dass Takt, Geschmack, Sinn für Tradition Dinge sind, die zum Erbgut hoher Kultur gehören und Erziehung voraussetzen, dass es Kreise gibt, in denen Pflichtgefühl und Entsagung nicht lächerlich sind, sondern auszeichnen, das erfüllt ihn mit einer dumpfen Wut, die in früheren Zeiten sich in die Winkel verkroch und dort nach Art des Thersites geiferte, heute aber breit und gemein als Weltanschauung über allen weißen Völkern liegt. Denn die Zeit selbst ist gemein geworden und die meisten wissen gar nicht, in welchem Grade sie selbst es sind. Die schlechten Manieren aller Parlamente, die allgemeine Neigung, ein nicht sehr sauberes Geschäft mitzumachen, wenn es Geld ohne Arbeit verspricht, Jazz und Niggertänze als seelischer Ausdruck aller Kreise, die Dirnenbemalung der Frauen, die Sucht von Literaten, in Romanen und Theaterstücken die strengen Anschauungen der vornehmen Gesellschaft unter allgemeinem Beifall lächerlich zu machen, und der schlechte Geschmack bis in den hohen Adel und alte Fürstenhäuser hinein, sich jedes gesellschaftlichen Zwanges und jeder alten Sitte zu entledigen, beweisen, dass der Pöbel tonangebend geworden ist. Aber während man hier über die vornehme Form und die alte Sitte lächelt, weil man sie nicht mehr als Imperativ in sich trägt, und ohne zu ahnen, dass es sich hier um Sein oder Nichtsein handelt, entfesseln sie dort den Hass, der Vernichtung will, den Neid auf alles, was nicht jedem zugänglich ist, was emporragt und endlich hinunter soll. Nicht nur Tradition und Sitte, sondern jede Art von verfeinerter Kultur, Schönheit, Grazie, der Geschmack sich zu kleiden, die Sicherheit der Umgangsformen, die gewählte Sprache, die beherrschte Haltung des Körpers, die Erziehung und Selbstzucht verrät, reizen das gemeine Empfinden bis aufs Blut. Ein vornehm gebildetes Gesicht, ein schmaler Fuß, der sich leicht und zierlich vom Pflaster hebt, widersprechen aller Demokratie. Das otium cum dignitate statt des Spektakels von Boxkämpfen und Sechstagerennen, die Kennerschaft für edle Kunst und alte Dichtung, selbst die Freude an einem gepflegten Garten mit schönen Blumen und seltenen Obstarten ruft zum Verbrennen, Zerschlagen, Zertrampeln auf. Die Kultur ist in ihrer Überlegenheit der Feind. Weil man ihre Schöpfungen nicht verstehen, sie sich innerlich nicht aneignen kann, weil sie nicht »für alle« da sind, müssen sie vernichtet werden.
Und das ist die Tendenz des Nihilismus: Man denkt nicht daran, die Masse zur Höhe echter Kultur zu erziehen; das ist anstrengend und unbequem und vielleicht fehlt es auch an gewissen Voraussetzungen. Im Gegenteil: Der Bau der Gesellschaft soll eingeebnet werden bis herab auf das Niveau des Pöbels. Die allgemeine Gleichheit soll herrschen: alles soll gleich gemein sein . Die gleiche Art, sich Geld zu verschaffen und es für die gleiche Art von Vergnügen auszugeben: panem et circenses mehr braucht man nicht und mehr versteht man nicht. Überlegenheit, Manieren, Geschmack, jede Art von innerem Rang sind Verbrechen. Ethische, religiöse, nationale Ideen, die Ehe um der Kinder willen, die Familie, die Staatshoheit sind altmodisch und reaktionär. Das Straßenbild von Moskau zeigt das Ziel, aber man täusche sich nicht: Es ist nicht der Geist von Moskau, der hier gesiegt hat. Der Bolschewismus ist in Westeuropa zu Hause, und zwar, seit die englisch-materialistische Weltauffassung der Kreise, in denen Voltaire und Rousseau als gelehrige Schüler verkehrten, im Jakobinismus des Kontinents einen wirksamen Ausdruck gefunden hatte. Die Demokratie des 19. Jahrhunderts ist bereits Bolschewismus; sie besaß nur noch nicht den Mut zu ihren letzten Folgerungen. Es ist nur ein Schritt vom Bastillesturm und der die allgemeine Gleichheit fördernden Guillotine zu den Idealen und Straßenkämpfen von 1848, dem Jahr des kommunistischen Manifests, und ein zweiter von dort bis zum Sturz des westlich gestalteten Zarentums. Der Bolschewismus droht uns nicht, sondern er beherrscht uns. Seine Gleichheit ist die Gleichsetzung des Volkes mit dem Pöbel, seine Freiheit ist die Befreiung von der Kultur und ihrer Gesellschaft.
S. 104f

Der Besitz im ursprünglichen Sinne
Zu einer hohen Kultur gehört endlich noch etwas, und zwar mit Notwendigkeit, was gemeine Naturen in Delirien von Neid und Hass ausbrechen lässt: Der Besitz im ursprünglichen Sinne, der alte und dauerhafte Besitz, der von den Vätern her ererbt oder in Jahrzehnten strenger und entsagungsvoller eigener Arbeit herangewachsen ist und für Söhne und Enkel gepflegt und vermehrt wird. Reichtum ist nicht nur eine Voraussetzung, sondern vor allem die Folge und der Ausdruck von Überlegenheit, und nicht nur durch die Art, wie er erworben wurde, sondern auch durch die Fähigkeit, ihn als Element echter Kultur zu gestalten und zu verwenden. Es muss endlich einmal offen gesagt werden, obwohl es der Gemeinheit dieser Zeit ins Gesicht schlägt: Besitzen ist kein Laster, sondern eine Begabung, deren die wenigsten fähig sind. Auch sie ist das Ergebnis einer langen Zucht durch gehobene Geschlechter hin, zuweilen, bei den Gründern aufsteigender Familien, durch Selbsterziehung auf der Grundlage starker Rasseeigenschaften erworben, beinahe nie durch urwüchsige Genialität allein vorhanden, ohne alle Voraussetzungen von erziehender Umgebung und vorbildlicher Vergangenheit. Es kommt nicht darauf an, wie viel, sondern was und in welcher Weise man es hat. Bloße Quantität als Selbstzweck ist gemein. Man kann Besitz als Mittel zur Macht wollen und haben. Das ist die Unterordnung von wirtschaftlichen Erfolgen unter politische Ziele und bestätigt die alte Erfahrung, dass zum Kriegführen und zum Lenken von Staaten Geld gehört. So hat es Cäsar aufgefasst, als er Gallien eroberte und plünderte, und in unseren Tagen Cecil Rhodes, als er die südafrikanischen Minen in seine Hand brachte, um hier ein Reich nach seinem persönlichen Geschmack zu gründen. Kein armes Volk kann große politische Erfolge haben, und wenn es Armut für Tugend und Reichtum für Sünde hält, so verdient es auch keine.
S. 106

Besitz ist eine Waffe.

Besitz ist eine Waffe. Das war auch der letzte, kaum ganz bewusste Sinn germanischer See- und Landfahrten: Mit den erbeuteten Schätzen baute man Schiffe und warb ein Gefolge. Eine königliche Freigebigkeit kennzeichnet diese Art des Willens zur Macht. Sie ist das Gegenteil von Habgier und Geiz wie von parvenühafter Verschwendung und von weibischer Nächstenliebe. Aber davon ist hier nicht die Rede. Ich spreche vom Besitzen, insofern es die Tradition einer Kultur in sich hat. Es bedeutet innere Überlegenheit; es zeichnet vor ganzen Klassen von Menschen aus. Es gehört nicht viel dazu: Ein kleiner gut gehaltener Bauernhof, ein tüchtiges Handwerk von gutem Ruf, ein winziger Garten, dem man die Liebe ansieht, mit der er gepflegt wird, das saubere Haus eines Bergmannes, ein paar Bücher oder Nachbildungen alter Kunst. Worauf es ankommt ist, dass man diese Dinge in eine persönliche Welt verwandelt, mit seiner Persönlichkeit durchdringt.
S. 107

Echter Besitz ist Seele.

Echter Besitz ist Seele und erst insofern echte Kultur. Ihn auf seinen Geldwert hin abzuschätzen ist irgendwie ein Missverständnis oder eine Entweihung. Ihn nach dem Tode des Besitzers zu teilen ist eine Art Mord. Das war die germanische Auffassung vom Erbe: Es war der Idee nach eine unauflösliche Einheit, von der Seele des Verstorbenen durchdrungen, der es verwaltet hatte; es war keine teilbare Summe. Aber wer versteht das? Wer hat heute noch Augen und Gefühl für den innerlichen, beinahe metaphysischen Unterschied von Gut und Geld? Echte Güter sind etwas, mit dem man innerlich verwachsen ist, wie ein germanischer Krieger mit seinen Waffen, die er als Eigentum mit ins Grab nimmt, wie ein Bauer mit seinem Hof, auf dem schon die Väter gearbeitet haben, ein Kaufmann alten Schlages mit der Firma, die den Namen der Familie trägt, ein echter Handwerker mit seiner Werkstatt und seinem Beruf: etwas, dessen Wert für den Besitzer nicht in Geld auszudrücken ist, sondern in einer Verbundenheit besteht, deren Zerstörung ans Leben greift. Deshalb ist wirklicher »Besitz« im tieferen Sinne immer unbeweglich. Er haftet am Besitzer. Er besteht aus Dingen und ist nicht in ihnen »angelegt« wie die bloßen Vermögen, die nur quantitativ zu bestimmen und ganz eigentlich heimatlos sind. Deshalb streben aufsteigende Familien immer nach Grundbesitz als der Urform des unbeweglichen Gutes, und sinkende suchen ihn in Bargeld zu verwandeln. Auch darin liegt der Unterschied von Kultur und Zivilisation. S. 107

Geld ist ein Abstraktum.
»Geld« aber ist ein Abstraktum, eine reine Wertmenge im Sinne des Marktes, die nur mathematisch an irgendeiner Währung gemessen werden kann. Die Möglichkeit, über Nacht dazu zu kommen, vom Glücksspiel und Einbruchsdiebstahl bis zu Geschäften mit Politik und zur Börsenspekulation mit Summen, die man gar nicht hat, und andererseits es jederzeit hinauswerfen zu können, ist sein einziger Reiz. Darin sind Proleten und Parvenüs einig, und auch darin besteht eine innere Verwandtschaft zwischen Bolschewismus und Amerikanismus. Was ein zu Geld gekommener radikaler Parteiführer oder Spekulant »hat«, soll gezeigt werden. Die Schlösser reichgewordener Jakobiner, geriebener Finanzleute seit den französischen Steuerpächtern des 18. Jahrhunderts und nordamerikanischer Millionäre reden eine deutliche Sprache, und ebenso war es im alten Rom, wo Martial, Juvenal, Petronius über diese Zurschaustellung zu schnell erworbener Geldmassen spotteten. Natürlich gibt man alles für sich selbst aus, auch wenn man etwas stiftet, vergeudet oder andern gönnerhaft in die Tasche steckt: aber der Zuschauer ist das Wesentliche. Die ganze Welt soll es wissen, sonst hat es keinen Sinn. Man genießt das Geldausgeben als solches. Man will den Mäzen spielen, weil man davon gehört hat, aber man bringt es nur zu dem, was man in München eine Würzen nennt, zum gönnerhaften Protzen, zu einer Kopie des römischen Trimalchio. Man füllt sein Haus mit Dingen, von denen man nichts versteht und an denen nur der Preis wichtig ist. Der gesamte Kunsthandel lebt heute wie zur Zeit Cäsars davon. Aber die sinnlosesten »Verschwender« und »Prasser« sind trotzdem in den Kaschemmen zu finden, wo unsaubere Gewinne und Parteigehälter vertrunken und verspielt werden, nicht in den Bürgerhäusern alter Patriziate und auf den Landgütern alter Familien. Aber weil man die Kultur, die Tradition des Genießens, die aus wenigem viel zu machen versteht, nicht hat und nicht mit Geld erwerben kann, so frisst trotz alledem der Neid auf diese Art von Überlegenheit an allen Menschen von gemeiner Natur. Es muss immer wieder gesagt werden, gerade heute, wo in Deutschland »nationale« Revolutionäre von den Idealen allgemeiner Armut und Armseligkeit schwärmen wie ein Bettelmönch, im schönen Einverständnis mit den Marxisten den Reichtum jeder Art für ein Verbrechen und Laster erklären und gegen alles zu Felde ziehen, was diese Überlegenheit in Dingen von hoher Kunst hat, was durch Fähigkeit des Erwerbens, Erhaltens und Verwendens von Besitz andere überragt – und zwar aus Neid auf diese Fähigkeiten, die ihnen selbst gänzlich fehlen.
S.108

Hohe Kultur ist mit Luxus und Reichtum untrennbar verbunden.
Hohe Kultur ist mit Luxus und Reichtum untrennbar verbunden. Luxus, das selbstverständliche Sichbewegen unter Dingen von Kultur, die seelisch zur Persönlichkeit gehören, ist die Voraussetzung aller schöpferischen Zeiten zum Beispiel für das Entstehen einer großen Kunst, die es heute auch darum nicht mehr gibt, weil seit dem vorigen Jahrhundert das wirkliche Kunstleben erloschen ist, das sich stets in der Gesellschaft abgespielt hat, zwischen Kennern und Schöpfern bedeutender Werke und nicht zwischen Kunsthändlern, Kunstkritikern und Snobs, dem »Volk« oder gar dem »Publikum«. Und Reichtum, der sich in wenigen Händen und in führenden Schichten sammelt, ist unter anderem die Voraussetzung für die Erziehung von Generationen führender Köpfe durch das Vorbild einer hoch entwickelten Umgebung, ohne die es kein gesundes Wirtschaftsleben und keine Entwicklung politischer Fähigkeiten gibt. Ein Erfinder kann arm sein, aber in einem bettelhaften Volk kommt seine Begabung nicht durch große Aufgaben zur Reife und oft nicht einmal zum Bewusstsein ihrer selbst. Und nicht anders steht es mit staatsmännischen und künstlerischen Anlagen. Deshalb wurden die Deutschen seit 1648 das weltfremde Volk der Theoretiker, Dichter und Musiker, denn allein dazu braucht man kein Geld. Sie verwechselten, und verwechseln heute noch, romantische Einbildungen mit wirklicher Politik, denn das kostet nichts – außer den Erfolg. Aber Reichtum ist ein relativer Begriff. Was in England um 1770 geringen Wohlstand bedeutete, war in Preußen sehr reich. Und ebenso Armut: Der preußische Adel war in seiner guten Zeit arm und deshalb im Gegensatz zum englischen arm an staatsmännischen Begabungen, die zu ihrer Ausbildung, von seltenen Ausnahmen abgesehen, das Leben in der großen Welt voraussetzen; er war arm, aber er empfand das nicht als Armut.
S. 110

Besitz bedeutet Verantwortung, Sorge und Arbeit.
Der Mangel an bedeutendem Besitz oder Einkommen ist kein Unglück oder Elend, so wenig ihr Vorhandensein Glück im alltäglichen Sinne bedeutet. Nicht die Tatsache, erst ein gewisses Denken über sie, die Empfindung von Unterschieden als Gegensätze, der Neid macht ihn dazu. Damit man sich elend fühle, muss einem das bescheidene Dasein erst verekelt werden, und das ist die Aufgabe der Demagogen aller Zeiten gewesen. Im Nürnberg Albrecht Dürers etwa freute sich der einfache Mann ohne Neid über die Pracht der höheren Stände. Etwas von dem Glanz der Vaterstadt fiel auch auf ihn und er bedachte, dass seine Lebenshaltung davon abhing und dass er sich in der der anderen niemals glücklich fühlen würde. Gerade der unverbildete Verstand von Bauernknechten und Handwerkern ist sich bewusst, dass Besitz vor allem Verantwortung, Sorge und Arbeit bedeutet.
S. 110

Planmäßige Züchtung des Neides.
Aber seit dem 18. Jahrhundert, seit der Heraufkunft des rationalistischen Denkens über Leben, Geschichte und Menschenschicksal ist der Neid planmäßig gezüchtet worden, der dem fleißigen und tüchtigen Arbeiter von Natur ganz fern liegt, und zwar von der Unterwelt der demokratischen Berufspolitiker und Schreiber des Tages wie Rousseau, die daran verdienten oder ihren kranken Gefühlen Genüge taten. Die Gier nach dem Eigentum der andern, das als Diebstahl gezeichnet wird, ohne dass man die damit verbundene Arbeit und Begabung achtet oder beachtet, wird zur Weltanschauung ausgebildet und hat eine entsprechende Politik von unten zur Folge.
S.110

Schaffung von Gegensätzen zwischen reich und arm.

Und erst damit beginnt die Revolution der Gesellschaft eine wirtschaftliche Tendenz zu erhalten, die in agitatorischen Theorien zum Ausdruck kommt, nicht in Bezug auf Organisation und Ziele der Wirtschaft, sondern im Hinblick auf den Geldwert ihrer Anlagen und Erträge. Es werden Gegensätze zwischen reich und arm geschaffen, um zwischen ihnen den Kampf zu eröffnen. Man will »alles« haben, was da ist, was sich zu Geld machen lässt, durch Verteilung oder Gemeinbesitz, und zerstören, was man nicht haben kann, damit es die anderen nicht Weiterbesitzen. Aus diesem Fühlen und Denken nicht der unteren Gesellschaftsschichten, sondern von deren sich selbst ernennenden Wortführern ist alles entstanden, was in der Antike gleiche Verteilung der Güter und was heute Klassenkampf und Sozialismus heißt. Es ist der Kampf zwischen unten und oben in der Gesellschaft, der geführt wird zwischen den Führern der Nationen und den Führern aus der Unterwelt, denen die Klassen der Handarbeiter nur Objekte und Mittel zu eigenen Zwecken sind, und in welchem die alt gewordene Gesellschaft nur eine schwächliche Verteidigung, ihre geborenen Feinde aber einen schonungslosen Angriff führen, bis der heraufkommende Cäsarismus der Diktatur des Proletariats, den gracchischen und catilinarischen Tendenzen ein Ende bereitet.
S. 111

Der Typus des Demagogen.

Wer ist es denn, der diese Masse der Lohnarbeiter in den großen Städten und Industriegebieten aufwiegelt, organisiert, mit Schlagworten versehen, durch eine zynische Propaganda in den Klassenhass gegen die Mehrheit der Nation hineingetrieben hat? Es ist nicht der fleißige und gelernte Arbeiter, der »Straubinger« (Vagabund), wie er im Briefwechsel zwischen Marx und Engels voller Verachtung genannt wird. Engels spricht im Brief an Marx vom 9. Mai 1851 von dem demokratischen roten und kommunistischen Mob und schreibt am 11. Dezember 1851 an Marx: »Was ist denn noch an dem Gesindel, wenn es verlernt sich zu schlagen?« Der Handarbeiter ist nur Mittel für die privaten Ziele der Berufsrevolutionäre. Er soll sich schlagen, um ihren Hass gegen die konservativen Mächte und ihren Hunger nach Macht zu befriedigen. Wollte man nur Arbeiter als Vertreter von Arbeitern anerkennen, so würden die Bänke auf der linken Seite aller Parlamente sehr leer werden. Unter den Urhebern der theoretischen Programme und den Führern revolutionärer Aktionen ist kein einziger, der wirklich jahrelang in einer Fabrik gearbeitet hätte. Die politische Boheme Westeuropas, in welcher der Bolschewismus sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt, setzt sich aus denselben Elementen zusammen wie die, welche den revolutionären Liberalismus seit 1770 ausgebildet hat. Ob 1848 in Paris die Februarrevolution für den »Kapitalismus« oder die Junischlachten gegen ihn erfolgten, ob »Freiheit und Gleichheit« 1789 die des Mittelstandes, 1793 und 1918 die der untersten Schichten bedeuten sollten – in Wirklichkeit waren die Ziele der Anstifter dieser Bewegungen und ihre letzten Motive genau die gleichen, und nicht anders steht es heute in Spanien und morgen vielleicht in den Vereinigten Staaten.
S. 126

Die Rolle des geistigen Mobs.

Es ist der geistige Mob, an der Spitze die Gescheiterten aller akademischen Berufe, die geistig Unfähigen und seelisch irgendwie Gehemmten, woraus die Gangster der liberalen und bolschewistischen Aufstände hervorgehen. Die »Diktatur des Proletariats«, das heißt ihre eigene Diktatur mit Hilfe des Proletariats, soll ihre Rache an den Glücklichen und Wohlgeratenen sein, das letzte Mittel, die kranke Eitelkeit und die gemeine Gier nach Macht zu stillen, die beide aus der Unsicherheit des Selbstgefühls hervor wachsen, der letzte Ausdruck verdorbener und fehlgeleiteter Instinkte.
S. 126f

Das Verhängnisvolle des gesunkenen Priesters.

Unter all diesen Juristen, Journalisten, Schulmeistern, Künstlern, Technikern pflegt man einen Typus zu übersehen, den verhängnisvollsten von allen: den gesunkenen Priester . Man vergisst den tiefen Unterschied zwischen Religion und Kirche. Religion ist das persönliche Verhältnis zu den Mächten der Umwelt, wie es sich in Weltanschauung, frommem Brauch und entsagendem Sichverhalten ausdrückt. Eine Kirche ist die Organisation einer Priesterschaft, die um ihre weltliche Macht kämpft. Sie bringt die Formen des religiösen Lebens und damit die Menschen, die an ihnen hängen, in ihre Gewalt. Sie ist deshalb die geborene Feindin aller anderen Machtgebilde, des Staates, des Standes, der Nation. Während der Perserkriege agitierte die Priesterschaft von Delphi für Xerxes und gegen die nationale Verteidigung. Cyrus konnte Babylon erobern und den letzten Chaldäerkönig Naboned stürzen, weil die Priesterschaft des Marduk mit ihm im Einverständnis war. Die altägyptische und altchinesische Geschichte sind voll von Beispielen dieser Art, und im Abendland bestand zwischen Monarchie und Kirche, Thron und Altar, Adel und Priestertum nur dann – zuweilen – ein Waffenstillstand, wenn man sich von einem Bündnis gegen Dritte den größeren Vorteil versprach. »Mein Reich ist nicht von dieser Welt« ist der tiefe Ausspruch, der von jeder Religion gilt und den jede Kirche verrät. Aber jede Kirche verfällt mit der Tatsache ihres Daseins den Bedingungen geschichtlichen Lebens: sie denkt machtpolitisch und materiell-wirtschaftlich; sie führt Krieg auf diplomatische und militärische Art und teilt mit anderen Machtgebilden die Folgen von Jugend und Alter, Aufstieg und Verfall. Und vor allem ist sie im Hinblick auf konservative Politik und Tradition in Staat und Gesellschaft nicht ehrlich und kann es als Kirche gar nicht sein. Alle jungen Sekten sind im tiefsten Grunde staats- und besitzfeindlich, gegen Stand und Rang und für allgemeine Gleichheit eingenommen. Und die Politik alt gewordener Kirchen, so konservativ sie in Bezug auf sich selbst sind, ist immer in Versuchung, in Bezug auf den Staat und die Gesellschaft liberal, demokratisch, sozialistisch, also einebnend und zerstörend zu werden, sobald der Kampf zwischen Tradition und Mob beginnt.
S. 127f

Eine Kirche ist so viel wert, wie ihr Priestermaterial.

Alle Priester sind Menschen
und damit wird das Schicksal der Kirche von dem menschlichen Material abhängig , aus dem sie sich in schneller Folge zusammensetzt. Selbst die strengste Auswahl – und sie ist in der Regel meisterhaft – kann nicht verhindern, dass in Zeiten des gesellschaftlichen Verfalles und revolutionären Abbaus aller alten Formen die gemeinen Instinkte und das gemeine Denken häufig und selbst herrschend werden. Es gibt in allen derartigen Zeiten einen Priesterpöbel, der die Würde und den Glauben der Kirche durch den Schmutz parteipolitischer Interessen schleift, sich mit den Mächten des Umsturzes verbündet und mit den sentimentalen Phrasen von Nächstenliebe und Schutz der Armen die Unterwelt zur Zerstörung der gesellschaftlichen Ordnung entfesseln hilft – der Ordnung, mit welcher auch die Kirche unwiderruflich und schicksalhaft verbunden ist. Eine Religion ist das, was die Seele der Gläubigen ist.
Am Anfang der Französischen Revolution stehen neben dem Schwärm verkommener Abbes, die seit Jahren gegen Monarchie, Autorität und Stand spöttisch schrieben und redeten, der entlaufene Mönch Fouché und der abtrünnige Bischof Talleyrand, beide Königsmörder und Millionendiebe, napoleonische Herzöge und Landesverräter. Seit 1815 wird der christliche Priester immer häufiger Demokrat, Sozialist und Parteipolitiker, Das Luthertum, das kaum, und der Puritanismus, der gar keine Kirche ist, haben als solche keine destruktive Politik getrieben. Der einzelne Priester ging für sich »ins Volk« und zur Arbeiterpartei, redete in Wahlversammlungen und Parlamenten, schrieb über »soziale« Fragen und endete als Demagoge und Marxist. Der katholische Priester aber, stärker gebunden, zog die Kirche auf diesem Wege hinter sich her. Sie wurde in die Agitation der Parteien verflochten, zuerst als wirksames Mittel und zuletzt als Opfer dieser Politik. Eine katholische Gewerkschaftsbewegung mit sozialistisch-syndikalistischen Tendenzen gab es in Frankreich schon unter Napoleon III. In Deutschland entstand sie seit 1870 aus der Furcht, dass die roten Gewerkschaften die Macht über die Massen der Industriegebiete allein eroberten. Und alsbald verständigte sie sich mit diesen. Alle Arbeiterparteien sind sich ihrer Gemeinsamkeit dunkel bewusst, so sehr die Führergruppen einander hassen.
Es ist lange her, seit der weltpolitische Blick Leos XIII. Schule machte und in Deutschland ein echter Kirchenfürst wie Kardinal Kopp den Klerus regierte. Damals war die Kirche sich bewusst, eine konservative Macht zu sein, und wusste sehr genau, dass ihr Schicksal mit dem der übrigen konservativen Mächte, der staatlichen Autorität, der Monarchie, der gesellschaftlichen Ordnung und des Eigentums verbunden war, dass sie im Klassenkampf unbedingt gegen die liberalen und sozialistischen Mächte auf der »rechten« Seite stand und dass davon die Aussicht abhing, das revolutionäre Zeitalter als Macht zu überdauern. Das hat sich schnell geändert. Die seelische Disziplin ist erschüttert. Die pöbelhaften Elemente im Priestertum tyrannisieren durch ihre Tätigkeit die Kirche bis in die höchsten Stellen hinauf, und diese müssen schweigen, um ihre Ohnmacht nicht vor der Welt zu enthüllen. Die Diplomatie der Kirche, einst vornehm von oben her und über Jahrzehnte hin die Dinge taktisch beurteilend, hat in weiten Gebieten den gemeinen Methoden der Tagespolitik Platz gemacht, der parteimäßig demokratischen Agitation von unten mit ihren nichtswürdigen Kniffen und verlogenen Argumenten. Man denkt und handelt auf dem Niveau der großstädtischen Unterwelt. Man hat das überlieferte Streben nach weltlicher Macht auf den kleinen Ehrgeiz von Wahlerfolgen und Bündnissen mit anderen Pöbelparteien zum Zweck materieller Erfolge reduziert. Der Mob in der Priesterschaft, einst streng gezügelt, führt heute mit seinem proletarischen Denken die Herrschaft über den wertvollen Teil des Klerus, welcher die Seele des Menschen für wichtiger hält als seine Wahlstimme und metaphysische Fragen ernster nimmt als demagogische Eingriffe in das Wirtschaftsleben. Taktische Fehler wie in Spanien, wo man sich einbildete, das Schicksal von Thron und Altar trennen zu können, wären vor einigen Jahrzehnten nicht gemacht worden. Aber seit dem Ende des Weltkrieges sank vor allem in Deutschland die Kirche, die eine alte Macht mit alten und starren Traditionen ist und als solche das Niedersteigen zur Gasse mit dem Ansehen unter den eignen Gläubigen teuer bezahlen muss, durch die Agitation minderwertiger Anhänger zum Klassenkampf und zur Gemeinschaft mit dem Marxismus herab. Es gibt in Deutschland einen katholischen Bolschewismus, der gefährlicher ist als der antichristliche, weil er sich hinter der Maske einer Religion versteckt.
S. 128-131

Alle kommunistischen Systeme des Abendlandes sind aus christlich-theologischem Denken entstanden
.
Nun sind alle kommunistischen Systeme des Abendlandes tatsächlich aus christlich-theologischem Denken erwachsen. Morus' Utopia, der Sonnenstaat des Dominikaners Campanella, die Lehren der Lutherschüler Karlstadt und Thomas Münzer und der Staatssozialismus Fichtes. Was Fourier, Saint Simon, Owen, Marx und hundert andere an Zukunftsidealen zusammenträumten und -schrieben, geht sehr wider Wissen und Willen auf priesterlich-moralische Entrüstung und auf scholastische Begriffe zurück, die im national-ökonomischen Denken und in der öffentlichen Meinung über Gesellschaftsfragen in aller Heimlichkeit ihr Wesen trieben. Wie viel vom Naturrecht und Staatsbegriff des Thomas von Aquino steckt noch in Adam Smith und also – mit umgekehrtem Vorzeichen – im kommunistischen Manifest! S. 130f

Die Großmutter des Bolschewismus ist die christliche Theologie.

Die christliche Theologie ist die Großmutter des Bolschewismus. Alles abstrakte Grübeln über Wirtschaftsbegriffe fern von aller wirtschaftlichen Erfahrung führt, wenn es mutig und ehrlich zu Ende geführt wird, irgendwie zu Vernunftschlüssen gegen Staat und Eigentum, und nur der Mangel an Blick erspart es diesen materialistischen Scholastikern zu sehen, dass am Ende ihrer Gedankenkette wieder der Anfang steht: Der verwirklichte Kommunismus ist autoritäre Bürokratie. Um das Ideal durchzusetzen, braucht man die Diktatur, die Schreckensherrschaft, die bewaffnete Macht, die Ungleichheit von Herren und Sklaven, Befehlenden und Gehorchenden, kurz das System von Moskau . Aber es gibt zweierlei Kommunismus: den einen, gläubigen, aus doktrinärer Besessenheit oder weibischer Sentimentalität, der weltfremd und weltfeindlich den Reichtum der lasterhaft Glücklichen und zuweilen auch die Armut der braven Unglücklichen verwirft. Er endet entweder in nebelhaften Utopien oder mit dem Rückzug auf Askese, Kloster, Boheme und Landstreichertum, wo man die Belanglosigkeit alles Wirtschaftsstrebens predigt. Der andere, »weltliche«, realpolitische aber will durch seine Anhänger entweder aus Neid und Rache die Gesellschaft zertrümmern, weil sie ihnen auf Grund ihrer Persönlichkeit und ihrer Talente einen niedrigen Platz anweist, oder durch irgendein Programm die Massen hinter sich bringen, um seinen Willen zur Macht zu befriedigen. Aber auch das verbirgt sich gern hinter dem Mantel einer Religion.
S.131

Der Marxismus ist eine Religion.
Auch der Marxismus ist eine Religion, nicht in der Absicht seines Urhebers, aber in dem, was das revolutionäre Gefolge daraus gemacht hat. Er hat seine Heiligen, Apostel, Märtyrer, Kirchenväter, seine Bibel und seine Mission; er hat Dogmen, Ketzergerichte, eine Orthodoxie und Scholastik und vor allem eine volkstümliche Moral oder vielmehr zwei – gegenüber Gläubigen und Ungläubigen – wie nur irgendeine Kirche. Und dass seine Lehre durch und durch materialistisch ist – macht das einen Unterschied? Sind alle die Priester, die sich agitatorisch in Wirtschaftsfragen mischen, es weniger? Was sind denn christliche Gewerkschaften? Christlicher Bolschewismus, nichts anderes. Seit dem Beginn des rationalistischen Zeitalters, seit 1750 also, gibt es Materialismus mit und ohne christliche Terminologie. Sobald man die Begriffe Armut, Hunger, Elend, Arbeit und Lohn zusammenwirft – mit dem moralischen Unterton in den Worten reich und arm, recht und unrecht – und daraufhin für soziale und wirtschaftliche Forderungen proletarischer Art, für Geldforderungen also eintritt, ist man Materialist. Und dann tritt mit innerer Notwendigkeit an Stelle des Hochaltars das Parteisekretariat, an Stelle des Opferstockes die Wahlkasse, und der Gewerkschaftsbeamte wird der Nachfolger des heiligen Franz. S.131f. …

Das Ideal des Klassenkampfes.
Das Ideal des Klassenkampfes erscheint zuerst in der berühmten Propagandaschrift des Abbé Sieyès – wieder ein katholischer Priester! – von 1789 über den tiers état, der die beiden höheren Stände einebnen sollte. Es entwickelt sich von dieser frührevolutionären liberalen Fassung folgerichtig zu der bolschewistischen Spätform von 1848, welche den Kampf vom politischen auf das wirtschaftliche Gebiet verlegt, nicht der Wirtschaft wegen, sondern um durch ihre Zerstörung das politische Ziel zu erreichen. Wenn hier von »bürgerlichen« Ideologen ein Unterschied von Idealismus und Materialismus gefunden wird, so sehen sie nicht über den Vordergrund der Schlagworte in die Tiefe der letzten Ziele hinein, die hier wie dort durchaus die gleichen sind. Alle Klassenkampftheorien sind zum Zweck der Mobilmachung großstädtischer Massen entworfen worden. Die »Klasse« sollte erst geschaffen werden, mit der sich kämpfen ließ. Das Ziel wurde 1848, wo man die ersten Erfahrungen von Revolutionen hinter sich hatte, als Diktatur des Proletariats bezeichnet, und hätte dort Diktatur der Bourgeoisie genannt werden können, denn der Liberalismus will nichts anderes sein. Das ist der letzte Sinn der Verfassungen, Republiken und des Parlamentarismus. Aber in Wirklichkeit war jedes Mal die Diktatur der Demagogen gemeint, welche die Nationen mit Hilfe der planmäßig demoralisierten Masse zum Teil aus Rache vernichten, zum Teil aus Hunger nach Macht als Sklaven unter sich sehen wollten.
Jedes Ideal stammt von einem, der es nötig hat. Das Ideal des liberalen wie des bolschewistischen Klassenkampfes ist die Schöpfung von Leuten, die entweder ohne Erfolg in eine höhere Gesellschaftsschicht strebten oder die sich in einer befanden, deren ethischen Ansprüchen sie nicht gewachsen waren. Marx ist ein gescheiterter Bürger – daher sein Hass gegen das Bürgertum. Und dasselbe gilt von all den anderen Juristen, Literaten, Professoren und Priestern: sie hatten einen Beruf gewählt, zu dem sie nicht berufen waren. Das ist die seelische Voraussetzung des Berufsrevolutionärs.
Das Ideal des Klassenkampfes ist der berühmte Umsturz : nicht der Aufbau von etwas Neuem, sondern die Zerstörung von Vorhandenem. Es ist ein Ziel ohne Zukunft. Es ist der Wille zum Nichts . Die utopischen Programme sind nur für die seelische Bestechung der Massen da. Ernst gemeint ist ausschließlich der Zweck der Bestechung, die Schaffung der Klasse als Kampftruppe durch planmäßige Demoralisation. Nichts schmiedet besser zusammen als der Hass. Aber man sollte hier lieber von Klassenneid als Klassenhass reden. Im Hass liegt stillschweigend die Anerkennung des Gegners. Der Neid ist der schiefe Blick von unten hinauf zu etwas Höherem, das unverstanden und unerreichbar bleibt und das man deshalb herabziehen, zu seinesgleichen machen, beschmutzen und verachten möchte. Zum Wunschbild der proletarischen Zukunft gehört deshalb nicht nur das Glück der meisten, das im vergnüglichen Nichtstun besteht – noch einmal: panem et circenses! –, und der ewige Friede, um es frei von aller Sorge und Verantwortung zu genießen, sondern mit echt revolutionärem Geschmack vor allem das Unglück der »wenigen«, der ehemals Mächtigen, Klugen, Vornehmen und Reichen, an dessen Anblick man sich weidet. Jede Revolution beweist es. Dass die Lakaien von gestern an der Tafel des Herrn schwelgen, ist nur ein halber Genuss: der Herr muss ihnen dabei aufwarten.
S. 136-138

Das Objekt des Klassenkampfes.
Das Objekt des Klassenkampfes, das um 1789 »die Tyrannen« waren – die Könige, »Junker« und »Pfaffen« –, wurde um 1850 mit der Verlegung des politischen Kampfes auf wirtschaftliches Gebiet »der Kapitalismus«. Es ist ein hoffnungsloser Versuch, dies Schlagwort – denn das ist es – definieren zu wollen. Es stammt gar nicht aus wirtschaftlicher Erfahrung, sondern ist moralisch gemeint, um nicht zu sagen halb christlich. Es soll den Inbegriff des wirtschaftlich Bösen bezeichnen, die große Sünde der Überlegenheit, den Teufel, der sich in Wirtschaftserfolge verkleidet hat. Es ist, sogar in gewissen bürgerlichen Kreisen, ein Schimpfwort für alle geworden, die man nicht leiden mag, alles was Rang hat, den erfolgreichen Unternehmer und Kaufmann so gut wie den Richter, Offizier und Gelehrten, sogar die Bauern. Es bedeutet alles, was nicht »Arbeiter« und Arbeiterführer ist, alle, die nicht auf Grund geringer Talente schlecht weggekommen sind. Es fasst alle Starken und Gesunden zusammen in den Augen aller Unzufriedenen, allen seelischen Pöbels. S. 138

Der Kapitalismus ist eine Art die Dinge zu sehen.
»Der Kapitalismus« ist überhaupt keine Form der Wirtschaft oder »bürgerliche« Methode, Geld zu machen. Er ist eine Art, die Dinge zu sehen. Es gibt Nationalökonomen, die ihn in der Zeit Karls des Großen und in urzeitlichen Dörfern gefunden haben. Die Nationalökonomie seit 1770 betrachtet das Wirtschaftsleben, das in Wirklichkeit eine Seite des geschichtlichen Daseins der Völker ist, vom Standpunkt des englischen Händlers aus. Die englische Nation war wirklich damals im Begriff, den Welthandel zu ihrem Monopol zu machen. Daher ihr Ruf als Krämervolk, als Masse von shopkeepers. Der Händler ist aber nur Vermittler. Er setzt das Wirtschaftsleben selbst voraus, indem er seine Tätigkeit zu dessen Schwerpunkt zu machen sucht, von dem alle anderen Menschen in der Rolle von Erzeugern und Verbrauchern abhängig sind. Diese Machtstellung hat Adam Smith beschrieben. Das ist seine »Wissenschaft«. Deshalb geht die Nationalökonomie bis zum heutigen Tage vom Begriff des Preises aus und sieht statt des wirtschaftlichen Lebens und tätiger Menschen nur Waren und Märkte. Deshalb wird von nun ab, vor allem von der sozialistischen Theorie, die Arbeit als Ware und der Lohn als Preis betrachtet. In diesem System hat weder die Führerarbeit des Unternehmers und Erfinders noch die Bauernarbeit Platz. Man sieht nur Fabrikwaren und Hafer oder Schweine. Es dauert nicht lange und man hat den Bauern und Handwerker ganz vergessen und denkt wie Marx bei der Zerlegung der Menschen in Klassen nur noch an den Lohnarbeiter und – die andern, die »Ausbeuter«.
S. 138f

Die künstliche Zweiteilung der Menschheit.
So entsteht die künstliche Zweiteilung der »Menschheit« in Erzeuger und Abnehmer , die sich unter den Händen der Klassenkampftheoretiker in den perfiden Gegensatz von Kapitalisten und Proletariern, von Bourgeoisie und Arbeiterschaft, von Ausbeutern und Ausgebeuteten verwandelt hat. Den Händler aber, den eigentlichen »Kapitalisten«, hat man verschwiegen. Der Fabrikbesitzer und der Landwirt ist der sichtbare Feind, weil er die Lohnarbeit entgegennimmt und den Lohn zahlt. Das ist sinnlos, aber wirksam. Die Dummheit einer Theorie war nie ein Hindernis für ihre Wirkung. Es handelt sich beim Urheber eines Systems um Kritik, beim Gläubigen immer um das Gegenteil.

Der Sozialismus ist der Kapitalismus der Unterklasse.

»Kapitalismus« und »Sozialismus« sind gleich alt, im Innersten verwandt, aus derselben Betrachtungsweise hervorgegangen und mit denselben Tendenzen belastet. Der Sozialismus ist nichts als der Kapitalismus der Unterklasse. Die freihändlerische Manchesterlehre Cobdens und das kommunistische System von Marx sind beide um 1840 und in England entstanden. Marx hat den freihändlerischen Kapitalismus sogar begrüßt. S. 139f.

Der Kapitalismus von unten.
Der »Kapitalismus von unten« will die Ware Lohnarbeit so teuer wie möglich verhandeln, ohne Rücksicht auf die Kaufkraft des Abnehmers, und so gering wie möglich liefern. Daher der Hass sozialistischer Parteien gegen die Qualitäts- und Akkordarbeit und ihr Streben, die »aristokratische« Lohnspanne zwischen gelernten und ungelernten Arbeitern möglichst zu beseitigen. Er will durch den Streik – der erste Generalstreik fand 1841 in England statt – den Preis der Handarbeit in die Höhe treiben und ihn endlich durch Enteignung der Fabriken und Bergwerke von der dann den Staat beherrschenden Bürokratie der Arbeiterführer frei bestimmen lassen. Denn das ist der geheime Sinn der Verstaatlichung. Der »Kapitalismus von unten« bezeichnet den erarbeiteten Besitz der Begabten und Überlegenen als Diebstahl, um ihn sich durch die größere Zahl der Fäuste ohne Arbeit aneignen zu können. So entsteht die Theorie vom Klassenkampf, der wirtschaftlich gestaltet und politisch gemeint war, jenes auf die Stimmung der Arbeiter, dieses auf den Vorteil der Arbeiterführer berechnet. Es war ein Zweck ohne Dauer. Niedrige Geister können gar nicht über den morgigen Tag in die Ferne der Zeiten blicken und für diese handeln. Der Klassenkampf sollte Zerstörung bringen und nichts anderes. Er sollte die Mächte der Tradition, der politischen wie der wirtschaftlichen, aus dem Wege räumen, um den Mächten der Unterwelt die ersehnte Rache und die Herrschaft zu geben. Was jenseits des Sieges kommt, wenn der Klassenkampf längst Vergangenheit ist, daran haben diese Kreise nie einen Gedanken verschwendet.
S. 140

Es gibt höhere und niedere Arbeit.

Es gibt höhere und niedere Arbeit: das lässt sich weder leugnen noch ändern; es ist der Ausdruck für die Tatsache, dass es Kultur gibt. Je höher sich eine Kultur entwickelt, je mächtiger ihre Gestaltungskraft, desto größer wird der Unterschied von maßgebendem und untergeordnetem Tun jeder Art, sei es politisch, wirtschaftlich oder künstlerisch. Denn Kultur ist gestaltetes, durchgeistigtes Leben, reifende und sich vollendende Form, deren Beherrschung einen immer höheren Rang der Persönlichkeit voraussetzt. Es gibt Arbeit, zu der man innerlich berufen sein muss, und andere, die man tun muss, weil man nichts Besseres kann, um davon zu leben. Es gibt Arbeit, der nur ganz wenige Menschen von Rang gewachsen sind, und andere, deren ganzer Wert in ihrer Dauer, ihrem Quantum besteht. Zur einen wie zur anderen wird man geboren. Das ist Schicksal. Das lässt sich nicht ändern, weder durch rationalistische noch durch sentimental- romantische Gleichmacherei.
Der Gesamtaufwand an Arbeit, den die abendländische Kultur in Anspruch nimmt, der mit ihr identisch ist, wird mit jedem Jahrhundert größer. Er betrug zur Zeit der Reformation das Vielfache von dem im Zeitalter der Kreuzzüge und wuchs mit dem 18. Jahrhundert ins Ungeheure, im Einklang mit der Dynamik der schöpferischen Führerarbeit, welche die niedere Massenarbeit in immer größerem Umfange notwendig gemacht hat. Aber deshalb will der proletarische Revolutionär, der die Kultur von unten sieht, weil er sie nicht hat, sie vernichten, um Qualitätsarbeit und Arbeit überhaupt zu sparen. Gibt es keinen Kulturmenschen mehr – den er für Luxus und überflüssig hält –, so gibt es weniger und vor allem geringere Arbeit, die jeder leisten kann. In einer sozialistischen Zeitung las ich einmal, dass nach den Geldmillionären die Gehirnmillionäre abgeschafft werden müssten.
S. 154

Sieg der niederen Massenarbeit über die Führerarbeit.

Man ärgert sich über die wirklich schöpferische Arbeit, man hasst ihre Überlegenheit, man beneidet ihre Erfolge, ob sie nun in Macht oder Reichtum bestehen. Die Scheuerfrau des Krankenhauses ist ihnen wichtiger als der leitende Arzt; der Ackerknecht ist mehr wert als der Landwirt, der Getreidearten und Viehrassen züchtet, der Heizer mehr als der Erfinder der Maschine. Eine Umwertung der wirtschaftlichen Werte, um einen Ausdruck Nietzsches zu gebrauchen, hat sich vollzogen, und da jeder Wert in den Augen der Masse sich in Geld, in der Bezahlung spiegelt, so soll die niedere Massenarbeit besser bezahlt werden als die höhere der führenden Persönlichkeiten, und das wird erreicht.
Es hatte Folgen, die noch niemand wirklich begriffen hat. Dieser »weiße« Arbeiter, um die Wette umschmeichelt und verwöhnt von den Führern der Arbeiterparteien und der Feigheit des Bürgertums, wird ein Luxustier. Man lasse doch den albernen Vergleich mit Millionären aus dem Spiel, die es »besser haben«. Es kommt nicht auf Leute an, die in Schlössern wohnen und Dienerschaft halten. Man vergleiche den privaten Lebensaufwand eines modernen Industriearbeiters mit dem eines Kleinbauern. Um 1840 war die Lebenshaltung beider Klassen etwa dieselbe. Heute arbeitet der erste viel weniger als der andre, aber die Art, wie der Bauer, gleichviel ob in Pommern, Yorkshire oder Kansas, wohnt, isst und sich kleidet, ist gegenüber dem, was ein Metallarbeiter vom Ruhrgebiet bis nach Pennsylvanien hin für seinen Unterhalt und vor allem für sein Vergnügen ausgibt, so erbärmlich, dass der Arbeiter sofort streiken würde, wenn man ihm zumutete, jemals wieder für die doppelte Arbeit und die ewige Sorge um Missernte, Absatz und Verschuldung diese Lebenshaltung in Kauf zu nehmen. Was in den großen Städten des Nordens als Existenzminimum und als »Elend« betrachtet wird, würde in einem Dorf eine Wegstunde davon schon als Verschwendung erscheinen, ganz abgesehen vom Lebensstil im Gebiet des südeuropäischen Agrarkommunismus, wo die Anspruchslosigkeit farbiger Völker noch zu Hause ist. Aber dieser Luxus der Arbeiterschaft, die Folge der politischen Luxuslöhne, ist da und wer bezahlt ihn? Die geleistete Arbeit nicht. Ihr Ertrag ist bei weitem nicht soviel wert. Es müssen andere arbeiten, der ganze Rest der Nation, um ihn zu bestreiten. Es gibt Narren – wenn Ford ernst gemeint hat, was er sagte und schrieb, gehört er dazu –, die glauben, dass die gesteigerte »Kaufkraft« der Arbeiter die Wirtschaft auf der Höhe halte. Aber haben die unbeschäftigten Massen Roms seit der Gracchenzeit das getan? Man redet vom Binnenmarkt, ohne darüber nachzudenken, was das in Wirklichkeit ist. Man mache doch die Probe auf dies neue Dogma der »weißen« Gewerkschaften und entlohne die Arbeiter statt mit Geld mit den Erzeugnissen ihrer eigenen Arbeit, mit Lokomotiven, Chemikalien und Pflastersteinen, für deren Verkauf sie selbst zu sorgen hätten.
Sie wüssten nichts damit anzufangen. Sie würden entsetzt darüber sein, wie wenig diese Dinge wert sind. Es würde sich außerdem zeigen, dass zum Geldausgeben höherer Art derselbe Grad von Kultur gehört, dieselbe Durchgeistigung des Geschmacks wie zum Geldverdienen durch überlegene Leistungen. Es gibt vornehmen und gemeinen Luxus, daran ändert man nichts. Es ist der Unterschied zwischen einer Oper von Mozart und einem Operettenschlager. Den Luxuslöhnen entspricht nun einmal kein verfeinertes Luxusbedürfnis. Es ist allein die Kaufkraft der höheren Gesellschaft, welche eine Qualitätsindustrie möglich macht. Die niederen Schichten ernähren nur eine Vergnügungsindustrie, »circenses«, heute wie im alten Rom.
S.155f

Die Landflucht.

Aber dieser vulgäre Luxus der großen Städte – wenig Arbeit, viel Geld, noch mehr Vergnügen – übte eine verhängnisvolle Wirkung auf die hart arbeitenden und bedürfnislosen Menschen des flachen Landes aus. Man lernte dort Bedürfnisse kennen, von denen die Väter sich nichts hatten träumen lassen. Entsagen ist schwer, wenn man das Gegenteil vor Augen hat. Die Landflucht begann, erst der Knechte und Mägde, dann der Bauernsöhne, zuletzt ganzer Familien, die nicht wussten, ob und wie sie das väterliche Erbe gegenüber dieser Verzerrung des Wirtschaftslebens halten könnten. Es war in allen Kulturen auf dieser Stufe das gleiche. Es ist nicht wahr, dass Italien seit der Zeit Hannibals durch den Großgrundbesitz entvölkert worden wäre. Das »panem et circenses« der Weltstadt Rom hat es getan, und erst das menschenleer und wertlos gewordene Land führte zur Entwicklung der Latifundienwirtschaft mit Sklaven. Sonst wäre es Wüste geworden. Die Entvölkerung der Dörfer begann 1840 in England, 1880 in Deutschland, 1920 im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Der Bauer hatte es satt, Arbeit ohne Lohn zu tun, während die Stadt ihm Lohn ohne Arbeit versprach. So ging er davon und wurde »Proletarier«.
Der Arbeiter selbst war unschuldig daran. Er empfindet seine Lebenshaltung gar nicht als Luxus, im Gegenteil. Er ist elend und unzufrieden geworden wie jeder Privilegierte ohne eigenes Verdienst. Was gestern das Ziel ausschweifender Wünsche war, ist heute selbstverständlich geworden und erscheint morgen als Notstand, der nach Abhilfe schreit. Der Arbeiterführer hat den Arbeiter verdorben, als er ihn zum Prätorianer des Klassenkampfes wählte. Zur Zeit des kommunistischen Manifestes sollte er zu diesem Zweck seelisch zum Proletarier gemacht werden, heute wird er zu gleichem Zweck mit der Hoffnung gefüttert, es eines Tages nicht mehr zu sein. Aber hier wie dort hat die unverdiente Höhe des politischen Lohnes dahin geführt, immer mehr für unentbehrlich zu halten.
S. 157

Die farbige Gesamtrevolution der Erde.
Die farbige Gesamtrevolution der Erde schreitet unter sehr verschiedenen Tendenzen vor, nationalen, wirtschaftlichen, sozialen; sie richtet sich öffentlich bald gegen weiße Regierungen von Kolonialreichen (Indien) oder im eigenen Lande (Kapland), bald gegen eine weiße Oberschicht (Chile), bald gegen die Macht des Pfundes oder Dollars, eine fremde Wirtschaft überhaupt, auch gegen die eigene Finanzwelt, weil sie mit der weißen Geschäfte macht (China), gegen die eigene Aristokratie oder Monarchie; religiöse Momente treten hinzu: der Hass gegen das Christentum oder gegen jede Art von Priestertum und Orthodoxie überhaupt, gegen Sitte und Brauch, Weltanschauung und Moral. Aber in der Tiefe liegt seit der Taipingrevolution in China, dem Sepoyaufstand in Indien, dem der Mexikaner gegen Kaiser Maximilian überall ein und dasselbe: der Hass gegen die weiße Rasse und der unbedingte Wille, sie zu vernichten. Es ist dabei gleichgültig, ob uralte müde Zivilisationen wie die indische und chinesische ohne fremde Herrschaft fähig sind, Ordnung zu halten; es kommt nur darauf an, ob sie imstande sind, das weiße Joch abzuwerfen, und das ist der Fall. Wer unter den farbigen Mächten der nächste Herr ist, ob Russland, ob Japan, ob ein großer Abenteurer mit einem Heerhaufen hinter sich, gleichviel von welcher Herkunft, das wird später oder auch gar nicht entschieden. Die altägyptische Zivilisation hat seit 1000 v. Chr. sehr viele Herren gewechselt – Libyer, Assyrer, Perser, Griechen, Römer –, sie war zur Selbstregierung nie wieder fähig, aber immer wieder zu einem siegreichen Aufstand. Und ob von den vielen andern Zielen auch nur eines verwirklicht wird oder werden kann, das ist zunächst vollkommen Nebensache. Die große geschichtliche Frage ist, ob der Sturz der weißen Mächte gelingt oder nicht. Und darüber hat sich eine schwerwiegende Einheit des Entschlusses ausgebildet, die zu denken gibt. Und was besitzt die weiße Welt an Kräften des seelischen und materiellen Widerstandes gegen diese Gefahr?
S. 201f.

Müdigkeit der weißen Völker: Unfruchtbarkeit.
Sehr wenig, wie es zunächst scheint. Auch ihre Völker sind an der Kultur müde geworden. Im Feuer der hohen Form und im Ringen nach innerer Vollendung hat sich die seelische Substanz verzehrt. Vielfach ist nur noch Glut, oft nur Asche übrig, aber das gilt nicht überall. Je weniger ein Volk in den Wirbel vergangener Geschichte führend hineingezogen wurde, desto mehr Chaos, das Form werden kann, hat es bewahrt. Und wenn der Sturm großer Entscheidungen darüber hinbraust, wie 1914, schlagen die verborgenen Funken plötzlich als Flammen empor. Gerade in der germanischen Rasse, der willens stärksten, die es je gegeben hat, schlafen noch große Möglichkeiten
. S. 203

Es kommt nicht auf die reine, sondern auf die starke Rasse an.
Aber wenn hier von Rasse die Rede ist, so ist das nicht in dem Sinne gemeint, wie er heute unter Antisemiten in Europa und Amerika Mode ist, darwinistisch, materialistisch nämlich. Rassereinheit ist ein groteskes Wort angesichts der Tatsache, dass seit Jahrtausenden alle Stämme und Arten sich gemischt haben, und dass gerade kriegerische, also gesunde, zukunftsreiche Geschlechter von jeher gern einen Fremden sich eingegliedert haben, wenn er »von Rasse« war, gleichviel zu welcher Rasse er gehörte. Wer zuviel von Rasse spricht, der hat keine mehr. Es kommt nicht auf die reine, sondern auf die starke Rasse an, die ein Volk in sich hat.
S.203

Die Bedeutung der elementaren Fruchtbarkeit.
Das zeigt sich zunächst in der selbstverständlichen, elementaren Fruchtbarkeit, dem Kinderreichtum, den das geschichtliche Leben verbrauchen kann, ohne ihn je zu erschöpfen. Gott ist nach dem bekannten Worte Friedrichs des Großen immer bei den stärkeren Bataillonen – das zeigt sich gerade hier. Die Millionen Gefallener des Weltkrieges waren rassemäßig das Beste, was die weißen Völker hatten, aber die Rasse beweist sich darin, wie schnell sie ersetzt werden können. Ein Russe sagte mir: »Was wir in der Revolution geopfert haben, bringt das russische Weib in zehn Jahren wieder ein.« Das ist der richtige Instinkt. Solche Rassen sind unwiderstehlich. Die triviale Lehre von Malthus, die Unfruchtbarkeit als Fortschritt zu preisen, die heute in allen weißen Ländern gepredigt wird, beweist nur, dass diese Intellektuellen ohne Rasse sind, ganz abgesehen von der nachgerade trottelhaften Meinung, dass Wirtschaftskrisen durch Bevölkerungsschwund beseitigt werden könnten. Das Gegenteil ist der Fall. Die »starken Bataillone«, ohne die es keine große Politik gibt, geben auch dem Wirtschaftsleben Schutz, Kraft und inneren Reichtum.
S. 203f

Das Weib von Rasse will Mutter sein.

Das Weib von Rasse will nicht »Gefährtin« oder »Geliebte« sein, sondern Mutter, und nicht die Mutter eines Kindes als Spielzeug und Zeitvertreib, sondern vieler: Im Stolz auf den Kinderreichtum, im Gefühl, dass Unfruchtbarkeit der härteste Fluch ist, der ein Weib und durch sie das Geschlecht treffen kann, redet der Instinkt von starken Rassen. Aus ihm stammt die Ureifersucht, mit der ein Weib dem andern den Mann zu entreißen sucht, den es selbst als Vater seiner Kinder besitzen will. Die geistigere Eifersucht der großen Städte, die wenig mehr ist als erotischer Appetit und den anderen Teil als Genussmittel wertet, das bloße Nachdenken über die gewünschte oder gefürchtete Kinderzahl verrät schon den erlöschenden Trieb der Rasse zur Dauer, der sich nicht durch Reden und. Schreiben wieder erwecken lässt. Die Urehe – oder was alte Volkssitte sonst an tief verwurzelten Bräuchen kennt, um die Zeugung zu heiligen – ist nichts weniger als sentimental. Der Mann will tüchtige Söhne haben, die seinen Namen und seine Taten über den eigenen Tod hinaus in die Zukunft dauern und wachsen lassen, wie er selbst sich als Erbe des Rufes und des Wirkens seiner Ahnen fühlt. Das ist die nordische Idee der Unsterblichkeit. Eine andere haben diese Völker nicht gekannt und nicht gewollt. Darauf beruht die gewaltige Sehnsucht nach Ruhm, der Wunsch, in einem Werk unter den Nachkommen fortzuleben, seinen Namen auf Denkmäler verewigt zu sehen oder zum mindesten ein ehrenvolles Gedächtnis zu erhalten. Deshalb ist der Erbgedanke von der germanischen Ehe nicht zu trennen. Wenn die Idee des Eigentums verfällt, löst sich der Sinn der Familie in nichts auf. Wer sich gegen die eine wendet, greift auch die andere an. Der Erbgedanke, der am Dasein jedes Bauernhofes, jeder Werkstatt, jeder alten Firma haftet, an ererbten Berufen und in der Erbmonarchie seinen höchsten symbolischen Ausdruck gefunden hat, bürgt für die Stärke des Rasseinstinktes. Der Sozialismus greift ihn nicht nur an, sondern ist durch sein bloßes Vorhandensein schon ein Zeichen für dessen Niedergang.
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Der Verfall der weißen Familie.
Aber der Verfall der weißen Familie, der unentrinnbare Ausdruck großstädtischen Daseins, greift heute um sich und verzehrt die »Rasse« der Nationen. Der Sinn von Mann und Weib geht verloren, der Wille zur Dauer. Man lebt nur noch für sich selbst, nicht für die Zukunft von Geschlechtern. Die Nation als Gesellschaft, ursprünglich das organische Geflecht von Familien, droht sich von der Stadt her in eine Summe privater Atome aufzulösen, deren jedes aus seinem und dem fremden Leben die größtmögliche Menge von Vergnügen – panem et circenses – ziehen will. Die Frauenemanzipation der Ibsenzeit will nicht die Freiheit vom Mann, sondern vom Kinde, von der Kinderlast , und die gleichzeitige Männeremanzipation die von den Pflichten für Familie, Volk und Staat. Die gesamte liberal-sozialistische Problemliteratur bewegt sich um diesen Selbstmord der weißen Rasse . Es war in allen anderen Zivilisationen ebenso.
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Die Zunahme der Bevölkerung.
Die Folgen liegen vor unseren Augen. Die farbigen Rassen der Welt waren bisher doppelt so stark wie die weißen. Aber um 1930 hatte Russland einen jährlichen Geburtenüberschuss von 4, Japan von 2 Millionen, Indien hat 1921–31 um 34 Millionen zugenommen. In Afrika werden die Neger bei ihrer ungeheuren Fruchtbarkeit sich noch gewaltiger vermehren, seitdem die europäische Medizin dort »eingebrochen« ist und die starke Auslese durch Krankheiten verhindert. Demgegenüber haben Deutschland und Italien einen Geburtenüberschuss von weniger als einer halben Million, England, das Land der öffentlich empfohlenen Geburteneinschränkung, weniger als die Hälfte davon, Frankreich und das alteingesessene Yankeetum der Vereinigten Staaten keinen mehr. Das letztere, die bisher herrschende »Rasse« germanischer Prägung, schwindet seit Jahrzehnten rasch dahin. Die Zunahme der Bevölkerung liegt ganz auf Seiten der Neger und der seit 1900 eingewanderten Ost- und Südeuropäer . In Frankreich haben manche Departements seit 50 Jahren über ein Drittel der Bevölkerung verloren. In einzelnen ist die Geburtenzahl um die Hälfte niedriger als die der Todesfälle. Einige kleine Städte und viele Dörfer stehen fast leer. Von Süden her dringen Katalonen und Italiener als Bauern ein, Polen und Neger überall sogar in den Mittelstand. Es gibt schwarze Geistliche, Offiziere und Richter. Diese Zugewanderten, weit über ein Zehntel der Einwohnerschaft, halten mit ihrer Fruchtbarkeit allein die Kopfzahl der »Franzosen« annähernd auf der gleichen Höhe. Aber der echte Franzose wird in absehbarer Zeit nicht mehr Herr in Frankreich sein. Die scheinbare Zunahme der weißen Gesamtbevölkerung der ganzen Erde, so gering sie im Verhältnis zum Anschwellen der Farbigen ist, beruht auf einer vorübergehenden Täuschung: Die Zahl der Kinder wird immer kleiner, und nur die Zahl der Erwachsenen nimmt zu, nicht weil es mehr sind, sondern weil sie länger leben
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Auslese durch die Widerstände des Lebens.
Aber zu einer starken Rasse gehört nicht nur eine unerschöpfliche Geburtenzahl, sondern auch eine harte Auslese durch die Widerstände des Lebens, Unglück, Krankheit und Krieg. Die Medizin des 19. Jahrhunderts, ein echtes Produkt des Rationalismus, ist von dieser Seite her betrachtet ebenfalls eine Alterserscheinung. Sie verlängert jedes Leben, ob es lebenswert ist oder nicht. Sie verlängert sogar den Tod. Sie ersetzt die Zahl der Kinder durch die Zahl der Greise. Sie kommt der Weltanschauung des panem et circenses entgegen, indem sie den Wert des Lebens am Quantum der Lebenstage misst und nicht nach deren Gehalt. Sie verhindert die natürliche Auslese und steigert dadurch den Rasseverfall. Die Zahl der unheilbar Geisteskranken ist in England und Wales seit 20 Jahren von 4,6 auf 8,6 vom Tausend gestiegen. In Deutschland beträgt die Zahl der geistig Minderwertigen fast eine halbe, in den Vereinigten Staaten weit über eine Million. Nach einem Bericht des früheren Präsidenten Hoover haben von den Jugendlichen Amerikas 1360000 Sprach- und Gehörfehler, 1000000 Herzleiden, 875000 sind schwer erziehbar oder verbrecherisch, 450000 geistig minderwertig, 300000 Krüppel, 60 000 blind. Aber dazu kommt die ungeheure Menge der geistig, seelisch und leiblich Unnormalen jeder Art, der Hysterischen, Seelen- und Nervenkranken, die gesunde Kinder weder zeugen noch gebären können. Ihre Zahl lässt sich nicht erfassen, aber sie geht aus der Zahl der Ärzte hervor, die davon leben, und der Masse von Büchern, die darüber geschrieben werden. Aus solchem Nachwuchs entwickeln sich das revolutionäre Proletariat mit dem Hass der Schlechtweggekommenen, und der Salonbolschewismus der Ästheten und Literaten, die den Reiz solcher Seelenverfassungen genießen und verkünden.
Es ist eine bekannte Tatsache, dass bedeutende Menschen selten erste und fast nie einzige Kinder sind. Die kinderarme Ehe richtet sich nicht nur gegen die Quantität, sondern vor allem auch gegen die Qualität der Rasse. Was ein Volk ebenso nötig braucht wie gesunde Rasse in sich selbst, ist das Vorhandensein einer Auslese von Überlegenen, die es führen. Eine Auslese, wie sie der englische Kolonialdienst und das preußische Offizierskorps – auch die katholische Kirche – heranbildeten, indem sie unerbittlich und ohne Rücksicht auf Geld und Abkunft nur die sittliche Haltung und die Bewährung in schwierigen Lagen gelten ließen, wird aber unmöglich, wenn das vorhandene Material nirgends über den Durchschnitt hinausragt. Die Auslese des Lebens muss vorangegangen sein; dann erst kann die des Standes erfolgen. Ein starkes Geschlecht hat starke Eltern nötig. Etwas vom Barbarentum der Urzeit muss noch im Blute liegen, unter der Formenstrenge alter Kultur, das in schweren Zeiten hervorbricht, um zu retten und zu siegen.
S. 206f.

Die Bedeutung des Barbarentums.
Dies Barbarentum ist das, was ich starke Rasse nenne, das Ewig-Kriegerische im Typus des Raubtieres Mensch. Es scheint oft nicht mehr da zu sein, aber es liegt sprungbereit in der Seele. Eine starke Herausforderung, und es hat den Feind unter sich. Es ist nur dort erstorben, wo der Pazifismus der späten Städte seinen Schlamm über die Generationen wälzt, den müden Wunsch nach Ruhe um jeden Preis, ausgenommen den des eigenen Lebens. Das ist die seelische Selbstentwaffnung nach der leiblichen durch Unfruchtbarkeit.
S.208

Das Deutsche Volk ist das unverbrauchteste der weißen Welt.
Warum ist das deutsche Volk das unverbrauchteste der weißen Welt und also das, worauf man am stärksten hoffen darf? Weil seine politische Vergangenheit ihm keine Gelegenheit gab, sein wertvollstes Blut und seine großen Begabungen zu verschwenden. Es ist der einzige Segen unserer elenden Geschichte seit 1500. Sie hat mit uns gespart. Sie machte uns zu Träumern und Theoretikern in Dingen der großen Politik, weltfremd und blind, eng, zänkisch und provinzial, aber das lässt sich überwinden. Es war kein organischer Fehler, kein angeborener Mangel an Fähigkeiten, wie die Kaiserzeit beweist. Das tüchtige Blut, die Grundlage auch der geistigen Überlegenheit jeder Art, war da und blieb erhalten. Die große Geschichte ist anspruchsvoll. Sie verzehrt die rassenmäßig besten Elemente. Sie hat das Römertum in ein paar Jahrhunderten verzehrt. Als mit der Entdeckung Amerikas die nordische Völkerwanderung, die tausend Jahre vorher in Südeuropa zum Stillstand gekommen war, in großem Stile wieder begann und sich über die Meere hin fortsetzte, gingen die kraftvollen Geschlechter Spaniens von großenteils nordischer Abkunft nach drüben, wo sie kämpfen, wagen und herrschen konnten. Die wertvollste Aristokratie spanischer Prägung saß um 1800 dort, und das starke Leben erlosch im Mutterlande. Ebenso hat sich die zum Herrschen berufene Oberschicht Frankreichs an der großen Politik seit Ludwig XIII. und nicht nur an ihr verbraucht – auch die hohe Kultur bezahlt sich teuer – und noch mehr die angelsächsische am englischen Weltreich. Was hier an überlegenen Geschlechtern vorhanden war, sandte die Männer nicht in die Kontore und kleinen Ämter der heimatlichen Insel. Sie folgten dem Wikingerdrang nach einem Leben in Gefahr und gingen überall in der Welt in zahllosen Abenteuern und Kriegen zugrunde, wurden vom Klima verdorben oder blieben in der Ferne, wo sie zum Beispiel in Nordamerika die Grundlage einer neuen Herrenschicht gebildet haben. Was übrig blieb, wurde »konservativ«, das bedeutet hier: unschöpferisch, müde, voll von unfruchtbarem Hass gegen alles Neue und Unvorhergesehene.
S.208

Der Kampf um den Planeten hat begonnen.
Auch Deutschland hat sehr viel von seinem besten Blut in fremden Heeren und an fremde Nationen verloren. Aber der Provinzialismus seiner politischen Zustände stimmte den Ehrgeiz der Begabten auf das Dienen an kleinen Höfen, in kleinen Heeren und Verwaltungen herab. Sie sind hier ein gesunder und fruchtbarer Mittelstand geblieben. Der Adel blieb zum größten Teil höheres Bauerntum. Es gab keine große Welt und kein reiches Leben. Die »Rasse« im Volkstum schlief und wartete auf den Weckruf einer großen Zeit. Hier liegt, trotz der Verwüstungen der letzten Jahrzehnte, ein Schatz von tüchtigem Blut, wie ihn kein anderes Land besitzt. Er kann geweckt und muss durchgeistigt werden, um für die gewaltigen Aufgaben der Zukunft bereit und wirksam zu sein. Aber diese Aufgaben sind heute da. Der Kampf um den Planeten hat begonnen. Der Pazifismus des liberalen Jahrhunderts muss überwunden werden, wenn wir weiterleben wollen.
S. 209

Totenmarsch einer großen Kultur.

Wie weit sind die weißen Völker schon in ihn hineingeschritten? Ist das Geschrei gegen den Krieg eine geistige Geste oder die ernsthafte Abdankung vor der Geschichte auf Kosten der Würde, der Ehre, der Freiheit? Aber das Leben ist Krieg. Kann man seinen Sinn verabschieden und es doch behalten? Das Bedürfnis nach fellachenhafter Ruhe, nach Versicherung gegen alles, was den Trott der Tage stört, gegen das Schicksal in jeder Gestalt, scheint das zu wollen: eine Art Mimikry gegenüber der Weltgeschichte, das Sichtotstellen menschlicher Insekten angesichts der Gefahr, das happy end eines inhaltleeren Daseins, durch dessen Langeweile Jazzmusik und Niggertänze den Totenmarsch einer großen Kultur zelebrieren.
S. 209f.

Der Mensch kann den Mensch nicht täuschen.
Aber das kann nicht sein und darf nicht sein. Der Hase täuscht vielleicht den Fuchs. Der Mensch kann den Menschen nicht täuschen. Der Farbige durchschaut den Weißen, wenn er von »Menschheit« und ewigem Frieden redet. Er wittert die Unfähigkeit und den fehlenden Willen, sich zu verteidigen. Hier tut eine große Erziehung not, wie ich sie als preußisch bezeichnet habe und die man meinetwegen »sozialistisch« nennen mag – was kommt auf Worte an! Eine Erziehung, welche durch lebendiges Vorbild die schlafende Kraft weckt, nicht Schule, Wissen, Bildung, sondern seelische Zucht, die das heraufholt, was noch da ist, es stärkt und zu neuer Blüte bringt. Wir können uns nicht erlauben, müde zu sein. Die Gefahr pocht an die Tür. Die Farbigen sind nicht Pazifisten. Sie hängen nicht an einem Leben, dessen Länge sein einziger Wert ist. Sie nehmen das Schwert auf, wenn wir es niederlegen. Sie haben den Weißen einst gefürchtet, sie verachten ihn nun. In ihren Augen steht das Urteil geschrieben, wenn weiße Männer und Frauen sich vor ihnen so aufführen, wie sie es tun, zu Hause oder in den farbigen Ländern selbst. Einst packte sie Entsetzen vor unserer Macht – wie die Germanen vor den ersten römischen Legionen. Heute, wo sie selbst eine Macht sind, reckt sich ihre geheimnisvolle Seele auf, die wir nie verstehen werden, und sieht auf den Weißen herab wie auf etwas Gestriges.
S. .210

Die große Gefahr des Zusammenschlusses von Klassenkampf und Rassenkampf.

Aber die größte Gefahr ist noch gar nicht genannt worden: Wie, wenn sich eines Tages Klassenkampf und Rassenkampf zusammenschließen, um mit der weißen Welt ein Ende zu machen? Das liegt in der Natur der Dinge, und keine der beiden Revolutionen wird die Hilfe der andern verschmähen, nur weil sie deren Träger verachtet. Gemeinsamer Hass löscht gegenseitige Verachtung aus. Und wie, wenn sich an ihre Spitze ein weißer Abenteurer stellt, wie wir schon manche erlebt haben, einer, dessen wilde Seele im Treibhaus der Zivilisation nicht atmen konnte und in gewagten Kolonialunternehmen, unter Piraten, in der Fremdenlegion sich an Gefahren zu sättigen versuchte, bis er hier plötzlich ein großes Ziel vor Augen sieht? Mit solchen Naturen bereitet die Geschichte ihre großen Überraschungen vor. Der Ekel tiefer und starker Menschen an unseren Zuständen und der Hass tief Enttäuschter könnten sich schon zu einer Auflehnung steigern, die Vernichtung will. Auch das war der Zeit Cäsars nicht fremd. Jedenfalls: Wenn in den Vereinigten Staaten das weiße Proletariat losbricht, wird der Neger zur Stelle sein und hinter ihm werden Indianer und Japaner auf ihre Stunde warten. Das schwarze Frankreich würde in solchem Falle ebenso wenig zögern, die Pariser Szenen von 1792 und 1871 zu übertreffen. Und würden die weißen Führer des Klassenkampfes je verlegen sein, wenn farbige Unruhen ihnen den Weg öffneten? Sie sind in ihren Mitteln nie wählerisch gewesen. Es würde sich nichts ändern, wenn Moskau als Befehlsgeber verstummen sollte. Es hat sein Werk getan. Das Werk setzt sich selbst fort. Wir haben vor den Augen der Farbigen unsre Kriege und Klassenkämpfe geführt, uns untereinander erniedrigt und verraten; wir haben sie aufgefordert, sich daran zu beteiligen. Wäre es ein Wunder, wenn sie das endlich auch für sich täten?
S. 210 f.

Die stärkste formgebende Macht wird die Welt beherrschen.

Hier erhebt die kommende Geschichte sich hoch über Wirtschaftsnöte und innerpolitische Ideale. Hier treten die elementaren Mächte des Lebens selbst in den Kampf, der um alles oder nichts geht. Die Vorform des Cäsarismus wird sehr bald bestimmter, bewusster, unverhüllter werden. Die Masken aus dem Zeitalter parlamentarischer Zwischenzustände werden ganz fallen. Alle Versuche, den Gehalt der Zukunft in Parteien aufzufangen, werden rasch vergessen sein. Die faschistischen Gestaltungen dieser Jahrzehnte werden in neue, nicht vorauszusehende Formen übergehen und auch der Nationalismus heutiger Art wird verschwinden. Es bleibt als formgebende Macht nur der kriegerische, »preußische« Geist, überall, nicht nur in Deutschland. Das Schicksal, einst in bedeutungsschweren Formen und großen Traditionen zusammengeballt, wird in der Gestalt formloser Einzelgewalten Geschichte machen. Die Legionen Cäsars wachen wieder auf. Hier, vielleicht schon in diesem Jahrhundert, warten die letzten Entscheidungen auf ihren Mann. Vor ihnen sinken die kleinen Ziele und Begriffe heutiger Politik in nichts zusammen. Wessen Schwert hier den Sieg erficht, der wird der Herr der Welt sein. Da liegen die Würfel des ungeheuren Spiels. Wer wagt es, sie zu werfen?
S. 212
Oswald Spengler: Jahre der Entscheidung -Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, Auszüge aus den Seiten 21 - 211