Robert Spaemann (1927 - )
Deutscher Philosoph; Studium der Philosophie, Geschichte, Theologie und Romanistik an den Universitäten Münster, München, Fribourg (Schweiz) und Paris. 1952 Promotion. Bis 1956 Verlagslektor. 1956—62 Wissenschaftlicher Assistent in Münster. 1962 Habilitation für Philosophie und Pädagogik; Ordinarius für Philosophie und Pädagogik an der TH Stuttgart. 1969 Professor für Philosophie an der Universität Heidelberg. 1973—92 Professor für Philosophie an der Universität München. Honorarprofessor an der Universität Salzburg. Gastprofessuren an den Universitäten Rio de Janeiro, Salzburg, Paris (Sorbonne). Siehe auch Wikipedia |
Wer ist
das eigentlich – Gott?
Gesichtspunkte der Philosophie
Wo immer Philosophen von Gott
gesprochen haben, setzten sie voraus, daß der
Gott der Religion, der Gott des christlichen Glaubens und der Gott der Philosophie
derselbe ist. Häufig hat die Philosophie das, was der christliche
Glaube über Gott sagte, bestritten. Andere Philosophen haben sich für
unzuständig erklärt, die Wahrheit des Offenbarungsglaubens zu beurteilen.
Wieder andere, zuletzt Hegel, haben beansprucht, den Inhalt dieses Glaubens
besser zu verstehen, als der Glaube ihn selbst versteht. Aber die Philosophie
hat nie bezweifelt, daß Philosophie und Glaube dasselbe meinen, wenn sie
»Gott« sagen, auch wenn sie nicht dasselbe über ihn
sagen. Wenn Thomas von Aquin darlegt,
daß alle Bewegung eine erste Ursache haben
müsse, alle Entwicklung ein letztes Ziel und
alles Zufällige einen notwendigen Grund, dann
schließt er jedes dieser Argumente mit den Worten:
»Das aber meinen alle, wenn sie sagen >Gott<.« Die
Philosophie hat ja weder die Gottesidee noch das
Wort »Gott« erfunden.
Hegel schreibt zu Beginn seiner Enzyklopädie, daß sie dieses
Wort und damit ihren zentralen Gegenstand bereits vorfindet, nämlich in
der Religion.
Ob alle, die »Gott« sagen, dasselbe
meinen, auch wenn sie Verschiedenes über ihn sagen, diese Frage ist zunächst
nicht von der Philosophie, sondern von christlichen Theologen aufgeworfen worden.
Gläubige und Theologen waren es, die die Möglichkeit philosophischen
Wissens von Gott bestritten. Da aber doch Philosophen von Gott gesprochen haben,
lag die Auskunft nahe, es handle sich bei den Philosophen nur um dasselbe Wort,
nicht um dieselbe Sache wie im christlichen Glauben. Klassisch geworden ist
die Formel in Pascals Mémorial: »Gott
Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen«.
[...]
Die Philosophie hat es nicht sozusagen institutionell mit Gott zu tun, so daß
sie es sich erlauben könnte, diesen Begriff beliebig zu strapazieren. Jenseits
gewisser am traditionellen Sprachgebrauch orientierter Kriterien für die
Verwendung des Wortes »Gott« muß
sie es deshalb vorziehen dieses Wort gar nicht mehr zu verwenden. Die Unbekümmertheit
der Theologie in
der Abweichung vom traditionellen Sprachgebrauch hat aber noch einen anderen
Grund.
Der christliche Glaube ist gegenüber der philosophischen Theologie in der
Lage, sich der positivistischen Kritik dadurch zu entziehen, daß er, gefragt,
wer Gott sei, der positivistischen Forderung gemäß auf ein
»Dies-da« verweist, nämlich auf die Gestalt des Jesus
von Nazareth. Sie stellt so die Identität ihres Objektes nicht durch
eine Definition sicher, sondern durch einen Akt des Zeigens. »Zeige
uns den Vater«, sagt Philippus im
Johannes-Evangelium. Und Jesus antwortet: »So lange
bin ich schon bei euch, und du kennst mich noch nicht. Wer mich sieht, der sieht
auch den Vater.« Aber soll das heißen, daß Gott einfach
ein Synonym für den Eigennamen Jesus ist? Offenbar nicht. Sonst hätte
Jesus selbst nicht von Gott als von seinem Vater sprechen können.
Anschauungen ohne Begriffe sind blind, hat Kant gesagt.
Das gilt auch für die Ersetzung der Theologie durch Christologie. Ohne
ein Vorverständnis dessen, was das heißt: »Gott«,
besagt die Rede, Jesus sei Gott, Sohn Gottes, Zeuge Gottes,
Stellvertreter Gottes, gar nichts. Und wenn Jesus Stellvertreter eines
gestorbenen Gottes sein soll, dann kann das nur heißen:
Stellvertreter eines nie gewesenen Gottes.
Es sei denn, wir verstünden Gott mit einigen Theologen als
»Sprachereignis«, als die in religiöser Rede geschehende
Selbsttranszendenz des Menschen. Die anthropologische Grundlegung ist nun in
der Tat heute für die Philosophie der Theologen charakteristischer als
für die Theologie der Philosophen. Aber diese Art von Fundamentaltheologie
ist problematisch. Ein als menschliches Existential verstandener Gott kann nämlich
durch gewisse zivilisatorische Veränderungen zum Aussterben gebracht werden,
spätestens aber durch das Aussterben der menschlichen Rasse. Die Philosophie
wird nur auch hier wieder sprachkritisch anmerken, daß, wo immer Menschen
von Gott ernsthaft gesprochen haben, sie was meinten, das des Menschen weniger
bedürftig ist als umgekehrt.
Der Tod Gottes, den Nietzsche
als erster proklamierte, meint gerade den anthropologischen Gott, den
Gott als moralisches Postulat, den Gott der humanitären Mitmenschlichkeit,
den Gott, auf den der Satz des Heraklit sich nicht
anwenden lässt »Für
Gott ist alles gut, schön und gerecht.« Und auch nicht
der spinozistische Satz Wittgensteins: »Gott
ist, wie sich alles verhält. Wie sich alles verhält, ist Gott.«
Die ältere Theologie hat Gott unter anderem durch die Chiffre
zweier Willen bestimmt. Wille Gottes meinte einmal das göttliche
Gebot, das uns kundtut, was wir wollen sollen. Dieser Wille wird erfahren als
sittliche Norm. Wille Gottes meinte aber darüber hinaus das, was sich im
Gang der Ereignisse zeigt und mit Moral gar nichts zu tun hat. Diese beiden
Chiffren scheinen einander zu widersprechen. Aber sie sind beide unerläßlich
zur Bestimmung dessen, was wir mit Gott meinen.
Ein Gott, der nur die Besiegelung der kruden Faktizität wäre, wäre
eine überflüssige Zutat zu dieser. Alles ist ohnehin, wie es ist.
Das Wort »Gott« muß einen Sinn meinen, der mit den Tatsachen
nicht schon gegeben ist. Aber wo wir diesen Sinn nur moralisch verstehen, wo
er gegen die Faktizität gedacht wird,
da wird er als ohnmächtig gedacht. Ein ohnmächtiger Gott aber kann
nicht retten, und wer nicht retten kann, kann auch nicht Gehorsam verlangen.
Gott als offene Zukunft des Menschen, Gott als Sinn seines Daseins, das wird
zur schönen, aber leeren Formel, wenn dieser Gott nicht zugleich als Anfang
gedacht wird. Ein Gott, der nicht Alpha ist, kann auch nicht Omega sein. Ohne
Schöpfungslehre keine Eschatologie. Ein Gott, der mit dem Alpha der Centauren
nichts zu tun hat, kann auch für uns nichts bedeuten, was der Rede wert
wäre: er kann uns nicht vom Tode retten, denn wir sind ein Stück Natur.
Und wo die Rede von Gott dies ignoriert, muß sich der Naturbegriff gegen
den Gottesbegriff wenden, wie dies beim späten Löwith
geschieht.
Daß übrigens der kosmologische Ansatz philosophischer Theologie nicht
einfach überholt genannt werden kann, hat in unserem Jahrhundert Whitehead
gezeigt, der große englische Philosoph, der mit Lord
Russell einst die Principia Mathematica
geschrieben hatte. Sein Werk steht außerhalb des gegenwärtig herrschenden
Diskussionszusammenhangs und kann deshalb hier nur beiläufig erwähnt
werden. Es ist zu vermuten, daß seine theologischen Perspektiven entdeckt
werden, wenn sich die existential-soziologische Welle der Theologie verlaufen
hat.
Was uns veranlaßt, von Gott zu sprechen, ist die Situation des Menschen
in ihrer Verschränkung von Faktizität und Transzendenz. Die Welt als
Inbegriff von allem, was der Fall ist, ist nur für ein transzendierendes
Bewußtsein. Aber diese Transzendenz ist ihrerseits umgriffen von eben
jener Faktizität. Sie ist ein Ereignis in der Geschichte der Welt, entstanden
und zum Vergehen verurteilt.
Daß der Mensch größer ist als der Kosmos, ist ebenso wahr wie,
daß der Kosmos größer ist als der Mensch. Sie umgreifen sich
gegenseitig. Und die Frage nach dem, jenseits dessen nichts Größeres
gedacht werden kann, läßt sich weder nach der Seite des Menschen
noch nach der des Kosmos beantworten. Hier scheint mir der Ausgangspunkt für
ein philosophisches Reden von Gott zu liegen. Eine anthropologisch-transzendentalphilosophische
Begründung der Gottesidee ist deshalb ebenso unzulänglich wie die
nur kosmologische früherer Zeiten.
Die Ursprungssituation unserer Sinnfrage, das Ineinander von Faktizität
und Transzendenz, das der Mensch ist, hat in unserem Jahrhundert Heidegger
zum Ausgangspunkt einer Fundamentalontologie gemacht. Die Konsequenz dieses
Ansatzes hat den späten Heidegger in eine
quasi-theologische Richtung gedrängt und ihn genötigt, dem Sein selbst
göttliche Züge zu geben, es als Gewährendes und Sichversagendes
zu sehen, das im Menschen und seiner Sprache seine Epiphanie feiert. Neuere
Theologen, vor allem in Amerika, versuchen hier einen fundamentaltheologischen
Anknüpfungspunkt zu finden. Heidegger selbst
hat sich über das Verhältnis seines Seinsbegriffs zum Gottesbegriff
sehr zurückhaltend geäußert. Der Gott
der traditionellen Metaphysik, der höchste Wert, das höchste Seiende
ist für ihn tot. Aber dies waren letztlich unangemessene Deutungen
dessen, was die Erinnerung der Sprache im Worte »Gott« uns als ein
noch Künftiges aufbewahrt.
Wenn heute im Register eines Sammelbandes »Die Antworten
der Philosophie heute« das Wort »Gott«
nicht einmal genannt wird, so scheint mir dies nicht notwendig ein Anzeichen
dafür zu sein, daß hier kein Thema der Philosophie mehr liegt. Bezeichnend
für das Buch ist vielmehr, daß dort, wo theologische Gedankengänge
vollzogen werden, das Wort umgangen wird, und wo theologische Vokabeln wie Schöpfung
usw. auftauchen, gesagt wird, man wisse nicht genau, was sie bedeuten könnten.
Dies ist die Situation der Philosophie heute. In einer durch Wissenschaft bestimmten
und damit in ebenso schicksalhaftem wie präzisem Sinne »seinsvergessenen«
Zivilisation geht es zunächst darum, einen Begriff von Wirklichkeit
zu gewinnen, innerhalb dessen die Frage nach Gott sinnvoll gestellt werden kann.
Bis dahin kann theologische Abstinenz ein Akt der Gottesverehrung sein.
Das schlechthin Affirmative zu nennen stößt heute in der Philosophie
auf eine ans alttestamentliche Bilderverbot erinnernde Scheu.
Max Horkheimer hat dies ausdrücklich artikuliert. Allerdings kann
Philosophie das Thema auch nicht fallenlassen, ohne sich selbst aufzugeben.
Philosophie findet ihre Erfüllung nicht in Herrschaft, in Naturbeherrschung.
Philosophie ist Denken, das nur wahr sein will. Ein solches Denken kann seine
eigene Zufälligkeit und Faktizität nur dann realisieren, wenn es diese
Faktizität selbst nicht als das letzte Wort stehenläßt. Eine
nur zufällige Wahrheit könnte von Unwahrheit nicht unterschieden werden.
Sie verdient den Namen nicht. Nietzsche hat dies
gesehen, wenn er schrieb, »daß auch wir Erkennenden
von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, unser Feuer noch von dem Brande
nehmen, den ein Jahrtausende alter Glaube entzündet hat, jener Christenglaube,
der auch der Glaube Platons war,
daß Gott die Wahrheit ist, daß die
Wahrheit göttlich ist«. (S.56,
62,63-65)
Aus: Was ist das eigentlich – Gott? Herausgegeben
von Hans Jürgen Schulz Dem Buch liegt eine Sendereihe des Süddeutschen
Rundfunks zugrunde
Einmalige Sonderausgabe . Veröffentlicht im Januar 1969 als Band 119 in
der Reihe »Die Bücher der Neunzehn«
© 1969 by Kösel-Verlag KG, München Veröffentlichung auf
Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Kösel-Verlags, München