Simon Magus (15 v. Chr. – 53 n. Chr.)
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Jüdischer vorchristlicher Patriarch, der als der »Erzketzer« der gnostischen Häresie gilt. Simon Magus war der - in Samaria geborene und in Alexandria erzogene - Sohn eines jüdischen Zauberers. Er war Schüler des arabischen Mystagogen Dositheus, der ein Anhänger von Johannes dem Täufer gewesen sein soll. Simon soll sich als Messias ausgegeben und behauptet haben, dass sein Geist ewig währe. Nach Apostelgeschichte 8, 9ff. ließ sich Simon Magus vom Diakon Philippus taufen, weil er erfahren wollte, wie dieser seine Wunder bewirkte. Er bot den Aposteln Petrus und Johannes vergebens Geld an, um von ihnen die Gabe der Geistmitteilung zu erlangen (daher das Wort Simonie). Siehe auch Wikipedia |
Inhaltsverzeichnis
Ursprung der häretischen
Gnosis
Der falsche Apostel
Das gnostische Evangelium
des Simon
Das sagenhaft schauerliche Ende
des Simon
Die unbegrenzte Kraft
Ursprung
der häretischen Gnosis
Die christlichen Ketzerbekämpfer führen fast übereinstimmend
den Ursprung der häretischen Gnosis
auf den Magier Simon zurück, von dem
es im achten Kapitel der Apostelgeschichte des Lukas heißt: »Philippus aber kam hinab in eine Stadt
in Samarien und predigte ihnen von Christo. Das Volk aber hörte einmütig
und fleißig zu, was Philippus sagte, und
sah die Zeichen, die er tat. Denn die unsauberen Geister fuhren aus vielen Besessenen
mit großem Geschrei; auch viel Gichtbrüchige und Lahme wurden gesund
gemacht. Und es ward eine große Freude in derselben Stadt. Es war aber
ein Mann mit Namen Simon, der zuvor in der Stadt
Zauberei trieb und bezauberte das samaritische Volk und gab vor, er wäre
etwas Großes. Und sie sahen alle auf ihn, beide, klein und groß,
und sprachen: Der ist die Kraft Gottes, die da groß ist. Sie sahen aber
darum auf ihn, daß er sie lange Zeit mit seiner Zauberei bezaubert harte.
Da sie aber den Predigten des Philippus glaubten
von dem Reich Gottes und von dem Namen Jesu Christi,
ließen sich taufen Männer und Weiber. Da ward auch Simon
gläubig und ließ sich taufen und hielt sich zu
Philippus. Und als er sah die Zeichen und Taten, die da geschahen, verwunderte
er sich. Da aber die Apostel hörten zu Jerusalem,
daß Samarien das Wort Gottes angenommen hatte, sandten sie zu ihnen Petrus
und Johannes, welche, da sie hinabkamen, beteten
über sie, daß sie den heiligen Geist
empfingen. Denn er war noch auf keinen gefallen, sondern sie waren allein getauft
auf den Namen Christi Jesu. Da legten sie die Hände
auf sie, und sie empfingen den heiligen Geist. Da aber Simon
sah, daß der heilige Geist gegeben
ward, wenn die Apostel die Hände auflegten,
bot er ihnen Geld an und sprach: Gebt mir auch die Macht, daß, so ich
jemand die Hände auflege, derselbe den heiligen Geist
empfange. Petrus aber sprach zu ihm: Daß
du verdammt werdest mit deinem Gelde, darum daß du meinst, Gottes Gabe
werde durch Geld erlangt! Du wirst weder Teil noch Anfall haben an diesem Wort;
denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott. Darum tue Buße für
diese deine Bosheit und bitte Gott, ob dir vergeben werden möchte die Tücke
deines Herzens. Denn ich sehe, daß du bist voll bitterer Galle und verknüpft
mit Ungerechtigkeit. Da antwortete Simon und sprach: Bittet ihr den Herrn für
mich, daß der keines über mich komme, davon ihr gesagt habt. Sie
aber, da sie bezeugt und geredet hatten das Wort des Herrn, wandten sich wieder
um gen Jerusalem und predigten das Evangelium vielen samaritischen Flecken«
—
Aus diesem Bericht dürfen wir zunächst entnehmen, daß schon
die ersten Apostel des Christentums in Samaria
auf eine religiöse Bewegung trafen, die sich an den Namen eines Simon knüpfte, der für die »sogenannte
große Kraft Gottes« gehalten wurde. Was
Lukas unter der großen Kraft Gottes verstand,
können wir aus seinem Evangelium entnehmen,
wo er im ersten Kapitel den Engel zu
Maria sprechen läßt: »Der
heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird
dich überschatten.«
Die Kraft Gottes ist nichts
anderes als der unmittelbar von Gott ausgehende
heilige Geist. Simon
wird selbst für diesen heiligen Geist
gehalten, und so wird er zum Rivalen
der Apostel, die ebenfalls den heiligen Geist besitzen
und durch ihn Wunder tun. Wir erfahren aus der
Apostelgeschichte ferner, daß Simon selbst
sich taufen ließ und mit seinen Anhängern zum Christentum überging.
Dann aber entdecken die Apostel, daß seine Gesinnung eine andere als die
ihre sei. Simon aber legt nach wie vor Wert darauf,
ein Christ zu sein und zu bleiben. So spiegelt dieser Bericht im kleinen die
Geschichte der häretischen Gnosis wider. Sie
war eher da als das Christentum; sie wurde
christlich; die Christen stießen sie
zurück; sie wollte aber dennoch christlich
bleiben und für christlich gehalten werden.
Der
falsche Apostel
Verfolgen wir nun die Gestalt des Simon in der
urchristlichen Literatur weiter, so finden wir
ihn zunächst in den dem Clemens
fälschlich zugeschriebenen Recognitionen
und Homilien‘ als den falschen Apostel, der seine Lehre über
die ganze Welt bis nach Rom trägt und hinter
dem Petrus herzieht, um seine
Irrlehre durch das Evangelium zu widerlegen. Hier erfahren wir auch etwas
von seinem Lebenslauf. Er stammte aus Getthon in der Landschaft
Samaria und war der Sohn des Antonius und
der Rahel. Nach der Darstellung der Homilien begibt
er sich nach Alexandreia, um hier zu studieren
und sich dann der Magie zu ergeben. Durch die Erwähnung des Studiums in
Alexandreia, dem Zentrum der griechischen
Wissenschaft und Philosophie in jener Zeit, soll gewiß der Zusammenhang
seiner Lehre mit der griechischen Weisheit betont werden, vielleicht auch mit
der hellenistisch jüdischen Wissenschaft,
wie sie gerade damals Philon in der ägyptischen
Hauptstadt betrieb. Wir werden noch hören, daß auch Simon das Alte
Testament allegorisch auslegte. Nach den Angaben der Recognitionen trat er in
Samaria in die Schule des Dositheos ein, der hier
nach der Ermordung Johannes des Täufers eine
Sekte gegründet hatte. Dreißig Schüler
und eine Frau, die Luna oder
Helene genannt wurde, bildeten den Kern seiner
Gemeinde. Die Schüler entsprachen den dreißig
Tagen des Monats, Helene stellte
den Mond, Selene, dar. Dositheos
selbst bezeichnete sich als
Hestos, den Stillstehenden.
Das
gnostische Evangelium des Simon
Der Ausdruck Hestos ist besonders aus Philon
bekannt. Unter ihm versteht Philon Gott
selbst den ewig Stillstehenden. Er hat diesem Motiv eine besondere Schrift
mit dem Titel »Über die Unveränderlichkeit
Gottes« gewidmet. Jeder, der sich dem ewig stillstehenden Gotte
nähern will, muß nach Philons Lehre
selbst ein Stillstehender, ein Hestos, werden.
Das liest er aus seinem Septuagintatext
heraus. So heißt es von Abraham: »Es
war ein Hestos, ein Stillstehender, gegenüber dem Herrn« (1
Mos. 18, 22), und von Moses: »Du
aber stehe neben mir selbst« (5 Mos.
5, 31). Wir dürfen wohl annehmen, daß die Bezeichnung des
Dositheos als Hestos auch
nichts anderes bedeuten sollte. Er wird nun von seinem Schüler Simon
aus der Würde des Hestos verdrängt;
auch Helene wird von
Simon in Besitz genommen. Er verkündet sich
selbst als die höchste Gotteskraft, die noch über den Weltschöpfer
erhaben ist, Helene aber
als die aus den oberen Himmeln herabgeführte
Weisheit, die Mutter des Alls.
Wir sehen, wie hier das alte Schema: Vatergott und Muttergottheit,
die zusammen das Weltall oder dessen Schöpfer
zeugen, klar hervortritt. Simon trifft dann
im siebenten Jahre nach Jesu Tode mit Petrus
in Kaisareia zusammen, um mit ihm ein drei
Tage lang dauerndes Streitgespräch abzuhalten. Er
bekämpft die Lehre des Alten Testamentes, nach der der Weltschöpfer
der einzige und höchste Gott ist. Viele Götter
gibt es; über ihnen aber einen, den unbegreiflichen und unbekannten, den
Gott der Götter. Sein Wesen ist Güte. So lehrten es
ja auch die Platoniker, die hier aber nicht erwähnt
werden; vielmehr führt Simon seinen Beweis
von der Güte Gottes aus dem Gesetz und den
Worten Jesu; doch sollen Moses
und Jesus selbst diese Erkenntnis noch nicht gehabt
haben. Der Gott des Alten Testamentes aber ist nicht der
Gott der Güte, sondern
der Gott der Gerechtigkeit. Er ist ein böser
Gott. Aus seiner Schöpfung
geht die Unvollkommenheit dieses ihres Schöpfers
hervor. Er wurde einst von dem guten Gott
ausgesandt, um die Welt zu erschaffen, gab sich dann aber
selbst für den höchsten Gott aus. Unter der Herrschaft
dieses bösen Gottes haben die Menschen zu
leiden. Ihre Seelen
stammen von dem unbekannten guten Gotte. Sie wurden
gefangen herabgeführt in diese Welt. Gebannt in den menschlichen Körper
leidet die Seele: »Finsterer nämlich als alle
Finsternisse und schlimmer als aller Schmutz ist dieser unser Körper, von
dem die Seele umschlossen wird«. Nur die Erkenntnis des guten Gottes
und seiner Weisheit kann die Menschen erlösen. In Simon und Helene
hat sich der unbekannte Gott mit seiner Weisheit offenbart: das
ist das gnostische Evangelium, das Simon über die Erde trägt.
Weiteres erfahren wir aus der Apologie des Justinus.
Dort heißt es: »Der Samarer Simon
stammte aus dem Flecken Gitton. Unter Kaiser Claudius
führte er durch die Kunst tätiger Dämonen magische Wirkungen
aus, wurde in eurer Kaiserstadt Rom für einen Gott gehalten und von euch
durch eine Statue wie ein Gott geehrt. Die Statue aber wurde am Tiberfluß
zwischen den beiden Brücken aufgestellt und trug folgende lateinische Inschrift:
Simoni Deo Sancto. Und fast alle Samarer, aber
auch einige aus anderen Völkern, halten ihn für den ersten Gott und
beten ihn an. Und eine gewisse Helene, die zu jener
Zeit mit ihm umherreiste und vorher in einem Bordell untergebracht war, nennen
sie die unter ihm stehende erste Ennoia. Ein gewisser Menander
aber, der auch aus Samaria stammte, und zwar aus dem Flecken Kapparetea,
wurde der Schüler des Simon. Auch er wurde von den Dämonen getrieben,
und wir wissen, daß er bei seinem Aufenthalt in Antiocheia viele durch
seine magische Kunst betrag. Er überzeugte die, die ihm nachfolgten, davon,
daß sie nicht sterben würden. Und noch jetzt gibt es Menschen, die
das von ihm erzählen«.
Irenaeus geht von dem Bericht der Apostelgeschichte aus, läßt
aber bezeichnenderweise die Bitte Simons, die Apostel
möchten für ihn beten, fort. Zu dem uns schon Bekannten lernen wir
hier dazu, daß Simon sich bei den Juden
als Erscheinung des Gottessohnes, in Samaria als
vom Himmel herabgestiegenen Vater, bei den übrigen Völkern
als das Kommen des heiligen Geistes eingeführt
haben soll. Er ließ sich nennen, wie die Menschen es wünschten. Hieraus
darf man wohl schließen, daß die Gnostiker
dieselbe Missionsmethode verfolgten, die Paulus
übte, wenn er sich den Juden ein Jude,
den Griechen ein Grieche
zu sein bemühte.
Das gnostische Begriffsschema wurde mit den jeweils im Zentrum des religiösen
Interesses stehenden Namen göttlicher Personen gefüllt. Besondere
Aufmerksamkeit widmet Irenaeus der Helene,
die er nicht aus der Schule des Dositheos, sondern
aus einem Bordell in Tyros stammen läßt:
»Sie ist der erste Gedanke des Gottesgeistes, die
Allmutter; durch sie beschloß der Gottesgeist zuerst Engel und Erzengel
zu schaffen. Sie ist nämlich die Ennoia, die aus ihm hervorsprang. Als
sie den Willen des Vaters erkannte, ist sie in die unteren Regionen hinabgestiegen
und hat die Engel und Gewalten erschaffen, von denen, wie er sagt, diese
Welt geschaffen ist. Nachdem sie aber diese hervorgebracht hatte, ist sie
von ihnen selbst aus Neid festgehalten worden. Gott selbst nämlich ist
ihnen gänzlich unbekannt geblieben, nur seine Ennoia ist von denen zurückgehalten
worden, die als Gewalten und Engel von ihr ausgeschickt wurden, und jede Schmach
hat sie von ihnen erduldet, damit sie nicht wieder hinauf zu ihrem Vater zurückkehrte,
und so weit ist sie gesunken, daß sie sogar in einen menschlichen Körper
eingeschlossen wurde und Jahrhunderte hindurch wie von einem Gefäß
in ein anderes in immer wieder andere weibliche Körper wanderte«
(Irenaeus I 27, 1-4).
So wurde sie auch die Helene, um derentwillen
der trojanische Krieg entbrannte, und schließlich ist sie durch viele
Inkarnationen von Stufe zu Stufe sinkend bis in das Bordell
zu Tyros gelangt. Sie ist das verlorene Schaf,
das jetzt vom Urvater erlöst werden soll.
Er stieg durch alle Himmel herab, indem er nacheinander die Gestalten der Herrschaften,
Gewalten und Engel annahm, ohne von ihnen bemerkt zu werden, und wurde scheinbar
ein Mensch im Körper des Simon, um die Erlösung
zu vollziehen, die Macht der Engel und Gewalten zu brechen, die Welt
aufzulösen und die Menschenseelen zu befreien. Mit dem Hinweis auf
das ausschweifende Leben und die Zauberkünste der simonianischen Priester
und der Bemerkung, daß Simon auch als
Zeus, Helene als Athene von ihnen verehrt
würden, schließt die Erzählung des Irenaeus,
die Epiphanios in direkter Rede aus
Simons Munde bringt: »In jedem Himmel nahm
ich andere Gestalt an, je nach der Gestalt der Wesen in jedem Himmel, damit
ich verborgen bliebe den Engelkräften und herabkäme zur Ennoia, welche
dieselbe ist, die auch Prunikos und heiliger Geist genannt
wird, durch die ich die Engel geschaffen habe, die Engel aber den Kosmos und
den Menschen schufen«.
Das
sagenhaft schauerliche Ende des Simon
Bei Tertullian und in den Apostelakten finden
sich nur wenige unwesentliche Einzelheiten, die über dieses Material hinausgehen.
Mit besonderer Liebe malen die Christen das schauerliche
Ende des Simon
aus. Sie lassen ihn, unter einer Platane sitzend, mit den Aposteln disputieren.
Er behauptet, wenn man ihn an dieser Stelle eingrabe, werde
er wieder auferstehen. Dies geschieht, und er stirbt bei diesem Experiment.
Oder er rühmt sich, durch den Besitz des heiligen
Gottesnamens die Kraft zu haben, in den Himmel zu fliegen. Er hebt sich in die
Luft empor, das Gebet der Apostel aber bewirkt, daß er herabfällt
und in vier Stücke zerbricht.
Die
unbegrenzte Kraft
Schließlich hat uns Hippolytos Auszüge
aus einer dem Simon zugeschriebenen »Großen
Verkündigung« überliefert, einer Schrift, die in den
Grundzügen wohl wirklich auf Simon selbst
zurückzuführen ist, aber wahrscheinlich von seinen Schülern mehrere
Zusätze und Überarbeitungen erhielt. Wir geben das, was Hippolyt
über dieses wichtige Dokument der Gnosis
zu sagen hat, fast vollständig in wörtlicher Übersetzung
wieder und fügen in Klammern einige Erklärungen
des Sinnes hinzu: Simon lehrt , daß es eine unbegrenzte
Kraft (Dynamis) gebe, und nennt sie den
Ursprung des Alls, indem er folgendes spricht: »Diese
Schrift, einer Verkündigung einer Stimme und eines Namens stammt aus dem
Ratschluß der großen unbegrenzten Kraft. Deshalb soll sie versiegelt
sein, verborgen, verhüllt, niedergelegt in der Behausung, wo die Wurzel
des Alls gegründet ist«. Die Behausung aber, sagt
er, sei dieser unser aus Blut gezeugter Mensch, und es wohne in ihm die
unbegrenzte Kraft, die er die Wurzel des Alls nennt. Es ist aber die
unbegrenzte Kraft, nämlich das Feuer,
nach Simons Lehre nichts
Einfaches, wie die meisten Menschen von den vier
Elementen sagen, sie seien einfach, und das Feuer für einfach gehalten
haben, sondern das Feuer habe gewissermaßen
eine doppelte Natur, und an dieser doppelten Natur
nennt er das eine etwas Verborgenes, das
andere etwas Sichtbares.
Das Verborgene aber liege verborgen in den sichtbaren
Teilen des Feuers, und das Sichtbare
am Feuer sei durch das Verborgene entstanden. Es handelt sich
aber um das, was Aristoteles das
der Möglichkeit und das der Wirklichkeit
nach Seiende oder Platon das geistig
Wahrnehmbare und das sinnlich Wahrnehmbare nennt.
Und das Sichtbare am Feuer enthält alles in
sich, was man an Sichtbarem wahrnehmen oder auch,
ohne es zu wissen, unbeachtet lassen könnte, das Verborgene
aber alles geistig Wahrnehmbare, was man
denken kann, und alles, was sich der sinnlichen Wahrnehmung entzieht oder auch
einem entgeht, wenn man nicht darüber nachdenkt. Überhaupt muß
man sagen, die Schatzkammer aller sinnlich
und geistig wahrnehmbaren Dinge, die
Simon die verborgenen und die sichtbaren
Dinge nennt, ist das überhimmlische
Feuer, gleichsam ein großer Baum wie der,
der im Traume von Nebukadnezar gesehen wurde, aus
dem alles Fleisch gespeist wird.
Und das Sichtbare
am Feuer, meint er, sei der Stamm,
die Zweige, die Blätter, die ihn von außen
umgebende Rinde. Alle diese Teile des großen Baumes, sagt er, werden vernichtet,
erfaßt von der alles verzehrenden Flamme des Feuers. Die Frucht des Baumes
aber (die Seele des Menschen)
wird, wenn sie zum reinen Bilde geworden ist und ihre eigene Gestalt abgelegt
hat, in die Scheuer gebracht, nicht in das Feuer. (Zum
Bilde werden heißt göttlich werden nach 1 Mos. 1, 27: »Gott
schuf den Menschen ihm zum Bilde.« Da die
Gottähnlichkeit des Menschen aber in dem
Pneuma besteht, das Gott ihm bei der Schöpfung
einhauchte, heißt »zum Bilde werden«, ferner soviel wie
pneumatisch werden, was dann geschieht, wenn der Mensch die irdische Hülle
der Körperlichkeit abgeworfen hat.) Es ist
nämlich, sagt er, die Frucht entstanden, damit sie in die Scheuer gebracht
werde, die Spreu aber, damit sie dem Feuer übergeben werde (Mt.
3, 12 = Luk, 3, 17), worunter der Stamm zu verstehen
ist, der nicht um seiner selbst, sondern um der Frucht
willen entstanden ist.
Das ist es auch, sagt er, was in der Schrift geschrieben steht: »Denn
der Weinberg des Herrn Sabaoth ist ein Haus Israels, und der Mensch Juda‘s
eine geliebte Neupflanzung« (Jes. 5,
7 nach der Setuaginta). Wenn aber der Mensch Juda‘s eine geliebte
Neupflanzung ist, so wird, sagt er, dadurch gezeigt, daß das Holz nichts
anderes ist als der Mensch. Doch über seine Aussonderung und Absonderung,
sagt er, hat die Schrift genug gesprochen, und zur Belehrung genügt den
zum Bilde Gewordenen der Spruch: »Alles Fleisch
ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Fleisches wie des Grases Blume. Das Gras
ist verwelkt und seine Blume abgefallen; aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit«
(Jes. 40, 6. 7 und 1 Petr. 1, 24). Das Wort aber, sagt er, ist das im
Munde des Herrn erzeugte Wort und der Logos;
wo anders aber gibt es keine Stätte der Schöpfung.
(Daß der Logos der Ort oder Raum ist, in dem die Welt ruht, weil er alles
umfaßt und durchdringt, ist ein Gedanke, der sich auch bei Philon
findet.) — — —
Von allen Teilen des Feuers nämlich, den sichtbaren
und den unsichtbaren, nahm er an,
daß sie »Bewußtsein und Anteil am Denken«
(Empedokles,
Diels 21 B 110, 10) haben. Es wurde nun der gewordene
Kosmos aus dem
ungewordenen Feuer. Er fing aber an, sagt er, auf
folgende Art zu werden: sechs Wurzeln des Ursprungs der
Schöpfung nahm der gewordene Kosmos aus dem
Ursprung jenes Feuers. Es gingen aber die Wurzeln
zu Paaren aus dem Feuer hervor. Diese Wurzeln
nennt er Geist
und Gedanke, Stimme und Name, Verstand und Überlegung. (Nous
und Epinoia, Phone und Onoma, Logismos und Enthymesis; es handelt sich bei diesen
Begriffspaaren immer um eine Funktion des Bewußtseins und um das, was
durch diese Funktion geschieht: durch den Geist wird gedacht, durch die Stimme
werden Namen ausgesprochen, durch den Verstand werden Überlegungen angestellt.)
Es ist aber in diesen sechs Wurzeln die ganze unbegrenzte
Kraft zugleich der Möglichkeit, nicht der Wirklichkeit nach. Diese unbegrenzte
Kraft nennt er den, der da steht, stand und stehen wird. Wenn er, der sich in
den sechs Kräften befindet, zum Bilde geworden ist, wird er dem Wesen,
der Kraft, der Größe und Vollendung nach ein und dieselbe Kraft sein
wie die ungewordene und unbegrenzte Kraft. Wenn er aber nur der Möglichkeit
nach in den sechs Kräften bleibt und nicht zum Bilde wird, wird er vertilgt
und geht verloren, so wie die grammatische oder geometrische Kraft in der Menschenseele.
Denn wenn die Kraft die Kunst hinzunimmt, wird sie zu einem
Licht der werdenden Dinge, tut sie es aber nicht, so ist sie Unwissenheit
und Finsternis, und so, als ob sie gar nicht dagewesen wäre, geht sie mit
dem sterbenden Menschen zugrunde. (Gemeint ist:
Durch das göttliche Pneuma, das der Mensch
in sich trägt und durch das er zum Bilde Gottes geschaffen wurde, besitzt
der Mensch geistige Fähigkeiten, die der Möglichkeit nach in ihm liegen,
etwa Begabung für Grammatik oder Geometrie. Diese Anlagen kann der Mensch
entwickeln, er kann sie aber auch verkümmern lassen. Entwickelt er die
geistigen Fähigkeiten, so werden sie zu pneumatischen Wesenheiten, die
unvergänglich sind und in ihrer Gesamtheit den pneumatischen Menschen ausmachen.
Dieser löst sich von der Körperlichkeit und ist dann in Wirklichkeit
ein Ebenbild Gottes geworden, das weiterlebt, während
der Körper vernichtet wird. Hat der Mensch diese Entwicklung der pneumatischen
Anlagen in sich nicht vollzogen, so gehen diese Anlagen mit dem Körper
zugrunde. Was aber vom Menschen gilt, das gilt ebenso vom ganzen Kosmos, der
nach Platons im Timaios entwickelter Lehre ebenfalls ein Abbild Gottes ist.
Auch die ganze Welt muß sich vom Körperlichen zum Geistigen entwickeln.
Was an der Welt göttlich ist, bleibt erhalten, was körperlich ist,
geht im Weltbrand in Feuer auf. Da aber das Feuer zugleich die Gotteskraft ist,
so bedeutet die Verbrennung der Welt zugleich ihre restlose Auflösung in
die Gottheit. Schon im orphischen Mythos hatte das Feuer diese reinigende und
vergöttlichende Kraft: Jede Nacht hält Demeter das ihr anvertraute
Kind der Baubo ins Feuer, um sein sterbliches Wesen wegzubrennen und es göttlich
zu machen. Heraklit und die Stoiker
lassen dann den ganzen Kosmos aus Feuer entstehen
und sich nach Ablauf einer Weltperiode wieder in Feuer auflösen.)
Von diesen sechs Kräften aber und der
siebenten, die mit den sechs zugleich da
ist, nennt er das erste Paar: Geist
und Denken, Himmel
und Erde. Und der männliche Geist blickt
von oben herab und sorgt für die Gattin, die Erde aber empfängt unten
die vom Himmel herabgefallenen geistigen, der Erde verwandten Früchte.
Deshalb, sagt er, schaut der Logos oft zu den aus
Geist und Denken, das heißt: aus
Himmel und Erde Geborenen hin und spricht:
»Höre, Himmel, und lausche, Erde, daß
der Herr spricht: Ich habe Söhne gezeugt und erhoben; sie aber sind von
mir abgefallen« (Jes. 1, 2).
Der aber dies spricht, sagt er, ist die siebente Kraft,
er, der da steht, stand und stehen wird; denn er selbst (der
Logos als Weltschöpfer) ist Urheber dieser Güter, die Moses
pries und von denen er gar Schönes sagte. Die Stimme und der Name
aber sind (bei Moses) Sonne und Mond, der Verstand
und die Überlegung aber Luft und Wasser. In diesen allen aber findet sich
eingemengt und gemischt, wie ich sagte, die große
Kraft, die unbegrenzte, der Stehende. (Das Ganze
ist eine allegorische Deutung des Schöpfungsberichtes. »Am Anfang
schuf Gott Himmel und Erde«, das soll nach Simons
Auffassung bedeuten: Die unbegrenzte Kraft schied
sich in Geist und Denken. »Und Gott sprach: Es werde Licht! und
es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das
Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht«,
dazu Vers 16: »Und Gott machte zwei große
Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht,
das die Nacht regiere, dazu auch Sterne.« Er schuf also Sonne und
Mond, das heißt nach Simon: die Kräfte
der Stimme und des Namens, das Sprechende und das Ausgesprochene.
»Da machte Gott die Feste und schied das
Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste.« Es
entstand also — meint Simon — die Luft,
die in der Antike immer als feuchter Dunst gedacht wurde, und das Wasser. Luft
und Wasser bedeuten das dritte Paar geistiger Kräfte:
Verstand und Überlegung.
Wenn nun Moses sagt: »In
sechs Tagen war es, daß Gott den Himmel und die Erde schuf, und am siebenten
ruhte er von allen seinen Werken« (2
Mos 20, 17), so stürzt Simon die ausgesprochene
Anordnung um und macht sich selbst zu Gott (weil er nach
Hippolyts Meinung die einzelnen Abschnitte der Schöpfung anders anordnet,
als es Gott selbst tat). Wenn sie daher sagen, daß drei Tage vor
(der Schöpfung von) Sonne und Mond vorhanden waren, meinen sie Geist
und Denken, das heißt: Himmel und Erde, und die siebente Kraft, die unbegrenzte;
denn diese drei Kräfte sind vor allen anderen entstanden. Wenn sie aber
sagen: »Vor allen Äonen
zeugt er mich« - nämlich die Weisheit
- (Spr. Sal. 8, 23 u. 25), so sagt er, dies
beziehe sich auf die siebente Kraft.
Die siebente Kraft aber ist die, die als Kraft in der unbegrenzten Kraft vorhanden
ist, die vor allen Äonen entstanden ist. Dies ist, sagt er, die
siebente Kraft, von der Moses
sagt: »Und der Geist Gottes wurde dahingetragen
über dem Wasser« (1 Mos. 1, 3),
das ist, sagt er, das alles in sich fassende Pneuma,
das Abbild der unbegrenzten Kraft, von der Simon
sagt: »Ein Bild aus unvergänglicher Gestalt,
das allein alles ordnet.« Diese Kraft nämlich, die dahingetragen
wird über dem Wasser, ist gezeugt, sagt er,
aus einer unvergänglichen Gestalt und ordnet allein
alles. Hippolyts Bericht ist hier durch
seine Polemik und seinen Mangel an Verständnis für das in den Schöpfungsbericht
von Simon hineininterpretierte System unverständlich
geworden. Simon trennt ebenso
wie Philon die beiden ersten
Verse der Genesis, die Schöpfung von Himmel, Erde und Gottesgeist,
von dem ganzen Bericht ab. Sie handeln nach seiner wie nach Philons
Lehre nur von Vorgängen in der geistigen Welt,
während das Siebentagewerk auf die Entstehung
der irdischen Welt zu beziehen ist. Himmel, Erde
und Gottesgeist stellen die drei ersten Entfaltungen
Gottes dar, die sich allegorisch als drei Schöpfungstage deuten
lassen, die den sieben Tagen vorausgehen.
Der Himmel = Geist ist Gottvater,
die Erde Denken ist Gottmutter, die aus Gottvater
hervorspringt wie Athene aus dem
Haupte des Zeus; beide zeugen
den Gottsohn, den Weltschöpfer, den
Logos, der in dem über dem Wasser, das heißt:
über der chaotischen Materie, schwebenden Geiste
erkannt wird. Er ist der Ordner,
der aus dem Chaos einen
Kosmos gestaltet. So nennt ihn Simon
»ein Bild aus unvergänglicher Gestalt,
das allein alles ordnet«. Es beginnt
nun das Siebentagewerk.
Nachdem nun eine solche und ähnliche Einrichtung des
Kosmos bei ihnen vollzogen ist, »bildete«,
sagt er, »Gott den Menschen, indem er Staub von
der Erde« (1 Mos. 2, 7) nahm;
er bildete ihn aber nicht einfach, sondern doppelt
»nach dem Bilde und nach der Ähnlichkeit«
(1 Mos. 1, 26). Das Bild aber ist das Pneuma,
das dahingetragen wird über dem Wasser, das, wenn es nicht zum Bilde gemacht
wurde, mit dem Kosmos zugrunde geht, da es nur in der
Möglichkeit bleibt und nicht in Wirklichkeit
wird — das, sagt er, ist der Sinn des Spruches: »Auf
daß wir nicht mit dem Kosmos gerichtet werden« (1
Kor. 11, 32). Wenn es aber zum Bilde wurde und aus einem
unteilbaren Punkte entsteht, wie es in der Verkündigung beschrieben
ist, wird das Kleine groß werden. (So
ließen auch die Pythagoreier und Platon
die Welt aus einer letzten unteilbaren Einheit
entstehen.) Das Große aber wird bestehen
bis in die unendliche
und unveränderliche Ewigkeit
und nicht wieder ins Werden
eintreten.
Wie nun und auf welche Weise, sagt er, bildet Gott den Menschen?
Im Paradies, so nämlich meint er. Es soll,
sagt er, das Paradies die Gebärmutter sein, und
daß dies wahr ist, soll die Schrift lehren, wenn sie sagt: »Ich
bin es, der dich bildet in der Gebärmutter deiner Mutter« (Jes.
44, 2 u. 24) denn auch von diesem Worte will er, daß es in diesem
Sinne geschrieben sei. Unter dem Paradies, sagt
er, hat Moses allegorisch
die Gebärmutter verstanden, wenn anders man dem Worte Glauben schenken
soll. Wenn aber Gott den
Menschen in der Gebärmutter der
Mutter, das heißt: im Paradiese, bildet,
wie ich sagte, soll das Paradies die Gebärmutter
sein, das Land Eden aber, »ein Fluß,
der ausgeht aus Eden, zu tränken das Paradies«(1
Mos. 2, 10), der Nabel (worunter die Nabelschnur
mitverstanden ist). Dieser Nabel, sagt er, »teilt
sich in vier Ursprünge«; denn zu beiden Seiten des Nabels
laufen nebeneinander zwei Luftadern als Kanäle für
das Pneuma, und
zwei Blutadern als Kanäle für das Blut
(nach der Lehre Galens: »Es
gibt nämlich in ihm [dem Nabel] vier Gefäße, zwei Luftadern
und zwei Blutadern, die in ihrer Mitte den Urinleiter haben ..., und durch diese
zieht der Embryo gewissermaßen wie aus Baumwurzeln aus der Gebärmutter
Blut und Pneuma«.
Man sieht hieraus, daß Simon ein gelehrter
Mann war und medizinische Kenntnisse besaß, wie ja auch alle diese Propheten
zugleich als Medizinmänner auftraten. (Hierauf weisen
auch die in der Apostelgeschichte erwähnten wunderbaren Heilungen des
Simon hin). Sobald aber, sagt er, der Nabel aus dem Lande Eden
herausgegangen ist und am Bauchfell mit dem werdenden Kinde zusammenwuchs, an
der Stelle, die alle für gewöhnlich den Nabel nennen, dann sind es
die beiden Adern, durch die das Blut aus dem Lande Eden fließt und strömt,
und zwar nach den sogenannten Pforten der Leber, die das werdende Kind ernähren;
die Luftadern, von denen wir sagten, daß sie Kanäle für das
Pneuma seien, umfassen von beiden Seiten die Harnblase in der Nähe des
platten Knochens, vereinen sich zu der großen Luftader, die am Rückgrat
entlang geht und Aorta genannt wird; und so wandert durch die Nebenöffnungen
das Pneuma zum Herzen und
veranlaßt die Bewegung des Embryos. Während nämlich das Kind
sich im Paradies bildet, nimmt es weder mit dem Munde Nahrung auf, noch atmet
es durch die Nasenlöcher; denn für das sich im Feuchten befindende
Kind würde es sofort den Tod bedeuten, wenn
es atmen wollte; denn es würde etwas von der Feuchtigkeit einziehen und
zugrunde gehen. Doch wird es ja ganz von der sogenannten Schafhaut (so
nannte schon Empedokles die den Embryo umgebende
Eihaut) umhüllt; ernährt aber wird es durch den Nabel, und
durch die Aorta am Rückgrat nimmt es, wie ich sagte, die Substanz des Pneuma
auf.
Der Fluß nun, sagt er, der von Eden ausgeht,
teilt sich in vier Ursprünge, in vier Kanäle, das heißt: in
die vier Sinne des werdenden Kindes: Gesicht, Geruch, Geschmack und Gefühl.
Denn diese Sinne allein hat das im Paradies gebildete Kind. Dieser Fluß,
sagt er, ist das Gesetz, das Moses gab, und im
Hinblick auf dies selbe Gesetz hat er jedes der Bücher geschrieben, wie
die Überschriften zeigen.
Das erste Buch heißt Genesis;
es diente, sagt er, die Überschrift des Buches zur Gnosis
des Alls. Denn diese Genesis, sagt er, ist der Gesichtssinn,
die eine Abspaltung, in die sich der Fluß teilt; denn der
Kosmos werde durch den Gesichtssinn erschaut.
Die Überschrift des zweiten Buches ist Exodus; es
muß nämlich das geborene Kind das Rote Meer durchwandern, in die
Wüste kommen — das Rote Meer aber nennt er, sagen sie, das
Blut — und von dem bitteren Wasser kosten (2
Mos.15, 22-26). Bitter nämlich, sagt er, ist das Wasser, das nach
dem Roten Meere kommt, das der zurückgelegte Weg
der Lebensgnosis der Mühen und Bitternisse ist. Verwandelt aber
von Moses, das heißt von dem
Logos, wird jenes Bittere süß.
(Philon deutet die Stelle
ebenso.) Und da dies sich so verhält, soll man zugleich auf alle
hören, die, den Dichtern folgend, sprechen: »An
der Wurzel ist es schwarz, der Milch gleich aber die Blüte. Moly
(ein fabelhaftes Wunderkraut) nennen
es die Götter; schwierig ist es auszugraben für sterbliche Männer;
Götter aber können alles« (Zitat
aus Homers Odyssee [X 304-306]; hier ist Moly
ein Kraut mit geheimer Zauberkraft, das Hermes
dem Odysseus als Gegenzauber gegen die Künste
der Kirke gibt). Es genügt, sagt er, der heidnische Spruch zur
Erkenntnis des Ganzen für die, die Ohren haben zu hören; denn,
sagt er, wer von dieser Frucht gekostet hatte, wurde allein von der Kirke nicht
in ein Tier verwandelt, sondern auch die schon zu Tieren Gewordenen bildete
er wieder um, prägte sie um und rief sie zurück in jene erste ihnen
eigene Form, indem er sich der Kraft dieser Frucht bediente. Er
(Odysseus) aber, sagt er, gilt als ein treu ergebener und von jener Zauberin
geliebter Mann um jener milchartigen und göttlichen Frucht willen.
Ebenso heißt das dritte Buch Leviticus, was
den Geruchsinn oder die Atmung bedeutet. Von Opfern
nämlich und Spenden handelt jenes ganze Buch. Wo aber ein Opfer ist, entsteht
ein Duft und Wohlgeruch von dem Opfer durch das Räucherwerk; in bezug auf
diesen Wohlgeruch bedeute der Abschnitt den Geruchsinn.
Numeri heißt das vierte Buch; er nennt es
den Geschmack (mit seinem
Organ, der Zunge), wo die Sprache in Tätigkeit tritt; denn durch
das Sprechen wird alles nach
Ordnung der Zahl benannt.
Die Überschrift Deuteronomium aber, sagt er, bezieht sich auf den
Tastsinn des ausgebildeten Kindes. Wie nämlich
der Tastsinn das von den anderen Sinnen Bemerkte berührt, zum Ganzen vereint
und befestigt, indem er darüber entscheidet, ob es hart oder warm oder
klebrig ist, so ist das fünfte Buch des Gesetzes
die Zusammenfassung der vier vor ihm geschriebenen.
Alles Unentstandene nun, sagt er, ist in uns der
Möglichkeit nach, nicht in Wirklichkeit vorhanden,
wie die Grammatik oder Geometrie. Wenn es nun auf den hinzutretenden
Logos und die Belehrung trifft und sich das Bittere
in Süßes verwandelt, das heißt
»die Spieße in Sicheln und die Schwerter in Pflugscharen«
(Jes. 2, 4), wird das Entstandene nicht Spreu
und Holz sein, die vom Feuer vertilgt werden, sondern eine vollkommene zum Bilde
gewordene Frucht, wie ich sagte, gleich und ähnlich
der ungewordenen und unbegrenzten Kraft. Wenn es aber nur ein Baum bleibt,
der keine Frucht trägt, wird er, nicht zum Bilde geworden, vertilgt werden.
»Denn schon nahe, sagt er, ist die Axt an den Wurzeln
des Baumes; jeder Baum, sagt er, der keine gute Frucht bringt, wird abgehauen
und ins Feuer geworfen« (Mt.3, 10 = Luk.
3, 9).
Es ist nun nach Simon jenes Selige
und Unvergängliche in allem der Möglichkeit
nach verborgen, nicht der Wirklichkeit nach,
und dies ist der, der da steht, stand und stehen wird;
er steht oben in der unentstandenen Kraft, er stand unten in dem Strom
der Wasser und wurde im Bilde gezeugt, er wird stehen oben bei der seligen,
unbegrenzten Kraft, wenn er zum Bilde geworden ist. Es gibt nämlich, sagt
er, drei Stehende, und wenn
die drei unentstandenen Äonen nicht vorhanden
wären, wird der Unentstandene, der nach ihnen über das Wasser Dahingetragene,
nicht geordnet; der nach der Ähnlichkeit gebildete
vollkommene Himmlische, der in keinem Gedanken geringer ist als die unentstandene
Kraft. Das bedeutet der Spruch, den sie sprechen: »Ich
und du sind eins, vor mir du, das nach dir Kommende Ich.«
Diese Kraft, sagt er, ist
eine, sich scheidend nach oben und unten, sich selbst zeugend, sich selbst mehrend,
sich selbst suchend, sich selbst findend, ihre eigene Mutter, ihr eigener Vater,
ihr eigener Bruder, ihr eigener Gemahl, ihre eigene Tochter, ihr eigener Sohn,
Mutter-Vater, Eins, Wurzel des Alls.
Und da, sagt er, vom Feuer der Ursprung der Schöpfung der Geschöpfe
ausgeht, so erfahre auch wieso; der Ursprung der Begierde nach Zeugung entsteht
allen Dingen, die ins Werden eintreten, aus dem Feuer. Daher wird die Begierde
nach veränderlicher Zeugung auch »Entbrennen«
genannt. Das Feuer aber, das eine Einheit bildet, verwandelt
sich in zwei Erscheinungsformen. Es verwandelt sich nämlich, sagt
er, im Manne das Blut, das sowohl warm und rötlich wie Feuer gestaltet
ist, in Samen, in der Frau aber dasselbe Blut in Milch. Und es wird die Erscheinungsform
des Männlichen zur Zeugung, die Erscheinungsform des Weiblichen aber zur
Nahrung für das werdende Kind.
Das ist, sagt er, das »flammende Schwert, das sich
verwandelt zu bewachen den Weg zum Holze des Lebens«
(1 Mos. 3, 24) [nach dem Septuagintatext, der diese Auffassung und Übersetzung
der Stelle möglich macht]. Denn es verwandelt sich das Blut in Samen
und Milch, und es wird diese Kraft zu Mutter und Vater, Vater der Werdenden
und Mehrer der Ernährten, ohne Bedürfnis, sich selbst genug. Es wird
aber bewacht, sagt er, das Holz des Lebens durch das sich verwandelnde flammende
Schwert, wie wir gesagt haben, und das ist die siebente
Kraft, die aus sich selbst entsteht, die alle in sich enthält, die in den
sechs Kräften ruht. Wenn nämlich
das flammende Schwert sich nicht verwandelte, würde jenes schöne Holz
vernichtet werden und zugrunde gehen, wenn es sich aber verwandelt in Samen
und Milch, wird einer, der gerade der Möglichkeit nach in diesem ruht,
wenn der Logos hinzukommt
und der Ort des Herrn, in dem der Logos
gezeugt wird, anschwillen zu voller Größe, anfangend
vom kleinsten Funken, und wachsen und wird sein unbegrenzte, unveränderliche
Kraft, gleich und ähnlich einem unwandelbaren Äon,
der nicht mehr ins Werden
eintritt bis in unbegrenzte Ewigkeit.
— — —
Simon nämlich spricht
hierüber in der Verkündigung wörtlich folgendermaßen:
»Euch also sage ich, was ich sage, und schreibe
ich, was ich schreibe, folgende Schrift: Zwei Sprößlinge gibt es
unter allen Äonen, die weder Anfang noch Ende haben, aus einer Wurzel stammend,
welche ist Kraft, Schweigen, unsichtbar, unfaßbar; deren einer erscheint
von oben her, welcher ist die große Kraft,
der Allgeist, alles ordnend, männlich, der
andere von unten her, der große Gedanke, weiblich, alles gebärend.
Von da einander entgegenarbeitend paaren sie sich und bringen den mittleren
Raum, die nicht wahrnehmbare Luft, in die Erscheinung,
die weder Anfang noch Ende hat.
In ihr aber ist der Vater, der alles, was Anfang
und Ende hat, in Händen trägt und nährt. Das ist er, der da steht,
stand und stehen wird, eine mannweibliche Kraft, die weder Anfang noch Ende
hat und in Einzigkeit besteht; denn aus dieser
ging hervor der in Einzigkeit vorhandene Gedanke und wurde zwei. Und auch jener
(der Vater) war eins; denn solange er ihn (den
Gedanken) in sich selbst enthielt, war er einer, nicht jedoch der erste,
obwohl er vorher da war; als er aber sich selbst aus sich selbst sichtbar geworden
war, wurde er ein zweiter. Doch wurde er auch nicht Vater genannt, bis er
(der Gedanke) ihn Vater nannte. Wie er nun sich selbst aus sich selbst
herausführte, brachte er sich selbst den eigenen Gedanken in Erscheinung,
so schuf auch der in die Erscheinung getretene Gedanke nicht, sondern schaute
ihn an und verbarg den Vater in sich selbst, das heißt: die Kraft; und
es ist vorhanden eine mann-weibliche Kraft und ihr Gedanke; von da an arbeiten
sie einander entgegen — in nichts nämlich ist
die Kraft vom Gedanken unterschieden — und sind eins; man findet,
wie aus den oberen Regionen die Kraft, aus den unteren der Gedanke wirkt. So
beschaffen ist nun auch das, was von ihnen in die Erscheinung tritt: obgleich
es eins ist, wird es als zwei erfunden, ein Mannweibliches,
das das Weibliche in sich enthält. So ist
Geist im Gedanken, untrennbar
sind sie voneinander; obgleich sie eins sind, werden sie als zwei erfunden«
(Hippolyt. Elench. VI 9, 4-18,7).
Hippolyt erzählt nun die bekannte Geschichte
der Helene und des Auftretens Simons als Gott und
Welterlöser. Hier aber finden wir noch eine wertvolle Notiz über den
Kultus der Simonianer. Ihre Mysterienfeier besteht in einer Nachahmung der Erlösungstat
ihres Propheten, die ihrerseits eine Entsprechung im Schöpfungsakt findet.
So wie bei Beginn des Weltwerdens die große Kraft ihren zeugungskräftigen
Samen in die Ennoia strömen läßt, so wie Simon
auf Erden die Helene befruchtet und dadurch erlöst,
so tun es die Jünger nach und lehren, man solle ohne
Wahl sich dem Verkehr mit dem Weibe hingeben. Sie sprechen dabei:
»Alle Erde ist Erde, und es kommt nicht darauf an, wohin einer den Samen
sät, wenn er nur sät; sie preisen sich auch noch selig um dieser Vermischung
mit fremden Frauen willen und sagen, das sei die vollkommene Agape.« Auch
Epiphanios kennt ein solches Mysterium der Simonianer und berichtet hierzu:
»Die Männer werden zur Zeit des Samenflusses, die Frauen aber zur
Zeit des monatlichen Blutabgangs zu schimpflichster Vereinigung in den Mysterien
zusammengeführt. Und das sollen die Mysterien des Lebens in der vollendeten
Gnosis sein«.
(Epiphan. Panar. Haer. 21, 4, 1-2).
Diese ganze Überlieferung, die wir über Simon
Magus haben, wurde hier in so breiter und sich unmittelbar an die Texte
anschließender Ausführung vorgelegt, um dem Leser an diesem typischen
Beispiel die Bildung eines eigenen Urteils über gnostische Quellenliteratur
und einen Einblick in die Schwierigkeiten zu ermöglichen, die ihre Deutung
dem Forscher bereitet. Wahrheit und Dichtung, legendarische Ausschmückung
und absichtliche Entstellung wirken zusammen mit dem unhistorischen Sinn der
Zeit und trüben den eigentlichen Sachverhalt, der sich mit Sicherheit nur
teilweise aus den wörtlich angeführten Stellen und alle dem, was in
den Berichten mit ihnen übereinstimmt, erschließen läßt.
Immer ist damit zu rechnen, daß uns von den christlichen
Berichterstattern gerade das Wesentlichste und Wertvollste verschwiegen oder
nur angedeutet wurde. Und doch lassen sich, auch wenn man mit größter
Vorsicht und Zurückhaltung zu Werke geht, aus dem vorliegenden Material
eine ganze Reihe von Schlüssen ziehen und eine ganze Menge von Einsichten
in das Wesen der simonianischen Gnosis gewinnen.
Simon Magus selbst tritt uns in diesen Berichten nicht als eine historische
Persönlichkeit entgegen mit individuellen, an einen bestimmten Ort und
eine bestimmte Zeit gebundenen Zügen. Alle geschichtlichen Angaben sind
unsicher und teilweise einander widersprechend. Der historische
Simon, an dessen Existenz nicht gezweifelt werden kann, hat sich in diesen
Texten fast ganz verflüchtigt, der Kern seiner Persönlichkeit zu einem
Typus kristallisiert, dem Typus des gnostischen Propheten
und Sektengründers überhaupt, so wie er sich in den Augen seiner
Feinde darstellte. Scharf unterscheidet er sich zunächst von dem jüdischen
Prophetentyp, wie er aus dem Alten Testamente bekannt ist und im neutestamentlichen
Zeitalter etwa in der Gestalt eines Johannes des Täufers
wieder auflebte.
Die geistigen Ahnen des Simon sind nicht die altjüdischen
Propheten. Der heilige Geist läßt sich nicht
zeitweise auf ihn herab; er ist die Inkarnation des heiligen Geistes und der
Gotteskraft selbst. Er schaut nicht Gesichte, verkündet nicht das
Ergebnis seiner Visionen,
predigt keine Sinnesänderung und Buße; er ruft nicht wie Johannes
der Täufer seine Gemeinde in die Wüste; er ist Weltreisender
wie Paulus und sucht die Großstadt. Und doch
wird eine Beziehung zum Täufer und zu Jesaja
hergestellt. Sie gelingt nur mit Hilfe der Allegorie. Aus der Predigt des Johannes
von dem Baume, dem die Axt an die Wurzel gelegt ist, wird eine metaphysische
Spekulation vom bevorstehenden Weltbrand, und den aus Jesaja
ausgeführten Stellen geht es nicht anders. Die
Ahnen Simons sind vielmehr die althellenischen
Propheten, die Wundertäter, Medizinmänner und Verfasser tiefsinniger
Schriften über Anfang und Ende der Welt, ein Orpheus
und Epimenides, ein Pythagoras,
der in der Legende als Verkörperung Apollons gilt,
und vor allem ein Empedokles, der von sich selber
sagt: »Ich aber wandle jetzt als unsterblicher
Gott, nicht mehr als Sterblicher vor euch; man ehrt mich als solchen allenthalben,
wie es mir zusteht, indem man mir Tänien ums Haupt flicht und blühende
Kränze. Sobald ich mit diesen Anhängern, Männern und Frauen,
die blühenden Städte betrete, betet man mich an, und Tausende folgen
mir nach, um zu erkunden, wo der Pfad zum Heile führt. Die einen wünschen
Orakel, die andern fragen wegen mannigfacher Krankheiten nach, um ein heilbringendes
Wörtlein zu hören; denn lange schon winden sie sich in bohrenden Schmerzensqualen
... Doch was red‘ ich hierüber noch viel, als ob ich etwas Großes
vollführe? Bin ich doch mehr als sie, die sterblichen, vielfachem Verderben
geweihten Menschen! O meine Freunde! Ich weiß zwar, daß Wahrheit
den Worten, die i c h künden werde, innewohnt; doch mühsam ist sie
den Menschen zu erringen, und schwer nur dringt das heiße Bemühen
um den Glauben in die Seele« (
Empedokles bei Diels 21 B 112—114).
Dieser stolze Ich-Ton des Gottmenschen ist es gerade,
der einem Simon Magus von den Christen immer wieder
vorgeworfen wird. Er aber war nicht der einzige, der zu seiner Zeit die Formen
der althellenischen Prophetenrede erneuerte.
Celsus kennt viele seiner Art, die er aus Phoenikien und Palästina
kommen läßt und in Tempeln, vor Volksansammlungen, in Städten
und Heerlagern selbst reden gehört hat. Er gibt eine Probe ihrer Predigt.
Sie sagen: »Ich bin Gott oder
Gottes Sohn oder göttlicher Geist. Gekommen bin ich: denn schon
ist der Weltuntergang da und mit euch, ihr Menschen,
ist es infolge eurer Vergehungen zu Ende. Ich aber will euch retten, und ihr
werdet mich ein andermal mit himmlischer Kraft
emporsteigen sehen. Selig, der mich jetzt anbetete; auf die anderen alle werde
ich ewiges Feuer werfen, auf Städte und Länder. Und die Menschen,
die ihre Strafen nicht kennen, werden umsonst anderen Sinnes werden und stöhnen;
die mir Folgenden werde ich zur Ewigkeit aufbewahren« (Celsus
bei Origenes VII 8 f.; vgl. E. Norden, Agnostos Theos, Leipzig 1913 S. 189).
Der Jesus des Johannesevangeliums aber schlägt
denselben Ton an: »Wäre Gott euer Vater, so
liebtet ihr mich; denn ich bin ausgegangen und komme von Gott; denn ich hin
nicht von mir selber gekommen, sondern er hat mich gesandt. Warum kennt ihr
denn meine Sprache nicht? Denn ihr könnt ja mein Wort nicht hören.
Ihr seid von dem Vater, dem Teufel (dem bösen Weltschöpfer
des Alten Testaments, der von Gott abgefallen ist), und nach eures Vaters
Lust wollt ihr tun. Der ist ein Mörder von Anfang und ist nicht bestanden
in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet,
so redet er von seinem Eigenen; denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben.
Ich aber, weil ich die Wahrheit sage, so glaubet ihr mir nicht. Welcher unter
euch kann mich einer Sünde zeihen? So ich euch aber die Wahrheit sage,
warum glaubet ihr mir nicht? Wer von Gott ist, der höret Gottes Worte;
darum höret ihr nicht; denn ihr seid nicht von Gott« (Joh.
8,42—48
u. 51).
Das ist die Predigt des Simon von dem guten
Gott, dessen Verkünder er ist und der sich in ihm verkörpert
hat, und von dem bösen Judengott, der diese
Welt geschaffen hat und die Menschen knechtet. Das wissen die
Juden, zu denen Jesus hier spricht, sehr
wohl, und sie antworten ihm: »Sagen wir nicht recht,
daß du ein Samariter bist und hast einen Dämon?« Simon
ist ebensowenig wie der Jesus des Johannesevangeliums
aus dem Judentum hervorgewachsen; er steht ihm feindlich gegenüber. In
der Legende tritt ihm als sein eigentlicher Widersacher
der Führer der Judenchristen, Petrus,
entgegen, und die Rekognitionen haben die Tendenz, ihn zu dem Heidenapostel
Paulus in eine allerdings nur versteckte Beziehung zu bringen. Der
jüdische Geist wittert in Simon und
Paulus seine gefährlichsten Gegner.
Ganz nahe stehen Simons Lehre und Methode dem hellenistischen
Juden Philon und der ganzen Atmosphäre, aus
der dessen Schriften ebenso wie das Buch der Weis¬heit Salomonis hervorwuchsen.
Aber auch für das hellenistische Judentum
bleibt der alttestamentliche Jahwe der gute
Gott, der aus reiner Güte den Kosmos zusammen mit seiner Weisheit
erzeugt hat. Hier ist der wesentliche Punkt, in dem sich Philon
und Simon, jüdische und griechische
Gnosis voneinander scheiden, trotzdem beide das Alte Testament allegorisch interpretieren
und mit den Mitteln griechischer Wissenschaft und Philosophie arbeiten. Dazu
hat Simon ein anderes System als Philon; er kommt
bei seiner Auslegung zu anderen Ergebnissen, und vor allem — was einem
Philon unmöglich war — er legt nicht nur das Alte Testament
allegorisch aus, sondern auch christliche Sprüche und Stellen aus den Paulusbriefen,
ja selbst die griechischen Mythen. Der höchste
Gott kann auch Zeus, die Allmutter auch
Athene genannt werden. Die Septuaginta ist
nicht die einzige Heilige Schrift. Moses ist eine
der Inkarnationen des Logos in demselben Sinne wie Simon
selbst die große Kraft ist; damit aber steht Moses
nicht über, sondern
unter Simon; denn der Logos geht erst aus
der Vereinigung der großen Kraft mit der Allmutter hervor. Auch das ist
für einen Philon nicht denkbar. Vor allem aber ist es das ganze Erlösungsmotiv,
das bei Philon fehlt, bei Simon aber im Mittelpunkt der Verkündigung steht.
Philon kämpft in einer besonderen Schrift
gegen die Annahme einer Zerstörung der Welt durch Feuer, Simons
Eschatologie gipfelte gerade in diesem Gedanken.
So steht die simonianische Gnosis als ein Gedankenbau eigener Struktur vor uns.
Betrachten wir das Material, mit dem Simon baut,
so finden wir auf der einen Seite die Septuaginta und urchristliche Schriften,
auf der andern pythagoreische und platonische Motive, Anklänge an Gedanken
und Benutzung von Ausdrücken des Empedokles, die Lehre Heraklits
und der Stoa vom Logos und Weltbrand, den Gebrauch aristotelischer
Terminologie, die Kenntnis griechischer Medizin und eine lose Beziehung zur
Astrologie, wenn wir die Bemerkung, daß die Zahl seiner Schüler dreißig
betrug und Helene den Mond darstellen sollte, so
deuten dürfen.
Das alles ist griechisches Bildungsgut, das aber durchaus nicht als äußerlicher
Aufputz angesehen werden darf. Während das Alte Testament, die christlichen
Sprüche und auch Homer durch die allegorische Methode ihres eigentlichen
Sinnes beraubt und umgedeutet werden, bleibt die griechische Weisheit durchweg
in ihrem ursprünglichen Sinne bestehen; sie ist für Simon das unmittelbar
als wahr Gegebene, während die religiösen Urkunden nur eine erst mit
den Mitteln der griechischen Philosophie neu zu erschließende Wahrheit
enthalten.
So eklektisch aufgegriffen auch die bunte Fülle der hier miteinander verwobenen
Gedanken und Begriffe verschiedenster Herkunft erscheint, so dienen sie doch
alle zur Erklärung und Verdeutlichung eines einzigen, schwer faßbaren,
aber das ganze System tragenden und beherrschenden, ebenfalls griechischen Begriffs:
der Kraft, der Dynamis.
Wollen wir die geistige Struktur dieses gnostischen Systems
erfassen, das nach dem übereinstimmenden Zeugnis der antiken Autoren, die
über Simon Magus geschrieben haben, den Ausgangspunkt für die meisten
gnostischen Sekten innerhalb des Christentums der
ersten Jahrhunderte darstellte, und das, wie wir erkannten, älter ist als
das christliche Evangelium selbst, so werden wir uns zunächst an diesen
Begriff der Dynamis zu halten haben, der es von
innen heraus beherrscht, der es überall durchleuchtet und sich mit mannigfach
gebrochenen Strahlen in allen Einzelheiten widerspiegelt.
Dynamis ist der Ursprung des Alls, ist Gott, der Logos, das Feuer, das sich
in weitere sechs Kräfte spaltet, ist das Pneuma als Weltordner ebenso wie
als Geistkraft im Menschen, die Dynamis ist in ihren einzelnen Erscheinungsarten
Blut, Milch und Samen, sich selbst zeugend, sich selbst suchend, sich selbst
findend, Mutter, Vater, Bruder, Gatte, Tochter, Sohn, Mutter-Vater, alles zugleich;
sie ist Eins, Wurzel des Alls, und sie ist schließlich auch Simon
Magus selbst; denn er ist die große Kraft
Gottes: das wird als das Wesentliche an ihm und seiner Lehre schon in der Apostelgeschichte
berichtet. Wo es sich um die gedankliche Fassung dieses Kraftbegriffs
handelt, stehen wir auch innerhalb der sonst so zweifelhaften Überlieferung
der Simon-Legenden auf gesichertem Boden. Das einzige uns bei
Hippolyt erhaltene größere und wörtlich wiedergegebene
Fragment aus der »Großen Verkündigung«
handelt gerade vom Wesen der Dynamis.
Zunächst sind von dem Kraftbegriff Simons alle
uns aus der modernen Naturphilosophie bekannten Vorstellungen fernzuhalten.
Diese Kraft ist keine Energie, Simons Lehre
keine Energetik, wobei wir immer an ein mehr oder weniger mechanisches
Wirken, an Energie der Lage, der Schwere, des Druckes, des Stoßes, an
elektrische, chemische und ganz zuletzt auch an geistige
Energie denken.
Der Weg des Gnostikers führt
nicht vom Weltmechanismus zum Ich, sondern vom lebendigen Ich zur Welt. Wenn
wir überhaupt Parallelen zu neuzeitlichen Anschauungen ziehen wollen, so
handelt es sich hier um denselben Weg, den Schopenhauer
einschlug, der das metaphysische Prinzip des Willens im
eigenen Leibe fand und es dann in der Außenwelt als Wesenskern der Natur
wiedererkannte. Was bei Schopenhauer der
Wille, das ist bei Simon der
Geist. Er ist das Kraftzentrum, aus dem alles Leben
hervorfließt. Als solches hat er zunächst
keinerlei Ausdehnung. Er ist ein Punkt,
in dem alles der Möglichkeit nach vorhanden ist.
Die zu lösende gedankliche Aufgabe aber liegt in der Frage:
Wie wird aus dem Punkt eine Gestalt; wie wird aus dem Geist ein Körper;
wie wird aus der Möglichkeit eine greifbare Wirklichkeit?
Um dieses Problem zu lösen, wendet sich der Gnostiker
nicht an die Außenwelt. Er steigt in sein eigenes
Innere hinab und erforscht den eigenen Geist. Dabei entdeckt er zunächst
den Unterschied zwischen dem Geist als einer Funktion und des durch diese Funktion
erzeugten Produktes: des Gedankens. Jeder hat in sich die Fähigkeit zum
logischen und zum mathematischen Denken; aber erst, wenn sich die Fähigkeit
auswirkt, wird aus der subjektiven Anlage das Objekt: die Logik und die Mathematik.
Aus dem Denken wird der Gedanke: aus dem Subjekt wird
das Objekt. Aus dem Denken wird das Gedachte: aus
dem Aktivum ein Passivum. Diese Fähigkeit des Geistes, aus sich
heraus den Gedanken als seinen Gegenstand, als das Objekt, zu erzeugen, ist
das Erste, von dem Simon ausgeht.
Der Geist ist der Vater seines eigenen Gedankens, und der Gedanke ist nicht
ohne den Geist, der ihn erzeugte. Der Geist aber ist auch nicht vorhanden, ist
nichts als ein ausdehnungsloser Punkt, ehe er sich selbst objektiviert und den
Gedanken hervorgebracht hat. Man kann auch nicht von vornherein sagen:
der Geist ist das Erste und der Gedanke das Zweite. Diese Unterscheidung
ist erst nachträglich möglich, wenn aus dem vorhandenen Gedanken auf
den Geist als seinen Urheber zurückgeschlossen wird.
So sind die Worte der Apophasis zu verstehen: »Und
auch jener (der Vater Geist) war eins; denn solange
er ihn (den Gedanken) in sich selbst enthielt,
war er einer, nicht jedoch der erste, obwohl er
vorher da war; als er aber sich
selbst aus sich selbst sichtbar geworden war, wurde er ein
zweiter. Doch wurde er auch nicht Vater genannt,
bis er (der Gedanke) ihn Vater
nannte. Wie er nun sich selbst aus sich selbst herausführte, brachte er
sich selbst den eigenen Gedanken in Erscheinung, so schuf auch der in die Erscheinung
getretene Gedanke nicht, sondern schaute ihn an
und verbarg den Vater in sich selbst, das heißt:
die Kraft ... So ist Geist im Gedanken, untrennbar sind sie voneinander; obgleich
sie eins sind, werden sie als zwei erfunden.« Dieselbe Beziehung,
die zwischen dem Denken und dem Gedanken besteht, ist aber auch bei allen anderen
Bewußtseinsäußerungen des Menschen vorhanden. So besitzt der
Mensch eine Stimme und hat die Fähigkeit zu sprechen. Aber diese Stimme
ist nicht da, sie schweigt, wenn sie sich nicht im Worte objektiviert.
Die Stimme erzeugt das Wort oder den ausgesprochenen
Namen ebenso wie der Geist den Gedanken. So muß
sich jede Kraft objektivieren, wenn sie überhaupt als Kraft in die Erscheinung
treten soll. Und wenn Simon die drei
Begriffspaare: Geist und Gedanke, Stimme und Name, Verstand und Überlegung,
aufstellte als die sechs Entfaltungen der großen Kraft, so konnte er sie
noch beliebig vermehren, wenn ihn hier nicht das Interesse an einer Erklärung
des Siebentagewerkes der Schöpfung an diese Zahl gebunden hätte. Tatsächlich
finden wir auch in späteren Systemen eine weit größere Zahl
solcher Begriffspaare, die durch ein Subjekt und ein Objekt oder ein Aktivum
und ein Passivum gebildet werden.
So verhalten sich also zunächst Denken und Gedanke zueinander wie Vater
und Kind, die aber nicht ohne einander sein können; denn das Denken ist
ohne den erzeugten Gedanken nichts, der Gedanke ist nicht da ohne seinen Schöpfer.
Soll nun aber weiter aus dem Gedanken eine Tat oder ein Werk werden, so gehört
dazu wieder eine Kraft, die auf Grund des bloßen
Gedankens die wirkliche Tat vollzieht. Wir würden sagen:
Es muß zum Gedanken der Wille hinzukommen. Dieser Wille ist aber
nach gnostischer Auffassung
keine andere Kraft als dieselbe, die schon den Gedanken hervorbrachte. So muß
also der Gedanke gleichsam einen neuen Strom der Geistkraft in sich aufnehmen,
um zu einer Tat zu werden. Jetzt wird aus dem Kinde das Weib, das den
Samen des Vaters als Kraftstrom empfängt, hierdurch die Tat gebiert
und aus sich heraus ein Gebilde gestaltet, das dem Gedanken entspricht, ja,
ihm nicht nur entspricht, sondern ihn in sich enthält und an sich zur Erscheinung
bringt. Mit dem Gedanken aber enthält das geborene Gebilde zugleich den
Geist, der einst den Gedanken erzeugte, so daß nun drei Größen
untrennbar ineinander liegen: der zeugende Geist, der gezeugte Gedanke, das
aus Geist und Gedanken geborene Geschöpf. Alle drei
aber sind eins; denn sie sind nur ein und dieselbe Kraft, etwa in dem Sinne,
in dem Hegel den einen Geist sich dreifach entfalten
läßt als Geist an sich, als Geist für
sich und als Geist an und für sich.
Die Erkenntnis dieses Sachverhalts, in dem hier ein logischer und ein psychologischer
Prozeß ungeschieden ineinander verflochten sind, wird nun aus dem Menschen
hinausgespiegelt in das All. So wie der Geist im Menschen sich selbst objektiviert,
so auch der Schöpfergeist. Der kleinen Geistkraft
im Mikrokosmos entspricht die große Dynamis als Schöpfungsursache
des Makrokosmos. Deutlich sind die Ketten und Haken sichtbar, mit denen beide
ineinander verankert sind. In der Behausung des menschlichen Körpers ist
die Wurzel des Alls gegründet; in sich selbst findet der Mensch die Geistkraft;
nur hier kann er sie erfassen und erkennen. Gott ließ einst den Menschen
ihm zum Bilde schaffen, dadurch daß er ihm seinen eigenen Geist gab, den
nun der Mensch als das einzige, rein zu erkennende Göttliche in sich wiederfindet.
Nun erkennt der Mensch, daß sich der Geist im Kosmos in derselben Weise
objektiviert wie der Geist im Menschen, wenn er den Gedanken erzeugt, den erzeugten
Gedanken befruchtet und durch ihn die Tat gebären läßt. So schildert
Simon den kosmischen Vorgang
mit den Worten: »Zwei Sprößlinge gibt
es unter den Äonen, die weder Anfang noch Ende haben, aus einer Wurzel
stammend, welche ist Kraft, Schweigen, unsichtbar, umfaßbar; deren einer
erscheint von oben her, welcher ist die große Kraft, der Allgeist, alles
ordnend, männlich, der andere von unten her, der große Gedanke, weiblich,
alles gebärend. Von da einander entgegenarbeitend paaren sie sich und bringen
den mittleren Raum, die nicht wahrnehmbare Luft, in die Erscheinung, die weder
Anfang noch Ende hat. In ihr aber ist der Vater, der alles, was Anfang und Ende
hat, in Händen trägt und nährt. Das ist der, der da steht, stand
und stehen wird, eine mannweibliche Kraft.« Bei dieser Formgebung
und Symbolik kam Simon die griechische mythische
und philosophische Kosmogonie zu Hilfe. In ihr finden sich ebenfalls drei
Prinzipien, aus denen die
Welt besteht. Die älteste Vorstellung ist die vom
Vater Himmel und der Mutter Erde. Der Himmel läßt im Regen
seinen Samen in die Erde fließen, und sie gebiert aus ihm ihren Schmuck,
ihren Kosmos: Steine, Pflanzen, Tiere und Menschen. Am schönsten hat diesen
griechischen Urmythos Aischylos in dem
Danaidenfragment zum Ausdruck gebracht, wo er Aphrodite
sprechen läßt:
Es sehnt der keusche Himmel sich, zu umfahn die Erd‘.
Sehnsucht ergreift die Erde, sich zu vermählen ihm.
Vom schlummerstillen Himmel strömt des Regens Guß.
Die Erd‘ empfänget und gebiert den Sterblichen
Der Lämmer Grasung und Demeters milde Frucht;
Des Waldes blühenden Frühling läßt die regnende
Brautnacht erwachen: Alles das, es kommt von mir.
(Aischylos, Frgm. 44 Nauck)
Den alten eleusinischen Mysterienruf: »Hye,
Kye« — »Laß‘ regnen, Empfange« legt
der Neuplatoniker Proklos aus: »Die
Satzungen der Athener schrieben vor, die Feier der Hochzeit von Himmel und Erde
vorzubereiten, indem sie zu ihnen hinschauten; und im eleusinischen Heiligtum,
emporblickend zum Himmel, riefen sie >Laß‘
regnen!< und niederblickend zur Erde das Wort: >Empfange!<
Darin liegt die Erkenntnis, daß die Schöpfung aller Dinge
von einem Vater und einer Mutter ausgehe« (Proklos
in Plat. Tim 293C).
In der orphischen Weltentstehungsdichtung geht Himmel und Erde ein anderes Paar
voraus: Äther und
Chaos. Der
Äther befruchtet das Chaos. Es gebiert das große Weltei, das die
Keime aller Dinge in sich enthält. Das Ei zerplatzt in zwei Hälften;
die obere bildet den Himmel, die untere die Erde. Aus dem Weltei aber entspringt
als Drittes ein mannweibliches Gottwesen, das die beiden Teile zueinander treibt,
und nun bringen Himmel und Erde alles Übrige hervor. Die Beziehung
zu Simons drei Prinzipien, dem männlichen
Geist, dem weiblichen Gedanken, der eine
oben, der andere unten, und dem von ihnen im dazwischen
liegenden Luftraum erzeugten mannweiblichen Weltschöpfer
ist hier besonders deutlich.
Auch hinter Platons Timaios
steht dasselbe Schema, nur um eine weitere Stufe vergeistigt.
Da heißt es: »Wir müssen uns aber drei
Gattungen denken: das Werdende, das, worin es wird, und das, dem ähnlich
werdend das Werdende entsteht. Und es ziemt sich wohl, das Aufnehmende der Mutter,
das von wannen es herrührt, dem Vater, die zwischen ihm liegende Natur
aber dem Geborenen zu vergleichen«. Wieder anders wird derselbe
Gedanke von dem Theologen der platonischen Akademie, von
Xenokrates gewendet. So wie die Pythagoreier
sieht er als geistige Wesenheiten hinter den Dingen der Erscheinungswelt die
Zahlen, die für ihn nicht nur abstrakte Begriffe, sondern geistige und
als solche göttliche Kräfte, ja selbst Götter sind.
Die erste Zahl, aus der
die ganze Reihe hervorströmt, ist die Eins; und so steht die
Einheit an der Spitze des Geisterreiches. Diese Einheit ist der Weltgeist;
sie ist der Göttervater; sie heißt Zeus. Die
Einheit entläßt aus sich heraus die Zweiheit die ihr, dem Begrenzten,
als das Unbegrenzte gegenübersteht. Diese Zweiheit ist die
Weltseele; sie ist die Göttermutter, und
Xenokrates wird sie wohl ebenso wie der Pythagoreier
Philolaos mit dem Namen Rhea als Gattin des
Zeus bezeichnet haben. Der Weltgeist als das männliche Prinzip und
die Weltseele als das den Geist in sich
aufnehmende weibliche bringen als ihren Sohn den
Kosmos hervor.
Diesen Gottessohn nannte Xenokrates auch den unteren
Zeus im Unterschiede von dem Gottvater, dem oberen
Zeus. Damit ist die erste Triade vollendet: Weltgeist,
Weltseele, Weltkörper als Gottvater, Gottmutter und Gottsohn stellen das
Wesen des Kosmos dar, der, ebenso wie der Mensch, aus Geist, Seele und
Körper besteht. Auch das hellenistische Judentum
nimmt das Motiv auf und deutet es in den Schöpfungsbericht des Alten
Testamentes hinein. So heißt es bei Philon:
»Den Schöpfer also, der dies Weltall gemacht
hat, werden wir nun zugleich auch mit Recht den Vater des Geschaffenen nennen,
die Mutter aber die Weisheit des Schöpfers, mit der Gott sich vereinte
und in der er — nicht wie ein Mensch — das Geschöpf zeugte.
Sie aber empfing die Samen Gottes und gebar nach vollendeten Weben den einzigen
und geliebten, sinnlich wahrnehmbaren Sohn, diese unsere Welt, den Kosmos«.
So ist auch hier der Kosmos der Sohn Gottes. Er hat aber bei Philon
zwei Naturen: eine körperliche
und eine geistige.
Als Körper ist er die sinnlich wahrnehmbare Welt, als Geist der diese Welt
nach stoischer Lehre von innen her durchdringende und zusammenhaltende Logos,
der den äußerlich sichtbaren Kosmos »angezogen
hat wie ein Gewand«. Philon schreibt:
»Dieser Kosmos jedoch ist der jüngere Sohn
Gottes, da er sinnlich wahrnehmbar ist; denn den älteren, den er eine Idee
nannte — er ist nämlich geistig —, würdigte er des Erstgeburtsrechts
und beschloß, daß er bei ihm bleibe.« Dementsprechend
heißt es auch im Prolog des Johannesevangeliums:
»Im Anfang war der Logos, und der Logos war bei
Gott, und ein Gott war der Logos. Dieser war im Anfang bei Gott. Alles ist durch
ihn gemacht, und ohne ihn ist nichts gemacht, was gemacht ist«.
Diese Parallelen, die nur eine kleine Auswahl darstellen, genügen jedenfalls,
um zu zeigen, was sich einem Simon an vorhandenem
Material darbot, wenn er für seine dreifach entfaltete
Weltkraft in der Mythologie und Metaphysik eine Bestätigung suchte.
Streben wir aber danach, hinter der Außenseite der hin- und herspielenden
Beziehungen und der sich oft selbst widersprechenden Überlieferung der
Lehre Simons die innere Form seines Gedankengebäudes
zu finden, so entdecken wir bald, daß trotz aller Übereinstimmungen
ein wesentlicher Unterschied zwischen seiner Auffassung
der Dreieinigkeit von Gottvater, Gottmutter und Kosmos und der Metaphysik besteht,
die sich aus der Orphik über
Pythagoras, Platon und Xenokrates bis zu
Philon und zum Verfasser des Johannesevangeliums
in einer ziemlich klar erkennbaren Linie entwickelt hat. Stets liegt
diesen Weltentstehungstheorien der Gedanke zugrunde, daß der Kosmos
aus zwei Prinzipien entstand: dem Geist und der Materie. Immer findet
der Geist einen chaotischen Stoff vor, den er gestaltet
und zum Kosmos ordnet; und selbst, wenn bei Platon
die Materie zum bloßen Raume verflüchtigt wird, es bleibt
doch bei einem Dualismus,
einem von Anbeginn gegebenen Gegensatz
und Widerspruch
zwischen Geist und Körper.
Simon aber will — das lehren zum mindesten gerade die am wenigsten
zweifelhaften Teile der unsicheren Überlieferung — sichtlich gerade
den Dualismus überwinden. Er zwingt in seinem Kraftbegriff
die beiden Gegensätze Geist und Körper, zu einer Einheit zusammen.
Sein System ist monistisch.
Das einheitliche Wesen der Dynamis ist Feuer. Dieses Feuer aber hat ebenso wie
der Geist eine doppelte Natur, man möchte
sagen: eine natura naturans und eine natura
naturata, die eine sichtbar, die andere unsichtbar.
So sagt er: »Das Verborgene liegt verborgen in den
sichtbaren Teilen des Feuers, und das Sichtbare am Feuer ist durch das Verborgene
entstanden. Es handelt sich aber um das, was Aristoteles das der Möglichkeit
und das der Wirklichkeit nach Seiende oder Platon das geistig Wahrnehmbare und
das sinnlich Wahrnehmbare nennt. Und das Sichtbare am Feuer enthält alles
in sich, was man an Sichtbarem wahrnehmen oder auch, ohne es zu wissen, unbeachtet
lassen könnte, das Verborgene aber alles geistig Wahrnehmbare, was man
denken kann, und alles, was sich der sinnlichen Wahrnehmung entzieht oder auch
einem entgeht, wenn man nicht darüber nachdenkt.«
Das Dritte aber, das aus dem sichtbaren und dem unsichtbaren
Feuer geboren wird, ist die Luft oder das Pneuma, als Element und als mannweiblicher
Schöpfergott zugleich gedacht. Wie der Weltbaum mit Rinde, Zweigen,
Ästen und Blättern, so umgibt sich das
Pneuma mit dem Weltkörper. Das alles ist ein lebendiges Wachsen aus
einer lebendigen Substanz. Die parallele Lehre von der Entstehung des Menschen
zeigt, wie es gemeint ist. Hier verwandelt sich das Feuer in Blut, das Blut
beim Manne in Samen, bei der Frau in Milch. So gehen Zeugung und Nahrung des
Kindes aus ein und derselben Kraft hervor. Auch hier wird der Prozeß vom
Mikrokosmos auf den Makrokosmos übertragen. Die Sehnsucht
nach Zeugung ist ein »Entbrennen«,
und so wie aus diesem Feuer ein neues Menschenkind entsteht, so aus der
großen Kraft, wenn sie »entbrennt«,
die ganze als ein lebendes Wesen gedachte Welt. Der feurige
Geist aber kann die ganze Welt, in der er sich objektiviert hat, wieder
in sich zurücknehmen, dadurch daß er sie in sich selbst auflöst
und verbrennt. Das ist möglich, da die große Kraft unbegrenzt ist
und sich nur zum Teil verkörpert hat. Außerhalb der Welt ist sie
in Reinheit vorhanden. Von hier aus wird der zündende
Funke in die Welt dadurch hineingetragen, daß sich die große
Gotteskraft in einem Menschen, in Simon selbst,
verkörpert. Und so predigt Simon auch den
kommenden Weltbrand, den er selbst entfachen
wird, damit die Welt und die Menschheit wieder zu ihrem Ursprung
zurückkehren können, nachdem alles Körperliche durch das
reinigende göttliche Feuer weggebrannt wurde.
Das ist ein in sich geschlossenes Kräftespiel.
Aus Einem geht Alles hervor, und Alles löst sich wieder in das
Eine auf.
Es handelt sich um einen Kreislauf, der sich innerhalb
der »großen Kraft« vollzieht,
die sich entfaltet, indem sie sich mit sich selbst entzweit,
und die sich selbst wieder in ihrem ursprünglichen
Wesen herstellt, indem sie die aus ihr entsprungenen Gegensätze
aufhebt. Wir beobachten das ständige »Umschlagen«
der Begriffe in ihr Gegenteil:
Aus dem unsichtbaren Feuer wird das sichtbare, das sichtbare
Feuer löst sich wieder auf in das unsichtbare.
Das Geistige wird zum Sinnlichen, das Sinnliche wird am Weltende zum Geistigen
rein gebrannt.
Aus Geist wird Körper, aus dem Körper wird wieder Geist.
Aus dem Ewigen wird das Zeitliche, aus dem Zeitlichen wieder das Ewige.
Aus Gott wird der Kosmos, aus dem Kosmos wieder der Gott.
Das Gute wird zur bösen Welt, die böse Welt wird gerichtet und löst
sich in das Gute wieder auf.
Das Eine wird Vieles, und das Viele wird wieder Eins.
Das ist in der Sprache der deutschen Mystiker »der
Fluß verflossen in sich selber«. Das ist der Gedanke, den
Hegel in seiner Logik mit den Worten ausdrückt:
»So ist das Unendliche das Werden zum Endlichen,
und umgekehrt das Endliche das Werden zum Unendlichen.« …
Eins ist das All, und Alles ist Eins, später symbolisch dargestellt unter
dem Bilde der Schlange, die sich in den Schwanz beißt.
Heraklit hat aus diesem Motiv eine philosophische
Metaphysik gestaltet. Sein Logos entspricht dem
innersten Wesen nach der Dynamis des Simon.
Auch er ist das Feuer, aus dem sich die Welt in Gegensätzen
entwickelt. So heißt es bei ihm: »Umsatz findet
wechselweise statt des Alls gegen das Feuer und des Feuers gegen das All, wie
des Goldes gegen Waren und der Waren gegen Gold. — Für die Seelen
ist es Tod zu Wasser zu werden, für das Wasser Tod zur Erde zu werden.
Aus der Erde wird Wasser, aus Wasser Seele«. Auch er zwingt die Gegensätze
zueinander: »Und es ist immer ein und dasselbe, was in uns wohnt: Lebendes
und Totes und das Wache und das Schlafende und jung und alt. Wenn es umschlägt,
ist dieses jenes und jenes wiederum, wenn es umschlägt, dieses«.
Und wenn Simon sagt: »Diese
Kraft ist eine, sich scheidend nach oben und unten, sich selbst zeugend, sich
selbst mehrend, sich selbst suchend, sich selbst findend, ihre eigene Mutter,
ihr eigener Vater, ihr eigener Bruder, ihr eigener Gemahl, ihre eigene Tochter,
ihr eigener Sohn, Mutter-Vater, Eins, Wurzel des Alls«, so heißt
es bei Heraklit: »Gott
ist Tag Nacht, Winter Sommer, Krieg Frieden, Überfluß und Hunger.
Er wandelt sich aber wie das Feuer, das, wenn es mit Räucherwerk vermengt
wird, nach dem Duft, den ein jegliches ausströmt, benannt wird«.
Wenn Simon davor warnt, dass wir nicht mit dem
Kosmos gerichtet werden, wenn der Weltbrand kommt,
und Celsus seinen Propheten sagen läßt:
»Selig, der mich jetzt anbetete, auf die andern
alle werde ich ewiges Feuer werfen, auf Städte und Länder«,
so heißt es von Heraklit:
»Er sagt aber auch, es finde ein Gericht
der Welt und alles dessen, was drinnen ist, durch Feuer statt, in folgendem:
das Weltall aber steuert der Blitz: das heißt: er lenkt es. Unter Blitz
versteht er nämlich das ewige Feuer. Er sagt auch, dieses Feuer sei vernunftbegabt
und Ursache der ganzen Weltregierung. Er nennt es aber Mangel und Überfluß.
Mangel ist nach ihm die Weltbildung, dagegen der Weltbrand Überfluß.
Denn alles, sagt er, wird das Feuer, das heranrücken wird, richten und
verdammen«.
Durch diese Geistesverwandtschaft mit Heraklit, die
sich sowohl auf die Denktechnik wie auch auf die Auffassung des Weltwerdens
als der Auswirkung einer einzigen Kraft bezieht,
rückt Simon weit ab von dem Dualismus
der Platoniker, aber auch ebenso weit von allen
orientalischen dualistischen Religionssystemen, insbesondere vom Parsismus mit
seinen von Anbeginn vorhandenen Gegensätzen
Licht und Finsternis, Gut
und Böse, Ahuramazda
und Ahriman trotz der Fülle von Beziehungen, die sich herstellen lassen,
wenn man die einzelnen, sich entsprechenden Bestandteile allein ins Auge faßt,
ohne darauf zu achten, wie dieses vorhandene Material von innen heraus zu einer
neuen Einheit zusammengefügt wurde. Nicht die Zerspaltung
der Welt in zwei sich bekämpfende, unversöhnliche Kräfte, sondern
die Überwindung der Gegensätze, die Coincidentia
oppositorum, durch das Mittel einer eigentümlichen Denktechnik und
eines eigenartigen metaphysischen Kraftbegriffs ist Ursprung
und zugleich letztes Ziel der Philosophie, aus der Simons
phantastisch ausgestaltete Weltsymbolik erwuchs. Sein Denken und seine ganze
Religiosität standen vor allem in hartem Gegensatz
im Judentum seiner Zeit und zur
jüdischen Richtung innerhalb des Urchristentums.
Drei schwere Vorwürfe sind die ihm von dieser Seite aus gemacht
werden, und im derentwillen er als Erzketzer gilt:
Die Selbstvergottung, der mit Helene
getriebene Kult und die Lehre vom bösen Weltschöpfer. Alle drei sind
nur aus dem Geiste des Griechentums heraus zu verstehen.
Daß Simon sich selbst als die große
Kraft ausgibt, nicht nur als ihren Gesandten oder Propheten, läßt
sich nur auf Grund des griechischen Geistbegriffs erklären. Nach jüdischer
Vorstellung hat Gott einen heiligen Geist,
den er über seine Propheten kommen läßt, die nun von ihm getrieben
werden, ohne aber Gott selbst in sich aufzunehmen, geschweige denn Gott
zu werden.
Der Gott der griechischen Propheten aber ist selbst ein Geist, ein Pneuma
von feuriger Natur, das nicht über den Menschen kommt, sondern in
ihn eingeht. In der Ekstase
verläßt die menschliche Seele
den Körper, um dem göttlichen
Pneuma Platz zu machen, das nun an die Stelle der Seele tritt, den
Menschen ganz erfüllt, ihn von innen her umwandelt und zum Gotte
macht. Wenn Paulus sagt: »Ich
lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt
in mir«(Gal. 2, 20), so kann er
dies nur aus der griechischen Vorstellung vom Geiste Gottes
heraus meinen. Christus ist für ihn
ein Pneuma. Er sagt selbst: »Der
Herr ist der Geist« (2. Kor. 3,17),
und so lebt er selbst gar nicht mehr, Christus lebt in ihm, spricht aus ihm,
ist er selbst geworden. Das ist der Sinn, in dem sich auch Simon
als die große Kraft Gottes
fühlt, ein religiöses Gefühl, das den Juden
unverständlich war, da sie es mit ihrer religiösen Vorstellungsart
nicht in Verbindung bringen konnten, ohne eine
Gotteslästerung zu begehen.
Innerhalb des Griechentums aber stand neben diesem Typus des Propheten
von vornherein der der Prophetin, ja wahrscheinlich war er sogar der ursprünglichere.
Der erste Sturm der Mystik,
der mit dem Dionysoskult und seinen Mainaden über Griechenland dahinbrauste,
war eine religiöse Frauenbewegung, die um
so erstaunlicher ist, je enger wir uns die bürgerliche Beschränkung
der Frau und ihre Gebundenheit an das Haus und die Familie zu denken haben.
Die an diesen Kult sich anschließende enthusiastische
Mantik wurde ausgeübt von Pythien, Kassandren
und Sibyllen, die vom göttlichen Pneuma befruchtet
mit »rasendem Munde«,
ohne ihrer eigenen Sinne mächtig zu sein,
ihre Prophezeiungen ausstießen. In
allen Mysterien kam der Frau
eine führende Rolle zu. Die Gattin
des Archon Basileus in Athen wurde dem Dionysos
vermählt. Der Priesterberuf war der einzige, der den Frauen zu allen Zeiten
offen stand. In der mystisch-philosophischen Spekulation treten die aus dem
Geschlechtsleben der Frau genommenen Bilder und gerade die weiblichen
Hypostasen in reichster Fülle hervor. Auch noch das von Paulus
im ersten Briefe an die Korinther geschilderte Leben und Treiben einer hellenistischen
Christengemeinde bietet eine Bestätigung für das Auftreten der griechischen
Frau überall da, wo es sich um Ekstase und Mystik
handelt. So ist die Rolle, die Helene in der Simonlegende
spielt, von hier aus wohl zu verstehen, während sie dem
Juden durchaus anstößig erscheinen
mußte; denn hier hatte die Frau in der Religion
und Religionsübung so gut wie nichts zu sagen; sie war zeitweise unrein,
und gar Priesterin konnte sie niemals werden.
Das Motiv des bösen Weltschöpfers endlich
ist aus keiner Mythologie, sondern nur aus der ganzen Struktur des simonianischen
Systems und aus der sich hier auswirkenden eigentümlichen Denktechnik,
der sich in Gegensätzen bewegenden
Dialektik, ganz zu verstehen. Zunächst ist immer daran zu denken, daß
der böse Weltschöpfer und die böse Welt
eine untrennbare Einheit bilden; der Weltschöpfer
ist nur die geistige Seite des Weltkörpers.
Aus dem guten Gott geht eine
böse Welt hervor, und die böse Welt entwickelt sich zum guten
Gott zurück. In diesem Kreislauf des
Werdens und unter
dem Zwange der Dialektik,
die von gut zu böse
und von böse zu gut fortschreiten muß, ist die Setzung des
bösen Weltgottes eine Denknotwendigkeit.
Daß dann dieser auf dem Wege des Denkens erschlossene böse
Gott mit dem jüdischen Jahwe, mit dem
Diabolos oder gar mit dem Satanas in der weiteren
Entwicklung der Gnosis gleichgesetzt wurde, ist
erst das Zweite und bedeutet nichts als die Verankerung eines im ganzen konzipierten
Systems in dem Material, das die vorhandenen Religionen und Mythologien boten.
S.60ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 32, Hans Leisegang,
Die Gnosis ©1985 by Alfred Kröner Verlag in Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart