Simon Magus (15 v. Chr. – 53 n. Chr.)

Jüdischer vorchristlicher Patriarch, der als der »Erzketzer« der gnostischen Häresie gilt. Simon Magus war der - in Samaria geborene und in Alexandria erzogene - Sohn eines jüdischen Zauberers. Er war Schüler des arabischen Mystagogen Dositheus, der ein Anhänger von Johannes dem Täufer gewesen sein soll. Simon soll sich als Messias ausgegeben und behauptet haben, dass sein Geist ewig währe. Nach Apostelgeschichte 8, 9ff. ließ sich Simon Magus vom Diakon Philippus taufen, weil er erfahren wollte, wie dieser seine Wunder bewirkte. Er bot den Aposteln Petrus und Johannes vergebens Geld an, um von ihnen die Gabe der Geistmitteilung zu erlangen (daher das Wort Simonie).

Siehe auch Wikipedia

Inhaltsverzeichnis
Ursprung der häretischen Gnosis
Der falsche Apostel
Das gnostische Evangelium des Simon
Das sagenhaft schauerliche Ende des Simon
Die unbegrenzte Kraft

Ursprung der häretischen Gnosis
Die christlichen Ketzerbekämpfer führen fast übereinstimmend den Ursprung der häretischen Gnosis auf den Magier Simon zurück, von dem es im achten Kapitel der Apostelgeschichte des Lukas heißt: »Philippus aber kam hinab in eine Stadt in Samarien und predigte ihnen von Christo. Das Volk aber hörte einmütig und fleißig zu, was Philippus sagte, und sah die Zeichen, die er tat. Denn die unsauberen Geister fuhren aus vielen Besessenen mit großem Geschrei; auch viel Gichtbrüchige und Lahme wurden gesund gemacht. Und es ward eine große Freude in derselben Stadt. Es war aber ein Mann mit Namen Simon, der zuvor in der Stadt Zauberei trieb und bezauberte das samaritische Volk und gab vor, er wäre etwas Großes. Und sie sahen alle auf ihn, beide, klein und groß, und sprachen: Der ist die Kraft Gottes, die da groß ist. Sie sahen aber darum auf ihn, daß er sie lange Zeit mit seiner Zauberei bezaubert harte. Da sie aber den Predigten des Philippus glaubten von dem Reich Gottes und von dem Namen Jesu Christi, ließen sich taufen Männer und Weiber. Da ward auch Simon gläubig und ließ sich taufen und hielt sich zu Philippus. Und als er sah die Zeichen und Taten, die da geschahen, verwunderte er sich. Da aber die Apostel hörten zu Jerusalem, daß Samarien das Wort Gottes angenommen hatte, sandten sie zu ihnen Petrus und Johannes, welche, da sie hinabkamen, beteten über sie, daß sie den heiligen Geist empfingen. Denn er war noch auf keinen gefallen, sondern sie waren allein getauft auf den Namen Christi Jesu. Da legten sie die Hände auf sie, und sie empfingen den heiligen Geist. Da aber Simon sah, daß der heilige Geist gegeben ward, wenn die Apostel die Hände auflegten, bot er ihnen Geld an und sprach: Gebt mir auch die Macht, daß, so ich jemand die Hände auflege, derselbe den heiligen Geist empfange. Petrus aber sprach zu ihm: Daß du verdammt werdest mit deinem Gelde, darum daß du meinst, Gottes Gabe werde durch Geld erlangt! Du wirst weder Teil noch Anfall haben an diesem Wort; denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott. Darum tue Buße für diese deine Bosheit und bitte Gott, ob dir vergeben werden möchte die Tücke deines Herzens. Denn ich sehe, daß du bist voll bitterer Galle und verknüpft mit Ungerechtigkeit. Da antwortete Simon und sprach: Bittet ihr den Herrn für mich, daß der keines über mich komme, davon ihr gesagt habt. Sie aber, da sie bezeugt und geredet hatten das Wort des Herrn, wandten sich wieder um gen Jerusalem und predigten das Evangelium vielen samaritischen Flecken« —

Aus diesem Bericht dürfen wir zunächst entnehmen, daß schon die ersten Apostel des Christentums in Samaria auf eine religiöse Bewegung trafen, die sich an den Namen eines Simon knüpfte, der für die »sogenannte große Kraft Gottes« gehalten wurde. Was Lukas unter der großen Kraft Gottes verstand, können wir aus seinem Evangelium entnehmen, wo er im ersten Kapitel den Engel zu Maria sprechen läßt: »Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.«

Die Kraft Gottes ist nichts anderes als der unmittelbar von Gott ausgehende heilige Geist. Simon wird selbst für diesen heiligen Geist gehalten, und so wird er zum Rivalen der Apostel, die ebenfalls den heiligen Geist besitzen und durch ihn Wunder tun. Wir erfahren aus der Apostelgeschichte ferner, daß Simon selbst sich taufen ließ und mit seinen Anhängern zum Christentum überging. Dann aber entdecken die Apostel, daß seine Gesinnung eine andere als die ihre sei. Simon aber legt nach wie vor Wert darauf, ein Christ zu sein und zu bleiben. So spiegelt dieser Bericht im kleinen die Geschichte der häretischen Gnosis wider. Sie war eher da als das Christentum; sie wurde christlich; die Christen stießen sie zurück; sie wollte aber dennoch christlich bleiben und für christlich gehalten werden.

Der falsche Apostel
Verfolgen wir nun die Gestalt des Simon in der urchristlichen Literatur weiter, so finden wir ihn zunächst in den dem Clemens fälschlich zugeschriebenen Recognitionen und Homilien‘ als den falschen Apostel, der seine Lehre über die ganze Welt bis nach Rom trägt und hinter dem Petrus herzieht, um seine Irrlehre durch das Evangelium zu widerlegen. Hier erfahren wir auch etwas von seinem Lebenslauf. Er stammte aus Getthon in der Landschaft Samaria und war der Sohn des Antonius und der Rahel. Nach der Darstellung der Homilien begibt er sich nach Alexandreia, um hier zu studieren und sich dann der Magie zu ergeben. Durch die Erwähnung des Studiums in Alexandreia, dem Zentrum der griechischen Wissenschaft und Philosophie in jener Zeit, soll gewiß der Zusammenhang seiner Lehre mit der griechischen Weisheit betont werden, vielleicht auch mit der hellenistisch jüdischen Wissenschaft, wie sie gerade damals Philon in der ägyptischen Hauptstadt betrieb. Wir werden noch hören, daß auch Simon das Alte Testament allegorisch auslegte. Nach den Angaben der Recognitionen trat er in Samaria in die Schule des Dositheos ein, der hier nach der Ermordung Johannes des Täufers eine Sekte gegründet hatte. Dreißig Schüler und eine Frau, die Luna oder Helene genannt wurde, bildeten den Kern seiner Gemeinde. Die Schüler entsprachen den dreißig Tagen des Monats, Helene stellte den Mond, Selene, dar. Dositheos selbst bezeichnete sich als Hestos, den Stillstehenden.

Das gnostische Evangelium des Simon
Der Ausdruck Hestos ist besonders aus Philon bekannt. Unter ihm versteht Philon Gott selbst den ewig Stillstehenden. Er hat diesem Motiv eine besondere Schrift mit dem Titel »Über die Unveränderlichkeit Gottes« gewidmet. Jeder, der sich dem ewig stillstehenden Gotte nähern will, muß nach Philons Lehre selbst ein Stillstehender, ein Hestos, werden. Das liest er aus seinem Septuagintatext heraus. So heißt es von Abraham: »Es war ein Hestos, ein Stillstehender, gegenüber dem Herrn« (1 Mos. 18, 22), und von Moses: »Du aber stehe neben mir selbst« (5 Mos. 5, 31). Wir dürfen wohl annehmen, daß die Bezeichnung des Dositheos als Hestos auch nichts anderes bedeuten sollte. Er wird nun von seinem Schüler Simon aus der Würde des Hestos verdrängt; auch Helene wird von Simon in Besitz genommen. Er verkündet sich selbst als die höchste Gotteskraft, die noch über den Weltschöpfer erhaben ist, Helene aber als die aus den oberen Himmeln herabgeführte Weisheit, die Mutter des Alls.

Wir sehen, wie hier das alte Schema: Vatergott und Muttergottheit, die zusammen das Weltall oder dessen Schöpfer zeugen, klar hervortritt. Simon trifft dann im siebenten Jahre nach Jesu Tode mit Petrus in Kaisareia zusammen, um mit ihm ein drei Tage lang dauerndes Streitgespräch abzuhalten. Er bekämpft die Lehre des Alten Testamentes, nach der der Weltschöpfer der einzige und höchste Gott ist. Viele Götter gibt es; über ihnen aber einen, den unbegreiflichen und unbekannten, den Gott der Götter. Sein Wesen ist Güte. So lehrten es ja auch die Platoniker, die hier aber nicht erwähnt werden; vielmehr führt Simon seinen Beweis von der Güte Gottes aus dem Gesetz und den Worten Jesu; doch sollen Moses und Jesus selbst diese Erkenntnis noch nicht gehabt haben. Der Gott des Alten Testamentes aber ist nicht der Gott der Güte, sondern der Gott der Gerechtigkeit. Er ist ein böser Gott. Aus seiner Schöpfung geht die Unvollkommenheit dieses ihres Schöpfers hervor. Er wurde einst von dem guten Gott ausgesandt, um die Welt zu erschaffen, gab sich dann aber selbst für den höchsten Gott aus. Unter der Herrschaft dieses bösen Gottes haben die Menschen zu leiden. Ihre Seelen stammen von dem unbekannten guten Gotte. Sie wurden gefangen herabgeführt in diese Welt. Gebannt in den menschlichen Körper leidet die Seele: »Finsterer nämlich als alle Finsternisse und schlimmer als aller Schmutz ist dieser unser Körper, von dem die Seele umschlossen wird«. Nur die Erkenntnis des guten Gottes und seiner Weisheit kann die Menschen erlösen. In Simon und Helene hat sich der unbekannte Gott mit seiner Weisheit offenbart: das ist das gnostische Evangelium, das Simon über die Erde trägt.

Weiteres erfahren wir aus der Apologie des Justinus. Dort heißt es: »Der Samarer Simon stammte aus dem Flecken Gitton. Unter Kaiser Claudius führte er durch die Kunst tätiger Dämonen magische Wirkungen aus, wurde in eurer Kaiserstadt Rom für einen Gott gehalten und von euch durch eine Statue wie ein Gott geehrt. Die Statue aber wurde am Tiberfluß zwischen den beiden Brücken aufgestellt und trug folgende lateinische Inschrift: Simoni Deo Sancto. Und fast alle Samarer, aber auch einige aus anderen Völkern, halten ihn für den ersten Gott und beten ihn an. Und eine gewisse Helene, die zu jener Zeit mit ihm umherreiste und vorher in einem Bordell untergebracht war, nennen sie die unter ihm stehende erste Ennoia. Ein gewisser Menander aber, der auch aus Samaria stammte, und zwar aus dem Flecken Kapparetea, wurde der Schüler des Simon. Auch er wurde von den Dämonen getrieben, und wir wissen, daß er bei seinem Aufenthalt in Antiocheia viele durch seine magische Kunst betrag. Er überzeugte die, die ihm nachfolgten, davon, daß sie nicht sterben würden. Und noch jetzt gibt es Menschen, die das von ihm erzählen«.

Irenaeus
geht von dem Bericht der Apostelgeschichte aus, läßt aber bezeichnenderweise die Bitte Simons, die Apostel möchten für ihn beten, fort. Zu dem uns schon Bekannten lernen wir hier dazu, daß Simon sich bei den Juden als Erscheinung des Gottessohnes, in Samaria als vom Himmel herabgestiegenen Vater, bei den übrigen Völkern als das Kommen des heiligen Geistes eingeführt haben soll. Er ließ sich nennen, wie die Menschen es wünschten. Hieraus darf man wohl schließen, daß die Gnostiker dieselbe Missionsmethode verfolgten, die Paulus übte, wenn er sich den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche zu sein bemühte.

Das gnostische Begriffsschema wurde mit den jeweils im Zentrum des religiösen Interesses stehenden Namen göttlicher Personen gefüllt. Besondere Aufmerksamkeit widmet Irenaeus der Helene, die er nicht aus der Schule des Dositheos, sondern aus einem Bordell in Tyros stammen läßt: »Sie ist der erste Gedanke des Gottesgeistes, die Allmutter; durch sie beschloß der Gottesgeist zuerst Engel und Erzengel zu schaffen. Sie ist nämlich die Ennoia, die aus ihm hervorsprang. Als sie den Willen des Vaters erkannte, ist sie in die unteren Regionen hinabgestiegen und hat die Engel und Gewalten erschaffen, von denen, wie er sagt, diese Welt geschaffen ist. Nachdem sie aber diese hervorgebracht hatte, ist sie von ihnen selbst aus Neid festgehalten worden. Gott selbst nämlich ist ihnen gänzlich unbekannt geblieben, nur seine Ennoia ist von denen zurückgehalten worden, die als Gewalten und Engel von ihr ausgeschickt wurden, und jede Schmach hat sie von ihnen erduldet, damit sie nicht wieder hinauf zu ihrem Vater zurückkehrte, und so weit ist sie gesunken, daß sie sogar in einen menschlichen Körper eingeschlossen wurde und Jahrhunderte hindurch wie von einem Gefäß in ein anderes in immer wieder andere weibliche Körper wanderte« (Irenaeus I 27, 1-4).

So wurde sie auch die Helene, um derentwillen der trojanische Krieg entbrannte, und schließlich ist sie durch viele Inkarnationen von Stufe zu Stufe sinkend bis in das Bordell zu Tyros gelangt. Sie ist das verlorene Schaf, das jetzt vom Urvater erlöst werden soll. Er stieg durch alle Himmel herab, indem er nacheinander die Gestalten der Herrschaften, Gewalten und Engel annahm, ohne von ihnen bemerkt zu werden, und wurde scheinbar ein Mensch im Körper des Simon, um die Erlösung zu vollziehen, die Macht der Engel und Gewalten zu brechen, die Welt aufzulösen und die Menschenseelen zu befreien. Mit dem Hinweis auf das ausschweifende Leben und die Zauberkünste der simonianischen Priester und der Bemerkung, daß Simon auch als Zeus, Helene als Athene von ihnen verehrt würden, schließt die Erzählung des Irenaeus, die Epiphanios in direkter Rede aus Simons Munde bringt: »In jedem Himmel nahm ich andere Gestalt an, je nach der Gestalt der Wesen in jedem Himmel, damit ich verborgen bliebe den Engelkräften und herabkäme zur Ennoia, welche dieselbe ist, die auch Prunikos und heiliger Geist genannt wird, durch die ich die Engel geschaffen habe, die Engel aber den Kosmos und den Menschen schufen«.

Das sagenhaft schauerliche Ende des Simon
Bei Tertullian und in den Apostelakten finden sich nur wenige unwesentliche Einzelheiten, die über dieses Material hinausgehen. Mit besonderer Liebe malen die Christen das schauerliche Ende des Simon aus. Sie lassen ihn, unter einer Platane sitzend, mit den Aposteln disputieren. Er behauptet, wenn man ihn an dieser Stelle eingrabe, werde er wieder auferstehen. Dies geschieht, und er stirbt bei diesem Experiment. Oder er rühmt sich, durch den Besitz des heiligen Gottesnamens die Kraft zu haben, in den Himmel zu fliegen. Er hebt sich in die Luft empor, das Gebet der Apostel aber bewirkt, daß er herabfällt und in vier Stücke zerbricht.

Die unbegrenzte Kraft
Schließlich hat uns Hippolytos Auszüge aus einer dem Simon zugeschriebenen »Großen Verkündigung« überliefert, einer Schrift, die in den Grundzügen wohl wirklich auf Simon selbst zurückzuführen ist, aber wahrscheinlich von seinen Schülern mehrere Zusätze und Überarbeitungen erhielt. Wir geben das, was Hippolyt über dieses wichtige Dokument der Gnosis zu sagen hat, fast vollständig in wörtlicher Übersetzung wieder und fügen in Klammern einige Erklärungen des Sinnes hinzu: Simon lehrt , daß es eine unbegrenzte Kraft (Dynamis) gebe, und nennt sie den Ursprung des Alls, indem er folgendes spricht: »Diese Schrift, einer Verkündigung einer Stimme und eines Namens stammt aus dem Ratschluß der großen unbegrenzten Kraft. Deshalb soll sie versiegelt sein, verborgen, verhüllt, niedergelegt in der Behausung, wo die Wurzel des Alls gegründet ist«. Die Behausung aber, sagt er, sei dieser unser aus Blut gezeugter Mensch, und es wohne in ihm die unbegrenzte Kraft, die er die Wurzel des Alls nennt. Es ist aber die unbegrenzte Kraft, nämlich das Feuer, nach Simons Lehre nichts Einfaches, wie die meisten Menschen von den vier Elementen sagen, sie seien einfach, und das Feuer für einfach gehalten haben, sondern das Feuer habe gewissermaßen eine doppelte Natur, und an dieser doppelten Natur nennt er das eine etwas Verborgenes, das andere etwas Sichtbares.

Das Verborgene aber liege verborgen in den sichtbaren Teilen des Feuers, und das Sichtbare am Feuer sei durch das Verborgene entstanden. Es handelt sich aber um das, was Aristoteles das der Möglichkeit und das der Wirklichkeit nach Seiende oder Platon das geistig Wahrnehmbare und das sinnlich Wahrnehmbare nennt. Und das Sichtbare am Feuer enthält alles in sich, was man an Sichtbarem wahrnehmen oder auch, ohne es zu wissen, unbeachtet lassen könnte, das Verborgene aber alles geistig Wahrnehmbare, was man denken kann, und alles, was sich der sinnlichen Wahrnehmung entzieht oder auch einem entgeht, wenn man nicht darüber nachdenkt. Überhaupt muß man sagen, die Schatzkammer aller sinnlich und geistig wahrnehmbaren Dinge, die Simon die verborgenen und die sichtbaren Dinge nennt, ist das überhimmlische Feuer, gleichsam ein großer Baum wie der, der im Traume von Nebukadnezar gesehen wurde, aus dem alles Fleisch gespeist wird.

Und das Sichtbare am Feuer, meint er, sei der Stamm, die Zweige, die Blätter, die ihn von außen umgebende Rinde. Alle diese Teile des großen Baumes, sagt er, werden vernichtet, erfaßt von der alles verzehrenden Flamme des Feuers. Die Frucht des Baumes aber (die Seele des Menschen) wird, wenn sie zum reinen Bilde geworden ist und ihre eigene Gestalt abgelegt hat, in die Scheuer gebracht, nicht in das Feuer. (Zum Bilde werden heißt göttlich werden nach 1 Mos. 1, 27: »Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde.« Da die Gottähnlichkeit des Menschen aber in dem Pneuma besteht, das Gott ihm bei der Schöpfung einhauchte, heißt »zum Bilde werden«, ferner soviel wie pneumatisch werden, was dann geschieht, wenn der Mensch die irdische Hülle der Körperlichkeit abgeworfen hat.) Es ist nämlich, sagt er, die Frucht entstanden, damit sie in die Scheuer gebracht werde, die Spreu aber, damit sie dem Feuer übergeben werde (Mt. 3, 12 = Luk, 3, 17), worunter der Stamm zu verstehen ist, der nicht um seiner selbst, sondern um der Frucht willen entstanden ist.

Das ist es auch, sagt er, was in der Schrift geschrieben steht: »Denn der Weinberg des Herrn Sabaoth ist ein Haus Israels, und der Mensch Juda‘s eine geliebte Neupflanzung« (Jes. 5, 7 nach der Setuaginta). Wenn aber der Mensch Juda‘s eine geliebte Neupflanzung ist, so wird, sagt er, dadurch gezeigt, daß das Holz nichts anderes ist als der Mensch. Doch über seine Aussonderung und Absonderung, sagt er, hat die Schrift genug gesprochen, und zur Belehrung genügt den zum Bilde Gewordenen der Spruch: »Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Fleisches wie des Grases Blume. Das Gras ist verwelkt und seine Blume abgefallen; aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit« (Jes. 40, 6. 7 und 1 Petr. 1, 24). Das Wort aber, sagt er, ist das im Munde des Herrn erzeugte Wort und der Logos; wo anders aber gibt es keine Stätte der Schöpfung. (Daß der Logos der Ort oder Raum ist, in dem die Welt ruht, weil er alles umfaßt und durchdringt, ist ein Gedanke, der sich auch bei Philon findet.) — — —

Von allen Teilen des Feuers nämlich, den
sichtbaren und den unsichtbaren, nahm er an, daß sie »Bewußtsein und Anteil am Denken« (Empedokles, Diels 21 B 110, 10) haben. Es wurde nun der gewordene Kosmos aus dem ungewordenen Feuer. Er fing aber an, sagt er, auf folgende Art zu werden: sechs Wurzeln des Ursprungs der Schöpfung nahm der gewordene Kosmos aus dem Ursprung jenes Feuers. Es gingen aber die Wurzeln zu Paaren aus dem Feuer hervor. Diese Wurzeln nennt er Geist und Gedanke, Stimme und Name, Verstand und Überlegung. (Nous und Epinoia, Phone und Onoma, Logismos und Enthymesis; es handelt sich bei diesen Begriffspaaren immer um eine Funktion des Bewußtseins und um das, was durch diese Funktion geschieht: durch den Geist wird gedacht, durch die Stimme werden Namen ausgesprochen, durch den Verstand werden Überlegungen angestellt.)

Es ist aber in diesen sechs Wurzeln die ganze unbegrenzte Kraft zugleich der Möglichkeit, nicht der Wirklichkeit nach. Diese unbegrenzte Kraft nennt er den, der da steht, stand und stehen wird. Wenn er, der sich in den sechs Kräften befindet, zum Bilde geworden ist, wird er dem Wesen, der Kraft, der Größe und Vollendung nach ein und dieselbe Kraft sein wie die ungewordene und unbegrenzte Kraft. Wenn er aber nur der Möglichkeit nach in den sechs Kräften bleibt und nicht zum Bilde wird, wird er vertilgt und geht verloren, so wie die grammatische oder geometrische Kraft in der Menschenseele. Denn wenn die Kraft die Kunst hinzunimmt, wird sie zu einem Licht der werdenden Dinge, tut sie es aber nicht, so ist sie Unwissenheit und Finsternis, und so, als ob sie gar nicht dagewesen wäre, geht sie mit dem sterbenden Menschen zugrunde. (Gemeint ist: Durch das göttliche Pneuma, das der Mensch in sich trägt und durch das er zum Bilde Gottes geschaffen wurde, besitzt der Mensch geistige Fähigkeiten, die der Möglichkeit nach in ihm liegen, etwa Begabung für Grammatik oder Geometrie. Diese Anlagen kann der Mensch entwickeln, er kann sie aber auch verkümmern lassen. Entwickelt er die geistigen Fähigkeiten, so werden sie zu pneumatischen Wesenheiten, die unvergänglich sind und in ihrer Gesamtheit den pneumatischen Menschen ausmachen. Dieser löst sich von der Körperlichkeit und ist dann in Wirklichkeit ein Ebenbild Gottes geworden, das weiterlebt, während der Körper vernichtet wird. Hat der Mensch diese Entwicklung der pneumatischen Anlagen in sich nicht vollzogen, so gehen diese Anlagen mit dem Körper zugrunde. Was aber vom Menschen gilt, das gilt ebenso vom ganzen Kosmos, der nach Platons im Timaios entwickelter Lehre ebenfalls ein Abbild Gottes ist. Auch die ganze Welt muß sich vom Körperlichen zum Geistigen entwickeln. Was an der Welt göttlich ist, bleibt erhalten, was körperlich ist, geht im Weltbrand in Feuer auf. Da aber das Feuer zugleich die Gotteskraft ist, so bedeutet die Verbrennung der Welt zugleich ihre restlose Auflösung in die Gottheit. Schon im orphischen Mythos hatte das Feuer diese reinigende und vergöttlichende Kraft: Jede Nacht hält Demeter das ihr anvertraute Kind der Baubo ins Feuer, um sein sterbliches Wesen wegzubrennen und es göttlich zu machen. Heraklit und die Stoiker lassen dann den ganzen Kosmos aus Feuer entstehen und sich nach Ablauf einer Weltperiode wieder in Feuer auflösen.)

Von diesen sechs Kräften aber und der siebenten, die mit den sechs zugleich da ist, nennt er das erste Paar: Geist und Denken, Himmel und Erde. Und der männliche Geist blickt von oben herab und sorgt für die Gattin, die Erde aber empfängt unten die vom Himmel herabgefallenen geistigen, der Erde verwandten Früchte. Deshalb, sagt er, schaut der Logos oft zu den aus Geist und Denken, das heißt: aus Himmel und Erde Geborenen hin und spricht: »Höre, Himmel, und lausche, Erde, daß der Herr spricht: Ich habe Söhne gezeugt und erhoben; sie aber sind von mir abgefallen« (Jes. 1, 2).

Der aber dies spricht, sagt er, ist die siebente Kraft, er, der da steht, stand und stehen wird; denn er selbst (der Logos als Weltschöpfer) ist Urheber dieser Güter, die Moses pries und von denen er gar Schönes sagte. Die Stimme und der Name aber sind (bei Moses) Sonne und Mond, der Verstand und die Überlegung aber Luft und Wasser. In diesen allen aber findet sich eingemengt und gemischt, wie ich sagte, die große Kraft, die unbegrenzte, der Stehende. (Das Ganze ist eine allegorische Deutung des Schöpfungsberichtes. »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde«, das soll nach Simons Auffassung bedeuten: Die unbegrenzte Kraft schied sich in Geist und Denken. »Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht«, dazu Vers 16: »Und Gott machte zwei große Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch Sterne.« Er schuf also Sonne und Mond, das heißt nach Simon: die Kräfte der Stimme und des Namens, das Sprechende und das Ausgesprochene. »Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste.« Es entstand also — meint Simon — die Luft, die in der Antike immer als feuchter Dunst gedacht wurde, und das Wasser. Luft und Wasser bedeuten das dritte Paar geistiger Kräfte: Verstand und Überlegung.

Wenn nun Moses sagt: »In sechs Tagen war es, daß Gott den Himmel und die Erde schuf, und am siebenten ruhte er von allen seinen Werken« (2 Mos 20, 17), so stürzt Simon die ausgesprochene Anordnung um und macht sich selbst zu Gott (weil er nach Hippolyts Meinung die einzelnen Abschnitte der Schöpfung anders anordnet, als es Gott selbst tat). Wenn sie daher sagen, daß drei Tage vor (der Schöpfung von) Sonne und Mond vorhanden waren, meinen sie Geist und Denken, das heißt: Himmel und Erde, und die siebente Kraft, die unbegrenzte; denn diese drei Kräfte sind vor allen anderen entstanden. Wenn sie aber sagen: »Vor allen Äonen zeugt er mich« - nämlich die Weisheit - (Spr. Sal. 8, 23 u. 25), so sagt er, dies beziehe sich auf die siebente Kraft.

Die siebente Kraft aber ist die, die als Kraft in der unbegrenzten Kraft vorhanden ist, die vor allen Äonen entstanden ist.
Dies ist, sagt er, die siebente Kraft, von der Moses sagt: »Und der Geist Gottes wurde dahingetragen über dem Wasser« (1 Mos. 1, 3), das ist, sagt er, das alles in sich fassende Pneuma, das Abbild der unbegrenzten Kraft, von der Simon sagt: »Ein Bild aus unvergänglicher Gestalt, das allein alles ordnet.« Diese Kraft nämlich, die dahingetragen wird über dem Wasser, ist gezeugt, sagt er, aus einer unvergänglichen Gestalt und ordnet allein alles. Hippolyts Bericht ist hier durch seine Polemik und seinen Mangel an Verständnis für das in den Schöpfungsbericht von Simon hineininterpretierte System unverständlich geworden. Simon trennt ebenso wie Philon die beiden ersten Verse der Genesis, die Schöpfung von Himmel, Erde und Gottesgeist, von dem ganzen Bericht ab. Sie handeln nach seiner wie nach Philons Lehre nur von Vorgängen in der geistigen Welt, während das Siebentagewerk auf die Entstehung der irdischen Welt zu beziehen ist. Himmel, Erde und Gottesgeist stellen die drei ersten Entfaltungen Gottes dar, die sich allegorisch als drei Schöpfungstage deuten lassen, die den sieben Tagen vorausgehen.

Der Himmel = Geist ist Gottvater,
die Erde Denken ist Gottmutter, die aus Gottvater hervorspringt wie Athene aus dem Haupte des Zeus; beide zeugen den Gottsohn, den Weltschöpfer, den Logos, der in dem über dem Wasser, das heißt: über der chaotischen Materie, schwebenden Geiste erkannt wird. Er ist der Ordner, der aus dem Chaos einen Kosmos gestaltet. So nennt ihn Simon »ein Bild aus unvergänglicher Gestalt, das allein alles ordnet«. Es beginnt nun das Siebentagewerk.

Nachdem nun eine solche und ähnliche Einrichtung des Kosmos bei ihnen vollzogen ist, »bildete«, sagt er, »Gott den Menschen, indem er Staub von der Erde« (1 Mos. 2, 7) nahm; er bildete ihn aber nicht einfach, sondern doppelt »nach dem Bilde und nach der Ähnlichkeit« (1 Mos. 1, 26). Das Bild aber ist das Pneuma, das dahingetragen wird über dem Wasser, das, wenn es nicht zum Bilde gemacht wurde, mit dem Kosmos zugrunde geht, da es nur in der Möglichkeit bleibt und nicht in Wirklichkeit wird — das, sagt er, ist der Sinn des Spruches: »Auf daß wir nicht mit dem Kosmos gerichtet werden« (1 Kor. 11, 32). Wenn es aber zum Bilde wurde und aus einem unteilbaren Punkte entsteht, wie es in der Verkündigung beschrieben ist, wird das Kleine groß werden. (So ließen auch die Pythagoreier und Platon die Welt aus einer letzten unteilbaren Einheit entstehen.) Das Große aber wird bestehen bis in die unendliche und unveränderliche Ewigkeit und nicht wieder ins Werden eintreten.

Wie nun und auf welche Weise, sagt er, bildet Gott den Menschen?


Im Paradies
, so nämlich meint er. Es soll, sagt er, das Paradies die Gebärmutter sein, und daß dies wahr ist, soll die Schrift lehren, wenn sie sagt: »Ich bin es, der dich bildet in der Gebärmutter deiner Mutter« (Jes. 44, 2 u. 24) denn auch von diesem Worte will er, daß es in diesem Sinne geschrieben sei. Unter dem Paradies, sagt er, hat Moses allegorisch die Gebärmutter verstanden, wenn anders man dem Worte Glauben schenken soll. Wenn aber Gott den Menschen in der Gebärmutter der Mutter, das heißt: im Paradiese, bildet, wie ich sagte, soll das Paradies die Gebärmutter sein, das Land Eden aber, »ein Fluß, der ausgeht aus Eden, zu tränken das Paradies«(1 Mos. 2, 10), der Nabel (worunter die Nabelschnur mitverstanden ist). Dieser Nabel, sagt er, »teilt sich in vier Ursprünge«; denn zu beiden Seiten des Nabels laufen nebeneinander zwei Luftadern als Kanäle für das Pneuma, und zwei Blutadern als Kanäle für das Blut (nach der Lehre Galens: »Es gibt nämlich in ihm [dem Nabel] vier Gefäße, zwei Luftadern und zwei Blutadern, die in ihrer Mitte den Urinleiter haben ..., und durch diese zieht der Embryo gewissermaßen wie aus Baumwurzeln aus der Gebärmutter Blut und Pneuma«.

Man sieht hieraus, daß Simon ein gelehrter Mann war und medizinische Kenntnisse besaß, wie ja auch alle diese Propheten zugleich als Medizinmänner auftraten. (Hierauf weisen auch die in der Apostelgeschichte erwähnten wunderbaren Heilungen des Simon hin). Sobald aber, sagt er, der Nabel aus dem Lande Eden herausgegangen ist und am Bauchfell mit dem werdenden Kinde zusammenwuchs, an der Stelle, die alle für gewöhnlich den Nabel nennen, dann sind es die beiden Adern, durch die das Blut aus dem Lande Eden fließt und strömt, und zwar nach den sogenannten Pforten der Leber, die das werdende Kind ernähren; die Luftadern, von denen wir sagten, daß sie Kanäle für das Pneuma seien, umfassen von beiden Seiten die Harnblase in der Nähe des platten Knochens, vereinen sich zu der großen Luftader, die am Rückgrat entlang geht und Aorta genannt wird; und so wandert durch die Nebenöffnungen das Pneuma zum Herzen und veranlaßt die Bewegung des Embryos. Während nämlich das Kind sich im Paradies bildet, nimmt es weder mit dem Munde Nahrung auf, noch atmet es durch die Nasenlöcher; denn für das sich im Feuchten befindende Kind würde es sofort den Tod bedeuten, wenn es atmen wollte; denn es würde etwas von der Feuchtigkeit einziehen und zugrunde gehen. Doch wird es ja ganz von der sogenannten Schafhaut (so nannte schon Empedokles die den Embryo umgebende Eihaut) umhüllt; ernährt aber wird es durch den Nabel, und durch die Aorta am Rückgrat nimmt es, wie ich sagte, die Substanz des Pneuma auf.

Der Fluß nun
, sagt er, der von Eden ausgeht, teilt sich in vier Ursprünge, in vier Kanäle, das heißt: in die vier Sinne des werdenden Kindes: Gesicht, Geruch, Geschmack und Gefühl. Denn diese Sinne allein hat das im Paradies gebildete Kind. Dieser Fluß, sagt er, ist das Gesetz, das Moses gab, und im Hinblick auf dies selbe Gesetz hat er jedes der Bücher geschrieben, wie die Überschriften zeigen.

Das erste Buch heißt Genesis; es diente, sagt er, die Überschrift des Buches zur Gnosis des Alls. Denn diese Genesis, sagt er, ist der Gesichtssinn, die eine Abspaltung, in die sich der Fluß teilt; denn der Kosmos werde durch den Gesichtssinn erschaut.

Die Überschrift des zweiten Buches ist Exodus; es muß nämlich das geborene Kind das Rote Meer durchwandern, in die Wüste kommen — das Rote Meer aber nennt er, sagen sie, das Blut — und von dem bitteren Wasser kosten (2 Mos.15, 22-26). Bitter nämlich, sagt er, ist das Wasser, das nach dem Roten Meere kommt, das der zurückgelegte Weg der Lebensgnosis der Mühen und Bitternisse ist. Verwandelt aber von Moses, das heißt von dem Logos, wird jenes Bittere süß. (Philon deutet die Stelle ebenso.) Und da dies sich so verhält, soll man zugleich auf alle hören, die, den Dichtern folgend, sprechen: »An der Wurzel ist es schwarz, der Milch gleich aber die Blüte. Moly (ein fabelhaftes Wunderkraut) nennen es die Götter; schwierig ist es auszugraben für sterbliche Männer; Götter aber können alles« (Zitat aus Homers Odyssee [X 304-306]; hier ist Moly ein Kraut mit geheimer Zauberkraft, das Hermes dem Odysseus als Gegenzauber gegen die Künste der Kirke gibt). Es genügt, sagt er, der heidnische Spruch zur Erkenntnis des Ganzen für die, die Ohren haben zu hören; denn, sagt er, wer von dieser Frucht gekostet hatte, wurde allein von der Kirke nicht in ein Tier verwandelt, sondern auch die schon zu Tieren Gewordenen bildete er wieder um, prägte sie um und rief sie zurück in jene erste ihnen eigene Form, indem er sich der Kraft dieser Frucht bediente. Er (Odysseus) aber, sagt er, gilt als ein treu ergebener und von jener Zauberin geliebter Mann um jener milchartigen und göttlichen Frucht willen.

Ebenso heißt das dritte Buch Leviticus, was den Geruchsinn oder die Atmung bedeutet. Von Opfern nämlich und Spenden handelt jenes ganze Buch. Wo aber ein Opfer ist, entsteht ein Duft und Wohlgeruch von dem Opfer durch das Räucherwerk; in bezug auf diesen Wohlgeruch bedeute der Abschnitt den Geruchsinn.

Numeri heißt das vierte Buch; er nennt es den Geschmack (mit seinem Organ, der Zunge), wo die Sprache in Tätigkeit tritt; denn durch das Sprechen wird alles nach Ordnung der Zahl benannt.

Die Überschrift Deuteronomium
aber, sagt er, bezieht sich auf den Tastsinn des ausgebildeten Kindes. Wie nämlich der Tastsinn das von den anderen Sinnen Bemerkte berührt, zum Ganzen vereint und befestigt, indem er darüber entscheidet, ob es hart oder warm oder klebrig ist, so ist das fünfte Buch des Gesetzes die Zusammenfassung der vier vor ihm geschriebenen.

Alles Unentstandene nun, sagt er, ist in uns der Möglichkeit nach, nicht in Wirklichkeit vorhanden, wie die Grammatik oder Geometrie. Wenn es nun auf den hinzutretenden Logos und die Belehrung trifft und sich das Bittere in Süßes verwandelt, das heißt »die Spieße in Sicheln und die Schwerter in Pflugscharen« (Jes. 2, 4), wird das Entstandene nicht Spreu und Holz sein, die vom Feuer vertilgt werden, sondern eine vollkommene zum Bilde gewordene Frucht, wie ich sagte, gleich und ähnlich der ungewordenen und unbegrenzten Kraft. Wenn es aber nur ein Baum bleibt, der keine Frucht trägt, wird er, nicht zum Bilde geworden, vertilgt werden. »Denn schon nahe, sagt er, ist die Axt an den Wurzeln des Baumes; jeder Baum, sagt er, der keine gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen« (Mt.3, 10 = Luk. 3, 9).

Es ist nun nach Simon jenes Selige und Unvergängliche in allem der Möglichkeit nach verborgen, nicht der Wirklichkeit nach, und dies ist der, der da steht, stand und stehen wird; er steht oben in der unentstandenen Kraft, er stand unten in dem Strom der Wasser und wurde im Bilde gezeugt, er wird stehen oben bei der seligen, unbegrenzten Kraft, wenn er zum Bilde geworden ist. Es gibt nämlich, sagt er, drei Stehende, und wenn die drei unentstandenen Äonen nicht vorhanden wären, wird der Unentstandene, der nach ihnen über das Wasser Dahingetragene, nicht geordnet; der nach der Ähnlichkeit gebildete vollkommene Himmlische, der in keinem Gedanken geringer ist als die unentstandene Kraft. Das bedeutet der Spruch, den sie sprechen: »Ich und du sind eins, vor mir du, das nach dir Kommende Ich.«

Diese Kraft, sagt er, ist eine, sich scheidend nach oben und unten, sich selbst zeugend, sich selbst mehrend, sich selbst suchend, sich selbst findend, ihre eigene Mutter, ihr eigener Vater, ihr eigener Bruder, ihr eigener Gemahl, ihre eigene Tochter, ihr eigener Sohn, Mutter-Vater, Eins, Wurzel des Alls.

Und da, sagt er, vom Feuer der Ursprung der Schöpfung der Geschöpfe ausgeht, so erfahre auch wieso; der Ursprung der Begierde nach Zeugung entsteht allen Dingen, die ins Werden eintreten, aus dem Feuer. Daher wird die Begierde nach veränderlicher Zeugung auch »Entbrennen« genannt. Das Feuer aber, das eine Einheit bildet, verwandelt sich in zwei Erscheinungsformen. Es verwandelt sich nämlich, sagt er, im Manne das Blut, das sowohl warm und rötlich wie Feuer gestaltet ist, in Samen, in der Frau aber dasselbe Blut in Milch. Und es wird die Erscheinungsform des Männlichen zur Zeugung, die Erscheinungsform des Weiblichen aber zur Nahrung für das werdende Kind.

Das ist, sagt er, das »flammende Schwert, das sich verwandelt zu bewachen den Weg zum Holze des Lebens« (1 Mos. 3, 24) [nach dem Septuagintatext, der diese Auffassung und Übersetzung der Stelle möglich macht]. Denn es verwandelt sich das Blut in Samen und Milch, und es wird diese Kraft zu Mutter und Vater, Vater der Werdenden und Mehrer der Ernährten, ohne Bedürfnis, sich selbst genug. Es wird aber bewacht, sagt er, das Holz des Lebens durch das sich verwandelnde flammende Schwert, wie wir gesagt haben, und das ist die siebente Kraft, die aus sich selbst entsteht, die alle in sich enthält, die in den sechs Kräften ruht. Wenn nämlich das flammende Schwert sich nicht verwandelte, würde jenes schöne Holz vernichtet werden und zugrunde gehen, wenn es sich aber verwandelt in Samen und Milch, wird einer, der gerade der Möglichkeit nach in diesem ruht, wenn der Logos hinzukommt und der Ort des Herrn, in dem der Logos gezeugt wird, anschwillen zu voller Größe, anfangend vom kleinsten Funken, und wachsen und wird sein unbegrenzte, unveränderliche Kraft, gleich und ähnlich einem unwandelbaren Äon, der nicht mehr ins Werden eintritt bis in unbegrenzte Ewigkeit. — — —

Simon nämlich spricht hierüber in der Verkündigung wörtlich folgendermaßen: »Euch also sage ich, was ich sage, und schreibe ich, was ich schreibe, folgende Schrift: Zwei Sprößlinge gibt es unter allen Äonen, die weder Anfang noch Ende haben, aus einer Wurzel stammend, welche ist Kraft, Schweigen, unsichtbar, unfaßbar; deren einer erscheint von oben her, welcher ist die große Kraft, der Allgeist, alles ordnend, männlich, der andere von unten her, der große Gedanke, weiblich, alles gebärend. Von da einander entgegenarbeitend paaren sie sich und bringen den mittleren Raum, die nicht wahrnehmbare Luft, in die Erscheinung, die weder Anfang noch Ende hat.
In ihr aber ist der Vater, der alles, was Anfang und Ende hat, in Händen trägt und nährt. Das ist er, der da steht, stand und stehen wird, eine mannweibliche Kraft, die weder Anfang noch Ende hat und in Einzigkeit besteht; denn aus dieser ging hervor der in Einzigkeit vorhandene Gedanke und wurde zwei. Und auch jener (der Vater) war eins; denn solange er ihn (den Gedanken) in sich selbst enthielt, war er einer, nicht jedoch der erste, obwohl er vorher da war; als er aber sich selbst aus sich selbst sichtbar geworden war, wurde er ein zweiter. Doch wurde er auch nicht Vater genannt, bis er (der Gedanke) ihn Vater nannte. Wie er nun sich selbst aus sich selbst herausführte, brachte er sich selbst den eigenen Gedanken in Erscheinung, so schuf auch der in die Erscheinung getretene Gedanke nicht, sondern schaute ihn an und verbarg den Vater in sich selbst, das heißt: die Kraft; und es ist vorhanden eine mann-weibliche Kraft und ihr Gedanke; von da an arbeiten sie einander entgegen — in nichts nämlich ist die Kraft vom Gedanken unterschieden — und sind eins; man findet, wie aus den oberen Regionen die Kraft, aus den unteren der Gedanke wirkt. So beschaffen ist nun auch das, was von ihnen in die Erscheinung tritt: obgleich es eins ist, wird es als zwei erfunden, ein Mannweibliches, das das Weibliche in sich enthält. So ist Geist im Gedanken, untrennbar sind sie voneinander; obgleich sie eins sind, werden sie als zwei erfunden«
(Hippolyt. Elench. VI 9, 4-18,7).

Hippolyt erzählt nun die bekannte Geschichte der Helene und des Auftretens Simons als Gott und Welterlöser. Hier aber finden wir noch eine wertvolle Notiz über den Kultus der Simonianer. Ihre Mysterienfeier besteht in einer Nachahmung der Erlösungstat ihres Propheten, die ihrerseits eine Entsprechung im Schöpfungsakt findet. So wie bei Beginn des Weltwerdens die große Kraft ihren zeugungskräftigen Samen in die Ennoia strömen läßt, so wie Simon auf Erden die Helene befruchtet und dadurch erlöst, so tun es die Jünger nach und lehren, man solle ohne Wahl sich dem Verkehr mit dem Weibe hingeben. Sie sprechen dabei: »Alle Erde ist Erde, und es kommt nicht darauf an, wohin einer den Samen sät, wenn er nur sät; sie preisen sich auch noch selig um dieser Vermischung mit fremden Frauen willen und sagen, das sei die vollkommene Agape.« Auch Epiphanios kennt ein solches Mysterium der Simonianer und berichtet hierzu: »Die Männer werden zur Zeit des Samenflusses, die Frauen aber zur Zeit des monatlichen Blutabgangs zu schimpflichster Vereinigung in den Mysterien zusammengeführt. Und das sollen die Mysterien des Lebens in der vollendeten Gnosis sein«. (Epiphan. Panar. Haer. 21, 4, 1-2).

Diese ganze Überlieferung, die wir über Simon Magus haben, wurde hier in so breiter und sich unmittelbar an die Texte anschließender Ausführung vorgelegt, um dem Leser an diesem typischen Beispiel die Bildung eines eigenen Urteils über gnostische Quellenliteratur und einen Einblick in die Schwierigkeiten zu ermöglichen, die ihre Deutung dem Forscher bereitet. Wahrheit und Dichtung, legendarische Ausschmückung und absichtliche Entstellung wirken zusammen mit dem unhistorischen Sinn der Zeit und trüben den eigentlichen Sachverhalt, der sich mit Sicherheit nur teilweise aus den wörtlich angeführten Stellen und alle dem, was in den Berichten mit ihnen übereinstimmt, erschließen läßt. Immer ist damit zu rechnen, daß uns von den christlichen Berichterstattern gerade das Wesentlichste und Wertvollste verschwiegen oder nur angedeutet wurde. Und doch lassen sich, auch wenn man mit größter Vorsicht und Zurückhaltung zu Werke geht, aus dem vorliegenden Material eine ganze Reihe von Schlüssen ziehen und eine ganze Menge von Einsichten in das Wesen der simonianischen Gnosis gewinnen.

Simon Magus
selbst tritt uns in diesen Berichten nicht als eine historische Persönlichkeit entgegen mit individuellen, an einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit gebundenen Zügen. Alle geschichtlichen Angaben sind unsicher und teilweise einander widersprechend. Der historische Simon, an dessen Existenz nicht gezweifelt werden kann, hat sich in diesen Texten fast ganz verflüchtigt, der Kern seiner Persönlichkeit zu einem Typus kristallisiert, dem Typus des gnostischen Propheten und Sektengründers überhaupt, so wie er sich in den Augen seiner Feinde darstellte. Scharf unterscheidet er sich zunächst von dem jüdischen Prophetentyp, wie er aus dem Alten Testamente bekannt ist und im neutestamentlichen Zeitalter etwa in der Gestalt eines Johannes des Täufers wieder auflebte.

Die geistigen Ahnen des Simon sind nicht die altjüdischen Propheten. Der heilige Geist läßt sich nicht zeitweise auf ihn herab; er ist die Inkarnation des heiligen Geistes und der Gotteskraft selbst. Er schaut nicht Gesichte, verkündet nicht das Ergebnis seiner Visionen, predigt keine Sinnesänderung und Buße; er ruft nicht wie Johannes der Täufer seine Gemeinde in die Wüste; er ist Weltreisender wie Paulus und sucht die Großstadt. Und doch wird eine Beziehung zum Täufer und zu Jesaja hergestellt. Sie gelingt nur mit Hilfe der Allegorie. Aus der Predigt des Johannes von dem Baume, dem die Axt an die Wurzel gelegt ist, wird eine metaphysische Spekulation vom bevorstehenden Weltbrand, und den aus Jesaja ausgeführten Stellen geht es nicht anders. Die Ahnen Simons sind vielmehr die althellenischen Propheten, die Wundertäter, Medizinmänner und Verfasser tiefsinniger Schriften über Anfang und Ende der Welt, ein Orpheus und Epimenides, ein Pythagoras, der in der Legende als Verkörperung Apollons gilt, und vor allem ein Empedokles, der von sich selber sagt: »Ich aber wandle jetzt als unsterblicher Gott, nicht mehr als Sterblicher vor euch; man ehrt mich als solchen allenthalben, wie es mir zusteht, indem man mir Tänien ums Haupt flicht und blühende Kränze. Sobald ich mit diesen Anhängern, Männern und Frauen, die blühenden Städte betrete, betet man mich an, und Tausende folgen mir nach, um zu erkunden, wo der Pfad zum Heile führt. Die einen wünschen Orakel, die andern fragen wegen mannigfacher Krankheiten nach, um ein heilbringendes Wörtlein zu hören; denn lange schon winden sie sich in bohrenden Schmerzensqualen ... Doch was red‘ ich hierüber noch viel, als ob ich etwas Großes vollführe? Bin ich doch mehr als sie, die sterblichen, vielfachem Verderben geweihten Menschen! O meine Freunde! Ich weiß zwar, daß Wahrheit den Worten, die i c h künden werde, innewohnt; doch mühsam ist sie den Menschen zu erringen, und schwer nur dringt das heiße Bemühen um den Glauben in die Seele« ( Empedokles bei Diels 21 B 112—114).

Dieser stolze Ich-Ton des Gottmenschen ist es gerade, der einem Simon Magus von den Christen immer wieder vorgeworfen wird. Er aber war nicht der einzige, der zu seiner Zeit die Formen der althellenischen Prophetenrede erneuerte. Celsus kennt viele seiner Art, die er aus Phoenikien und Palästina kommen läßt und in Tempeln, vor Volksansammlungen, in Städten und Heerlagern selbst reden gehört hat. Er gibt eine Probe ihrer Predigt. Sie sagen: »Ich bin Gott oder Gottes Sohn oder göttlicher Geist. Gekommen bin ich: denn schon ist der Weltuntergang da und mit euch, ihr Menschen, ist es infolge eurer Vergehungen zu Ende. Ich aber will euch retten, und ihr werdet mich ein andermal mit himmlischer Kraft emporsteigen sehen. Selig, der mich jetzt anbetete; auf die anderen alle werde ich ewiges Feuer werfen, auf Städte und Länder. Und die Menschen, die ihre Strafen nicht kennen, werden umsonst anderen Sinnes werden und stöhnen; die mir Folgenden werde ich zur Ewigkeit aufbewahren« (Celsus bei Origenes VII 8 f.; vgl. E. Norden, Agnostos Theos, Leipzig 1913 S. 189).

Der Jesus des Johannesevangeliums aber schlägt denselben Ton an: »Wäre Gott euer Vater, so liebtet ihr mich; denn ich bin ausgegangen und komme von Gott; denn ich hin nicht von mir selber gekommen, sondern er hat mich gesandt. Warum kennt ihr denn meine Sprache nicht? Denn ihr könnt ja mein Wort nicht hören. Ihr seid von dem Vater, dem Teufel (dem bösen Weltschöpfer des Alten Testaments, der von Gott abgefallen ist), und nach eures Vaters Lust wollt ihr tun. Der ist ein Mörder von Anfang und ist nicht bestanden in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem Eigenen; denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben. Ich aber, weil ich die Wahrheit sage, so glaubet ihr mir nicht. Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen? So ich euch aber die Wahrheit sage, warum glaubet ihr mir nicht? Wer von Gott ist, der höret Gottes Worte; darum höret ihr nicht; denn ihr seid nicht von Gott« (Joh. 8,42—48 u. 51).

Das ist die Predigt des Simon von dem guten Gott, dessen Verkünder er ist und der sich in ihm verkörpert hat, und von dem bösen Judengott, der diese Welt geschaffen hat und die Menschen knechtet. Das wissen die Juden, zu denen Jesus hier spricht, sehr wohl, und sie antworten ihm: »Sagen wir nicht recht, daß du ein Samariter bist und hast einen Dämon?« Simon ist ebensowenig wie der Jesus des Johannesevangeliums aus dem Judentum hervorgewachsen; er steht ihm feindlich gegenüber. In der Legende tritt ihm als sein eigentlicher Widersacher der Führer der Judenchristen, Petrus, entgegen, und die Rekognitionen haben die Tendenz, ihn zu dem Heidenapostel Paulus in eine allerdings nur versteckte Beziehung zu bringen. Der jüdische Geist wittert in Simon und Paulus seine gefährlichsten Gegner.

Ganz nahe stehen Simons Lehre und Methode dem hellenistischen Juden Philon und der ganzen Atmosphäre, aus der dessen Schriften ebenso wie das Buch der Weis¬heit Salomonis hervorwuchsen. Aber auch für das hellenistische Judentum bleibt der alttestamentliche Jahwe der gute Gott, der aus reiner Güte den Kosmos zusammen mit seiner Weisheit erzeugt hat. Hier ist der wesentliche Punkt, in dem sich Philon und Simon, jüdische und griechische Gnosis voneinander scheiden, trotzdem beide das Alte Testament allegorisch interpretieren und mit den Mitteln griechischer Wissenschaft und Philosophie arbeiten. Dazu hat Simon ein anderes System als Philon; er kommt bei seiner Auslegung zu anderen Ergebnissen, und vor allem — was einem Philon unmöglich war — er legt nicht nur das Alte Testament allegorisch aus, sondern auch christliche Sprüche und Stellen aus den Paulusbriefen, ja selbst die griechischen Mythen. Der höchste Gott kann auch Zeus, die Allmutter auch Athene genannt werden. Die Septuaginta ist nicht die einzige Heilige Schrift. Moses ist eine der Inkarnationen des Logos in demselben Sinne wie Simon selbst die große Kraft ist; damit aber steht Moses nicht über, sondern unter Simon; denn der Logos geht erst aus der Vereinigung der großen Kraft mit der Allmutter hervor. Auch das ist für einen Philon nicht denkbar. Vor allem aber ist es das ganze Erlösungsmotiv, das bei Philon fehlt, bei Simon aber im Mittelpunkt der Verkündigung steht. Philon kämpft in einer besonderen Schrift gegen die Annahme einer Zerstörung der Welt durch Feuer, Simons Eschatologie gipfelte gerade in diesem Gedanken.

So steht die simonianische Gnosis als ein Gedankenbau eigener Struktur vor uns. Betrachten wir das Material, mit dem Simon baut, so finden wir auf der einen Seite die Septuaginta und urchristliche Schriften, auf der andern pythagoreische und platonische Motive, Anklänge an Gedanken und Benutzung von Ausdrücken des Empedokles, die Lehre Heraklits und der Stoa vom Logos und Weltbrand, den Gebrauch aristotelischer Terminologie, die Kenntnis griechischer Medizin und eine lose Beziehung zur Astrologie, wenn wir die Bemerkung, daß die Zahl seiner Schüler dreißig betrug und Helene den Mond darstellen sollte, so deuten dürfen.

Das alles ist griechisches Bildungsgut, das aber durchaus nicht als äußerlicher Aufputz angesehen werden darf. Während das Alte Testament, die christlichen Sprüche und auch Homer durch die allegorische Methode ihres eigentlichen Sinnes beraubt und umgedeutet werden, bleibt die griechische Weisheit durchweg in ihrem ursprünglichen Sinne bestehen; sie ist für Simon das unmittelbar als wahr Gegebene, während die religiösen Urkunden nur eine erst mit den Mitteln der griechischen Philosophie neu zu erschließende Wahrheit enthalten.

So eklektisch aufgegriffen auch die bunte Fülle der hier miteinander verwobenen Gedanken und Begriffe verschiedenster Herkunft erscheint, so dienen sie doch alle zur Erklärung und Verdeutlichung eines einzigen, schwer faßbaren, aber das ganze System tragenden und beherrschenden, ebenfalls griechischen Begriffs: der Kraft, der Dynamis.

Wollen wir die geistige Struktur dieses gnostischen Systems erfassen, das nach dem übereinstimmenden Zeugnis der antiken Autoren, die über Simon Magus geschrieben haben, den Ausgangspunkt für die meisten gnostischen Sekten innerhalb des Christentums der ersten Jahrhunderte darstellte, und das, wie wir erkannten, älter ist als das christliche Evangelium selbst, so werden wir uns zunächst an diesen Begriff der Dynamis zu halten haben, der es von innen heraus beherrscht, der es überall durchleuchtet und sich mit mannigfach gebrochenen Strahlen in allen Einzelheiten widerspiegelt. Dynamis ist der Ursprung des Alls, ist Gott, der Logos, das Feuer, das sich in weitere sechs Kräfte spaltet, ist das Pneuma als Weltordner ebenso wie als Geistkraft im Menschen, die Dynamis ist in ihren einzelnen Erscheinungsarten Blut, Milch und Samen, sich selbst zeugend, sich selbst suchend, sich selbst findend, Mutter, Vater, Bruder, Gatte, Tochter, Sohn, Mutter-Vater, alles zugleich; sie ist Eins, Wurzel des Alls, und sie ist schließlich auch Simon Magus selbst; denn er ist die große Kraft Gottes: das wird als das Wesentliche an ihm und seiner Lehre schon in der Apostelgeschichte berichtet. Wo es sich um die gedankliche Fassung dieses Kraftbegriffs handelt, stehen wir auch innerhalb der sonst so zweifelhaften Überlieferung der Simon-Legenden auf gesichertem Boden. Das einzige uns bei Hippolyt erhaltene größere und wörtlich wiedergegebene Fragment aus der »Großen Verkündigung« handelt gerade vom Wesen der Dynamis.

Zunächst sind von dem Kraftbegriff Simons alle uns aus der modernen Naturphilosophie bekannten Vorstellungen fernzuhalten. Diese Kraft ist keine Energie, Simons Lehre keine Energetik, wobei wir immer an ein mehr oder weniger mechanisches Wirken, an Energie der Lage, der Schwere, des Druckes, des Stoßes, an elektrische, chemische und ganz zuletzt auch an geistige Energie denken.

Der Weg des Gnostikers führt nicht vom Weltmechanismus zum Ich, sondern vom lebendigen Ich zur Welt. Wenn wir überhaupt Parallelen zu neuzeitlichen Anschauungen ziehen wollen, so handelt es sich hier um denselben Weg, den Schopenhauer einschlug, der das metaphysische Prinzip des Willens im eigenen Leibe fand und es dann in der Außenwelt als Wesenskern der Natur wiedererkannte. Was bei Schopenhauer der Wille, das ist bei Simon der Geist. Er ist das Kraftzentrum, aus dem alles Leben hervorfließt. Als solches hat er zunächst keinerlei Ausdehnung. Er ist ein Punkt, in dem alles der Möglichkeit nach vorhanden ist. Die zu lösende gedankliche Aufgabe aber liegt in der Frage: Wie wird aus dem Punkt eine Gestalt; wie wird aus dem Geist ein Körper; wie wird aus der Möglichkeit eine greifbare Wirklichkeit?

Um dieses Problem zu lösen, wendet sich der Gnostiker nicht an die Außenwelt. Er steigt in sein eigenes Innere hinab und erforscht den eigenen Geist. Dabei entdeckt er zunächst den Unterschied zwischen dem Geist als einer Funktion und des durch diese Funktion erzeugten Produktes: des Gedankens. Jeder hat in sich die Fähigkeit zum logischen und zum mathematischen Denken; aber erst, wenn sich die Fähigkeit auswirkt, wird aus der subjektiven Anlage das Objekt: die Logik und die Mathematik. Aus dem Denken wird der Gedanke: aus dem Subjekt wird das Objekt. Aus dem Denken wird das Gedachte: aus dem Aktivum ein Passivum. Diese Fähigkeit des Geistes, aus sich heraus den Gedanken als seinen Gegenstand, als das Objekt, zu erzeugen, ist das Erste, von dem Simon ausgeht. Der Geist ist der Vater seines eigenen Gedankens, und der Gedanke ist nicht ohne den Geist, der ihn erzeugte. Der Geist aber ist auch nicht vorhanden, ist nichts als ein ausdehnungsloser Punkt, ehe er sich selbst objektiviert und den Gedanken hervorgebracht hat. Man kann auch nicht von vornherein sagen: der Geist ist das Erste und der Gedanke das Zweite. Diese Unterscheidung ist erst nachträglich möglich, wenn aus dem vorhandenen Gedanken auf den Geist als seinen Urheber zurückgeschlossen wird.

So sind die Worte der Apophasis zu verstehen: »Und auch jener (der Vater Geist) war eins; denn solange er ihn (den Gedanken) in sich selbst enthielt, war er einer, nicht jedoch der erste, obwohl er vorher da war; als er aber sich selbst aus sich selbst sichtbar geworden war, wurde er ein zweiter. Doch wurde er auch nicht Vater genannt, bis er (der Gedanke) ihn Vater nannte. Wie er nun sich selbst aus sich selbst herausführte, brachte er sich selbst den eigenen Gedanken in Erscheinung, so schuf auch der in die Erscheinung getretene Gedanke nicht, sondern schaute ihn an und verbarg den Vater in sich selbst, das heißt: die Kraft ... So ist Geist im Gedanken, untrennbar sind sie voneinander; obgleich sie eins sind, werden sie als zwei erfunden.« Dieselbe Beziehung, die zwischen dem Denken und dem Gedanken besteht, ist aber auch bei allen anderen Bewußtseinsäußerungen des Menschen vorhanden. So besitzt der Mensch eine Stimme und hat die Fähigkeit zu sprechen. Aber diese Stimme ist nicht da, sie schweigt, wenn sie sich nicht im Worte objektiviert.

Die Stimme erzeugt das Wort oder den ausgesprochenen Namen ebenso wie der Geist den Gedanken. So muß sich jede Kraft objektivieren, wenn sie überhaupt als Kraft in die Erscheinung treten soll. Und wenn Simon die drei Begriffspaare: Geist und Gedanke, Stimme und Name, Verstand und Überlegung, aufstellte als die sechs Entfaltungen der großen Kraft, so konnte er sie noch beliebig vermehren, wenn ihn hier nicht das Interesse an einer Erklärung des Siebentagewerkes der Schöpfung an diese Zahl gebunden hätte. Tatsächlich finden wir auch in späteren Systemen eine weit größere Zahl solcher Begriffspaare, die durch ein Subjekt und ein Objekt oder ein Aktivum und ein Passivum gebildet werden.

So verhalten sich also zunächst Denken und Gedanke zueinander wie Vater und Kind, die aber nicht ohne einander sein können; denn das Denken ist ohne den erzeugten Gedanken nichts, der Gedanke ist nicht da ohne seinen Schöpfer. Soll nun aber weiter aus dem Gedanken eine Tat oder ein Werk werden, so gehört dazu wieder eine Kraft, die auf Grund des bloßen Gedankens die wirkliche Tat vollzieht. Wir würden sagen: Es muß zum Gedanken der Wille hinzukommen. Dieser Wille ist aber nach gnostischer Auffassung keine andere Kraft als dieselbe, die schon den Gedanken hervorbrachte. So muß also der Gedanke gleichsam einen neuen Strom der Geistkraft in sich aufnehmen, um zu einer Tat zu werden. Jetzt wird aus dem Kinde das Weib, das den Samen des Vaters als Kraftstrom empfängt, hierdurch die Tat gebiert und aus sich heraus ein Gebilde gestaltet, das dem Gedanken entspricht, ja, ihm nicht nur entspricht, sondern ihn in sich enthält und an sich zur Erscheinung bringt. Mit dem Gedanken aber enthält das geborene Gebilde zugleich den Geist, der einst den Gedanken erzeugte, so daß nun drei Größen untrennbar ineinander liegen: der zeugende Geist, der gezeugte Gedanke, das aus Geist und Gedanken geborene Geschöpf. Alle drei aber sind eins; denn sie sind nur ein und dieselbe Kraft, etwa in dem Sinne, in dem Hegel den einen Geist sich dreifach entfalten läßt als Geist an sich, als Geist für sich und als Geist an und für sich.

Die Erkenntnis dieses Sachverhalts, in dem hier ein logischer und ein psychologischer Prozeß ungeschieden ineinander verflochten sind, wird nun aus dem Menschen hinausgespiegelt in das All. So wie der Geist im Menschen sich selbst objektiviert, so auch der Schöpfergeist. Der kleinen Geistkraft im Mikrokosmos entspricht die große Dynamis als Schöpfungsursache des Makrokosmos. Deutlich sind die Ketten und Haken sichtbar, mit denen beide ineinander verankert sind. In der Behausung des menschlichen Körpers ist die Wurzel des Alls gegründet; in sich selbst findet der Mensch die Geistkraft; nur hier kann er sie erfassen und erkennen. Gott ließ einst den Menschen ihm zum Bilde schaffen, dadurch daß er ihm seinen eigenen Geist gab, den nun der Mensch als das einzige, rein zu erkennende Göttliche in sich wiederfindet. Nun erkennt der Mensch, daß sich der Geist im Kosmos in derselben Weise objektiviert wie der Geist im Menschen, wenn er den Gedanken erzeugt, den erzeugten Gedanken befruchtet und durch ihn die Tat gebären läßt. So schildert Simon den kosmischen Vorgang mit den Worten: »Zwei Sprößlinge gibt es unter den Äonen, die weder Anfang noch Ende haben, aus einer Wurzel stammend, welche ist Kraft, Schweigen, unsichtbar, umfaßbar; deren einer erscheint von oben her, welcher ist die große Kraft, der Allgeist, alles ordnend, männlich, der andere von unten her, der große Gedanke, weiblich, alles gebärend. Von da einander entgegenarbeitend paaren sie sich und bringen den mittleren Raum, die nicht wahrnehmbare Luft, in die Erscheinung, die weder Anfang noch Ende hat. In ihr aber ist der Vater, der alles, was Anfang und Ende hat, in Händen trägt und nährt. Das ist der, der da steht, stand und stehen wird, eine mannweibliche Kraft.« Bei dieser Formgebung und Symbolik kam Simon die griechische mythische und philosophische Kosmogonie zu Hilfe. In ihr finden sich ebenfalls drei Prinzipien, aus denen die Welt besteht. Die älteste Vorstellung ist die vom Vater Himmel und der Mutter Erde. Der Himmel läßt im Regen seinen Samen in die Erde fließen, und sie gebiert aus ihm ihren Schmuck, ihren Kosmos: Steine, Pflanzen, Tiere und Menschen. Am schönsten hat diesen griechischen Urmythos Aischylos in dem Danaidenfragment zum Ausdruck gebracht, wo er Aphrodite sprechen läßt:

Es sehnt der keusche Himmel sich, zu umfahn die Erd‘.
Sehnsucht ergreift die Erde, sich zu vermählen ihm.
Vom schlummerstillen Himmel strömt des Regens Guß.
Die Erd‘ empfänget und gebiert den Sterblichen
Der Lämmer Grasung und Demeters milde Frucht;
Des Waldes blühenden Frühling läßt die regnende
Brautnacht erwachen: Alles das, es kommt von mir.

(Aischylos, Frgm. 44 Nauck)

Den alten eleusinischen Mysterienruf: »Hye, Kye« — »Laß‘ regnen, Empfange« legt der Neuplatoniker Proklos aus: »Die Satzungen der Athener schrieben vor, die Feier der Hochzeit von Himmel und Erde vorzubereiten, indem sie zu ihnen hinschauten; und im eleusinischen Heiligtum, emporblickend zum Himmel, riefen sie >Laß‘ regnen!< und niederblickend zur Erde das Wort: >Empfange!< Darin liegt die Erkenntnis, daß die Schöpfung aller Dinge von einem Vater und einer Mutter ausgehe« (Proklos in Plat. Tim 293C).

In der orphischen Weltentstehungsdichtung geht Himmel und Erde ein anderes Paar voraus: Äther und Chaos. Der Äther befruchtet das Chaos. Es gebiert das große Weltei, das die Keime aller Dinge in sich enthält. Das Ei zerplatzt in zwei Hälften; die obere bildet den Himmel, die untere die Erde. Aus dem Weltei aber entspringt als Drittes ein mannweibliches Gottwesen, das die beiden Teile zueinander treibt, und nun bringen Himmel und Erde alles Übrige hervor. Die Beziehung zu Simons drei Prinzipien, dem männlichen Geist, dem weiblichen Gedanken, der eine oben, der andere unten, und dem von ihnen im dazwischen liegenden Luftraum erzeugten mannweiblichen Weltschöpfer ist hier besonders deutlich.

Auch hinter Platons Timaios steht dasselbe Schema, nur um eine weitere Stufe vergeistigt. Da heißt es: »Wir müssen uns aber drei Gattungen denken: das Werdende, das, worin es wird, und das, dem ähnlich werdend das Werdende entsteht. Und es ziemt sich wohl, das Aufnehmende der Mutter, das von wannen es herrührt, dem Vater, die zwischen ihm liegende Natur aber dem Geborenen zu vergleichen«. Wieder anders wird derselbe Gedanke von dem Theologen der platonischen Akademie, von Xenokrates gewendet. So wie die Pythagoreier sieht er als geistige Wesenheiten hinter den Dingen der Erscheinungswelt die Zahlen, die für ihn nicht nur abstrakte Begriffe, sondern geistige und als solche göttliche Kräfte, ja selbst Götter sind.

Die erste Zahl, aus der die ganze Reihe hervorströmt, ist die Eins; und so steht die Einheit an der Spitze des Geisterreiches. Diese Einheit ist der Weltgeist; sie ist der Göttervater; sie heißt Zeus. Die Einheit entläßt aus sich heraus die Zweiheit die ihr, dem Begrenzten, als das Unbegrenzte gegenübersteht. Diese Zweiheit ist die Weltseele; sie ist die Göttermutter, und Xenokrates wird sie wohl ebenso wie der Pythagoreier Philolaos mit dem Namen Rhea als Gattin des Zeus bezeichnet haben. Der Weltgeist als das männliche Prinzip und die Weltseele als das den Geist in sich aufnehmende weibliche bringen als ihren Sohn den Kosmos hervor.

Diesen Gottessohn nannte Xenokrates auch den unteren Zeus im Unterschiede von dem Gottvater, dem oberen Zeus. Damit ist die erste Triade vollendet: Weltgeist, Weltseele, Weltkörper als Gottvater, Gottmutter und Gottsohn stellen das Wesen des Kosmos dar, der, ebenso wie der Mensch, aus Geist, Seele und Körper besteht. Auch das hellenistische Judentum nimmt das Motiv auf und deutet es in den Schöpfungsbericht des Alten Testamentes hinein. So heißt es bei Philon: »Den Schöpfer also, der dies Weltall gemacht hat, werden wir nun zugleich auch mit Recht den Vater des Geschaffenen nennen, die Mutter aber die Weisheit des Schöpfers, mit der Gott sich vereinte und in der er — nicht wie ein Mensch — das Geschöpf zeugte. Sie aber empfing die Samen Gottes und gebar nach vollendeten Weben den einzigen und geliebten, sinnlich wahrnehmbaren Sohn, diese unsere Welt, den Kosmos«. So ist auch hier der Kosmos der Sohn Gottes. Er hat aber bei Philon zwei Naturen: eine körperliche und eine geistige. Als Körper ist er die sinnlich wahrnehmbare Welt, als Geist der diese Welt nach stoischer Lehre von innen her durchdringende und zusammenhaltende Logos, der den äußerlich sichtbaren Kosmos »angezogen hat wie ein Gewand«. Philon schreibt: »Dieser Kosmos jedoch ist der jüngere Sohn Gottes, da er sinnlich wahrnehmbar ist; denn den älteren, den er eine Idee nannte — er ist nämlich geistig —, würdigte er des Erstgeburtsrechts und beschloß, daß er bei ihm bleibe.« Dementsprechend heißt es auch im Prolog des Johannesevangeliums: »Im Anfang war der Logos, und der Logos war bei Gott, und ein Gott war der Logos. Dieser war im Anfang bei Gott. Alles ist durch ihn gemacht, und ohne ihn ist nichts gemacht, was gemacht ist«.

Diese Parallelen, die nur eine kleine Auswahl darstellen, genügen jedenfalls, um zu zeigen, was sich einem Simon an vorhandenem Material darbot, wenn er für seine dreifach entfaltete Weltkraft in der Mythologie und Metaphysik eine Bestätigung suchte. Streben wir aber danach, hinter der Außenseite der hin- und herspielenden Beziehungen und der sich oft selbst widersprechenden Überlieferung der Lehre Simons die innere Form seines Gedankengebäudes zu finden, so entdecken wir bald, daß trotz aller Übereinstimmungen ein wesentlicher Unterschied zwischen seiner Auffassung der Dreieinigkeit von Gottvater, Gottmutter und Kosmos und der Metaphysik besteht, die sich aus der Orphik über Pythagoras, Platon und Xenokrates bis zu Philon und zum Verfasser des Johannesevangeliums in einer ziemlich klar erkennbaren Linie entwickelt hat. Stets liegt diesen Weltentstehungstheorien der Gedanke zugrunde, daß der Kosmos aus zwei Prinzipien entstand: dem Geist und der Materie. Immer findet der Geist einen chaotischen Stoff vor, den er gestaltet und zum Kosmos ordnet; und selbst, wenn bei Platon die Materie zum bloßen Raume verflüchtigt wird, es bleibt doch bei einem Dualismus, einem von Anbeginn gegebenen Gegensatz und Widerspruch zwischen Geist und Körper.

Simon
aber will — das lehren zum mindesten gerade die am wenigsten zweifelhaften Teile der unsicheren Überlieferung — sichtlich gerade den Dualismus überwinden. Er zwingt in seinem Kraftbegriff die beiden Gegensätze Geist und Körper, zu einer Einheit zusammen. Sein System ist monistisch. Das einheitliche Wesen der Dynamis ist Feuer. Dieses Feuer aber hat ebenso wie der Geist eine doppelte Natur, man möchte sagen: eine natura naturans und eine natura naturata, die eine sichtbar, die andere unsichtbar. So sagt er: »Das Verborgene liegt verborgen in den sichtbaren Teilen des Feuers, und das Sichtbare am Feuer ist durch das Verborgene entstanden. Es handelt sich aber um das, was Aristoteles das der Möglichkeit und das der Wirklichkeit nach Seiende oder Platon das geistig Wahrnehmbare und das sinnlich Wahrnehmbare nennt. Und das Sichtbare am Feuer enthält alles in sich, was man an Sichtbarem wahrnehmen oder auch, ohne es zu wissen, unbeachtet lassen könnte, das Verborgene aber alles geistig Wahrnehmbare, was man denken kann, und alles, was sich der sinnlichen Wahrnehmung entzieht oder auch einem entgeht, wenn man nicht darüber nachdenkt.«

Das Dritte aber, das aus dem sichtbaren und dem unsichtbaren Feuer geboren wird, ist die Luft oder das Pneuma, als Element und als mannweiblicher Schöpfergott zugleich gedacht. Wie der Weltbaum mit Rinde, Zweigen, Ästen und Blättern, so umgibt sich das Pneuma mit dem Weltkörper. Das alles ist ein lebendiges Wachsen aus einer lebendigen Substanz. Die parallele Lehre von der Entstehung des Menschen zeigt, wie es gemeint ist. Hier verwandelt sich das Feuer in Blut, das Blut beim Manne in Samen, bei der Frau in Milch. So gehen Zeugung und Nahrung des Kindes aus ein und derselben Kraft hervor. Auch hier wird der Prozeß vom Mikrokosmos auf den Makrokosmos übertragen. Die Sehnsucht nach Zeugung ist ein »Entbrennen«, und so wie aus diesem Feuer ein neues Menschenkind entsteht, so aus der großen Kraft, wenn sie »entbrennt«, die ganze als ein lebendes Wesen gedachte Welt. Der feurige Geist aber kann die ganze Welt, in der er sich objektiviert hat, wieder in sich zurücknehmen, dadurch daß er sie in sich selbst auflöst und verbrennt. Das ist möglich, da die große Kraft unbegrenzt ist und sich nur zum Teil verkörpert hat. Außerhalb der Welt ist sie in Reinheit vorhanden. Von hier aus wird der zündende Funke in die Welt dadurch hineingetragen, daß sich die große Gotteskraft in einem Menschen, in Simon selbst, verkörpert. Und so predigt Simon auch den kommenden Weltbrand, den er selbst entfachen wird, damit die Welt und die Menschheit wieder zu ihrem Ursprung zurückkehren können, nachdem alles Körperliche durch das reinigende göttliche Feuer weggebrannt wurde. Das ist ein in sich geschlossenes Kräftespiel.

Aus Einem geht Alles hervor, und Alles löst sich wieder in das Eine auf.

Es handelt sich um einen Kreislauf, der sich innerhalb der »großen Kraft« vollzieht, die sich entfaltet, indem sie sich mit sich selbst entzweit, und die sich selbst wieder in ihrem ursprünglichen Wesen herstellt, indem sie die aus ihr entsprungenen Gegensätze aufhebt. Wir beobachten das ständige »Umschlagen« der Begriffe in ihr Gegenteil:

Aus dem unsichtbaren Feuer wird das sichtbare, das sichtbare Feuer löst sich wieder auf in das unsichtbare.

Das Geistige wird zum Sinnlichen, das Sinnliche wird am Weltende zum Geistigen rein gebrannt.

Aus Geist wird Körper, aus dem Körper wird wieder Geist.

Aus dem Ewigen wird das Zeitliche, aus dem Zeitlichen wieder das Ewige.

Aus Gott wird der Kosmos, aus dem Kosmos wieder der Gott.

Das Gute wird zur bösen Welt, die böse Welt wird gerichtet und löst sich in das Gute wieder auf.

Das Eine wird Vieles, und das Viele wird wieder Eins.

Das ist in der Sprache der deutschen Mystiker »der Fluß verflossen in sich selber«. Das ist der Gedanke, den Hegel in seiner Logik mit den Worten ausdrückt: »So ist das Unendliche das Werden zum Endlichen, und umgekehrt das Endliche das Werden zum Unendlichen.« … Eins ist das All, und Alles ist Eins, später symbolisch dargestellt unter dem Bilde der Schlange, die sich in den Schwanz beißt.

Heraklit hat aus diesem Motiv eine philosophische Metaphysik gestaltet. Sein Logos entspricht dem innersten Wesen nach der Dynamis des Simon. Auch er ist das Feuer, aus dem sich die Welt in Gegensätzen entwickelt. So heißt es bei ihm: »Umsatz findet wechselweise statt des Alls gegen das Feuer und des Feuers gegen das All, wie des Goldes gegen Waren und der Waren gegen Gold. — Für die Seelen ist es Tod zu Wasser zu werden, für das Wasser Tod zur Erde zu werden. Aus der Erde wird Wasser, aus Wasser Seele«. Auch er zwingt die Gegensätze zueinander: »Und es ist immer ein und dasselbe, was in uns wohnt: Lebendes und Totes und das Wache und das Schlafende und jung und alt. Wenn es umschlägt, ist dieses jenes und jenes wiederum, wenn es umschlägt, dieses«.

Und wenn Simon sagt: »Diese Kraft ist eine, sich scheidend nach oben und unten, sich selbst zeugend, sich selbst mehrend, sich selbst suchend, sich selbst findend, ihre eigene Mutter, ihr eigener Vater, ihr eigener Bruder, ihr eigener Gemahl, ihre eigene Tochter, ihr eigener Sohn, Mutter-Vater, Eins, Wurzel des Alls«, so heißt es bei Heraklit: »Gott ist Tag Nacht, Winter Sommer, Krieg Frieden, Überfluß und Hunger. Er wandelt sich aber wie das Feuer, das, wenn es mit Räucherwerk vermengt wird, nach dem Duft, den ein jegliches ausströmt, benannt wird«.

Wenn Simon davor warnt, dass wir nicht mit dem Kosmos gerichtet werden, wenn der Weltbrand kommt, und Celsus seinen Propheten sagen läßt: »Selig, der mich jetzt anbetete, auf die andern alle werde ich ewiges Feuer werfen, auf Städte und Länder«, so heißt es von Heraklit: »Er sagt aber auch, es finde ein Gericht der Welt und alles dessen, was drinnen ist, durch Feuer statt, in folgendem: das Weltall aber steuert der Blitz: das heißt: er lenkt es. Unter Blitz versteht er nämlich das ewige Feuer. Er sagt auch, dieses Feuer sei vernunftbegabt und Ursache der ganzen Weltregierung. Er nennt es aber Mangel und Überfluß. Mangel ist nach ihm die Weltbildung, dagegen der Weltbrand Überfluß. Denn alles, sagt er, wird das Feuer, das heranrücken wird, richten und verdammen«.

Durch diese Geistesverwandtschaft mit Heraklit, die sich sowohl auf die Denktechnik wie auch auf die Auffassung des Weltwerdens als der Auswirkung einer einzigen Kraft bezieht, rückt Simon weit ab von dem Dualismus der Platoniker, aber auch ebenso weit von allen orientalischen dualistischen Religionssystemen, insbesondere vom Parsismus mit seinen von Anbeginn vorhandenen Gegensätzen Licht und Finsternis, Gut und Böse, Ahuramazda und Ahriman trotz der Fülle von Beziehungen, die sich herstellen lassen, wenn man die einzelnen, sich entsprechenden Bestandteile allein ins Auge faßt, ohne darauf zu achten, wie dieses vorhandene Material von innen heraus zu einer neuen Einheit zusammengefügt wurde. Nicht die Zerspaltung der Welt in zwei sich bekämpfende, unversöhnliche Kräfte, sondern die Überwindung der Gegensätze, die Coincidentia oppositorum, durch das Mittel einer eigentümlichen Denktechnik und eines eigenartigen metaphysischen Kraftbegriffs ist Ursprung und zugleich letztes Ziel der Philosophie, aus der Simons phantastisch ausgestaltete Weltsymbolik erwuchs. Sein Denken und seine ganze Religiosität standen vor allem in hartem Gegensatz im Judentum seiner Zeit und zur jüdischen Richtung innerhalb des Urchristentums. Drei schwere Vorwürfe sind die ihm von dieser Seite aus gemacht werden, und im derentwillen er als Erzketzer gilt: Die Selbstvergottung, der mit Helene getriebene Kult und die Lehre vom bösen Weltschöpfer. Alle drei sind nur aus dem Geiste des Griechentums heraus zu verstehen.

Daß Simon sich selbst als die große Kraft ausgibt, nicht nur als ihren Gesandten oder Propheten, läßt sich nur auf Grund des griechischen Geistbegriffs erklären. Nach jüdischer Vorstellung hat Gott einen heiligen Geist, den er über seine Propheten kommen läßt, die nun von ihm getrieben werden, ohne aber Gott selbst in sich aufzunehmen, geschweige denn Gott zu werden.

Der Gott der griechischen Propheten aber ist selbst ein Geist, ein Pneuma von feuriger Natur, das nicht über den Menschen kommt, sondern in ihn eingeht. In der Ekstase verläßt die menschliche Seele den Körper, um dem göttlichen Pneuma Platz zu machen, das nun an die Stelle der Seele tritt, den Menschen ganz erfüllt, ihn von innen her umwandelt und zum Gotte macht. Wenn Paulus sagt: »Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir«(Gal. 2, 20), so kann er dies nur aus der griechischen Vorstellung vom Geiste Gottes heraus meinen. Christus ist für ihn ein Pneuma. Er sagt selbst: »Der Herr ist der Geist« (2. Kor. 3,17), und so lebt er selbst gar nicht mehr, Christus lebt in ihm, spricht aus ihm, ist er selbst geworden. Das ist der Sinn, in dem sich auch Simon als die große Kraft Gottes fühlt, ein religiöses Gefühl, das den Juden unverständlich war, da sie es mit ihrer religiösen Vorstellungsart nicht in Verbindung bringen konnten, ohne eine Gotteslästerung zu begehen.

Innerhalb des Griechentums aber stand neben diesem Typus des Propheten von vornherein der der Prophetin, ja wahrscheinlich war er sogar der ursprünglichere. Der erste Sturm der Mystik, der mit dem Dionysoskult und seinen Mainaden über Griechenland dahinbrauste, war eine religiöse Frauenbewegung, die um so erstaunlicher ist, je enger wir uns die bürgerliche Beschränkung der Frau und ihre Gebundenheit an das Haus und die Familie zu denken haben. Die an diesen Kult sich anschließende enthusiastische Mantik wurde ausgeübt von Pythien, Kassandren und Sibyllen, die vom göttlichen Pneuma befruchtet mit »rasendem Munde«, ohne ihrer eigenen Sinne mächtig zu sein, ihre Prophezeiungen ausstießen. In allen Mysterien kam der Frau eine führende Rolle zu. Die Gattin des Archon Basileus in Athen wurde dem Dionysos vermählt. Der Priesterberuf war der einzige, der den Frauen zu allen Zeiten offen stand. In der mystisch-philosophischen Spekulation treten die aus dem Geschlechtsleben der Frau genommenen Bilder und gerade die weiblichen Hypostasen in reichster Fülle hervor. Auch noch das von Paulus im ersten Briefe an die Korinther geschilderte Leben und Treiben einer hellenistischen Christengemeinde bietet eine Bestätigung für das Auftreten der griechischen Frau überall da, wo es sich um Ekstase und Mystik handelt. So ist die Rolle, die Helene in der Simonlegende spielt, von hier aus wohl zu verstehen, während sie dem Juden durchaus anstößig erscheinen mußte; denn hier hatte die Frau in der Religion und Religionsübung so gut wie nichts zu sagen; sie war zeitweise unrein, und gar Priesterin konnte sie niemals werden.

Das Motiv des bösen Weltschöpfers endlich ist aus keiner Mythologie, sondern nur aus der ganzen Struktur des simonianischen Systems und aus der sich hier auswirkenden eigentümlichen Denktechnik, der sich in Gegensätzen bewegenden Dialektik, ganz zu verstehen. Zunächst ist immer daran zu denken, daß der böse Weltschöpfer und die böse Welt eine untrennbare Einheit bilden; der Weltschöpfer ist nur die geistige Seite des Weltkörpers. Aus dem guten Gott geht eine böse Welt hervor, und die böse Welt entwickelt sich zum guten Gott zurück. In diesem Kreislauf des Werdens und unter dem Zwange der Dialektik, die von gut zu böse und von böse zu gut fortschreiten muß, ist die Setzung des bösen Weltgottes eine Denknotwendigkeit. Daß dann dieser auf dem Wege des Denkens erschlossene böse Gott mit dem jüdischen Jahwe, mit dem Diabolos oder gar mit dem Satanas in der weiteren Entwicklung der Gnosis gleichgesetzt wurde, ist erst das Zweite und bedeutet nichts als die Verankerung eines im ganzen konzipierten Systems in dem Material, das die vorhandenen Religionen und Mythologien boten. S.60ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 32, Hans Leisegang, Die Gnosis ©1985 by Alfred Kröner Verlag in Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart