Percy Bysshe Shelley (1792 – 1822)

  Englischer Dichter, der einer der bedeutendsten englischen Lyriker war und als der »Philosoph« unter den Dichtern der Romantik galt. Als Student in Oxford verfasste er - beeinflusst von William Godwin (1756 – 1836) - ein Pamphlet, in dem er die Notwendigkeit des Atheismus befürwortete (»The necessity of atheisme«), woraufhin er von der Universität verwiesen wurde. 1814 reiste er mit der siebzehnjährigen Mary Godwin (Heirat 1816), der Tochter des oben erwähnten Schriftstellers William Godwin, in die Schweiz, wo er die Bekanntschaft mit Lord Byron machte. Shelley bekämpfte Zeit seines Lebens leidenschaftlich jede Form von Unterdrückung und Tyrannei. In seinen späteren Jahren wandte er sich einer pantheistischen Weltsicht zu.

Siehe auch Wikipedia

 

Es ist kein Gott
Ich war ein Kind, als meine Mutter einst,
Um eines Atheisten Flammentod
Zu sehn, hinausging; und sie nahm mich mit.
Die schwarzen Priester standen um den Holzstoß,
Die Menge gaffte rings in dumpfem Schweigen,
Und als der Frevler unerschrocknen Blicks
Vorüberschritt, da strahlt‘ ein ruhig Lächeln,
Verächtlich halb, um seine Züge her.
Das gierige Feuer züngelte empor
Um seine männliche Gestalt, versengt
Zu Blindheit wurde bald sein kühnes Auge;
Sein Todeskampf zerriss mein Herz: Der Pöbel
Erhob ein tolles Siegsgeschrei — ich weinte.
Da sprach die Mutter: »Weine nicht, mein Kind!
Denn Jener lästerte: Es ist kein Gott.«

Es ist kein Gott! Das ganze All bestätigt
Den Glauben, den sein Tod besiegelte.
Mag Erd‘ und Himmel, mag das wechselnde
Geschlecht der Menschen ihren Spruch verkünden;
Mag jeden Ring, der an der Kette hängt
Und ihn ans Ganze fesselt, auf die Hand
Hindeuten, die ihr Ende hält und trägt!
Mag jedes Saatkorn, das zur Erde fällt,
Sein Zeugnis still beredt vor uns entfalten:
Drinnen und draußen zeiht Unendlichkeit
die Schöpfung doch der Lüge; und der Geist,
der wandelbare, welcher die Natur
Durchdringt, ihr ist alleinz‘ger Gott; doch weiß
Der Stolz des Menschen seines Wissens Ohnmacht
Geschickt mit hohen Worten zu verhüllen.
Der Name Gottes hat schon jeden Frevel
Mit Heil‘genschein umstrahlt, und doch ist er
Nur das Geschöpf der Menschen, die ihn ehren;
Und mit den Toren, die ihm Tempel baun,
Verändern seine Namen und Begierden
Und seine Eigenschaften rastlos sich:
Fo, Siva, Buddha, Gott, Jehova, Herr —
Stets dienet er der kriegsbefleckten Welt
Als Stichwort der Verherrung; ob das Blut
Zermalmter Leiber seines Wagens Räder
Im Siegeslauf bespritzt, indes Brahminen
ein heilig Lied zu Todesseufzern plärren;
Ob hundert Mitregenten seine Macht
Sich teilen, dass sie schier zur Ohnmacht wird;
Ob brennender Städte Qualm, das Wehgeschrei
Hilf loser Frauen, hingemordeter
Wehrloser Greise, Jünglinge und Kinder
Gen Himmel steigt zu seines Namens Ehr‘;
Ob endlich — schlimmstes Los! — das Eisenalter
Der Religion die Erde seufzen macht,
Und Priester von dem Gott des Friedens schwatzen
Zur selben Zeit, wo ihre Hand vom Blut
Unschuldiger trieft und wo sie jeden Keim
Der Wahrheit unterdrücken, alles morden,
Die Erde wandeln in ein Schlächterhaus.
S. 157f.
Aus: Geheimnisse der Religion, Eine Anthologie, Auswahl R. Hoffmann, J. Schreck, H.Ullrich, H. Wolle. Verlag Neues Leben Berlin 1958