Shankara, auch Shankaracharja (788 - 820 n. Chr.)
Indischer Philosoph, der aus einer südindischen Brahmanenfamilie stammt und ein Vertreter des Advaita–Vedanta ist. Shankara besuchte bereits in früher Kindheit die Vedenschule des Govinda, von dem er die Lehre des Advaita, der Zweitlosigkeit übernahm. Er fiel schon in seiner Jugend durch seine Gelehrsamkeit und Klugheit auf. Shankara, den die Suche nach der Wahrheit antrieb, verfasste Kommentare zu den Brahmasutren des Badarajana, zu den wichtigsten Upanishaden und zur Bhagavadgita. Siehe auch Wikipedia |
Inhaltsverzeichnis
Gott und die Seele sind nicht verschieden
Das Selbst ist ewig
Die Erlösung
Gott
und die Seele sind nicht verschieden
Wir zeigten, dass die Seele und Gott in dem Verhältnisse des Unterstützten
und des Unterstützers zueinander stehen. Ein solches nun kann, wie die
Erfahrung zeigt, nur zwischen zwei Verbundenen stattfinden, wie z. B. zwischen
dem Herrn und dem Diener oder wie zwischen dem Feuer und den Funken. Da nun
auch zwischen der Seele und Gott das Verhältnis des Unterstützten
und des Unterstützers statthat, so fragt sich, ob ihre Verbindung zu denken
ist, wie die zwischen dem Herrn und dem Diener oder wie die zwischen dem Feuer
und dem Funken. Man könnte bei dieser Frage annehmen, »dass
das Verhältnis ein unbestimmtes sei«; oder auch, da das Verhältnis
von Beherrscher und Beherrschtem in der Regel ein solches zwischen einem Herrn
und seinem Diener ist, so konnte man annehmen, dass »die Verbindung
zwischen Gott und Seele in dieser Art zu denken sei«. — Hierauf
antwortet der Lehrer: »ein Teil«, d.h. die Seele muss ein Teil
von Gott sein, so wie die Funken von dem Feuer. Ein Teil soll heißen »gleichsam
ein Teil«, denn ein wirklicher Teil ist bei einem Gegenstande, der keine
Glieder hat, nicht möglich. — »Aber wie kommt es, da Gott doch
keine Glieder hat, daß die Seele nicht er selbst ist?« — »Wegen
Bezeichnung der Verschiedenheit«; denn wenn es heißt: »ihn
soll man erforschen, ihn soll man suchen zu erkennen« (Chând.8,
7, 1); — »wer ihn erkannt hat, der wird ein
Muni (Schweiger)« (Brih. 4, 4, 22); — »der
in dem Selbste wohnend. . . das Selbst innerlich regiert« (Brih.
3, 7, 22 Mâdhy.), — Da, so liegt hierin die Bezeichnung einer Verschiedenheit,
welche nicht angemessen wäre, wenn nicht wirklich eine Verschiedenheit
stattfände. — »Aber würde diese Bezeichnung der Verschiedenheit
nicht viel besser durch den Vergleich mit dem Herrn und seinem Diener ausgedrückt
werden?« — Darauf liegt die Antwort in den Worten: »und weil
auch hinwiederum«; d. h. es findet sich eben nicht bloß die »Bezeichnung
der Verschiedenheit«, so dass wir allein durch sie veranlasst
würden, die Seele als einen Teil Gottes zu betrachten, sondern es liegt »auch hinwiederum« eine Bezeichnung vor, welche eine Nichtverschiedenheit
zwischen beiden lehrt. In dieser Weise nämlich wird von einigen Vedaschulen
gelehrt, dass das Brahman auch »Fischer, Spieler usw. sei«,
nämlich von den Anhängern des Atharva-Veda, bei denen es in dem Brahmanliede
heißt:
»Brahman die Fischer und die Knechte,
Brahman sogar die Spieler sind«;
d.h. auch die Fischer, diese armseligen Tagelöhner, und die Knechte, die
sich an einen Herrn hängen, ja sogar die Spieler, die das Würfelspiel
betreiben, diese alle sind Brahman. Wenn hier die elendesten Geschöpfe
erwähnt werden, so soll damit gesagt sein, dass alle Seelen, wie sie
in das aus Namen und Gestalten gebildete Aggregat der Organe des Wirkens eingegangen
sind, ohne Ausnahme Brahman sind. Dasselbe wird anderwärts gelehrt, wo
von Brahman die Rede ist und es heißt (Shvet. 4,3 Atharva-Veda 10, 8,
27):
»Du bist das Weib, du bist der Mann, das Mädchen
und der Knabe,
Du wächst, geboren, allerwärts, du wankst als Greis am Stabe«;
und (Taitr.âr.3, 12, 7):
»Wenn alle Formen überdenkt der Weise
Und sie als Namen bloß begreifend dasitzt«,
und: »nicht gibt es außer ihm einen Sehenden« (Brih.3, 7,23); diese und andere Stellen beweisen, dass alle Seelen
Brahman sind. Dasjenige aber, worin die Seelen und Gott identisch sind, ist
die Geistigkeit sowie dasjenige, worin das Feuer und die Funken identisch sind,
die Hitze ist. — Also deswegen, weil beide sich als verschieden und doch
wieder nicht verschieden zeigen, muß man die Seele als einen Teil Gottes
auffassen.
Wie steht es nun mit der Gleichartigkeit Gottes und der Seele? Besteht sie nicht
oder besteht sie? — Wohl besteht sie, aber sie ist verborgen; denn das
Nichtwissen verbirgt sie. Obwohl sie aber verborgen ist, so wird sie doch, wenn
eine Kreatur den höchsten Gott überdenkt und erstrebt, gleichwie das
Sehvermögen bei einem Geblendeten, nachdem die Finsternis durch die Kraft
der Heilmittel abgeschüttelt ist, in dem, an welchem die Gnade Gottes es
vollbringt, offenbar, nicht aber von Natur bei irgendeinem Wesen. Warum? Weil
durch ihn, durch Gott als Ursache, Bindung und Lösung der Seele gewirkt
werden, Bindung, wenn die Wesenheit Gottes nicht erkannt wird, und wenn sie
erkannt wird, Lösung. Denn so sagt die Schrift (Shvet.Up.1.11):
»Ist Gott erkannt, so fallen alle Bande,
Die Plagen schwinden, nebst Geburt und Sterben.
Wer ihn erkennt, geht nach des Leib‘s Abtrennung
Zur Freiheit ein, zur seligen Erlösung.«
Das
Selbst ist ewig
Es ist »nicht an dem«, dass das Selbst nicht über den
Leib hinaus fortbestehe; vielmehr muss ein »Fortbestehen« desselben
über den Leib hinaus angenommen werden, »weil es in seinem (des Leibes)
Sein nicht das Sein hat«. Denn wenn daraus, dass die Qualitäten
des Selbstes bestehen, solange der Leib besteht, gefolgert wird, daß sie
Qualitäten des Leibes seien, so muss doch auch daraus, dass jene
nicht mehr bestehen, während der Leib noch besteht, geschlossen werden,
dass sie nicht Qualitäten des Leibes sind, indem sie von den Qualitäten
des Leibes wesensverschieden sind. Denn was Qualität des Leibes ist, wie
die Gestalt usw., das muss so lange wie der Leib. Hingegen bestehen Odem,
Bewegung usw. nicht mehr, wiewohl noch der Leib besteht, nämlich im Zustand
des Todes. Dazu kommt, dass die Qualitäten des Leibes, wie Gestalt
usw., auch an andern wahrgenommen werden, während es mit den Qualitäten
des Selbstes, mit Geist, Erinnerung usw., nicht so ist (sie gehören nicht
mit zur objektiven Realität).
Ferner: daraus, dass der Leib im lebenden Zustande besteht, kann man allerdings
beweisen, dass jene (die Qualitäten des Selbstes) bestehen, nicht
aber daraus, dass er nicht besteht, daß jene nicht bestehen; denn
es bleibt die Möglichkeit offen, daß, wenn auch dieser Leib einmal
dahinfällt, die Qualitäten des Selbstes durch Eingehen in einen andern
Leib fortbestehen; die Meinung der Gegner verbietet sich somit auch dadurch,
dass sie eine bloße Mutmaßung (samcaya) ist.
Weiter muß man den Gegner fragen, wie er sich denn das Geistige denkt,
wenn er seine Entstehung aus den Elementen annimmt; denn außer den vier
Elementen nehmen ja die Materialisten keine Wesenheit an. Wenn er sagt: das
Geistige ist das Wahrnehmen der Elemente und ihrer Produkte, so sind also jene
seine Objekte, und folglich kann es nicht eine Qualität derselben sein,
indem eine Betätigung gegen das eigene Selbst ein Widerspruch ist. Denn
das Feuer, obgleich es heiß ist, brennt doch nicht sich selbst, und der
Tänzer, so geschickt er auch ist, kann doch nicht auf seine eigene Schulter
steigen. Soll das Geistige eine Qualität der Elemente und ihrer Produkte
sein, so können die Elemente und ihre Produkte nicht Objekt desselben werden.
Denn z.B. die Gestalten können nicht die eigene Gestalt oder eine andere
Gestalt zum Objekte haben: während hingegen das Geistige die Elemente und
ihre Produkte, die außerhalb sowohl als die an dem eigenen Selbste befindlichen,
zu Objekten hat. »Mit demselben Rechte« also, mit welchem man die
Realität der alle Elemente und ihre Produkte zum Objekt habenden (und folglich
nicht zu ihnen gehörigen) »Wahrnehmung« annimmt, muss
man auch das Fortbestehen über jene hinaus annehmen. Denn die Eigennatur
der Wahrnehmung ist eben das, was wir die Seele nennen. So folgt die Unabhängigkeit
der Seele vom Leibe und ihre Ewigkeit aus der besondersartigen Natur der Wahrnehmung.
Und auch die Erinnerung usw. wird nur dadurch möglich, dass, nachdem
man eine Sache wahrgenommen hat, man sich auch dann noch, nachdem sie bereits
in einen andern Zustand übergegangen ist, vermöge des (trotz ihres
Vergehens fortbestehenden) Wahrnehmerseins wieder erkennt.
Wenn aber gesagt wurde, dass die Wahrnehmung eine Qualität des Leibes
sei, weil sie so lange bestehe wie der Leib besteht, so ist darauf in der schon
angezeigten Weise zu antworten: die Wahrnehmung besteht auch, solange die Hilfsmittel
derselben, z. B. die Lampe, bestehen, und sie bestehen nicht mehr, wenn jene
nicht mehr bestehen; aber daraus darf man nicht schließen, daß die
Wahrnehmung eine bloße Qualität der Lampe sei; und ebenso braucht
nicht darum, weil die Wahrnehmung besteht, solange der Leib besteht, und nicht
mehr besteht, wenn er nicht mehr besteht, die Wahrnehmung eine Qualität
des Leibes zu sein; denn die Möglichkeit ist da, dass der Leib dabei,
ebenso wie die Lampe, als ein bloßes Hilfsmittel dient. Übrigens
ist auch die Mithilfe des Leibes bei der Wahrnehmung gar nicht unbedingt erforderlich;
denn auch während der Leib unbeweglich im Schlafe liegt, haben wir mancherlei
Wahrnehmungen. — Folglich ist die Existenz der über den Leib hinaus
fortbestehenden Seele unbestreitbar.
Die
Erlösung
Jenes im absoluten Sinne reale, allerhöchste, ewige, wie der Äther
alldurchdringende, aller Veränderlichkeit entrückte, allgenugsame,
ungeteilte, seiner Natur nach sich selbst als Licht dienende (Sein), in welchem
kein Gutes und kein Böses, keine Wirkung, keine Vergangenheit, Gegenwart
oder Zukunft statthat — dieses unkörperliche (Sein) heißt die
Erlösung.
Aber auch insofern ist die Erlösung durch kein Tun bedingt, als sie durch (moralische) Besserung nicht erreichbar ist. Denn alle Besserung geschieht an
dem zu Bessernden durch Zulegung von Tugenden oder Ablegung von Fehlern. Durch
Zulegung von Tugenden kommt Erlösung nicht zustande; denn sie besteht in
der Identität mit dem keiner Zulegung von Vollkommenheit fähigen Brahman;
und ebensowenig durch Ablegung von Fehlern: denn das Brahman, in der Identität
mit welchem die Erlösung besteht, ist ewig rein. — Aber wenn sonach
die Erlösung eine Beschaffenheit des eigenen Selbstes ist, nur dass
dieselbe uns verborgen bleibt, kann sie nicht dadurch sichtbar gemacht werden,
dass man das Selbst durch eigene Tätigkeit läutert, ebenso wie
der Glanz als Beschaffenheit des Spiegels dadurch, dass man denselben durch
die Tätigkeit des Putzens reinigt? — Das geht nicht an, weil das
Selbst (Âtman) kein Objekt der Tätigkeit sein kann. Denn eine Tätigkeit
kann sich nicht anders verwirklichen, als indem sie das Objekt, auf welches
sie sich bezieht, verändert. Würde nun das Selbst, der Âtman,
durch eine Tätigkeit verändert, so wäre er nicht ewig, und Worte
wie »unwandelbar wird er genannt« wären unrichtig, was nicht
annehmbar ist. Folglich kann es keine Tätigkeit geben, die sich auf das
Selbst als Objekt bezieht; bezieht sie sich aber auf ein anderes Objekt, so
wird eben das Selbst nicht von ihr betroffen und folglich auch nicht gebessert.
Zitiert aus: Kommentare Shankaras zu den Sûtras
des Bhâdarâyana. Übers. v. P. Deussen 1887. S432f., 626f.,
433, 435f.
Enthalten in: Die Söhne Gottes, Aus den heiligen Schriften der Menschheit,
(S.69ff.)
Auswahl und Einleitungen von Gustav Mensching, R. Löwit . Wiesbaden