Michael Servet, eigentlich Miguel Serveto, auch Michael de Villeneuve (1511 -1553)
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Spanischer
Theologe und Arzt, der in seinem 1553
anonym veröffentlichten theologischen Hauptwerk »De
restituitione Christianismi« (Wiederherstellung des Christentums), in dem er Dreieinigkeitslehre in Frage stellte, weil für ihn nur ausschließlich Jesus Christus als einzige Offenbarungsquelle
für die Gotteserkenntnis in Frage kam. Alle Gottesvorstellungen und philosophischen Gottesbegriffe, die nicht unmittelbar von Christum herrühren, verwarf er als Hirngespinste. Servet schließt aus, dass von drei Wesen innerhalb der Gottheit gesprochen
werden kann, weil Gott nur Einer ist und dieser Eine ist Jesus
Christus, der in seiner Menschwerdung die alleinige sichtbare Repräsentation
Gottes ist. Diese Auffassung entsprach natürlich nicht dem absoluten
Alleinanspruch der seinerzeit herrschenden Lehrmeinung. Nach Aufdeckung seiner Autorenschaft wurde Servet deshalb auf
Betreiben Calvins ein Schauprozess gemacht, der
dazu führte, dass er als Gotteslästerer bei lebendigem Leibe verbrannt
wurde. Von medizinischer Bedeutung ist Servets Entdeckung des »kleinen Blutlaufes«.
Nachfolgender Text stammt aus seinem Erstlingswerk »De
trinitas erroribus« (Über die Irrtümer der Trinität). Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Über die
Irrtümer der Trinität
Sechstes Buch
Die Gotteserkenntnis, die wir
durch Christus erlangen, wirst du, wenn du deine
Erkenntniskraft mit nüchternem Verstandesurteil überprüfst, leicht
anerkennen. An sich
ist Gott nämlich
unbegreiflich. Du kannst ihn dir nicht vorstellen,
ihn nicht erkennen und ergründen, wenn du
nicht irgendein Antlitz (vultum) von ihm
ins Auge fasst. Gerade das aber ist das Ebenbild
(effigies) Christus
und die Person
des Wortes (verbi persona).
Denn dieses Person gewordene Wort (oraculum
personatum), diese Person
Christi, wie ich oben gesagt habe, die bei
Gott war, war Gott selber.
Auch gab es von ihm kein anderes Antlitz als dieses. Und eben das ist die Gestalt
(facies) Jesu Christi.
Und die andern Vorstellungen
von unteilbaren Wesen,
derer sich die Sophisten
brüsten, sind nichts. Es ist Torheit
vor Gottes Angesicht. Sie sind von ihren eigenen
Gehirngespinsten und Phantomen um ihre Sinne gebracht, wie ich anderswo, so
Gott will, zeigen werde. Das ist nämlich die gewisseste
Wahrheit und
jedem Menschen
mit Sinn und Verstand
einleuchtend, dass wir keine Vorstellung
von irgendetwas in der Welt
haben können, wenn wir keine Erscheinungsweise oder Gestalt (aspectum
seu faciem) daran feststellen. Und
wenn du mich zwingst, auf Feinheiten einzugehen: Von jener Vorstellung
kann man nicht sagen, dass sie ein Ding
verändert, indem sie es auf lebendige Weise repräsentiert, wenn nicht
das Bild (imago) dieses Dinges dem Verstand
vom Gedachten selbst (ab ipso phantasmate)
dargeboten wird.
Desgleichen wissen alle, dass ein nachdenkender Mensch seine Gedanken
sich vorstellen muss. Sie mögen mir also sagen,
was für eine Art Figur es ist oder welche Ähnlichkeit jenes Gedachte
(phantasma) hat, das sie sich selber vorstellen,
wenn sie eine Vorstellung von Gott
haben. Denn es ist ganz sicher, dass das Gedachte, was immer es auch
sei, ein sichtbares Ebenbild zur Schau trägt,
weil es in der Welt kein Gedachtes gibt, das nicht
auf ein sichtbares Ding begrenzt wäre, wie sie auch in uns durch sichtbare
Dinge verursacht sind. Auch begreifen sie nicht, wie man sagen kann, dass mittels
dieser sichtbaren Dinge die Unsichtbaren
»durch einen Spiegel in einem dunklen Wort«(1.
Kor. 13, 52) erkannt werden.
Wie wir durch das sichtbare Ebenbild des Wortes
Gott erkennen, so schließen wir aus Wirkungen
darauf, dass es eine erste Ursache
gibt, folgern aus Bewegungen, dass es einen ersten Beweger gibt — obgleich
Aristoteles niemals eine wirkliche Vorstellung
davon hatte. Dieses sind Dinge, sagt Paulus, (1.
Kor. 2, 11ff.), die man über Gott wissen
kann, nicht aber, dass man deswegen Gott selber erkennen würde. Ja, die
ganze Auseinandersetzung ist nichts anderes als eine Umsetzung von sichtbar
Gedachtem. Aber abgesehen davon wird das für uns allein aus der Schrift
ganz deutlich, weil uns Gott durch sein Wort offenbart
wird. Und diese Gestalt von Gott solltest du anerkennen,
damit du in der Gestalt Jesu die Herrlichkeit Gottes
und damit den Gott erkennst, den du vorher nie gekannt und dessen Erscheinung
(speciem) du nie gesehen hast: Joh. 5,37.
Hier heißt sie »Erscheinung«,
»Form«
und »Gestalt« Gottes, so dass Christus
hier sagt, dass Gott nicht
erkannt werden kann außer in seiner Gestalt.
Aber in der Gestalt Jesu Christi wird er erkannt,
als ob Gott sich ohne Schleier offenbarte, mit dem sichtbaren Antlitz, mit dem
er Moses von Angesicht zu Angesicht erschien. Und
wenn er mir jenes Angesicht, das Moses nicht sah,
klar zeigte, würde ich nichts anderes sehen als die Gestalt Jesu Christi.
Und gerade sie war das Ebenbild des Wortes und auf diese Weise offenbart sich
uns der unsichtbare Gott durch das sichtbare Wort, und in diesem Sinne wird
Christus die Gestalt Gottes genannt. Denn von einem jeden Ding
nennt man das die Gestalt, wodurch ein solches
Ding gesehen und erkannt wird.
Und wenn man die Betrachtung des Wortes beiseiteschiebt, ist
Gott völlig unsichtbar und unvorstellbar,
und die Philosophen der ganzen Welt reichten nicht aus sich eine Vorstellung
von ihm zu bilden. Und alles, was sie hierüber sagen, sind Lästerungen
gegen Christus. Denn es sollte sich klar und einfach
bewahrheiten, dass Gott durch ein Wort gesehen
wird, und:
»Wer mich sieht, sieht den Vater«, und niemand hat ihn gesehen
außer durch den Sohn (Joh. 1, 18; 5 ,37; 6, 46;
8, 19; 12, 45; 14, 9).
Aber so, wie die verfluchten Philosophen den Satz:
»Gott ist Geist« (Joh. 4, 24)
auf metaphysische
Weise verstanden haben wollen, so glauben sie, es sei lediglich ein Schauen
Gottes mit leiblichem Auge gemeint, wenn man sagt:
»Niemand hat Gott je gesehen« (Joh.
1, 18). Auch können sie nicht begreifen, dass der Sinn des Evangeliums
anderswohin zielt, wenn so oft die Rede ist von einem Schauen des Gottes,
der durch Jesus Christus gesehen wird und der niemals
vorher gesehen oder erkannt worden ist.
Schlachte die unbehauenen Worte nicht auf die Weise der Sophisten
aus, sondern halte immer die Ordnung des Gedankengangs ein und bedenke,
dass die Apostel bis dahin ungebildete Leute waren! Und
Christus sagt, sie hätten den Vater gesehen. Dasselbe wird 1.
Joh. 1, 1—3 gesagt. Trotzdem hatten sie nichts anderes als die
Gestalt Christi gesehen. Beachte, in welchem Sinn
sie dies fragten, und die Antwort Christi auf die
gestellte Frage! Und wenn es heißt: »Wer mich
sieht, sieht den Vater«: beachte die Wendung »sieht
den Vater«, und nenne dieses verstehende Sehen Vorstellung,
Erkenntnis,
Verständnis oder wie du auch immer willst, und gib mir in entsprechender
Weise zu, dass Gott nie vorher gesehen worden ist! Sonst hätte Christus
uns nichts Neues gebracht, hätte sich prahlerisch gebrüstet,
der Vater sei durch ihn sichtbar geworden.
Wenn Gott also durch Christus auf neue Weise sichtbar wird
(tatsächlich hat es nie vorher ein vollkommenes Schauen Gottes von Angesicht
zu Angesicht gegeben), was kann das für ein Schauen sein, wenn nicht
das der Person des Elohim, die jetzt in der Gestalt
Jesu Christi widerstrahlt? Und um die eingebildeten
Vorstellungen der Philosophen zu verwerfen hat
er ausdrücklich gesagt, er sei gesehen worden. Gott
möge ihnen den Verstand geben, dass sie ihn selber erkennen und mit Johannes
sagen: »Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die
niemand je gesehen hat« (Joh. 1, 24. 18).
Auch hat Johannes nie etwas anderes gesehen
als diese Person, die bei
Gott war und die selbst Gott war. Und durch
Gottes Kunst ist dieser Schluss
gültig. Durch sichtbares Schauen jenes Antlitzes wurde Gott
gesehen, weil er selber Gott war. Und eben
das ist nun die Gestalt Christi. In der
Gestalt Christi also erscheint Gott, und
so ist Christus nun eigentlich in Gott,
wie jenes Wort, das Gott selber war, bei
Gott war. Und aus diesem Grund
beweist Christus, dass der Vater durch ihn sichtbar
werde: weil der Vater in ihm ist und er selber
im Vater (Joh. 14,11).
Du musst nämlich immer bedenken, welcher Art einst der Anblick von Gottes
Wort war, und es mit der Gestalt Christi vergleichen.
Und dann sprich, dass Gott deutlich gesehen wird,
vergiss es niemals, höre ihn selber bis heute vom Himmel rufen:
Wenn ihr mich seht, seht ihr Gott; wenn ihr mich seht, seht ihr den Vater!
Hieraus wird deutlich, dass jenes Wort, das durch ein solches Antlitz personifiziert
ist, keine gesprochene Stimme war, die keine eigentliche Existenz gehabt hätte.
Denn Johannes hätte nicht über es an
sich gesagt: »Das Wort war.« Vielmehr
sagte er deshalb »war«, weil es an
sich existent schien. Tatsächlich schien nichts
anderes zu existieren als jenes Wort, als ob der unsichtbare Gott in ihm verborgen
wäre. Und gemäß der Meinung des Johannes würde ich eher
»Orakel« als »Wort«
oder »Rede« sagen. Und die Meinung
des Johannes ist diese: Im
Anfang war bei Gott ein gewisses Wort und das war Gott selber, und eben das
war das Licht, das von denen, die in der Dunkelheit lebten, nicht begriffen
werden konnte.
Aber wir sahen ihn, nachdem er Fleisch geworden war, weil eben das heute das
leuchtende Antlitz Christi ist. Außerdem ist der Begriff
»Wort« dieser Sache angemessen. Denn
es selber war jenes Wort, das von den Flügeln der Engeln bedeckt und überschattet
war (2. Mos. 25, 20; 37, 6—9 <Vulg.>):
das Wort, durch welches Gott Moses
Antwort gab (3. Mos. 7, 29 <Vulg.>).
Und so war dieses Wort im Verborgenen des Hauses, wie Christus
im Schatten des Allmächtigen verborgen war. Ebenso bestätigt
das hebräische Wort diese Bedeutung des Geheimnisses.
Denn von dabar (das heißt
logos) kommt
debir (das heißt das Wort des Tempels:
Psalm 28,2; 2. Chron. 5, 7, 9; 1. König. 6, 5. 19—21). Christus
ist nämlich das wahre Wort, durch das wir Gottes
Antwort erhalten, wie er selbst auch das Sühnopfer genannt wird, das heißt
die Sühne für unsere Sünden
(Ps. 32, 1 <Vulg.>; Röm. 4, 7). Und wie
Christus jetzt das Wort ist, so war seine Person
einst nicht nur im Tempel, sondern vorher im Bundeszelt und sogar vor dem Bau
des Zeltes das Wort, von dem Moses in der Wolke
Antwort erhielt. Dort war auch jenes Licht, das
nach Johannes in der Wolke die Finsternis erleuchtete
(Joh. 1,5), die alles aus dem Gesetz hervorlocken sollte, auch wenn wir
uns wenig darum kümmern.
Hieraus merke, dass Christus uneigentlich
das Bild (imago) Gottes
genannt wird. Ja, er ist mehr als ein Bild. Denn ein Bild ist es, wenn
zwei Dinge auf ähnliche Weise gebildet sind und das eine das Bild des andern
genannt wird. Aber im Falle Christi und Gottes
ist es nicht so. Denn wenn der Engel Gabriel
zu mir in Gestalt eines fliegenden Adlers käme,
sollte ich sagen: »Dies ist das Bild Gabriels«?
Ja, auch wenn es ein Bild genannt wird, ist es doch mehr als ein Bild, nämlich
ein Ebenbild (effigies) oder ein Charakter
(character), der sein Wesen
(hypostasim) repräsentiert, ja enthält. Und das Wort kann
nicht eigentlich das Bild des Vaters genannt werden, sondern mehr als
ein Bild. Denn es war in sich selbst die Gestalt
Gottes und Gott selbst war die Gestalt oder eine
Art von Form, die
das eigentliche Sein
Gottes enthielt. Gleicherweise ist Christus
mehr als ein Bild, obgleich mir die
Worte fehlen, dass ich es mit meiner dummen Zunge ausdrücken könnte.
Auch kann ich es nicht deutlicher sagen, als Paulus
es gesagt hat: der Charakter des Wesens Gottes Hebr. 1,
3 (griech.); das heißt, das Bildwerk (sculptura),
in dem eben dieselbe Sache aufleuchtet wie in eigener Gestalt. David
und Moses nennen es temûnah
(Psalm 17, 15; 5. Mos. 4, 12. 15).
Und merke wohl, in welchem Sinne es dort »Bild«
genannt wird, wenn es heißt: »Ihr habt kein
Bild gesehen« (5. Mos. 4, 12). Denn
wenn du hier »Bild« in diesem Sinne
verstehst, denkst du richtig. Denn das Bild war dort die Form
der Gestalt selbst, und zwar nicht vermittelst
einer Ähnlichkeit zu einem andern eingebildeten Wesen. Und in diesem Sinne
wird Christus das Bild Gottes,
genannt, weil er ein Ebenbild ist, eine Art Repräsentation
seines Wesens oder die eigentliche Darstellung einer Sache durch die äußere
Erscheinung
(Joh. 5,37). Mit Recht wird Christus
also Ebenbild genannt oder eine Art Einmeißelung
(insculptura), die das eigentliche Sein Gottes darstellt
(2. Kor. 4, 4; Kol. 1, 15). … Das Schauen seiner Gestalt ist das
Schauen Gottes, wie für Tobias selbst das Schauen jenes Jünglings
das Schauen des Engels war (Tob. 5,49; und als
die Taube erschienen war, sagte Johannes: »Ich
habe den Geist Gottes herabsteigen sehen« (Joh.
1, 32).
Hieraus wird deutlich, dass die Philosophen bei ihrer Untersuchung dieses »Charakters«
ganz fehlgehen. Das Argument, von dem sie glaubten, es sei gegen mich ein achilleisches
(nicht zu beantwortendes), ist ihnen zu einem Schwert
Goliaths geworden (1. Sam. 17, 51). Auch konnten
sie selber nie beweisen, wieso der Sohn ein Charakter des Wesens Gottes genannt
wird.
Sie täuschen sich gewaltig, wenn sie vom Wesen des
Vaters und nicht vom
Wesen Gottes reden; als wenn sie von einer metaphysischen
Ähnlichkeit
eines andern Wesens sprächen und nicht vom Bild Gottes, obgleich dies doch
die evangelische Art zu reden ist und sogar die des Alten Testaments. Dennoch
vermeiden sie selber es, nach Art der Schrift zu reden, indem sie alles lächerlich
machen. Auch heißt es nicht in ihrem Sinn das Bild des Vaters, sondern
Ebenbild Gottes, Charakter Gottes.
Ja, Paulus fügt ausdrücklich hinzu »Ebenbild
des unsichtbaren Gottes« (Kol. 1, 15),
als wenn er sagte, im sichtbaren Menschen sei die
Gestalt des unsichtbaren Gottes. All dies zielt
ab auf eine Erklärung der Worte des Meisters: »Wer
mich gesehen hat, hat den Vater gesehen«
(Joh. 14, 9) und: »Wenn ihr mich erkannt
hättet, hättet ihr den Vater erkannt« (Joh.
14, 7). Diese Zitate werden auch durch das Alte Testament aufs vollste
bestätigt mit den oben erwähnten Stellen, in denen von diesem Bild
gesprochen wird. Und dieses Ebenbild nennt Gott das »unsere«
(1. Mos. 1, 26), weil ein- und dieselbe
Gestalt Christi die Gestalt beider ist, und dieselbe Person des Wortes war die
Gestalt und das Antlitz Gottes.
Christus wird also Erscheinungsweise, Gestalt, Ebenbild,
Zeichen, Charakter, Siegel, hervorstechendes Merkmal, eine Art Einmeißelung
des Wesens, d. h. der Existenz Gottes genannt,
weil Gott in ihm allein existiert; auch kann Gott
durch sonst niemanden erkannt werden. Und wie inmitten der Unermesslichkeit
und des unzugänglichen Lichtes das Antlitz
der Sonne erscheint, so erscheint inmitten der Höhe und Tiefe Gottes sein
Wort, die Person Jesu Christi.
Sie selbst war Gott, sie selbst ist jetzt die Vision
Gottes, sie ist uns als Zeichen gesetzt und in
irgendeinem andern ist kein Heil (Apg. 4, 12) und
es gibt kein anderes Schauen
Gottes irgendwelcher Art.
Auch hat Johannes nichts anderes gesehen, als er
sagte: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort (Joh. 1, 1). Dies
ist die Höhe und Tiefe der Erkenntnis Christi,
dies ist jene Kraft, Ordnung und Ökonomie
Gottes, die alles in der Gewalt
hat, wie auch Johannes sagte: »Alle
Dinge waren durch ihn« (Joh. 1,3).
Und zu diesem Zweck
stieg Christus empor und wurde zur Kraft
und Macht Gottes
gemacht, wie es uns der Meister selber recht lehrte, indem er sprach: »Ohne
mich könnt ihr nichts« (Joh. 15, 5).
Genauso wie wir auch ohne Gott
nichts können. Denn alle Macht Gottes ist
durch ihn. Alles wurde gemacht durch Christus in
Kraft. Alles wurde gemacht durch Christus im Wort.
Alles wurde gemacht durch Christus in
Person — nicht nur gemacht, d. h. von Anfang an geschaffen, sondern
der ganze Ablauf und die Ordnung der Welt wurde durchgeführt durch seine
Ökonomie. Seine eigene herrliche Gestalt, die einst inmitten jenes unzugänglichen
Lichtes von der Wolke verdeckt war, leuchtet heute unverhüllt auf.
Und mit dem ihm eigenen Recht ist er nun bei Gott,
und zwar in Wirklichkeit, wie er vorher als Person
in ihm war. Und die Energie, die aus dem Wort floss, als sei sie der Atem seines
Mundes, wurde Geist Gottes genannt. Es war nämlich der Atem des Elohim
Christus (1. Mos. 1, 2), der uns heute heilig ist
und aus dem Munde Christi fließt (Joh. 20, 22).
Und ebendort (1. Mos. 2, 7) schenkte er den natürlichen
Lebensgeist, wie er auch heute durch seinen Anhauch den übernatürlichen
gegeben hat. Und noch mehr Geheimnisse liegen hier verborgen. Denn nach dem
Gleichnis dieses Wortes fließt in uns aus den Worten der Schrift der Heilige
Geist wie Ströme lebendigen Wassers. Denn es ist derselbe Geist
seines Mundes: aus dem ewigen Wort, aus dem Mund Christi und aus den Worten
der Schrift. Und gerade diese Energie und
Kraft des Wortes ist der ewige Geist
Christi, von dem ich eben gesprochen habe.
Wenn du fragst, wieso wir über Gott reden und so viel von ihm sprechen,
wenn wir ihn doch nicht verstehen oder keine Kenntnis
von ihm haben, so antwortet darauf Paulus, dass
der Geist alle Dinge erforscht, auch die Tiefen der Gottheit
(1. Kor. 2, 10). Und das, was unsichtbar
ist, offenbart Gott uns durch seinen Geist (1. Kor. 2,
7—10), der in der Heiligen Schrift verborgen liegt. Ich arbeite
nämlich daraufhin, dass ich das lerne, was über Gott in der Bibel
enthalten ist. Was ich aber durch philosophische Vorstellungen
erworben habe, ist für unsere Erziehung nichts wert. Es ist uns
vom Himmel ein Buch gegeben worden, damit wir in ihm nach Gott
forschen, unter Beihilfe eines Glaubens,
der nicht jenes bloße Fürwahrhalten der Sophisten
ist, sondern eine Regung des Herzens, wie die Schrift
sagt: »Von Herzen glaubt man« (Röm.
10, 10) und: »Wenn du von ganzem Herzen glaubst«
(Apg. 8, 37 <Vulg.>).
Und als Objekt
dieses Glaubens genügt jede beliebige äußerliche Darstellung
Gottes ohne jene philosophische Vorstellung von Gott. Allein diese Überlegung
zerstört die philosophische Vorstellung, weil jeder Mensch seine Einbildung
über Gott hat, die von jeder andern verschieden
ist. Auch hilft der Glaube an Christus wunderbar
dazu, weil wir durch ihn den Geist empfangen, und wenn du nicht zuerst geglaubt
hast, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist,
wirst du dich nie selbst verstehen. Das ist Torheit
oder vielmehr himmlische Philosophie,
die nicht aus Aristoteles, sondern gänzlich
und aufs klarste aus den göttlichen Quellen schöpft,
wenn wir der Redeweise der Schrift folgen. Denn gerade in den Worten selbst
liegen Geist und Weisheit verborgen wie auch der Griffel der Weisheit.
Denn jede Rede, jeder Buchstabe, von Gott eingegeben, ist nützlich zur
Lehre, zur Besserung und zum Unterricht (2. Tim. 3, 16).
Und ich antworte auf die Frage, dass ich eine Vorstellung
von Gott habe, und diese Vorstellung ist
die Vision seines Wortes. Und es ist die Vision selber durch die, wenn ich sie
sehe, der Vater »durch einen Spiegel in einem dunklen
Wort« gesehen wird. Und hier erkennt man den wahren Glauben der
Christen an Christus, der deshalb ein Anzeiger
von Dingen, die man nicht sieht, genannt wird (Hebr.
11, 1).
Aber die Philosophen, die alles wissen und über alles Vorstellungen
haben, haben den Glauben nicht nötig. Ja,
tatsächlich ist ihnen Christus überflüssig
geworden, weil sie Gott jetzt nicht anders kennen als früher. Wir aber
wissen, dass eine sichtbare Offenbarung
des Geheimnisses geschehen ist. Wir wissen, dass
Gott durch Christus gesehen wird. Gott hat beschlossen und gewollt, dass er
so in seinem Spiegel betrachtet wird wie einst durch die Erscheinungsweise des
Wortes. Und diese Schau Gottes genügt für Christen vollauf, so dass
wir uns durch sie am unsichtbaren Gott im Geiste
erfreuen. Denn Christus ist der Weg, und man soll
im Geiste durch ihn Gott
nahen und nicht durch jene Vorstellungen.
Das ist das völlige Gegenteil von dem, was durch sie geschehen ist. Sie
sind sich selbst vorgekommen, als wenn sie mit ihren eigenen Sinnen die drei
mathematischen Wesen berührt hätten, obgleich es nichts
gibt, wovon sie weniger Kenntnis haben als
von diesen. Sie sagen, eine
Vorstellung sei eine Art Qualität,
die von den gedachten Wesen abstrahiert
sei und auch in einer Ferse säße.
Aber Gott wird diesem dummen Zeug einmal ein Ende
setzen. Es dauert mich, dass es nicht nur eine mathematische Verspottung der
Vorstellungskraft ist, sondern auch eine schreckliche Lästerung
gegen die Lehre Christi. Es möge ihnen genügen,
dem Schein nach Einbildungen im Kopf zu haben, ohne jedoch Vorstellungen in
einer Ferse zu suchen. Anders als durch Christus sollen
sie nicht über Visionen von
Gott schwätzen.
Denn auch wenn sie alle Engel des Himmels mit offenen Augen sähen: Gott
bleibt trotzdem noch tiefer verborgen, mit einem Kleid der Engel angetan, wie
eine ausgebreitete Haut.
Auch mögen die Philosophen mich hier nicht wegen der Natur
der Engel angreifen, über die ich nichts weiß.
Denn »ausgebreitet« sage ich nicht
in einem lokalen Sinn, weil die Kunst Gottes dem
Ort überlegen ist. Höchst unsinnige Menschen! Sie reduzieren alles,
was außerhalb ihres Körpers
ist, auf eine Art Punkt.
Auf so großen Unsinn sind sie gekommen, dass sie sagen, Gott
selber sei wie ein Punkt, der auf derselben
Ebene vielmals wiederholt wird. Ist dies die Vorstellung von Gott, derer sie
sich rühmen? Ich bitte Gott, dass sein Geist
sie berühre, wenn sie dies lesen, damit er ihnen vielleicht ein Geruch
des Todes zum Tode
ist (2. Kor. 2, 16).
Wenn sie diese ganz einfache Weise, Gott zu sehen, zugeben, werden sie besser
verstehen, was der Geist Gottes
und der Heilige Geist ist. Denn
es hängt alles von der Erkenntnis
Christi ab, und wenn wir das nicht wissen, wissen
wir nichts. Und man muss wissen, dass, obgleich gewöhnlich drei Wesen zugegeben
werden, ich dennoch — indem ich angemessener rede — sage, dass in
Gott zwei Ordnungen (dispositiones) waren,
nämlich das Wort und der Geist, und allein im Wort war das sichtbare
Wesen.
Denn man schreibt dem, was der Form nach Geist ist, zu Unrecht die Eigenschaft
zu, gesehen zu werden. Auch hat es nicht die Gestalt einer dauerhaften Sache
wie das Wort. Auch sagt man nicht, der Geist sei derart etwas geworden, wie
das Wort Fleisch geworden ist. Aber wir erkennen
ihn, nicht darum allein, weil wir seinen Atem sehen, sondern weil wir ihn im
Innern wahrnehmen (Joh. 14, 17), und gleichsam
hörender Weise, wie Christus sagt
(Joh. 3,8). Und so
erschienen gleichsam Zungen von Feuer und ein gewaltiges Rauschen wurde gehört
(Apg. 1, 2 f.). Und es gefiel Gott, den Geist in sichtbarer
Person auszugießen, damit wir umso größere Sicherheit
betreffs dieser göttlichen Ordnung hätten. Und obgleich jene Vision
nicht für uns übrigblieb, erfahren wir doch, dass er in uns ist (Joh.
14, 17; 2. Kor. 13, 3. 5). Dadurch erkennen wir, wie Johannes
sagt, dass wir in ihm bleiben, weil wir die Kraft
des Geistes in uns wahrnehmen (1. Joh.4, 13).
Gib bitte acht auf Christus und du
wirst seinen Geist erkennen. So große Dinge
hat nämlich die glorreiche Ankunft Christi bewirkt,
dass alle Dinge verwandelt sind, ein neuer Himmel, eine neue Erde (Offbg.
21, 1. 5). In den Himmel hat er uns steigen
lassen. Der Himmel ist offen, und nachdem sein Wort ans Licht
gebracht worden ist, hat Gott sich selbst uns enthüllt.
Wir sind in die Tore Gottes eingetreten, sehen,
was in ihm verborgen lag, befühlen sein Wort mit Händen und nehmen
seinen Geist in uns selber wahr. Am Anfang habe ich bereits über das Wort
gesagt, dass in Gott keine andere Person
des Wortes ist als Jesus Christus selber,
als ob das Wort von Gott zurücktrat, als es
Fleisch wurde. Aber tatsächlich trat es nicht
zurück, sondern Christus stieg auf zu
Gott und brachte uns von dort den Himmel mit
sich.
Entsprechend sage ich vom Heiligen Geist,
dass der Geist Gottes gleichsam von Gott
zurücktrat, als er zu den Aposteln geschickt wurde
(Apg. 2, 3. 4). Tatsächlich aber trat er nicht zurück, sondern
wir sind aufgestiegen zu Gott und er hat uns mit
Christus in den Himmel sitzen lassen. Auch ist der
Heilige Geist für uns kein erhöhtes
Wesen. Sondern dank der wunderbaren Kunst Gottes
ist durch seine Gegenwart Dunkles
in Lichtes verwandelt,
wie die Gestalt Jesu Christi auf dem Berge
leuchtend wurde, ohne dass eine Vereinigung mit irgendeinem Wesen über
ihn gekommen wäre. Und diesen Vergleich wirst du finden in Matth.
17, 2ff.; 2. Kor. 3, 18. Sprich also, dass der Heilige
Geist ein göttlicher Trieb
im Geiste des Menschen ist. Was Gott so durch einen Antrieb
erleuchtet, das heiligt er durch die Erleuchtung.
Auch ist hier keine Wesensbestimmung gefordert. Denn das Wort »Geist«
wird gebraucht für eine Art Bewegung,
so wie die Bewegung eines Drangs oder des Atmens. Und weil Gott
diejenigen, die an Christus glauben, heiligt, indem
er sie so bewegt, deshalb nennt man den Geist im Menschen heilig,
und zwar durch den Glauben an
Christus. S. 363ff.
Aus: Der linke Flügel der Reformation. Herausgegeben von Heinold Fast
In der Reihe: Klassiker des Protestantismus. Herausgegeben von Christel Matthias
Schröder Band IV, Sammlung Dieterich Carl Schünemann Verlag Bremen