Reinhold Seeberg (1859 – 1935)
![]() |
Deutscher evangelischer Theologe, der eine Theologie vertrat, die, an den deutschen Idealismus und die lutherische Theologie anknüpfend, die geschichtlich überlieferte christliche Botschaft in intellektuell verantwortbarer und glaubwürdiger Weise dem Menschen von heute vermitteln wollte. Seebergs bedeutendste theologische Leistung ist sein »Lehrbuch der Dogmatik«. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Christliche Dogmatik
(2 Bände 1924 f.,
aus dem 1. Band)
Die Trinitätslehre.
a) Die dreifache Wirkung
Gottes in Natur, Geschichte und Persönlichkeit.
Wir sahen, dass die Allwirksamkeit Gottes zwar auf die Gesamtheit des Geschehens
Anwendung findet, dass sie aber gemäß der Verschiedenartigkeit der
vorhandenen Objekte diese zu verschiedenen Zwecken bestimmt hat und somit in
verschiedener Weise auf sie einwirkt. Wir werden also guttun, zunächst
nach einer Einteilung dieser Objekte zu suchen, wobei wir natürlich uns
an den Rahmen der christlichen Religion zu halten haben. Der erste umfassende
Komplex von Objekten, die in sich notwendig zusammenhängendes System bilden,
ist die Naturwelt. Sie bietet
den Spielraum der Möglichkeiten alles Geschehens dar, sofern sie alle von
Gott gewirkten und gegebenen Kräfte in sich fasst. -
Auf dem Boden der Natur erhebt sich aber die Welt
der freien Geister, welche die von der Naturkausalität
gewährten Möglichkeiten der Entwicklung geistiger Wirklichkeit herstellt.
Für die christliche Anschauung konzentriert sich diese ein geistiges Gesamtleben
herstellende Tätigkeit auf die Erbauung der Kirche, deren geschichtliche Lebensbewegung durch den leitenden Zweck des Reiches Gottes
bewirkt wird. Die Entfaltung der Kirche hat ihren Möglichkeitsgrund sowohl
an den gegebenen natürlichen Bedingungen, wie etwa der geistigen Anlage
des Menschen, wie auch an der ihr vorangehenden und sie begleitenden Herstellung
einer geistigen Welt durch die geschichtliche Arbeit der Menschheit.
Die Kirche setzt somit eine doppelte Möglichkeit voraus, eine in der natürlichen
Entwicklung und die andere in den geschichtlich-geistigen Zuständen. Man
kann daher vom Standort der Kirche her die geschichtlichen Zustände sowohl
in das Gebiet der gegebenen Möglichkeiten oder der Natur einstellen, als
auch im Hinblick auf die in der Geschichte sich vollziehende Erbauung einer
geistigen Welt, die letztlich auch religiösen Zielen zustrebt, diese Geschichte
in enge Beziehung zu der Geschichte der Kirche selbst setzen. Diese Frage hängt
offenbar mit der anderen zusammen, ob man die sogenannten »natürlichen«
Religionen der Menschheit nur in ein negatives oder auch in ein positives Verhältnis
zu der christlichen Offenbarungsreligion zu setzen hat. Wir haben bei unserer
religionsphilosophischen Grundlegung erkannt, dass trotz des durchgreifenden
Gegensatzes zwischen beiden ein positives Verhältnis nicht geleugnet werden
kann. Dann aber werden wir zwar in dem Rahmen der spezifisch christlichen Gedanken
das Gesamtleben der Kirche als den nächsten Gegenstand unserer geschichtlichen
Erwägung ansehen, dabei aber wegen des geschichtlichen Zusammenhanges dieses
Lebens mit dem Leben der Gesamtgeschichte nicht umhinkönnen, für beide
die nämliche Seite der göttlichen Allwirksamkeit theoretisch in Anspruch
zu nehmen.-
So ist zur Natur die Geschichte gekommen. Die Träger der Geschichte sind einzelne Personen. Nun
aber ist die Person in ihrer sich
aktualisierenden Geistigkeit nicht wie das natürliche oder nur potentiell
geistige Individuum ein bloßes Exemplar einer Gattung, sondern sie ist
vermöge ihrer geistigen Selbstheit ein besonderer Faktor. Die Person kann
aber auch nicht in den objektiven Geist einer Zeit oder einer Gemeinschaft so
einbezogen werden, dass sie als alleiniges Produkt dieser angesehen wird, denn
es sind Akte freier Selbstbestimmung, durch die sie sich dem objektiven Geist
oder dem geistigen Rhythmus des geschichtlichen Lebens einordnet oder auch nicht
einordnet. Dann aber ist außer der Natur und der Geschichte das persönliche
Leben als dritte Form des Weltseins anzusehen. (S.379/380)
Wir müssen nun diese Formen unter dem Gesichtspunkt der göttlichen
Allwirksamkeit stellen. Dabei ergibt sich zunächst,
dass sie in ihrer Besonderheit von Gott gewollt und gewirkt werden, dann aber
auch, dass ihr Zusammenhang ein Werk des göttlichen Willens ist. Wenn wir
diesen Gedanken genauer formulieren, kommen wir zu drei Formeln.
Zunächst ist zu sagen, dass Gott
will, dass die Naturwelt sei, werde und dadurch sein werde.
(S.381)
Die christliche Betrachtung der Welt lässt nun aber in der geistigen Welt
das Gottessein der Welt gehindert werden durch den diese geistige Welt beherrschenden bösen Willen ihrer Glieder. Indem aber dieser
die geistige Welt leitende böse
Wille gebrochen und überwunden wird, wird es notwendig, ein besonderes
hierauf abzielendes Wollen des allwirksamen Gottes
anzunehmen.
Wir kommen also zu der zweiten Formel.
Gott will, dass die gegen ihn wollende oder sündige
geistige Welt seinem herrschenden Willen unterworfen und dadurch sein werde.
Dafür kann aber auch gesagt werden: Gott will, dass Kirche oder rein geistige
Menschheit Gottes sei. Er will also die von ihm abführende Richtung der
Geschichte in eine zu ihm hinführende verwandeln. Es handelt sich somit
um die erlösende Gottesherrschaft, welche
die Menschheit, auf dem Wege der Geschichte, Kirche oder Gott dienendes Gottesreich
werden lässt. (S.381/382)
Gott will also Welt und er
will Kirche.
Mit der Tatsache einer Gott dienenden Menschheit ist aber nicht gegeben, dass
diese und andere besondere Personen zu dieser Kirche gehören, und dass
sie in sie hineinkommen unter den dem Eindruck ihrer Personalität besonders
angepassten Einwirkungen einzelner Glieder der kirchlichen Gemeinschaft. Demgemäß muss zu den beiden Formeln: Gott will Welt und will Kirche als letzte hinzukommen:
Gott will mich.
Allgemein ausgedrückt:
Gott will,
dass besondere Personen in einer ihren besonderen Bedarf entsprechenden Wechselwirkung
mit anderen Personen Glieder seiner Kirche werden und sich in ihr betätigen.
Hiermit werden also die einzelnen Personen sowohl als Objekte des durch andere
Personen auf sie wirkenden göttlichen Willens wie auch als Subjekte zur
Übermittlung dieses Willens an andere Personen bezeichnet. Indem also eine
Person von dem Geiste Gottes unterworfen wird, empfängt sie zugleich den Antrieb, durch denselben Geist andere Personen
ihm zu unterwerfen.
b ) Vater, Herr und
Geist – die ökumenische Trinität
Es wird jetzt kaum der Bemerkung bedürfen, dass die drei
Formen der Auswirkung der Allwirksamkeit, zu denen wir auf dem Wege der
Analyse des christlichen Gotteserlebens gelangt sind, genau der religiösen
Erfahrung entsprechen, die das Neue Testament mit der triadischen Formel verbindet.
Dies Zusammentreffen ist von höchstem Interesse, denn es zeigt, wie die
religiöse Empirie ohne alle Theorien zu dem triadischen
Verständnis des göttlichen Wirkens gelangt. Wir haben also
zunächst Gott erkannt als den die Natur und damit die Möglichkeit
alles Geschehen setzenden Willens. Es ist Gott als der Vater, um mit
dem Neuen Testament zu reden. Wie dieser eine übergreifende Stellung hat,
sofern er das ganze Wirkungsgebiet des Herrn wie des Geistes unter sich befasst,
so dass diese nur als Ausführer des väterlichen Willens erscheinen
können, so ist auch unsere eigene Betrachtung orientiert. Wir haben sodann
Gott als den Herrn der Geschichte
erkannt, der aus dieser die Kirche hervorgehen lässt und sie zugleich im Gegensatz zu dem die Geschichte leitenden
bösen Willen sich in der Welt durchsetzen lässt. Das ist neutestamentlich
geredet, der Geist Jesu, der als das Haupt und
der Herr der Gemeinde in der Geschichte wirksam wird. Wir haben endlich
Gott in einzelnen Menschen und durch sie wirksam
werden sehen. Das ist der heilige Geist des Neuen Testaments, der in menschlichen Worten und Taten wirksam ist zur Gewinnung
der von Gott für die Gemeinde bestimmten Personen und diese wiederum zu
Trägern seiner Wirkungen an andere Personen macht. Somit ist eine Übereinstimmung
mit der urchristlichen Auffassung gewonnen, die umso wertvoller ist als sie
nicht durch Nachzeichnen der neutestamentlichen Formeln oder altdogmatischen
Schemata erworben ist.
Aber ist das, was sich so herausgestellt hat, überhaupt als eine Lehre
von der Trinität zu bezeichnen? Haben wir nicht bloß gesehen,
dass der eine Gott sich drei
verschiedene Gebiete seiner Betätigung gesetzt und auf ihnen deren
Art entsprechend besonders wirksam wird? Es scheint demnach, dass die gewonnenen
Gedanken höchstens eine modalistische Trinität abwerfen. Hiergegen
wäre ja an sich nichts einzuwenden. Wenn wir aber die Gedanken, die sich
aus der Erwägung der göttlichen Persönlichkeit ergeben, zu einer
genaueren Umgrenzung der aus der religiösen Empirie gewonnenen Ideen verwenden,
wird das ausgesprochene Vorurteil sich nicht aufrechterhalten lassen.
Wir haben gesehen, dass das Wollen eines Objekts voraussetzt die Selbstbestimmung
in der Richtung auf das betreffende Objekt. Gott Satz: Gott will Welt
schließt also den anderen Satz in sich: Gott will sich als Welt wollend.
Eben hierin besteht das eigentliche Wesen der Persönlichkeit. Wir können hinzufügen, dass, da jeder Willensakt die Selbstbestimmung
in sich fasst, er eine Darstellung der gesamten Persönlichkeit ist oder,
dass in jedem Willensakt das ganze persönliche Subjekt
in Wirkung tritt.
Nun ist ein dreifaches Wollen Gottes
anzunehmen, denn es keine göttliche Wollung
denkbar, die nicht unter die drei festgestellten
Formen fällt. Demnach muss eine dreifache ewige Selbstbestimmung
Gottes gedacht
werden, die dem bezeichneten dreifachen Wollen korrespondiert. Da aber die ganze göttliche Persönlichkeit sich in
jedem Willensakt darstellt, so kommen wir zu einer dreifachen
Offenbarung der einen göttlichen Persönlichkeit.
Es ist also der nämliche eine Gott, der sein
Wesen sowohl als Vater wie als Herr und Geist offenbar werden lässt.-
Aber auch diese Erwägung führt uns an sich über den alten Modalismus
nicht hinaus. Jede Persönlichkeit nämlich ist als ganze in ihren Akten
wirksam und stellt sich daher, formal wenigstens, in jedem von ihnen in ihrer
Ganzheit dar. Dadurch wird aber ihre Einheit keineswegs in eine Pluralität
verwandelt, sofern sie sich als mit sich formal identisch in einer langen Reihe
von Akten darzustellen vermag. Die zeitliche Folge der Akte ist es, die dieses
ermöglicht. Hier erhebt sich aber eine Differenz, wenn wir an die göttlichen Willensakte denken. Da Gott actu
puro oder in reiner Aktivität handelt, so kann bei ihm nicht von einer Sukzession
der Akte die Rede sein, so dass zuerst dieser und dann ein anderer vollzogen
wird, sondern alle Akte Gottes müssen als schlechthin simultan gedacht werden. Dann kommen wir
aber zu dem Gedanken, dass der eine Gott von Ewigkeit her oder schlechthin gleichzeitig
seine ganze Persönlichkeit wirksam werden lässt in dem Wollen (bzw.
der von ihm vorausgesetzten Selbstbestimmung) der Welt, der Kirche und
bestimmter Personen.
Daraus folgt nun aber mit unentrinnbarer Notwendigkeit, dass die eine göttliche Person von uns als drei
Personen gedacht werden muss.
Wenn die eine Gottesperson sich in drei
actus
puri offenbart
und in jedem dieser Akte sich notwendig die ganze Gottesperson darstellt, so können wir die Gottesperson nur
in der Weise einer dreifachen simultanen Personoffenbarung
verstehen. Der eine Gott ist also zugleich Vater,
Herr und Geist.
Das besagt, wie leicht einzusehen, nicht, dass eine Person die andere »erzeugt«
oder »haucht« oder eine aus der anderen »hervorgeht«. Daher ist auch der Subordinatianismus [eine
Denkform in der frühchristlichen Theologie, die das Verhältnis zwischen
Gottvater und Gottsohn als Unterordnung des Sohnes bestimmen möchte]
nicht minder ausgeschlossen als derartige mythologische Begriffe wie die generatio
sempiterna.
Will man sich den Sachverhalt an einem logischen Schema
veranschaulichen, so kann man an drei Zwecksysteme denken,
die von demselben Subjekt ausgehen. Und zwar so, dass
das erste dieser Systeme den Spielraum
der Möglichkeiten samt den letzten Zweck,
dem sie dienen soll, festsetzt,
während die beiden anderen die hierdurch
bedingte besondere Wirklichkeit herstellen,
indem das zweite System die Richtung
der Bewegung der gegebenen Mittel organisiert und
das dritte diese Mittel in
konkrete Bewegung setzt gemäß dem von dem
ersten System angegebenen Zweck und der durch das zweite
festgestellten besonderen Richtung.
Die drei Willensbetätigungen, die hierdurch gefordert sind, stehen also
im Zusammenhang zueinander, indem die zweite nicht ohne die erste und die dritte
nicht ohne die zweite möglich ist, aber zugleich ruht jede dieser Willensbetätigungen
auf einer spontanen Selbstbestimmung, wie wir gesehen haben.
Das Verständnis der Trinität, das wir dargelegt haben, ist den Grundsätzen
der Dogmatik entsprechend aufgebaut auf der im Glauben ergriffenen Offenbarung.
Demgemäß ist die Trinität durchaus ökonomisch
gedacht und von den Fragen der sogenannten immanenten
Trinität ist grundsätzlich abgesehen. Wir können
hinsichtlich ihrer nur das eine sagen, dass das Wollen
auf Selbstbestimmung beruht. Man könnte also das dreifache
Wollen als die ökonomische Trinität und
die diesem Wollen entsprechend dreifache Selbstbestimmung
als immanente Trinität bezeichnen.
Aber mit letzterem wäre keine neue Erkenntnis erworben, sondern nur eine
selbstverständliche Voraussetzung des Wollens ausgesprochen. Man dürfte
daher gut tun von dieser Unterscheidung abzusehen. (S.382/385)
Aus: Religionskundliche Quellenhefte. Herausgeben von Prof. D. H. Lietzmann
und Akademiedirektor Dr. K. Weidel
Heft 44, Aus der Gotteslehre der gegenwärtigen Philosophie und Theologie
von D. Dr. Heinrich Weinel (S.33-38) Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin