Hans Jürgen
Schultz (1928 - )
Deutscher
Journalist, Autor und Herausgeber zahlreicher Schriften zur
Erneuerung der Kirche und zur Konfrontation der Theologie mit Themen unserer
Zeit.
»Wer ist
das eigentlich — Gott?«
Die Frage »Wer ist das eigentlich — Gott?«
stammt von Kurt Tucholsky. Es ist eine Frage unserer
Zeit. Sie wird kaum noch mit Ironie oder Polemik, sondern eher in einer Verbindung
von Neugier und Interesse vorgetragen. Sie wird immer häufiger gestellt.
Sie wird immer seltener beantwortet. In den zwanziger und dreißiger Jahren
galt die Aufmerksamkeit der Kirche. Heute gilt sie der Theologie.
»Gott« war einmal ein Name. Er wurde
in einen Begriff
umgewertet. »Gott« war einmal ein Adressat.
Er wurde in ein Objekt
verwandelt. Aus einem Du wurde ein Es. Das ist eine Entwicklung, die sich mit einer einfachen Formel nicht beschreiben
läßt. Ihre Voraussetzungen und vor allem ihre Folgen sind ungemein
schwierig. Kann man sie rückgängig machen?
Die Möglichkeit, per Du mit Gott
zu reden, ist gerade dem Redlichen weithin verwehrt. Vielleicht, so denkt er,
ist die einzig direkte Weise, von Gott
zu reden, die indirekte. Von Gott reden kann man
nur, wenn man von der Welt
redet. Die Welt ist der Erfahrungshorizont,
innerhalb dessen das Wirklichkeit
wird, was gemeint ist, wenn von Gott die Rede ist.
Andernfalls wird er in die Unfruchtbarkeit der Transzendenz abgedrängt.
Hier entstehen Fragen über Fragen. Denn die Welt ist nicht mehr als Wirkungsstätte
des unendlichen, zeitüberlegenen, abstrakt
in sich ruhenden Gottes zu begreifen. Sie ist eine
Welt der Abläufe, der Prozesse, der Umbrüche. Was eben noch als modern
galt, beginnt jetzt bereits zu modern. Die Geschwindigkeit und Strudelhaftigkeit,
mit denen sich die Lebensverhältnisse und -bedingungen verändern,
werden immer rasanter. Wie kann in dieser Erfahrung rapide geschehender Geschichte eine Möglichkeit gegeben sein, von Gott her
die Fragen unserer Zeit zu erörtern, ohne Zuflucht zur Zeitlosigkeit zu
nehmen — zu einer Zeitlosigkeit, die bereits im Ansatz die Problematik
der ständigen Mutation
ausklammert? Wie soll es gelingen, sich auf Gott zu berufen, ohne die Welt zu
hintergehen, oder sich auf die Welt zu berufen, ohne Gott zu hintergehen?
Der Mensch ist sich seiner geschichtlichen Wirksamkeit
bewusst geworden. Er ist längst nicht mehr nur Schauspieler, sondern
(mit welchem Erfolg auch immer) Regisseur
von Geschichte.
Wollte christlicher Glaube diese Tatsache ernst nehmen, so bliebe ihm die abenteuerliche Konsequenz nicht
erspart: nämlich so von Gott zu reden, daß
er als Akteur sinnvoll im engsten Zusammenhang mit dem Werk des Menschen erscheint.
Der Mensch müßte also den Mut haben, von Gott
als dem kooperierenden und das heißt
als dem wandelbaren Gott
zu reden. Auch Gott ist nicht
fertig. Was fertig ist, ist tot. Wir haben keinen Zugang zu dem Gott,
der als der Unbewegte die Welt bewegt. Er ist uns
fremd und fern. Aber wenn das Wort »Gott«
so gesagt werden könnte, daß es das Wort Prozess nicht aus-, sondern einschließt, so wäre es an der Zeit, hellhörig
zu werden. Es könnte dann Sinn bekommen, doch nicht
nur von Gott,
sondern sogar mit ihm
zu reden. Er dirigiert nicht allein die Geschichte. Geschichte ist Gemeinschaftsarbeit.
Und die Menschen sind nicht Marionetten, sondern
Partner, nicht Kinder, sondern Erwachsene.
Doch mit solchen Gedanken verstricken wir uns immer auswegloser in dem Dickicht
der Krise, in der wir uns befinden. Denn der Frage: »Wer
ist das eigentlich — Gott?« korrespondiert die nicht minder
offene Frage: »Wer ist das eigentlich — der Mensch?«
Die Antwort kann nicht hurtig ausfallen. Sie ist nicht mühelos abzuberufen aus dem Vorrat traditioneller Kategorien.
Sie muss erarbeitet und probiert werden angesichts der ungeheuerlichen
Herausforderungen und Einsichten, Belastungen und Verantwortungen des Lebens
in unserer Zeit. Wir können diese Zeit nicht umgehen, sondern wir müssen
mit ihr umgehen, wenn wir sie bewältigen wollen. S.9-10
»Wer ist das eigentlich — Gott?« Die Rede von Gott bleibt eine anstößige, eine umstrittene, eine verletzliche Rede. Sie hat es mit dem beladensten Wort der Menschen zu tun.
»Wir können das Wort >Gott< nicht reinwaschen, und wir können es nicht ganz machen; aber wir können es, befleckt und zerfetzt, wie es ist, vom Boden
erheben und aufrichten über einer Stunde großer Sorge«
(Martin Buber).
Dies hat auch unsere Rede vom kommenden Gott, von
dem »Gott vor uns« im Kontext des Streites um die Zukunft des Menschen versucht. Doch diese theologische
Rede vom kommenden Gott ist und bleibt selbst jeweils
eine abgeleitete, eine verweisende Rede. Sie verweist auf die Hoffenden, die
inmitten der grauen Blöcke unserer verwalteten Welt, eingemauert in die
anonymen Strukturen unserer Gesellschaft, die Wachfeuer in ihren Herzen nicht
verlöschen ließen, die in einer Zeit der Prognosen noch etwas erwarten
— für die anderen und darin, nur darin, auch für sich selbst.
Diese Hoffenden finden sich allerorten, oft emigriert aus dem Christentum, das
dieser Hoffnung den Namen gab und den großen Horizont ihrer Ungeduld entwarf.
Die theologische Rede vom kommenden Gott nährt
sich aus der Substanz dieser Hoffnung und verweist auf die Botschaft ihres gekreuzigten
Künders. Die in dieser Botschaft eröffnete Hoffnungsgeschichte der
gesamten Menschheit kann jedoch nicht durch Spekulation und Interpretation vergegenwärtigt und zum Horizont unseres Lebens gemacht
werden. Sie bedarf der »Bewahrheitung« durch ein Handeln der Hoffenden, durch Verweigerung der Konformität [Gleichartigkeit,
Gleichgerichtetsein], durch ein Einstehen für die Hoffnungslosen,
durch ein nüchternes Exerzitium [Übungsstück] jener Liebe, die sich als unbedingter
Wille für die
Freiheit, die Gerechtigkeit und den Frieden für die anderen, die Geringsten
unter den Brüdern, versteht und die darin die Voraussetzungen einer Welt
angreift, in der der Name Gottes nur ein verdächtigter
oder verworfener Name ist.
Freilich, am Ende kann der kommende Gott nur sich
durch sich selbst rechtfertigen, nur durch sich selbst die Treue zu seinen geschichtlich ergangenen Verheißungen bestätigen. Uns bleibt
die Armut. Diese Armut unseres Wissens um seine ankommende Zukunft ist uns jedoch teuer. Mit dieser Armut unserer Hoffnung,
in der wir nicht mehr, sondern weniger von unserer Zukunft wissen als alle technologischen
oder politischen
Ideologien der Zukunft, werden wir uns gegen jede vorweggenommene oder erschlichene
Erfüllung dieser Zukunft spreizen. In dieser Armut haben wir nämlich
immer eine Frage zu viel für alle Antworten unserer eigenen Zukunftsbilder.
Und mit ihr werden wir weiterfragen, wie es schon Jesaias
(vgl. Jes 21,11 f.) versichert: »Hüter, wie spät ist es in der Nacht? ... Der Hüter aber
sprach: Wenn der Morgen schon kommt, so wird es doch Nacht sein. Wenn ihr schon
fragt, so werdet ihr doch wiederkommen und wieder fragen.«
S.274-275
Aus: Was ist das eigentlich – Gott? Herausgegeben
von Hans Jürgen Schulz (S.9-10, 274-275)
Dem Buch liegt eine Sendereihe des Süddeutschen Rundfunks zugrunde
Einmalige Sonderausgabe . Veröffentlicht im Januar 1969 als Band 119 in
der Reihe »Die Bücher der Neunzehn«
© 1969 by Kösel-Verlag KG, München Veröffentlichung auf
Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Kösel-Verlags, München