Gotthilf Heinrich von Schubert (1780 – 1860)

Deutscher Arzt, Naturforscher und Philosoph, der in einem pietistischen Pfarrhaus aufwuchs und eine von der organischen Gesetzlichkeit des Weltganzen ausgehende Natur- und Geschichtsphilosophie entwickelte, die einen bemerkenswerten Einfluss auf die Romantik ausübte. Unter anderem beschäftigte er sich auch mit animalischem Magnetismus, Hellsehen und insbesondere mit der Traumsymbolik.




Siehe auch Wikipedia
und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Aus: Die grössten Geister über die höchsten Fragen. Aussprüche und Charakterzüge erster (nicht-theologischer) Autoritäten des 19. Jahrhunderts. Zusammengestellt von Dr. H. Engel.
Verlag von Carl Hirsch. Konstanz
S.107 - 141
Die Sonne und das Auge

Die Herrschaft des Geistes
Die Schöpferkraft der menschlichen Seele.- Der Mensch als Ebenbild Gottes
Das Gewissen, ein Zeuge des Daseins Gottes und der Ewigkeit
Selbstbekenntnis
Persönliche Erfahrung
Das Wort Gottes
Die Knechtschaft der Sünde und die Freiheit der Kinder Gottes
Zur Schöpfungsgeschichte
Die wahre Welt des Lebens jenseits der Sichtbarkeit (Bruchstück)
Über das scheinbare Versinken des Geisteslebens im Greisenalter
(Bruchstück)

Geplant:
Aus:Gotthilf Heinrich Schubert: Die Symbolik des Traumes, Verlag Lambert Schneider - Heidelberg
1. Die Sprache des Traumes


Die Sonne und das Auge
Mitten im Reiche des Seins steht eine Sonne, welche alles trägt und hält, alles belebt und bewegt; und es ist ein Auge, selber von Sonnennatur, für jene Sonne gemacht. Die Sonne ist Gott, das Auge ist die Seele.

Nicht der Schrecken, nicht die Furcht, wenn sie auf die Fittiche des Ungewitters oder im Donner der stürzenden und flammenden Berge vorübergezogen, haben es dem Menschen gesagt, dass ein Gott sei; er hat dies nicht erst in der Sternenschrift der Werke gelesen. – innig tief, wie das Sehne, das aus dem neugeborenen Kind nach der noch ungekannten Mutter schreit; laut, wie das Rufen der jungen Raben nach dem noch nie genossenen Futter; mächtig und still, wie der Drang, womit das eben aus dem Dunkel geborene Auge oder die aus der Samenhülle gebrochene Pflanze das noch nie empfundene Licht suchen, - wird in meinem Wesen ein Sehnen vernommen nach der lebendigen Quelle alles Seins, aus welcher ich bin.

Nähme ich Flügel der Morgenröte und flöge dahin, wo die letzten Wogen der Sichtbarkeit verhallen; führe ich hinab ins Dunkle, da kein Stern ist, da das Geschrei der Angst, das Jauchzen der Lust, da selbst der leiseste Hauch eines Lebens nicht mehr gehört wird, und bliebe ich da allein und einsam mit mir selber: siehe, so fühlte ich dennoch, dass er mich hält; ich vernähme seine Nähe, wie das Rauschen eines Adlerflügels in stiller Nacht, und ein Etwas in mir, das nach Gott ruft. Wie der ausgeworfenen Anker durch die Meereswogen hindurch gerade hinabeilt auf den Felsengrund, da er ruht, so ist in mir ein Verlangen, welches seinen Lauf mitten durch die Kreaturen hindurch zu Gott nimmt.

Dies ist das Fragen im Geist des Menschen nach den Anfängen der Dinge, das Fragen, das rastlos und unstillbar, dem Strom entgegen, welcher mit den andern Kreaturen spielt, sich hinanringt zur Quelle. Denn Er ist es, welcher der Dinge Anfänge in Seiner Hand hält; darum er diese gefunden, der hat Gott gefunden.

Und das ist die rechte Weisheit, durch welche der innere Mensch, der Mensch der Ewigkeit, wächst und erstarkt; das ist das Erkennen, welches das Herz bessert. Nahrung nehmend und Pflege, erkennt der Säugling die liebende Mutter, und so, Nahrung nehmend und erkennend, wächst er und erstarkt. So lernt, Leben nehmend aus des Lebens Ursprung, die Seele, wer Gott sei und erstarkt hierbei zum Leben der Ewigkeit

Aus Gotthilf Schubert: Geschichte der Seele, Seite 1

Die Herrschaft des Geistes
Der Geist ist es, und nur der Geist, welcher die Macht der Menschenseele zu den Werken der Kunst und Wissenschaft steigert und bekräftigt. Er ist es, welcher dem Kunsttriebe, der sich auch im Tier mit prophetischer Kraft regt, bei dem Menschen die Voraussicht und das Hineinschauen in ein Sein und Wesen der Ewigkeit verleiht; er ist es, welcher in das Werk der Staaten und der bürgerlichen Ordnungen neben und über der äußeren Form, die an das Zusammengesellen der Bienen erinnert, den Abglanz einer höheren, göttlichen Ordnung hineinlegt. Es gibt aber auch noch andere Taten der Menschenseele, bei denen das Walten des Geistes so außerordentlich und unverkennbar ist, dass dieselben in ausschließenderem Sinne als Taten des Geistes, dessen Leben aus Gott ist, erscheinen. Mitten unter den Schmerzen des herannahenden Todes dichtete und sang Franziskus von Assisi ein Loblied, welches Gott preist für das Geschenk der lieblich wärmenden Sonne, für die Lichter der Nacht, den Mond und die Sterne, für den erfrischenden Sturm und das nährende Wasser, zuletzt aber, vor allem, für den freundlich zur Heimat führenden Bruder, den Tod. So ist es der Geist aus Gott, welcher den Tod, dessen Schrecken die Seele fühlte, in einen lieblichen Boten aus der Heimat verwandelt.

Dem Menschen die rechte Demut und zugleich die Heldenkraft zu geben, auch die liebsten, tiefest gewurzelten Neigungen der sinnlichen Natur einer höheren göttlichen Liebe aufzuopfern, das steht nicht in der Macht der Seele; das vermögen auch nicht die guten, das Höhere vorbereitenden Engel der Wissenschaft und Kunst. Unverfälschte Liebe zu Gott und zu den Brüdern, Demut und Gehorsam, Zucht und Ordnung sind die unverkennbaren Früchte der Weisheit, welcher nicht der Mensch aus eigener Kraft erfand, sondern welche Gott ins Herz legte.

Es spricht das Buch der Bücher von einer Gewalt, welche das Himmelreich zu erleiden vermag, und die ihm Gewalt tun, die reißen es an sich. Welch' andre Kraft aber als eine himmlische selber könnte den Himmel bewältigen, welch' andere Macht als eine göttliche vermöchte Gott zu bewegen? Darum ist es, nach dem Wort der Offenbarung, nicht der Leib, es ist nicht die im atmenden Blute lebende Seele, sondern es ist der Geist aus Gott, welcher die Taten des gebetes tut. Wie das Kind zu seinem Vater, so spricht der durch den Geist betende Mensch zu seinem Gott. Dieser aber, der Vater, der des Kindes Flehen vernimmt, ist zugleich der Herr über alles Wesen und Sein der sichtbaren wie der unsichtbaren Welt. Darum, wie das Kind den durch Liebe starken Arm des Vaters, so bewegt der im Menschen betende Geist die Macht des Schöpfers und durch diese die Schöpfung der Dinge.

Was die Ordnung und das Band des Staates im Reiche der Seelen, das ist die Religion im Reiche des Geistes. Ja, kein anderes Band knüpft so fest, so tief, so innig Geist an Geist, Sele an Seele, Herz an Herz, als das Band der gemeinsamen Religion. Aber wir wissen noch einen andren, uns näher liegenden Namen für dieses Band, als den ausdrucksvollen, vielsinnigen des Wortes Religion. Uns heißt es Glauben des Christen; in diesem hat jen bindende, ziehende Macht die Gestalt einer lebenden, sanft führenden hand empfangen. Ja, die Wallfahrt des Christen durch die Nacht des Lebens ist das Wandeln eines Kindes an des Vaters Hand. Denn der Führer mit Seinem festhaltenden Arme tritt zu ihm in der Taufe, welche in der Kraft jenes Wortes geschieht, das Leib und Seele erschuf, und das zur Seele den Geist gibt. Er, der getreue Führer erleuchtet den Pfad des Dunkels durch Sein Wort, nährt und stärkt die Kraft des Müden durch sein Sakrament. Allerdings erscheint unter den offenkundigsten Dingen dieses als als das größte Geheimnis wie Gott selber ein Mensch geworden; wie Der, welcher von Anfang war, gelitten und gestorben aus Liebe für die Sünder. Denn eine solche Liebe wird selber nur durch eine Liebe begriffen, die nicht vom Geschlecht des Fleisches ist, sondern welche der Geist aus Gott dem Geiste des Menschen gibt. Es erscheint als ein Geheimnis, wie in dem Namen eines Gekreuzigten und in dem Glauben an ihn eine solche Kraft sein konnte, dass vor ihm die stolze Macht und die Herrschaft des hochgebildeten Heidentumes sich beugen und entweichen musste. Unbegreiflich der Vernunft erscheint es, wie die Liebe zu einem Gekreuzigten die Macht der Sinnlichkeit bewältigen, die Seele heiligen und sättigen könne mit einem Frieden, der nie endet. Unbegreiflich erscheint es, wie ein Hinzunahen zu Gott in dem Namen eines Menschensohnes Taten wirken könne, zu deren Vollbringung die Kraft aller Helden und Starken im Lande nicht hinreicht. Ein Geheimnis der Vernunft ist es, wie das Göttliche so ganz zu dem leiblichen Menschen sich hinzutun könne, dass es in leiblicher Wesenheit selber von ihm erfasst wird inmitten des Sakramentes. Ein Geheimnis der Vernunft alles Weben und Wirken des Geistes von oben durch die von ihm beseligte und doch geweihte Natur des armen Menschen. Was jedoch der selberherrschenden, hochgebildeten Vernunft geheim ist und verborgen, das versteht auf dem Arm der Mutter ein demütig liebendes Kind.

Was das Werk der Seelen beim Erbauen der von Händen gemachten Tempel, das ist im Reiche des Geistes das Wek desselben beim Begründen der Gemeine oder Kirche. Sie beruht auf jener Einigkeit im Geiste durch das Band des Friedens, in dem alle, welche würdiglich wandeln des Berufes auf die eine gemeinsame Hoffnung, Ein Leib sind und Ein Geist. Denn sie alle haben einen Herrn, Einen Glauben, Eine Taufe, Einen Gott und Vater aller, der da ist über alle und durch alle und in allen. Wie die Glieder eines gemeinsamen Leibes. Durchdringt sie allzumal die Kraft des Lebens, welche ausgeht von dem Hapt der Gemeine: der Geist der Liebe, die sich sich dargegeben hat für die Gemeine, auf dass sie dieselbe heiligte und reinigte. Dieses ist die Kirche, von welcher der Mund der Wahrheit sagt, dass die Pforten der Hölle sie nicht werden überwältigen. Nur in dem lebendigen Verband der Liebe und des gemeinsamen Glaubens aller an Einen und aller zu Einem ist Heil und Wohlfahrt des Geistes, denn nur solange sie am Weinstock bleibt, grünt und gedeiht die Rebe.

Wie die einzelne Seele in der fest in ihr begründeten Hoffnung auf ein künftiges Sein des Geistes eine Bürgschaft für ihre Fortdauer findet, so ist die Gesamtheit der Kirche in der auf einem festen, prophetischem Worte beruhenden Hoffnung auf ein Reich des Geistes, das künftig erscheinen soll. Ja, es harrt mit uns die Kreatur der Offenbarung eines Neuen, da die Gebundenheit zur Freiheit, die Gebrechlichkeit zur Herrlichkeit heranwachsen wird. Die schöne Erde mit dem Schmuck ihrer Auen und den hehren Festen ihrer Gebirge wird nicht für immer ein Feld des Unfriedens und des eitlen Geschreies der Empörer, ein Tal des Jammers und der Tränen bleiben. Es ist uns gesagt von einer noch künftigen »Ruhe« der Kinder im Hause des Vaters; im Worte verheißen: »Siehe, es wird alles neu werden, und Erde und Meer wie der Himmel sollen voll werden seines Lobes. Dann werden die Geschlechter der Erde in Frieden beisammen wohnen, gleichwie in einer Stadt, deren Mauern Heil und deren Tore Lob heißen. Wie aus Abend und Morgen der einzelne Tag, so wird in der gesamten Zeit der Völker aus dem Weinen des Abends die Freude eines Morgens kommen, dem ein Licht leuchtet, das nicht mehr untergeht (…)

Aus Gotthilf Schubert: Lehrbuch der Menschen- und Seelenkunde, S. 238

Die Schöpferkraft der menschlichen Seele.- Der Mensch als Ebenbild Gottes
Einen Anlauf zu neuen Wundern der inwohnenden Schöpferkraft nimmt jedoch die Seele in dem mit vollkommeneren Sinnesorganen begabten Tier, vor allem in der Natur des Menschen. Sie empfägt hier das Vermögen, auch an anderen Taten des Schöpfers als an jener, welche ihr selber den Leib und das Leben gab, einen selbstkräftigen Anteil zu nehmen. Wenn ich mich mitten im Dunkel der Nacht an den Eindruck erinnere, den eine von der Sonne hellbeleuchtete Landschaft oder ein sichtbarer Gegenstand, der meine ganze Teilnahme erregt, auf meine Augen machte, wie wäre mir das anders möglich als dadurch, dass meine eigene Seele die Welt der Dinge, deren sie gedenkt, sich nacherschaffet, und ein Licht dazu, das gleich jenem der Sonne, diese Welt erleuchtet.

Mit dem Vermögen des Wahrnehmens und des Erkennens der Werke und Taten des Schöpfers ist der Menschenseele zugleich die Macht verliehen, diese Werke in dem Kreise ihrer Wirksamkeit nachzuerschaffen, jene Taten nach ihrem Maße nachzutun. Die Welt unserer Erinnerungen und Erlebnisse erscheint freilich gegen die Außenwelt, deren Formen und Bewegungen sie umfasst, nur wie ein Abglanz im Spiegel, gegen die wirkliche Gestalt, die vor dem Spiegel steht; aber sie ist dennoch eine selbständig bleibende Welt von ungleich festerer Lebensdauer als der indische Feigenbaum an dem Ufer der Nerbudda oder die Zwiebel, die man vertrocknet aus der Hand einer ägyptischen Mumie nahm, und die im befruchteten Boden nach mehreren Jahrtausenden noch Wurzel, Blätter und Blüten trieb. Von all den Elementen, aus denen sich unsere Seele den Leib erschaffet*, bleibt auch nicht eines im Verlauf der Tage oder der Jahre unsres Lebens unverändert; es kommt neuer Nahrungsstoff in den Leib hinein, wird unter dem Einfluss der Lebenskraft zu neuem Fleisch, zu neuem Blut, das alte wird aufgelöst und aus dem Leibe entfernt; selbst der feste Knochen ist von dieser rastlos fortgehenden Verwandlung und Erneuerung nicht ausgeschlossen; es sind und bleiben zwar dieselben Augen, durch die wir früher sahen, dieselben Hände, durch die wir früher wirkten, der Stoff aber, aus dem sie leiblich gebildet sind, ist nach kurzer Zeit von dem neuen Stoff verdrängt worden. Dagegen ist der Stoff unserer Erinnerungen derselbe geblieben; diese altern und welken nicht mit unseren Gliedern zugleich dahin, sondern in einer sehr beachtenswerten Weise sind die Erinnerungen der Kindheit und frischen Jugendzeit in der Seele des Greises gerade die lebendigsten und Kräftigsten.
*Ein Beweis für den mächtigen Einfluss der Seele auf den zu erschaffenden Leib liegt z. B. in der Tatsache, dass die von der Mutter im Zustande der Schwangerschaft empfangenen Eindrücke den Körper des Kindes mitbestimmen. Uns ist selbst ein Fall bekannt, wo der Eindruck, den ein an einer anderen Person beobachtetes Muttermal auf eine Schwangere machte, ihrem Kinde ein ebensolches verschaffte. So erzählt auch der Rationalist Schuhkrafft in seinem >Hilfsbuch<, dass er in einem katholischen Dorfe eine größere Anzahl von Kindern getroffen habe mit Missbildungen im Gesicht entsprechend denen an dem in der Dorfkirche befindlichen Marienbilde, vor dem die schwangeren Mütter zu beten pflegten. Nachdem er dafür gesorgt hatte, dass dieses Bild durch ein besseres ersetzt wurde, hätten auch die Verunstaltungen der nachher zur Welt gekommenen Kinder aufgehört.

Und das Wunder der inneren Schöpfung geht noch viel weiter; in der Welt unserer Erinnerungen und Gedanken stehen Geschöpfe und Wesen da, welche älter sind als die hohen ägyptischen Pyramiden, älter denn die dickstämmigen Adansonien am Sengal, und welche unverändert als dieselben werden stehen bleiben, wenn jene Pyramiden und Bäume nicht mehr sind. Und nicht nur das menschlich Irdische, das in seiner Leiblichkeit Vergängliche bildet den Bestand der inneren geistigen Schöpfung unserer Vorstellungen und Gedanken, die Schöpfung umfasst noch ein ganz anderes unendlich höheres Reich des Seins und Wesens: es umfasst die Erkenntnis des Schöpfers und Seiner Taten der Ewigkeit selber. In dem Vermögen unsres Geistes, diese Gedanken der Ewigkeit zu denken, Gott nach dem Maße unsres natürlichen Verständnisses zu erkennen, liegt die sicherste, gewisseste Bürgschaft für die Fortdauer unseres Wesens auch nach dem Tode des Leibes, für ein ewiges Fortleben unsres Geistes. Denn nur das nach seinem Maße Gleichartige vermag das Gleichartige zu erkennen; wäre in unseren Sehnerven nicht selbst eine Art von Quell des Lichtes*,

* So weiß man ja, dass wenn das Auge auf irgend eine Art gereizt wird, z. B. durch einen Schlag oder galvanischen Strom, in demselben Lichtempfindungen, Lichtblitze entstehen.

Man vergleiche auch die Anschauung, die Goethe in der Einleitung zur Farbenlehre sich aus einem alten Mystiker zueignet und so in deutschen Reimen wiedergibt:

Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnten wir das Licht erblicken?
Lebt' nicht in uns Gottes eigne Kraft,
Wie könnt' uns Göttliches entzücken?


dann könnten wir kein Licht sehen; wäre unser denkender Geist nicht selbst von ewiger, göttlicher Natur, dann würde er nichts von Gott wissen und erfassen. So finden wir, dass zwar die Seele auf den höheren Entwicklungsstufen ihrer Verleiblichung, von der Pflanze und dem niederen Tiere an bis zur Form des Menschen, innerhalb der planetarischen Körperwelt im mehr nur als ein schnell vorübereilender Fremdling und Gast erscheine; dass die Bande, durch welche sie mit ihrem Leib vereint ist, lockerer, das Leben in der Zeit wandelbarer und vegänglicher werden, dass sie aber zugleich mit dem vergänglichen Leib aus Staub noch einen andern Leib: das Reich ihrer Erkenntnisse empfangen habe, welcher nicht aus irdisch vergänglichen, sondern aus einem unvergäglichen Stoffe gebildet ist. Der sinnlich wahrnehmbare Leib mag denn immer nach kurzer Lebensdauer verwesen, bleibt uns doch ein dem jetzigen Auge unsichtbarer Leib der Ewigkeit.

Das Verhältnis der Seele zu diesem höhern Leib ihrer Erkenntnisse, ihrer Bestrebungen, ihrer Neigungen und Hoffnungen ist ein treues Abbild des Vehältnisses, in welchem der Schöpfer selber zu den Werken und Taten Seiner geschaffenen Welt und ihrem Wesen steht. Die Vorstellungen und Erinnerungen, die Gedanken und Erkenntnisse, welche die innere Welt des Geistes bilden, sind nicht der Geist selber; sie sind das Werk einer Schöpfung, zu welchem er zwar die Anregung und den Stoff von außen entnahm, die aber dennoch durch seine Kraft ihre Gestaltung und innere Anordnung empfingen. Derselbe erkennende Geist, der diese ihm eigentümliche Schöpfung hervoruft, wann und wie er will: jetzt die Erinnerung an dieses, dann an jenes vormals Empfundene und Erlebte, hält sie auch zusammen; er legt in jeden Gedanken, in jedes Wort die Kraft, fruchtbaren Samen bei sich zu tragen, Seinesgleichen zu erzeugen: (Anspielung auf 1. Moses 1 – 12.)

Über der Welt des Geistlichen wie des Leiblichen waltet und herrscht ein Gott und Schöpfer aller Dinge. Er, der ewige Anfang alles Seins bedurfte und bedarf keiner Anregung von außen, keines Stoffes zu den Werken und Taten Seiner Schöpfung; Seine Gedanken waren und sind Wirklichkeiten, jeder Gedanke ward zu einem Wesen und Geschöpf. Aber diese herrliche Schöpfung der Sichtbarkeit ist nicht, wie das Heidentum in seiner Erblindung es lehrte, (und der Pantheismus es heute noch wähnt), der Schöpfer selber, sondern alle die Heere des Himmels, alle die sonnenartig leuchtenden Sterne, welche mein Auge sieht, verhalten sich zu Ihm, unserm Gott, nur so, wie sich die Vorstellung von einer im hundertfältigen Schmuck der Blumen prangenden Alpenwiese, die unser Auge sah, und welche seitdem, durch die Erinnerung zu einem Teil der inneren Schöpfung unserer Seele geworden ist, zu dieser selber, zu der Seele verhält. Nicht aber diese unzählbaren Sternenheere sind die erhabensten zur Wirklichkeit und Tat gewordenen Gedanken und Willensäußerungen unsres Gottes, sondern höher noch sind jene Taten des Erbarmens und der Liebe, in denen der Schöpfer zu dem kleinen Geschöpf seiner Hand , zu dem Menschen, sich herablässt, ihm, wie ein Freund dem Freunde, sich selber zu erkennen gibt, und wie ein Liebender des Geleibten, ja, wie eine Mutter ihres Säuglings und mehr noch, des armen Menschenkindes sich annimmt.

Der Antrieb zum Erkennen liegt darum so tief gewurzelt, und ist so mächtig stark in unserm Geist, weil er uns zuletzt, wenn er auch nur vorwärts seine Weges geht, selbst nach manchen Abirrungen, zu Dem hinführt, dessen Erkennen auch mit dem schwächsten seiner Strahlen, wie das Sonnenlicht die Wärme, die Liebe zu Ihm, dem Erkannten weckt. Und nur in dieser Liebe ist das rechte Leben, Seligkeit und Freude.

Aus Gotthilf Schubert: Spiegel der Natur, Schluss

Das Gewissen, ein Zeuge des Daseins Gottes und der Ewigkeit
»Der Mensch trägt in der irdisch sterblichen Hülle seines Wesens die Grundzüge der Natur des Steinreiches, des Pflanzen- und Tierreiches (Knochensystem, vegetative und animalische Organe). Aber außer den Grundzügen der niedern irdischen Leiblichkeit ist der Keim eines neuen Daseins in ihn gelegt, das eben so neu und hoch neben allem andern Geschaffenen der Erde hervortritt, als die erste Regung einer Lebenskraft in den Gewächsen über den Massen der toten, starren Gesteine. Dieser dem Menschen innewohnende Keim ist der Geist aus Gott. Wie der Keim, der im Samenkorn der Pflanze verschlossen ist, sobald das Wasser ihn zum Leben weckt, sich hinauf und hinaus drängt nach dem Schein der Sonne und nach der ganzen Welt des Lichts, so treibt den Geist des Menschen ein Verlangen und Sehnen nach dem Nahesein eines höheren Etwas, von dessen Natur und Geschlecht er selber ist. Wie der abwärts rollende Stein nicht eher seine Ruhe findet, als auf und an der Masse der Erdfeste, von welcher er selber abstammt und genommen ist, so findet auch der Geist des Menschen, wenn der Keim des Verlangens in ihm erwacht ist, kein Genügen noch bleibende Ruhe als in der Nähe seines geistigen und göttlichen Ursprungs. Und was er sucht, das ist ihm selber entgegen und nahe gekommen durch Wort und Tat, wie dem Keime, welcher regungslos in dem Pflanzensamen schlief, das Wasser, das als Regen oder Tau vom Himmel herabfällt. Und wenn die Triebkraft des geistigen Keims sich aufmacht, aus dem Dunkel ihrer Tiefe nach oben, da dringt sie hinauf zur Welt des Lichtes, für welche sie gemacht ist; zu einer Welt des Geistigen und der Geister, deren ewig leuchtende Sonne Gott selbst ist.

Die leitende und führende Macht, welche der geistigen Triebkraft des Menschen die Kraft zu ihremLaufe und ihre Richtung nach einem Leben in der Ewigkeit gibt, das ihr verheißen ward, heißt das Gewissen. Dieses ist, so sahen wir vorhin auf einer höheren Stufe, von einer gleichartigen Bestimmung für den Menschen, als der Instinkt für das Tier.

Der Instinkt des Tieres hat zu seiner Aufgabe das Wohl und die Erhaltung des Lebens der Einzelwesen, wie der Form ihres Geschlechtes. Er gleicht einer innern belehrenden Stimme, welche dem Tiere kund macht, was für das Wohlbefinden und gedeihensiner Leiblichkeit zuträglich, und was für beides nachteilig und schädlich sei. Ebenso wird der Gott suchende Geist in uns durch die Stimme des Gewissens zu dem hingewiesen oder vor dem gewarnt, was in Gottes Augen gut oder verwerflich, was für das Leben in der Ewigkeit förderlich und heilsam oder hinderlich sei.

Im Tierreich erhebt sich der Instinkt zu seinen höchsten und bewunderswertesten Taten da, wo das Leben des Einzelwesens seinem Ende nahe kommt, zu Taten, welche weit über die Dauer des einzelnen mütterlichen Lebens hinaus in eine Zukunft hinüber greifen, welche der Wiedererneuerung der jetzt veraltenden und hinsterbenden, bald aber sich wieder erneuernden und verjüngernden Form des Geschlechts bevorsteht.*

*Schubert denkt hier besonders auch an die Tatsache, dass die Weibchen von Tieren, z. B. von Insekten, die eine Verwandlung durchmachen, ihre Eier immer dahin legen, wo die Larven die ihnen notwendige Nahrung finden, und zwar auch dann, wenn das ausgewachsene Insekt sich von ganz anderen Stoffen nährt als die Larven. >Öfters könnte hierbei das Auge eines ununterichteten Beobachters Vorgänge bemerken, in denen die tierische Natur mit sich selber in unreimbare Widersprüche zu geraten scheint. Ein mütterliches Insekt, das als leicht bewegliches Geflügel am Tanz in der Luft im Schein der Sonne sich vergnügte, senkt sich, wenn ihm die Stunde des Gebärens kommt, aus der Luft hinab zu dem sumpfigen Gewässer, in welchem es für sich selber den Tod finden würde und setzt dort, am Spiegel des Wassers, seine Eier ab. Ein anderes, das vom Honigsaft der Gewächse sich nährte, trägt seine Eier nicht dahin, wo seine Nahrungsquelle auch für seine künftige Brut so reichlich fließt, sondern verbirgt sie in einem kunstreich angelegten Gebäu im Boden, dahin es mit angestrengtem Fleiss die Nahrung trägt, deren das junge Gewürm der Brut bis zu seiner Auferziehung zur Puppe bedarf. Ja sehr viele dieser zärtlich vorsorgenden Mütter bringt das Bemühen für das Gedeihen und die Erhaltung ihrer noch künftigen Brut in Lebensgefahr oder führt ihren eigenen Tod herbei< (a. a. O. 238 )

So erwacht auch das Gewissen im Menschen da, wo sein Leben den Pforten der Ewigkeit näher tritt, in seiner vollesten Kraft, wenn anders der Keim seiner geistigen Triebkraft durch das Wasser des Lebens schon angeregt und durchdrungen ward. Der Instinkt des Tieres geht nur die Erhaltung des eigenen Lebens an und die Fortpflanzung seines Geschlechtes, das nicht minder als seine Erzeuger für das vergängliche Dasein der Erde geschaffen ist. Das Gewissen im Menschen, nach seiner ewigen, göttlichen Natur fraget noch nach einem andern Dasein als das der irdischen Kreaturen ist; sein Hoffen und Erwarten gehet auf ein Leben der Ewigkeit hin, das aus Gott kommt und das dem Pilger und Fremdling der Erde als ein künftiges, sicheres Los verheißen ist.

Wie das Fallen des Steines von dem Dasein einer planetarischen Masse zeugt, welche ihn anzieht, wie die Triebkraft des Keims der Pflanzen von dem Vorhandensein einer Welt des Lichtes, nach welcher sie sich hindurch ringet, wie die Handlungen des mütterlichen Tieres zur Vorsorge für ihre Brut von der Gewissheit jenes künftig Erscheinenden, so zeugt das Gewissen in uns von dem Dasein eines Gottes, der unsere Taten abwägt und richtet und einer Geisterwelt, nach deren Höhen und Tiefen unser Pilgerweg hinführt.«

Aus Gotthilf Schubert: Parabeln aus dem Buch der sichtbaren Werke, S.243 ff.

In seinem Werke »Altes und Neues aus dem Gebiet der inneren Seelenkunde« gibt uns Schubert (I. 10) folgende schöne


Selbstbekenntnis
»Und was sprichst du, lang verirrtes Herz? – Siehe, der Frühling kam mit all seinen Blüten und Freuden; da wachte mein Sehnen auf, das im Geräusche des Lebens geschlafen; es ging hinaus, Den zu suchen, den meine Seele liebt: aber du meine ewige Liebe, warst nicht in den Blüten des Frühlings. Ich fragte den Sommer, ich fragte den Herbst mit seiner Fülle, wo Der sei, den meine Seele suchet, der einst mein war in früher Kindheit; aber sie konnten mir's nicht sagen, und der Winter in seiner stummen Größe sprach bloß von dem Tode, nicht von dem ewig liebenden Arme, in welchem nun mein glaubendes Herz einst zu entschlafen hofft. Der hohe Sternenhimmel mit allen seinen unendlichen Welten ging dem suchenden Auge vorüber, mein Blick schaute in vorhin unbekannte Tiefen; aber Den meine Seele liebt, Den fand ich nicht im unendlichen All seiner tausend Welten. – Mein Sehnen trieb mich hinab in die Tiefe und auf jene Gebirge, welche laut verkünden das Werk früher Jahrtausende; aber Den, welcher war, ehe denn die Berge wurden, ehe denn die Erde und die Welt geschaffen wurden, fand mein liebend Herz nicht in der Tiefe, nicht auf den Bergen. Alle Deine Geschöpfe, die das Auge sieht, die Kräfte Deiner Natur, - die Boten Deiner Macht – hat mein Dich suchendes Herz nach Dir gefragt, siehe, sie haben mich nicht berichtet; sie sagten mir alle bloß von einem großen, weisen, gütigen, aber auch unendlich unbegreiflichen, dem armen Menschenherzen unnahbaren Gott; sie sagten mir alle, dass mein irrender Fuß von Dir so fern sei! Siehe, ich habe Dich gesucht, Du ewige Liebe, ich habe Dich gesucht, Du Gott in Christo, noch ehe ich Dich lieben konnte.

Ich fragte alle Deine Wesen, ich fragte die Boten Deiner Macht; wer wird mir die Liebe ins Herz geben, damit ich den unendlich Hohen lieben und durch meine Liebe finden könne; aber alle Deine Wesen verstummten: sie konnten mir die Liebe zu Dir nicht geben, womit Dich ja niemals Fleisch und Blut, sondern nur der von Deinem Erbarmen neu geschaffene Mensch lieben kann. Endlich schlief das Auge ein, müde vom Suchen, es entschlief an einem tiefen Abgrund, dahin es durch eigene Torheit geraten war. Und gerade jetzt ertönte, nicht die strafende, nicht die zürnende, nein, die ewig liebende Stimme: Wache auf, meine Freundin! stehe auf, die du schläfst. Siehe der Winter ist vergangen, der Regen ist vorüber! Die Blumen sind hervorgekommen, der Frühling ist da, der Gesang der Turteltauben lässt sich hören! – Da wachte meine Seele auf, mein Auge sah Den, den meine Seele liebet. – Ja, der Winter ist vergangen, der Regen ist vorüber, ein ewiger Frühling ist da. – Christus ist mein, der gekommen ist in das Fleisch. Zieh uns Dir nach, so laufen wir!«

Aus Gotthilf Schubert: »Altes und Neues aus dem Gebiet der inneren Seelenkunde« I. 10

Persönliche Erfahrung
Auf Seite 150 des nämlichen Buches sagt Schubert (seinen Namen unter dem Anfagsbuchstaben S. verbergend):
»Einst, es war an einem derletzten oder der ersten Tage eines endenden oder neu beginnenden Lebensjahres, blickte es (das arme Herz) sehr traurig auf das wüste, tote, arme Meer der zurückgelegten, immer wechselnden Bestrebungen, eitlen Wünsche und Träume; es nagten an ihm Sorgen des Ehrgeizes, dessen frühere Bestrebungen durch eine neue äußere Lage, vielleicht für immer, beschränkt waren. Die Lebensbeschreibung eines (sehr bekannten) Mannes, der sein ganzes Leben hindurch das Spiel, und endlich das Opfer einer innern stetn Unsicherheit und eitlen Wandelbarkeit geworden war, hatte ihm sein eigenes Bild in einem Spiegel gezeigt. Da sank in den Tränen jener Stunde, der letzte Zweifel (am Evangelium); das kranke Herz aber vor Dem, der es bis dahin in allen seinen wandelbar5en Formen mit unwandelbaren Erbarmen getragen.

Ja, Du Liebe: das Herz, das unsicher und unbeständig, von einer Neigung zur andern schwankte, hat Dich gefunden, die unverändert dieselbe, immer liebend, immer geliebt, - sein wird, wenn die Zeit und das Menschenherz von Erde nicht mehr sind. Das unsichere, ungewisse Auge hat die Wahrheit gefunden, welche sicher steht und fest, und dem irrenden Blicke das rechte Licht gibt über das Geheimnis der Geschichte, der Natur,des Menschen. Und Du Liebe: wer sollte noch ringen und sich sorgen, wie er Menschen gefalle (wie S. vorher), wer gern Dir, ja nur Dir, gefallen möchte?

Der Kranke lernte in jener Stunde das Heilmittel, kennen, in dessen Kraft auch das schwächste, kränkeste Herz stark zu sein vermag und gesund, und wie jener (Paulus) sagt: ich vermag alles durch Den, der mich mächtig macht – Christus. Aber auch nur durch Ihn, außer Ihm nichts. Ja, nichts außer Ihm, mit und in Ihm alles . Armes Menschenherz: das seine eigene Unsicherheit, Wandelbarkeit und Unlauterkeit betrübt; suche du das, was in allem Wechsel und Unbestand der Zeit und des Lebens allein fest und beständig ist: das Gold, das mit Feuer durchläutert ist, aber zuerst auch Augensalbe für deine armen blinden Augen.«


Das Wort Gottes
Vom Wort Gottes heißt es auf Seite 161:
»Denn dieses Wort – verkannt von Unweisen – hat, wie es in dem alten Liede heißt: ‚Aller Weisheit Fülle' in sich. Die wahre Naturkunde, tief forschende Naturkunde (z. B. Geognosie), Geschichte, das tiefere Eindringen in die Mythologie und Sprachen der Völker sind noch allenthalben auf letzte und höchste Resultate gekommen, die uns nichts anderes sagen, als was die alte Bibel auch sagt. Kein Bedürfnis, keine Kraft ist in unsrer vielbedürfenden und vielseitigen geistigen Natur, die nicht durch das ernstere Studium jenes Buches sowohl geweckt, als ausgebildet und befriedigt würde. Und eben eine solche vielseitige Anregung der Menschenkräfte scheint eine wesentliche Bestimmung des geoffenbarten Wortes zu sein: nicht die Regionen der dunkeln Gefühle allein, auch die des klaren Erkennes sollte es beleuchten.

Der Grund ist tief, worin hier in der Aussaatstunde des Lebens unsere Hoffnung, unsere Liebe festwurzeln sollen; der Stürme sind viele, die den schwachen Keim wieder ausreißen wollen. Wie sich am sinnlichen Menschen Auge, Ohr und Zunge so gern in dem Betrachten, Hören und Aussprechen der Einen Wahrheit üben mögen, so wollen auch die geistigen Kräfte in uns allen , durch eine geistiges Bedürfnis gedrungen, Wurzeln der festesten Überzeugung, des innigsten Erfassens hineinsenken in den Grund, welcher war, ehe der Welt Grund gelegt ward, auf das kein Sturm der Schwärmerei und des Fanatismus, kein Sturm des Zweifels und des Unglaubens, kein Schmerz, keine Lust die mit tausend Armen um ihren Ankergrund geschlungene Seele von diesem losreißen könne.

Dazu ist dem tiefer strebenden Geiste dieser ganze (im Haushaltsplane der Vorsehung wahrlich nicht vergebliche) Lehrapparat des menschlichen Wissens und Erkennens gegeben: Natur, Geschichte und die Welt aller geistigen, dem Menschenverstand erreichbaren Bewegungen, Sie alle sollen und werden, wie sie ihr höchstes, letztes Resultat gefunden haben, nur zeugen für die Eine, ewige Wahrheit; zeugen für Den, welcher war gestern und heute, derselbe auch in Ewigkeit.

Freut es schon den irdisch Liebenden, den sein irdischer Beruf öfters von dem Gegenstande seiner Neigung trennt, allenthalben die Spuren zu sehen und zu erforschen, wo die Geliebte wandelte, wo ihre Hand geschäftig war für den Geliebten; warum sollte es nicht vielmehr dich freuen, du geistig Liebender! auf der Erde, die du bewohnst, allnethalben das zu betrachten und liebend zu erforschen, worin die Hand deiner ewigen Liebe geschäftig war. Schau um dich: in allen Regionen des menschlichen Wissens wirst du die Spuren ihres liebenden Einflusses auf den Menschengeist, und auf die dich umfangende Welt finden!

Nur Eins dürfen wir nicht vergessen: Der Liebende, dem die gute Stunde gekommen, wo er die Geliebte selbst sieht und umfasst, bedarf jener Dinge, die ihn in der Entfernung an sie erinnerten, nicht mehr; sie sind ihm nach dem alten Ausdruck: Schaden gegen die überschwängliche Erkenntnis jener Stunden. Aber die Stunden des Schauens gehen schnell vorüber, die Reise ist lang und gefahrvoll, der Abwege gibt es gar viele, und darum können der Erinnerungs- und Liebeszeichen nicht genug mit uns auf unserem Wege sein«.

Aus Gotthilf Schubert: >Altes und Neues aus dem Gebiet der inneren Seelenkunde<

Die Knechtschaft der Sünde und die Freiheit der Kinder Gottes
»So wird es also durch beständige Nachgiebigkeit und öftern pünktlichen Gehorsam gegen irgend einen schlimmen Hang möglich, dass der sonst freie Menschengeist ein ganz gebundenes, willenloses, unselbständiges Organ eines solchen Hanges (der Leidenschaften in ihren verschiedenen Abstufungen bis zur Monomanie [Besessenheit von einer Wahnidee, krankhaft übersteigerter Trieb] ) werde. Jener Zustand der Gebundenheit, der allerdings an den des Wahnsinns nahe grenzt, entsteht meistens nach und nach, auf einer ähnlichen Weise als jener des Wahnsinns und der fixen Idee dadurch, dass die Seele durch viele Übung des bösen Hanges, endlich zu der Fertigkeit gelangt, mit jenem Hange als herrschenden Gedankehn am Morgen zu erwachen, mit ihm am Tage zu leben, mit ihm am Abend zu entschlummern, und so durch beständigen Umgang, in ihn sich zu gestalten. Dieser furchtbare Gemütszustand (z. B. des Mordtriebes), welcher öfters entstehen würde, wenn nicht während des irdischen Zustandes die Beschränktheit und Veränderlichkeit der körperlichen Kraft, und die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, an welche die Seele sich mit ihrem (irrenden) Hange festhalten kann, es verhinderte, ist nicht ohne einen gewissen, öfters sehr hohen Grad des geistigen Hellsehens, der zuweilen schon beim Wahnsinn gefunden wird.

Aber jene Schattenseite hat nun auch ihre Tagseite. Es gibt eine andere, selige Gebundenheit des Geistes (Apostelgeschichte 20, 22 [Paulus: Und siehe, durch den Geist gebunden, fahre ich nach Jerusalem und weiß nicht, was mir dort begegnen wird] ), wo der Menschengeist ganz ein freiwilliges Organ Gottes geworden, nichts anderes mehr zu denken, nichts anderes mehr zu tun vermag, als was Gott ist. Ein tiefer forschender Sinn erkennt, dass jene (nur dem irdischen Auge als eine solche erscheinende) Gebundenheit , eigentlich die wahre, höchste einzige Freiheit des (guten) Menschengeistes sei, dessen Willen mit dem göttlichen Willen Eins, erst dann den Sieg und die Freiheit errungen über das irdische Element. Auch diese selige Gebundenheit entsteht meist nur allmählich. Jeder Gedanke, jede Handlung aus Gott, macht den Menschen zu einer ähnlichen Handlung, einem ähnlichen Gedanken immer fertiger und geschickter; ist das Herz nur einmal recht treu der guten Stimme, die ihm Gutes gebietet, so wird die Stimme sogleich vernehmlicher, mächtiger; mit jeder neuen Treue wächst die Kraft und unwiderstehliche Wirksamkeit der guten Stimme im Herzen, und die Einheit des Menschenwillens im Gottes-Willen. Endlich gelangt die Seele zu der glückseligen Fertigkeit, mit jener allmächtigen Liebe zu und aus Gott am Morgen zu erwachen, mit und in ihr am Tage zu leben und zu wirken, mit ihr als beständig herrschenden Gedanken, am Abend zu entschlummern, und so, durch beständigen Umgang, in ihr Ebenbild ganz zu vergestalten. Treue, Übung, Beständigkeit in dem, was die gute Stimme sagt, macht den Menschen zu ihrem Organ, ihrem lebendigen mit ihr ganz verwachsenen, aus ihr Kraft und Nahrung empfangenden Gliede; die vorhin unfruchtbare Rebe trägt reife Früchte des ewigen Lebens und wird von ihrem Weinstock ewig nie wieder grtrennt werden. Wenn schon jener oben erwähnte furchtbare Zustand der Geistesgebundenheit nicht ohne einen gewissen Grad des geistigen Hellsehens gefunden wird; welches geistige Licht, welches tiefe und allseitige Erkennen, wird erst diesen bessern Zustand begleiten, wo der Mensch Organ der Liebe geworden, welche alles sieht und erkennt!

Treue also, pünktliche Treue in dem Kampfe, den uns die Stimme der in uns wohnenden Gottesliebe gebietet, macht uns zu lebendigen Gliedern, gesunden Organen des einen Hauptes, welches ist Christus.

Glaube heißt aber das Band eigentlich, das diese ewige Vereinigung bewirkt*,
*Man beachte diese Erklärungdes (lebendigen) Glaubens, der wohl zu unterscheiden ist von dem bloß historischen Gauben; der letztere hat nur als Vorstufe und Hilfsmittel für den ersteren Wert.

Treue, Gehorsam, Liebe sind ja Eins mit dem Glauben an Ihn, Eine nie ohne das andere, Eines nie außer dem andern. Ein Augenblick, ein einziger Augenblick nur der rechten Demut, des rechten Glaubens, der rechten Liebe könnte uns ebenso vollkommen mit Ihm auf ewig vereinen, als der Kampf eines ganzen Lebens, der am Ende mit Sieg gekrönt wird. Sollte doch wohl hier, wo es sich um eine Ewigkeit handelt, die Zeit ein Maß sein? und ist der Augenblick, der eine, rechte, ernste Augenblick vor der Sonne der Ewigkeit etwas anders als das Jahrhundert? Ja, wo rechter Glaube, da ist rechte Liebe, und rechte Liebe siegt über alles. Aber eben an diesem Glauben fehlt es uns gewöhnlich und Gott hat hier auf der Erde am meisten mit unserm Unglauben an Ihn zu tun. Das Hindernis des Gottesglaubens ist der Glaube an die Welt, an uns selbst, an die Sünde. Die erste optische Täuschung, in weche der Mensch gewöhnlich verfällt, sobald er auf der Erde zum Bewusstsein erwacht, ist die, welche ihn glauben lässt: die wandelnden Formen der Welt, die ihn umgeben, seien das Wahre, das Rechte, das Bestehende; dann hält er die Gedanken, Gefühle, Handlungen, welche die ihn umgebende Welt (wie Licht- und Schattenbilder in einem Spiegel) in sein Herz hinein und heraus strahlen lässt, für Wirkungen seines eigenen freien Willen, während doch nur der eigentlich freie (von der sterblichen Hemmung befreite) Wille unsres unsterblichen ewigen Geistes in der Einheit mit Gott gefunden wird; endlich, da doch nur in Gott Genuss ist, hält er die Sünde für Genuss, hält und liebt also die Sünde für Gott.

Von der ersten optischen Täuschung heilt uns zwar wohl, Gute und Böse, das Vergehen des Leibes und des Lebens, denn damit wir geheilt werden von der alten Grundtäuschung, werden wir, nach unserm jetzigen Zustand in die Welt geboren. Schon von der zweiten ist jedoch die Heilung schwerer, da die in den geistigen Spiegel hineinstrahlenden fremden Farben auf eine wahrhaft, und, ohne Licht von oben, auf immer täuschende Weise, teilnehmen an der geistigen ewigen Natur des Spiegels. Wenn aber dann die Wandelbarkeit der irdischen Formen und des Leibes, welche hienieden das Einswerden des Willens und Geistes mit dem, worin dieser seinen Genuss, seine Liebe gefunden, noch hinderte, nicht mehr sein wird, wer soll dich Gebundenen an Geist, gebunden an die Lüge, an das Falsche, aus deiner willenlosen Gebundenheit erretten! Hältst du auch hier deinen bösen Gott für den guten, das, was du aus ihm wirkst, für gut; - der Vorhang wird fallen, und der Herr des armen Sklaven wird kein guter sein!

Wir glauben nicht an Gott, weil wir an die Sünde, an uns, an die Welt glauben und sie lieben. Eins aber widerspricht dem andern vollkommen, denn jener Glaube sagt: in Gott ist Genuss, das andere aber vergeht; der andere sagt: hier ist Genuss. Armer Lauer! Hier ist keine Halbheit möglich: alles verlassen und alles gewinnen, oder nichts: und kein Kämpfer wird gekrönt, er habe denn recht gekämpft. Aber der Kampf, der ja in einem Augenblick geendet wäre, wenn wir recht glaubten und mihin recht kämpften, wird gar schwer durch unser Wanken, unsre Untreue, unser Festhalten an dem falschen, dem guten widersprechenden Glauben. Ja, wir halten fest an der armen bunten Täuschung, und sie hält fest an uns, hält uns die Arme und Hände fest zusammen, das wir nicht kämpfen mögen und können. Aber nur getrost; je stärker der Kampf, desto größer der Lohn! Du musst nur die Täuschung (es wird dir so schwer zu glauben, dass es eine ist) durch öfteres Betrachten in der Nähe erst als Täuschung, dich als Getäuschten, recht erkennen; darum wirst so oft, so lange in demselben Kampfe geübt: dein so öfteres Wanken und Unterliegen, das dir so wehe tut, muss dich lehren, dass du die rechten Waffen noch nicht hast und führst, muss dich fest machen und stark. Sei getrost und hoffe auf Ihn und kämpfe nur fort den guten Kampf; stehe immer wieder auf, wenn du auch fielst; endlich gibt Er dir, was du suchst: Obgleich schon jetzt das Wort, welches viele Rätsel lösen kann, Glaube heißt, so werden wir doch erst jenseits ganz erkennen, warum der Kampf bei dem einen so kurz und bald zum Siege führend, bei dem andern so lang war. Indes habe du Mut und halte Glauben, du lange und schwer Kämpfender; du aber Mitgenosse des lange Kämpfenden, habe Geduld!«

Aus Gotthilf Schubert: >Altes und Neues aus dem Gebiet der inneren Seelenkunde<, S. 158ff

Zur Schöpfungsgeschichte
»Hätte man vor einigen Menschenaltern irgend einem kunstverständigen Manne jene Silberplatte gezeigt, auf welcher durch das zurückstrahlende Licht im Daguerreotyp der Einzug des Kaisers Ferdinand in Linz dargestellt war, hätte derselbe die unzähligen Köpfe und Gestalten der Menschen, die von der Strasse, die aus allen Fenstern der Häuser herabschauten, den Kaiser und sein Gefolge zu Pferd, jeden kleinen Gegenstand vom Pflaster des Bodens bis zu den Ziegeln der Dächer gesehen, er würde über den mühseligen Fleiß der Arbeit hoch erstaunt sein. Hätte man ihn gefragt: in wie viel Zeit meinst du, dass diese Arbeit vollendet sei? er würde geantwortet haben: weniger gewiss nicht, als sechs Monate hat die fleißige Hand des Meisters zu diesem Werke gebraucht. Und dennoch war das vielbewunderte Ganze micht nur in weniger als sechs Monaten, in weniger als sechs Tagen, ja in weniger als sechs Minuten, es war in einigen Augenblicken nicht durch Menschenhand, sondern durch einen Lichtstrahl erzeugt worden. Sollten in dem Schöpfer der sichtbaren wie der unsichtbaren Welten selber nicht noch ganz andre Kräfte wohnen, als in seinem Gewande – in dem Lichte?

Es mag deshalb immerhin als ein bedenkliches und gewagtes Unternehmen erscheinen, wenn wir von dem Standpunkt unsrer wissenschaftlichen Erfahrungen aus der Schöpferkraft, durch deren Wort die Erdfeste gebildet ward, Zeiträume unsrer Jahre, Jahrhunderte und Tausende der Jahrtausende zumessen und andichten wollen: wir wissen hierüber nichts als das Eine: Dass 1000 Jahre vor Ihm, unserm Schöpfer, sind wie ein Tag , der gestern vergangen ist.«

Aus Gotthilf Schubert: Bruchstücke aus verschiedenen Werken

Die wahre Welt des Lebens jenseits dieser Sichtbarkeit (Bruchstück)
»In und durch und um und über dieser Sichtbarkeit webet und lebet, meinem Auge unsichtbar, meiner irdischen Brust, so sehr sie sich in dem Staunen der Andacht erweitert, unerfassbar, meinem Verstande unmessbar und unbegreiflich, selig, ewig grenzenlos und ohne Wandel – die eigentliche Welt des Lebens. . . . . .

Gleich einem sinnenden Manne, der auf einer einsamen, mitten im Ozean gelegenen Insel des Vorüberwandelns eines Windes fühlt und bemerkt, welcher von den riesenhohen Gebirgen eines Festlandes herkommt, dessen Ufer sein Auge, soweit es auch hinausspäht, nirgends gewahr wird, ja an dessen Dasein der ermattende Geist zuletzt zweifelt, bemerke ich wohl das Leuchten aller der Millionen Lichtgebilde und Welten, welche zu meienem heimatlichen Schöpfungsgebiete gehören; jene Urstätte und ewige Feste des Lebens aber, aus welcher der beseelende Hauch hervorgeht, der dem zu Sternen gestalteten Äther das Licht anweht und alle seine Riesenwelten bewegt, wird ein von Erde gemachtes Auge nicht erkennen. Der aus Kampf und Dunkel zum Leben hindurchgedrungene Geist wird jedoch, wenn er die Hand voll Staub, die bis dahin sein inneres Auge gehalten, als befruchtetes Samenkorn zurückgelassen, alsbald sich von einem Jenseits umfangen sehen, auf dessen wogendem Meere, welches ohne Anfang und Ende, ein zum höhern Chor erwachtes Selbstbewusstsein immer näher zu jener innersten Heimat alles Lebens geführt wird, welche am Quell des Lichtes der Sonne und der Sterne nimmer bedarf.«

Gotthilf Schubert: Aus der allgemeinen Naturgeschichte

Das scheinbare Versinken des Geisteslebens im Greisenalter (Bruchstück)
»Das Ende des Wegees, welchen die Seele aus der Sichtbarkeit hinaus in ein unsichtbares Jenseits, nimmt, erscheint schon da sehr ernst, Furcht, aber auch Hoffnung erweckend, wo es, noch diesseits des Berggipfels, der das Jenseits vom Diesseits scheidet, dem leiblichen Auge bemerkbar ist. Es kommen da die Tage, welche jener alte Prediger (Salomo 12, 1 - 8):

12.1 Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend ehe die bösen Tage kommen und die Jahre sich nahen, da du wirst sagen »Sie gefallen mir nicht«;
12.2
ehe die Sonne und das Licht, Mond und Sterne finster werden und Wolken wiederkommen nach dem Regen, -
12.3 zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern
und die Starken sich krümmen und müßig stehen die Müllerinnen , weil es so wenige geworden sind, und wenn finster werden , die durch die Fenster sehen ,
12.4 und wenn die Türen der Gasse sich schließen , dass die Stimme der Mühle leiser wird, und wenn sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt , und alle Töchter des Gesanges sich neigen;
12.5
wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt und die Kaper aufbricht; denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt , und die Klageleute gehen umher auf der Gasse ; _
12.6 ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt.
12.7 Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen , wie er gewesen ist , und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.
12.8 Es ist alles ganz eitel,
spricht der Prediger, ganz eitel .


»die bösen Tage« nennt, »wenn auf dem greisen Scheitel der (weißblühende) Mandelbaum (des grauen Haares) erblühet, . . . und alle Lust vergeht. Neue Wolken kommen immer wieder nach dem Regen, die Sonne und die Gestirne scheinen finster, denn es werden trübe die innern Lichter (Augen), welche durch die Fenster schauen; die beiden Türen (Lippen) nach der Gasse werden geschlossen. Müßig stehen die zermalmenden Müllerinnen (Zähne) im Munde, weil ihrer so wenig worden ist, die Stimme der Mühle wird leise, es bücken sich alle Töchter des Gesanges. Das ist die Zeit, da die Hüter des Hauses (die Hände und Arme) zittern und sich krümmen die Starken (die Beine) ; die Zeit, da man erwachet, wenn der frühe Vogel singt, und siehe, es ist eitel Schrecken auf dem Wege, die Kläger (Klageweiber) bereit zur Totenklage gehen umher auf der Gasse; der Mensch muss nun wandern in sein ewiges Haus. Denn nur noch um ein wenig, und er silberne Strick (des lebendigen Odems) wird wegkommen, die goldne Quelle (das Herz) wird verlaufen, der Eimer und das Rad am Brunnen zerbrechen. Und der Staub kommt wieder zur Erde, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat. »O Eitelkeit der Eitelkeiten,« sprach der Prediger, »es ist alles eitel.«

Der Zustand des hohen Alters, in seiner Abgeschlossenheit und Abgestorbenheit nach außen, wird mit Recht mit jenen krankhaften Zuständen verglichen, da die Seele noch am hohen Tage des Lebens sich in die Nähe des Schattenreiches verirrt.*
*Schubert meint die Zustände des magnetischen Schlafes, die eine lange Zeit von der Wissenschaft geleugnet, jetzt unter dem Namen Hypnotismus wenigsten eine teilweise Berücksichtigung in derselben gefunden haben.
Ereichbarer jedoch und näher noch der rufenden Menschenstimme (ist sie freilich in jenen krankhaften Zuständen) als da, wo sie am Abend des Lebens ihren einsamen Weg über das ferne Gebirge der Grenze geht . . . . . .

So gründet sich auch die geistige Verschlossenheit und Beengtheit des hohen Alters auf ein Zurückgezogenseinj in diesen innern Kreis, der sich noch während des Lebens des jetzigen Leibes zum künftigen Leibe der Ewigkeit bildet. Das innere Auge öffnet sich, während das äußere dunkel wird.

Es trägt in jede genossene Freude, in jeden Schmerz der Erde unsre Seele etwas von ihrer ewigen Natur und Kraft hinein. Darum ist das empfundene Entzücken in der Erinnerung so viel größer und süßer, der Schmerz so viel ernster und geistiger, als beide in ihrem Erscheinen gewesen, Hoffnung öfters viel süßer als die Erfüllung selber.Aus diesem eigentümlichen Anbau, welchen die Seele auf ihr irdisches Leid und ihre Lust, auf ihre Sorgen und Hoffnungen gründet, wird dann jener innere Kreis gewoben, welcher von leichterer geistiger Natur als die sterbliche Hülle, gleich der Luftblase, die am Boden des Wassers sich bildet, emporsteigt und durch die Hülle hinausdringt in die Region des Gleichartigen. Es ist der Zug eines Heimwehes nach der heimatlichen Luft; eines Heimwehes, welches zuletzt in der umgebenden Fremde nichts mehr sieht und bemerkt und welches, wie der Ungeborene, wenn der Drang nach dem Atmen der Luft erwacht, der Nahrung aus dem bisher ihn tragenden Mutterleibe nicht mehr Begehrt. Denn wie das Auge, das hinaus in die helle Sonne gesehen, das Moos und Gestein der tiefen finstern Kluft nicht mehr unterscheidet, so hat zuletzt das innere Bedürfnis der Seele nach angemessener, ewiger Nahrung, wenn es unter Lust und Schmerzen groß gewachsen, zu den Dingen der äußern Sinnenwelt keine anziehende Kraft mehr, und diese nicht zu ihm . . . .

In jedem Falle ist das, was der Mensch auf seinem Wege durch die Sichtbarkeit erlebt, erfahren und innerlich erworben hat, unter der Schneerinde des Alters nicht verloren gegangen, sondern nur verborgen, und ein Sturmwind zerstreut öfters noch am Sterbebette diese verhüllende Decke. Dies hat die Beobachtung auch bei solchen Greisen erwiesen, in denen die Zuversicht von oben, der Stern in der Nacht, nicht lebte, bei solchen, mit derem kranken, nicht gereinigten Vorhof, zuletzt während der Zurückziehung des selbstbewussten Geistes ins Innere, widerliche Mächte des Wahnsinnes und Tierheit spielten. Die scheidende Seele blickte noch einmal mit voller Klarheit in ihre Vergangenheit hinein, und spürach ihre Hoffnung oder ihre Furcht aus. – Wir nehmen die Erinnerung, sowie die Folgen jeder Tat, jedes Wortes, aus dem Leben unsres Leibes mit uns hinein in den unsichtbaren, ewigen Kreis des Lebens der Seele. Die Hülle fällt, und der neue Mensch steht da, was er durch das sterbliche Leben geworden . . . .

Der Weg zum Grabe gleicht zuletzt dem Steige über hohe, öde, wolkenbedeckte Gebirgsgipfel. Bei jedem neuen Absatze, der des Weges Ende schien und doch nicht war, verhallt immer mehr das Getön der lebendigen Stimme aus dem Tale, die freundliche Nähe der mitlebenden Welt, statt der Bäume und Gesträucher nur noch niederes Moos und Flechten . Zuletzt ist da, da der Mensch mit Dem, der ihn richtet, allein.

Ein Steig über diese Gebirge, so sauer und mühsam er ist, geht nach einem ewigen Osten hin. Es fallen da öfters, noch diesseits des Gipfels, Strahlen der ewigen Morgensonne auf den nächtlichen Weg herüber, und ein erquickender Duft steigt von den Lebensbäumen des jenseitigen Tales der Ruhe auf.«

Aus Gotthilf Schubert: Geschichte der Seele, Band I § 22 der 4. Auflage