Satanologie

Satanologie
heißt wortwörtlich die »Wissenschaft vom Satan«. In der Satanologie, die - streng von dem Satanismus zu trennen ist, in dem das übermenschliche Wesen des Teufels als Folge seiner Personalisierung in Form einer Religion angebetet wird - soll mit wissenschaftlichen Mitteln untersucht, analysiert und historisch belegt werden, wann, wie und warum die Menschen dazu kamen das »Böse« in den übermenschlichen Fähigkeiten des Satans zu dämonisieren und zu personifizieren.? Der Begriff Satanologie wurde (erstmals?) in Georg Gustav Roskoffs »Geschichte des Teufels - Eine kulturhistorische Satanologie von den Anfängen bis ins 18. Jahrhundert« geprägt. Im Vorwort zu seiner Geschichte des Teufels beschreibt Roskoff seine Absichten folgendermaßen :

Vorwort
Wie gelangt der Mensch zur Vorstellung eines übermenschlichen bösen Wesens?
Wie bildet sich der religöse Dualismus?

Alle Dinge, die in ihrer Gesamtheit das All ausmachen, bedingen sich gegenseitig, wirken in ihrem Nebeneinandersein aufeinander und bringen eine Vielheit und Manninigfaltigkeit des Inhalts und deren Form hervor. Der denkenden Betrachtung die nach dem Zusammenhange der Erscheinungen forscht , »was die Welt im Innersten zusammenhält«, ist die in der Vielheit sich äußernde Einheit nicht entgangen. Sie fasst die zerstreuten Naturdinge und Naturkräfte zu einem einheitlichen Ganzen zusammen und sieht in ihm einen lebensvollen Organismus, innerhalb dessen eine Menge besonderer Systeme sich tätig erweisen, die, obschon selbständig, in steter Wechselwirkung aufeinander bezogen und durch allgemeine Gesetze im Zusammenhang erhalten, in Ein Grundgesetz , das der Harmonie , zusammenlaufen. In dieser Erkenntnis feiert die Naturwissenschaft ihren Sieg, nachdem sie den eroberten Schatz von Wahrnehmungen der Herrschaft des Denkens unterworfen hat. Es ist ein auf Erfahrung gegründeter Satz, den ein Gewährsmann auspricht: »Je tiefer man eindringt in das Wesen der Naturkräfte, desto mehr erkennt man den Zusammenhang der Phänomene, die, lange vereinzelt und oberflächlich betrachtet jeglicher Anreihung zu widerstreben scheinen« . (Alexander von Humboldt, Kosmos I, 30).

Die Betrachtung der eigenen Beschränktheit erfüllt zwar das Einzelwesen mit Wehmut; diese verliert aber an Herbheit im Hinblick auf die unendliche Reihe der unablässig forschenden Menschheit. Denn »Wissen und Erkennen sind die Freude und Berechtigung der Menschheit«.

In dieser berechtigten Freude am Erkennen mag das Auge des Beobachters geschichtlicher Erscheinungen wohl auch, auf Kulturzustände hingelenkt, deren Zusammenhang mit jenen aufzufinden versuchen. Denn nicht nur in der physischen Welt gibt es nichts Unnatürliches, sondern alles ist in Ordnung, Gesetz; auch die geschichtlichen Erscheinungen und ebenso die Gebilde des geistigen Lebens sind durch gewisse Faktoren bedingt. Wenn im Verlaufe der Geschichte bestimmte Vorstellungen so mächtig heranwachsen, dass sie die Oberherrschaft in den Gemütern erlangen, muss wohl jedem, der nach dem Grunde der Erscheinungen zu suchen gewohnt ist, die Frage aufdrängen: warum diese Vorstellungen gerade um diese Zeit eine so gewaltige Macht gewinnen, die sie ein andermal wieder verlieren? Warum sie in dieser bestimmten Form zur Herrschaft kommen, zu einer anderen Zeit eine andere Gestalt annehmen? Die Lösung solcher Fragen vom kulturgeschichtlichen Gesichtspunkte darf wohl versucht werden, und die Neigung, herrschende Vorstellungen nach ihrem Zusammenhange zu begreifen, wird sicht nicht abschwächen, wenn diese auch als Wahngebilde bezeichnet werden. Denn auch eine Geschichte der Wahngebilde eines Volks oder der Völker kann nicht ohne Bedeutung sein, da jene, wenngleich als Kehrseite der Bildung oder als Verbildungen betrachtet mit der Individualität eines Volks aus innigste verwachsen sind und aus dessen Bildungsprozesse hervorgehen. Mögen derlei Erscheinungen immerhin mit einem kritischen Ausschlage verglichen werden: sie erregen mit dem pathologischen Interesse zugleich das kulturhistorische, weil sie, wie die Bildung selbst, durch eine Menge von Faktoren bedingt sind, weil auch an ihnen das Gesetz menschlicher Entwickelung zu Tage tritt, weil sie mit dieser Hand in Hand gehen, die Eigentümlichkeit eines Volks abspiegeln, die Wandlungen des menschlichen Bewusstseins mitmachen


Einer aufmerksamen Beobachtung wird es nicht entgehen, dass gewisse Faktoren die Anregung zur Erzeugung und Gestaltung bestimmter Vorstellungen geben, und dass im Allgemeinen zwei Hauptfaktoren in die Entwickelung der Menschheit eingreifen: Natur und Geschichte. Diese bedingen den Bildungsprozess überhaupt und bieten die maßgebende Anregung zur Gestaltung bestimmter Anschauungsweisen. Bei Naturvölkern, die der allgemeinen geschichtlichen Bewegung abseits, gleichsam außerhalb der Strömung am festen Ufer stehen, ist das vornehmliche Anregungsmittel die sie umgebende Natur; bei den Kulturvölkern des Altertums, die laut ihrer kulturhistorischen Mission ihren Arbeitsanteil an die Weltgeschichte abgegeben haben, hat außer der Natur auch die Geschichte ihren Einfluss geltend gemacht; die später auftretenden Völker haben die Anregungvornehmlich aus den geschichtlichen Verhältnissen empfangen, obschon das Naturmoment auch bei diesen nicht außer Kraft ist. »Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen« , bemerkt Lazarus , »alles in uns, an uns ist Erfolg der Geschichte, wir sprechen kein Wort, wir denken keine Idee, ja uns belebt kein Gefühl und keine Empfindung, ohne dass sie von unendlich mannigfaltigen abgeleiteten historischen Bedingungen abhängig ist.«
Z
eitschrift fürVölkerpsychologie, II, 437.

Gleiches gilt wohl auch von ganzen Völkern. Kein Volk schafft eine Kultur ganz aus sich selbst, jede ist die Summen der seitherigen Egebnisse der Weltentwickelung, die es aufnimmt und, mit dem eigenen Geiste verarbeitet, der Nachwelt als Erbe hinterlässt. Das ist die Tradition der Kultur.


Bei einer Studie über die Vorstellung vom christlichen Teufel, der im Mittelalter den kirchlichen Glaubenskreis ausfüllt, wird der unbefangene Forscher zunächst in die ersten christlichen Jahrhunderte zurückblicken müssen und, indem er dem Ursprunge dieser Vorstellung nachspürt, führt ihn der Weg durch das Neue Testament zu den Hebräern und denjenigen Völkern, mit welchen jene in Berührung gekommen sind. Der Dualismus von guten und bösen Wesen, der bei den Parsen, bei den Ägyptern in die Augen fällt, die dualistische Anschauung, die in den Mythologien aller Kulturvölker mehr oder weniger entschieden auftritt, muss die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und zum weiteren Rückschreiten auf der Stufenleiter der verschiedenen Religionen nötigen. Bei den Naturvölkern angelangt, wird sich die Tatsache herausstellen, dass auch in allen Naturreligionen der Dualismus zum Ausdruck kommt, und an diese Wahrnehmung knüpft sich die Aufforderung, den Grund dieser Erscheinung auf dem Gebiete der Anthropologie zu suchen, das menschliche Bewusstsein, das zur Bildung einer solchen Vorstellung angeregt wird, zu betrachten.

»In allen Zeiten«, sagt der Naturforscher, »hat der denkende Mensch versucht, sich Rechenschaft zu geben über den Ursprung der Dinge, um sich Aufschluss zu verschaffen über den Grund dieser Eigentümlichkeiten.«
Liebig, Chemische Briefe, S.79

Sollte denn dieses Streben nur auf die Dinge außerhalb des Menschen beschränkt sein, hat nicht der zum Denken erwachte Mensch seine eigene geistige Tätigkeit und deren Produkte zum Gegenstande seiner Denkoperation gemacht? Ein Versuch, die Vorstellung von einem bösen Wesen, vom Teufel, im Zusammenhang mit der Natur, den geschichtlichen Erscheinungen und deren Konjunkturen darzustellen, ist vorliegende Schrift. Sie will versuchen, die Geschichte des Teufels nach seinem Ursprunge und seiner weiteren Entwickelung unter kulturgeschichtlichem Gesichtspunkte darzustellen, will auf Momente hinweisen, die überhaupt zur Vorstellung von einem bösen Wesen anregen, will den religiösen Dualismus bei den Naturvölkern und den Völkern des Altertums nachweisen, sie will zeigen, wie innerhalb der christlichen Welt die Vorstellung vom Teufel Raum gewonnen und im Verlaufe der Geschichte eine alle Gemüter beherrschende Macht erlangt hat. Die Geschichte de Teufels will gewisse Hauptfragen zu lösen versuchen, als: wie gelangt der Mensch überhaupt zur Vorstellung von der Existenz eines übermenschlichen bösen Wesens, oder wie bildet sich der religiöse Dualismus? Wobei der Ausgangspunkt vom menschlichen Bewusstsein angegeben ist. Bei der christlich-kirchlichen Vorstellung vom Teufel handelt es sich um Faktoren, welche die allgemeine Verbreitung dieser Vorstellung gefördert haben. Daran knüpft sich die Frage: warum diese Vorstellung gerade zu einer bestimmten Zeit so mächtig geworden, welche Wandlungen sie erlebt, warum sie wieder abnimmt, welches die Ursachen der Abnahme sein mögen? u. dgl. m. Manche, und vielleicht wichtige Momente, die in die Geschichte des Teufels eingreifen, mögen dem Verfasser entgangen sein, daher seine Schrift auch nur die Bedeutung eines Versuchs Anspruch machen darf. Denn es ist gewiss: »im geschichtlichen Zusammenhange der Dinge schlägt ein Tritt tausend Fäden, und wir können nur einen gleichzeitig verfolgen. Ja wir können sebst dieses nicht immer, weil der gröbere sichtbare Faden sich in zahllose Fädchen verzweigt, die sich stellenweise unserem Blicke entziehen.«
Fr. Alb. Lange, Geschichte des Materialismus (1866), S. 282

Wien , im März 1869

Dr. G. Roskoff
Ordentl. Professor an der k. und k. evangel. theolog. Facultät in Wien.