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Thomas
Matthias Sartory (1925 – 1982) Deutscher katholischer Theologe; Studium der Philosophie, katholischen und evangelischen Theologie, war von 1947 – 67 Benediktiner von Niederaltaich und als Benediktiner führend in der deutschen Una-Sancta-Arbeit. 1967 Laisierung, danach freiberufliche Tätigkeit als Publizist und Schriftsteller. |
Die Hölle
in den Katechismen
Weder die Bibel noch das Dogma, auch nicht die Schriften der Kirchenväter
oder die Bücher der Theologen bestimmen unmittelbar das »Glaubens«-Wissen
des Volkes; entscheidend ist, was davon in Predigt und Religionsunterricht eingeht.
Unter diesem Gesichtspunkt kommt den Katechismen eine ausschlaggebende Bedeutung
zu.
Der erste und zugleich bedeutendste katholische Katechismus ist der >Catechismus
Romanus<, dessen Herausgabe das Konzil von Trient bereits in seiner ersten
Periode (1546) beschlossen hatte. Er wurde 1566 in Rom veröffentlicht —
und zwar nicht als ein Katechismus für Kinder, sondern für die Pfarrer;
er sollte ihnen als Leitfaden für Predigt und Katechese dienen. Dieser
Katechismus ist durch seine hohe kirchliche Autorität (aufgrund seiner
Entstehung und Zielsetzung und der oftmaligen Empfehlung durch die Päpste),
die kein späterer Katechismus je wieder erreichen konnte, »eines
der gewichtigsten Dokumente des ordentlichen Lehramtes« Gleichzeitig ist
dieser Katechismus, wiederum im Unterschied zu seinen meisten Nachfolgern, theologisch
ausgesprochen qualifiziert. Das zeigt sich auch daran, wie er das Problem des
»letzten Gerichtes« anpackt. Im Anschluß an das Gerichtsgleichnis
in Matthäus 25 heißt es von den »Gottlosen«, sie würden
zu Recht verurteilt, weil sie »alle Werke wahrer Frömmigkeit vernachlässigt«
hätten. Unter »Frömmigkeit« würden die meisten von
uns unwillkürlich verstehen: Beten, In-die-Kirche-Gehen, Sakramente empfangen
usw. Der Katechismus aber erklärt, die Verurteilten hätten es an wahrer
Frömmigkeit völlig fehlen lassen, da sie dem Hungernden kein Brot,
dem Durstigen keinen Trank gereicht, den Fremden nicht beherbergt hätten
usw. Über die Höllenstrafe dagegen spricht der Catechismus Romanus
in der üblichen Weise; er greift die traditionelle Unterscheidung von poena
damni (Strafe des Verlustes der Gottesgemeinschaft) und poena sensus auf. »Diese
zweite Art von Strafe nennen die Gottesgelehrten die Strafe der Sinne, weil
sie mit leiblichen Sinnen empfunden wird. Wie dies z. B. bei der Prügelstrafe,
bei der Geißelung und anderen schweren Strafarten der Fall ist. Unter
diesen ruft ohne Zweifel die Feuerqual die höchste Schmerzempfindung hervor.«
Die Bilder der Bibel vom »höllischen Feuer« leuchten also deshalb
ein, weil auf diese Weise die Hölle als Ort der schmerzlichsten Strafe
verstanden werden kann.
Ein neuer Typ von Katechismen für die Schule entstand unter dem Einfluß
der Neuscholastik. Unter ihnen ragt der Katechismus des Jesuitenpaters J. Deharbe
hervor, der 1847 unter dem Titel >Katholischer Katechismus oder Lehrbegriff<
erschienen ist; er fand rasch Eingang in alle deutschen Diözesen (außer
der von Rottenburg). Auch der »Deutsche Einheitskatechismus« von
1925 basierte auf dem Deharbeschen Katechismus. Es lohnt sich also, bei Deharbe
nachzufragen, was er über die Hölle zu sagen wußte, denn die
gesamte ältere Generation der heute in Deutschland lebenden Katholiken
ist im Geiste seines Katechismus unterrichtet worden.
Außerdem verfaßte J. Deharbe auch eine >Gründliche und leichtfaßliche
Erklärung des Katholischen Katechismus nebst einer Auswahl passender Beispiele
als Hilfsbuch zum katechetischen Unterrichte in der Schule und in der Kirche
und als Lesebuch für christliche Familien<. Wir werden uns auf diese
»Erklärung« stützen. Deharbe hat nämlich eine Reihe
verschiedener Ausgaben seines Katechismus verfaßt, die in vielen Auflagen
und Diözesandrucken und in zahlreichen Übersetzungen Weltgeltung erlangen
sollten, während die »Erklärung« (5. Auflage 1888) zu
allen diesen Katechismen geschrieben worden ist.
Die Hölle wird von Deharbe als Ort bezeichnet, wo der Verdammte
»die ganze Ewigkeit hindurch tausendfache Todesschmerzen
leidet, ohne sterben zu können«. In die Hölle kommt jeder,
der in einer Todsünde stirbt (und Gelegenheiten zu Todsünden bieten
sich unter der Perspektive Deharbescher Moralvorstellungen dem armen Menschen
jeden Tag »en masse«!). Zur Frage, ob das Höllenfeuer ein wirkliches,
körperliches Feuer sei oder ob man es bildlich verstehen dürfe (Gewissensbisse,
innere und äußere Schmerzen), betont Deharbe, daß die Kirche
diese Frage bisher nicht ausdrücklich entschieden habe; er hält es
aber doch für »vermessen«, wenn man gegen die Ansicht der bewährtesten
Theologen lehre, daß das Feuer im uneigentlichen Sinne aufzufassen sei.
Den »Wurm«, der nicht stirbt, deutet er als »Folter
des empörten Gewissens«, das den Gequälten unablässig
zurufe: »War es recht, für so schmähliche
Dinge die Schätze des Himmels aufzuopfern? War es recht, für einige
unlautere Blicke [!] sich der Anschauung Gottes zu berauben? War es recht, für
eine augenblickliche Lust in dieses unauslöschliche Feuer zu stürzen?«
Warum aber straft Gott mit ewigen Höllenqualen jeden Menschen, der nach
einer »Todsünde« stirbt, bevor er sie gebeichtet oder doch
wenigstens »aus Liebe zu Gott bereut« (= »vollkommene Reue«)
hat? Weil Gott unendlich gerecht, heilig und weise sei!
Entscheidend ist das Wort »unendlich«. Gott »muß«
den Todsünder mit ewigwährenden Höllenqualen strafen, weil er
auf eine »unendliche«, das heißt: »vollkommene«
Weise gerecht, heilig und weise ist. Wie begründet Deharbe diese im doppelten
Sinn des Wortes »unglaubliche« Behauptung?
1. Gott ist unendlich gerecht. Deshalb bestrafe er die Sünde so, wie sie
es verdiene (auf den Widerspruch zum biblischen Gerechtigkeitsbegriff haben
wir schon hingewiesen). Eine Todsünde aber sei als »schwere Beleidigung
des Allerhöchsten« ein un-endliches Vergehen. Sie müsse darum
durch eine un-endliche Strafe gesühnt werden. Über den Menschen als
endliches Wesen könne aber keine un-endliche Strafe (der Heftigkeit nach)
verhängt werden — darum müsse sie wenigstens der Dauer nach
un-endlich sein.
2. Gott ist unendlich heilig. Das heißt nach Deharbe (und wie derum im
Widerspruch zum biblischen Verständnis): Gott haßt das Böse
ebenso, wie er das Gute liebt, und straft dasBöse darum nicht weniger,
als er das Gute belohnt. Die Ewigkeit und Schrecklichkeit der Hölle offenbart
somit, wie sehr Gott das Böse haßt — wie »heilig«
er also ist.
3. Gott ist unendlich weise als Gesetzgeber und Lenker der Menschen. Durch Verheißung
von Belohnungen und Androhung von Strafen fördere er darum die
Beobachtung seiner Gebote. Diesen Zweck hätte Gott nicht erreicht, wenn
er nur zeitlich begrenzte Strafen für das Böse festgesetzt hätte.
Der Mensch müsse nämlich mächtig angetrieben werden,
um die Übertretung des göttlichen Gesetzes auch im Verborgenen zu
meiden. »Die vor Augen liegenden Güter der
Welt sind oft so reizend und die Sinnenfreuden so lockend, daß der ohnehin
zum Bösen geneigte Mensch sich gar leicht über die Furcht der zeitlichen
Strafen hinwegsetzt . . . « Es muß ihm also schon mit ewiger
Hölle gedroht werden. Mit einem Kirchenväterwort erklärt darum
Deharbe: »Die Hölle zeigt nicht minder als der Himmel die Liebe und
Weisheit Gottes.« Und: »Die Hölle arbeitet
dem Himmel in die Hände, indem sie den Menschen durch die Furcht zu ihm
hintreibt.« — »Um uns sicherer
zum Himmel zu geleiten, hat Gott am entgegengesetzten Ende die Hölle angefacht
und uns keinen Ausweg gelassen.«
Mit dem Drohmittel der Hölle soll also der Mensch durch Furcht zum Guten
angetrieben, durch Furcht dem Himmel zugetrieben werden! Damit ist die »frohe
Botschaft« und ihr Ethos geradezu ins Gegenteil verkehrt worden. Allerdings
ist dieses totale Mißverständnis der entscheidenden Impulse des Evangeliums
nicht Deharbe persönlich anzulasten. Theologisches Verständnis steht
immer auch in Wechselwirkung mit der jeweils zeitgenössischen Bewußtseinslage
und Mentalität. Aus den Deharbeschen Formulierungen klingt deutlich das
damalige Leitbild autoritärer Erziehung durch. Vermutlich konnten
die meisten Menschen gar nicht anders als im extremen Schuld-Strafe-Schema denken,
auf das sie von ihrer Erziehung her fixiert waren. Der schon düstere Höllenglaube
mußte dadurch noch mehr verdüstert werden. Das zeigt auch Deharbes
Antwort auf die Frage, ob alle Verdammten im gleichen Maß leiden müßten.
Jeder werde genau nach der Häufigkeit und Schwere seiner Sünden leiden
müssen, weiß Deharbe. Ja, bei dieser göttlichen Buchführung
geht es offensichtlich äußerst exakt zu. »Jede
verschmähte Belehrung, Ermahnung, Warnung von seiten der Eltern oder Seelsorger
... jedes vergeblich dargebotene oder leichtfertig mißbrauchte Heilsmittel
trägt dazu bei, die Qualen der Hölle zu steigern.«
Der letzte allgemeingültige >Katholische Katechismus für die Bistümer
Deutschlands< ist 1955 erschienen. Er erlebte bereits in den ersten fünf
Jahren 22 Übersetzungen in fremde Sprachen und durfte vor dem Hintergrund
der noch vor-konziliaren Kirche und Theologie als »fortschrittlich«
bezeichnet werden. Zweifellos sind hier zum erstenmal »Hauptwünsche«,
die aus katechetischer Neubesinnung angemeldet worden waren, erfüllt worden.
Ob jene »voll zur Geltung« gekommen sind, wie im Lexikon für
Theologie und Kirche behauptet wird, muß allerdings bezweifelt und für
das Lehrstück von der Hölle entschieden bestritten werden.
Es war bereits ein Mißgriff, das 130. Lehrstück, das von der Hölle
handelt, mit dem Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus zu beginnen.
Das entspricht zwar dem traditionellen Verständnis dieser Perikope [griech.
Umriss, Abschnitt, neuzeitliche Bezeichnung für Schriftabschnitte, die
als Lesetext bei Gottesdienst und zur Predigt verwendet werden], widerspricht
aber der heutigen exegerischen Erkenntnis, nach der dieses Gleichnis mit einer
»Höllenlehre« nichts zu tun hat (darüber später ausführlicher).
Aber die Kinder sollten offenbar meinen, daß Jesus mit diesem Gleichnis
die Pein der Verdammten habe schildern wollen, da der Katechismus es nur verkürzt
erzählt und nach Schilderung der Durstqualen des reichen Mannes in der
Hölle einfach abbricht. Dadurch verhaftet er das Interesse der Kinder bei
den Qualen der Verdammten, was der Funktion der Hölle innerhalb der Verkündigung
widerspricht.
Ferner: das Lehrstück über die Hölle begründet die Verdammung
mit dem »Tod im Zustand der Todsünde«. »Frage
242. Wer kommt in die Hölle? Wer in der Todsünde stirbt, kommt in
die Hölle.« Das scheint uns eine Todsünde
gegen den Geist christlicher Verkündigung zu sein. Ein gesetzlich-moralistisches
Verständnis oder richtiger Mißverständnis der »Hölle«
ist bei einem solchen Ansatzpunkt unvermeidbar. Wenn schon von Hölle gesprochen
werden soll, kann es christlich legitim nur geschehen, indem man von der Grundhaltung
ausgeht, die einen Menschen bestimmt. Alles andere führt zu einer bloßen
Zwangs- und Angstmoral. Daß der Katechismus diese Gefahr nicht nur nicht
vermieden hat, sondern geradezu heraufbeschwört, ist nach den tiefenpsychologischen
Einsichten und moraltheologischen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte unverzeihlich.
Er gibt nämlich buchstäblich unter der Rubrik >Für mein Leben<
den Kindern den Rat mit auf den Weg: »Wenn ich in
Gefahr hin, eine Todsünde zu begehen, will ich an die Qualen der Hölle
denken.«
Auch dieser letzte (von vielen Geistlichen und Katecheten allerdings inzwischen
längst aus dem Religionsunterricht verbannte) Katechismus zeigt also immer
noch den verhängnisvollen Mechanismus, der die »Hölle«
zu einem wirklichen Handikap des Glaubens macht: Todsünde — Tod —
Hölle. Das heißt, wenn einer eine Todsünde begangen hat und
plötzlich stirbt (etwa durch einen Autounfall), noch bevor er sie gebeichtet
oder wenigstens mit »vollkommener Reue« (= Reue aus Liebe zu Gott)
bereut hat, so kommt er zwangsläufig für ewig in die Hölle. Da
ist »der arme liebe Gott« machtlos.
Nach Lehrstück 81 begeht der eine Sünde, der »Gottes Gebot mit
Wissen und Willen übertritt«. Um eine »Todsünde«
handele es sich dann, wenn es bei diesem Gebot um eine »wichtige«
Sache geht, und die Tat mit klarer Erkenntnis und voller Einwilligung geschehen
ist. Wann und wo aber handelt es sich um eine »wichtige« Sache,
um materia gravis (schwerwiegende Materie), wie die Moraltheologen sagen? Den
Kindern werden Beispiele einer wichtigen Sache genannt: »So ist es eine
Todsünde, vom Glauben abzufallen, Gott oder den Nächsten zu hassen
oder einen schweren Diebstahl zu begehen.« Die Intention war offenbar,
den Kindern die Angst zu nehmen, auf Schritt und Tritt eine Todsünde tun
zu können. Es gibt aber gar nicht so selten Kinder, die schwere Diebstähle
begehen, und gerade Kinder in ihren noch unverbogenen Gefühlen »hassen«
schnell und leicht: die Eltern, weil sie etwas nicht erlaubt haben — den
Lehrer, der ungerecht war — den Spielgefährten, der nichts mehr von
einem wissen will.
Materia gravis, eine »wichtige Sache«, anzunehmen, war
die bisherige Moraltheologie sehr schnell bei der Hand. Es herrschte z. B. einmütige
Überzeugung darüber, daß es im Gesamtbereich des »sechsten
Gebots« (Unkeuschheit) nur materia gravis gebe. Klare Erkenntnis
und volle Einwilligung vorausgesetzt, war also alles mit ewiger Höllenstrafe
bedroht — angefangen von der sexuellen Phantasie über den »unlauteren«
Blick und die Masturbation bis zum eigentlichen Ehebruch. Welche Höllenängste
die sowieso schon schwierige Pubertätszeit überschatten, läßt
sich leicht denken. Und wie belastet die Ehen frommer Katholiken waren, denen
in Predigt und Beichtstuhl beigebracht wurde, daß jede Empfängnisverhütung
(außer der periodischen Enthaltsamkeit nach der Methode Knaus-Ogino) Todsünde
sei, läßt sich auch ermessen.
Aber nicht nur im Bereich des Sexuellen drohte mit der Todsünde die Gefahr
der Hölle bei jedem Verhalten, das dem kirchlichen Moralkodex nicht entsprach.
Auch die Ansprüche der kirchlichen Disziplin beispielsweise bei der Sakramentenverwaltung
waren durch Höllendrohungen abgedeckt. Im >Anzeiger für die katholische
Geistlichkeit< war im Februar 1967 ohne Verfasserangabe und nach einer distanzierenden
Vorbemerkung der Schriftleitung ein Artikel abgedruckt über die Frage:
»Ist eine schwere Sünde eigentlich eine Todsünde ?« Der
Autor hat weitverbreitete Handbücher der Moraltheologie, die noch in jüngster
Zeit wieder aufgelegt worden sind, auf die »Statuierung« schwerer
oder läßlicher Sünden hin durchforscht, die der Priester bei
der Zelebration der Messe oder beim Spenden der Sakramente begeben kann. Schwere
Sünde sei es z. B., wenn die Messe ohne jedes Kerzenlicht gefeiert werde,
leichte Sünde dagegen, wenn nur eine Kerze angezündet worden sei.
»Bei den geprüften Autoren schwankt die Zahl läßlicher
oder schwerer Sünden wegen Übertretung positiver kirchlicher Gesetze
bei der Sakramentenspendung von Taufe, Firmung, Eucharistie und Krankensalbung
zwischen 102 und 209, wobei die Zahl der schweren Sünden die der läßlichen
bei weitem überwiegt.« Und alle solche »schweren« Sünden
rangierten und rangieren für das Bewußtsein der Katholiken unter
Todsünden. Denn sicher trifft das Urteil des Verfassers zu, daß nicht
nur die Laien, sondern auch wohl »fast alle Kleriker« es als ausgemachte
Sache betrachten: »Tod- und schwere Sünden sind identisch«
— mit anderen Worten: jeder schweren Sünde droht die Strafe ewiger
Hölle. Der verhängnisvolle »Todsünde-Tod-HölleMechanismus«
sollte sich schließlich auch als unüberwindliches Handikap einer
Reform der bisherigen kirchlichen Morallehre über die Empfängnisverhütung
erweisen (vgl. zum folgenden: Thomas und Gertrude Sartory, >Strukturkrise
einer Kirche. Vor und nach der Enzyklika ,Humanae vitae‘<, dtv-report
585). Zunächst schien vom II. Vatikanischen Konzil an die höchstamtliche
Lehre in der Kirche in diesem Punkt ins Wanken zu geraten. Papst Paul VI. ließ
sich Zeit, lange Zeit mit seiner Entscheidung. Die Päpstliche Kommission
für Ehefragen hatte sich für eine Änderung der Ehedisziplin ausgesprochen.
Obwohl die Zusammensetzung der Kommission (daraufhin?) mehrfach geändert
wurde, kam sie immer wieder zu demselben Ergebnis; auch die zum Schluß
aufgestellte »Superkommission« von Kardinälen und Bischöfen
brachte nicht das von vielen Kurialen gewünschte und erhoffte Gegenresultat.
Eine Minderheit der Päpstlichen Kommission hatte allerdings verzweifelt
für die Unveränderbarkeit der bisherigen Tradition gekämpft.
Eins ihrer Hauptargumente lautete: Was jahrhundertelang als »Todsünde«
bezeichnet worden sei, könnte doch nicht plötzlich als sittlich respektabel
gelten.
Diese Minderheit dachte konservativ in einem nicht nur negativen Sinn. Sie bekannte
sich offen zur tatsächlichen traditionellen Lehre der Kirche, verwässerte
und beschönigte nichts, redete nicht so, als wäre das, was so viele
Bischöfe und Theologen heute gerne von der amtlichen Kirche ausgesprochen
hörten, »immer schon« die eigentliche Meinung der Kirche gewesen.
Die Minderheit beharrte auf der Tatsache, daß die Repräsentanten
des kirchlichen Lehramts bisher jegliche Empfängnisverhütung (außer
der Methode der Zeitwahl) für Todsünde erklärt hätten.
Wenn die Kirche heute dieses Urteil revidieren müßte, würde
sie dann nicht eingestehen (so fragte die Minderheit), daß die Kirche
früher »einem höchst verderblichen Irrtum für die Seele
erlegen« sei? Verderblich wofür? Verderblich nicht nur für
die seelische Gesundheit, für eine glückliche Ehe, für eine verantwortete
Elternschaft, sondern verderblich für das ewige Heil des Menschen!
Diese Konsequenz versteht nur, wer die Prämissen dieser Sünden-Lehre
kennt. Da nach katholischer Moraltheologie ein Mensch Todsünden nur in
der vollen Erkenntnis begehen kann, daß es sich um »wichtige«
Sachen handelt, sündigt er umgekehrt leider auch dann tödlich, wenn
er seine Tat irrtümlicherweise für eine Todsünde gehalten hatte,
obwohl es sich in Wirklichkeit bei ihr nicht um materia gravis (nicht um eine
wichtige Sache) gehandelt hatte. So erklärt sich das jedem Uneingeweihten
unbegreifliche Argument der Kommissionsminderheit, wenn der Papst nunmehr die
Empfängnisverhütung als sittlich unbedenklich erklären würde,
so unterstelle er damit, daß Pius XI. und Pius XII. »höchst
unklug Tausende und Tausende menschlicher Akte, die jetzt gebilligt würden,
mit der Pein ewiger Strafen verdammt hätten«.
Papst Paul VI. hat nicht gewagt, sittlich unbedenklich zu nennen, was seine
Vorgänger als »schwere Sünde« gebrandmarkt hatten. Allerdings
fällt auf, daß in der Enzyklika Humanae Vitae der Ausdruck »schwere
Sünde« oder »Todsünde« für Empfängsnisverhütung
offenbar betont vermieden wird.
Der neue holländische Erwachsenenkatechismus (deutsche Ausgabe:
>Glaubensverkündigung für Erwachsene<, Nijmwegen-Utrecht 1968)
vermeidet es mit Bedacht, die Hölle von irgendwelchen tathaften und somit
summierbaren Todsünden her zu begründen. Wie packt dieser Katechismus
das Thema Hölle an? Er geht davon aus, daß Jesus von der Möglichkeit
gesprochen habe, »für ewig verurteilt« zu werden. »Dieses
Wort können wir verkehrt verstehen, so als ob den Verurteilten ein Unglück
oder gar ein Unrecht überkäme, wie es bei irdischen Strafen geschehen
kann. Deshalb ist es für uns verständlicher, wenn wir uns des Worts
>ewige Sünde< bedienen. Der Zustand kühler Verhärtung ist
ewig geworden. Gott, Liebe, Güte, Christus, Gemeinschaft berühren
einen nicht mehr. Und doch ist der Mensch für dies alles geschaffen. Es
ist die totale Zerrüttung: die Sünde in perfekter Darstellung. Die
endgültige Eingeschlossenheit in sich selbst: kein Kontakt mit einem anderen
oder mit Gott. Dies ist die Strafe, der >zweite Tod< (Offenbarung 20,14).«
Der Katechismus betont, eine solche Möglichkeit der Verwerfung brauche
auch vor Kindern nicht verschwiegen zu werden, doch sei es unrichtig zu drohen,
das Kind selbst könne jetzt in die Hölle kommen. Jesu Warnung meine
Erwachsene, die sich verhärten. »Und sie hat nur eine einzige Absicht,
eine Heilsabsicht: Aufruf (zu sein) zum Abscheu vor dem Bösen, zum Verlangen
nach allem, was den Menschen gut macht, zum Vertrauen auf Ihn, der der Weg zum
Leben ist.«
Hier ist das alte Verständnis der Hölle wenigstens an seinem problematischen
Punkt (den wir als »Todsünde-Tod-Hölle-Mechanismus« bezeichnet
haben) durchbrochen worden; eine wirkliche Lösung des Höllenproblems
wird aber wohl tiefer ansetzen müssen. Auch in dem Arbeitsbuch zur Glaubensunterweisung
>glauben — leben — handeln<, das 1969 im Auftrag der deutschen
Bischöfe herausgegeben worden ist und das offenbar weithin im Unterricht
den >Katholischen Katechismus für die Bistümer Deutschlands<
ersetzt hat, ist die Hölle sozusagen kein Thema mehr. Sie wird
erwähnt, ganz unbetont, in einem Kontext, indem Gottes Liebe beherrschend
ist. Man hat deutlich das Gefühl: nichts über die Hölle
sagen, konnte oder durfte man nicht! Aber die Pflichtübung wird so beiläufig
abgeleistet, daß Angst, Schrecken bei den Kindern gar nicht erst aufkommen
können.
Schon das von F. Schreibmayr und K. Tilmann herausgegebene >Handbuch zum
Katholischen Katechismus< hatte es als ein Problem herausgestellt, mit Kindern
überhaupt über die Hölle zu sprechen. Das Dogma von der Hölle
gelte dem Menschen, der bereits einer vollen Entscheidung fähig sei und
der am Scheideweg stehe. Tilmann sagt dazu an anderer Stelle: »Sagen
wir den Kindern die befreiende Wahrheit, daß es in der Hölle keine
Kinder gibt.« Da aber auch Kinder am Gottesdienst der Erwachsenen
teilnehmen, kann man sie vom Thema »Hölle« nicht abschirmen.
Um so mehr kommt es nach dem »Handbuch« darauf an, daß in
den Kindern das »Urvertrauen zu Gott« vorhanden sei. »Wenn
dagegen das Kind zunächst und vor allem Gott als strafenden Richter kennenlernt
oder wenn man ihm gar bei seinen kindlichen Fehlern und Sünden mit der
Hölle droht, dann kann es geschehen, daß jenes so lebensnotwendige
Vertrauen gar nicht erst entsteht — ein Erziehungsfehler, der das Kind
oft fürs ganze Leben tief verwundet und hemmt.«
Pädagogisch wichtig ist vor allem die Mahnung, der Katechet müsse
in der Wahl der Veranschaulichungen und Bilder größte Diskretion
wahren und sich vor jeder Schilderung der »Höllenqualen« hüten.
»Die Strafe darf nie als Rache Gottes erscheinen. Es darf weder das kindliche
Gerechtigkeitsgefühl verletzt noch andererseits die verborgene Neigung
zur Grausamkeit angesprochen werden.«
Diese Warnung ist aufschlußreich. Sie spiegelt den Schrecken wider, der
den tiefenpsychologisch aufgeklärten Christen des 20. Jahrhunderts überfällt,
wenn er die Ergebnisse einer nur allzu verräterischen Höllenphantasie
früherer Christengenerationen betrachtet.
Aus: Thomas und Gertrude Sartory: Nach dem Tode –
die Hölle? (S.101-110)
Für die dtv Taschenbuchausgabe 980 überarbeitete
Fassung des im Kindler Verlages erschienenen Buches »In der Hölle
brennt kein Feuer«
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis der Mitautorin
Dr. Gertrude Sartory