Gertrude
Sartory (1923 - )
Deutsche Theologin; Ehefrau von Thomas Sartory. Nach germanistischen, theologischen
und juristischen Studien, Sozialarbeit und Lehrtätigkeit in Dogmatik und
Kirchenrecht. Seit 1958 freiberuflich tätig als Publizistin in Fragen der
Theologie und Spiritualität.
»Wo
ist ein Gott, so groß wie unser Gott«
Der sich vom brennenden Dornbusch her Seinem Volk unter dem Namen JAHWE zugesagt
hat, ist Israels GOTT. Und als ihren »Gott« rufen Ihn die Israeliten
auch an, nennen Ihn nicht nur JAHWE (oder, verhüllend, ADONAI, HERR), sondern
auch »Gott«. Nicht anders als die Heiden ihre Götter »Gott«
nennen. Dieses Urwort menschlicher Sprache — wo immer Menschen leben!
— wird in den Heiligen Schriften Israels nicht vermieden, wie wenig auch
die »Götter« der Völker mit Israels »Gott«
vergleichbar sind. Es ist das rätselhafteste Wort der Menschheit, überall
auf der ganzen Welt gebraucht, überall verstanden: jenes Wort, das mehr
als Werkzeuggebrauch und Begräbniskult die endgültige Evolution zum
Menschen, das Erwachen des »Geistes«, bezeugt. Das erhabenste Wort
— freilich auch das am meisten besudelte. Im Namen »Gottes«
wurden Kriege geführt, »Ungläubige« ausgerottet (nach
biblischem »Vorbild«!), Häretiker verbrannt; über »Gott«
wurde und wird immer noch hassvoll gestritten, sodass viele heute meinen, man
täte diesem Wort am meisten Ehre an, wenn man es völlig aus dem Gebrauch
zöge. Aber wohin soll die arme menschliche Seele dann Ausschau halten in
ihrem elementaren Bedürfnis nach Danken, Verehren, Anbeten, wenn sie ihren
»Adressaten« nicht zu nennen weiß?
Die altbundlichen Schriften jedenfalls vermeiden das Wort »Gott«
nicht. Wenngleich sie viele tausendmal es vorziehen, IHN bei Seinem Namen JAHWE
zu nennen, sprechen sie doch genau so selbstverständlich auch von GOTT.
»Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde«
— so der majestätisch klingende erste Satz, mit dem die Bibel beginnt.
Und nach »Gott« ruft auch der gekreuzigte Jesus
mir den Worten des Psalmisten: »Eli, Eli,
lema sabachtani?« — »Mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich im Stich gelassen?«. Mit so
lauter Stimme, dass die unter dem Kreuz Stehenden meinen, er rufe den Propheten
Elija zu Hilfe.
EL bedeutet schon ursemitisch »Gott« (»Eli« ist die
Anredeform, »mein Gott«) und ist darum auch bei den anderen Völkern
semitischer Sprachen in selbstverständlichem Gebrauch. Dennoch wird in
der hebräischen Bibel ganz unbekümmert der »Gott« Israels
ebenfalls als EL bezeichnet — unbeirrt davon, dass auch die umwohnenden
Völker »El« sagen, wenn sie ihren »Gott«
meinen oder einen ihrer Götter. Oft gebrauchen dabei die alttestamentlichen
Schriften »El« nicht in der Singularform, sondern ziehen die pluralische
Form »Elohim« vor. Ja, »Elohim« ist die weitaus häufigste
Bezeichnung für »Gott« in der Hebräischen Bibel. Das ist
natürlich nicht als zahlenmäßiger Plural einer Mehrheit von
Göttern zu verstehen (was im Kontext des biblischen Glaubens eine abwegige
Deutung wäre). »Elohim« wird offenbar aber auch nicht als pluralis
majestatis empfunden. Manche Exegeten sprechen stattdessen von einem pluralis
amplitudinis, einem »Plural der Fülle«, ist doch in der Bibel
DER gemeint, der allein im Vollsinn des Wortes »Gott« ist: »die
Gottheit« — neben der keine andere »Gottheit« sein kann.
Deshalb wird »Elohim« auch sehr oft mit dem bestimmten Artikel
gebraucht. Es geht eben in der biblischen Offenbarung nicht um »irgendeinen
Gott«, wie schließlich auch die Heiden ihre Götter haben und
verehren, sondern um Israels GOTT, welcher der Gott
schlechthin ist. Und infolgedessen steht auch in der Septuaginta,
der jüdischen Übersetzung der Hebräischen Bibel ins Griechische,
das Wort theós, »Gott«, immer dort mit dem Artikel,
wo der biblische Gott gemeint ist: der Gott des Bundes, der
einzig wahre GOTT. — Bei diesem Sprachgebrauch bleibt es auch im
Neuen Testament. Entgegen unserem Sprachempfinden ist »der Gott«
gerade nicht »einer unter anderen Göttern«, sondern der
einzige GOTT, DER, neben Dem keiner »Gott« ist. Christus
wird darum im griechischen Neuen Testament sprachlich konsequent »Sohn
des Gottes« genannt, ist doch im Sprach-Kontext des Bibelhebräischen
und Bibelgriechischen nur in dieser Formulierung das Bekenntnis möglich,
dass Jesus Christus wirklich und wahrhaftig »GOTTES SOHN« ist in
der ganzen biblischen Fülle des Wortes »Gott«.
Der in der Bibel »Gott« Genannte (dessen »Name« JHWH),
ist der GOTT des BUNDES. Der GOTT einer unendlich komplexen Bundes—Geschichte,
einer von »himmel-irdischen« Ereignissen durchwobenen, in der GOTT
selbst spricht und handelt (eine Art von Geschichte, die der Erleuchtete wahrnehmen,
der »Historiker« aber mit seinen Methoden nicht dingfest machen
kann). Denn ER ist »der GOTT«, der in einem Volk, dem ersterwählten,
vor-bereitet, was ER mit der ganzen Menschheit vorhat: das End-Heil im »Königtum
Gottes«, die end-gültige Vollendung des Menschen in »Gottes
Reich«.
Spricht Israel von GOTT, betet es zu seinem GOTT, ist jedes Wort erfahrungsgetränkt
aus seiner speziellen Geschichte mit JAHWE. Aus einer wirklich geschehenen,
gleichzeitig aber noch unabgeschlossenen, nach vorn hin offenen Geschichte.
Offen auf den »Davidskönig« der Endzeit hin, wie schon die
Psalmen es immer wieder zeigen. Und darum offen auf »Christus« hin,
wie vom Neuen Testament aus deutlich wird. Es macht dabei keinerlei Unterschied,
ob jeweils von JAHWE die Rede ist oder von »Gott«, wie auch die
Völker Ihn nennen. Es ist immer der Eine, der Einzige gemeint, dem »das
Volk« gehört, und dem «die Völker« gehören
werden. Der Sein Volk den Weg durch die Zeiten führt, mitten hindurch durch
das »Rote Meer« ... den Völkern dadurch den Weg bahnend.
Es ist ein ergreifender Augenblick, wenn in der Byzantinischen Vesper am Ostersonntag
vor der Verkündigung des österlichen Evangeliums das Große Prokimenon
aus dem 77. Psalm angestimmt wird: »Wo ist ein
Gott, so groß wie unser Gott?« Und mit diesem Ruf das
christliche Pascha-Mysterium in der Sprache der altisraelitischen Pascha—Liturgie
ins »Gedächtnis« gerufen, in den Herzen verlebendigt, in der
liturgischen Feier vergegenwärtigt wird!
Gott, dein Weg
ist heilig. * Wo ist ein Gott, so groß wie unser Gott?
Du hast mit starkem Arm dein Volk erlöst *
die Kinder Jakobs und Josefs.
Die Wasser sahen dich, Gott, * die Wasser sahen dich und bebten.*
Die Tiefen des Meeres tobten.
Durch das Meer ging dein Weg, * dein Pfad durch gewaltige Wasser,*
doch niemand sah deine Spuren.
Immer wieder fasziniert es mich, wenn die Kirche die Mysterien ihres Glaubens
so verschlüsselt, so geheimnisvoll mit Worten aus den Psalmen Israels und
mit Lesungen aus den altbundlichen Schriften der Bibel feiert, verkündet,
betend verinnerlicht. Und so von Herzensgrund wie »Israel« und mit
»Israel« und als »Israel« rufen kann: »Wo
ist ein Gott, so groß wie unser Gott?« Mit aller Gottbegeisterung,
aller Gottesinbrunst, aller Gottesleidenschaft Israels, von der die altbundlichen
Schriften durchseelt sind.
Ist es nicht äußerst tiefgründig, dass die Kirche den Psalmen
Israels eine solch zentrale Funktion in ihrem eigenen Gottesdienst einräumt?
Jenen Psalmliedern, in denen gleichsam die gesamte alttestamentliche Bundesgeschichte
zum Gebet wurde. Die darum Israels Beziehung zu seinem Gott in toto
widerspiegeln. Wird diese Beziehung doch beim Beten der Psalmen prägend
auch für die Beziehung der Kirche (und der einzelnen Seele) zu ihrem GOTT.
Ebenfalls in toto!
Aus: Gertrude Sartory,
Wahrheit,von der ich lebe. Entdeckungen auf dem Glaubensweg
(S.107-111)
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Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Kösel-Verlages