George Sand, eigtl. Aurore Dupin, verh. Baronne Dudevant (1804 – 1876)

  Französische Schriftstellerin, die auf Grund ihrer vehementen Forderung nach totaler Freiheit für die Frau als eine der ersten französischen Frauenrechtlerinnen gilt. Sie schrieb romantisch-idealistische Liebesromane, Geschichten aus dem bäuerlichen Milieu und Romane mit sozialistisch-humanitären Tendenzen. George Sand hatte verschiedene leidenschaftliche Affären, u. a mit den Schriftstellern Jules Sandeau (der sie zu ihrem Pseudonym inspirierte) und Alfred von Musset, sowie dem Komponisten Frederic Chopin.

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Aus »Spiridion«
Unter den übernatürlichen Dingen, die meinen Geist mitnichten abstoßen, sondern ein süßer Traum und ein unbestimmter Glaube für ihn sind, scheinen mir möglich die direkten Verbindungen unsrer Sinne mit dem, was in uns und um uns her von den Toten, die wir geliebt haben, zurückbleibt. Ohne zu glauben, dass die Leichen den Grabstein zerbrechen und für einige Augenblicke die Verrichtungen des Lebens wiederaufnehmen können, denke ich mir manchmal, daß die Elemente unsres Wesens sich nicht plötzlich zerteilen, und dass vor ihrer Auflösung ein Abglanz von uns selbst sich um uns ergießt, wie das Sonnenspektrum mit all seiner Leuchtkraft unsre Blicke noch mehrere Minuten trifft, nachdem das Gestirn sich schon unter unsern Horizont gesenkt hat.

Wenn ich dir alles bekennen soll, was da in mir vorgeht, so werde ich dir beichten, dass es eine Überlieferung in meiner Familie gab, die ich als eine Fabel abzulehnen nicht die Kraft hatte. Man sagte, in dem Blut meiner Vorfahren habe das Leben eine solche Intensität gehabt, dass ihre Seele, wenn sie daran war, den Leib zu verlassen, den Kampf einer seltsamen, rätselhaften Krise durchmachte. Sie sahen dann ihr eigenes Bild sich von ihnen trennen und ihnen mitunter doppelt und dreifach erscheinen. Meine Mutter versicherte, mein Vater habe in seiner letzten Stunde, als er seinen Geist aufgab, behauptet, er sehe zu beiden Seiten seines Bettes ein Gespenst, ihm völlig ähnlich, bekleidet mit dem Gewand, das er an Festtagen trug, um in die Synagoge zu geben, deren Rabbiner er war. Es wäre dem hochmütigen Verstand so leicht gewesen, diese Legende abzutun, dass ich mir nie die Mühe gemacht habe. Sie gefiel meiner Phantasie, und ich wäre betrübt gewesen, sie in das Nichts der abgeurteilten Irrtümer verdammen zu sollen. Diese Reden überraschen dich, wie ich sehe. Denn wie du weißt, habe ich die Versuche unserer Visionäre so hart von mir gewiesen und ihre Halluzinationen so unbarmherzig verhöhnt, dass du vielleicht jetzt denkst, mein Geist verwirre sich. Aber nein, ich fühle Schleier sich heben, und es dünkt mich, dass ich nie mit größerer Klarheit in die unbekannten Vorstellungen einer neuen Ordnung von Ideen eingedrungen bin.
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Das Werk der Wissenschaft in diesen Zeiten ist, alles zu verwerfen, was übernatürlich scheint, weil die Unwissenheit und der Betrug es lange missbrauchten. So wie die Staatsmänner gezwungen sind, mit dem Eisen die sozialen Wunden aufzuschneiden, ist es für die Gelehrten, um der Analyse ein nettes Gebiet zu eröffnen, Notwendigkeit, den Zauberkram der Hexenmeister und die Wunder des Glaubens durcheinander im Feuer zu verbrennen. Eine Zeit wird kommen, wo man, wenn die unumgängliche Zerstörungsarbeit vollbracht ist, eifrig in den Trümmern des Gewesenen eine Wahrheit suchen wird, die nicht verloren werden kann, und die man befreien wird von Irrtum und Lüge. so wie einst Krösus an sicheren Zeichen erkannte, dass alle Orakel logen, ausgenommen die Pythia zu
Delphi, die ihm mit unfassbarer Kraft seine verborgenen Handlungen offenbart hatte.

Du wirst vielleicht das Morgenrot dieser neuen Wissenschaft sehen, ohne die die Menschheit unerklärlich und ihre Geschichte sinnlos ist. Die Wunder, die Taten von Auguren und Deutern des Altertums werden vielleicht in den Augen deiner Zeitgenossen nicht bloße Hexereien sein oder von den Priestern beglaubigte Mittel, Dummköpfe zu schrecken. Hat nicht schon die Wissenschaft eine genügende Erklärung vieler Phänomene gegeben, die unsren Ahnen übernatürlich schienen? Bestimmte Vorgänge, die in diesem Jahrhundert unmöglich und betrügerisch scheinen, werden vielleicht eine ebenso natürliche und überzeugende Erklärung finden, wenn die Wissenschaft ihren Horizont ausgedehnt haben wird. Für meinen Begriff hat das Wort Wunder keinen Sinn, da es ebenso gut von dem allmorgendlichen Sonnenaufgang wie von dem Gespenst eines Toten gelten kann, aber ich habe nicht versucht, diese schwierigen Fragen aufzuklären; es hätte mir an Zeit gefehlt. Ich habe von Mesmer sprechen hören; ich weiß nicht, ob er ein Betrüger oder ein Prophet ist; ich misstraue dem, was ich von Hörensagen weiß, weil die Behauptungen zu kühn und die angegebenen Beweise für eine so neue Kategorie von Entdeckungen zu vollständig sind. Ich verstehe noch nicht, was sie mit dem Wort Magnetismus meinen; ich bitte dich, das für mich zu prüfen, sobald Stunde und Ort gekommen sind.
S. 330ff.
Aus: Geist und Geisterwelt, Fragmente aus der Literatur des Übersinnlichen von Thomas Wandler, Rudolf Kaemmerer Verlag, Berlin-Dresden 1923