Salvian
von Marseille (400 - 480)
Lateinischer Kirchenvater,
der in Deutschland in der Umgebung von Köln geboren wurde, um
426 in Lerin/Südfrankreich in die Mönchsgemeinschaft eintrat
und 429 Priester wurde. Salvian
entwickelte sich zu einem der bedeutendsten Historiker seiner Zeit. In seinem
Hauptwerk »De gubernatione Dei«, das
kulturgeschichtlich eine Quelle ersten Ranges für diese Zeit ist, schildert
er geschichtsapologetisch die Konsequenzen der Völkerwanderung, die zu
dem Ende des römischen Reiches führten. Er erklärt den Niedergang
als gerechtes Strafgericht Gottes. Viele seiner bei Hilarius
von Poitiers genannten Werke gingen leider verloren.
Siehe auch Wikipedia
Wir strafen uns selbst
Der Frevler verstrickt sich in den Schlingen seiner eigenen Missetaten. Spr
5,22
Viele sind, die die menschliche Schlechtigkeit
Gott zur Last legen und sagen, er kümmere sich nicht um die menschlichen
Lose, es gebe keine gerechte Weltregierung. O Blindheit des Menschen! Weil wir
uns betrügen, als verdienten wir nicht, was wir zu leiden haben, so muss
Gott ungerecht in unseren Augen sein!
Sagst du vielleicht, es sei eigentlich nicht sein Wille, nur seine Zulassung,
dass wir dies tragen müssten? Lassen wir dies auf sich beruhen! Wie groß
ist wohl der Unterschied zwischen einem, der etwas will, und einem, der es zulässt
und es hindern könnte?
Wenn alles einer heiligen Allgewalt untersteht, wenn Gottes
Wille das ganze Weltall lenkt, so ist alles, was wir an Übeln und Züchtigungen
irdisch zu leiden haben, eine Verfügung von Gottes Hand. Wir sind
es, die dieses Gericht in Flammen setzen und es mit unseren Sünden immerfort
unterhalten. Und jedes Mal, wenn solche Übel über uns kommen, lässt
sich wohl mit Recht auf uns das Wort des Propheten anwenden: »So
wandelt nun bei eures Feuers Licht und bei den Fackeln, die ihr angezündet!«
(Is 50, 11)
So können wir nichts von unserem Unglück Gott zur Last legen: wir
selbst sind an unseren Drangsalen schuld. Gott ist gütig und barmherzig,
und nach der Schrift will er keinen verderben (1
Tim2, 4; Weish 11,25), wir aber fügen uns selbst das Schlimme
zu.
Aber da scheine ich nun mir selbst zu widersprechen: Ich sagte soeben, dass
wir unserer Sünden wegen von Gott gezüchtigt werden - und jetzt behaupte
ich, dass wir uns selber züchtigen! Beides ist wahr: wir
werden von Gott gezüchtigt, aber wir setzen die Ursache unserer Züchtigung.
Wenn wir die Strafen auf uns herbeiziehen, wer kann dann zweifeln, dass wir
selbst durch unser Böses uns züchtigen?
»Der
Frevler verstrickt sich in den Schlingen seiner eigenen Missetaten«
(Spr 5,22).
Offensichtlich gilt dies jedoch nicht
vom einzelnen, sondern von der Menschheit im allgemeinen
(Vgl. Joh. 9,3).
(Juli 18)
Aus: Jahrbuch des Christen. Mit Texten aus der Weltliteratur. Ausgewählt
von Otto Karrer. Verlag Ars Sacra, Joseph Müller, München