Johann Michael Sailer (1751 – 1832)
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Deutscher
katholischer Theologe und Bischof, der nach dem Besuch des Jesuitengymnasiums München an der Ingolstädter Universität Theologie studierte. 1775 wurde er zum Priester geweiht. Nach seinem Studium war er zunächst
als Dogmatikprofessor in Ingolstadt tätig, danach in Dillingen und
Landshut, wo er Moral- und Pastoraltheologie lehrte. Sailer übersetzte
die »Imitatio Christi« des Thomas
von Kempen. Er wollte den Rationalismus der Aufklärung zugunsten
eines erneuerten lebendigen Christentums zu überwinden, wobei er auf
das Gedankengut der Romantik zurückgriff. In den »Grundlehren
der Religion« (1805) setzt sich Sailer mit den moralphilosophischen
Positionen Kants auseinander, in der Absicht, der
- durch die Auseinandersetzung mit dem Kantianismus religiös verunsicherten
Jugend - ein neues Glaubensfundament anzubieten. Das von ihm verfasste »Handbuch
der christlichen Moral« (1817) beinhaltet eine völlige Neukonzeption
der katholischen Moraltheologie.Sailer hat auf viele Zeitgenossen einen äußerst intensiven, geistlichen und theologischen Einfluss ausgeübt.
Von seinem Gedankengut wurde eine ganze Priestergeneration geprägt.
In dem II. Vatikanum wurden viele seiner Grundgedanken bestätigt Siehe auch Wikipedia , Heiligenlexikon und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Gott-Suche, Gott-Seligkeit, Gebet, Geist-Führung, Liebe der Wahrheit, Heiligung der Sünder,
Gott-Suche
Die Menschennatur ist nicht gemacht zum Spekulieren ohne Maß und Ziel. Sowenig unsere Hand die Sonne erreichen kann, die
am Himmel leuchtet, sowenig kann der Menschenverstand Tag machen, was
undurchdringliches Dunkel ist. Es gibt eine Nacht für den Verstand wie für das Auge. Sowenig der Knabe in der Kinderstube mit dem Knabenwitz
die Erkenntnisse der Mannesjahre erreichen kann, sowenig kann die Spekulation des Mannes das erreichen, was über alle Menschenspekulation erhaben ist.
Wie der Beruf des Mannes für die Fassungskraft des Kindes unbegreiflich ist, so ist für den tiefsten Forscher unaussprechlich viel durch und durch
unfasslich. In Dingen, die über den Fassungskreis Salomos hinausliegen,
ist selbst Salomo ein Kind.
Philosophie: das Heimweh nach Wahrheit.
System: ein Versuch,
das Heimweh zu stillen.
Die Wahrheit: das Vaterland, das allein das Heimweh
stillen kann und stillt.
Die Wahrheit, die das Heimweh stillt, die eigentliche
Heimat des Geistes: Gott selbst.
Wenn die Religion aus der Welt geschafft werden sollte, müsste zugleich
die Menschheit aus der Menschheit getilgt werden. Denn in jedem zum Selbstbewusstsein und zur Besinnung gekommenen Menschen regt sich ein unüberwindlicher Durst nach Ruhe und Frieden. Und dieser Durst regt sich im obersten Gemüt des
Menschen. Und dieses oberste Gemüt kann nur in Gott seine Ruhe finden.
Es wird durch eine geheime Anziehungskraft nach Gott als seinem Mittelpunkt gezogen. Daher die Religion und das unaustilgbare Bedürfnis nach ihr.
Wer Gott in seinem Lebensschicksalen nicht findet, wo
sollte Ihn der finden können? Ist doch jedes Menschenleben, auch
mit blöden Augen gesehen, ein Schauspiel der Vorsehung. Und wenn wir erst
durch Nachdenken über die biblischen Erzählungen unseren Blick geschärft
haben und mit diesem geschärften Blick die Gänge unseres Lebens durchforschen:
wie viel Spuren der leitenden Güte und Weisheit, die wir jetzt übersehen,
würden wir auch in den Auftritten unseres Lebens bemerken, die wir kaum
des Nachdenkens wert achten, und es könnte uns nur im Dankgefühl gegen
den väterlichen Lenker unseres Schicksals bestärken.
Die höchste Befestigung im Glauben an Gott verschafft uns … der vertraute Umgang mit Gott selber und ein göttliches Leben. Die Freundschaft mit Gott überzeugt uns am besten von unserem Freunde,
dass er ist. Unser Leben im Licht ist der stärkste Beweis , dass das Licht
ist. Unser Leben – ein Ausdruck der Liebe nach dem Urbild der Liebe ist
der stärkste Beweis, dass das Urbild, die Liebe, ist. Wenn wir das Göttliche
in uns haben, können wir nicht zweifeln, dass Gott ist.
Gott-Seligkeit
Wer sich von den Dingen außer sich insofern losgemacht hat, dass er in
sich selbst wohnen, mit sich Umgang haben kann, und wer sich auch von sich selbst
insofern losgemacht hat, dass er mit Gott Umgang haben kann, der ist ein innerer
Mensch, führt ein inneres Leben, ist innerlich, ist innig, ist in sich,
mit Gott in Gott gegründet, ist ein Mann, ist edel, groß und frei.
Wer sich selbst nicht mehr hindert im Umgang mit Gott und wen auch die Dinge
außer ihm nicht mehr daran hindern können, wer also mit freier Liebe
Gott dem Herrn allein dient, der hat ein inneres, ein ewiges Leben in sich.
Die eine wahre Religion, nach ihrem inneren lebendigen Sein im Menschen betrachtet,
ist nichts als das Leben des kindlichen Gemütes in dem einen wahren Gott,
ist nichts anderes als das Leben des Glaubens, der in Gott als der ewigen Wahrheit
– das Leben der Liebe, die in Gott als der
ewigen Schönheit – das Leben der Zuversicht, die in Gott als der
ewigen Liebe – den einen unwandelbaren Ruhepunkt gefunden hat. Diese Religion
ist da, wo sie ist, innerlich, innig, ist Geist und Leben, ist unsichtbar.
Diese Gemeinschaft (des Gemütes mit Gott) ist
ein verborgener Schatz, der alles Köstliche übertrifft, ist die gute
Perle, für die der Weise all seine Habe daran gibt, ist das Höchste,
was ein Mensch anstreben, das Beste, was er suchen, das Seligste, was er genießen
kann. Sie ist das Unausprechliche, das Gott denen bereitet
hat, die ihn lieben, das kein Auge sehen, kein Ohr hören, kein Verstand
verstehen – das nur der Gottselige selber erfahren kann.
Gebet
Ich fürchte, viele Arbeiter am Seelenheil drücken viel Gott suchende
Seelen mit äußeren Übungen zu Boden, statt sie durch lebendigen
Glauben aufzurichten.
Keine Andachtsübung ist gut und dieses schönen Namens wert, die die
Liebe Gottes und des Nächsten nicht teuer macht oder wenigstens machen
kann. Das Niederknien, das Händefalten, das Lesen, das Aussprechen der
Worte etc. macht das Gebet schon gar nicht aus. Das Gebet kommt aus dem Herzen.
Die Bewegung des Herzens, das Hinwallen der Seele zu Gott ist Hauptsache des
Gebetes. Der Mund ist nur Dolmetsch des betenden Herzens,
das Händefalten oder Knien ist nur eine äußere Zucht, ist höchstens
Ausdruck und Sprache der inneren Andacht . . . Wo also die innere Andacht, die
Empfindung des Herzens fehlt, da ist gar kein Gebet.
Gebet ist Bewegung der Andacht. Wahre Andacht ist
stete Richtung des Gemüts auf Gott in Christus. Diese Richtung auf Gott
ist Glaube, Liebe, Hoffnung, lebend im Innern, belebend den äußeren
Menschen. Glaube, Liebe, Hoffnung kann nicht lebendig
werden . . . ohne völlige Umänderung des inneren Menschen durch dem
neuschaffenden Geist Gottes. Der Geist Gottes, in uns innewohnend, lehrt
uns um göttliche Dinge bitten und bittet selbst in uns mit unaussprechlichen
Seufzern.
Ehe das Gebet diese letzte Stufe erreicht, läuft es mancherlei andere Stufen
durch. Denn das Gebet ist wie der neue Mensch, beginnend, fortschreitend, vollendet
mit dem Leben aus Gott.
Das Gebet auf der ersten Stufe
ist ein Flehen
um Selbsterkenntnis, um Besserung des Sinnes und Lebens, um Vergebung der Sünde,
um Ruhe und Friede aus Gott, verbunden mit heißem Ringen nach wirklicher
Besserung.
Das Gebet auf der zweiten Stufe ist
innerer Einklang des vorbetenden Herzens, des mitbetenden Mundes und des nachbetenden
Lebens, der uns erst nach vollzogenem Übertritt auf die Bahn der Gottseligkeit
zuteil werden kann.
Das Gebet auf der dritten Stufe zeichnet
sich bei besonderen Ereignissen durch besondere Inbrunst und Seelenjubel aus
wie der Lobgesang der Mutter Gottes oder das Scheidelied Simeons oder das
»Rabbuni« der
Magdalena oder das »Mein Herr und mein Gott«
des gläubigen Thomas.
Das Gebet auf der vierten Stufe
ist das Gebet der Liebe, das namenlos, ohne
Worte und ohne Tränen, nichts als Liebe. Gott ist dem Liebenden alles in
allem. Wenn der Betende aus diesem Paradies zurückkehrt, hat er zwar den
Frieden Gottes in sich, aber unaussprechlich ist alles, was er gesehen, gehört,
genossen, erfahren hat.
Unser Gebet ist bald mehr Betrachtung (meditierend) –
Erwägung einer Wahrheit, bald mehr Anmutung (affektiv)
= Hinwallung des Gemütes, bald mehr ruhiges, stilles Schauen der liebende
Seele in die leuchtende Wahrheit. Gut ist Betrachtung, besser Anmutung, am besten
das stille Schauen . . . Bei der Betrachtung ist mehr der Verstand, bei
der Anmutung mehr das Gemüt, bei der Anschauung mehr die Liebe, was sich
bewegt. Betrachtung ist der Anfang, Anmutung mehr das Mittel, Anschauung das
Ziel des inneren heiligen Lebens. Die Betrachtung fragt nach Gott, die Anmutung
streckt sich nach Ihm, die Anschauung ergreift und genießt Ihn.
Geist-Führung
Viele fromme Personen lassen sich durch das, was sie Einsprechung nennen, teils
ängstigen teils irreleiten . . . Christen kommen gar oft in den Zustand
des Zweifels; sie wissen nicht recht, ob der Antrieb, den sie in sich fühlen,
das Werk Gottes oder ihrer Einbildungskraft ist. Da weiß ich nichts Besseres
zusagen als:
Erstens, will die Stimme in euch, dass ihr demütig, sanftmütig, bescheiden,
liebevoll, mitleidig, gehorsam gegen Gottes Gebote, tätig zur Erfüllung
der Berufspflichten, wachsam zur Unterdrückung ungeordneter Neigungen seid:
so folgt dieser Stimme unbedenklich – sie wird zuletzt schon von Gott
sein!
Zweitens, will die Stimme, dass ihr etwas in entgegengesetztem Sinne tun sollt
. . . so folget ihr, denn sie ist offenbar nicht Gottes Stimme!
Drittens, will die Stimme in euch Außerordentliches, das sich an dem vorgegebenen
Prüfstein nicht sogleich entscheiden lässt, so richtet erstens nicht,
bis ihr euer Herz ins Gleichgewicht gesetzt habt, dass es weder für noch
wider dieses Außerordentliche sei! Dann fragt zweitens die Vernunft, was
sie einem andern in solcher Angelegenheit raten würde! In diesem Zustand
der Gleichmütigkeit sucht drittens einen Freund der Wahrheit und Tugend,
dem ihr euer Herz erschließt und euern Zweifel vorlegt, und dessen Rat
euch heilig ist! Endlich geht kühn und einfältig zur Quelle des Lichts
mit dem ehrlichen Wunsch: Dein Wille geschehe und werde mir kund! . . . Unterdessen
tue den klaren Willen Gottes, bis dir der dunkle klar geworden sei!
Traue deiner Empfindung nicht, der kosenden am allerwenigsten!
Ich bitte Sie, prüfen Sie Ihre besonderen Heimsuchungen, ob sie aus Gott
seien, und bleiben Sie in Demut so fest, als wenn sie gar nicht wären!
In diesen Fällen ist Unglaube sicherer als Glaube, weil das Ich gar oft
unbewusst im Spiele ist! . . . Unterscheiden Sie genau das Allgemeine in den
göttlichen Offenbarungen und das Individuelle in den besonderen Führungen!
Was Christus für die ganze Kirche geoffenbart hat, ist durch Schrift und
Überlieferung in der Kirche aufbewahrt! Und das allein ist Gegenstand des
allgemeinen, unbedingten Glaubens. S.222ff.
Aus: Gott in uns. Die Mystik der Neuzeit. Von Otto Karrer. Verlag „Ars
sacra“ Josef Müller, München
Liebe
der Wahrheit
Was ist Liebe der Wahrheit? In Annahme der Offenbarung ist sie Glaube,
in Beurteilung eigenen Wertes Demut, in Anerkennung fremden Wertes Gerechtigkeit,
in Äußerung der inneren Überzeugung Aufrichtigkeit, in treuer
Befolgung der Gewissensstimme Heiligkeit. —
Was hebt dich, wenn du kein Gefühl mehr hast als das der Kraftlosigkeit?
In solchen Stunden denke ich:
1. Was in meinen besten Momenten wahr, gut, schön,
himmlisch war, ist es auch jetzt in den Tagen des verlorenen Gefühles
noch;
2. Was ich von der Kraft des Christentums schon erfahren habe,
ist wahr, gut, schön, himmlisch, also wird es auch das sein, was ich
(in Vertiefung des Glaubens)
noch lernen muß.
Daß der Himmel blau ist, das sagt dir nicht der Geist Gottes: dein Auge
reicht hin. Daß zwei mal zwei vier sind, das sagt dir nicht der Geist
Gottes: dazu reicht deine Vernunft. Aber daß Gott in Christus unser Heil
ist, das sagt der Geist Gottes, und dem wollen wir es in Einfalt glauben, ob
wir es gleich nicht sehen wie den blauen Himmel, noch begreifen wie zwei mal
zwei gleich vier. Es ist uns doch nirgends wohl als in
der Wahrheit, in der Liebe und in dem Frieden, der aus der Wahrheit durch die
Liebe kommt.
Es ist der wichtigste Grundsatz, daß hienieden kein anderes Schauen als
das Schauen des Glaubens möglich ist. Hienieden schauen wollen, macht Philosophen
zu Ungläubigen und Glaubende zu Schwärmern. le mehr aber der inwendige
Mensch sich reinigt vom Bösen und stärkt zum Guten, desto reiner und
stärker wird das Auge des Glaubens auch zum Schauen. Die Liebe, in Christus
geoffenbart, ist jetzt das Leben unseres Glaubens und wird einst das Leben unseres
seligen Schauens werden. S.248
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte.
Verlag Ars Sacra Josef Müller München
Heiligung
der Sünder
Muß nicht die Lehre von der Heiligung den Sünder, der das Versäumte
nicht mehr hereinbringen kann, so niederschlagen, daß ihn keine Lehre
von der Vergebung ganz aufrichten kann? Kann auch die allverzeihende
Huld alle bitteren Folgen aufheben?
Was ich darüber stammeln kann, nehmen Sie in Liebe an! Kein Sterblicher
kann darüber mehr als stammeln. Heiligkeit ist zwar
eine Bedingung zur Seligkeit wie ein gesundes Auge zum Schauen des Schönen;
aber nicht das gesunde Auge, noch die Gesundheit des Geistes wird der Himmel
sein, sondern Gott. Er ist die Seligkeit des reinen Auges, nicht das
reine Auge. Nicht die Reinheit des Auges also wird der Himmel sein, sondern
die Huld, die mich Sünder rein und durch Reinigung fähig zu seinem
Genusse machte. Meine Sünde wird also, statt meine Seligkeit zu schmälern,
sie erhöhen, weil sie die Liebe erhöht zu dem, der mir vergeben hat.
Alle vergangenen Sünden beweisen nur, daß wir
Menschen sind, aber nicht, daß Gott nicht Ihr Freund sei, und nicht,
daß Sie Ihn nicht meinen. Vertrauen! Mein Wort »Sei
ruhig!« gründet sich nicht auf die Unsündlichkeit des
Menschen, sondern teils auf Gottes Erbarmen, teils auf Ihren jetzigen guten
Willen.
Der Blick auf frühere Sünden sei nur ein Blick auf die Huld, die uns
erlöst. Sieh weg von andern und von dir — zu Gott! Nimm dich,
wie du bist, und ergib dich Ihm, der dich eins mit sich machen will!
S.191
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte.
Verlag Ars Sacra Josef Müller München