Rulman
Mershwin (1307 – 1382)
In Straßburg geborener Mystiker: Im Alter von 40 Jahren (1347) erlebte der
reiche Kaufmann und Wechsler »den Ker«, worauf er sich von seiner
Frau trennte und sich von allen Geschäften zurückzog und ein religiöses,
enthaltsames Leben. begann. Unter Leitung seines Beichtvaters Johann Tauler fing er sich
dem beschaulichen Leben zu widmen. Merswin stand mit Heinrich von Nördlingen,
Margarete Ebner und anderen Gottesfreunden in Verbindung. 1367 erwarb er für
hundert Jahre das Recht, das ehemalige Benediktiner-Kloster Grünenwörth
zu bewohnen und zu nutzen. Dort führte er mit Gleichgesinnten bis zu seinem
Tod 1382 ein Leben in Betrachtung und Weltverneinung. Wahrscheinlich ist er der Verfasser der Schriften des »Gottesfreundes im Oberland«.
Siehe auch Wikipedia
Der Eigenwille
ist vom Teufel und die Quelle des Unfriedens
»Ich hatte gar viele natürliche Sinne und dazu die Heilige Schrift,
aber weder fand ich in der sinnlichen Vernunft noch las ich in der gesamten
Schrift je von solchen freudenreichen Freuden, in denen ich mich zur Stunde
befand. Wohl wissend von aller Freude, wovon ich sagen hörte, dass
sie gar zu klein und gar winzig sei, wie ein Wassertropfen gegenüber dem
ganzen Meer; obwohl wissend, wollte ich nicht, und ich war auch allerwege des
Sinnes, dass ich allzumal ein sinnreicher und gar wohl wissender, vernünftiger
Mensch wäre. Nun bin ich erst gar klar erkennend geworden, so dass
ich glaube. Und hätte ein Mensch aller Menschen Sinne, die in der Zeit
sind, er vermöchte dennoch nicht das Allermindeste zu begreifen, das zu
den ewigen Freuden gehört.
Dennoch, der liebe Gott ist wohl hier, und er wirkt in der Zeit mit seinen Freuden — so wie er es mit mir getan hat — so freudenreiche Wunder, dass
ich davon nicht zu sprechen vermag; nur soviel möchte ich mit dem heiligen
Petrus von der Gnade Gottes gesagt haben: »Hier ist gut sein.«
Und ich bekenne nun erst recht, dass kein Mensch die Dinge erkennen kann,
die über ihm sind, er lasse denn diese niederen, irdischen Dinge, die unter
ihm sind.«
Nun, da der Bruder uns diese großen Werke so weit gesagt hatte, als er
sie zu sagen vermochte, danach geschah es. Es war wohl fünf Tage danach,
und als wir alle beieinander waren, da sprach der gleiche Bruder: «Ach,
ihr Lieben, ich will euch bitten, daß ihr die göttliche Liebe anseht.
Seitdem, da Gott mir armen Sünder so gar große Gnade getan hat, ist
mir eingefallen, dass ich, durch Unser Lieben Frau Willen, gleich der lieben
heiligen Maria Magdalena bin, die auch eine arme Sünderin gewesen ist.
Ich wollte danach in einen Wald gehen, da ich aller Menschen Trost entbehren
wollte.« Nun, da er diese Rede so mit uns geredet hatte, da sprachen wir:
»Lieber Bruder, manche Sachen, manche Einfälle, die sind groß,
und man soll auch zu solchen großen Sachen nicht geschwind raten noch
damit anfangen. Man merke dann immer auf und merke auf irgendeine Weise immer
an etwas, ob es ein Rat des Heiligen Geistes gewesen sei. Denn, lieber Bruder,
Ihr sollt wissen, dass das wohl geschieht, und mir sind sehr wohl etliche
Menschen bekannt, die auch von der Gnade Gottes berührt und die auch in
ein übernatürliches Licht gezogen wurden. Und es war dann ein großer
Sturm, ein Gewitter erhob sich in ihnen; das nahm dann der Teufel wahr, und
er machte, dass etliche Menschen in einem solchen geschwinden Sturm aufstanden
und ohne Rat hinweggingen. Und dann führte sie der Teufel, und er führte
in ihnen selbst ihren Eigenwillen aus, und er brachte sie bis an diese Stelle,
dass sie zu großem Unfrieden kamen, und dann mussten sie große
Not durchmachen, darob, dass man sie wieder zum Frieden brächte. Denn
wisset, lieber Bruder, der Teufel, der nimmt sich mit gar großem Ernst
solcher Menschen an, die da von der Gnade des Heiligen Geistes erleuchtet worden
sind. Und daher raten wir Euch, dass Ihr diese Dinge eine Zeitlang so stehen
laßt. In der Zwischenzeit, da wollen wir mit Gott und Euch selber zu Rate
gehen, was von Euch in diesen Sachen zu tun sei. Auch geschah es ganz kürzlich,
dass ein Bruder selber durch die Gnade Gottes verspürte, daß
der Teufel sich in den Rat eingemischt hatte; und er hätte ihn gern ausgeführt
in der Meinung, dass er ihn zum Unfrieden gebracht hätte und dass
ihm dabei ein kranker Kopf geblieben wäre. So geschah es, dass diesem
Bruder nach der großen Gnade, die ihm durch den Tisch zuteil wurde, dass
von ihm in derselben Stunde alle großen und mannigfaltigen Versuchungen
abfielen, die er hatte, ohne eine Versuchung, die Unkeuschheit heißt;
die blieb ihm in gar großem Maße und in sehr mannigfacher, unreiner
Weise. Aber, er achtete ihrer nicht, denn ihm deuchte in seinem Sinn, dass
er diese Mühe zu Recht hätte und an seiner Natur leiden sollte. Und
dieser Bruder sagte zu etlichen Zeiten zu uns: »Ich habe von der Gnade
Gottes gut zu essen und zu trinken und ein schönes Bett und gute Gesellschaft.
Das hat mir Gott gegeben ohne alle Mühe. Und wäre es nun, dass
ich nicht Leiden und Mühsal in meiner Natur durch die Versuchung hätte,
dann hätte ich doch überhaupt nichts zu leiden. Hätte ich dann
keinen Trost und keine Freude, so müsste ich wohl erschrecken. Aber
ich weiß sehr wohl von der Gnade Gottes, dass es keinen Christenmenschen
geben soll, der ihrer begehrt und der ohne Leiden befunden würde: er soll
freiwillig und gern sein Kreuz tragen wollen bis zu seinem Tod, wenn Gott es
so von ihm haben will.« (S. 311-313)
Aus: Mystische Texte des Mittelalters. Ausgewählt
und herausgegeben von Johanna Lanczkowski
Reclams Universalbibliothek Nr. 8456 © 1988 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlags