Rhazes (864 - 925)

  Persischer Arzt, Naturwissenschaftler und Philosoph, der eigentlich mit vollem Namen
Abu Bakr Mohammed ibn Sakarija Ar-Rasi (genannt
Rhazes) hieß. Zuerst studierte er an seinem Geburtsort Raj Philosophie, Mathematik, Astronomie und Ethik, um sich danach der Medizin zuzuwenden. Rhazes war in erster Linie Arzt, und er wird wohl mit Recht als größter Arzt des Islam angesehen. Viele seiner medizinischen Werke wurden im Mittelalter ins Lateinische übersetzt, und er galt der europäischen Medizin bis ins siebzehnte Jahrhundert als Autorität. Seine Bücher über Physik, Mathematik, Astronomie, Optik und Metaphysik sind leider verloren gegangen. Von späteren Schriftstellern wurden allerdings einige Bruchstücke zitiert. Er schrieb auch einige Abhandlungen über Ethik und Moral. Gegenüber der herrschenden Religionsauffassung bezog er eine kritische Einstellung. Vor allem wandte er sich gegen die Mu’tasiliten, die extremen Sekten der Schi‘a und gegen die Auffassungen der Manichäer. Eine völlige Versöhnung von Religion und Philosophie hielt er nicht für möglich. Der berühmte muslimische Gelehrte Biruni hat in einem seiner Werke Leben und Wirken des Rhazes zu erforschen versucht.

Siehe auch Wikipedia
 

Inhaltsverzeichnis

Die Bedeutung des Verstandes
Das tugendhafte Leben
  Die Furcht vor dem Tode

Die Bedeutung des Verstandes
Der Schöpfer — verherrlicht sei sein Name — verlieh uns den Verstand, damit wir durch ihn jeden Fortschritt erreichen, den wir unserer Art nach in dieser und der nächsten Welt erlangen sollen. Er ist Allahs größte Gabe an uns, und nichts übertrifft ihn in der Sorge für unseren Fortschritt und Nutzen.

Durch den Verstand sind wir über die unverständigen Tiere erhoben, so daß wir über sie herrschen und sie benützen, indem wir sie unterwerfen und auf eine Weise überwachen, die uns und ihnen vorteilhaft ist.

Durch den Verstand erlangen wir all das, was uns erhebt und unser Leben versüßt und verschönt, und hierdurch erreichen wir unsere Absicht und erfüllen unser Verlangen.

Denn durch den Verstand haben wir die Fertigung und den Gebrauch der Schiffe erfaßt, so daß wir (mit ihnen) nach fernen Landen gelangten, die durch Meere von uns getrennt sind. Durch ihn haben wir die Medizin mit ihrer vielerlei Anwendung für den Körper entwickelt, und ebenso alle die anderen Künste, die uns Vorteil bringen.


Durch den Verstand haben wir eigenartige und abseitsgelegene Dinge begriffen, die (zuvor) geheim und vor uns verborgen waren. Durch ihn erkannten wir die Oberfläche der Erde und des Himmels, die Maße der Sonne, des Mondes und der Sterne, ihre Entfernungen und Bewegungen.

Durch ihn haben wir sogar die
Erkenntnis des Allmächtigen, unseres Schöpfers, erlangt, das erhabenste was immer wir zu erlangen suchten und unsere vorteilhafteste Errungenschaft.

Kurz: der Verstand ist es, ohne den unser Zustand ein Zustand wilder Tiere wäre . . . Er ist es, wodurch wir unsere Vorstellungen bilden, ehe sie den Sinnen offenbar werden, so daß wir sie genau so wahrnehmen, als ob wir sie den Sinnen wahrgenommen hätten; dann vertreten wir diese Vorstellungsbilder in unserer Sinnesbetätigung, so daß sie genau mit dem übereinstimmen, was wir uns vorgestellt haben.
Indem dies sein Wert und seine Stufe, seine Bewertung und Bedeutung ist, ziemt es uns, ihn nicht von seinem hohen Range herabzubringen oder ihn auf irgend eine Weise zu erniedrigen . . .

Vielmehr müssen wir ihn in allen Angelegenheiten zu Rate ziehen, ihn achten und uns auf ihn verlassen, indem wir unsere Angelegenheiten nach seinem Geheiß handhaben und sie zu Ende bringen, wenn er es befiehlt.

Wir dürfen der Leidenschaft nicht die Herrschaft über ihn geben, denn die Leidenschaft umnebelt den Verstand und bringt ihn von seinem eigenen Weg und rechten Zweck ab. Sie hindert den vernünftigen Menschen daran, die wahre Führung und das letzte Heil für seine Angelegenheiten zu finden.

Wir müssen unsere Leidenschaft unterwerfen und sie dem Spruch des Verstandes völlig unterordnen
. Wenn wir dies tun, wird unser Verstand ganz klar werden und uns mit seinem vollen Licht erleuchten. Er wird uns dann zur Verwirklichung alles dessen führen, was wir erstreben. Und wir werden in diesem freigebigen Geschenk und in dieser Gnade Allahs glücklich sein.

Das tugendhafte Leben
Das Leben, so wie es die großen Philosophen der Vergangenheit geführt haben, kann mit wenig Worten gezeichnet werden: es besteht darin, allen Menschen gegenüber gerecht zu sein.

Dann bedeutet es,
edel an ihnen zu handeln, und zwar mit angemessener Ausdauer, Geduld, unbegrenzter Güte und dem Bemühen um den Fortschritt aller Menschen, außer denen, die sich auf Ungerechtigkeit und Unterdrückung verlegt haben und für den Umsturz der Verhältnisse arbeiten, indem sie das pflegen, was eine gute Regierung untersagt: Ungehorsam, Verderben und Korruption.

Viele Menschen werden durch schlechte Gesetze und Anschauungen dazu gebracht, ein Leben des Übeltuns zu führen . . ., und andere halten es für recht, gemein und verräterisch gegen ihre Widersacher zu handeln . . .

Viele Menschen huldigen solcher Überzeugung und vollbringen Handlungen, von denen ein Teil der Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit Unglück bringt, indes ein anderer den Urheber selbst trifft. Solche Menschen können nur durch ernsthafte Aussprache über die Meinungen und Lehren von ihrer übelschaffenden Lebenshaltung abgebracht werden.

Darum bleibt uns in dieser Sache nichts weiter zu sagen, als die Lebenshaltung zu erwähnen, welche — wenn sie ernstlich befolgt wird — den Menschen vor der Feindschaft seiner Mitmenschen rettet und ihm ihre Liebe einbringt.


Wir betonen demzufolge, daß der Mensch vor seinen Mitmenschen im großen und ganzen sicher sein wird, wenn er sich an Gerechtigkeit und Duldsamkeit hält und sich nur selten mit ihnen in einen Streit einläßt.

Wenn er den anderen außerdem
Güte, Erbarmen und Barmherzigkeit erweist, wird er ihre Liebe gewinnen. Diese beiden Ergebnisse sind der Lohn des tugendhaften Lebens

Die Furcht vor dem Tode
Es besteht kein Grund für die Furcht vor dem Tode, wenn der Mensch annimmt, daß es nach dem Tode doch kein Weiterleben gibt.

Und . . . wenn man die andere Anschauung nimmt — nämlich, daß nach dem Tode ein Fortleben zu erwarten ist —, so besteht für den Menschen ebenso kein Grund, den Tod zu fürchten, wenn er nur gerecht und tugendhaft ist und die ihm vom Religionsgesetz — welches wahr ist — auferlegten Pflichten erfüllt, denn dieses Gesetz verheißt ihm Sieg und Ruhe und ewigen Segen.

Enthalten in: Islamische Geisteswelt, Von Mohammed bis zur Gegenwart Herausgegeben von Rudolf Jockel (S.129ff.) Holle Verlag , Darmstadt