Râmânuja (1017 – 1137)

Indischer Gründer einer einflussreichen Vishnu-Sekte, zu der sich auch heute noch viele Hindus in Südindien bekennen. Râmânuja war ursprünglich ein Anhänger der Lehre Shankaras. Beeinflusst von tamulischen Âlvârs und Âcâryas (Meistern) bekannte er sich zu dem Vishnuismus und bekämpfte die Illusionstheorie des »absoluten Monismus«. In zahlreichen Kommentaren zu den heiligen Schriften setzte er an die Stelle dieser Form der All-Einheitslehre einen »qualifizierten Monismus« (vishishtâdvaita) als den wahren Sinn der Offenbarung und Tradition, nach der Gott das Universum periodisch aus sich hervorgehen lässt. Die Einzelseelen und das Ungeistige (Materie), die Gott »qualifizieren«, bestehen als reale Größen, solange die Welt existiert. Gott ist nicht nur ihre materielle Ursache, sondern sie werden auch von ihm durchdrungen und geleitet. Die Seelen und das Ungeistige sind »Attribute« oder »Modi« (Daseinsweisen) Gottes, die von Gott - bei den zyklischen Weltvernichtungen - wieder in sich zurückgenommen werden, so dass sie dann nur in subtiler, potentieller Form existent sind. Mit dieser pan-en-theistischen Anschauungsweise ist die sich auf Âgamas und das Vishnu-Purâna sich berufende These verbunden, dass nur Vishnu und kein anderer Gott der ewige Weltenherr sein kann. Die Heilslehre gründet ihre Hoffnung in dem gläubigen Sichverlassen (prapatti) auf Vishnus Gnade und sieht in der inbrünstigen Liebe zu ihm den Weg zur Erlösung. Folgende Stellen sind aus Râmâjunas Schrift »Vedârthasangraha« (Zusammenfassung des Sinns der Veden) entnommen.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon


Zusammenfassung des Sinns der Veden

Das Absolute bedient sich als Hilfsmittel zu seinem (kosmischen) Spiel und als seine Teile bildend

erstens unendlich vieler gebundener und erlöster Einzelseelen und

zweitens der ungeistigen Substanz, die die Fähigkeit besitzt, mannigfache Entwicklungszustände zu durchlaufen, welche von den Seelen (als ihre Leiber usw.) erfahren werden können.

Das Brahma ist der innere Lenker von diesen, die alle seinen Körper darstellen und zu ihm in dem Verhältnis von Attributen stehen.

So ist die Urmaterie der Leib Gottes und ebenso auch jede Einzelseele. So ist Gott das (ständig beharrende) Selbst von diesen seinen Unwandlungen. Denn es heißt im Vishnu-Purâna (1. 2, 18) »Das Entfaltete ist Vishnu, und ebenso das Unentfaltete, die Einzelseele und die Zeit« und (1,2,3 I) »der höchste Gott ist der Beweger und das, was bewegt wird«.

Die Einzelseelen haben von Natur aus unbegrenztes, unverhülltes, fleckenloses Wissen, sind aber umhüllt von dem durch das Karma bedingte Nichtwissen. Ihrem Karma entsprechend wird ihr Wissen eingeschränkt, und sie werden eingeschlossen in mannigfache Leiber, die eine Hierarchie bilden, beginnend mit dem Leib des (viergesichtigen Demiurgen) Brahmâ bis zu den Leibern von Pflanzen. Die Seelen identifizieren sich fälschlich mit ihren Körpern und vollbringen Taten, an denen sie Gefallen finden. Dadurch gelangen sie in den Strom des Sansâra und erfahren entsprechend Freude und Leid. Für sie gibt es eine Erlösung in dem Nirvâna nur durch das Sichverlassen auf den erhabenen Herrn.
S. 204f.
Aus: Indische Geisteswelt. Eine Auswahl von Texten in deutscher Übersetzung. Eingeleitet und herausgegeben von Helmuth von Glasenapp. Band I Glaube und Weisheit der Hindus. Holle Verlag . Baden-Baden