Prodikos von Keos (um 450 v. Chr.)
Griechischer Philosoph (Sophist) aus Julis (heute Kea). Prodikos war ein Zeitgenosse des Sokrates und hat die (durch Xenophanes überlieferte) Erzählung »Herakles am Scheideweg« verfasst. Siehe auch Wikipedia |
Inhaltsverzeichnis
Herakles am Scheidewege
Die Erklärung der Entstehung der Religion
Herakles
am Scheidewege
Ebenso äußert sich über die Tugend der weise Prodikos in jener
Schrift über Herakles, die allgemein bekannt ist, etwa folgendermaßen,
soweit ich mich erinnere. Er erzählt nämlich, wie Herakles aus einem
Knaben zum Mann werden wollte, ein Zeitpunkt, in dem die Jünglinge, allmählich
Herr ihrer selbst geworden, zeigen, ob sie für ihr Leben den Weg der Tugend oder den des Lasters wählen wollen: da wäre dieser in die Einsamkeit
hinausgegangen und habe sich dort <auf eine Bank> gesetzt, weil er unschlüssig
war, welchen der beiden Wege er wählen sollte. Da seien zwei stattliche
Frauen auf ihn zugekommen, die eine sittsam anzuschauen, voll Adel in ihrer
Erscheinung, die Farbe ihres Antlitzes im Schmuck der Reinheit, ihre Augen voll
Keuschheit, ihre Gestalt voll Ebenmaß, ihre Gewandung leuchtend weiß;
die andere dagegen weichlichen, üppigen Leibes. Ihr Gesicht war geschminkt,
so dass sie weißer und röter aussah, als sie in Wirklichkeit
war; ihre Haltung war derartig, dass sie aufrechter erschien als ihr wirklicher
Wuchs war; die Augen hatte sie weit geöffnet; ihr Gewand war so dünn,
daß daraus die Reize ihres Leibes möglichst durchschimmerten. Und
oft betrachtete sie sich selber; sie lauerte auch darauf, ob sie wohl ein anderer
beachtete; oft sah sie auch nach ihrem eigenen Schatten. Wie sie nun näher
an Herakles herankamen, da setzte die erstere ihren
Gang in derselben ruhigen Weise fort; die andere dagegen, die ihr zuvorkommen
wollte, rannte auf Herakles zu und sprach: »Ich
sehe, Herakles, wie du unschlüssig bist, welchen Weg in das Leben du einschlagen
sollst. Wenn du nun mich zu deiner Freundin erwählst und mir folgst, dann
werde ich dich den angenehmsten und leichtesten Weg führen, und kein Genuß
wird dir versagt sein. Und du wirst ein Leben frei von Mühe und Arbeit
haben. Denn erste wirst du dir weder um Kriege noch Händel Sorge zu machen
brauchen, sondern immer dein Augenmerk darauf richten, was für Behagen
du dir an Speise und Trank ausfindig machst oder was für Genüsse du
dir durch Sehen oder Hören verschaffst oder durch Wohlgerüche oder
Betasten, mit was für Lieblingen du verkehrst, um die größte
Lust zu empfinden, und wie du am weichsten gebettet schläfst, überhaupt,
wie du dir all diese Freuden möglichst mühelos verschaffst. Wenn dir
aber jemals die Sorge vor Mangel aufsteigen sollte, d. h. an Mitteln, wodurch
du dir all dieses verschaffen sollst, da brauchst du keine Angst zu haben, daß
ich dich in die Lage bringe, dir diese Dinge durch Arbeit und Mühsal leiblicher
und seelischer Art verschaffen zu müssen, sondern das, was sich die anderen
mühsam erarbeiten, wirst du gebrauchen und dir nichts versagen, wovon dir
irgendein Gewinn winkt. Denn ich verschaffe meinen Günstlingen die Möglichkeit,
aus jeder Blüte Honig zu saugen.« —
Als Herakles diese Worte gehört hatte, sagte
er: »O Weib, wie heißest du?«
Sie antwortete: »Meine Freunde nennen mich Glückseligkeit,
meine Feinde aber heißen mich Schlechtigkeit.« —
In diesem Augenblick trat das andere Weib an ihn heran und sprach: »Auch ich bin zu dir gekommen, Herakles,
da ich deine Eltern kenne und deine Wesensart während deiner Erziehung
kennengelernt habe. Daher hoffe ich, dass du, wenn du den Weg zu mir wählst,
ein Vollbringer schöner und erhabener Taten sein wirst und ich selber noch
viel geachteter sein und wegen meines Wertes noch viel mehr hervorleuchten werde.
Ich will dich nicht durch lusterregende Vorreden täuschen, sondern so wie
die Götter die Dinge eingerichtet haben, will ich sie dir der Wahrheit gemäß offenbaren. Von den wirklich guten und schönen Dingen
geben die Götter den Menschen keines ohne Mühe und Arbeit, sondern
wenn du wünschest, dass dir die Götter hold sind, musst
du die Götter ehren, und wenn du von deinen Freunden geliebt sein willst,
ihnen Gutes erweisen, und wenn du von einer Stadt geehrt werden möchtest,
der Stadt nützen, und wenn du von ganz Griechenland wegen Tüchtigkeit
bewundert werden willst, versuchen, Griechenland Gutes zu tun, und wenn du willst,
dass dir die Erde viel Früchte bringt, die Erde gut behandeln. Und
wenn du von deinen Herden reich werden möchtest, musst du dich deiner
Herden annehmen, und wenn du darauf ausgehst, durch Krieg mächtig zu werden
und die Kraft zu haben wünschest, deine Freunde zu befreien und die Feinde
zu unterwerfen, dann musst du das Kriegshandwerk von den Kundigen erlernen
und dich darin üben, wie man es anwenden muss. Wenn du aber auch starken
Leibes sein willst, dann musst du ihn gewöhnen, dem Geist zu gehorchen
und ihn unter Mühen und Schweiß üben.« —
Wie Prodikos erzählt, fiel ihr hier die Schlechtigkeit
ins Wort und sagte: »Merkst du es wohl, Herakles, was für einen schweren und langen Weg dir dies Weib zu den Freuden zeigt?
Ich aber werde dich einen leichten und kurzen zur Glückseligkeit führen.« —
Darauf erwiderte die Tugend: »Du
Elende, was hast du denn für Gutes? Oder was weißt du Angenehmes,
wo du nichts deswegen tun willst? Du wartest ja nicht einmal die Begier nach
den angenehmen Dingen ab, sondern, schon ehe sich das Begehen einstellt, schlägst
du dich mit allem voll; du isst, ehe du Hunger hast, trinkst, ehe du Durst
hast, und damit du mit Lust isst, bereitest du dir allerlei ausgeklügelte
Zukost; damit du mit Lust trinkst, verschaffst du dir kostbare Weine, und zur
Sommerszeit suchst du überall nach Schnee, und um süß zu schlafen,
sorgst du nicht nur für weiche Matratzen, sondern auch für weiche
Ruhebetten und Unterlagen für diese. Denn du begehst nicht etwa infolge
von Arbeit und Anstrengung zu schlafen, sondern weil du nichts anzufangen weißt.
Den Liebesgenuss aber erzwingst du, bevor das Bedürfnis danach eintritt,
indem du alles mögliche ersinnst und die Männer als Weiber gebrauchst!
Denn so erziehst du deine Freunde; führst in der Nacht ein Lotterleben
und vom Tage verschläfst du den besten Teil! Und wenn du auch unsterblich bist, bist du doch von den Göttern ausgestoßen und wirst von allen
guten Menschen verachtet. Und das, was am allerangenehmsten zu hören ist,
das Lob der eigenen Person von anderer Seite, hast du nie gehört, und das,
was am angenehmsten zu sehen ist, hast du nie gesehen. Denn niemals hast du
ein schönes Werk gesehen, das du selber vollbracht hättest. Und wer
möchte dir glauben, wenn du redest! Wer dir helfen, wenn du etwas nötig
hast! Oder welcher Mensch, der bei klarem Verstand ist, möchte zu deinem
Gefolge gehören! Haben doch deine Anbeter in der Jugend einen Körper
ohne Mark und Kraft, und wenn sie alt geworden sind, einen stumpfen Geist. Haben
sie sich doch in ihrer Jugend glänzend ernährt, ohne zu arbeiten,
während sie ihr Alter mühselig hinbringen, während ihr Körper
verfällt; und dann schämen sie sich dessen, was sie einst getan, und
ächzen unter dem, was sie tun. Haben sie doch das Angenehme in ihrer Jugend
durchgekostet, das Schwere dagegen auf ihr Alter verschoben! — Ich aber
lebe mit den Göttern und den guten Menschen zusammen. Weder Götter
noch Menschen vollbringen eine edle Tat ohne meinen Beistand. Und ich werde
bei Göttern und bei den Menschen, bei denen es sich geziemt, am meisten
von allen geehrt; den Künstlern bin ich geliebte Helferin, den Hausvätern
eine treue Wächterin, dem Gesunden eine freundliche Verbündete; eine
gute Mitwirkerin an den Arbeiten des Friedens, eine zuverlässige Bundesgenossin
bei den Werken des Krieges und die beste Teilhaberin an einem Freundschaftsbund.
Und meine Freunde haben einen süßen und beschwerdelosen Genuss
von Speise und Trank. Denn sie warten, bis sie danach begehren. Und ihnen naht
süßerer Schlaf als den bequemen <Menschen>. Sie haben auch
keinen Verdruss, wenn sie ihn abschütteln, und unterlassen seinetwegen
nicht, ihre Pflicht zu tun. Und die Jungen freuen sich über das Lob der
Alten, die Alten aber haben ihre Freude an den Ehren, die ihnen die Jungen erweisen.
Und gern erinnern sie sich ihrer einstigen Leistungen und haben ihre Freude
daran, die jetzigen gut zu verrichten. Und meinetwegen sind sie den Göttern
lieb und von ihren Freunden geschätzt, von ihrem Vaterlande geehrt. Und
wenn dann ihr Ende gekommen ist, dann liegen sie nicht vergessen und ungeehrt
da, sondern sie leben, in dankbarer Erinnerung allezeit gepriesen. — Wenn
du solche Mühen und Arbeiten überstanden hast, Herakles, du Spross
edler Eltern, dann wird dir die allerherrlichste Glückseligkeit zu eigen.« —
So etwa schildert Prodikos die Erziehung des Herakles
durch die Tugend. Freilich hat er die Gedanken mit noch erhabeneren Worten
ausgeschmückt als ich jetzt.
[Xenophan, Sokratische Denkwürdigkeiten II 1,21ff.
= Prodikos fr. 2]
Die
Erklärung der Entstehung der Religion
Lässt Prodikos von Keos noch irgendwelche
Religion bestehen, wenn er behauptet, dass alles, was für das Leben
der Menschen nützlich sei, von ihnen zu den Göttern gerechnet worden
wäre? [Cicero: Vom Wesen der Götter I 118]
Prodikos von Keos behauptet, dass die Menschen der Urzeit Sonne und Mond, Flüsse und Quellen und überhaupt alles, was für unser Leben von Nutzen ist, wegen des von ihnen gespendeten Nutzens für Götter gehalten hätten, wie z. B. die Ägypter den Nil, und daher sei das Brot für die Göttin Demeter gehalten worden, der Wein für den Gott Dionysos, das Wasser für Poseidon, das Feuer für Hephaistos und dementsprechend jedes Ding, das <den Menschen> nützlich war. ... Männer, die den Beinamen des Gottlosen erhielten, wie Euhemeros ... Diagoras von Melos und Prodikos von Keos und Theodoros, behaupteten, dass es keinen Gott gäbe... [Sextus Empiricus IX 18 (unter 77 B 5)]
Prodikos bringt jeden frommen Brauch der Menschen auch ihre Mysterien
und geheimen Weihen, mit den Gütern des Landbaues in Verbindung; er glaubt
ja, daß auch der Glaube an Götter von dort zu den Menschen gekommen
sei und jede Art von Frömmigkeit...
[Themistios, Rede 30 S.422 Dindorf (unter 77 B 5)]
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 119, Die Vorsokratiker
herausgegeben von Wilhelm Capelle
Die Fragmente und Quellenberichte übersetzt und eingeleitet von Wilhelm
Capelle (S.363-368)
© 1968 by Alfred Kröner Verlag, Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart