Edgar Allan Poe (1809 – 1849)
Amerikanischer
Schriftsteller, Journalist und Zeitungsredakteur, der als der bedeutendste
Vertreter der amerikanischen Romantik angesehen wird. In Europa ist er vor
allem durch Charles Baudelaire bekannt geworden. Poe zeichnet sich durch analytischen Scharfsinn aus, mit dem er in durchaus philosophischer Manier spekulativ in kreativer
Weise hinter die Dinge zu blicken versucht. In seinen Kurzgeschichten und
Novellen tritt sein ausgeprägter Hang zum Makabren, Unheimlichen, Grauenvollen, Übersinnlichen offen zu Tage. In dem Essay »Eureka«
(1848; deutsch »Heureka«) versucht er
eine bemerkenswert kreative Kosmogonietheorie aufzustellen. Siehe auch Wikipedia Siehe auch »Projekt Gutenberg« |
Inhaltsverzeichnis
Mesmeristische
Enthüllungen Die Macht des Wortes |
Der
schaffende Gedanke Gottes Heureka |
Mesmeristische
Enthüllungen
Wenn man sich über eine eigentliche Theorie
des Magnetismus auch noch unklar ist, so glaubt man jetzt doch im Allgemeinen schon an seine
erstaunlichen Wirkungen. Alle, die noch zweifeln, sind Zweifler von Profession — eine unnütze, ohnmächtige und wenig ehrenwerte Gesellschaft.
Es wäre heute nur noch Zeitverschwendung, wenn man beweisen wollte, dass
der Mensch durch eine bloße Willensanstrengung seinen Mitmenschen so beeinflussen
kann, dass er in eine anormale Verfassung gerät, deren Erscheinungen denen des Todes sehr ähnlich sind oder ihnen wenigstens näher kommen,
als die Erscheinungen irgendeines anderen, normalen und uns bewussten Zustandes;
das ferner während der ganzen Dauer dieses Zustandes die so beeinflusste
Person nur mit Anstrengung und folglich sehr schwach die äußeren
Organe der Sinne gebrauchen kann und dennoch mit sonderbar geschärftem
Empfindungsvermögen auf bis jetzt unbekannten und vielleicht nicht zu erkennenden
Wegen Dinge wahrnimmt, die außerhalb des Erfassungsvermögens unserer
Physis liegen: dass überdies seine intellektuellen Fähigkeiten sich
in wunderbarer Weise stärken, sich steigern, und dass die geheime Beziehung
zu demjenigen unter dessen Einfluss die betreffende Person steht, eine sehr
tiefe und innige ist; und endlich, dass die Empfänglichkeit für die
Beeinflussungen mit jedem Versuche wächst und zu gleicher Zeit die bewirkten
Erscheinungen in gleichem Maße ausgedehnter und ausgesprochener auftreten.
Ich sage also, dass es überflüssig ist, diese verschiedenen Tatsachen,
in deren allgemeinem Wesen das Gesetz des Mesmerismus beschlossen liegt, beweisen zu wollen — und will meine Leser mit einer
so zwecklosen Beweisführung denn auch nicht belästigen. Meine Absicht
ist eine ganz andere: Ich möchte — einer ganzen Welt von Vorurteilen
zum Trotz — ohne Erläuterungen, doch mit allen Einzelheiten, ein
sehr merkwürdiges Zwiegespräch zwischen einem Schlafwachen und mir
selbst hier wiedererzählen.
Ich hatte seit langer Zeit die Gewohnheit, die betreffende Person, einen Herrn
Vankirk, in magnetischen Schlaf zu versetzen und
ihn schon dahin gebracht, dass er eine besonders starke Empfänglichkeit
für magnetische Einflüsse zeigte. Bereits seit mehreren Monaten litt
Herr Vankirk an vorgeschrittener Schwindsucht.
Durch meine Striche hatte ich ihm bedeutende Erleichterung verschafft, so dass
ich nicht besonders überrascht war, als er mich Mittwoch, den 15., nachts
an sein Lager rufen ließ.
Der Kranke litt an heftigen Schmerzen in der Herzgegend, zeigte alle Symptome
des Asthmas und atmete infolgedessen sehr schwer. Bei ähnlichen Krämpfen
hatte er meist durch Auflegen von Senfpflaster auf die Nervenzentren Erleichterung
gefunden. In dieser Nacht jedoch war dieses Hilfsmittel erfolglos geblieben.
Als ich in das Zimmer trat, begrüßte er mich mit einem liebenswürdigen
Lächeln und schien sich, obwohl er starke körperliche Schmerzen litt,
seelisch sehr wohl zu befinden.
»Ich habe zu Ihnen geschickt,« sagte
er, »weniger um mir eine körperliche Erleichterung verschaffen,
als um mich über gewisse psychische Eindrücke, die mir neuerdings
viel Angst und Überraschung verursacht haben, aufzuklären. Ich brauche
Ihnen wohl nicht zu sagen, wie skeptisch ich mich bis jetzt zu dem Glauben
an eine Unsterblichkeit
der Seele gestellt
habe. Ich kann nicht leugnen, dass in dieser Seele,
die ich stets verneinte, immer ein gewisses halbes
Bewusstsein ihres eigenen Daseins existiert hat. Doch steigerte sich dieses halbe Bewusstsein
niemals bis zur Überzeugung. Mit meinem Verstande hatte es nichts zu tun.
Alle meine Anstrengungen, eine diesbezügliche logische Forschung anzustellen,
machten mich nur noch skeptischer.
Man riet mir, Cousin zu studieren. Ich studierte
ihn also, – in seinen eigenen Werken wie in denen seiner europäischen
und amerikanischen Schüler. So geriet auch der »Charles
Elwood« des Herrn Brownson in meine
Hände. Ich las das Buch mit größter Aufmerksamkeit und fand,
dass es durchaus logisch geschrieben sei, doch waren unglücklicherweise die nicht
ausschließlich logischen Teile die hauptsächlichsten Argumente des ungläubigen Helden
des Buches. Schließlich kam es mir vor, als ob der Beweisführende
sich nicht einmal selbst überzeugt habe, als ob das Ende des Buches gewissermaßen
seinen Anfang vergessen — wie Trinculo seine
Regierung. Kurz, die Ansicht festigte sich alsbald in mir, dass der Mensch,
wenn man ihn auf intellektuellem Wege von seiner Unsterblichkeit
überzeugen will, wohl niemals durch die bloßen Abstraktionen,
die so lange bei den englischen, französischen und deutschen Moralisten
üblich gewesen sind, zur Gewissheit gelangen wird. Abstraktionen vergnügen
und üben den Geist, nehmen ihn jedoch nicht in Besitz. So lange wir auf
dieser Erde wandeln, wird uns die Philosophie,
davon bin ich überzeugt, immer vergeblich zu überreden suchen, Eigenschaften für Dinge zu
halten. Der Wille mag schließlich zustimmen – die Seele,
der Verstand nie.
Ich wiederhole also, dass ich nur halb und unsicher gefühlt, aber niemals
geglaubt habe.
Nun hat sich dieses halbe Gefühl in der jüngsten Zeit so vertieft,
dass es in Augenblicken fast der Einwilligung der Vernunft gleichkam, ich wenigstens
eins vom anderen nur schwer zu unterscheiden vermochte. Die Ursache glaube ich
mit Gewissheit dem Einfluss des Magnetismus zuschreiben
zu können. Ich kann Ihnen das, was ich meine, nicht besser erklären,
als durch die Hypothese,
dass die Reizung durch den Magnetismus mich befähigt,
eine Reihe von Vernunftschlüssen zu machen, die mich in meinem anormalen
Zustand überzeugen, die jedoch mit dem magnetischen Phänomen verschwinden
und nur durch ihre Wirkungen bis in mein gewöhnliches Dasein gelangen.
Im schlafwachen Zustande besteht eine Gleichzeitigkeit zwischen der Beweisführung
und dem Schlusse,
zwischen der Ursache
und der Wirkung. Kehrte ich in meinen natürlichen Zustand zurück,
so verschwand die Ursache und nur die Wirkung blieb, vielleicht noch sehr abgeschwächt,
zurück.
Diese Betrachtungen brachten mich auf den Gedanken, dass man aus einer Reihe
wohl gewählter und mir im Zustande des Schlafwachens gestellter Fragen
gute Erfolge erzielen könne. Sie haben ohne Zweifel oft beobachtet, dass
alle Schlafwachen eine tiefe Kenntnis ihrer selbst haben und über ein ausgedehntes
Wissen in allem, was den Magnetismus angeht, verfügen. Aus dieser Selbstkenntnis
könnte man genügende Andeutungen zur Zusammenstellung eines ganzen
Katechismus schöpfen.«
Natürlich willigte ich ein, das Experiment zu machen. Einige Striche versetzten Herrn Vankirk in magnetischen
Schlaf. Er atmete sofort leichter und schien keine Schmerzen mehr zu leiden.
Dann entspann sich — V.
bedeutet Vankirk und P. bin ich — folgende Unterhaltung:
Poe. Schlafen Sie?
Vankirk . Ja — nein, ich möchte tiefer schlafen.
P. (nach
einigen neuen Strichen) Schlafen Sie jetzt gut?
V. Ja.
P. Welchen Ausgang wird Ihre jetzige Krankheit haben?
V. (nach
langem Zögern und nur mit Anstrengung) Ich
werde an derselben sterben.
P. Betrübt Sie der Gedanke an den
Tod?
V. (sehr
lebhaft) Nein, nein!
P. Freuen Sie sich über diese Aussicht?
V. Wäre ich wach, so würde ich mich auf den Tod freuen, jetzt
ist‘s mir gleichgültig. Der magnetische Schlaf kommt dem Tode so
nahe, dass ich befriedigt bin.
P. Ich möchte, dass Sie sich genauer erklärten, Herr
Vankirk.
V. Gern, doch strengen Sie mich zu sehr an. Sie fragen mich
nicht richtig!
P. Wie soll ich denn fragen?
V. Sie müssen am Anfang anfangen.
P. Am Anfang! Doch wo ist der Anfang?
V. Sie wissen, der
Anfang ist GOTT. (Dies
sagte er in leisem, schauerndem Tone mit allen Zeichen der tiefsten Ehrfurcht.)
P. Was ist das: »Gott«?
V. (zögert
eine Zeitlang) Ich
kann es nicht sagen.
P. Ist Gott ein
Geist?
V. Als ich wach war, wusste ich, was
das Wort »Geist« bedeutete, doch jetzt
ist es mir nur ein Wort wie zum Beispiel Wahrheit,
Schönheit — eine Eigenschaft,
meine ich.
P. Ist Gott nicht
körperlos?
V. Es gibt keine Körperlosigkeit. Körperlosigkeit ist ein leeres Wort. Was nicht körperlich
ist, das ist auch nicht wofern nicht Eigenschaften
Dinge sind.
P. Gott
ist also körperlich?
V. Nein. (Diese
Antwort überraschte mich natürlich im höchsten Grade.)
P. Was ist er
denn?
V. (nach
einer langen Pause, murmelnd) Ich sehe es — doch ist es sehr schwer zu sagen. (Lange Pause.)
Er ist nicht Geist,
denn er existiert. Auch ist er nicht Stoff, wie
Sie denselben auffassen. Es gibt Abstufungen in der Materie,
von denen die Menschen nichts wissen, die gröbere
nimmt die feinere in sich auf, die feinere durchdringt die gröbere. Die
Atmosphäre zum Beispiel setzt das elektrische Prinzip in Bewegung. während
das elektrische Prinzip die Atmosphäre durchdringt. Diese Abstufung
der Materie nimmt in Verdünnungen und Verfeinerungen so lange zu,
bis wir zu einer unzusammengesetzten — nicht aus Molekülen bestehenden
unteilbaren — einzigen Materie gelangen — und hier erfährt
das Gesetz der Durchdringung und der Aufnahme eine Veränderung. Diese äußerste
— nicht aus Molekülen bestehende — Materie
durchdringt nicht nur alle Dinge, sondern setzt sie auch in Bewegung
und ist also alle Dinge
in einem Ding,
das sie selbst ist. Diese Materie ist Gott.
Was die Menschen in dem Wort »Gedanken« auszudrücken suchen, ist diese Materie in der Bewegung.
P. Die Metaphysiker
behaupten, dass sich jede Handlung
auf Bewegung und Denken zurückführen lässt, und dass das letztere der Ursprung
des ersteren ist.
V. Ich sehe jetzt ein, dass diese Annahme
eine Begriffsverwirrung ist. Bewegung ist die Handlung des Geistes,
nicht des Gedankens. Die unpartikulierte Materie oder Gott im Zustande der Ruhe
ist das (soweit können wir‘s einigermaßen
verstehen), was die Menschen »Geist« nennen. Und diese Fähigkeit des Selbstbewegens, die in der Wirkung dem
Willen des Menschen gleichkommt, ist in der unteilbaren Materie das Resultat
ihrer Einheit
und Allmacht;
wie, das weiß ich nicht und sehe jetzt ein, dass ich es niemals wissen
werde. Diese unteilbare, durch ein Gesetz oder eine in ihr enthaltene Eigenschaft
in Bewegung gesetzte Materie denkt.
P. Können Sie mir keine genauere
Erklärung darüber geben, was Sie unter der »unpartikulierten
Materie« verstehen?
V. In gleichem Maße, in dem die
Materie sich abstuft, entgeht sie dem Erkenntnisvermögen des Menschen.
Stellen wir uns ein Metall, ein Stück Holz, einen Wassertropfen, die Atmosphäre,
ein Glas, den Wärmestoff, die Elektrizität, den Äther
vor! Dies alles nennen wir Materie und schließen
die ganze Materie in
eine einzige, große Definition ein; trotzdem gibt es aber keine zwei Vorstellungen, die in ihrem Wesen verschiedener
wären als die, die wir uns vom Metall und vom Äther machen. Wir fühlen uns unwiderstehlich versucht, den letzteren schon zu
dem Geist oder zum Nichts zu rechnen. Nur die Gewissheit,
dass er aus Atomen zusammengesetzt ist, hält uns davon ab. Und dabei müssen wir noch
unseren primitiven Begriff von einem Atom zu Hilfe rufen und uns erinnern, dass es ein Etwas ist, das bei unbegrenzter Kleinheit Dichtigkeit, Greifbarkeit und Schwere besitzt.
Sehen wir einmal von der Idee der Zusammensetzung aus Atomen ab, so wird es
uns unmöglich, den Äther als eine Wesenheit
oder wenigstens als eine Materie zu betrachten. Mangels eines besseren Wortes
könnten wir ihn Geist nennen. Steigen wir nun noch eine Stufe über
den lichttragenden Äther hinauf, stellen wir uns eine Materie vor, deren Dünnheit
in demselben Verhältnis zum Äther wie
der Äther zum Metall steht — und wir
gelangen endlich trotz aller Schuldogmen zu einer Einheit — einer unzusammengesetzten Materie: denn wenn wir auch eine unbegrenzte
Kleinheit der Atome selbst annehmen können, so wäre der Gedanke an
eine unbegrenzte Kleinheit der sie trennenden Zwischenräume eine Absurdität.
Wir würden an einem Punkte zu einem Grade von Dünnheit gelangen, bei dem, wenn die Atome in genügender Anzahl
vorhanden sind, die Zwischenräume verschwinden würden und die Masse
eine absolute Einheit werden müsste. Doch wenn wir einmal von der atomischen
Zusammensetzung absehen, so entschwindet uns die Natur dieser Masse unaufhaltsam
in das Gebiet dessen, was wir Geist nennen. Und dennoch ist es klar, dass sie
ebenso gewiss wie früher Materie geblieben ist. Denn wir können uns
unmöglich Geist vorstellen, da wir uns das, was nicht ist, nicht denken
können. Wenn wir uns schmeicheln, zu seiner Erkenntnis gekommen zu sein, so täuschen wir nur unseren Verstand, der bloß
eine unendlich verdünnte Materie erfasst hat.
P. Es scheint mir, dass man gegen diese
Idee einer absoluten Kohäsion einen unwiderleglichen Einwurf machen kann;
ich denke an den sehr schwachen Widerstand, den die Himmelskörper bei ihrem
Umlauf durch den Raum zu erleiden haben — einen Widerstand, der, wie heute
erwiesen ist, in gewissem, jedoch so geringem Maße besteht, dass er selbst
dem Scharfsinne Newtons entgangen ist. Wir wissen,
dass die Heftigkeit des Widerstandes der Körper im Verhältnis zu ihrer
Dichtigkeit steht. Die absolute Kohäsion ist die absolute Dichtigkeit;
wo keine Zwischenräume sind, kann kein Durchgang sein. Ein absolut dichter
Äther würde dem Laufe eines Planeten ein unendlich wirksameres Hindernis
entgegensetzen als ein Äther von Diamant oder
Eisen.
V. Ihr Einwurf lässt sich gerade
so leicht widerlegen, wie er unwiderleglich erscheint. — Was den Lauf
eines Sternes angeht — nun, so macht es gar keinen Unterschied, ob der
Stern durch den Äther geht oder der Äther durch den Stern. Es gibt keinen unerklärlicheren Irrtum als die Ansicht
der Astronomen, welche die bekannten Verspätungen der Kometen ihrem Laufe
durch den Äther zuschreiben: denn wie verdünnt man sich den Äther auch denken mag, er würde dem Umlauf der Gestirne in
einer viel kürzeren Zeit ein Ende machen, als die Astronomen, die mit Leichtigkeit
über einen Punkt hinweggingen, den sie nicht verstanden, angenommen haben.
Die wirkliche Verspätung kommt überdies fast derjenigen gleich, die
von der Reibung des Äthers während seines
unaufhörlichen Durchgangs durch das Gestirn zu erwarten ist. Die Kraft
des Widerstandes ist also eine doppelte: eine momentane, in sich selbst ruhende
und eine endlos wachsende.
P. Doch liegt in all diesem — in
dieser Identifizierung der reinen Materie mit Gott nicht etwas Unehrerbietiges?
(Ich musste diese Frage wiederholen, ehe der Schlafwache ihren Sinn verstehen
konnte).
V. Können Sie mir etwa sagen, weshalb
die Materie weniger ehrwürdig ist als der Geist? Sie vergessen, dass die Materie, von der
ich spreche, in jeder Hinsicht und in Anbetracht ihrer
hohen Eigenschaften die wahre »Intelligenz«
und der »Geist« der Schulen und zu
gleicher Zeit das, was sie »Materie«
nennen, ist. Gott mit all den
dem Geiste zugeschriebenen Kräften ist nichts als die Vollkommenheit
der Materie!
P. Sie behaupten also, dass die in Bewegung
gesetzte, unpartikulierte Materie der Gedanke ist?
V. Im Allgemeinen ist diese Bewegung
der universelle Gedanke des universellen
Geistes. Dieser Gedanke schafft. Alle erschaffenen Dinge sind nur die
Gedanken Gottes. —
P. Sie sagen: im Allgemeinen.
V. Ja, der universelle Geist ist
Gott, für neue Individualitäten
ist Materie nötig.
P. Aber Sie sprechen jetzt von »Geist«
und »Materie« ganz so, wie es
die Metaphysiker tun.
V. Ja, der Klarheit halber. Wenn ich
Geist sage, so verstehe ich darunter die unpartikulierte
oder äußerste Materie, unter
dem Namen »Materie« dagegen alles andere.
P. Sie sagten: Für neue Individualitäten ist Materie notwendig?!
V. Ja, denn der Geist, der unverkörpert
existiert, ist Gott. Um individuelle, denkende
Wesen zu schaffen, war es nötig, Teile des göttlichen
Geistes zu verkörpern. So wurde der Mensch
individualisiert. Der körperlichen Einkleidung entblößt,
würde er Gott sein. Die hauptsächliche Bewegung der verkörperten
Partien der unpartikulierten Materie ist der Gedanke des Menschen, wie die Bewegung
des Ganzen der Gedanke Gottes ist.
P. Sie sagen, dass der der körperlichen Einkleidung entblößte
Mensch Gott sein würde?
V. (nach
einigem Zögern) Das kann ich nicht gesagt
haben, denn es wäre eine Absurdität.
P. (sieht in seinen Aufzeichnungen nach)
Sie haben behauptet, dass der Mensch, seiner
körperlichen Einkleidung entblößt, Gott
sein würde!
V. Und das ist wahr. Der so befreite
Mensch würde Gott sein, denn er ist individualitätslos geworden; doch kann er nicht so befreit werden — wird es niemals werden.
Wir müssten uns denn eine Handlung Gottes vorstellen, die wieder auf ihn
selbst zurückfiele eine zwecklose, unnütze Handlung. Der Mensch ist
ein Geschöpf. Die Geschöpfe sind die
Gedanken Gottes. Der Gedanke ist seinem Wesen nach
unwiderruflich.
P. Ich verstehe
Sie nicht. Wollen Sie sagen, dass der Mensch sich niemals seines Körpers
entledigen kann?
V. Ich sage, dass er niemals körperlos sein wird.
P. Erklären Sie mir dies näher. —
V. Der Mensch
hat zwei Körper,
einen im Keime vorhandenen und einen vollständigen, welche den beiden
Zuständen der Raupe und des Schmetterlings entsprechen.
Was wir Tod nennen, ist
nichts weiter als eine schmerzhafte Metamorphose
[Verwandlung in eine andere
Gestalt]. Unsere jetzige Inkarnation
[Verkörperung] ist eine fortschreitende, vorbereitende, zeitliche: unsere künftige Inkarnation ist eine vollkommene, endgültige und ewige. Dieses endgültige Leben
ist der Sinn unseres jetzigen.
P. Aber wir haben eine greifbare Kenntnis
von der Metamorphose der Raupe.
V. Wir gewiss, doch nicht die Raupe.
Die Materie, aus der unser unvollendeter Körper
besteht, ist den Organen dieses Körpers erfassbar: oder deutlicher: unsere unvollkommenen Organe
sind der Materie, aus
welcher unser unvollkommener Körper besteht, angepasst, doch nicht der
Materie des vollkommenen Körpers. Dieser ist für unsere unentwickelten
Sinne nicht wahrnehmbar. Wir sehen nur die Schale, die im Verwelken von der
inneren Form fällt, und nicht die Form selbst, die jedoch, gleich wie die
Schale, von denen wahrgenommen werden kann, die das endgültige
Leben schon erreicht haben.
P. Sie haben oft gesagt, dass der magnetische Schlaf dem Tode
sehr nahe komme! Wie geht dies zu?
V. Wenn ich sage, er kommt dem Tode nahe, so meine ich, dass er dem endgültigen Leben gleicht, denn im magnetischen
Zustande feiern die Sinne meines unvollkommenen Lebens, und ich bemerke die
äußeren Dinge direkt ohne Organe
durch ein Mittel,
dessen ich mich im endgültigen unorganischen Leben stets bedienen werde.
P. Im unorganischen Leben?
V. Ja, die Organe
sind Werkzeuge, durch welche das Individuum
mit gewissen Kategorien
und Formen der Materie
mit Ausschluss anderer Kategorien und Formen in Beziehung tritt. Die Organe
des Menschen sind seinem unvollkommenen Zustande, und zwar dem ausschließlich,
angepasst; sein endgültiger Zustand, der unorganisch ist, lässt ihn
alles, unbegrenzt alles verstehen ausgenommen die Natur des Gotteswillens,
d. h. die Bewegung der unpartikulierten Materie.
Sie können sich eine ziemlich deutliche Vorstellung
von dem endgültigen Körper machen, wenn
Sie sich ihn als ein Gehirn vorstellen. Er ist
es nicht, doch macht Ihnen diese Vorstellung leichter verständlich, was
er ist. Ein leuchtender Körper teilt dem lichttragenden
Äther Schwingungen mit. Diese Schwingungen
erzeugen ähnliche auf der Netzhaut, diese teilt ähnliche dem Sehnerv
mit, der Nerv überbringt sie dem Gehirn und das Gehirn der unpartikulierten
Masse, die dasselbe durchdringt. Die Bewegung dieser letzteren ist der Gedanke
und dessen erste Vibration die Wahrnehmung.
Damit haben wir die Art und Weise, in der der Geist unseres unentwickelten Lebens
mit der äußeren Welt verkehrt, und diese äußere Welt wird
in unserem unentwickelten Leben durch die Idiosynkrasie
unserer Organe begrenzt. Im endgültigen unorganischen
Leben verkehrt die äußere Welt mit dem ganzen Körper, der aus
einer Substanz
besteht, die, wie ich schon sagte, dem Gehirn verwandt ist. und zwar ohne andere
Vermittelung als die eines unendlich feineren Äthers als selbst des lichttragenden: und mittels dieses Äthers und in Übereinstimmung mit ihm schwingt der ganze Körper und setzt
die unpartikulierte Materie, die ihn durchdringt, in Bewegung. Das fast unbegrenzte
Wahrnehmungsvermögen im äußeren Leben müssten wir also
dem Mangel an idiosynkratischen Organen zuschreiben. Die Organe sind gewissermaßen Käfige, in welche die unvollkommenen Menschen
eingeschlossen sind, bis sie flügge werden.
P. Sie sprechen von unvollkommenen Wesen?
Gibt es außer dem Menschen noch andere denkende unvollkommene Wesen?
V. Die unzähligen Anhäufungen
feiner Materie in Nebelflecken, Planeten, Sonnen und anderen Körpern, welche
weder Nebelflecke noch Sonnen noch Planeten sind, haben nur den einen Zweck,
den idiosynkratischen Organen einer unendlichen Anzahl unvollkommener Wesen
zur Nahrung zu dienen. Aber ohne die Notwendigkeit des unvollkommenen Lebens, das dem endgültigen Leben voraufgeht, würden
keine solchen Welten existieren. Jede dieser Welten wird von einer unterschiedenen
Art organischer, unvollkommener, denkender Wesen bewohnt. Bei allen entsprechen
die Organe dem allgemeinen Charakter ihrer Wohnstätte.
Nach dem Tode oder der Metamorphose gelangen auch diese Wesen zu dem endgültigen Leben, zur Unsterblichkeit,
und erkennen alle Geheimnisse, nur nicht das Eine,
vollbringen all ihre Handlungen und bewegen sich überallhin durch ihre
bloße Willenstätigkeit; sie bewohnen nicht die Sterne, die wir für
die einzig greifbaren Welten halten und für deren Lauf allein wir uns beschränkterweise
den Raum geschaffen denken. sondern den Raum
selbst: jene Unendlichkeit wirklicher Stofflichkeit, die
die Sterne wie Schatten verschlingt und den Augen der Engel als Nicht-Wesenheiten
erscheinen lässt.
P. Sie sagten, dass ohne die Notwendigkeit des unentwickelten Lebens Gestirne nicht erschaffen worden wären! Doch
woher diese Notwendigkeit?
V. Im unorganischen Leben sowohl wie
in der unorganischen Materie gibt es nichts, was die Handlungen des einen einfachen
großen Gesetzes: des göttlichen Willens, aufhalten könnte. Das organische Leben und die organische Materie, diese
zusammengesetzten, stofflichen, durch ein aus vielen Teilen bestehendes Gesetz
beherrschten Dinge sind zu dem Zwecke
ersonnen worden, ein Hindernis zu schaffen.
P. Aber weiter — woher die Notwendigkeit,
ein Hindernis zu schaffen?
V. Das Resultat des unverletzten
Gesetzes ist Vollkommenheit – Recht negatives Glück. Das Resultat eines verletzten Gesetzes ist Unvollkommenheit, Unrecht, positiver Schmerz. Kraft
der Hindernisse, welche die Zahl, Zusammensetzung
und Körperlichkeit der Gesetze des organischen Lebens und der Materie bilden,
ist die Verletzung des Gesetzes in gewissem Maße möglich. So also
ist der Schmerz,
der im unorganischen Leben unmöglich
ist, im organischen möglich.
P. Zu welchem vernünftigen Zweck ist die Möglichkeit des Schmerzes erschaffen
worden?
V. Alle Dinge sind nur durch Vergleich
gut oder schlecht. Eine
genügende Analyse wird zeigen, dass in allen Fällen der Genuss nur der Kontrast
des Schmerzes ist. Positiver Genuss ist eine bloße Idee. Um bis zu einem
gewissen Punkte glücklich sein zu können, müssen wir bis zu demselben
Punkte gelitten haben. Niemals leiden, heißt, niemals glücklich sein.
Doch habe ich gezeigt, dass es im unorganischen Leben keinen Schmerz gibt. So
stellte sich also die Notwendigkeit des Schmerzes
im organischen Leben heraus. Der Schmerz in unserem
unentwickelten Dasein auf der Erde ist die einzige Grundlage und Bürgschaft für das Glück
im ewigen Leben, im
Himmel.
P. Sie gebrauchten noch einen Ausdruck.
den ich nicht verstehen kann — .jene Unendlichkeit wirklicher Stofflichkeit‘?
V. Das mag daher kommen, dass Sie keine
genügend »gegnerische« Auffassung
von dem Ausdruck »Stofflichkeit« haben.
Wir müssen sie nicht als eine Eigenschaft,
sondern als eine Empfindung hinstellen; es ist die Wahrnehmung denkender Wesen der ihren Organen entsprechenden
Materie. Es gibt auf Erden viele Dinge, die den Bewohnern der Venus ins Nichts
entschwinden würden, und viele sichtbare und greifbare Dinge auf der Venus,
deren Dasein wir nicht wahrnehmen können. Für die unorganischen Wesen
ist die ganze unpartikulierte
Materie Stoff, d. h.: die Ganzheit dessen, was wir Raum nennen, ist für
sie die wirklichste Stofflichkeit; — die Gestirne jedoch entgehen, insoweit
wir sie für die Materie halten, dem Wahrnehmungsvermögen der Engel
im gleichen Maße, wie die uns unstofflich erscheinende unpartikulierte
Materie den Organen.
Da der Schlafwache diese letzten Worte mit sehr schwacher Stimme ausgesprochen,
blickte ich ihn genauer an und bemerkte in seinen Zügen einen Ausdruck,
der mich ein wenig beunruhigte und mich veranlasste, ihn sofort zu wecken. Kaum
hatte ich es getan, so sank er auf seine Kissen zurück und hauchte mit
einem strahlenden Lächeln, das alle seine Züge erhellte, seinen Geist
aus. Ich fand eine Minute später, dass sein Körper starr wie ein Stein
war und seine Stirn kalt wie Eis — so wie sie erst wird, wenn die Hand Azraels sie schon lange berührt hat.
Hatte mir der Schlafwache seine letzten Mitteilungen schon aus dem Schattenreiche
gemacht? S. 184-202
Aus: Heureka und Romantische Erzählungen von Edgar Allan Poe, Band II der
Werke Edgar Allan Poes im Verlag J.C.C.Bruns Minden in Westfalen 1922
Die
Macht des Wortes
OINOS. O Agathos,
verzeihe meinem Geiste, der eben erst in die Unsterblichkeit
einging, diese letzte Schwachheit . . .
AGATHOS. Du hast
nichts gesagt, mein Oinos, das der Verzeihung bedürfte.
Selbst hier kommt die Erkenntnis nicht unwillkürlich, kommt nicht aus bloßer
schauender Seele. Bitte du die Engel nur mutig um Weisheit,
auf dass sie dir gegeben werde!
OINOS. In meinen
Träumen hatte ich gehofft, in diesem jenseitigen
Leben das Wesen
aller Dinge wie durch eine Offenbarung
zu erkennen und so durch restlose Erkenntnis glücklich
zu sein . . .
AGATHOS. Ach, nicht
in der Erkenntnis liegt das Glück,
sondern im Erwerben der Erkenntnis! Etwas
auf Immer zu wissen,
ist ewige Seligkeit; der Gedanke,
alles zu wissen, wäre
unheilvoll wie der Fluch des bösen Feindes.
OINOS. Aber weiß nicht der
Allerhöchste »Alles«?
AGATHOS. Da er auch
der Allerseligste ist, muss dies
das einzige sein, was selbst IHM unbekannt
ist.
OINOS. Aber werden
wir nicht, da unsere Erkenntnis
von Augenblick zu Augenblick wächst. zuletzt einmal alles wissen?
AGATHOS. Blicke
in diese abgründlichen Weiten hinab! Versuche einmal, diese Flucht zahlloser
Sternengärten zu überschauen, während wir jetzt langsam durch
sie dahingleiten weiter — weiter — und immer weiter! Wird nicht
der Blick unseres Geistes fortwährend und
wie durch endlose goldene Mauern aufgehalten?! durch endlose Mauern von Myriaden
leuchtender Körper, deren übergroße Zahl wieder in eine Einheit
zusammen zu rinnen scheint?!
OINOS. Ja — nun erkenne ich klar,
dass die Unendlichkeit
der Materie kein Traum ist.
AGATHOS. Hier im
Eden gibt es keine Träume — doch hörte ich einmal leise sagen,
der einzige Zweck dieser Unendlichkeit der Materie sei der, stets neue, nie
versiegende Quellen zu eröffnen, in denen die Seele ihren Durst nach Erkenntnis
stillen könne, diesen Durst, der ewig in ihr brennt und den zu löschen
ihren Tod be¬deuten würde. Frage mich also, Oinos!
— frage mich mutig und ohne Furcht! Komm mit, wir wollen die laute Harmonie
der Plejaden zu unserer Linken lassen und auf jene stillen Sternenwiesen jenseits
des Orion hinübergleiten, wo statt Veilchen Sternblumen stehen. wo die
Beete dreifacher und dreifarbiger Sonnenblumen leuchten.
OINOS. Und nun,
mein Agathos, belehre mich, während wir dahineilen!
Sprich zu mir in den vertrauten Klängen der Erde! Ich habe nicht verstanden,
was du mir eben über den Ursprung
und die Entwicklung
dessen, was wir während unserer Sterblichkeit Schöpfung
zu nennen gewöhnt waren, andeutetest. Wolltest du sagen, dass der Schöpfer
nicht Gott
ist?
AGATHOS. Ich sage, dass die Gottheit
nicht schafft.
OINOS. Wie soll ich das verstehen?
AGATHOS. Nur
im Anfange schuf ER. Die scheinbaren
»Geschöpfe«, die wir jetzt im
Weltall beständig »werden« sehen, können nur als mittelbare,
allmähliche, nicht als unmittelbare, sofortige Ergebnisse der göttlichen
Schaffenskraft betrachtet werden.
OINOS. Die Menschen,
mein Agathos, würden diesen Gedanken für
äußerst ketzerisch gehalten haben.
AGATHOS. Die Engel, mein Oinos,
wissen, dass er einfach wahr ist.
OINOS. Bis hierher habe ich dich jetzt verstanden! Du sagst,
dass gewisse Handlungen dessen, was wir Natur oder Naturgesetzlichkeit nennen,
unter gewissen Umständen etwas hervorbringen, das lediglich den
Anschein der Erschaffung hat. Ich erinnere mich sehr gut,
dass kurz vor dem Untergange der Erde verschiedene erfolgreiche Experimente
gemacht wurden, von denen einige Philosophen, eitel genug, als von der »Erschaffung
der animalculae« sprachen.
AGATHOS. Die Fälle, von denen du
redest, waren in der Tat Beispiele jener Erschaffung zweiten Grades —
jener überhaupt einzigen Art
von Erschaffung, die da wirkt, seitdem einst das erste Wort das erste Gesetz
ins Dasein rief.
OINOS. Sind nicht jene Sternenwelten,
die stündlich aus dem Abgrunde des Nichtseins in die Himmel emporsprühen
— sind nicht diese Sterne das unmittelbare Werk SEINER Hände?
AGATHOS. Ich will versuchen, mein Oinos,
dich Schritt für Schritt in meine Erkenntnis einzuführen. Du weißt
sehr wohl, dass kein Gedanke verloren gehen kann und jede Handlung eine unendliche
Wirkung hat. Als wir noch die Erde bewohnten, bewegten wir zum Beispiel unsere
Hände und brachten dadurch die Atmosphäre, die den Erdball umgürtete,
in Schwingung. Die Schwingung griff unbegrenzt um sich, bis sie jedes kleinste
Teilchen der Erdenluft bewegt hatte, das von jetzt ab für immer durch die
eine Bewegung der Hand beeinflusst worden war. Diese Tatsache war den Mathematikern
unserer Erde wohl bekannt. Die durch bestimmte Einflüsse auf die Atmosphäre
hervorgerufenen Wirkungen waren oft Gegenstand exakter Berechnungen —
man bestimmte mit Leichtigkeit, zu welcher Zeit ein Einfluss von gegebener Stärke
sich über den Erdkreis ausgebreitet und auf jedes Atom der Atmosphäre
auf immer eingewirkt
haben würde. Und umgekehrt rechnete man ohne Schwierigkeit aus einer unter
gewissen Umständen gegebenen Wirkung die Stärke des ersten Einflusses
heraus. Die Mathematiker nun, die erkannten. dass die Wirkungen eines jeden
Einflusses absolut unbegrenzte seien, die einsahen, dass ein Teil dieser Wirkungen
mittels der algebraischen Analyse aufs genaueste zu berechnen sei, und die sich
auch von der leichten Anwendbarkeit der retrogradiven Berechnung überzeugt
hatten — diese Männer erfuhren zu gleicher Zeit, dass die Spezies
der Analyse in sich selbst die Fähigkeit zu unbegrenzter Vervollkommnung
trage — dass ihrer Ausdehnung und ihrer Anwendbarkeit keine anderen Grenzen
gezogen seien als die, welche auch den Verstand des jeweiligen Rechners beschränkten.
Bei diesem Punkte jedoch blieben unsere Mathematiker stehen.
OINOS. Und weshalb,
Agathos, hätten sie weitergehen sollen?
AGATHOS. Weil sie dann zu einigen höchst
interessanten Betrachtungen gekommen wären. Aus dem, was sie wussten, ging
nämlich hervor, dass ein Wesen von unbegrenztem
Verstande, ein Wesen, das
die algebraische Analyse
vollkommen ausüben konnte, jeden Einfluss auf die
Luft. und durch die Luft jeden Einfluss auf den Äther,
bis in seine weitliegendsten Folgen zu dem unendlich entferntesten Zeitpunkte
auszurechnen befähigt sein müsse. Es lässt sich in der Tat beweisen,
dass jeder Einfluss auf die Luft zum Schlusse auf jede Erscheinung im Weltall
seine Wirkung ausübt; und das Wesen von unbegrenztem Verstande, das wir
uns eben vorgestellt haben, könnte die entfernten Schwingungen eines Einflusses
weiter verfolgen weiter in allen seinen Wirkungen auf jedes Atom der Materie
— aufwärts und weiter in allen Veränderungen, die sie bei alten
Formen hervorrufen. oder, mit anderen Worten, bis dahin, wo sie eben Neues
schaffen — und noch weiter, bis dahin, wo sie sich,
endlich wirkungslos geworden, am Throne der Gottheit zerschlagen.
Und nicht nur dieses könnte ein solches Wesen tun, es könnte auch
zu jeder Zeit aus jedem gegebenen Resultate — zum Beispiel aus einem der
zahllosen Kometen — durch die retrogradive Analyse herausrechnen, welchem
ersten Anstoße es sein Dasein verdankt. Natürlich ist es das Vorrecht
der Gottheit allein, die retrogradive Analyse in dieser absoluten Vollkommenheit
anwenden und zu jeder Zeit jede
Wirkung auf ihre Ursache zurückführen zu können: doch besitzt
die ganze Schar der Engel-Intelligenzen diese Fähigkeit in allen Gradstufen
bis kurz an die Vollkommenheit hinan.
OINOS. Du sprachest aber bloß von
Einflüssen auf die Luft!
AGATHOS. Wenn ich von der Luft sprach,
bezog ich mich bloß auf die Erde, aber meine Grundbehauptung trifft auch
für alle Einflüsse auf den Rhythmus des Äthers
zu, der, weil er, und zwar er allein,
den ganzen Raum durchdringt,
das große Medium aller Schöpfung
ist.
OINOS. Also jede Bewegung
schafft, welcher Natur sie auch immer sei?!
AGATHOS. Es muss
so sein: doch lehrt uns jede tiefer eindringende Philosophie
seit langem, dass alle Bewegung ihren Ursprung
im Gedanken hat,
und die Quelle jedes Gedankens ist —
OINOS. GOTT!
AGATHOS. Ich sprach zu dir, Oinos, einem
Kinde der schönen Erde, die vor kurzem unterging, sprach zu dir von den
Einflüssen auf die Atmosphäre der Erde. Durchzuckte da nicht plötzlich
ein Gedanke an die physische
Macht des Wortes deinen
Sinn? Hat nicht jedes gesprochene Wort Einfluss auf die Atmosphäre?
OINOS. Weshalb, Agathos,
weinst du jetzt plötzlich — und weshalb, o weshalb, lässest
du deine Schwingen sinken, während wir über diesen schönen Stern
dahinschweben, — den grünsten und doch zerklüftetsten, den wir
auf unserem Fluge gesehen? Seine strahlenden Blumen gemahnen mich an einen schönen
Traum seine tobenden Vulkane an die Leidenschaften eines unseligen Menschenherzens!
AGATHOS. Sie sind
es auch — Sie sind es auch! Vor drei Jahrhunderten
rief ich diesen Stern mit gerungenen Händen und überströmenden
Augen zu Füßen meiner Geliebten durch wenige leidenschaftliche Worte
ins Dasein. Seine strahlenden Blumen entblühten dem schönsten aller,
ach! unerfüllten Träume, und seine tobenden Vulkane sind in Wahrheit
die Leidenschaften
eines unseligen Menschenherzens. S. 203-209
Aus: Heureka und Romantische Erzählungen von Edgar Allan Poe, Band II der
Werke Edgar Allan Poes im Verlag J.C.C.Bruns Minden in Westfalen 1922
Der
schaffende Gedanke Gottes
Poe an Lowell (1844)
Ich glaube nicht an die Geistigkeit und halte sie
nur für ein Wort. Niemand hat sich einen Begriff vom Geiste machen können.
Was nicht ist, können wir uns nicht vorstellen. Wir täuschen uns selbst
mit der Idee einer unendlich geläuterten Materie. Die Materie entzieht
sich den Sinnen stufenweise: ein Stein, ein Metall, eine Flüssigkeit, die
Atmosphäre, ein Gas, der Äther, der das Licht trägt. Darüber
hinaus gibt es noch andere verdünnte Modifikationen. Aber mit allen verbinden
wir den Begriff einer Zusammensetzung von Teilen, einer Bildung aus Atomen.
Nur deshalb glauben wir, dass der Geist verschieden sei; denn der Geist, so
sagen wir uns, besteht nicht aus Teilen und ist also keine Materie. Es ist jedoch
klar, dass, wenn wir mit unsren Ideen weit genug gehen, wir an einen Punkt kommen
werden, wo die Teile sich verschmelzen; denn obgleich die Atome unendlich klein
sind, ist eine unendliche Kleinheit der Zwischenräume absurd.
Die nicht atomische Materie,
die alles durchdringt und beseelt, ist Gott.
Ihre Wirksamkeit ist der schaffende Gedanke Gottes.
Der Mensch und die anderen denkenden Wesen sind Individualisationen
der nicht atomischen Materie. Der Mensch existiert
als »Person«,
weil er in (atomische) Materie gehüllt ist,
die ihn sondert. So umhüllt, lebt er ein niederes Leben. Was wir Tod nennen,
ist nur die schmerzhafte Wandlung. Die Sterne sind die Wohnungen von Wesen unentwickelter
Form. Im Tode wird aus dem Wurm der Schmetterling, der noch immer von Materie
ist, aber von einer Materie, die unsere Organe nicht erkennen. Vielleicht, dass
gelegentlich der Hellseher (sleep-waker) direkt,
ohne Organe, auf mesmeristischem Wege sie zu erkennen vermag. So kann ein Hellseher
Geistererscheinungen sehen. S.329f.
Aus: Geist und Geisteswelt, Fragmente aus der Literatur des Übersinnlichen
von Thomas Wandler, Rudolf Kaemmerer Verlag, Berlin-Dresden 1923
Aus
Heureka – Versuch über das materielle und geistige Weltall
Ich will von dem physischen, metaphysischen
und mathematischen — vom materiellen und geistigen Weltall sprechen:
von seinem Wesen und Ursprung, seiner Schöpfung,
seinem gegenwärtigen Zustand und seiner Zukunft. Zudem
bin ich verwegen genug, zu Folgerungen herauszufordern, durch deren Aussagen
der Scharfsinn vieler großer und mit Recht verehrter Gelehrter in Frage
gestellt wird.
Zu Beginn möchte ich so scharf wie möglich — nicht die Theorie
verkünden, die ich zu beweisen hoffe — denn, die Mathematiker mögen
behaupten, was sie wollen, es gibt, in dieser Welt wenigstens, durchaus
nichts derart wie einen Beweis; nur den leitenden Gedanken
möchte ich aussprechen, zu dem ich dieses ganze Buch hindurch den Leser
verführen will.
Meine allgemeine Behauptung also ist: In der
ursprünglichen Einheit des ersten Dinges liegt die Ursache aller Dinge,
mit der Anlage zu ihrer unvermeidlichen Vernichtung.
Um sich diesen Gedanken anschaulich zu machen, schlage ich vor, das Weltall
dergestalt mit den Blicken zu umfassen, dass der Geist imstande ist, den Eindruck
eines Individuums zu erhalten, zu gewahren.
Wer vom Gipfel des Ätna seine Augen gemächlich umherschweifen lässt,
wird hauptsächlich von der Ausdehnung
und Verschiedenartigkeit des
Bildes berührt. Nur, wenn er sich schnell auf dem Absatz herumdrehte, könnte
er hoffen, das Panorama in der Herrlichkeit seines Einsseins zu erfassen. Aber
da noch niemand daran gedacht hat, sich auf der Spitze des Ätna auf dem
Absatz herumzudrehen, so hat noch niemand die volle Einzigkeit des Anblicks
in sein Hirn aufgenommen; und so hinwiederum haben die mannigfachen Betrachtungen,
die in dieser Einzigkeit gebettet liegen, bisher noch kein wirksames Dasein
für die Menschheit gehabt.
Ich kenne überhaupt keine Untersuchung, in der ein Überblick über
das Weltall — dieses
Wort in seiner umfassendsten und einzig berechtigten Bedeutung genommen —
gegeben würde; und es mag schon hier erwähnt werden, dass ich überall
in diesem Versuch, wo ich das Wort »Weltall«
ohne besonderen Zusatz anwende, das Folgende damit ausdrücken will: die
denkbar weiteste Ausdehnung des Raumes, einbegriffen alle geistigen und materiellen
Dinge, deren Existenz man sich innerhalb des Bezirks dieser Ausdehnung vorstellen
kann. Wenn ich dagegen von dem spreche, was gewöhnlich
unter dem »Weltall« begriffen wird,
so wähle ich die einschränkende Bezeichnung »das
Sternenweltall«. Aus dem Folgenden wird man ersehen, weshalb diese
Unterscheidung notwendig scheint.
Doch selbst unter den Untersuchungen, die sich mit dem tatsächlich begrenzten,
wenn auch angeblich unbegrenzten
Sternenweltall beschäftigen,
kenne ich keine, in der ein Überblick auch nur über dieses begrenzte
All so gegeben wäre, dass man daraus auf seine Individualität
zu schließen berechtigt wäre. Am nächsten kommt einem solchen
Werk der »Kosmos« Alexanders
von Humboldt. Jedoch stellt er den Gegenstand nicht
in seiner Individualität
dar, sondern in seiner mannigfaltigen Gesamtheit. Sein Thema in seinem letzten
Ergebnis ist das Gesetz eines jeden
Teils des bloß körperlich-räumlichen Weltalls, so wie dieses
Gesetz verknüpft ist mit den Gesetzen eines
jeden anderen Teiles dieses bloß körperlich
- räumlichen Alls. Ihm handelt es sich nur um die Verknüpfung und
das Verschleifen des Mannigfaltigen. In einem Wort: er erörtert die Gesamtheit
der materiellen Beziehungen und enthüllt dem Auge der Philosophie alle
Folgerungen, die bisher hinter
dieser Gesamtheit verborgen gelegen haben. So erstaunlich er jedoch in gedrängtem
Überblick jeden Punkt seines Gegenstandes behandelt hat, die bloße
Menge dieser Punkte bringt notwendigerweise ein Anwachsen des Details und so
ein Verkümmern des Geistigen mit sich, so dass keinerlei Eindruck von Individualität
aufkommen kann.
Mir scheint, wenn wir dieses Ziel, und damit die Folgerungen, Schlüsse,
Eindrücke, Spekulationen oder, wenn sich nichts Besseres bietet, bloß
die Vermutungen erlangen wollen, die sich aus ihm ergeben, dann tut uns so etwas
not wie ein geistiges Auf-dem-Absatz-Herumdrehen. Wir brauchen eine so stürmische
Bewegung aller Dinge um den Mittelpunkt des Schauens, dass das Unbedeutende
völlig verschwindet und das Auffallende sich in
eins vermengt. In einem Überblick dieser Art befänden
sich unter den verschwindenden Einzelheiten alle ausschließlich irdischen
Angelegenheiten. Die Erde würde nur in ihren Planetenbeziehungen beachtet.
In dieser Schau wird der Mensch zur Menschheit, ein Glied in der kosmischen
Familie geistbegabter Wesen. S. 4-7 […]
Beginnen wir also ganz oben mit dem leersten aller Worte: »Unendlichkeit«.
Dieses Wort, ebenso wie »Gott«,
»Geist« und
noch so einige Ausdrücke, die es entsprechend in allen Sprachen gibt, ist
keineswegs die Bezeichnung für eine Vorstellung,
sondern lediglich für ein Streben
dahin. Es bezeichnet den Versuch, das Unaussprechliche auszusprechen. Man brauchte
einen Ausdruck, der die Richtung dieses Bemühens festhalten sollte –
die Wolke, hinter der ewig unsichtbar das Ziel dieses Strebens
lag. Kurz, ein Wort war nötig, mit Hilfe dessen ein Mensch sich mit einem
andern Menschen, und zwar mit einer bestimmten Tendenz
des Menschengeistes, in Verbindung bringen konnte. Aus
dieser Erfordernis entsprang das Wort »Unendlichkeit«,
das demnach nur das Symbol für den Begriff
eines Begriffs ist.
Hinsichtlich dieser Unendlichkeit, die uns hier
beschäftigt — der Unendlichkeit des
Raums — hören
wir oft sagen, dieser Begriff sei zulässig — beruhe darauf —
sei unumgänglich —, weil jede Vorstellung einer Begrenzung noch schwieriger
zu fassen sei. Aber das ist nun eine der Phrasen,
mit denen selbst tiefe Denker, wie zeitweilig vom Geist verlassen, gelegentlich
sich selbst betrügen wollten. Der Trugschluss versteckt sich hinter dem
Wort »Schwierigkeit«. Man sagt uns,
der Geist hege die Vorstellung der Unbegrenztheit,
weil es noch schwieriger sei, sich einen begrenzten Raum
vorzustellen. Wäre nun diese Behauptung richtig formuliert, so wäre
ihre vollkommene Torheit ohne weiteres sichtbar. Ganz gewiss nämlich gibt
es in diesem Fall keine bloße Schwierigkeit.
Die Aussage, die man machen müsste, wenn man ihr den eigentlich gemeinten
Ausdruck ohne jede Sophisterei geben wollte, würde folgendermaßen
aussehen: »Der Geist bildet den Begriff der Unbegrenztheit,
weil die Vorstellung des begrenzten Raums noch unmöglicher
ist.«
Nun sieht man sofort, dass es sich hier nicht um zwei Aussagen handelt, deren
größere oder geringere Glaubwürdigkeit der Verstand untersuchen
soll, oder um zwei Behauptungen, deren Begründung geprüft werden soll,
vielmehr geht die Frage um zwei Vorstellungen, die einander direkt entgegengesetzt
sind, die beide zugestandenermaßen unmöglich sind, und da wird nun
gesagt, die eine könne der Verstand um deswillen fassen, weil die andere
zu hegen noch unmöglicher sei. Nicht
zwischen zwei Schwierigkeiten wird gewählt: man wählt vielmehr in
der Einbildung —
zwischen zwei Unmöglichkeiten. Bei den ersteren gibt es nun Gradunterschiede,
aber nicht bei letzteren. Eine Aufgabe kann mehr oder weniger schwierig sein,
aber sie ist entweder möglich oder unmöglich — da gibt es kein
mehr oder weniger. Man kann etwa sagen: es ist schwieriger, die Anden zu besteigen
als einen Ameisenhaufen; aber es kann nicht unmöglicher sein, die Materie
der Anden zu vernichten als die Materie des Ameisenhaufens. Jemand kann mit
geringerer Schwierigkeit zehn Fuß springen als zwanzig; aber es ist ebenso
unmöglich, in den Mond zu springen wie auf den Hundsstern.
Da all das unleugbar ist; da der Geist in unserem Falle zwischen unmöglichen
Vorstellungen zu wählen hat; da eine Unmöglichkeit nicht größer
sein kann als die andere, und da also eine der andern nicht vorgezogen werden
kann, bleibt den Philosophen, die aus den erwähnten Gründen die menschliche
Vorstellung der Unendlichkeit, nein, sogar die Unendlichkeit als Tatsache behaupten
wollen, nichts anderes übrig, als zu beweisen, dass ein unmögliches
Ding möglich sei, indem sie zeigen, das ein anderes Ding — ebenfalls
unmöglich ist. Man wird sagen, das sei Unsinn, und vielleicht ist es so;
ich für mein Teil halte es in der Tat für kapitalen Unsinn, verzichte
aber auf den Anspruch, es für meinen Unsinn auszugeben.
Jedoch die beste Art, aufzudecken, wie falsch die philosophische Beweisführung
in dieser Frage ist, besteht darin, einfach auf eine Tatsache hinzuweisen, die
man bisher übersehen hat — die Tatsache nämlich, dass diese
Beweisführung ihre eigene Behauptung sowohl beweist als widerlegt. »Der
Geist ist genötigt,« so sagen die Theologen und andere Gelehrte,
»eine erste Ursache
anzunehmen, weil sich ihm die größere Schwierigkeit entgegenstellt,
immerfort Ursachen aus Ursachen ohne Ende anzunehmen.« Der Trugschluss
liegt wie vorher in dem Wort »Schwierigkeit«;
aber sehen wir doch, zu welcher Behauptung es hier verwandt wird. Eine erste
Ursache wird behauptet. Und was ist eine erste Ursache? Die Grenze, hinter der
keine Ursachen
mehr sind. Und was ist eine solche Grenze anders als das Ende, die Endlichkeit?
So wird in zwei Beweisführungen voll Gott weiß wieviel Philosophen
derselbe Trugschluss gemacht, um einmal die Endlichkeit
und das zweite Mal die Unendlichkeit herauszubringen;
vielleicht könnte man auf diesem Wege auch noch das oder jenes beweisen?
Die Trugschlüsse mindestens sind ganz unerträglich. Aber von ihnen
abgesehen; was sie beweisen, ist in beiden Fällen dasselbe Nichts.
Ich hoffe, niemand kommt auf den Gedanken ich wolle hier die absolute Unmöglichkeit
dessen behaupten, was wir mit dem Wort »Unendlichkeit«
zu erreichen bestrebt sind. Mein einziger Zweck ist, die Torheit aufzudecken,
die darin besteht, dass man die Unendlichkeit an sich selbst oder auch nur unsere
Vorstellung von ihr durch so alberne Methoden, wie sie gewöhnlich angewandt
werden, beweisen will.
Trotzdem möchte ich mir aber für mich persönlich die Bemerkung
erlauben, dass ich mir die Unendlichkeit nicht
vorstellen kann, und dass ich überzeugt bin, kein Mensch
könne es. Ein Geist, der sich selbst nicht gründlicher kennt, der
nicht daran gewöhnt ist, genau zu prüfen und zu untersuchen, was in
ihm selbst vorgeht, wird sich allerdings oft täuschen und glauben, er habe
die Vorstellung, von der hier die Rede ist. In dem Bemühen, sie zu haben,
gehen wir Schritt um Schritt weiter, und in der Phantasie geht es so weiter
und weiter zurück; und solange wir dieses Bemühen fortsetzen, können
wir in der Tat sagen, dass wir die Tendenz
haben, den Begriff zu bilden; und je länger wir dieses Bemühen unseres
Geistes festhalten, um so stärker ist der Eindruck, dass wir die Vorstellung
tatsächlich haben oder gehabt haben. Aber genau in dem Moment, wo wir dieses
Bemühen einstellen wo wir glauben, den fertigen Begriff zu haben —
die Vorstellung in uns vollendet zu haben —, da purzelt das ganze Gebäude
unserer Phantasie
zusammen, da wir ja bei einem letzten, also endlich begrenzten Punkt stehen
geblieben sind. Diese Tatsache entgeht uns aber um deswillen, weil der Moment,
wo wir den letzten Punkt festgehalten hatten, und der Moment, wo wir mit Denken
innehalten, völlig zusammenfallen. Und wenn wir anderseits versuchen, den
Begriff eines endlichen
Raums zu bilden, so verläuft der Vorgang gerade umgekehrt, und die Sache
stellt sich ebenfalls als unmöglich heraus.
Wir glauben an Gott.
Es bleibt uns unbenommen, an einen endlichen
oder unendlichen Raum zu
glauben; aber unser
Glaube in solchen Fällen ist recht eigentlich ein Glaubensartikel und weit
entfernt von jenem andern Glauben, von jener Gewissheit
des Intellekts,
die die Voraussetzung für jede Vorstellungstätigkeit des Geistes bildet.
Es ist eine Tatsache, dass jedesmal, wenn ein Ausdruck von der Gattung, zu der
»Unendlichkeit« gehört, ausgesprochen
wird — von der Gattung der Begriffe
von Begriffen — für alle, die überhaupt
denken, nicht die Möglichkeit besteht, eine Vorstellung zu haben; es gelingt
nur, den Blick des Geistes auf einen gegebenen Punkt am Firmament des Verstandes
zu richten, auf einen Nebelfleck, der nicht weiter zerlegt werden kann. Der
denkende Mensch bemüht sich auch nicht, ihn zu zerlegen; mit sicherem Instinkt
bemerkt er sofort, dass es unmöglich ist, und vor allem: dass es für
alle menschlichen Zwecke überflüssig ist, ihn zu zerlegen. Er gewahrt,
dass die Gottheit die Lösung dieses Geheimnisses
nicht gewollt
hat. Er sieht sofort, dass es außerhalb des Menschenhirnes liegt, er sieht
auch, wieso, wennschon nicht genau, warum. Es gibt freilich Leute, die durch
ihr Bemühen, das Unerreichbare zu erreichen, und daneben durch den Jargon,
den sie von sich geben, unter denen, die denken, sie denken, und denen Dunkelheit
und Tiefe gleichbedeutend sind, den sehr zweifelhaften Ruhm des Tiefsinns erwerben;
aber die edelste Eigenschaft des Geistes ist seine Selbsterkenntnis; und man
könnte etwas doppelsinnig sagen: kein Nebel des Geistes kann weiter greifen
als der, der sich bis zu den Grenzen unserer Erkenntnis erstreckt und gerade
diese Grenzen nicht mehr begreift.
Der Leser wird nun also verstehen: wenn ich die Worte »Unendlichkeit
des Raums« anwende, so verlange ich nicht die unmögliche Vorstellung
einer absoluten
Unendlichkeit. Ich meine nur »die
denkbar größte Ausdehnung« des Raums —
einen schattenhaften und schwankenden Bezirk, der bald einschrumpft und bald
anschwillt, entsprechend den schwankenden Energien der Phantasie.
Bisher betrachtete man
das Sternenweltall immer als zusammenfallend mit dem Weltall überhaupt,
wie ich es zu Beginn dieser Abhandlung definiert habe. Man hielt es immer mehr
oder weniger ausgesprochen mit der Annahme — wenigstens seit dem Anbruch
der wissenschaftlichen Astronomie — dass wir an dem äußersten
Punkt des Raums, den wir irgend erreichen können, immer noch nach allen
Richtungen ein unendliches Sternenheer finden würden. Diesen unhaltbaren
Gedanken hegte Pascal, als er den vielleicht gelungensten
Versuch machte, die Vorstellung zu umschreiben,
nach der wir mit dem Wort »Weltall« ringen.
Er nennt es »eine Kugel, deren Mittelpunkt überall,
deren Umfang nirgends ist«. Der Wortlaut dieser Definition trifft
in der Tat auf das Sternenweltall
nicht zu, aber wir können ihn mit einiger Einschränkung als Definition
des eigentlichen Weltalls,
das heißt des räumlichen Alls, akzeptieren; für alle praktischen
Zwecke genügt er jedenfalls. Betrachten wir also das räumliche All
als »eine Kugel, deren Mittelpunkt überall,
deren Umfang nirgends ist«. Während es uns nämlich
unmöglich ist, uns ein Ende des
Raums auszudenken, macht es uns in Wahrheit keine
Schwierigkeit, uns einen Raum mit einer Unendlichkeit
von Anfängen auszumalen.
Nehmen wir also die Gottheit zu
unserm Ausgangspunkt. Was die Aussagen über diese Gottheit an und für
sich betrifft, so ist allein der kein Dummkopf, allein der kein Frevler, der
— nichts über sie aussagt. »Nous ne connaissons
rien«, sagt der Baron de Bielfeld,
»nous ne connaissons rien de la nature ou de l‘essence
de Dieu: — pour savoir ce qu‘il est, il faut être Dieu même.«
— »Wir wissen absolut nichts
von der Natur oder dem Wesen Gottes — um zu verstehen,
was er ist, müssten wir selbst Gott sein.«
»Wir müssten selbst Gott sein!«
Trotz dieses niederschmetternden Satzes wage ich doch die Frage, ob dieses gegenwärtige
Nichtwissen über das Wesen der Gottheit ein Nichtwissen
ist, zu dem die Seele
ewig verdammt ist.
Wie dem auch sei —: Er also — der zum wenigsten
jetzt der Unfassbare ist — Er also — ein geistiges
Wesen — damit meine ich: nicht materiell
— diese Unterscheidung
ersetzt für wissenschaftliche Zwecke eine umständliche Definition
– Er also habe einmal — mit dieser Voraussetzung wollen wir uns
heute Nacht begnügen — als geistiges Wesen existiert — und
da habe er uns — an irgendeinem Punkt
des Raums, den wir als Mittelpunkt
annehmen wollen — zu irgend einer Zeit, in die einzudringen wir
uns nicht vermessen, die aber jedenfalls ungeheuer entfernt ist — da also,
sage ich, habe er uns erschaffen — oder kraft seines Willens aus dem Nichts
geholt — erschaffen — als was?
Dies ist ein bedeutsamer Moment in unserer Untersuchung.
Als was dürfen wir einzig und allein vermuten, erstmals und ursprünglich
erschaffen worden zu sein?
Wir sind zu einem Punkt gelangt, wo nur Intuition
uns weiterhelfen kann — aber zunächst muss ich noch einmal darauf
hinweisen, was allein wir uns unter Intuition vorstellen dürfen. Sie ist
lediglich die Überzeugung, die aus Induktionen
oder Deduktionen
entspringt, die so schattenhaft verlaufen, dass sie unserem Bewusstsein entgehen,
unsere Aufmerksamkeit nicht erregen oder sich der Ausdrucksmöglichkeit
entziehen. In diesem Sinne behaupte ich nun — eine
völlig unwiderstehliche, wiewohl unaussprechbare Intuition
bringt mich zu dem Schlusse: Was Gott ursprünglich geschaffen hat —
die Materie, die
er kraft seines Willens zuerst aus seinem Geiste oder aus dem Nichts
machte — konnte
nichts anderes gewesen sein, als Materie im denkbar größten Grade
von – wovon? — von Einfachheit.
Dies wird in meiner Abhandlung der einzige Satz sein, der lediglich ein
Postulat
ist. Ich gebrauche das Wort »Postulat«
in seinem üblichen Sinn; aber ich behaupte, selbst dieser Satz, von dem
ich ausgehe, ist wahrhaftig sehr, sehr weit davon entfernt, in Wirklichkeit
bloß ein Postulat zu sein. Nichts ist je
sicherer gewesen — kein Schluss,
den je Menschen gezogen haben, war regelrechter, war strenger abgeleitet
— aber ach! das Verfahren liegt jenseits der menschenmöglichen Denktätigkeit
– in jedem Falle jenseits der menschlichen Sprache.
Gehen wir nun an die Untersuchung, was Materie sein muss, wenn sie im absoluten,
im äußersten Zustand der Einfachheit
ist. Da denken wir sofort an Ungeschiedenheit — an
einen Kern — an einen Kern — einen Kern einer
Art – eines Charakters
— einer Natur —
einer Größe —
einer Gestalt — an einen Kern also ohne
Gestalt, »öde und leer« —
einen Kern, der ganz und gar Kern ist, ganz einzig, ein ungeteiltes Individuum,
das nur darum nicht unteilbar ist, weil Der, der es kraft seines Willens schuf,
es doch wohl durch eine unendlich geringere Anstrengung sein Willens auch teilen
kann.
Einheit
also ist alles, was ich von der Materie im Moment der ursprünglichen Schöpfung
aussage; aber ich werde zeigen, dass dieses
Prinzip der Einheit
völlig genug ist, um den Ursprung,
die gegenwärtigen Erscheinungen und die unvermeidliche, schließliche
Vernichtung wenigstens des materiellen Weltalls zu erklären.
Die Bereitschaft, der ursprüngliche Kern zu sein, hat die Tat, oder besser
gesagt die Empfängnis der Schöpfung
vollendet. Wir gehen jetzt dazu über, zu untersuchen, zu welchem Ende wohl
der Kern erschaffen wurde — das heißt, soweit wir
jetzt schon imstande sind, dieses Ziel
zu erkennen — die Entstehung des Weltalls eben aus diesem Kern.
Diese Entstehung entsprang daraus, dass das, was ursprünglich, also normalerweise
Eins war, in den unnormalen
Zustand der Vielheit
gezwungen wurde. Eine
Aktion dieser Art bedingt die Reaktion. Eine unter diesen Bedingungen vor sich
gehende Zerstreuung aus der Einheit
heraus schließt die Tendenz in sich, wieder zur
Einheit zurückzukehren – diese Tendenz ist unausrottbar, bis
ihr Genüge getan ist. Aber darauf komme ich späterhin ausführlicher.
Die Annahme völliger Einheit im ursprünglichen Kern schließt
die Annahme unendlicher Teilbarkeit ein. Stellen wir uns also vor, der Kern
sei durch die Zerstreuung in den Raum nahezu vollständig erschöpft.
Nehmen wir an, von dem einen Kern als Mittelpunkt seien nach allen Richtungen
— kugelförmig — in unermesslich große, aber doch begrenzte
Entfernungen eine unaussprechlich große, doch beschränkte Zahl unvorstellbar,
aber doch nicht unendlich kleiner Atome in den vorher leeren Raum ausgestrahlt.
Wenn wir nun diese so zerstreuten oder in Zerstreuung
begriffenen Atome betrachten, ihre Quelle wie den Charakter des Plans, den ihre
Zerstreuung aufweist, was sind da wohl die Bedingungen dieser Zerstreuung, die
wir nicht etwa annehmen, sondern direkt folgern dürfen? Da Einheit
ihre Quelle ist und Entfernen
von der Einheit der Charakter des Plans, der in ihrer Zerstreuung
hervortritt, dürfen wir getrost vermuten, dass dieser Charakter
wenigstens im allgemeinen während der Durchführung des Plans beibehalten
bleibt und einen Teil von ihm bildet — das heißt: wir dürfen
uns getrost vorstellen, dass fortgesetzt und allenthalben von der Einzigkeit
und Einfachheit des Ursprungs abgewichen wird.
Aber sind wir berechtigt, um dieser Gründe willen anzunehmen, dass die
Atome heterogen, ungleichartig, ungleich groß und
ungleich entfernt voneinander sind? Deutlicher ausgedrückt: sollen
wir annehmen, dass nicht zwei Atome in ihrer Zerstreuung dieselbe Natur oder
dieselbe Gestalt oder dieselbe Größe haben? — und nachdem ihre
Zerstreuung im Raume vollendet ist, dass sie alle ungleich weit voneinander
entfernt sind? Auf diese Weise, unter solchen Umständen verstehen wir sehr
leicht und sofort die konsequente und sehr einfache Durchführung eines
jeden solchen Plans, wie ich ihn beschrieben habe, bis zur Vollendung —
Mannigfaltigkeit aus der Einheit — Verschiedenheit aus der Identität
— Heterogenität aus der Homogenität — Kompliziertheit
aus der Einfachheit — in einem Wort, die größte Mehrheit der
Rivalitäten aus
dem erhaben unrelativen
Einen.
Zweifellos also wären wir berechtigt, all das, was ich angeführt habe,
anzunehmen, wenn nicht zu erwägen wäre,
erstens, dass man einem göttlichen
Akte nichts Überflüssiges zutrauen darf, und
zweitens, dass die Sache, die
wir im Auge haben, ebenso tunlich erscheint, wenn einige der fraglichen Bedingungen
im Anfang in Wegfall kommen, als wenn wir annehmen, sie seien alle von vornherein
vorhanden. Was ich sagen will, ist, dass einige wegfallen können, weil
sie im Rest enthalten sind oder wenigstens so unmittelbar daraus folgen, dass
kein Unterschied wahrzunehmen ist.
Verschiedenheit der Größe
zum Beispiel geht ohne weiteres daraus hervor, dass ein Atom auf Grund der Verschiedenheit
der einzelnen Abstände einem zweiten Atom vor einem dritten den Vorzug
gibt, wobei an Verschiedenheiten der einzelnen
Abstände zwischen Quantitätszentren in benachbarten Atomen von verschiedener
Gestalt zu denken ist — eine Sache, die der im allgemeinen
gleichförmigen Verteilung der Atome durchaus nicht widerspricht. Ebenso
leicht ist zu verstehen, dass Verschiedenheit in der Art
sich lediglich aus Verschiedenheiten in Größe
und Gestalt ergibt, die als mehr oder weniger zusammenfallend zu betrachten
sind; — in der Tat können wir, da die Einheit
des ursprünglichen Kerns absolute Homogenität
in sich schließt, uns die Atome im Augenblicke ihrer Zerstreuung nicht
der Art nach verschieden denken — es sei denn, dass wir gleichzeitig annehmen,
der göttliche Wille trete
bei Entsendung eines jeden Atoms in Kraft, um in jedem eine Veränderung
seiner Wesenheit hervorzubringen – eine so tolle Vorstellung ist um so
weniger zu dulden, als das beabsichtigte Ziel ebensowohl ohne solche kleinliche
und mühevolle Einmischung erreicht wird.
Alles in allem sehen wir also, dass es überflüssig und demnach unphilosophisch
wäre, von den Atomen in Bezug auf ihre Hervorbringungen irgend mehr auszusagen
als Verschiedenheit der Gestalt
im Augenblick ihrer Zerstreuung und Verschiedenheit der einzelnen Abstände
nach der Zerstreuung — da alle übrigen Verschiedenheiten sich ohne
weiteres aus diesen in den allerersten Stadien der Körperbildung ergeben:
— wir begründen das Weltall so auf einer rein
geometrischen Grundlage. Selbstverständlich ist es
durchaus nicht notwendig, eine absolute Verschiedenheit auch nur der Gestalt
zwischen allen ausgestrahlten Atomen anzunehmen, ebensowenig wie absolute Verschiedenheit
der einzelnen Abstände in Bezug auf das Verhältnis eines jeden Atoms
zu jedem anzunehmen ist. Lediglich die Erkenntnis wird erfordert, dass keine
benachbarten Atome
von gleicher Gestalt sind — keine Atome, die sich jemals einander nähern
können, bis zu ihrer unvermeidlichen Wiedervereinigung am Ende.
Obwohl, wie gesagt, die aus ihrer Einheit ge¬rissenen Atome von vornherein
und unausgesetzt während ihrer unnormalen Zerstreuung die Ten¬denz
haben, zu ihrer normalen Einheit zurückzukehren, so ist es doch klar, dass
dieser Tendenz zunächst nicht Folge gegeben wird — dass sie eine
Tendenz ist und weiter nichts — bis die zerstreuende Energie nachlässt
und so der Tendenz die Freiheit lässt, sich Genüge zu tun. Da der
göttliche Akt als endgültig
betrachtet wird und aufhört, sowie die Zerstreuung vollendet ist, so verstehen
wir, dass sofort eine Reaktion
eintritt — mit andern Worten, dass die Tendenz der getrennten Atome, in
Eins zurückzukehren, sich Genüge tun kann.
Aber wenn die zerstreuende Energie nachlässt und in der weiteren Durchführung
des Grundplans — der möglichst
erschöpfenden Beziehungen nunmehr die Reaktion einsetzt,
so gerät nun gerade durch die Tendenz zur Rückkehr, die sich allgemein
durchsetzen will, der Plan in Gefahr, im einzelnen gestört zu werden. Vielheit
ist das Ziel; aber es gibt nichts, was benachbarte Atome verbinden könnte,
schon bevor sie irgendwie die Ziele. die die Vielheit
mit sich führen würde, erreicht haben, sich nunmehr sofort
der Reaktionstendenz zu überlassen und untereinander die absolute
Einheit herzustellen; nichts kann die Aggregation zahlreicher
einheitlicher Massen an zahlreichen Punkten des Raumes
hemmen; mit andern Worten: nichts widerstreitet der Ansammlung zahlreicher Massen,
von denen jede absolut Eins
ist.
Wir sehen also, dass es zur wirksamen und durchgreifenden Ausführung des
allgemeinen Plans einer Repulsionskraft [abstoßender
Kraft] mit begrenzter Energie bedarf — ein für sich bestehendes
Etwas
ist nötig, das beim Nachlassen des zerstreuenden Willens gleichzeitig die
Annäherung der Atome zulässt und ihre Verbindung verhindert; das erlaubt,
dass sie sich unendlich nahe kommen, ihre positive Berührung aber ablehnt;
in einem Wort, dieses Etwas muss —
bis zu einem gewissen Zeitpunkt — die Macht haben,
ihr tatsächliches Zusammenkommen
zu verhindern, während es ihm nicht zusteht, ihr Entgegenkommen
— in mannigfacher Hinsicht und bis zum äußersten
Grade — irgend zu stören.
Die Repulsion, die in anderer Hinsicht, wie erwähnt, so ganz besonders
beschränkt ist, hat — ich wiederhole es nur bis
zu einem gewissen Zeitpunkt die Macht, ihr absolutes Zusammenkommen
zu verhindern. Wir können uns unmöglich vorstellen, das Verlangen
der Atome nach Einheit sei dazu verurteilt, niemals
erfüllt zu werden; wir können uns nicht vorstellen,
was einmal angefangen hat, komme niemals zu einem Ende — obwohl oft genug
gesagt oder geträumt wird, solche Art Vorstellung sei möglich. Wir
sind vielmehr zu der Folgerung genötigt, dass der Einfluss der Repulsion
schließlich — wenn die Einheitstendenz
in der Gesamtheit wirksam ist, aber niemals auch nur im
geringsten vorher, ehe in Erfüllung der göttlichen Zwecke diese Gesamttendenz
sich natürlich zur Geltung bringt — dass also dann die Repulsion
einer andern Macht weicht, die ihr in diesem letzten Zeitraum genau in dem erforderlichen
Umfange an Einfluss überlegen ist: so fällt dann das Weltall in das
unvermeidliche, weil ursprüngliche und demnach normale Eine
wieder zurück. Die Umstände, die hier miteinander
in Einklang zu bringen sind, sind in der Tat sehr schwierig; es ist uns sogar
nicht möglich, zu verstehen, wie sie in Einklang kommen können; nichtsdestoweniger
ist die scheinbare Unmöglichkeit ein Prinzip, das sich aufs lebhafteste
aufdrängt.
Dass das repulsive [abstoßende]
Etwas wirklich existiert,
sehen wir. Wir verwenden
und kennen keine Kraft, die imstande wäre, zwei Atome miteinander zu verschmelzen.
Dies ist nichts anderes als der wohlbegründete Satz von der Undurchdringlichkeit
der Materie. Jedes Experiment beweist sie — jede Philosophie nimmt sie
an. Die Bestimmung der Repulsion - die Notwendigkeit ihres Vorhandenseins habe
ich zu zeigen versucht; aber von jedem Versuche, ihre Natur zu ergründen,
habe ich in scheuer Ehrfurcht Abstand genommen, und zwar auf Grund intuitiver
Überzeugung, dass das Prinzip in seinem Ausfluss ein rein geistiges ist
— dass es in eine Form gehüllt ist, die jetzt in unserem Menschenzustande
— von uns nicht erfasst werden kann — in die Form des Geistes
an sich. In einem Wort, ich fühle hier, und hier allein,
die Dazwischenkunft [Eingreifen]
des Gottes, weil hier, hier allein, die Verschlingung
so war, dass die Dazwischenkunft des Gottes geboten war.
Während wir in der Tat die Tendenz der zerstreuten Atome. zur
Einheit zurückzukehren, sofort als Newtons Prinzip der Gravitation
erkennen werden, gewahren wir, dass der von mir so genannte repulsive Einfluss,
der der (sofortigen) Durchführung der Tendenz
Schranken setzt, nichts anderes ist als das,
was wir bisher gewohnt waren, bald Wärme, bald Magnetismus, bald Elektrizität
zu nennen; wie wenig wir von seinem Ehrfurcht gebietenden Charakter wussten,
zeigten wir durch die schwankende Terminologie, mit deren Hilfe wir ihn umschreiben
wollten.
Nennen wir diesen Einfluss, nur für den Augenblick, Elektrizität,
so wissen wir, dass jede experimentelle Erforschung der Elektrizität zum
letzten Ergebnis das Prinzip oder Scheinprinzip der Heterogenität
[Ungleichartigkeit,
Verschiedenheit, Uneinheitlichkeit im Aufbau] hatte. Nur
da, wo Dinge voneinander verschieden sind, ist Elektrizität wahrzunehmen;
und, man darf annehmen, dass sie nie voneinander
verschieden sind, ohne dass sie wirksam, wenn schon
nicht wahrnehmbar ist. Dieses Ergebnis nun stimmt völlig überein mit
dem, was ich auf nichtempirischem Wege gefunden habe. Ich habe behauptet, die
Bestimmung des repulsiven Einflusses bestehe darin, die sofortige Einheit der
zerstreuten Atome zu hindern; und diese Atome sind als voneinander verschieden
dargestellt. Verschiedenheit ist
ihr Charakter — ihr Wesen, gerade wie Nichtverschiedenheit
das Wesen ihres Trachtens war. Wenn wir also sagen, ein Versuch, zwei
beliebige von diesen Atomen zusammenzubringen. bringe den repulsiven Einfluss
zu dem Bemühen, dieses Verschmelzen zu verhindern, so können wir uns
ebensowohl des genau entsprechenden Satzes bedienen und sagen: ein Versuch,
zwei Verschiedenheiten zusammenzubringen, führt zur Entwicklung von Elektrizität.
Alle Körper, die es gibt, sind natürlich aus diesen Atomen, die sich
nachbarlich berühren, zusammengesetzt und müssen also als bloße
Ansammlungen von größeren oder kleineren Verschiedenheiten betrachtet
werden; und wenn man so zwei beliebige Ansammlungen zusammenbringen wollte,
so wäre die Größe des Widerstandes, den der repulsive Geist
ausübt, im Verhältnis der zwei Summen der Verschiedenheiten in jeder
Ansammlung um eine abgekürzte Formel für diesen Ausdruck zu geben:
Der Grad der Elektrizität, die bei Annäherung
zweier Körper entwickelt wird, ist proportional dem Unterschied zwischen
den zwei Summen der Atome, aus denen die Körper zusammengesetzt sind.
Dass keine zwei Körper
absolut gleich sind, ist lediglich ein Zusatz zu dem hier Gesagten. Die Elektrizität
also, die überall ist, entwickelt sich, wenn irgend
zwei Körper einander genähert werden, aber sie wird erst
wahrnehmbar, wenn es sich um Körper von merklicher
Verschiedenheit handelt.
Auf die Elektrizität also — ich fahre fort, diese Bezeichnung vorläufig
anzuwenden — können wir mit gutem Grunde die verschiedenen physikalischen
Erscheinungen des Lichts, der Wärme und des Magnetismus zurückführen;
aber noch weit weniger brauchen wir fürchten, zu irren, wenn wir von diesem
völlig unkörperlichen Prinzip die wichtigeren Erscheinungen der Lebenskraft,
des Bewusstseins
und des Denkens
ableiten. Über diesen Gegenstand will ich mich indessen an dieser
Stelle nicht weiter verbreiten; ich weise nur auf das hin,
was sich aufdrängt, mag man diese Erscheinungen im allgemeinen oder im
speziellen betrachten: dass sie nämlich mindestens
proportional dem Heterogenen sich zu verhalten scheinen.
Nehmen wir nun von den beiden zweideutigen Ausdrücken »Gravitation«
und »Elektrizität« Abschied und
bedienen wir uns der entschiedeneren Bezeichnungen »Attraktion«
[Anziehung] und »Repulsion«
[Abstoßung]. Erstere ist der Körper; letztere ist die Seele:
die eine ist das materielle, die andere das geistige Prinzip des Weltalls.
Es gibt keine andern Prinzipien. Alle Erscheinungen sind
auf das eine oder das andere oder auf eine Kombination beider zurückzuführen.
So ausnahmslos ist das der Fall, so völlig zu erweisen ist es, dass Attraktion
und Repulsion die einzigen Attribute sind, durch die wir das Weltall wahrnehmen
— anders ausgedrückt, durch die die Materie sich unserer Erkenntnis
offenbart — dass wir für alle Zwecke der bloßen Beweisführung
völlig zu der Annahme berechtigt sind, die Materie existiere
nur als Attraktion und Repulsion — dass Attraktion
und Repulsion die Materie sind — indem wir uns keinen Fall denken können,
in dem wir nicht das Wort »Materie«
und die Worte »Attraktion« und »Repulsion«
(für eins genommen) als gleichbedeutende Bezeichnungen
in der Logik anwenden
und also auch miteinander vertauschen dürften.
Ich sagte vorhin, was ich als die Tendenz der zerstreuten Atome, in ihre ursprüngliche
Einheit zurückzukehren, beschrieben habe,
müsse als identisch mit Newtons Prinzip des
Gravitationsgesetzes aufgefasst werden; und in der Tat kann eine solche Auffassung
nur geringe Schwierigkeit machen, wenn wir Newtons Gravitation nur ganz im allgemeinen,
als die Kraft, die die Materie dazu treibt, Materie anzuziehen, betrachten;
das heißt, wenn wir den bekannten modus
operandi [Art und Weise des Handelns,
Tätigwerdens] der Newtonschen Kraft
nicht beachten. Die Übereinstimmung im allgemeinen befriedigt uns; aber
wenn wir näher zusehen, dann bemerken wir im speziellen vieles, was nicht
zu stimmen scheint, und vieles, wo wenigstens keine Übereinstimmung konstatiert
ist. Zum Beispiel scheint die Newtonsche Gravitation,
wenn wir an bestimmte Formen denken, ganz und gar nicht
eine Tendenz zur Einheit zu
sein, sondern eher eine Tendenz aller Körper nach allen Richtungen —
und dieser Satz scheint doch eine Tendenz zur Zerstreuung auszudrücken.
Hier also fehlt die Übereinstimmung. Wenn wir ferner an das mathematische
Gesetz denken, dass
die Newtonische Tendenz beherrscht, so sehen wir
klar, dass keine Übereinstimmung in Bezug auf den modus operandi wenigstens
zwischen der Gravitation, wie sie bekannt ist, und der scheinbar einfachen und
unmittelbaren Tendenz, die ich angenommen habe, ausgemacht ist.
Hier habe ich nun in der Tat den Punkt erreicht, wo es ratsam erscheint, meine
Position dadurch zu stärken, dass ich meine Darstellungsmethode umkehre.
Bisher sind wir a
priori vorgegangen, von dem abstrakten
Begriff der Einfachheit
aus, der sehr geeignet war, den ursprünglichen Akt Gottes zu charakterisieren.
Sehen wir jetzt zu, ob die festgestellten Tatsachen der Newtonischen
Gravitation uns nicht a
posteriori mit einigen Induktionen
fördern können.
Was erklärt das Gesetz
Newtons? Dass alle Körper
sich gegenseitig anziehen, und zwar mit Kräften, die dem Quadrat ihrer
Entfernungen proportional sind. Absichtlich habe ich an erster Stelle die gewöhnliche
Fassung des Gesetzes gegeben, und ich gestehe: in dieser, wie in vielen andern
üblichen Fassungen großer Wahrheiten, finden wir wenig, was uns erleuchten
könnte. Wählen wir daher jetzt eine philosophischere Terminologie:
Jedes Atom eines jeden Körpers zieht
jedes andere Atom sowohl seines eigenen wie jedes andern Körpers mit einer
Kraft an, die sich umgekehrt verhält wie die Quadrate der Entfernungen
zwischen dem anziehenden und dem angezogenen Atom. So ergießt
sich in der Tat ein Strom der Erleuchtung über unsern Geist.
Aber sehen wir genau zu, was Newton eigentlich
bewiesen hat —
entsprechend den höchst widersinnigen Definitionen des Begriffs
»Beweis«,
wie sie die metaphysischen Schulen uns vorschreiben. Er war genötigt, sich
damit zu begnügen, zu zeigen, wie völlig identisch die Bewegungen
eines lediglich begrifflich vorhandenen Weltalls, das aus anziehenden und angezogenen
Atomen besteht, die dem Gesetz, das er kündete,
gehorchen, mit den Bewegungen des tatsächlich vorhandenen Weltalls sind,
soweit es unserer Beobachtung zugänglich ist. Dies war der Inhalt seiner
Demonstration —
das heißt, dies war ihr Inhalt nach der Versicherung des konventionellen
Cant der »Philosophien«. Seine Nachfolger
häuften Beweise auf Beweise
- Beweise in dem Sinne, wie ein unbefangener Verstand das Wort versteht
— aber die Demonstration
des Gesetzes selbst, so versichern die Metaphysiker,
sei nicht im geringsten verbessert worden. Indessen wurde endlich sehr zur Genugtuung
einiger intellektueller Erdarbeiter der »sichtbare,
experimentelle Beweis« der Attraktion auf dieser
Erde, in Übereinstimmung mit der Theorie Newtons,
geführt. Dieser Beweis fand sich nebenbei
und zufällig ein (wie fast alle wichtigen Wahrheiten),
als man sich bemühte, die Durchschnittsfestigkeit der Erde festzustellen.
Bei den berühmten Experimenten, die Maskelyne, Cavendish
und Bailly zu diesem Zweck anstellten, wurde die
Anziehung der Masse eines Berges gesehen, gefühlt, gemessen, und es stellte
sich heraus, dass sie mathematisch genau mit der unsterblichen Theorie des englischen
Astronomen übereinstimmte.
Aber trotz dieser Bestätigung dessen, was keiner Bestätigung bedurfte
— trotz der so genannten Unterstützung der »Theorie«
durch den so genannten »sichtbaren und experimentellen Beweis« trotz
des Charakters dieser
Unterstützung —. trotz alledem ist es zu sehen, dass die Vorstellungen,
die sich selbst wirklich philosophisch angelegte Männer hinsichtlich der
Gravitation einflößen lassen — und insbesondere die Vorstellungen,
die der ge¬meine Mann hegt und hartnäckig festhält, fast immer
auf einen besonderen Fall des Prinzips zurückgehen —
der lediglich auf dem Planeten gilt, auf dem sie stehen.
Wohin muss nun eine so beschränkte Auffassung führen? Zu welcher Art
Irrtum verleitet
sie? Auf der Erde sehen
und fühlen wir lediglich,
dass die Gravitation alle Körper gegen den Mittelpunkt
der Erde zieht. Kein Mensch ist auf den gewöhnlichen Wegen des Lebens dazu
zu bringen, irgend etwas anderes zu sehen oder zu fühlen — zu der
Wahrnehmung
zu bringen, dass irgend etwas irgendwo eine gravitierende Tendenz nach irgendeiner
andern Richtung hat als nach dem Mittelpunkt der Erde;
und doch ist es (mit einer Ausnahme, die hernach angeführt
wird) Tatsache, dass jedes irdische Ding (um jetzt
nicht von jedem himmlischen Dinge zu reden) eine Tendenz hat nicht nur
nach dem Mittelpunkt der Erde, sondern auch noch in jeder denkbaren andern Richtung.
Nun kann man freilich nicht behaupten, die Philosophen
irrten ebenso
in dieser Sache wie der gemeine Mann, aber trotzdem gestatten sie der Stimmung
dieser verbreiteten Auffassung, einen Einfluss auf sie zu üben, ohne dass
sie es wissen.
»Die Märchen des Altertums werden zwar nicht mehr geglaubt,«
so sagt Bryant in seiner sehr gelehrten »Mythologie«,
»aber wir vergessen uns fortwährend und ziehen
Schlüsse aus ihnen, als ob es tatsächlich vorhandene Wirklichkeiten
waren«.
Was ich behaupten will, ist: die bloße Sinneswahrnehmung
der Gravitation, wie wir sie auf der Erde kennen lernen, verführt uns Menschen
zu der trügerischen Vorstellung, sie bestehe
in dem Streben nach dem Mittelpunkt
und gehöre also der Erde an — diese Sinneswahrnehmung hat selbst
die mächtigsten Geister auf die Abwege dieses Irrtums gelenkt und sie anhaltend,
wenn schon unmerklich, von den wirklichen Merkmalen des Prinzips entfernt und
sie so bis zum heutigen Tage verhindert, die bedeutungsvolle
Wahrheit auch nur zu ahnen, die gerade in der umgekehrten Richtung liegt
— hinter den wesentlichen Merkmalen
des Prinzips, die nicht nach dem Mittelpunkt und der Erde weisen, sondern nach
dem Weltall und der Zerstreuung. Diese »bedeutungsvolle
Wahrheit« ist: die Einheit
als Quelle des Phänomens.
Ich wiederhole noch einmal die Definition der Gravitation: Jedes
Atom eines jeden Körpers zieht jedes andere Atom, sowohl seines eigenen
wie jedes andern Körpers an mit einer Kraft, die sich umgekehrt verhält
wie die Quadrate der Entfernungen zwischen dem anziehenden und dem angezogenen
Atom.
Hier bitte ich nun die Leser, mit mir einen Augenblick innezuhalten und die
wunderbare — die unsägliche — die völlig unfassbare Kompliziertheit
der Beziehungen zu betrachten, die in der Tatsache liegt, dass jedes
Atom jedes andere Atom anzieht – lediglich in dieser
Tatsache der Anziehung, ohne Rücksicht auf das Gesetz oder die Art und
Weise, worin die Anziehung sich äußert —
lediglich in der Tatsache, dass jedes Atom jedes andere
Atom jeden Falles anzieht, bei einer so wilden Unzahl von Atomen, dass die,
die zur Zusammensetzung einer Kanonenkugel gehören, wahrscheinlich, bloß
die Anzahl in Betracht gezogen. die Menge der Sterne, die das Weltall bilden,
übertreffen.
Hätten wir einfach entdeckt, dass jedes Atom einem bestimmten Lieblingspunkt
zustrebe — einem besonders anziehenden Atom — so wäre uns damit
schon eine Entdeckung auf gestoßen, die an und für sich genügt
hätte, den Geist zu überwältigen: — aber wie ganz anders
ist doch das, was uns in Wirklichkeit zu fassen zugemutet wird? Jedes Atom soll
jedes andere Atom anziehen, soll sich zu seinen feinsten Bewegungen hingezogen
fühlen, und zwar zu jedem einzelnen, zu allen zusammen zur selben Zeit,
für immer und nach einem bestimmten Gesetz, dessen Kompliziertheit, selbst
wenn wir es für sich allein betrachten könnten, bei weitem über
die Fassungskraft des Menschen hinausginge.
Wenn ich daran gehe, den Einfluss des Stäubchens in einem Sonnenstrahl
auf das Nachbarstäubchen festzustellen, kann ich meine Aufgabe erst dann
als erfüllt betrachten, wenn ich vorher sämtliche Atome des Weltalls
zähle und wiege und die genaue Lage eines jeden in einem bestimmten Augenblick
feststelle. Wenn ich es wage, das mikroskopische Staubteilchen, das jetzt auf
meiner Fingerspitze liegt, auch nur um den billionsten Teil eines Zolls von
seiner Stelle zu rücken, was für eine Tat ist es, zu der ich den Mut
hatte! Ich habe ein Werk vollbracht, das den Mond aus seinen Bahnen schleudert,
das es zuwege bringt, dass die Sonne nicht länger mehr die Sonne ist, und
das für ewige Zeiten das Geschick der zahllosen Myriaden von Sternen ändert,
die sich flammend um den Thron ihres Schöpfers wälzen.
Diese Ideen
— so beschaffene Vorstellungen — unausdenkbare
Gedanken — Seelenträume eher als Schlüsse oder auch nur Erwägungen
des Verstandes: — so beschaffene Ideen, ich
wiederhole es, sind es einzig, mit deren Hilfe wir etwa hoffen können,
das große Prinzip zu fassen: das Prinzip
der Attraktion.
Nun aber, ergriffen von
diesen Ideen — ergriffen von dieser Vision
der wunderbaren Kompliziertheit der Attraktion — so soll nun irgend jemand,
der befugt ist, solche Dinge im Geiste zu tragen, sich an die Aufgabe machen,
ein Prinzip für
diese von uns beobachteten Phänomene zu ersinnen
— den Zustand zu bezeichnen, aus dem sie entsprungen sind.
Weist nicht diese offenbare Verbrüderung der Atome auf gemeinsame Abstammung
hin? Legt nicht diese Sympathie, die so allbeherrschend, so unvertilgbar, so
durchaus rücksichtslos ist, die Vermutung nahe, dass sie alle Kinder eines
Vaters sind? Und erinnert sich unsere Vernunft nicht gern bei einem Extrem an
das entgegengesetzte? Bringt uns nicht die Unendlichkeit der Teilung auf den
äußersten Inbegriff des unteilbaren Individuums?
Deutet nicht die vollendetste Kompliziertheit auf das ausbündig Einfache?
Nicht, dass die Atome,
wie wir sie sehen, geteilt sind oder dass ihre gegenseitigen Beziehungen
kompliziert sind — sondern dass sie unausdenkbar geteilt und unsäglich
kompliziert sind: darauf, auf diese völlige Extravaganz der Umstände
kommt es mir hier an, nicht auf die Umstände an sich Mit einem Wort: sind
nicht die Atome darum, weil sie in alter Zeit einmal noch mehr
als beisammen, weil sie ursprünglich und also in ihrer
normalen Verfassung Eins waren — sind sie nicht gerade darum jetzt unter
allen Umständen — in allen Stücken – nach allen Richtungen
— mittels aller Arten der Annäherung — in allen Beziehungen
und ohne jede Rücksicht — im Kampf um die Heimkehr begriffen,
zurück zu diesem absolut,
unrelativ und bedingungslos Einen?
Hier könnte jemand den Einwand erheben:
»Wenn es so ist, dass
die Atome zum Einen zurückbegehren,
warum sind wir dann nicht in der Lage, die Attraktion als eine »völlig
allgemeine Tendenz gegen einen Mittelpunkt« definieren zu können?
warum insbesondere kehren deine Atome — die Atome, die nach deiner Beschreibung
von einem Mittelpunkt ausgestrahlt sind — nicht geradenwegs zum Zentralpunkt
ihres Ursprungs zurück?«
Darauf antworte ich: das tun sie,
wie ich genau zeigen werde; aber die Ursache, dass sie es tun, hat gar keine
Beziehung zu dem Mittelpunkt als solchem. Sie streben alle geradlinig einem
Mittelpunkte zu, weil sie kugelförmig in den Raum ausgestrahlt waren. Jedes
Atom, das eine im allgemeinen gleichförmige Kugel von Atomen bilden hilft,
findet natürlich in der Richtung nach dein Mittelpunkte mehr Atome als
in jeder andern, und wird daher nach dieser Richtung hin getrieben — aber
es wird nicht deshalb
dahingetrieben, weil der Mittelpunkt der Punkt seines Ursprungs wäre. Die
Atome sind nicht von einem bestimmten Punkt
abhängig. Ich nehme nicht an, dass es die Räumlichkeit sei, weder
im Konkreten noch im Abstrakten, woran sie gebunden sind.
Nichts Räumliches habe
ich als ihren Ursprung erklärt. Ihr Erzeuger
ist das Prinzip der Einheit.
Das ist ihr verlorener Vater. Diese Einheit suchen
sie stets — unmittelbar in allen Richtungen überall, wo sie auch
nur teilweise zu finden ist: so stillen sie einigermaßen das unausrottbare
Verlangen, so lange sie noch auf dem Wege zur völligen Befriedigung begriffen
sind, die sie am Ende finden. Aus alledem folgt, dass jedes Prinzip, das imstande
ist, uns den Grund für das Gesetz oder
den modus operandi der Anziehungskraft im allgemeinen anzugeben,
auch imstande sein wird, dieses Gesetz im besonderen zu erklären —
das heißt, jedes Prinzip, das zeigt, warum die Atome dem gemeinsamen
Zentrum ihrer Ausstrahlung
mit einer Kraft zustreben, die dem Quadrat der Entfernungen proportional ist,
wird auch gleichzeitig imstande sein, die demselben Gesetz entsprechende gegenseitige
Anziehung der Atome untereinander zu erklären; denn das Streben nach dem
Zentrum ist nichts anderes als das Streben eines jeden Atoms zu jedem, und keineswegs
ein Streben nach einem Zentrum als solchem. — So sieht man nun auch, dass
die Anerkennung meiner Aufstellungen keineswegs die Nötigung
in sich schließt, die Ausdrucksweise in Newtons
Definition der Gravitation zu ändern; diese erklärt, dass jedes Atom
jedes andere Atom so und so anzieht. und erklärt lediglich dieses; aber
es scheint (immer vorausgesetzt, dass meine Behauptungen
sich schließlich als wahr herausstellen) klar, dass mancher naheliegende
Irrtum in den künftigen Untersuchungen der Wissenschaft vermieden werden
könnte, wenn ein etwas ausgiebigerer Wortlaut akzeptiert würde zum
Beispiel: »Jedes Atom strebt zu jedem andern Atom,
etc., mit einer Kraft etc.,: was
zum gemeinsamen Ergebnis hat ein Streben aller mit derselben Kraft nach einem
gemeinsamen Zentrum.«
Die Umkehrung unserer Darstellungsmethode hat uns also zu dem nämlichen
Resultat geführt wie vorher; aber während die Intuition
bei der zuerst angewandten Methode
der Ausgangspunkt war, bildet sie bei der andern den Schlussstein. Als ich mich
zuerst auf den Weg machte, konnte ich nur sagen, dass ich mit unwiderstehlicher
Intuition fühle,
dass Einheit das Charakteristische an der ursprünglichen
Aktion Gottes ausmache — am Ende des zweiten
Weges aber kann ich nur erklären, dass ich mit unwiderstehlicher Intuition
gewahre, dass Einheit der Ursprung der beobachteten Phänomene der
Newtonischen Gravitation ist. So also, nach der Auffassung der Schulgelehrten,
beweise ich nichts.
— So möge es sein: — nicht beweisen, nur hinweisen will ich
— und überzeugen
durch mein Hinweisen. Voll Stolz gewahre ich, dass es viele sehr tiefe und vorsichtig
prüfende Köpfe gibt, die nicht anders können
als ausnehmend zufrieden sein mit meinen — Hinweisen. Für diese Köpfe
— wie für meinen eigenen — gibt es keine mathematische Demonstration,
die auch nur den geringsten Wahrheitsbeweis
der großen Wahrheit
hinzufügen könnte, die ich aufgestellt habe
— der Wahrheit der ursprünglichen Einheit als Quelle — als
Prinzip der Phänomene des Weltalls. Ich für mein Teil bin nicht so
gewiss, dass ich spreche und sehe - ich bin nicht
so gewiss, dass mein Herz schlägt und meine Seele lebt - dass morgen die
Sonne aufgeht — eine Wahrscheinlichkeit,
die jetzt noch in der Zukunft liegt - nicht ein Tausendstel so gewiss zu sein
kann ich mich rühmen wie von der unweigerlich erledigten
Tatsache,
dass alle Dinge und alle Begriffe von Dingen mit all der unsagbar großen
Menge ihrer Beziehungen und Bedingtheiten auf einmal
ins Dasein geschossen
sind aus dem urersten und unbedingten Einen.
In Bezug auf die Newtonische Gravitation sagt Dr.
Nichol, der beredte Verfasser der »Architektur
des Himmels«: — »In Wahrheit
haben wir kein Recht zu der Annahme, dass dieses große Gesetz, so wie
es uns jetzt enthüllt ist, die letzte oder einfachste und dadurch die universelle
und allumfassende Form einer großen Regel sei. Das Verhältnis, in
dem seine Intensität sich je nach der Entfernung verringert, sieht nicht
nach einem letzten Prinzip aus; dieses setzt immer
die Einfachheit und Selbstevidenz der Axiome
voraus, die die Grundlage der Geometrie bilden.«
Nun ist es allerdings ganz richtig, dass »letzte
Prinzipien« im üblichen Sinne des Ausdrucks immer die Einfachheit
geometrischer Axiome voraussetzen (so
ein Ding wie »Selbstevidenz« gibt es nicht), aber diese Prinzipien
sind selbstverständlich keine »letzten«;
mit andern Worten: was wir gewohnt sind Prinzipien oder letzte Ursachen zu nennen,
sind es genau genommen nicht — da es nur eine letzte Ursache, nur ein
Prinzip geben kann:
den Willen Gottes. Wir haben demnach kein Recht, auf Grund dessen,
was wir in der Form von Regeln beobachten, denen wir törichterweise den
Namen »Prinzipien« zu geben beschlossen
haben, irgend etwas in Bezug auf die Merkmale eines wirklichen Prinzips anzunehmen.
Die »letzten Prinzipien«, von deren
geometrischer Einfachheit Dr.
Nichol spricht, können diese geometrische Gestaltung haben und haben
sie in der Tat, da sie einen Bestandteil eines ausgedehnten geometrischen Systems
bilden und so allerdings ein System der Einfachheit
sind — deren wahrhaft letztes Prinzip aber, wie wir wissen, das
Verzehren des Zusammengesetzten — das heißt des Nichtintelligiblen
— ist — denn ist das Wesen des göttlichen
Geistes nicht Einfachheit?
Ich berief mich indessen nicht eigentlich darum auf die Bemerkung Dr.
Nichols, um seine Philosophie in Frage zu stellen, sondern vielmehr,
um bei der Gelegenheit auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass von keiner
Seite ein Versuch gemacht worden ist — obwohl alle Welt zugegeben hat,
dass irgendein Prinzip
hinter dem Gravitationsgesetz stecken muss —, zu bestimmen, worin
dieses Prinzip eigentlich besteht
— abgesehen vielleicht von gelegentlichen phantastischen
Versuchen, es mit dem Magnetismus
oder Mesmerismius oder Swedenborgianismus oder
Transzendentalismus oder sonst einem entzückenden -ismus desselben Schlags
in Verbindung zu bringen — die alle miteinander von ein und demselben
Schlag Menschen gehegt werden.
Der große Geist Newtons, der das Gesetz selbst
kühn erfasste, entzog sich der Erklärung dieses Gesetzes durch ein
Prinzip. Der Scharfsinn Laplaces,
der beweglicher und mindestens umfassender, wenn nicht tiefer bohrend war, hatte
nicht den Mut, das Problem anzugreifen. Aber vielleicht ist es nicht so sehr
schwer, solches Zögern bei diesen zwei Astronomen zu verstehen. Sie waren,
wie alle Mathematiker ersten Ranges, nur Mathematiker:
wenigstens hatte ihr Geist eine stark ausgesprochene mathematisch-physikalische
Tönung.
Was nicht deutlich im Bereich der Physik
oder Mathematik
lag, war ihnen etwas nicht Vorhandenes oder völlig schattenhaft. Dagegen
dürfen wir uns wohl wundern, dass Leibniz,
der in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Ausnahme von der Regel war und dessen
Geistesart eine seltsame Mischung des Mathematischen mit dem Physikalisch-Metaphysischen
war, den fraglichen Punkt nicht sofort aufspürte und feststellte. Newton
wie Laplace hätten sich beide. wenn sie das
Prinzip gesucht und dabei gefunden hätten,
dass es ein physikalisches nicht
gäbe, mit dem Schlusse beruhigt, dass es überhaupt keines gäbe:
aber fast unmöglich ist es, sich vorzustellen, dass
Leibniz nach fruchtlosem Absuchen des Bereiches der Physik nicht sofort
seinen Fuß kühn und voll Hoffnung auf das altvertraute Gebiet im
Königreiche der Metaphysik
gesetzt hätte. In seinem Falle ist es in der Tat klar, dass er es unternommen
haben muss, den Schatz
zu suchen — dass er ihn schließlich nicht gefunden hat, kommt vielleicht
daher, dass die Fee, die ihn führen sollte, die Phantasie,
bei ihm nicht reich oder ausgebildet genug war, um ihn auf den rechten Weg zu
bringen.
Ich erwähnte vorhin einige tatsächlich vorhandene tastende Versuche,
die Gravitation auf etliche sehr unbestimmte -ismusse zurückzuführen.
Diese Versuche jedoch, obwohl sie — mit Recht — kühn genannt
wurden, gingen lediglich auf das Allgemeine — das leerste Allgemeine —
am Gesetz Newtons aus. Nie ist man meines Wissens
darangegangen, seinen modus operandi zu erklären. Ich habe daher allen
Grund zu der Befürchtung, dass man mich von vornherein, bevor ich noch
recht meine Behauptungen denen vorlegen kann, die allein berufen sind, über
sie zu entscheiden, für verrückt halten wird, wenn ich hier ausspreche,
dass der modus operandi des Gravitationsgesetzes eine ausnehmend einfache Sache
und vollkommen zu erklären ist — dann nämlich, wenn wir uns
ihm in geeignetem Aufstieg und in der rechten Richtung nähern — wenn
wir ihn vom richtigen Standpunkt aus betrachten.
Gleichviel, ob wir die Idee, dass absolute
Einheit die
Quelle aller Dinge ist, aus der Betrachtung der Einfachheit
gewinnen, die der nächstliegende Wesenszug der ursprünglichen Aktion
Gottes ist; — oder ob wir zu ihr durch eine Übersicht über die
Gesamtheit der Beziehungen der gravitierenden Phänomene gelangen: oder
ob wir zu diesem Ergebnis dadurch kommen, dass wir die beiden Methoden einander
unterstützen lassen; — gleichviel, jedenfalls haben wir die Idee,
wenn überhaupt, nur in unlöslicher Verbindung mit einer andern mit
der Vorstellung von der besonderen Beschaffenheit des Sternenweltalls, wie wir
es jetzt gewahren —
das heißt, einer unermesslichen Zerstreuung
im Raume. Nun kann aber eine Verbindung zwischen
diesen beiden Ideen — Einheit und Zerstreuung —
nur dadurch hergestellt werden, dass wir eine dritte Idee
haben — die der Ausstrahlung. Wenn
absolute Einheit als Zentrum aufgefasst wird, dann ist das existierende Sternenweltall
das Ergebnis einer Ausstrahlung aus
diesem Zentrum.
Die Gesetze der Strahlung sind nun aber bekannt.
Sie sind ein untrennbares Zubehör der
sphärischen Geometrie. Sie gehören zu der Klasse
der nichtdiskutierbaren geometrischen Besitztümer. Wir sagen von ihnen:
»sie sind wahr – sie sind evident.«
Zu fragen, warum sie wahr sind, wäre dasselbe, wie wenn man fragte,
warum die Axiome wahr seien, auf die ihr Beweis sich stützt. Genau genommen
ist nichts beweisbar: aber wenn überhaupt etwas bewiesen ist, dann sind
es diese Gesetze! Aber — was sagen diese Gesetze? Wie — auf welchen
Bahnen bewegt sich die Ausstrahlung aus einem Zentrum heraus?
Von einer Lichtquelle
strahle Licht aus; wir
nehmen an, das Licht werde von einer gegebenen Ebene aufgefangen, die ihre Lage
so verändere, dass sie sich dem Lichtzentrum bald nähere, bald sich
von ihm entferne; dann werden die Lichtmengen, die die Ebene empfängt,
im selben Verhältnis kleiner werden wie die Quadrate der Entfernungen zwischen
der Ebene und dem leuchtenden Körper größer werden; und ebenso
werden sie im selben Verhältnis größer werden, wie die Quadrate
kleiner werden.
Die Formel des Gesetzes kann so verallgemeinert werden: — die Zahl der
Licht-Teilchen (oder, wenn dieser Ausdruck vorgezogen
wird, die Zahl der Licht-Eindrücke), die von der bewegten Fläche
empfangen werden, ist den Quadraten der Entfernungen der
Ebene umgekehrt proportional.
Wenn wir noch einmal verallgemeinern, so können wir sagen, dass
die Zerstreuung die Verteilung — die Ausstrahlung
mit einem Wort den Quadraten der Entfernungen
direkt proportional ist.
Zum Beispiel: in der Entfernung B vom Lichtzentrum A aus sind
eine bestimmte Zahl Partikeln so zerteilt, dass sie die Fläche B einnehmen.
In der doppelten Entfernung — also in C — sind sie um so viel mehr
zerteilt, dass sie vier solche Flächen einnehmen: — in der dreifachen
Entfernung, also in D, sind sie so viel weiter auseinander, dass sie neun solche
Flächen besetzen; — und in der vierfachen Entfernung sind sie so
zerstreut worden, dass sie sich über sechzehn solche Flächen verbreiten
— und so immer weiter. Wenn wir allgemein sagen, dass die Ausstrahlung
im direkten Verhältnis der Quadrate der Entfernungen vor sich geht, so
benutzen wir den Ausdruck Ausstrahlung, um den
Grad der Zerstreuung auszudrücken, je nachdem wir
uns von dem Zentrum entfernen.
Wenn wir das Verhältnis umkehren und das Wort »Konzentration«
benutzen, um den Grad der Sammlung
zu bezeichnen, je nachdem wir aus einer Außenstellung zum Zentrum zurückkehren,
so können wir sagen, dass die Konzentration
im umgekehrten Verhältnis
der Quadrate der Entfernungen vor sich geht. Mit andern Worten, wir sind
zu dem Schlusse gelangt, dass — wenn die Hypothese
zutrifft, wonach die Materie ursprünglich aus einem Zentrum
ausstrahlte und jetzt auf der Rückkehr begriffen ist – dass die Konzentration
bei der Rückkehr genau so verläuft,
wie der uns bekannte Verlauf der Gravitationskraft ist.
Jetzt hätten wir, wenn uns die Annahme erlaubt wäre, dass die Konzentration
genau die Kraft des Strebens nach dem Zentrum
repräsentiert — dass die eine der andern genau proportional ist und
dass der Verlauf beider dasselbe ist — alles gezeigt, was erforderlich
ist. Die einzige Schwierigkeit, die also noch vorhanden ist, ist die, ein direktes
Verhältnis zwischen der »Konzentration«
und der Kraft
der Konzentration herzustellen; und das ist natürlich
geschehen, wenn wir ein solches Verhältnis zwischen der »Ausstrahlung«
und der Kraft
der Ausstrahlung herstellen.
Schon eine oberflächliche Übersicht über den Himmel zeigt uns
sofort, dass die Sterne in ihrer Verteilung durch die Raumgegenden, in denen
sie in ihrer Gesamtheit, roh gesagt in Form einer Kugel, gelegen sind, eine
gewisse Gleichförmigkeit,
eine gewisse einheitliche Gestaltung, Gleichmäßigkeit oder Gleichheit
der Abstände gemeinsam haben: wobei diese Art von sehr allgemeiner, keineswegs
absoluter Gleichmäßigkeit sich sehr wohl vereinbaren lässt mit
meiner Theorie, dass die ursprünglich zerstreuten
Atome mit gewissen Ausnahmen in ungleichen Abständen im
Raum verteilt sind, eine Art der Verteilung, die zu dem offenbaren Entstehen
einer unendlichen Kompliziertheit des Bedingten aus dem Bedingungslosen gehört.
Ich ging, wie man sich erinnern wird, von der Idee einer im allgemeinen gleichförmigen,
aber teilweise ungleichförmigen
Verteilung der Atome aus; — und diese Idee,
ich wiederhole es, wird durch einen Überblick über die Sterne, so
wie sie da sind, bestärkt.
Aber selbst bei der Annahme einer bloß im allgemeinen geltenden Gleichmäßigkeit
der Verteilung hinsichtlich der Atome erscheint eine Schwierigkeit, die sich
ohne Zweifel schon denen unter meinen Lesern aufgedrängt hat, die meine
Aufstellung im Gedächtnis behalten haben, wonach diese Gleichmäßigkeit
der Verteilung von einer Ausstrahlung aus
einem Zentrum bewirkt sei. Der erste Blick auf die Vorstellung
Ausstrahlung zwingt uns, die bisher niemals davon
getrennte und scheinbar davon untrennbare Vorstellung der Zusammenballung um
ein Zentrum damit zu verbinden, wobei die Zerstreuung der Atome um so größer
wird, je weiter wir uns von dem Zentrum entfernen – mit einem Wort, es
drängt sich uns die Idee auf, dass die ausgestrahlte Materie ungleichmäßig
im Raume verteilt ist. Nun habe ich an anderer Stelle bemerkt, dass gerade bei
solchen Schwierigkeiten, wie die, die uns jetzt beschäftigt — bei
solchen Unebenheiten unseres Wegs — solchen Absonderlichkeiten —
solchen Auswüchsen auf der glatten Bahn des Gewöhnlichen — dass
da, wenn irgendwo, die Vernunft auf ihrer Suche nach der Wahrheit den rechten
Weg findet. Gerade die Schwierigkeit — die eben dargelegte »Absonderlichkeit«
wirft mich mit sicherer Plötzlichkeit auf das
Geheimnis — und nie vielleicht hätte ich dieses
Geheimnis enthüllt, wenn nicht gerade diese Absonderlichkeit
gewesen wäre und die Folgerungen, zu denen sie mir bloß um ihrer
Absonderlichkeit willen verhilft.
Die Gedankengänge, um die es sich hier handelt, können etwas grob
folgendermaßen skizziert werden: — Ich sage zu mir selbst —
»Einheit, wie ich sie erklärt habe, ist eine
Wahrheit — ich fühle sie: Zerstreuung ist eine Wahrheit — ich
sehe sie: Ausstrahlung, durch die allein diese zwei Wahrheiten in Einklang gebracht
werden können, ist eine erschlossene Wahrheit — ich muss sie annehmen:
Gleichmäßigkeit der
Zerstreuung, die zuerst a priori deduziert und dann durch den Überblick
über die Phänomene unterstützt wurde, ist auch eine Wahrheit
— ich erkenne sie an. So weit ist alles klar um mich: — es sind
keine Wolken zu sehen, hinter denen das
Geheimnis – das große Geheimnis des modus operandi der Gravitation
— möglicherweise verborgen sein kann; aber dieses Geheimnis liegt
hierherum, ganz bestimmt;
und wäre hier nur eine Wolke in Sicht, es triebe mich dazu, hinter ihr
das Geheimnis zu argwöhnen.«
Und gerade, wie ich das sage, kommt wirklich eine Wolke in Sicht. Diese Wolke
ist die scheinbare Unmöglichkeit, meine Wahrheit
Ausstrahlung mit meiner Wahrheit
Gleichmäßigkeit der Zerstreuung in Einklang
zu bringen. Jetzt sage ich: »hinter dieser scheinbaren
Unmöglichkeit ist zu finden, was ich begehre.« Ich sage nicht
»wirkliche Unmöglichkeit«;
denn ein unzerstörbarer Glaube
an meine Wahrheiten versichert mich, dass es alles in allem bloß eine
Schwierigkeit ist, aber ich gehe weiter und sage mit unüberwindlichem Vertrauen,
dass wir, wenn erst diese
Schwierigkeit gelöst
ist, in diese Lösung eingewickelt den Schlüssel zu dem Geheimnis finden
werden, nach dem wir verlangen. Noch mehr — ich
fühle, dass wir nur eine
mögliche Lösung der Schwierigkeiten entdecken werden: und zwar deshalb,
weil in dem Falle, dass es zwei gäbe, eine überflüssig wäre
— zwecklos leer — ohne einen Schlüssel — da zu keinem
Geheimnis der Natur ein Nachschlüssel gebraucht werden kann.
Und nun, sehen wir zu: — Die uns geläufigen Vorstellungen
von Ausstrahlung — in der Tat, alle
unsere bestimmten
Vorstellungen von ihr — entstammen lediglich dem Vorgang, wie wir
ihn im Licht exemplifiziert
sehen. Da handelt es sich um ein unaufhörliches Hervorbrechen von Strahlenströmen,
deren Stärke zum mindesten haben wir kein Recht, es anders zu vermuten
keinerlei Schwankungen unterworfen ist. Nun müssen
in jeder so beschaffenen Strahlung — die
fortlaufend ist und deren Stärke unveränderlich ist — die Raumteile,
die dem Zentrum näher liegen, mehr von der
ausgestrahlten Materie erfüllt sein als die weiter entfernten. Aber ich
habe keine so beschaffene
Ausstrahlung angenommen. Ich nahm keine unaufhörliche
Strahlung an; aus dem einfachen
Grunde nämlich, weil diese Annahme erstens die Notwendigkeit
eingeschlossen hätte, eine Vorstellung zu
haben, die — wie ich gezeigt habe niemand
haben kann und die überdies, wie ich nachher ausführlicher auseinandersetzen
will, von jeder Erforschung des Firmaments widerlegt wird – ich meine
die Vorstellung der absoluten
Unendlichkeit des Sternenweltalls — und weil diese Annahme es zweitens
unmöglich gemacht hätte, eine Reaktion — das heißt: die
Gravitation — als jetzt existierend zu verstehen, da ja natürlich,
solange eine Aktion dauert, keine Reaktion eintreten kann. Meine Annahme also
— oder besser gesagt: mein unvermeidlicher Schluss
aus richtigen
Prämissen
— lief auf eine endliche
Ausstrahlung hinaus — auf eine, die schließlich aufhörte.
Ich will nun beschreiben, auf welche Weise es einzig und allein vorstellbar
ist, dass die Materie
sich in den Raum verbreitet und dabei zugleich
die Bedingungen
der Strahlung und die der im allgemeinen gleichmäßigen Verteilung
erfüllt hat.
Zum Zwecke einer bequemen Veranschaulichung wollen wir uns zunächst eine
hohle Kugel aus Glas oder dergleichen vorstellen, die den Raum
versinnbildlichen soll, worin die Materie des Weltalls
durch Strahlung aus dem absoluten
unrelativen, unbedingten Kern, der sich im Mittelpunkt
der Kugel befinde, zerstreut sei.
Eine gewisse Entfaltung der zerstreuenden Macht (nach
unserer Voraussetzung: des göttlichen Willens) — mit andern
Worten: eine gewisse Kraft
— die nach dem entsandten Quantum Materie, das heißt, nach der Zahl
der Atome, bemessen wird — entsendet durch Ausstrahlung diese bestimmte
Zahl Atome, und schleudert sie nach allen Richtungen aus dem Zentrum heraus,
wobei sie sich immer mehr voneinander entfernen, je weiter sie fortgehen —
bis sie schließlich lose über die innere Oberfläche der Kugel
verteilt sind.
Wenn diese Atome diese Lage erreicht haben, oder während sie auf dem Wege
sind, sie zu erreichen, entsendet eine zweite, geringere Entladung derselben
Kraft — oder eine zweite, geringere Entladung desselben Charakters —
auf dieselbe Weise — das heißt, durch Ausstrahlung wie zuvor —
eine zweite Atomschicht, die sich daranmacht, sich auf die erste zu lagern:
und zwar ist auch in diesem Falle wie im früheren natürlich die Zahl
der Atome das Maß der Kraft, die sie entsandt hat; anders ausgedrückt,
die Kraft und die Zahl der Atome, die von ihr entsandt worden sind, sind einander,
da die Kraft dem Zweck, dem sie dient, genau angepasst ist, direkt
proportional.
Wenn diese zweite Schicht die ihr bestimmte Lage erreicht — oder während
sie sich ihr nähert — macht sich eine dritte noch geringere Entfaltung
der Kraft oder eine dritte geringere Kraft von nämlichem Charakter —
da die Zahl der entsandten Atome in allen
Fällen das Maß
der Kraft ist –
auf den Weg, eine dritte Schicht auf die zweite zu lagern, und so weiter, bis
diese konzentrischen Schichten, die allmählich immer geringer geworden
sind, schließlich bis zum Zentralpunkt hinabreichen und die zerstreuende
Materie zugleich mit der zerstreuenden
Kraft erschöpft ist.
So ist denn jetzt die Kugel vermittelst der Ausstrahlung mit Atomen gefüllt,
die gleichmäßig verteilt sind. Den zwei notwendigen Bedingungen —
Ausstrahlung und gleichmäßige Verteilung ist Genüge geschehen;
und zwar durch den einzigen Vorgang, der uns die Vorstellung erlaubt, dass die
Erfüllung der Bedingungen gleichzeitig möglich ist. Wenn ich nun voller
Begierde den gegenwärtigen Zustand der Atome, wie sie in der Raumkugel
verteilt sind, prüfe, so erwarte ich aus diesem Grunde zuversichtlich,
das Geheimnis zu finden, nach dem ich suche — das urwichtige Prinzip
des modus operandi des Newtonischen Gesetzes.
Untersuchen wir also den gegenwärtigen Zustand der Atome.
Sie liegen in einem System konzentrischer Schichten.
Sie sind gleichmäßig in der Kugel verteilt. Sie sind in diese Lage
ausgestrahlt worden.
Wenn die Atome gleichmäßig verteilt
sind, so werden um so mehr Atome auf einer von diesen konzentrischen Schichten
oder Kugeloberflächen liegen, je größer die Oberfläche
ist. Mit anderen Worten: die Zahl der Atome, die auf der Oberfläche einer
solchen konzentrischen Kugel liegen, ist der Größe diese Oberfläche
direkt proportional.
Aber in jedem System konzentrischer Kugeln
sind die Oberflächen den Quadraten der Entfernungen vom Zentrum direkt
proportional*
* Kurz ausgedrückt: die Kugeloberflächen
verhalten sich wie die Quadrate ihrer Radien.
Daher ist die Zahl der Atome in jeder Schicht dem Quadrat der Entfernung dieser
Schicht vom Zentrum direkt proportional.
Aber die Zahl der Atome in jeder Schicht ist das Maß
der Kraft, die diese Schicht entsandt hat — das heißt: ist
der Kraft direkt proportional.
Also ist die Kraft, die eine bestimmte Schicht ausgestrahlt hat. dem Quadrat
der Entfernung dieser Schicht vom Zentrum direkt
proportional, oder allgemein ausgedrückt:
Die Kraft der Ausstrahlung ist den Quadraten der
Entfernungen direkt proportional gewesen.
Nun ist aber die Reaktion, wenn wir irgend etwas davon wissen, die umgekehrte
Aktion. Da wir zuvörderst das allgemeine Prinzip
der Gravitation als die Reaktion auf einen Akt betrachtet haben als den Ausdruck
des Verlangens von seiten der Materie, den Zustand der Zerstreuung aufzugeben
und in die Einheit, aus der sie entsprungen war,
zurückzukehren; und da es zweitens unsern Geist verlangte, den Charakter
dieser Sehnsucht festzustellen — die Art und Weise, in der sie ihre Natur
offenbarte; mit andern Worten: da unser Geist ein wahrscheinliches Gesetz oder
den modus operandi für die Rückkehr suchte. so musste er doch wohl
zu dem Schlusse kommen, dass dieses Gesetz der Rückkehr genau die Umkehrung
des Ausgangsgesetzes sein würde. Dass dieses sich so verhalte, das anzunehmen
wird jedermann vollauf erlaubt sein müssen bis zu der Zeit wenigstens,
bis einer so etwas wie einen einleuchtenden Grund angibt, warum es sich nicht
so verhalten soll — bis zu dem Moment also, wo ein Gesetz der Rückkehr
aufgestellt wird, das der Geist als vorzüglicher betrachten kann.
Die Materie also, die mit einer
Kraft in den Raum strahlte, die sich im
Verhältnis der Quadrate der Entfernungen veränderte,
wird — das dürfen wir a priori vermuten — in der Richtung nach
dem Zentrum der Strahlung mit einer Kraft zurückkehren, die sich umgekehrt
wie die Quadrate der Entfernungen
verändert: und ich habe bereits gezeigt, dass jedes
Prinzip, das erklärt, warum die Atome, einem bestimmten Gesetz gehorchend,
dem gemeinsamen Zentrum zustreben, zugleich als
genügende Erklärung dafür gelten muss, warum sie einander zustreben.
Denn in der Tat ist die Tendenz gegen das gemeinsame Zentrum
nicht eine Tendenz zu einem Zentrum als
solchem, sondern sie tritt darum ein, weil jedes Atom, das sich in der Richtung
nach diesem Zentrum treiben lässt, damit den unmittelbarsten Weg zu seinem
wahren und eigentlichen Zentrum verfolgt, der Einheit
der absoluten Allvereinigung,
die das Ende sein wird.
Die Auffassung, die aus dem hier Dargetanen spricht, bietet meinem eigenen Geiste
nicht das mindeste Hindernis — aber diese Tatsache
verblendet mich nicht gegen die Möglichkeit, dass meine Darlegung für
solche dunkel ist, die weniger gewöhnt sind, mit Abstraktionen
umzugehen: — und alles in allem ist es jedenfalls gut, die Sache noch
von einem oder zwei andern Gesichtspunkten zu betrachten.
Der absolute, bedingungslose Kern, der ursprünglich durch den Willen Gottes
geschaffen wurde, muss sich in einem Zustande des positiv Normalen
oder der Richtigkeit befunden haben — denn Unrichtigkeit schließt
Bedingtheit ein. Richtig ist positiv: unrichtig ist negativ
— ist bloß die Negation des Richtigen; wie kalt die Negation von
warm ist oder Dunkelheit von Licht. Dazu, dass ein Ding unrichtig ist, gehört
notwendig ein anderes Ding, hinsichtlich
dessen es unrichtig ist — irgendeine Bedingung, der es nicht Genüge
tut; irgendein Gesetz, das es verletzt; irgendein
Seiendes, das es beeinträchtigt.
Wenn ein solches Seiendes, Gesetz oder Bedingung
nicht da ist, bezüglich dessen das Ding unrichtig ist — und vor allem,
wenn überhaupt keine Wesen, Gesetze oder Bedingungen vorhanden sind —
dann kann das Ding nicht
unrichtig sein, es muss also richtig sein.
Jedes Abweichen vom Zustande des Normalen schließt die Tendenz in sich,
zu ihm zurückzukehren. Ein Abgehen vom Normalen — vom Richtigen —
vom Gehörigen — kann aufgefasst werden als lediglich geschehen, um
eine Schwierigkeit zu überwinden; und wenn die Kraft, die die Schwierigkeit
überwindet, nicht ins Unendliche fortwirkt, so wird schließlich die
unausrottbare Tendenz zur Rückkehr in der Lage sein, sich zu befriedigen
und demnach zu handeln. Sowie die Kraft nachlässt, tritt die Tendenz in
Aktion. Dies ist das Prinzip der Reaktion, aufgefasst als das unvermeidliche
Ergebnis einer endlichen Aktion.
Mit einer Ausdrucksweise, deren scheinbare Affektiertheit man um ihrer Ausdrucksfülle
willen verzeihen möge, können wir sagen: Reaktion ist die Rückkehr
aus dem Zustande des Wie es ist und nicht
sein sollte in den Zustand des Wie
es ursprünglich war und also sein soll; — und
man erlaube, dass ich noch hinzufüge: Die absolute
Stärke der Reaktion würde ohne Zweifel immer
direkt proportional mit dem Wirklichen — der Wahrheit — der Unbedingtheit
— des Ursprünglichen
gefunden werden — wenn es je möglich wäre, dieses letztere zu
messen: — und folglich muss unter allen denkbaren Arten von Reaktion die
die größte sein, die von der Tendenz hervorgebracht wird, die wir
hier erörtern — der Tendenz, zum absolut
Ursprünglichen — zum äußerst
Primitiven zurückzukehren. Die Gravitation also muss
die stärkste aller Kräfte sein - diesen Gedanken
haben wir a priori gewonnen, und er wird überreichlich durch Induktion
unterstützt. Welchen Gebrauch ich von ihm mache, wird sich aus dem folgenden
ergeben.
Die Atome also, die aus dem normalen Zustande ihrer Einheit
ausgeströmt sind, suchen zurückzukehren — wohin? Gewiss nicht
zu einem bestimmten Punkt;
denn es ist klar, dass die Tendenz der Atome gegen das
gemeinsame Zentrum der Kugel nicht im mindesten sich hätte stören
lassen, wenn das ganze materielle Weltall insgesamt in einen gewissen Abstand
vom Punkte der Ausstrahlung projiziert worden wäre; die Atome hätten
dann nicht den Punkt, von dem sie ursprünglich ausgegangen wären,
im absoluten Raum gesucht.
Nur der Zustand ist es,
nicht aber der Ort oder die Räumlichkeit, wo dieser Zustand erstmals entsprang,
was diese Atome wieder herzustellen suchen; lediglich nach dem Zustand,
der ihnen normal ist, verlangt es sie.
»Aber sie suchen ein Zentrum« wird man sagen, »und
ein Zentrum ist ein Punkt«. Richtig; aber sie suchen diesen Punkt
nicht in seiner Eigenschaft als Punkt — (denn gesetzt
den Fall, die ganze Kugel würde aus ihrer Lage gerückt, so würden
sie immer noch das Zentrum suchen; und das Zentrum wäre dann
ein neuer Punkt) — sondern darum, weil
es sich auf Grund der Form, in der sie sich zusammen gefunden haben (der
Form einer Kugel), so trifft, dass sie einzig und allein durch
den fraglichen Punkt — den Mittelpunkt der Kugel ihr eigentliches Ziel,
die Einheit, erreichen können. In der Richtung
des Zentrums bemerkt jedes Atom mehr Atome als in jeder andern.
Jedes Atom wird gegen das Zentrum getrieben, weil in der geraden Linie, die
es und das Zentrum verbindet und zur jenseitigen Kugeloberfläche führt,
eine größere Zahl Atome liegen als in jeder anderen geraden Linie
— eine größere Zahl Gegenstände. die auf der Suche nach
dem Individual-Atom sind eine größere Zahl Tendenzen, die zur Einheit
streben — eine größere Zahl Befriedigungen für seine eigene
Tendenz zur Einheit mit einem Wort, weil in der
Richtung des Zentrums die größte Möglichkeit
liegt, immerfort die eigene individuelle
Begierde zu befriedigen. Um kurz zu sein, der Zustand,
Einheit, ist alles, was wirklich gesucht wird; und wenn es scheint,
als ob die Atome den Mittelpunkt der Kugel suchen,
so ist dies nur zufällig, durch ein Zusammentreffen — weil es sich
so trifft, dass dieses Zentrum das einzig wesentliche
Zentrum, die Einheit, einschließt oder umschließt
oder in sich begreift. Aber auf Grund dieses
Zusammenfallens oder Inbegriffenseins gibt es keine Möglichkeit, die Tendenz
zur Einheit von der Tendenz zum konkreten Mittelpunkt
in der Wirklichkeit zu trennen.
Daher ist die Tendenz der Atome nach dem gemeinsamen Mittelpunkt für alle
praktischen Erfordernisse und alle logischen Zwecke die Tendenz eines jeden
Atoms zu einem jeden; und die Tendenz von jedem zu jedem ist die Tendenz zum
Mittelpunkt; und die eine Tendenz
kann für die andere genommen werden; alles, was für die eine gilt,
muss auch für die andere durchaus zutreffen; und folglich kann kein Prinzip,
das die eine befriedigend erklärt, als Erklärung für die andere
in Frage gestellt sein.
Wenn ich sorgsame Umschau halte nach einem vernünftigen Einwand gegen das,
was ich vorgebracht habe, kann ich nichts
entdecken; von der Art der Einwände freilich, die
gewöhnlich von denen vorgebracht werden, die berufsmäßige Zweifler
sind, gewahre ich sofort drei und
will darangehen, mit ihnen der Reihe nach aufzuräumen.
Man kann mir erstens entgegenhalten:
»Der Beweis. wonach die Stärke der Ausstrahlung
(in dem oben erörterten Fall) den
Quadraten der Ent¬fernungen direkt proportional sei, beruht auf einer unberechtigten
Annahme — dass nämlich die Zahl der Atome in jeder Schicht das Maß
der Stärke sei, mit der sie entsandt wurden.«
Ich erwidere: Ich bin nicht nur zu dieser Annahme berechtigt,
sondern es wäre auch jede andere äußerst unberechtigt. Was ich
annehme, ist einfach, dass eine Wirkung das Maß ihrer Ursache ist —
dass jede Entfaltung des göttlichen Willens dem
proportional ist, was diese Entfaltung hervorruft – dass die Mittel
der Allmacht oder der Allwissenheit ihren Zwecken genau entsprechen. Ein Mangel oder ein Überschuss an Ursache
kann keinerlei Wirkung zustande bringen. Wäre die Kraft, die eine bestimmte
Schicht in ihre Lage ausstrahlte, mehr oder weniger stark gewesen, als für
den Zweck notwendig war; das heißt: nicht direkt
proportional dem Zweck, dann konnte diese Schicht nicht
in diese Lage gestrahlt sein. Wäre die Kraft, die die Zahl Atome, die geeignet
war, Gleichmäßigkeit der Verteilung herzustellen, in jede Schicht
entsandte, der Zahl nicht direkt proportional gewesen, dann wäre die Zahl nicht eine solche gewesen, wie die gleichmäßige Verteilung sie erforderte.
Der zweite Einwand, der erhoben
werden kann, verdient schon eher eine Antwort.
Es ist ein allgemein anerkanntes Prinzip der Dynamik,
dass jeder Körper, der einen Stoß oder einen Anlass zur Bewegung
empfängt, sich geradlinig immer vorwärts bewegt in der Richtung, die
die treibende Kraft ihm mitgeteilt hat, bis er
von einer andern Kraft abgelenkt oder zum Stehen
gebracht wird. Wie ist es demnach zu verstehen, so kann gefragt werden, dass
meine erste oder äußere Atomschicht mit ihrer Bewegung an dem Umfang
der Glaskugel, die wir angenommen haben, aufhört, wenn keine zweite Kraft
— eine, die nicht gleichfalls bloß »angenommen«
ist — auftritt, um für diese Unterbrechung aufzukommen?
Ich erwidere: dieser Einwand entspringt diesmal tatsächlich einer »unberechtigten
Annahme« — von seiten dessen, der den Einwand erhebt —
nämlich der Annahme eines dynamischen Prinzips,
zu einer Zeit, wo es überhaupt noch keine
»Prinzipien« gibt. Ich verwende das
Wort »Prinzip« natürlich im Sinne
dessen, der den Einwand erhoben hat.
»Im Anfang« etwas anderes anzunehmen,
ja, sogar zu fassen als lediglich die eine erste
Ursache, das wahrhaft eigentliche Prinzip,
den Willen
Gottes, ist nicht möglich. Der ursprüngliche Akt,
die Ausstrahlung aus der
Einheit, muss von alledem, was die Welt jetzt »Prinzip«
nennt, unabhängig gewesen sein — weil alles, was wir so bezeichnen,
nur eine Folge der Reaktion auf diesen allerersten Akt ist. Ich nenne diesen
Akt den »allerersten«, denn die Schöpfung
des absoluten materiellen Kernes ist eigentlich mehr als
Empfängnis denn als »Akt«
in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes zu betrachten.
So müssen wir den ursprünglichen Akt als den Urheber alles dessen
betrachten, was wir jetzt »Prinzipien«
nennen. Aber dieser ursprüngliche Akt selbst muss als dauernde
Willensausübung angesehen werden. Das ist so zu verstehen,
dass der Gedanke Gottes die
Zerstreuung ins Werk setzte — mit ihr fortfuhr — sie ordnete
und sich schließlich von ihr zurückzog, als sie vollständig
war. Dann beginnt die Reaktion und durch sie das »Prinzip«, so wie
wir das Wort anwenden. Es wäre indessen ratsam, die Anwendung dieses Wortes
auf die beiden unmittelbaren
Resultate, die aus dem Aufhören des göttlichen Willens entspringen,
zu beschränken — nämlich die beiden Triebkräfte, Attraktion
und Repulsion. Jede andere
Naturkraft ist mehr oder weniger unmittelbar auf diese beiden zurückzuführen
und sollte daher besser als Unterprinzip bezeichnet
werden.
Es kann drittens eingewandt werden,
diese besondere Art Verteilung, die ich den Atomen zugeschrieben habe, sei überhaupt
nur »eine Hypothese« und weiter nichts.
Nun weiß ich freilich, dass das Wort Hypothese
ein gewichtiger Schmiedehammer ist, der sofort von allen richtigen Diminutivdenkern
beim ersten Auftauchen einer Behauptung. die nach einer Theorie aussieht, gepackt
oder gar geschwungen wird. Aber mit »Hypothese«
kann ich diesmal nicht im geringsten getroffen werden, auch nicht von denen,
die den ungefügen Hammer heben können — seien es kleine oder
große Männer.
Ich behaupte erstens: es ist einzig und allein
in der beschriebenen Art und Weise denkbar, dass die Materie dergestalt ausströmte,
dass sie gleichzeitig die Bedingungen der Strahlung und der im ganzen gleichmäßigen
Verteilung erfüllte. Ich behaupte zweitens: diese Bedingungen haben sich
mir in einer Reihe von Schlussfolgerungen, die
ebenso peinlich logisch sind wie irgendwelche Beweisführung des Euklid, als Notwendigkeiten auf gedrängt; und ich behaupte drittens: selbst
wenn der Vorwurf der »Hypothese« so
völlig begründet wäre, wie er in der Tat unbegründet und
unhaltbar ist, wäre doch die Gewissheit und Unbestreitbarkeit meines Resultats
nicht in der geringsten Einzelheit erschüttert.
Zur Erklärung: die Newtonische Gravitation
— ein Naturgesetz — ein Gesetz, dessen
Tatsächlichkeit niemand leugnet, der nicht fürs Irrenhaus reif ist
— ein Gesetz, dessen Aufstellung uns in Stand setzt, neun Zehntel aller
Erscheinungen des Weltalls zu erklären — ein Gesetz also, das wir
bloß deshalb, weil es uns in Stand setzt, diese Erscheinungen zu erklären,
ohne Rücksicht auf sonstige Erwägungen, anzuerkennen völlig gewillt
und genötigt sind — ein Gesetz aber trotzdem, bei dem weder das
Prinzip noch der modus operandi des Prinzips jemals
analysiert oder aufgezeigt worden ist — kurz, ein Gesetz, das in seinen
Einzelheiten und im Ganzen der Erklärung überhaupt nicht zugänglich
war — dieses Gesetz wird endlich als völlig erklärbar erkannt
— vorausgesetzt, dass wir nur zugeben — was sollen wir zugeben?
Eine Hypothese? Wie nun, wenn eine Hypothese
– wenn eine bloße Hypothese —
wenn eine Hypothese, für deren Annahme —
wie in dem Fall einer so reinen Hypothese,
wie es das Newtonische Gesetz
selbst ist kein Schatten eines a priori-Grundes aufgebracht werden könnte
– wenn also etwas, was so absolut nur Hypothese
ist, wie hier angegeben wird, uns in Stand setzte, Zusammenhänge,
die so wunderbar, so unsäglich verwickelt und scheinbar unvereinbar sind,
wie es die Beziehungen in der Tat sind, von denen uns die Gravitation berichtet,
befriedigend zu erklären — welches vernunftbegabte Wesen
könnte sich albern darauf versteifen, selbst eine
so absolute Hypothese dann noch länger eine
Hypothese zu nennen — es sei denn, dass es
in der Tat nur in dem Sinne fortführe, es so zu nennen, dass es sich ihm
einfach nur um die ein für allemal zutreffende Definition
von Worten handelte?
Aber was ist vielmehr diesmal der wirkliche Sachverhalt? was ist Tatsache?
Nicht nur, dass es sich um keine
Hypothese handelt, der wir etwa
beipflichten sollen, damit das zur Genüge erklärte
Prinzip zugelassen werde, vielmehr handelt es sich
um eine logische Schlussfolgerung, der nicht
beizupflichten wir aufgefordert sind, wenn wir ohne sie
auskommen können — die wir einfach leugnen
sollen, wenn wir können
— um eine Schlussfolgerung, die so streng logisch
ist, dass jeder, der sie bestreiten wollte, damit den Versuch machte, etwas
Unbestreitbares zu bezweifeln — eine Schlussfolgerung, der wir nicht entrinnen
können, wir mögen uns drehen, wie wir wollen; um ein Resultat handelt
es sich, das uns entweder am Ende eines induktiven Aufstiegs entgegentritt,
den wir bei den Erscheinungen eben des Gesetzes, um das es sich handelt, begonnen
haben, oder am Schlusse eines deduktiven Abstiegs
von der allereinfachsten aller denkbaren Aufstellungen aus — mit einem
Wort: der Annahme der Einfachheit.
Und sollte man mich hier, bloß um der Rabulistik willen, mit dem Einwande
bedrängen, wenn schon mein Ausgangspunkt, wie ich behaupte, die Annahme
der absoluten Einfachheit sei, so sei eben Einfachheit, bloß an und für
sich betrachtet, kein Axiom, und nur Deduktionen
aus Axiomen seien unbestreitbar so antwortete
ich folgendermaßen:
Jede Wissenschaft,
außer der Logik, ist die Wissenschaft von
gewissen konkreten Beziehungen. Arithmetik zum Beispiel ist die Wissenschaft
von den Zahlenbeziehungen; Geometrie von den Beziehungen
der Formen — Mathematik im allgemeinen die
Wissenschaft von den allgemeinen Quantitätsbeziehungen
— von allem, was vermehrt oder vermindert werden kann. Die Logik
dagegen ist die Wissenschaft von den Beziehungen in abstracto —
von den bedingungslosen Beziehungen – von
den Beziehungen an und für sich. Ein Axiom
in jeder einzelnen Wissenschaft außer der
Logik ist daher bloß eine Behauptung, die
gewisse konkrete Beziehungen aussagt, die zu einleuchtend sind, um bestritten
werden zu können wie wenn wir zum Beispiel sagen, dass das Ganze größer
ist als der Teil: und so ist wiederum das Prinzip
des logischen
Axioms – anders ausgedrückt:
eines Axioms in abstracto — einfach Selbstverständlichkeit
der Beziehungen. Nun ist es klar, dass etwas, was einem
Kopfe einleuchtet, dem andern vielleicht nicht einleuchtet, ja, sogar, was einem
Kopfe zu einer bestimmten Zeit einleuchtet, demselben Kopfe zu einer anderen
Zeit vielleicht keineswegs einleuchtet. Es ist weiter klar, dass etwas, was
heute der Mehrheit der Menschen oder der Mehrheit der besten Köpfe einleuchtet,
morgen derselben Mehrheit mehr oder weniger oder vielleicht ganz und gar nicht
einleuchtet. Es ist demnach offenbar, dass das
axiomatische Prinzip selbst der Veränderung ausgesetzt
ist, dass also natürlich auch die Axiome wandelbar
sind. Da sie schwankend sind, schwanken notwendigerweise auch die »Wahrheiten«,
die aus ihnen hervorgehen; oder anders ausgedrückt: sie können überhaupt
nie als positive Wahrheiten aufgestellt werden: denn Wahrheit und Unveränderlichkeit
sind eins.
Man wird jetzt bereitwillig zugeben, dass keine axiomatische
Idee, keine Idee, die auf das fließende Prinzip
der Selbstverständlichkeit der Beziehungen
begründet ist, ein so sicheres, so zuverlässiges Fundament für
einen Vernunftbau abgeben kann, wie solch
eine Idee – (worin
sie auch bestehe, wo wir sie finden mögen, wenn sie überhaupt irgendwo
zu finden ist) – die ganz und gar beziehungslos ist — die
dem Verstande mit keinerlei Selbstverständlichkeit der Beziehungen, die
man für mehr oder minder groß halten könnte, kommt, die vielmehr
den Geist vor gar keine, nicht die leiseste Notwendigkeit stellt, irgendwelche
Beziehungen überhaupt
in Betracht zu ziehen. Wenn eine solche Idee nicht das
ist, was wir zu unüberlegt ein »Axiom«
nennen, so ist sie mindestens als deduktive Grundlage jedem Axiom, das je aufgestellt
wurde oder allen denkbaren Axiomen zusammengenommen
vorzuziehen; und genau so, wie ich es hier beschrieben habe, verhält es
sich mit der Idee, mit der mein deduktives Verfahren, das von der Induktion
so wirkungsvoll unterstützt wird, beginnt.
Mein ursprünglicher Kern ist
weiter nichts als absolute Beziehungslosigkeit.
Um zusammenzufassen, was ich ausgeführt habe: Ich
bin davon ausgegangen, es einfach für ausgemacht zu nehmen, dass der
Anfang nichts hinter sich und nichts vor
sich hatte — dass er in der Tat ein Anfang war — dass er ein Anfang
war und nichts anderes — kurz:
dass dieser Anfang war — was er war.
Wenn das eine »bloße Annahme«
sein soll, dann soll es eine »bloße Annahme«
sein.
Um diesen Teil des Themas abzuschließen:
Ich bin vollauf berechtigt zu verkünden, dass das
Gesetz, das wir gewohnt sind, Gravitation zu nennen, darauf beruht, dass die
Materie bei ihrem Ursprung in Atomgestalt in eine begrenzte*)
Raumkugel gestrahlt ist, aus einem individuellen, unbedingten, beziehungslosen
und absoluten Kern, auf die einzige Weise, in der es möglich war, zugleich
die zwei Bedingungen: Ausstrahlung und allgemein gleichmäßige Verteilung
im Raume, zu erfüllen — das heißt, mit einer Kraft, die sich
direkt proportional zu den Quadraten der Entfernungen zwischen den ausgestrahlten
Atomen einerseits und dem Zentrum der Ausstrahlung anderseits veränderte.
*)»Begrenzte Kugel«. Eine
Kugel ist notwendig begrenzt. Ich ziehe die Tautologie der Gefahr der Missdeutung
vor. E. A. P.
Ich habe bereits angeführt, aus welchen Gründen ich der Annahme, dass
die Materie von einer endlichen
Kraft zerstreut worden ist, vor der andern, dass sich um eine unaufhörliche
oder ins Unendliche fortgesetzte Kraft
handle, den Vorzug gebe. Wenn wir eine unaufhörliche Kraft annähmen,
wäre es zuvörderst ausgeschlossen, überhaupt eine Reaktion zu
begreifen; und zweitens wäre erfordert, die unmögliche Vorstellung
einer unendlichen Ausdehnung
der Materie zu hegen. Halten wir uns bei der Unmöglichkeit
der Vorstellung nicht auf: die unendliche Ausdehnung
der Materie ist eine Idee,
die, wenn nicht tatsächlich widerlegt, so doch mindestens in keiner Weise
durch die Beobachtung der Gestirne mittels Fernrohrs verbürgt ist —
worüber weiter unten mehr folgt: und dieser empirische
Grund, an die ursprüngliche
Endlichkeit der Materie zu glauben, wird durch nicht-empirische unterstützt.
Zum Beispiel: Nehmen wir für
den Augenblick an, es sei der Gedanke möglich, dass der Raum von den ausgestrahlten
Atomen erfüllt sei
— das heißt, nehmen wir, so gut es geht, um unserer Beweisführung
willen an, die Folge der ausgestrahlten Atome habe absolut
kein Ende — dann
ist es sonnenklar, dass — gesetzt selbst den Fall, der Wille
Gottes habe sich von ihnen zurückgezogen und der Tendenz,
zur Einheit zurückzukehren, sei es daher (abstrakt
genommen) erlaubt gewesen, sich Genüge zu tun — dass diese
Erlaubnis schemenhaft und machtlos gewesen wäre — praktisch wertlos
und ohne jede Wirkung. Keine Reaktion hätte eintreten können; keine
Bewegung zur Einheit hin
hätte gemacht werden können; kein Gravitationsgesetz hätte zustande
kommen können.
Zur Erklärung: Man räume
ein, dass die abstrakte Tendenz
irgendeines Atoms
zu irgendeinem andern das unvermeidliche Resultat der Zerstreuung aus der normalen
Einheit ist, man gebe zu, dass jedes gegebene Atom bereit
ist, sich nach jeder gegebenen Richtung zu bewegen —
dann ist es klar, dass das Atom, das in Bereitschaft ist, sich in Bewegung
zu setzen, wenn es von allen Seiten von einer Unendlichkeit
von Atomen umgeben ist, sich natürlich niemals in Bewegung setzen kann,
dass es niemals eine Tendenz nach einer gegebenen Richtung befriedigen kann
– weil eine genau gleiche Tendenz, die die erste aufwiegt, es nach der
diametral entgegengesetzten Richtung zöge.
Mit anderen Worten: das Atom,
das auf dem Sprunge ist, hat genau so viele Tendenzen zur
Einheit hinter sich wie vor sich; denn es ist lediglich eine Albernheit,
zu sagen, eine unendliche Linie sei länger oder kürzer als eine andere
unendliche Linie, oder eine unendliche Zahl sei größer oder kleiner
als eine andere unendliche Zahl. Daher muss das fragliche Atom für ewige
Zeiten still stehen. Unter den unmöglichen Umständen, die wir nur
um der Beweisführung willen bemüht waren, uns vorzustellen, hätte
es keine Zusammenballung von Materie geben können — keine Gestirne
— keine Welten — nichts als ein ewig atomhaftes und ereignisloses
Weltall. Man mag es in der Tat ansehen, wie man will, die ganze Idee einer unbegrenzten
Materie ist nicht nur unhaltbar, sondern unmöglich und widersinnig.
Wenn wir uns dagegen eine Atomkugel vorstellen,
dann bemerken wir sofort eine Tendenz zur Vereinigung, die befriedigt
werden kann. Da das gemeinsame Ergebnis der Tendenz von jedem zu jedem die Tendenz
aller zum Zentrum ist, so beginnt der allgemeine
Prozess der Verdichtung
oder Annäherung sofort mit einer allgemeinen und gleichzeitigen Bewegung,
sowie der göttliche Wille
aufzuhören beginnt; wobei die individuellen Annäherungen oder erstrebten
nicht vollendeten Vereinigungen der Atome
untereinander den fast unendlichen Verschiedenheiten an Zeit, Grad und
Bedingungen unterworfen sind auf Grund der außerordentlichen Vielheit
der Beziehungen, die sich aus den Unterschieden
in der Form ergibt; man erinnert sich, dass wir diese Verschiedenheit der Form
als charakteristisch für die Atome im Augenblicke ihres Ausgangs aus dem
ursprünglichen Kern vorausgesetzt haben ebenso wie die nachfolgende Ungleichheit
der Abstände zwischen den einzelnen Atomen, die ebenfalls zu dieser Mannigfaltigkeit
beiträgt.
Was ich dem Leser einzuprägen wünsche, ist die Gewissheit,
dass in dem Augenblicke, wo die zerstreuende Kraft, der göttliche Wille,
nachlässt, aus dem erörterten Zustande der Atome an unzähligen
Punkten der Weltkugel unzählige Atomhaufen entstehen, die durch unzählige
spezifische Verschiedenheiten an Form, Größe, Wesensart und Abstand
voneinander sich auszeichnen. Die Entwicklung der Repulsion
(Elektrizität) muss natürlich bei den allerersten einzelnen
Versuchen, zur Einheit zu gelangen, eingesetzt haben, und muss im Verhältnis
des Strebens nach Einswerden — das heißt: im Verhältnis der
fortschreitenden Verdichtung oder, noch anders gesagt: der Heterogenität
— fortgesetzt weiter gediehen sein.
So geleiten die beiden Grundprinzipien —
Attraktion und Repulsion
— das Materielle und das Geistige — einander
für immer in der engsten Gemeinschaft. So
gehen Leib und Seele Hand in Hand. S.
24-86 […]
Ich habe bereits gesagt, dass das Licht sich mit einer Schnelligkeit
von 167 000 Meilen in der Sekunde fortpflanzt das sind etwa 10 Millionen Meilen
in der Minute und etwa 600 Millionen Meilen in der Stunde: doch so weit entfernt
von uns sind einige der Nebelflecke, dass selbst das Licht, das mit dieser Geschwindigkeit
sich bewegt, uns aus diesen geheimnisvollen Regionen erst nach
3 Millionen Jahren erreicht. Überdies ist diese Berechnung
von dem älteren Herschel aufgestellt und bezieht
sich nur auf die verhältnismäßig nahen Sternhaufen, die er mit
seinem eigenen Fernrohr erreichen konnte. Es gibt jedoch Nebel, die durch das
magische Instrument des Lord Rosse in diesem Augenblicke
die Geheimnisse einer Million vergangener
Jahrhunderte uns zuflüstern.
Mit einem Wort: die Ereignisse, die wir jetzt — in diesem Augenblicke
in jenen Welten gewahren — sind die nämlichen Ereignisse, die ihre
Bewohner vor zehnmal hunderttausend Jahrhunderten
interessierten. In solchen Zwischenräumen — solchen Entfernungen,
wie sie diese Aufstellung auf die Seele — eher als auf den Geist legt
— finden wir endlich die richtige Steigerung für alle bisher noch
kleinlichen Betrachtungen der Quantität.
Da unsere Phantasie so mit den kosmischen Entfernungen
beschäftigt ist, wollen wir die Gelegenheit benutzen, etwas auf die Schwierigkeit
einzugehen, die uns so oft aufstieß, während wir den ausgetretenen
Pfad der astronomischen Reflexion gingen: nämlich die erwähnten unermesslichen
leeren Räume zu erklären —
zu verstehen, warum so völlig unbenutzte und daher anscheinend so wertlose
Abgründe zwischen Stern und Stern — zwischen Haufen und Haufen —
gelegt worden sind — kurz gesagt, einen zureichenden Grund einzusehen
für den riesenhaften Maßstab hinsichtlich des bloßen
Raumes, nach dem wir das Weltall aufgebaut sehen.
Es ist, behaupte ich, begreiflich, dass die Astronomie keine richtige Erklärung
für die Erscheinung aufgebracht hat: — jedoch legen es uns die Erwägungen,
die uns in diesem Versuche Schritt für Schritt weitergeführt haben,
nahe, klar und unmittelbar einzusehen, dass Raum
und Dauer eins sind. Dazu, dass das Weltall über eine
Zeit hin ausdauern konnte,
die irgend der Größe der Materialien, die es zusammensetzen, und
der Erhabenheit ihrer geistigen Zwecke entspräche, war es notwendig, dass
die ursprüngliche Zerstreuung der Atome sich
so unersprießlich weit ausdehnte, dass sie erst vor der Unendlichkeit
Halt machte.
Mit einem Wort: es war erforderlich, dass die Sterne aus dem
Zustande unsichtbaren Nebels zur Sichtbarkeit gesammelt wurden — dass
sie aus der Nebelgestalt fortgingen und fest zu werden begannen – dass
sie in diesem Zustande dann alt und grau wurden und zahllosen und mannigfaltigen
Abarten der Lebensentfaltung Geburt und Tod schufen — es war erforderlich,
dass die Sterne all das tun konnten — dass sie völlig Zeit hatten.
all diese göttlichen Zwecke
zu erfüllen — und zwar all das während
der Periode, in der alle Dinge ihre Rückkehr zur
Einheit mit einer Geschwindigkeit bewerkstelligten, die im umgekehrten
Verhältnis zu den Quadraten der Entfernungen anwächst, worin das unvermeidliche
Ende begründet liegt.
Bei dem allen haben wir keine Schwierigkeit, die absolute Genauigkeit der göttlichen
Anpassung zu verstehen. Die Dichtigkeit der einzelnen
Sterne schreitet natürlich in dem Maße vorwärts, wie der Verdichtungsprozess
sich verringert; Verdichtung und Heterogenität halten gleichen Schritt
miteinander; an letzterer, die der Gradmesser der ersteren ist, messen wir die
Entwicklung der Lebenskraft und des Geistes. So haben wir in der Dichtigkeit
der Sternkugeln das Maß, das uns anzeigt, wie weit ihre Zwecke erfüllt
sind. Je nachdem die
Dichtigkeit fortschreitet — je nachdem die göttlichen Absichten erfüllt
sind je weniger und immer weniger noch zu vollenden übrig bleibt —
so entsprechend, im selben Verhältnis. müssen wir erwarten, dass
das Ende um so beschleunigter eintritt: — und demnach
wird der philosophische Geist leicht verstehen, dass die göttlichen
Pläne bei der Bildung der Sterne sich
mathematisch ihrer Erfüllung nähern; noch mehr:
er wird gern dieser Annäherung einen mathematischen
Ausdruck geben; er wird erklären, dass diese Annäherung
den Quadraten der Entfernungen aller geschaffenen
Dinge vom Ursprunge und Ausgangspunkte ihrer Schöpfung
proportional ist.
Diese göttliche Anpassung ist
jedoch nicht nur mathematisch genau, sie trägt auch etwas in sich, was
sie eben zur göttlichen stempelt,
zum Unterschiede von den Werken bloß menschlicher Baukunst. Ich meine
die vollständige Gegenseitigkeit der
Anpassung.
Zum Beispiel: Wenn Menschen etwas errichten, so hat eine
bestimmte Ursache
eine bestimmte Wirkung; eine bestimmte Absicht
bringt ein bestimmtes Ziel zuwege; aber das ist alles; wir sehen keine Gegenseitigkeit.
Die Wirkung wirkt nicht auf
die Ursache zurück; die Absicht tritt nicht
in Beziehungen zu dem Ziele. In den Konstruktionen
Gottes ist das Ziel entweder Plan oder Ziel, je nachdem wir
es betrachten wollen — und wir können jederzeit eine Ursache
für eine Wirkung nehmen oder umgekehrt — so dass wir nie absolut
sicher entscheiden können, was das eine und was das andere ist.
Ein Beispiel: Im Polarklima verlangt
die menschliche Konstitution, um ihre tierische Wärme zu erhalten, für
die Verbrennung im Kapillarsystem die reichliche Zufuhr sehr stickstoffhaltiger
Nahrung wie zum Beispiel Fischtran. Aber andererseits: fast die einzige Nahrung,
die im Polarklima dem Menschen zur Verfügung steht, ist der Tran mächtiger
Robben und Walfische. Ist nun der Tran vorhanden, weil er gebieterisch verlangt
wird, oder wird nur dieses einzige verlangt, weil sonst nichts zu bekommen ist?
Unmöglich zu entscheiden. Hier herrscht eine absolute
Gegenseitigkeit der Anpassung.
Der Genuss, den wir aus der Erhaltung menschlicher Genialität schöpfen,
ist umso größer, je mehr eine Annäherung an diese Art Gegenseitigkeit
stattfindet. Beim Aufbau zum Beispiel des Planes
in einem Werke der schönen Literatur sollten wir darauf
sehen, die Ereignisse so anzuordnen, dass wir nicht imstande sind, von irgendeinem
auszumachen, ob es von einem anderen herkommt oder ob es dieses andere herbeigeführt
hat. In diesem Sinne ist natürlich Vollkommenheit
des Planes praktisch unerreichbar — aber nur, weil
es eine endliche Intelligenz
war, die aufgebaut hat. Die Pläne Gottes
sind vollkommen. Das Weltall ist ein Plan Gottes.
Und nun haben wir einen Punkt erreicht, wo der Geist wiederum genötigt
ist, gegen seinen Hang zu Analogieschlüssen
anzukämpfen — gegen sein an Monomanie [abnormer
Zustand des Besessenseins von einer einzigen Idee] grenzendes Begehren
des Unendlichen. Man hat Monde um Planeten kreisen
sehen, Planeten um Sterne; und der poetische Instinkt
der Menschheit — sein Instinkt fürs
Symmetrische, wobei die Symmetrie nur eine Symmetrie
der Oberfläche ist — dieser Instinkt,
den die Seele nicht bloß des Menschen, sondern aller geschaffenen Wesen
im Anfang aus der geometrischen Grundlage
der Ausstrahlung des Weltalls empfing — bringt
uns zu der Phantasie einer endlosen
Ausdehnung
dieses Systems von
Kreisen. Wir verschließen unsere Augen der
Deduktion wie der Induktion
und bestehen darauf, uns eine kreisende
Umdrehung aller Bahnen der Milchstraße um eine Riesenkugel
vorzustellen, die wir für den Angelpunkt des Ganzen halten.
Von jedem Haufen in dem großen Haufen von Sternhaufen nehmen wir natürlich
an, dass er in der nämlichen Weise eingerichtet und aufgebaut ist, und
damit es der »Analogie«
in keinem Stücke fehle, gehen wir dazu über, auch von diesen Haufen
wieder anzunehmen, dass sie sich um eine noch erhabenere Kugel drehen; diese
letztere wiederum mit ihren Haufen, die sie umkreisen, fassen wir auf als nur
eine aus einer noch herrlicheren Reihe von Agglomerationen
[Anhäufungen, Zusammenballungen], die ihrerseits
sich um eine wieder andere Kugel im Kreise
bewegen, die für sie Mittelpunkt ist — um eine
Kugel, die noch viel unaussprechlicher erhaben
ist — oder, besser gesagt, eine Kugel von
unendlicher Erhabenheit unendlichmal multipliziert mit dem unendlich
Erhabenen.
Das sind die ewig so weitergehenden Umstände, die die Phantasie
ausmalen und die Vernunft, wenn möglich, betrachten soll, ohne sich widerwillig
von dem Gemälde abwenden zu dürfen; so verlangt es die gebietende
Stimme dessen, was gewisse Leute »Analogie«
nennen. So beschaffen ist im allgemeinen
das unaufhörliche Kreisen über Kreisen, das uns die Philosophie
verstehen und erklären geheißen hat, wenigstens so gut wie wir können.
Hie und da jedoch setzt uns ein Philosoph besonderen Schlages — einer,
dessen Tollheit eine sehr entschiedene Wendung nimmt oder, mit Respekt zu sagen,
dessen Genie stark ausgesprochene Waschfrauenneigungen hat, indem es alles dutzendweise
erledigt — solch ein Philosoph setzt uns instand, den verborgenen Punkt,
bei dem die fraglichen Umdrehungsvorgänge zum Ende kommen, und dieses mit
Recht, deutlich zu sehen.
Es ist vielleicht kaum der Mühe wert, über die Träumereien Fouriers
auch nur zu spotten: — aber in letzter Zeit ist viel die Rede gewesen
von der Hypothese Mädlers
— dass im Mittelpunkte der Milchstraße eine ungeheure Kugel sich
befände, um die sich alle Systeme des Sternhaufens drehten Die Umlaufzeit
unseres eigenen Systems ist sogar festgestellt worden — 117 Millionen
Jahre.
Dass unsere Sonne eine Bewegung im Raume hat, die
unabhängig ist von der Drehung um sich selbst und ihrer Umdrehung um das
Gravitationszentrum des Systems, ist lange vermutet worden. Diese Bewegung,
ihre Existenz zugegeben, müsste sich perspektivisch
zeigen. Die Sterne in der Gegend des Firmaments, die wir hinter uns ließen,
müssten sich in einer sehr langen Reihe von Jahren zusammendrängen:
die auf der entgegengesetzten Seite müssten sich weiter voneinander entfernen.
Nun glauben wir mit Hilfe der Geschichte der Astronomie dunkel behaupten zu
können, einige solcher Erscheinungen hätten sich zugetragen. Auf Grund
dessen ist erklärt worden, unser System bewege sich in der Richtung eines
Punktes am Himmel, der dem Stern Zeta Herkulis gerade gegenüber sei; —
aber dieser Schluss ist das äußerste, wozu wir logisch berechtigt
sind. Mädler ist jedoch so weit gegangen,
von einem einzelnen Stern, der Alkyone in den Plejaden, zu behaupten, er befinde
sich an dem Fleck oder dicht bei ihm, um den herum eine allgemeine Kreisbewegung
sich vollziehe.
Da wir nun durch die »Analogie« in
erster Linie zu diesen Träumen geführt wurden, wäre es nicht
mehr als billig, dass wir uns wenigstens bis zu gewissem Grade, während
wir sie vorführen, an die Analogie halten;
und dieselbe Analogie,
die die Umdrehung behauptet, behauptet gleichzeitig eine Zentralkugel,
um die sie vor sich gehen soll: — soweit war der Astronom konsequent.
Diese Zentralsonne jedoch müsste nach den Gesetzen der Dynamik
größer sein als alle die Kugeln, die sie umgeben, zusammengenommen.
Von diesen gibt es etwa 100 Millionen. — »Warum
also,« so wurde natürlich gefragt, »warum
sehen wir diese ungeheure Zentralsonne nicht — deren Masse mindestens
hundert Millionen mal so groß ist wie unsere Sonnen — warum
sehen wir sie nicht — wir ganz besonders, die wir
den mittleren Teil des Haufens bewohnen — just die Gegend, in deren Nähe
unter allen Umständen dieser unvergleichliche Stern gelegen sein müsste?«
Die Antwort war schnell bei der Hand: — »Der
Stern muss nichtleuchtend sein, wie unsere Planeten.« Hier wird
also, um einen Zweck zu erreichen, die Analogie
plötzlich fallen gelassen. »Nicht doch«,
könnte man sagen, »wir wissen, dass
nicht-leuchtende Sonnen tatsächlich existieren.« Allerdings
haben wir mindestens Grund, dies zu vermuten: aber ganz gewiss haben wir nicht
den geringsten Grund zu der Annahme, die bewussten nicht-leuchtenden
Sonnen wurden umkreist von leuchtenden
Sonnen, während diese wieder von nicht-leuchtenden Planeten
umgeben wären und genau dazu müsste Mädler etwas Analoges am
Himmel finden — denn genau das stellt er sich im Falle der Milchstraße
vor. Wollen wir annehmen, die Sache verhalte sich so, so müssen wir wohl
oder übel uns hier ausmalen, eine wie klägliche Verlegenheit das Warum
ist es so allen a priori-Philosophen bereiten muss.
Aber selbst wenn wir, aller Analogie und allem
in der Welt zum Trotz, zugäben, die ungeheure Zentralkugel könne nicht-leuchtend
sein, so müssen wir doch weiter fragen, wieso diese enorme Kugel uns nicht
durch die Lichtflut sichtbar gemacht wird, die von den 100 Millionen glorreicher
Sonnen, die rings um sie herum glänzen, auf sie geworfen wird. Da man mit
dieser Frage drängend wurde, scheint man den Gedanken an eine tatsächlich
körperliche Zentralsonne einigermaßen aufgegeben zu haben; die Spekulation
beeilte sich vielmehr, zu versichern, dass die Systeme
des Haufens ihre Umdrehungen nur um ein immaterielles Gravitationszentrum
vornähmen, das allen gemeinsam sei. Also auch hier wieder hat man, um einen
Zweck zu erreichen, die Analogie fallen lassen.
Die Planeten unseres Systems drehen sich allerdings um ein gemeinsames Gravitationszentrum;
aber sie tun es infolge und in Verbindung mit einer materiellen Sonne, deren
Masse die übrigen Teile des Systems mehr als aufwiegt.
Der mathematische Kreis ist eine Kurve, die aus unendlich vielen geraden Linien
zusammengesetzt ist. Aber dieser Begriff des Kreises — es handelt
sich, wie bei allen geometrischen Begriffen, hier nur um einen mathematischen
Begriff, zum Unterschied von einer praktisch ausführbaren Konstruktion
ist diesmal ganz nüchtern tatsächlich eine praktische
Vorstellung, und zwar eine solche, die wir einzig
und allein in Bezug auf den majestätischen Kreis haben dürfen, um
den es, zumindest in unserer Phantasie, sich handelt,
wenn wir annehmen, unser System drehe sich um einen Punkt
inmitten der Milchstraße. Die stärkste menschliche Phantasiekraft
soll den Versuch machen, zum Begreifen eines so unermesslichen Umlaufes auch
nur den ersten Schritt zu tun!
Es wäre kaum paradox, zu sagen, dass ein Blitz, der
ewig über den Umfang dieses unsagbaren Kreises dahinführe,
noch immer ewig sich
in gerader Linie bewegte. Dass die Bahn unserer
Sonne in einem solchen Kreise für irgendeine menschliche Wahrnehmung auch
nur im geringsten von der geraden Linie abwiche, selbst in einer Million Jahre,
ist eine Behauptung, die man nicht begründen könnte; und doch verlangt
man von uns zu glauben, es sei eine Krümmung sichtbar geworden während
der kurzen Zeit der Geschichte unserer Astronomie — während eines
bloßen Moments — während des äußersten Nichts von
zwei- oder dreitausend Jahren.
Man kann sagen, dass Mädler in Wirklichkeit
eine Krümmung in der Richtung der jetzt wohlbegründeten
Bahn unserer Sonne durch den Raum festgestellt
hat. Wenn ich, falls
es notwendig ist, zugebe, dass diese Tatsache der Wirklichkeit entspricht, so
behaupte ich, dass damit nichts bewiesen ist als die Wirklichkeit der Tatsache
— die Tatsache einer Krümmung. Für
ihre vollständige
Sicherstellung werden Jahrhunderte erforderlich sein; und wenn sie feststeht,
wird sie irgendein binäres oder sonstwie multiples Verhältnis zwischen
unserer Sonne und einem oder mehr Nachbarsternen anzeigen. Ich riskiere indessen
nichts, wenn ich prophezeie, dass man nach Ablauf vieler Jahrhunderte alle Versuche,
die Bahn unserer Sonne durch den Raum zu bestimmen, aufgegeben haben wird. Dies
ist leicht zu verstehen, wenn wir die unendlichen Störungen erwägen,
die sie in ihren fortwährend wechselnden Beziehungen zu anderen Bahnen
bei der gemeinsamen Annäherung aller an den Kern der Milchstraße
erleiden muss.
Aber wenn wir anstatt der Milchstraße andere Nebel prüfen wenn wir
allgemein die Sternhaufen beobachten, die am Himmel zerstreut sind — finden
wir die Bestätigung für Mädlers Hypothese
oder finden wir sie nicht? Wir finden sie nicht.
Die Formen der Haufen sind außerordentlich verschiedenartig, wenn wir
sie flüchtig betrachten; aber bei genauer Beobachtung mittels mächtiger
Fernrohre erkennen wir sehr scharf, dass sie alle mindestens annähernd
Kugelgestalt haben — ihr Aufbau im allgemeinen ist nicht im Einklang mit
der Idee einer Umdrehung um ein gemeinsames Zentrum.
»Es ist schwierig,« sagt Sir
John Herschel, »sich irgendeine Vorstellung
von der dynamischen Verfassung solcher Systeme zu machen. Einerseits ist es
ohne Rotationsbewegung und Zentrifugalkraft kaum möglich, ihren Zustand
für etwas anderes zu halten als den eines fortschreitenden
Zusammenbruchs. Wenn wir aber andererseits eine solche
Bewegung und so eine Kraft zugeben, so finden wir keine geringere Schwierigkeit
darin, ihre Formen mit der Rotation des ganzen Systems (er
meint: Haufens) um eine einzelne Achse zu vereinbaren,
ohne die doch Zusammenstöße im Innern unvermeidlich erschienen.«
Einige Bemerkungen, die jüngst Dr. Nichol, der
die kosmischen Zustände in einem ganz anderen Lichte sieht als ich in dieser
Abhandlung, über die Nebelflecke machte sind ganz besonders auf den Fall,
der uns hier beschäftigt, anwendbar.
Er sagt: »Wenn unsere größten Fernrohre
auf sie gerichtet werden, so finden wir, dass die, die wir für unregelmäßig
hielten, es nicht sind; sie nähern sich der Kugelgestalt. Hier ist einer,
der oval aussah; aber das Fernrohr des Lord Rosse machte
ihn zu einem Kreise Nun finden wir einen sehr bemerkenswerten Umstand in Bezug
auf die vergleichsweise besonders unsteten Kreismassen der Nebelflecke. Wir
finden, dass sie ganz und gar nicht kreisförmig sind, sondern im Gegenteil;
und dass rings um sie, auf allen Seiten, Massen von Sternen sind, die
sich anscheinend ausdehnen, als ob sie infolge der Aktion irgendeiner großen
Gewalt einer großen Zentralmasse zustrebten.«
*)
*) Man muss verstehen, dass ich hauptsächlich
nur den Teil von Mädlers Hypothese leugne, der sich auf die Kreisbahnen
bezieht. Natürlich wird eine große Zentralkugel, wenn sie jetzt nicht
in unserem Haufen existiert, später vorhanden sein. Wann immer sie aber
existiert, sie wird nur der Kern der Konsolidation sein. E. A. P.
Hätte ich mit meinen eigenen Worten auszuführen, was auf Grund der
Hypothese, dass alle Materie,
wie ich behaupte, jetzt im Begriff ist, zu ihrer ursprünglichen Einheit
zurückzukehren, notwendigerweise der gegenwärtige Zustand jedes Nebelflecks
sein muss, so würde ich einfach, nahezu wörtlich, mich der Ausdrücke
bedienen, die hier Dr. Nichol gebraucht, obwohl
er nicht die entfernteste Ahnung der erstaunlichen Wahrheit hat, die der Schlüssel
zu diesen Nebularerscheinungen ist.
Und hier möchte ich meine Stellung noch mehr bestärken dürfen
durch die Stimme eines, der größer ist als
Mädler — eines Mannes überdies, für den all die
Angaben Mädlers seit langem vertraute Dinge
waren, die er sorgsam und gründlich erwogen hat. Im Hinblick auf die sorgfältigen
Berechnungen Argelanders — dessen Untersuchungen eben die Grundlage für
Mädler abgegeben haben — macht Humbold,
dessen Kunst zu generalisieren, aus den Einzeltatsachen umfassende Ideen zu
entwickeln, vielleicht nie ihresgleichen hatte, die folgende Bemerkung:
»Betrachtet man die nicht perspektivischen eigenen
Bewegungen der Sterne, so scheinen viele gruppenweise einander in Richtung entgegengesetzt;
und die bisher gesammelten Tatsachen machen es aufs wenigste nicht notwendig,
anzunehmen, dass alle Teile unserer Sternenschicht oder gar der gesamten Sterneninseln,
welche den Weltraum füllen, sich um einen großen, unbekannten, leuchtenden
oder dunkeln Zentralkörper bewegen. Das Streben nach den letzten und höchsten
Grundursachen macht freilich die reflektierende Tätigkeit des Menschen
wie seine Phantasie zu einer solchen Annahme geneigt.«
Die Erscheinung, auf die hier hingewiesen wird dass – »viele
Sterne gruppenweise einander in Richtung entgegengesetzt« sind
— ist durch Mädlers Idee ganz und gar
nicht zu erklären; jedoch geht sie als notwendige Folge aus dem hervor,
was die Grundlage dieser Abhandlung bildet. Während die
bloß allgemeine Richtung eines jeden Atoms eines
jeden Mondes. Planeten, Sterns oder Haufens — nach meiner Hypothese
natürlich absolut geradlinig wäre, während die allgemeine
Bahn aller Körper eine gerade Linie wäre, die
zu aller Zentrum führte, ist es trotzdem klar, dass dieser allgemeinen
Geradlinigkeit etwas beigegeben ist, was man fast ohne Übertreibung eine
Unendlichkeit besonderer Kurven nennen kann —
eine Unendlichkeit lokaler Abweichungen von der Geradlinigkeit — das Ergebnis
fortwährender Verschiebungen in der relativen Lage der zahllosen Massen,
je nachdem jede auf ihrem eigenen besonderen Wege zum Ende vorschreitet.
Ich zitierte vorhin die folgenden Worte Sir John Herschels
in Bezug auf die Sternhaufen:
»Einerseits, ohne Rotationsbewegung und Zentrifugalkraft
ist es kaum möglich, ihren Zustand für etwas anderes zu halten als
den des fortschreitenden Zusammenbruchs.«
Es ist Tatsache, dass wir es, wenn wir die »Nebelflecke«
mit einem starken Fernrohre beobachten, ganz unmöglich finden werden, diesen
Gedanken des »Zusammenbruchs«, wenn
wir ihn erst gefasst haben, nicht an allen Enden bestätigt zu finden. Ein
Kern ist immer sichtlich, in dessen Richtung sich die Sterne zu stürzen
scheinen; auch können diese Kerne durchaus nicht fälschlich für
bloß perspektivische Erscheinungen gehalten werden die Haufen sind
tatsächlich dichter in der Nähe des Zentrums,
zerstreuter in den Teilen, die weiter davon entfernt sind. Mit einem Wort, wir
sehen alles, wie wir es sehen müssten,
wenn ein Zusammenbruch vorläge; dagegen muss im Allgemeinen
von diesem Haufen gesagt werden, dass wir von Rechts wegen auf Grund des Augenscheins
nur dann die Idee einer
Kreisbewegung um ein Zentrum hegen können, wenn wir
annehmen, dass möglicherweise in
den entfernten Bezirken des Raumes dynamische Gesetze
gelten, von denen wir nichts wissen.
Bei Herschel jedoch bemerken wir ein offenbares
Widerstreben, die Nebelflecke
als »in einem Zustande fortschreitenden Zusammenbruchs«
befindlich zu betrachten. Aber wenn Tatsachen – wenn der Augenschein die
Vermutung, dass sie in diesem Zustande sind, rechtfertigen, warum,
so mag wohl gesagt werden, ist er abgeneigt, es zuzugeben? Lediglich auf Grund
eines Vorurteils; bloß weil die Annahme einem vorgefassten und äußerst
grundlosen Begriffe widerstreitet — dem Begriffe
der Endlosigkeit — des ewigen
Bestandes des Weltalls.
Wenn die Aufstellungen dieser Abhandlung haltbar sind, so ist der »Zustand
fortschreitenden Zusammenbruches« genau
der, den wir einzig und allein allen Dingen zuzuschreiben
befugt sind; und mit gebührender Bescheidenheit möchte ich hier bekennen,
dass ich für mein Teil nicht verstehen kann, wie irgend eine
andere Auffassung der tatsächlichen Sachlage jemals
ins Menschenhirn eindringen konnte. »Die Tendenz
des Zusammenbruches« und »die Attraktion
der Gravitationskraft« sind Ausdrücke, die man miteinander
vertauschen kann. Wenn wir den einen oder den andern anwenden, so sprechen wir
von der Reaktion auf den ersten Akt.
Nie war eine Notwendigkeit weniger dringend als die, anzunehmen. die Materie
sei mit einer unausrottbaren Qualität
begabt. die einen Teil ihrer materiellen Natur bilde — einer Qualität
oder einem Triebe,
die ewig untrennbar von ihr seien — einem
unveräußerlichen Prinzip, kraft dessen
jedes Atom fortwährend getrieben werde, sein Bruder-Atom zu suchen.
Nie war eine Notwendigkeit weniger dringend als die, so eine unphilosophische
Idee zu haben. Schreiten wir keck über das vulgäre Denken
hinaus und begreifen wir, metaphysisch,
dass das Gravitationsprinzip zeitweise zur
Materie gehört — nur weil sie zerstreut ist – nur weil
sie als Vielheit existiert anstatt als Eines
— dass es zu ihr gehört allein auf Grund dessen, dass sie ausgestrahlt
ist — mit einem Worte: dass es ganz und gar zu ihrem Zustande
gehört und nicht im geringsten zu ihr
selbst.
Nach dieser Auffassung wird das Gravitationsprinzip, wenn die Ausstrahlung zu
ihrer Quelle zurückgekehrt ist – wenn die Reaktion vollendet ist
— nicht länger mehr existieren. Und in der Tat gibt es Astronomen,
die zwar keineswegs den hier vorgetragenen Gedanken erfasst haben, die sich
ihm aber doch genähert zu haben scheinen, indem sie erklären, dass
es »unmöglich wäre, die Geltung des Gravitationsprinzips
zu verstehen, wenn es nur einen einzigen Körper im Weltall gäbe«;
das heißt, aus ihrer Auffassung der Materie
heraus kommen sie zu einem Schlusse, zu dem ich auf deduktivem Wege gelange.
Dass aber eine so erkenntnisschwangere Ansicht, wie die eben zitierte, so lange
unfruchtbar bleiben konnte, ist doch ein Geheimnis, das zu ergründen mir
schwer fällt.
Vielleicht jedoch ist es in hohem Grade unser Hang zum Ununterbrochenen —
zum Analogen im vorliegenden Falle eigentlich mehr
zum Symmetrischen — was uns irregeführt hat. Und in der Tat ist der
Sinn für Symmetrie ein Instinkt, auf den man
sich fast mit blindem Vertrauen verlassen kann. Er ist die poetische Essenz
des Weltalls, das in
der Majestät seiner Symmetrie nichts anderes ist als das erhabenste Gedicht.
Nun sind Symmetrie und Übereinstimmung gleichbedeutende Ausdrücke:
also sind Poesie und Wahrheit eins. Etwas ist übereinstimmend, zutreffend,
im Verhältnis seiner Wahrheit — wahr im Verhältnis seiner Übereinstimmung.
Eine vollständige Übereinstimmung, ein völliges Zutreffen kann
nichts anderes sein, ich wiederhole es, als absolute Wahrheit. Wir können
es also als zugestanden betrachten, dass der Mensch nicht lange oder weit in
die Irre gehen kann, wenn er sich von seinem poetischen Instinkt, von dem ich
sage, er sei identisch mit seinem Wahrheitsinstinkt, weil er ein Instinkt für
Symmetrie ist, leiten lässt. Jedoch muss er sich hüten, dass er nicht
unachtsam bloß auf die oberflächliche Symmetrie von Formen und Bewegungen
aus ist und dadurch die wirklich wesentliche Symmetrie der Prinzipien, die jene
bestimmen und regulieren, übersieht.
Dass die Gestirne sich schließlich in Eins verschmelzen,
dass zuletzt alles in die Substanz
einer einzigen ungeheuren Zentralkugel, die
bereits existiere, hineingezogen würde, dieser
Idee scheint die Phantasie der Menschheit
in einer vergangenen Epoche vag und unbestimmt zugetan gewesen zu sein. In der
Tat ist es eine außerordentlich einleuchtende
Idee. Sie entspringt spontan aus einer ganz oberflächlichen
Betrachtung der kreisförmigen und scheinbar sich
drehenden oder wirbelnden Bewegungen
der besonderen Teile des Weltalls, die sich unserer Beobachtung am unmittelbarsten
und nächsten darbieten. Es gibt vielleicht keinen Menschen von gewöhnlicher
Bildung und nur durchschnittlicher Reflexionsgabe, dem sich nicht zu gewisser
Zeit diese Phantasie aufgedrängt hätte, als ob sie spontan käme
oder intuitiv, mit all den Kennzeichen einer sehr tiefen und ursprünglichen
Anschauung. Diese Anschauung jedoch, so allgemein verbreitet sie ist, ist meines
Wissens nie aus abstrakten Erwägungen hervorgegangen; da sie im Gegenteil,
wie gesagt, aus den wirbelnden Bewegungen um Mittelpunkte geschöpft wurde
— suchte man auch die Begründung — die Ursache
für die Sammlung aller Kugeln in einer, die
man bereits existierend wähnte, natürlich in
der nämlichen Richtung, unter diesen Kreisbewegungen
selbst.
So geschah es, dass die Ankündigung von der allmählichen und vollkommen
regelmäßigen Abnahme, die man in der Bahn des Enckeschen
Kometen bei jeder erneuten Umdrehung um unsere Sonne beobachtete, bei
den Astronomen die fast einhellige Meinung erzeugte, die fragliche Ursache
sei gefunden – ein Prinzip sei entdeckt,
das genüge, um das schließliche Zusammenfallen des ganzen Weltalls
physikalisch zu erklären, das — ich wiederhole es — der analogische,
symmetrische oder poetische Instinkt des Menschen von vorn¬herein entschlossen
war, als etwas bedeutungsvolleres als eine bloße Hypothese
aufzufassen.
Diese Ursache, dieser zureichende Grund für
die schließliche Zusammenballung sollte in einem ausnehmend feinen, aber
doch noch materiellen Medium bestehen, das den Raum durchdringe; dieses Medium
sollte dadurch, dass es bis zu gewissem Grade den Kometen in seinem Laufe aufhielt,
fortwährend seine Tangentialkraft schwächen und so der Zentripetalkraft
das Übergewicht geben, die dann natürlich den Kometen bei jeder Umdrehung
der Sonne mehr und mehr nähern und ihn eventuell in sie hineinschleudern
müsste.
All das war streng logisch — das Medium oder den Äther
vorausgesetzt; zu diesem Äther aber war man
sehr unlogisch gekommen auf Grund der Annahme, dass kein
anderer Modus als der eine entdeckt werden könne,
der dazu diente, die beobachtete Abnahme in der Bahn des Kometen zu erklären:
— als ob aus der Tatsache, dass wir keine andere Erklärungsart
entdecken konnten, irgendwie folgte, es sei keine andere
Erklärungsart möglich. Es ist klar, dass zahllose
Ursachen in ihrem Zusammentreffen es bewirken könnten, die Bahn
zu verkleinern, ohne dass es vielleicht für uns möglich wäre,
auch nur eine davon kennen zu lernen. Mittlerweile ist aber vielleicht nie richtig
gezeigt worden, warum nicht die Hemmung, die der Komet am Rande der Sonnenatmosphäre
erleidet, durch die er in seiner Sonnennähe hindurchgeht, eine genügende
Erklärung für die Erscheinung sein soll.
Dass Enckes Komet von der Sonne verschlungen werden
wird, ist wahrscheinlich; dass alle Kometen des Systems schließlich verschlungen
werden, ist mehr als bloß möglich; aber in diesem Falle muss das
Prinzip der Vernichtung auf die Besonderheit der Umlaufsbahn zurückgeführt
werden – darauf, dass die Kometen in ihrer Sonnennähe eng an die
Sonne herankommen; es ist ein Prinzip, das nicht
im geringsten die gewichtigen Kugeln berührt,
die die eigentlichen materiellen Bestandteile des Weltalls sind. Was die Kometen
im Allgemeinen angeht, so möchte ich hier beiläufig bemerken, dass
wir nicht sehr fehlgehen werden, wenn wir sie als die
Blitze des kosmischen Himmels betrachten.
Die Idee eines hemmenden Äthers
und einer in Verbindung damit vor sich gehenden schließlichen Zusammenballung
aller Dinge schien seiner Zeit jedoch durch die Beobachtung einer positiven
Abnahme in der Bahn des Mondes der fest ist — bestätigt zu werden.
Man stützte sich auf Berichte über Finsternisse, die vor 2500 Jahren
stattgefunden hatten und bei denen es sich ergab, dass die Umdrehungsgeschwindigkeit
des Trabanten damals beträchtlich
geringer war als heute, so
dass er, vorausgesetzt, dass seine Bahnbewegung genau dem Keplerschen
Gesetze entspricht und damals, vor 2500 Jahren, genau bestimmt wurde,
jetzt beinahe 9000 Meilen weiter voran ist, als er sein
sollte.
Das Anwachsen der Geschwindigkeit bewies natürlich eine Verkleinerung der
Bahn, und die Astronomen waren drauf und dran, zu glauben. die Annahme des Äthers
sei die einzige Erklärungsart für die Erscheinung, als Lagrange
ihnen zu Hilfe kam. Er zeigte, dass auf Grund der Gestaltung der Sphäroide
die kürzere Achse ihrer Ellipsen eine veränderliche Länge aufweisen
müsse, während die längere Achse unverändert bleibe; er
zeigte ferner, dass diese Veränderung dauernd und vibrierend sei, so dass
jede Bahn in einem Zustande des Überganges entweder vom Kreise zur Ellipse
oder von der Ellipse zum Kreise sei. Im Falle des Mondes, wo die kleinere Achse
im Abnehmen begriffen ist, geht die Bahn vom Kreise zur Ellipse über und
nimmt daher ebenfalls ab; aber wenn nach einer langen Reihe von Jahren der äußerste
Grad Exzentrizität erreicht ist, dann geht die kürzere Achse wieder
dazu über, zuzunehmen, bis die Bahn zum Kreise wird, worauf der Prozess
der Verkürzung von neuem beginnt, und so immer weiter. Im Falle der Erde
geht die Bahn von der Ellipse zum Kreise über. Die so aufgeklärten
Tatsachen machen natürlich jeglicher Notwendigkeit, einen Äther anzunehmen,
und jeder Besorgnis. das System sei um des Äthers
willen in Gefahr, in die Brüche zu gehen, ein Ende.
Man wird sich erinnern, dass ich selbst etwas angenommen habe. was wir Äther
nennen können. Ich habe von einem feinen Einflusse
gesprochen, von dem wir wissen, dass er immer bei der Materie
ist, obwohl er sich erst durch die Heterogenität der Materie zeigt. Auf
diesen Einfluss habe
ich, ohne dass ich wagte, an den Versuch einer Erklärung seiner Ehrfurcht
gebietenden Natur zu rühren, die verschiedenen Erscheinungen der Elektrizität,
der Wärme, des Lichtes, des Magnetismus
zurückgeführt, und ferner: der Lebenskraft,
des Bewusstseins
und des Denkens
— mit einem Worte: des Psychischen. Man wird
nun sofort sehen, dass der so aufgefasste Äther und
der Äther der Astronomen von Grund aus verschieden
sind, insofern der ihre Materie
ist und meiner nicht.
Mit der Idee eines materiellen
Äthers scheint der Gedanke an eine
Zusammenballung des Weltalls vollständig aufgegeben, der so lange von der
poetischen Phantasie der Menschheit gehegt worden
war — die Zusammenballung, an die zu glauben eine gesunde Philosophie
durchaus berechtigt gewesen wäre, mindestens bis zu gewissen Grade,
wenn aus keinem anderen Grunde, so bloß darum, weil die poetische Phantasie
sich für sie ausgesprochen hatte. Aber soweit die Astronomie — soweit
bloße Physik bisher gesprochen hat, haben
die Kreise des Weltalls kein vorstellbares Ende. Wäre indessen ein Ende
auf Grund einer so unwesentlichen Ursache, wie
ein solcher Äther sie vorstellt, erwiesen
worden, so hätte sich der Instinkt des Menschen
für die Anpassungsfähigkeit Gottes gegen diesen
Beweis aufgelehnt. Wir hätten uns genötigt gesehen, das Weltall
mit so einer Art Missfallen zu betrachten, wie wir es kennen lernen, wenn wir
ein unnötig kompliziertes Werk menschlicher Technik ansehen. Die Schöpfung
hätte auf uns einen ähnlichen Eindruck gemacht, wie ein unvollkommener
Plan in einem Roman, wo der Knoten plump mit Hilfe eingemengter
Zwischenfälle geschürzt ist, die der eigentlichen Fabel fremd und
äußerlich angeklebt sind, wo doch die Verwicklung aus dem Schoße
der These, aus dem Herzen der leitenden Idee entspringen müsste, wo sie
als Re¬sultat aus dem Grundgedanken hervorgehen müsste, als untrennbarer
und unweigerlicher Teil und Zu¬behör der ursprünglichen Konzeption
des Buches.
Was ich unter der bloßen Oberflächensymmetrie verstanden wissen will,
wird nun deutlicher einzusehen sein. Nur die Verlockung dieser Symmetrie ist
Schuld daran, dass wir mit der allgemeinen Idee in die Irre geführt wurden,
von der Mädlers Hypothese
nur ein Teil ist — der Idee der wirbelnden Verengerung der Bahnen. Die
Symmetrie des Prinzips dagegen verwirft diese rein physikalische Vorstellung
und sieht das Ende aller Dinge in dein Begriffe des Anfangs metaphysisch inbegriffen;
sucht und findet in diesem Ursprunge aller Dinge den Embryo
dieses Endes und weiß, dass es frivol wäre,
anzunehmen, dieses Ende trete weniger einfach ein — weniger unmittelbar
— als in Form der Reaktion auf den urersten
Akt.
Kommen wir nunmehr auf eine frühere Aufstellung zurück, fassen wir
die Systeme – fassen wir jeden Stern mit den Planeten, die ihn begleiten
— nur als ein riesenhaftes Atom auf, das im Raume mit genau derselben
Neigung zur Einheit lebt, die im Anfang die wirklichen Atome nach ihrer Ausstrahlung
in die Weltenkugel auszeichnete. Wie diese ursprünglichen Atome gegeneinander
schossen in Linien, die im allgemeinen gerade waren, so wollen wir uns auch
als mindestens im allgemeinen geradlinig die Wege der einzelnen System-Atome
zu ihren Aggregationszentren vorstellen: — und in diesem unmittelbaren
Zusammenfinden, wie die Systeme sich zu Haufen vereinigen, wie ebenso und gleichzeitig
die Haufen sich zusammenfinden und die Konsolidierung fortschreitet —
darin haben wir nun endlich das große Jetzt
erreicht — die furchtbare Gegenwart — den augenblicklichen Zustand
des Weltalls.
Von der noch schrecklicheren Zukunft können wir an Hand einer nicht unerlaubten
Analogie eine Hypothese ausgestalten. Da das Gleichgewicht zwischen Zentripetal-
und Zentrifugalkräften in jedem Systeme beim Eintritt einer gewissen Annäherung
an den Kern des Haufens, zu dem es gehört, notwendig zerstört werden
muss, müssen danach sofort chaotisch oder scheinbar chaotisch die Monde
auf die Planeten, die Planeten auf die Sonnen und die Sonnen auf die Sterne
losstürzen; und das allgemeine Ergebnis dieses Sturzes muss die Ansammlung
der Myriaden jetzt-existierender Sterne zu einer beinahe unendlich geringeren
Zahl von beinahe unendlich größeren Kugeln sein. Die Welten jener
Zeit werden unermesslich größer sein als die unseren, aber es wird
ihrer unermesslich weniger geben. Dann werden wahrhaftig aus unergründlichen
Schlünden ungeheure Sonnen auf¬strahlen. All diese Herrlichkeit aber
wird nur eine Stufe sein, die das große Ende verkündet. Dieses Ende
kann die neue Genesis, die ich eben beschrieb, nur kurze Zeit aufhalten. Während
sie sich vereinigten, sind die Sternhaufen mit unerhört anwachsender Schnelligkeit
ihrem eigenen gemeinsamen Mittelpunkte zugeschossen, und nun, mit vertausendfachter
elektrischer Geschwindigkeit, die nur ihrer eigenen Körpergröße
und der seelenhaften Leidenschaft ihres Einheitsehnens entspricht, flammen die
königlichen Trümmer des Sternenheeres endlich in ihre allvereinende
Umarmung. Die unvermeidliche Katastrophe ist da.
Diese Katastrophe – aber was ist sie? Wir haben die Vereinigung der Kugeln
vollendet gesehen. Von jetzt an — müssen wir jetzt nicht annehmen,
dass eine einzige materielle Kugel
aus Kugeln
das Weltall bildet und umfasst? Eine Phantasie
der Art würde völlig jeder Annahme und Auffassung dieser Abhandlung
widerstreiten.
Ich habe bereits von der vollständigen Gegenseitigkeit
der Anpassung gesprochen, die die besondere Eigenheit der
Gotteskunst ist — sie zur göttlichen macht. Bis zu diesem Wendepunkte
unserer Betrachtung haben wir den elektrischen Einfluss als ein Etwas betrachtet,
kraft dessen Repulsion allein die Materie instand gesetzt wird, in dem Zustande
der Zerstreuung zu existieren, der für die Erfüllung ihrer Zwecke
notwendig ist: bis jetzt, mit einem Worte, haben wir den besagten Einfluss um
der Materie willen eingesetzt sein lassen, um den Zielen der Materie behilflich
zu sein. Auf Grund der Gegenseitigkeit, die anzunehmen wir vollkommen befugt
sind, betrachten wir jetzt die Materie als einzig
und allein um dieses Einflusses willen geschaffen —
einzig und allein geschaffen, um den Zielen dieses psychischen Äthers zu
dienen. Durch die Hilfe — vermittels — durch die Wirksamkeit der
Materie, und kraft ihrer Heterogenität — wird dieser Äther offenbar
— wird der Geist individualisiert.
Nur in der Entfaltung dieses Äthers, durch
Heterogenität geschieht es, dass besondere Stoffe der Materie belebt werden
— empfindend und nur im Verhältnis der Heterogenität; wobei
einige einen Grad der Empfindung erreichen, der das einschließt, was wir
Denken nennen —
Bewusstsein.
So genommen sind wir imstande, die Materie als
Mittel aufzufassen — nicht als Ziel. Man sieht so, ihre Zwecke
sind in ihrer Zerstreuung gelegen und mit der Rückkehr zur Einheit hören
diese Zwecke auf. Die absolut zu Eins gewordene Kugel der Kugeln wäre zwecklos,
gegenstandlos — daher könnte sie nicht einen
Augenblick länger existieren. Die Materie, die um eines Zweckes willen
geschaffen wurde, wäre ohne Frage nach Erreichung dieses Zweckes keine
Materie mehr.
Bemühen wir uns, zu verstehen, dass sie verschwinden wird und dass Gott
bleibt: alles in allem.
Dass jedes gotterzeugte Werk mit einer besonderen Bestimmung stehen und fallen
muss, scheint mir hervorragend einleuchtend, und ich hege keinen Zweifel, dass
die meisten meiner Leser, wenn sie merken, dass die schließliche Kugel
von Kugeln zwecklos und gegenstandlos
wäre, sich mit meinem: »also kann sie nicht
länger existieren« zufrieden geben werden. Nichtsdestoweniger
wollen wir, da der verblüffende Gedanke ihres augenblicklichen Verschwindens
der Art ist, dass auch von dem stärksten Kopfe nicht verlangt werden kann,
er solle ihn auf Grund so bloßer Abstraktion fassen, uns bemühen,
die Idee von einem anderen und gewöhnlicheren Gesichtspunkte aus zu betrachten:
wir wollen sehen, wie schön und von Grund aus sie bestätigt wird durch
eine Anschauung der Materie a posteriori, wie wir sie tatsächlich vorfinden.
Ich habe früher gesagt, »dass wir, da Attraktion und Repulsion unleugbar
die einzigen Attribute sind, durch die die Materie sich unserer Erkenntnis offenbart,
völlig zu der Annahme berechtigt sind, die Materie
existiere nur
als Attraktion und Repulsion — mit anderen Worten: dass Attraktion und
Repulsion die Materie sind;
indem wir uns keinen Fall denken können, in dem wir nicht das Wort >Materie<
und die Worte >Attraktion< und >Repulsion<
(für eins genommen) als gleichbedeutende logische
Bezeichnungen anwenden und also auch miteinander vertauschen dürften«.
Nun bedingt die Definition der Attraktion recht eigentlich Besonderung —
das heißt: das Vorhandensein von Teilen. Teilchen oder Atomen; denn wir
definieren sie als die Tendenz »jedes Atoms usw. zu jedem anderen Atom«
usw., entsprechend einem bestimmten Gesetze. Natürlich, wo es keine
Teile gibt — wo absolute Einheit ist — wo der Tendenz zum Einssein
Genüge getan ist — da kann es keine Attraktion geben: — dies
ist völlig erwiesen, und das lehrt jede Philosophie. Wenn also nach Erreichung
ihrer Zwecke die Materie in ihren ursprünglichen Zustand — das Eine
— zurückgekehrt sein wird – welcher Zustand
die Austreibung des trennenden Äthers voraussetzt, dessen Bereich und dessen
Brauchbarkeit sich darauf beschränken, die Atome bis zu dem großen
Tage auseinander zu halten, wo dieser Äther nicht länger benötigt
wird und das überwältigende Drängen der schließlich allumfassenden
Attraktion endlich just so stark sein wird, ihn aufzutreiben: — wenn,
sage ich, die Materie endlich den Äther ausgetrieben haben und zur absoluten
Einheit zu¬rückgekehrt sein wird — so wird sie (um
es für den Augenblick paradox auszudrücken) Materie ohne Attraktion
und ohne Repulsion sein — mit anderen Worten: Materie ohne Materie —
noch anders gesagt: nicht mehr Materie.
Indem sie in die Einheit versinkt, sinkt sie mit eins in das Nichts, das die
Einheit für jede endliche Vernunft sein muss — in das Nichtsein der
Materie, aus der sie für unsere Fassungskraft einzig und allein hervorgerufen
sein kann — geschaffen
durch den Willen Gottes.
Ich wiederhole also: bemühen wir uns zu verstehen, dass die letzte Kugel
der Kugeln augenblicklich verschwinden wird und dass Gott bleibt: alles in allem.
Aber soll es hier aufhören? Nicht doch. Wir können getrost annehmen,
dass auf die Zusammenballung und Auflösung des Weltalls eine neue und vielleicht
völlig andere Reihe von Zuständen folgt — eine andere Schöpfung
und Ausstrahlung, die in sich selbst zurückkehrt — eine andere Aktion
und Reaktion des göttlichen Willens. Lassen wir unsere Phantasie von dem
allwaltenden Gesetz der Gesetze, dem Gesetz der periodischen Wiederkehr leiten,
sind wir dann nicht fürwahr mehr als berechtigt, des Glaubens zu leben
— sagen wir lieber: die Hoffnung zu hegen — dass die Vorgänge,
denen wir hier nachzusinnen wagten, ewig und ewig und ewig erneut werden; dass
ein neues Weltall ins Dasein schwillt und dann in Nichts zerfällt —
bei jedem Schlage des Gottesherzens?
Nun aber dieses Gottesherz —
was ist es? Es
ist unser eigenes.
Möge die scheinbare Ehrfurchtlosigkeit dieses Gedankens unsere Seelen nicht
scheuchen — prüfen wir ihn kühl und bewusst — in tief
geruhsamer Selbsterforschung — nur so können wir hoffen, dass diese
wundervollste Wahrheit zu uns kommt und still und mächtig unser eigen wird.
Die Erscheinungen, auf die an dieser Stelle unsere Schlüsse bauen, sind
nur seelenhafte Schatten, aber darum doch von Grund aus gegenständlich.
Wir wandeln dahin, unter den Losen unseres Weltenseins, umkreist von dunklen
und doch niemals schwindenden Erinnerungen
an ein größeres Los — weit, weit in vergangenen Zeiten —
unendlich heilig, unendlich furchtbar.
Wir verleben eine Jugend, die seltsam heimgesucht von solchen Träumen ist;
doch nicht als Träume nehmen wir sie hin. Wir wissen es —: es sind
Erinnerungen. So lange wir jung sind,
ist der Unterschied zu hell, als dass wir nur einen Augenblick uns täuschen
könnten.
Solange diese Jugend dauert, ist das Gefühl, dass
wir leben, das natürlichste aller Gefühle. Wir
verstehen es von Grund aus. Dass es eine Zeit gegeben haben solle, wo wir nicht
lebten — oder dass es so hätte kommen können, dass wir überhaupt
nie gelebt hätten – das sind fürwahr Betrachtungen, die wir
in dieser Jugend schwer verstehen. Warum wir nicht leben
sollten. die Frage ist, bis zum Beginn unseres
Mannesalters, von allen am wenigsten zu beantworten. Leben
– Leben an und für sich – Leben von jeher und in alle Ewigkeit
— das scheint, bis zum Beginn des Mannesalters, der selbstverständliche
Zustand scheint es, weil er es ist.
Doch nun kommt die Zeit, wo konventionelle Weltweisheit uns aus der Wahrheit
unsres Traums erweckt. Zweifel, Staunen und Nichtfassenkönnen stellen sich
gleichzeitig ein. Sie sagen: — »Du lebst,
und es gab eine Zeit, wo du nicht lebtest. Du bist erschaffen worden. Es gibt
einen Geist, der größer ist als der deine; und durch diesen Geist
nur lebst du überall.« Diese Dinge zu fassen, ringen wir und
können nicht
— können nicht,
weil diese Dinge, unwahr wie sie sind, auch niemals zu begreifen sind.
Es lebt kein denkender Mensch, der nicht einmal, in einem lichten Momente seines
Gedankenlebens, sich inmitten der Brandung vergebenen Bemühens verloren
gefühlt hätte, zu fassen, zu glauben, es gebe irgend etwas, das
größer sei, als seine eigene Seele. Die äußerste
Unmöglichkeit, dass irgendeines Menschen Seele eine andere je über
sich stellte; die schneidende, erschütternde Unlust und Empörung gegen
diesen Gedanken — das alles und dazu das allerfüllende Streben nach
Vollendung ist nur das geistige, mit dem Materiellen zusammenfallende Ringen
der ursprünglichen Einheit — ist, für
meinen Geist wenigstens, ein Zeugnis, das bei weitem alles hinter sich lässt,
was der Mensch Beweis nennt, ein Zeugnis, dass keine Seele geringer ist, als
eine andere — dass nichts größer ist, größer sein
kann als irgendeine Seele — dass jede Seele, als
Teil, ihr eigener Gott, ihr eigener Schöpfer ist: — mit einem
Wort: dass Gott — der materielle und geistige Gott — jetzt
einzig und allein in der zerstreuten Materie und dem zerstreuten
Geist des Weltalls existiert; und dass die Wiedervereinigung dieser zerstreuten
Materie und dieses zerstreuten Geistes nur die Wiederherstellung des rein
geistigen und individuellen Gottes
ist.
In dieser Deutung, und nur in dieser Deutung, begreifen wir die Rätsel
göttlicher Ungerechtigkeit — unerbittlichen Schicksals. In dieser
Deutung allein wird das Dasein des Übels begreiflich: in dieser Deutung
aber wird es mehr —: erträglich. Unsere Seelen empören sich
nicht länger gegen ein Leid,
das wir selber uns selber auferlegt haben zur Förderung unserer eigenen
Ziele — mit dem Ausblick — wenn auch nur flüchtigen Ausblick
— auf die Vergrößerung unserer eigenen Freude.
Ich habe von den Erinnerungen
gesprochen, die uns in unsrer Jugend heimsuchen. Manchmal folgen sie uns auch
noch in unser Mannesalter: — nehmen mehr und mehr bestimmte Züge
an: — reden dann und wann mit leisen Stimmen zu uns — also sprechend:
»Es war einmal in der Nacht der Zeiten, da gab es ein Wesen, das noch
da ist — eines aus der absolut unendlichen Zahl ähnlicher Wesen,
die die absolut unendlichen Bezirke des absolut unendlichen Raumes bevölkern.
Es stand nicht und steht nicht in der Macht dieses Wesens — so wenig wie
in eurer eigenen – durch tatsächliches Wachstum die Freude seines
Daseins zu vergrößern; aber gerade wie es in eurer Macht steht, eure
Genüsse auszudehnen oder einzuschränken (wobei
die Summe des Glückes immer dieselbe bleibt), so eignete und eignet
das gleiche Vermögen diesem göttlichen Wesen, das seine Ewigkeit in
beständiger Abwechslung zwischen dem in sich zurückgezogenen Selbst
und der fast unendlichen Selbst-Zerstreuung hinbringt. Was ihr das Weltall nennt,
ist nur sein gegenwärtiger Zustand: Ausdehnung.
Er fühlt jetzt sein Leben in einer Unendlichkeit unvollkommener Freuden
— der teilweisen und schmerzvermengten Freuden der unbegreiflich zahllosen
Dinge, die ihr als seine Geschöpfe bezeichnet, doch die in Wahrheit nur
unendliche Individualisierungen seiner selbst sind. All diese Geschöpfe
- alle - die ihr belebt
nennt, und ebenso die, denen ihr das Leben absprecht aus keinem besseren Grunde,
als weil ihr keine Wirksamkeit ihres Lebens gewahret – all diese Geschöpfe
haben, in größerem oder geringerem Grade, ein Vermögen für
Lust und für Schmerz: — die Gesamtsumme
ihrer Empfindungen aber ist genau dieselbe Menge Glück, die von Rechts
wegen dem göttlichen Wesen zukommt, wenn es sich in sich selbst zurückgezogen
hat.
Diese Geschöpfe sind alle mehr oder weniger bewusst; bewusst, erstlich
ihres eigenen Selbst; bewusst, zweitens und nur durch schwaches, verschwimmendes
Ahnen, der Identität mit dem göttlichen Wesen, von dem wir sprechen
— der Identität mit Gott. Man stelle sich vor, dass von diesen zwei
Arten des Bewusstseins während der langen Reihe von Zeiten der Zeiten,
die vergehen müssen, bevor diese Myriaden individueller Geistwesen in Eins
verschmelzen – wenn die strahlenden Sterne in Eins verschmelzen –
die erstere schwächer, die letztere stärker wird. Man denke sich,
dass der Sinn für die individuelle Identität allmählich untertaucht
in das allgemeine Bewusstsein — dass der Mensch zum Beispiel unmerklich
aufhört, sich als Mensch zu fühlen, und schließlich den überwältigend
sieghaften Moment erreicht, wo er sein Dasein als das Jehovas
erkennt. Mittlerweile bewahrt es in eurer Seele, dass alles Leben ist —
Leben — Leben in Leben — das kleinere im größeren —
und alles im göttlichen Geiste.«
S. 148-182
Aus: Heureka und Romantische Erzählungen von Edgar Allan Poe, Band II der
Werke Edgar Allan Poes im Verlag J.C.C.Bruns Minden in Westfalen 1922