Plotin (um 205 – 270)

  Griechischer Philosoph, der in seinem 40. Lebensjahr in Rom als Lehrer der Philosophie auftrat: seine 54 Schulvorträge sind von seinem Schüler Porphyrios in 6 »Enneaden« (Gruppen von je 9 Abhandlungen) herausgegeben worden. Plotins Philosophie ist eine selbständige Erneuerung der platonischen Philosophie. Als Quelle des Seins nimmt er das Eine (Gott = »das Gute«) an; aus ihm geht die Weltvernunft hervor, in der die Ideen ihren ursprünglichen Sitz haben. Weltseele, Körperwelt und Materie werden als Spiegelung der Ausstrahlung des Einen im Nichtseienden verstanden. Dieser Emanation entspricht umgekehrt die Sehnsucht nach dem göttlichen Ursprung, die allen Wesen innewohnt und den der Mensch in ekstatischer Schau erreichen kann. Diese mystische innere Schau, in welcher der einzelne Mensch in einer ruhigen Ekstase zur Vereinigung mit dem Einen (unio mystica) kommen kann, stellt den erstrebenswerten Gipfel des Guten in der plotinischen Philosophie dar. Plotin wirkte im wesentlichen nur indirekt über den von ihm ausgestalteten Neuplatonismus. Bei den Kirchenvätern ist sein Einfluss insbesondere bei Augustinus feststellbar. Deutlich ist Plotins Einfluss auch bei G. Bruno, G. Berkeley, Shaftesbury, Goethe, Novalis und F. W. J. von Schelling zu spüren. Hegel betrachtete ihn als Vollender der griechischen Philosophie.

Siehe auch Wikipedia
und Kirchenlexikon


Inhaltsverzeichnis
Von dem Einen
Gott ist das Erste über dem Sein
Das Schauen im göttlichen Licht
Gott ist Herr seiner selbst
Das Sein ist eins mit dem ewigen Schaffen
Über das Gute und das Eine
Die Quelle des Lebens
Das Einswerden im Mysterium der Offenbarung

Von dem Einen
... jedes Leben ist in gewissem Sinne ein Gedanke, aber der eine dunkler als der andere, wie auch das Leben. Dieses helle und erste Leben aber und der erste Geist sind eins. Ein erster Gedanke also ist das erste Leben und das zweite Leben ein zweiter Gedanke und das letzte Leben ein letzter Gedanke. Jegliches Leben dieser Art also ist auch Gedanke. Nun können die Menschen vielleicht Unterschiede des Lebens bald angeben, aber Unterschiede des Gedankens geben sie nicht, sondern die einen nennen sie Gedanken, die andern überhaupt nicht, weil sie sich überhaupt nicht darum kümmern, was das Leben eigentlich ist. Indessen muss gerade darauf hingewiesen werden, dass auch hier wieder die Untersuchung alles Seiende als ein mitfolgendes Resultat des Schauens aufzeigt. Wenn demnach das wahrste Leben durch den Gedanken Leben ist, dieses aber dasselbe ist wie der wahrste Gedanke, so lebt der wahrste Gedanke, und das Schauen und die derartige Anschauung ist ein Lebendiges und Leben, und eins sind die zwei. Da nun dies beides eins ist, wie kann dieses Eine wieder vieles sein? Eben weil nicht ein [bloßes] Eins schaut. Denn wenn auch das Eine anschaut, so tut es dies doch nicht als Eins; widrigenfalls entsteht nicht Geist. Vielmehr nachdem es angefangen als Eins, blieb es nicht wie es angefangen hatte, sondern wurde unvermerkt vieles, gleichsam beschwert, und entwickelte sich indem es alles haben wollte, wenn es auch besser für dasselbe war, dies nicht zu wollen; denn es wurde ein Anderes; ähnlich wie ein Kreis, der sich entfaltet, Figur wird und Fläche und Peripherie und Zentrum und Linien mit einem oben und unten; das bessere ist das Woher, das schlechtere das Wohin. Denn das Woher war nicht so beschaffen wie das Woher und Wohin [Ausgang und Ende], noch auch das Woher und Wohin wie das Woher allein. Andererseits ist der Geist nicht eines Einzigen Geist sondern All-Geist, als All-Geist aber auch Geist von allem. Demgemäss muss, weil er All-Geist ist und Geist von allem, ein Teil von ihm ganz und alles sein; widrigenfalls wird er einen Teil haben der nicht Geist ist und zusammengesetzt sein aus Nicht-Geistern, wird er ein zusammengetragener Haufe sein, der da erwartet Geist aus allem zu werden. Deshalb ist derselbe auch unendlich, und wenn etwas von ihm ausgeht, so wird weder das von ihm Ausgehende verringert, da auch dies das Ganze ist, noch jener von dem es ausgeht, da er keine Zusammensetzung war aus Teilen.

Dieser also ist so beschaffen; darum ist er nicht ursprünglich, sondern es muss noch etwas jenseits desselben geben, worauf auch die bisherige Untersuchung hinaus wollte, zunächst schon weil die Vielheit später ist das Eine; und dieser ist Zahl, das Prinzip der Zahl aber und einer solchen Zahl ist das wahrhaft Eine; ferner ist dieser Intelligenz und Intelligibles zugleich, folglich zwei zugleich. Wenn aber zwei, so muss man das vor der Zwei ergreifen. Was ist das? Intelligenz allein? Aber mit jedem Intellekt ist das Intelligible verbunden; wenn nun das Intelligible nicht mit verbunden sein darf, so wird jenes auch nicht Intellekt sein können. Wenn es also Intelligenz nicht ist sondern sich der Zweiheit entzieht, so muss das was früher ist als diese Zweiheit jenseits der Intelligenz liegen. Was hindert denn, dass dies das Intelligible sei? Nun dies, dass auch das Intelligible mit dem Intellekt verbunden ist. Wenn es nun weder der Intellekt noch das Intelligible sein dürfte, was möchte es dann sein? Dasjenige, werden wir sagen, woraus der Intellekt und das mit ihm verbundene Intelligible entstanden ist.

Was ist dies nun und in welcher Gestalt werden wir es uns vorstellen? Denn es wird ja wieder ein Denkendes oder Nichtdenkendes sein. Nun ist aber ein Denkendes der Intellekt, das Nichtdenken hingegen wird nicht einmal seiner selbst inne werden; also was ist jenes erhabene Wesen? Denn selbst wenn wir sagten, es sei das Gute und sei das Einfachste, werden wir nichts klares und deutliches sagen, obwohl wir die Wahrheit sagen, solange wir nicht einen Stützpunkt für unser Denken haben. Und wiederum, da das Erkennen der andern Dinge nur durch die Intelligenz geschieht und wir nur durch die Intelligenz etwas Intelligentes erkennen können, welch ein Aufschwung des intuitiven Vermögens möchte hinreichen zum Erfassen dessen, was die Natur der Intelligenz überschritten hat? Darauf werden wir antworten: man muss es, so gut es geht, durch eine Analogie in uns bezeichnen. Denn es ist auch in uns etwas von ihm, oder vielmehr es gibt keinen Punkt wo es nicht ist für diejenigen, welchen vergönnt ist an ihm teilzuhaben. Denn wenn du an das überall Befindliche das was empfangen kann an irgend einem Punkte heranbringst, empfängst du von dort her. Z.B. wenn eine Stimme eine Einöde erfüllt, in welcher sich außerdem Menschen befinden, wirst du an jedem Punkte wohin du dein Ohr wendest die Stimme ganz in dich aufnehmen und auch wieder nicht ganz.


Was werden wir nun in uns aufnehmen, nachdem wir den Geist herzugebracht haben? Nun, der Geist muss gleichsam hinter sich zurückweichen und mit seinem Doppelantlitz sich gleichsam an die Dinge die hinter ihm sind hingeben und auch dort, wenn er jenes sehen will, nicht ganz Geist sein. Denn er ist selbst das erste Leben, die wirkende Kraft im Hindurchgehen durch das All; mit dem Hindurchgehen aber meine ich nicht, dass er hindurch geht sondern hindurchgegangen ist. Wenn er nun Leben ist und Hindurchgehen und alles genau und nicht nur so im allgemeinen hat (denn sonst würde er es unvollkommen und ungegliedert haben), so muss er notwendig aus einem andern sein, was nicht mehr in der Entfaltung ist sondern Prinzip der Entfaltung und Prinzip des Lebens und Prinzip des Geistes wie des Alls. Denn nicht Prinzip ist das All, sondern aus dem Prinzip ist das All, es selbst aber ist nicht mehr das All noch etwas vom All, sondern damit es das All erzeuge und damit es nicht Vielheit sei, das Prinzip der Vielheit; denn das Erzeugende ist überall einfacher als das Erzeugte. Wenn nun dieses den Geist erzeugt hat, so muss es einfacher sein als der Geist. Wenn aber jemand meinte, es sei das Eine und das All, so wird jenes doch wohl ein jedes einzelne von allem sein oder das Ganze zusammen. Ist es nun alles zusammen als eine Vereinigung, so wird es später sein als das All; ist es aber früher als das All, so wird etwas anderes als das All, etwas anderes es selbst sein als das All; ist es aber zugleich es selbst und das All, so wird es nicht Prinzip sein. Es muss aber selbst Prinzip und vor dem All sein, damit nach ihm auch das All sei. Was aber das ›jedes einzelne von allem‹ betrifft, so wird es erstlich mit jedem beliebigen identisch, sodann alles zugleich sein und keinen Unterschied machen. Und so ist es nichts von dem All sondern vor dem All.

Aber als was? Als die Möglichkeit aller Dinge; wenn die nicht wäre, so wäre auch das All nicht, noch Geist das erste und allumfassende Leben. Was aber über das Leben hinaus liegt, ist Ursache des Lebens. Denn nicht die Wirklichkeit des Lebens d.h. das All ist das erste Leben, sondern dieses ist selbst wie aus einer Quelle hervorgeströmt. Denke dir nämlich eine Quelle, die keinen Anfang weiter hat, sich selbst aber den Flüssen mitteilt ohne dass sie erschöpft wird durch die Flüsse, vielmehr ruhig in sich selbst beharrt; ihre Ausflüsse hingegen denke dir wie sie vor ihrer Trennung nach verschiedenen Richtungen noch zusammen sind, doch aber alle gleichsam schon wissen, wohin sie ihre Fluten ergießen werden; oder stelle es dir vor wie das Leben eines gewaltigen Baumes, welches das All durchströmt indem der Anfang bleibt und nicht im Ganzen zerstreut wird, gleichsam fest gegründet in der Wurzel. Dieses also gibt das gesamte reiche Leben dem Baume, bleibt aber selbst, da es nicht die Fülle ist sondern Prinzip der Fülle. Kein Wunder. Vielmehr wäre es ein Wunder, wie die Menge aus dem entstand was nicht Menge war, wenn nicht vor der Menge die Nicht-Menge war. Denn nicht zerteilt sich das Prinzip in das Ganze; denn hätte es sich zerteilt, so würde es auch das Ganze vernichtet haben, ja dieses würde nicht einmal geworden sein, wenn nicht das Prinzip in sich selbst als ein anderes bliebe. Deshalb findet auch überall eine Zurückführung auf das Eine statt. Und in jedem einzelnen ist ein Eins, auf das du es zurückführen kannst, so auch das All auf das Eine vor ihm, das noch nicht einfach Eins ist, bis man zu dem einfach Einen gekommen; dieses aber geht nicht mehr auf ein anderes zurück. Erfasst man aber das Eine der Pflanze d.i. das bleibende Prinzip und das Eine des Tiers und das Eine der Seele und das Eine des Alls, so erfasst man jedes Mal das mächtigste und das (allein) wertvolle; und wenn man das Eine des wahrhaft Seienden, sein Prinzip und seine Quelle und seine Kraft erfasst, dann sollten wir ungläubig sein und ein Nichts zu haben wähnen? Allerdings ist es nichts von dem, dessen Prinzip es ist, so zwar, dass nichts von ihm ausgesagt werden kann, nicht Sein, nicht Wesenheit, nicht Leben: es ist über diesem allen. Fasst du es aber auf nachdem du das Sein weggenommen, so wirst du dein Wunder haben, und dich aufschwingend zu ihm und es erfassend in seinen Wirkungen ruhe aus und suche es mehr zu verstehen durch Intuition es begreifend, so jedoch dass du seine Größe überschaust in dem was nach ihm und um seinetwillen ist.

Die Sache lässt sich auch so betrachten. Da nämlich der Geist ein Sehen ist und zwar ein sehendes Sehen, so wird er eine zur Wirklichkeit gelangte Möglichkeit sein. Folglich wird das eine an ihm Materie, das andere Form sein, wie ja auch das leibliche Sehen ein doppeltes hat; vor dem Sehen war's sicherlich eins. Das Eine ist also zwei geworden und die Zwei eins. Für das leibliche Sehen nun kommt die Fülle von der sinnlichen Welt und gleichsam die Vollendung, für das Sehen des Geistes aber bringt das Gute die Erfüllung. Denn war er selbst das Gute, wozu brauchte er dann überhaupt zu sehen oder tätig zu sein? Denn das übrige hat im Umkreis des Guten und um des Guten willen seine Wirklichkeit, das Gute aber bedarf nichts; deshalb wird es nichts haben als sich selbst. Wenn du also das Wort ›gut‹ aussprichst, so denke nichts weiter hinzu; denn wenn du etwas hinzufügst, wirst du es in dem Grade als du irgend etwas hinzugefügt hast ärmer machen. Darum sage auch nicht einmal das Denken von ihm aus, damit du es nicht zu einem andern und so zu zweien machst, Geist und Gutes. Denn der Geist bedarf des Guten, das Gute aber nicht jenes; daher wird er auch nach Erlangung des Guten gutartig und vollendet sich durch das Gute, indem die Form von dem Guten kommt das ihn gutartig macht. In gleicher Weise aber wie man an ihm die Spur des Guten sieht, muss man sich sein wahrhaftes Urbild denken, indem man es sich nach der an dem Geist erscheinenden Spur vergegenwärtigt. Diese nun an ihm befindliche Spur desselben (des Guten) gibt sich dem darauf sehenden Geist zu eigen; so ist denn im Geiste das Streben und immerfort strebt und immer erlangt er, dort aber (im Guten) strebt er weder - denn wonach? - noch erlangt er, denn er strebte ja gar nicht. Dennoch ist das Gute auch nicht Geist; denn in diesem ist ein Streben und ein Hinneigen zur Form desselben. Da also der Geist schön ist und das schönste von allem, der da wohnt in einem reinen Licht und reinen Strahlenglanze und die Natur des Seienden umfasst hat, von dem auch diese schöne Welt eine Abschaltung und ein Abbild ist, der da ferner wohnt in aller leuchtenden Herrlichkeit, weil nichts ungeistiges noch dunkles noch maßloses in ihm ist, kurz der ein seliges Leben lebt: so würde sicherlich Staunen den gefangen halten, der ihn erblickt und wie sich's gebührt sich in ihn versenkt und mit ihm sich vereint hätte. Wie aber der, welcher im Aufblick zum Himmel den Glanz der Sterne geschaut hat, den Schöpfer in's Herz lässt und sucht, so muss auch wer die intelligible Welt erschaut und betrachtet und bewundert hat, suchen nach dem Schöpfer jener und forschen, wer sie so zu Stand und Wesen gebracht, oder wo und wie der Vater eines solchen Kindes ist, der Vater des Geistes, eines schönen Sohnes und von ihm erzeugten Sohnes. Durchaus jedoch ist jener weder der Geist noch der Sohn, sondern sowohl vor dem Geist als dem Sohne; denn nach ihm kommt Geist und Sohn, welche der Erfüllung und des Denkens bedürfen; freilich nahe ist es dem Mangellosen und des Denkens nicht Bedürfenden, und es hat wahrhafte Fülle und wahrhaftes Denken, weil es sie ursprünglich hat. Das darüber hinaus Liegende aber ist weder bedürftig noch hat es einen Besitz; sonst wäre es nicht das Gute.

Aus: Plotin: Enneaden, S. 481-490 (Schreibweise wurde behutsam aktualisiert)
Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
Veröffentlichung auf Philo-Website mit freundlicher Erlaubnis des Verlags der Directmedia Publishing GmbH, Berlin

Gott ist das Erste über dem Sein
Gott ist das Erste über dem Sein; der Geist ist das Seiende und hier ist Bewegung und Ruhe. Denn das Erste selbst ist um nichts, das andere ist um das Erste in Ruhe und Bewegung. Denn Bewegung ist Streben, das Erste aber strebt nach nichts. Wonach sollte es auch als das Oberste streben? Also denkt es auch wohl sich selbst nicht? Insofern es sich hat, kann man bei ihm im allgemeinen von Denken sprechen. Doch wird das Prädikat denken nicht erteilt, insofern etwas sich hat, sondern insofern es auf das Erste schaut. Es ist aber erste Tätigkeit auch das Denken selbst. S. 496 [...]

Das Schauen im göttlichen Licht
Es ist nämlich, sei es die Erkenntnis oder das unmittelbare Ergreifen des Guten, das größte, und Plato nennt dies das größte Wissen, womit er nicht das Schauen desselben bezeichnet, sondern ein diesem vorhergehendes Wissen. Es lehren dies nun Analogien, Negationen, Kenntnisse seiner Wirkungen und mancherlei Grade des Aufsteigens; es leiten zu ihm Reinigungen, Tugenden, Veredelungen, Aufschwung zum Intelligiblen, Verweilen bei ihm und Genießen der Dinge daselbst, in der Weise daß jemand zugleich Subjekt und Objekt des Schauens seiner selbst und der übrigen Dinge wird und dass er Substanz, Intellekt und vollkommenes Leben geworden es nicht mehr von außen her sieht; ist er dies geworden, so steht er ihm nahe, unmittelbar bei ihm liegt jenes und ganz in seiner Nähe erglänzt es über allem Intelligiblen. Da lässt er denn alles Wissen, und bis hierher geleitet und im Schönen feststehend denkt er bis zu dem Punkte, auf dem er sich befindet; getragen aber von derselben Woge gleichsam des Intellekts und emporgehoben von ihrem Schwall schaut er sogleich und sieht nicht wie, sondern das Schauen füllt die Augen mit Licht und läßt sie nicht ein anderes sehen, sondern das Licht selbst ist das Objekt des Schauens. Denn in jenem ist nicht das eine ein Geschautes, das andere das Licht desselben, nicht Denkendes und Gedachtes, sondern ein Strahl, der dies hernach erzeugt und bei ihm bleiben lässt; er selbst aber [Gott!] ist ein den Intellekt nur erzeugender Strahl, er löscht sich im Zeugen nicht selbst aus, sondern bleibt selbst, jenes aber wird dadurch, dass dieses ist. Denn wenn dies nicht derartig wäre, so würde jenes nicht zu Stand und Wesen gekommen sein. S. 1236, 1237 [...]

Gott ist Herr seiner selbst
Wenn wir Gott [dem höchsten Gut] Tätigkeiten beilegen und seine, Tätigkeiten seinem Willen beilegen - denn er ist nicht willenlos tätig - und ferner seine Tätigkeiten gleichsam sein Wesen ausmachen, so wird sein Wollen und seine Tätigkeit identisch sein. Wenn aber das, so ist er auch, wie er wollte. Er will und wirkt also nicht anders als wie er von Natur ist, oder sein Wollen und Wirken ist sein Wesen. Er ist also schlechterdings Herr seiner selbst und auch das Sein trägt er in sich selbst. S. 1276, 1277[...]

Das Sein ist eins mit dem ewigen Schaffen
Wenn nun die Tätigkeit vollkommener ist als die Wesenheit, das Vollkommenste aber das Erste ist, so wird die Tätigkeit das Erste sein. Sowie er also in Wirksamkeit tritt, ist er dies auch schon und es lässt sich nicht sagen, dass er war bevor er wurde; denn als er war, da war er nicht, bevor er wurde, sondern er war bereits ganz und gar. Eine Tätigkeit also, die der Substanz nicht unterworfen ist, hat die reine Freiheit und so ist er selbst von sich selbst. Denn wenn er in sich gehalten würde, um von einem andern sein Dasein zu haben, so wäre er selbst nicht der erste aus sich; wenn es aber mit Recht heißt, er halte sich in sich selbst zusammen, so ist er selbst es auch, der sich aus sich heraussetzt, wenn anders er, was er seiner Natur nach in sich fasst, auch von Anbeginn an zum Dasein gerufen hat. Wenn es also eine Zeit gäbe, von der aus er anfinge zu sein, so würde das Schaffen in vorzüglichem Sinn von ihm ausgesagt werden; nun aber, wenn er sogar vor aller Zeit war, was er ist, muss dies Schaffen als mit seinem Sein zugleich gesetzt, aufgefasst werden. Denn das Sein ist eins mit dem Schaffen, dem ewigen Schaffen. Daher spricht man auch von einem Herrschen über sich selbst; undwenn hier zwei sind, in eigentlichem Sinne, wenn aber nur eins, so bleibt das Herrschende allein übrig; denn es gibt hier kein Beherrschtes. Wie kann es nun ein Herrschendes geben ohne etwas, worauf es sich richtet? Nun, das Herrschende bezieht sich hier darauf, dass er nichts über sich hat, weil es nichts vor ihm gab. Wenn es nichts gab, so ist er das Erste d.h. nicht nach äußerer Rangordnung, sondern nach seinem gebietenden Einfluss und seiner schlechthin selbstherrlichen Macht. Wenn aber schlechthin, so lässt sich dort nichts annehmen, was nicht selbstherrlich wäre. Alles ist also in ihm selbstherrlich. Was ist also an ihm, das er nicht selbst wäre? Was also, das er nicht wirkend schafft? Und was, das nicht sein Werk wäre? Denn wenn etwas in ihm nicht sein Werk wäre, so wäre er schlechthin weder selbstherrlich noch allmächtig; denn eben jenes beherrschte er nicht und so wäre er auch nicht allmächtig. Jenes wenigstens beherrscht er nicht, dessen er nicht mächtig ist um es zu schaffen. S. 1292 [...]

Über das Gute und das Eine
Wer glaubt, dass das Seiende durch Zufall und blindes Ungefähr geordnet und durch körperliche Ursachen zusammengehalten wird, der ist weit entfernt sowohl von Gott als von dem Begriff des Einen, und zu solchen reden wir nicht, sondern zu denen, die außer den Körpern eine andere Natur setzen und aufsteigen bis zur Seele. Und diese müssen die Natur der Seele genau durchdenken, sowohl in den anderen Beziehungen als dahin, dass sie von dem Intellekt stammt und durch Teilnahme an der von ihm ausgehenden Vernunft ihre Vortrefflichkeit erhält; darauf hat man anzunehmen, dass der Intellekt verschieden ist von dem Denkenden und sogenannten Denkvermögen und dass die Gedanken bereits gleichsam auseinander getreten und in Bewegung sind, desgleichen dass die Wissenschaften Begriffe in der Seele und als solche [Wissenschaften] nunmehr offenbar geworden sind, dadurch dass in der Seele der Intellekt der Grund der Wissenschaften geworden ist; ferner muss, wer den Intellekt gleichsam sinnlich wahrnehmbar als über der Seele thronend und als ihren Vater geschaut hat, vom Intellekt sagen, er fasse als ruhige und unveränderliche Bewegung alles in sich und sei alles, eine ununterscheidbare und doch wieder geschiedene Vielheit: denn weder ist er geschieden wie die bereits als Eins gedachten Begriffe, noch fließt sein mannigfacher Inhalt zusammen. Jedes einzelne tritt nämlich gesondert heraus, wie auch in den Wissenschaften, obwohl alles ungeteilt ist, doch jedes einzelne gesondert ist. Diese in sich geschlossene Vielheit nun, der intelligible Kosmos, ist zwar dem Ersten nahe und die Beweisführung erweist sie so als notwendig, wenn anders auch die Seele in ihrer Existenz nachgewiesen wird; diese aber steht höher als die Seele: jedoch ist sie nicht das Erste, weil sie nicht Eins und einfach ist; einfach ist aber das Eine und das Prinzip aller Dinge. Das vor dem Wertvollsten im Bereich des Seienden Stehende also, wenn anders etwas vor dem Intellekt sein muss, das zwar Eins sein will, aber nicht Eins ist, wohl aber Einsartig, weil ihm der Intellekt noch nicht zerstreut vorliegt, sondern derselbe wahrhaft in sich selbst beisammen ist, indem er sich als unmittelbar an dem Einen befindlich nicht in seine Glieder auseinanderlegt, doch aber in gewisser Weise von dem Einen sich zu entfernen wagt - dies Wunder vor dem Intellekt also ist das Eine, weil es nicht, seiend ist, damit auch hier das Eine nicht von einem andern produziert werde, dem in Wahrheit zwar kein Name zukommt, das aber, wenn man es denn nennen muss, gemeinhin das Eine passend mag genannt werden, nicht als ob es erst etwas anderes, dann Eins wäre; es ist deshalb schwer zu erkennen, wird aber vorzüglich durch sein Erzeugnis erkannt, durch die Substanz; denn es führt den Intellekt zur Substanz und seine Natur ist derartig, dass sie die Quelle des Besten ist und die das Seiende erzeugende Kraft, die in sich selbst bleibt und nicht verringert wird, auch nicht in dem durch sie Gewordenen ist, weil sie ja vor demselben ist, die wir notwendig um sie uns gegenseitig zu bezeichnen das Eine nennen, indem wir sie durch den Namen auf eine unteilbare Vorstellung bringen und die Seele einigen wollen, wobei wir sie jedoch nicht so Eins nennen und untheilbar, wie einen Punkt oder eine Einzahl; denn das in dieser Weise Eine ist Prinzip des Quantitativen, was nicht zu Stande kommen würde, wenn nicht vorher die Substanz und das vor der Substanz Liegende wäre. Nicht hierauf also müssen wir das Nachdenken richten, sondern müssen diese jenen gleich behandeln nach den Analogien mit dem Einfachen und dem sich Sträuben gegen die Vielheit und die Teilung.

Wie nennen wir es nun Eins und wie ist es dem Gedanken anzupassen? Doch wohl dadurch dass wir es in höherem Grade als Eins setzen, als dies von einer Einzahl und einem Punkt gilt; denn hier langt die Seele nach Hinwegnahme der Größe und Vielheit der Zahl bei dem Kleinsten an und beruht auf einem Unteilbaren zwar, das aber doch in einem Teilbaren war und das in einem andern ist; jenes aber ist weder in einem andern noch in einem Teilbaren noch so ungeteilt wie das Kleinste; denn es ist das Größte von allen Dingen nicht der Größe, sondern der Kraft nach, so dass auch das Größelose der Kraft nach besteht; ist doch auch das nach ihm Seiende den Kräften nach unteilbar und ungeteilt, nicht den Massen nach. Man muss es auch als unendlich fassen, nicht weil die Größe oder die Zahl unermesslich, sondern weil die Kraft unbegreiflich ist. Denn wenn du es denkst etwa als Intellekt oder Gott, so ist es noch mehr; und wiederum wenn du es in deinem Denken zur Einheit führst, so ist es auch in diesem Betracht mehr als du Gott selbst mit Bezug auf die größte Einheit deines Denkens dir hättest vorstellen können; denn es ist an und für sich ohne irgendein Akzidens. Man könnte das Eine an ihm auch unter dem Begriff der Autarkie denken. Denn es muss vor allem andern zureichend, selbstgenugsam und unbedürftig sein; alles Viele aber und Nichteine ist bedürftig, weil aus vielem geworden. Es bedarf also sein Wesen des Einssein; dies aber bedarf seiner selbst nicht, denn es selbst ist es. Was vieles ist bedarf in der Tat so vieles als es ist, und ein jedes in ihm, das mit dem andern verbunden und nicht an sich ist, erweist sich als des andern bedürftig und zwar bedürftig sowohl im einzelnen als hinsichtlich des so beschaffenen Ganzen. Wenn also etwas durchaus sich selbst genug sein muss, so muss ein solches das Eine sein und allein in der Weise, dass es weder in Hinsicht auf sich selbst noch auf ein anderes bedürftig ist. Denn es sucht nichts, damit es sei oder damit es gut sei oder damit es dort festen Fuß fasse; denn da es der Grund des andern ist, so hat es sein Sein nicht von einem andern, und was bedeutete ihm das Gutsein außer ihm selbst? Dabei ist das ›gut‹ für es kein Akzidens, denn es ist es selbst; es hat keinen Ort, denn es bedarf keines Sitzes als könnte es sich selbst nicht tragen, und was gestützt werden soll ist unbeseelt und eine fallende Masse, wenn es noch nicht festen Fuß gefasst hat. Dies aber ist der Grund, weshalb auch das andere einen festen Sitz hat; hierdurch gelangte es zur Existenz und er hielt zugleich den Platz, an den es der Reihe nach gestellt wurde. Was einen Ort sucht ist auch bedürftig; das Prinzip aber bedarf des nach ihm Folgenden nicht; das Prinzip aller Dinge bedarf schlechterdings nichts von allem; denn was bedürftig ist, ist dies als ein nachdem Prinzip Strebendes. Wenn aber das Eine bedürftig ist, so sucht dies offenbar nicht Eins zu sein, also wird es des Vernichtenden bedürftig sein. Alles nun, was des Guten bedürftig heißt, ist auch des Erhaltenden bedürftig; folglich hat das Eine kein Gutes. Demnach will es auch nichts, sondern es ist übergut und nicht für sich selbst, wohl aber für die andern Dinge gut, wenn etwas an ihm Teil nehmen kann; es ist auch nicht Denken, damit es kein Anderssein erhalte, auch nicht Bewegung, denn es ist vor der Bewegung und vor dem Denken: was sollte es auch denken? Sich selbst, wird man sagen. Dann wird er allerdings vor dem Denken unwissend sein und des Denkens bedürfen, damit er sich selbst erkenne der sich selbst genug ist. Nicht jedoch, weil er sich selbst nicht kennt noch denkt, wird bei ihm Unkenntnis herrschen; denn die Unkenntnis entsteht heim Vorhandensein eines andern, wenn das eine das andere nicht kennt; was aber allein ist kennt weder etwas noch hat es etwas, was es nicht kennt, und da es Eins ist in Gemeinschaft mit sich selbst, so bedarf es nicht des Denkens seiner selbst. Denn auch die Gemeinschaft darf man nicht hinzufügen, damit man das Eine bewahre, sondern auch das Denken und die Gemeinschaft muss man hinwegnehmen wie auch das Denken seiner selbst und des andern; denn man muss es nicht setzen als ein Denkendes sondern als das Denken. Das Denken denkt nicht, sondern es ist Ursache des Denkens für ein anderes; die Ursache aber ist nicht identisch mit dem Verursachten. Die Ursache nun von allem ist nichts von jenem allen. Man muss es demnach auch nicht das Gute nennen, was es darreicht, sondern in anderer Weise das Gute über alles andere Gute.

Wenn du aber, weil es nichts von diesen Dingen ist, in deiner Meinung schwankst, so versetze dich selbst in diese und schaue von diesen aus; schaue aber so, dass du dein Denken nicht nach außen richtest; denn es liegt nicht irgendwo, nachdem es sich von dem andern isoliert hat, sondern jenes ist dein, der es ergreifen kann, gegenwärtig, dem, der das nicht vermag, ist es nicht gegenwärtig. Wie man im übrigen unmöglich etwas denken kann, wenn man ein Fremdes denkt und mit anderen sich befasst, sondern wie man dem Gedachten nichts hinzufügen darf, damit es eben das Gedachte selber sei: so muss man auch hier verfahren, da man, wenn man eine andere Vorstellung[Bild] in der Seele hat, jenes nicht denken kann unter der Wirkung der Vorstellung, auch die Seele, durch anderes ergriffen und gebunden, von der Vorstellung des Gegenteils keinen Eindruck gewinnen kann; sondern wie es von der Materie heißt, sie müsse durchaus qualitätslos sein, wenn sie Typen aller Dinge in sich aufnehmen solle: so muss auch die Seele in noch weit höherem Grade ungeformt sein, wenn in ihr kein Hindernis liegen soll für ihre Erfüllung und Erleuchtung mit der ersten Natur. Wenn dem so ist, dann muss man von allem Äußern absehend sich zu dem schlechthin Innern wenden, nicht zu irgendeinem Äußeren sich neigen, sondern nichts wissen von allem und zwar zuvor nach seinem Zustande, darauf auch den Ideen nach, nichts wissen auch von sich selbst und so in das Schauen jenes, mit dem man eins geworden, versinken und dann gleichsam nach hinlänglichem Verkehr wieder kommen, um auch einem andern womöglich von der dortigen Gemeinschaft Kunde zu geben (eine solche Gemeinschaft pflog vielleicht Minos und deshalb wurde er von der Sage als Gesellschafter des Zeus bezeichnet; in Erinnerung an dieselbe gab er als ihre Abbilder die Gesetze, von der Berührung mit dem Göttlichen voll ausgerüstet zur Gesetzgebung) - oder man muss auch das Politische seiner selbst nicht wert achten und, wenn man will, oben bleiben, was gerade dem, der viel geschaut hat, begegnen möchte. Gott also, sagt Plato, ist nicht fern von einem jeden, sondern ist allen nahe, ohne dass sie es wissen. Sie selbst aber entfliehen ihm, oder vielmehr sie entfliehen sich selbst. Sie können darum den nicht ergreifen, dem sie entflohen sind, und können auch, da sie sich selbst vernichtet haben, keinen andern suchen; wird doch auch ein Kind, das im Wahnsinn außer sich geraten, seinen Vater nicht kennen; wer sich selbst aber kennen gelernt hat, wird auch wissen woher. Wenn nun eine Seele sich allezeit kennt und weiß, dass ihre Bewegung keine gerade ist außer wenn sie einen Bruch erlitten hat, dass vielmehr die naturgemäße Bewegung der Kreisbewegung entspricht, die sich nicht außerhalb um etwas sondern um das Zentrum bewegt, während das Zentrum, woher der Kreis, sich um das bewegen wird, von dem es herstammt: so wird sie sich auch an das halten und sich selbst zu dem hin bewegen, wohin sich alle Seelen bewegen sollten, aber bloß die der Götter bewegen; weil sie sich dahin bewegen, sind sie Götter; denn Gott ist das mit jenem Verknüpfte, was aber fernab steht, das ist der Mensch, der vielgestaltige und tierische. Ist nun das, was gleichsam Zentrum der Seele ist, das Gesuchte? Man muss etwas anderes dafür ansehen, in das gleichsam alle Zentren zusammenfallen, und beachten, dass wir nur nach der Analogie des Zentrums dieses bestimmten Kreises so reden - denn die Seele ist nicht ein Kreis in der Art wie die Kreisfigur, sondern weil in ihr und um sie herum die ursprüngliche Natur ist - dass sie ferner von einem solchen ersten Prinzip stammt und dass sie als ganze mehr vom Körper getrennt sind; so aber, da ein Teil von uns vom Körper gefesselt wird - gleichwie wenn einer die Füße im Wasser hat, mit dem übrigen Körper aber darüber hervorragt - , erheben wir uns mit dem nicht eingetauchten Teil des Körpers, knüpfen uns damit nach unserem eigenen Zentrum an das Zentrum gleichsam aller Dinge, sowie die Zentren der größten Dinge an dem Zentrum der ausschließenden Sphäre haften, und ruhen dann. Wenn nun die Kreise körperliche, nicht seelische Kreise wären, so würden sie sich örtlich an das Zentrum knüpfen und um das irgendwo liegende Zentrum sich herumlegen; da aber die Seelen selbst intelligible sind und jenes über dem Intellekt liegt, so ist anzunehmen, dass die Verknüpfung mit andern Kräften geschieht, als womit das Denkende sich seiner Natur nach mit dem gedachten Objekt verknüpft, und zwar in höherem Maße, derartig dass das Denkende durch Gleichheit und Identität gegenwärtig ist und mit dem Wesensverwandten sich verknüpft ohne irgend ein Trennendes. Denn Körper werden gehindert sich mit andern Körpern zu verbinden, Unkörperliches wird von Körpern nicht ausgeschlossen; beide sind also nicht räumlich getrennt, wohl aber durch Anderssein und Differenz; wenn nun das Anderssein nicht vorhanden ist, so ist das Nichtdifferente einander nahe. Jenes nun, da es kein Anderssein hat, ist immer da, wir aber nur, wenn wir kein Anderssein haben; und jenes strebt nicht nach uns, so dass es um uns wäre, sondern wir nach jenem; folglich sind wir um jenes. Und wir sind immer um jenes, doch blicken wir nicht immer auf dasselbe, sondern wie ein singender Chor, obwohl um den Chorführer sich scharend, sich wohl nach außen schauend wendet, wenn er sich aber zum Chorführer hinwendet, schön singt und in Wahrheit um ihn ist: so sind auch wir immer um jenes und wenn nicht, dann werden wir uns gänzlich ablösen und nicht mehr [um es] sein; wir blicken nicht immer auf dasselbe, aber wenn wir auf es blicken, dann winkt uns das Ziel und die Ruhe und wir dissonieren nicht mit ihm, indem wir in Wahrheit einen gottbegeisterten Reigen um es herum aufführen.

Die Quelle des Lebens
In diesem Reigen schaut der Geist die Quelle des Lebens, die Quelle des Intellekts, das Prinzip des Seienden, den Grund des Guten, die Wurzel der Seele; dabei werden jene nicht aus dem Ersten herausgeschüttet, um es dann zu verringern; denn es ist keine Masse, oder die Erzeugnisse würden vergänglich sein; nun aber sind sie ewig, weil ihr Prinzip bleibt wie es ist, ohne sich in dieselben zu zerteilen, vielmehr bleibt es ganz. Daher bleiben auch jene, so wie auch das Licht bleibt, wenn die Sonne bleibt. Denn wir sind nicht abgeschnitten oder abgetrennt außer ihm, wenn auch die körperliche Natur dazwischenfahrend uns zu sich hingezogen hat, sondern wir atmen und bestehen in ihm, indem jenes nicht gibt und sich dann entfernt, sondern uns immer liebt und trägt, solange es ist was es ist. In höherem Maße jedoch sind wir, wenn wir zu jenem neigen, und unser Wohlbefinden liegt dort, während das Fernsein von ihm das Allein- und Geringersein ist; dort ruht auch die Seele, nachdem sie vom Übel hinweg zu dem von den Übeln reinen Ort emporgeflohen; dort denkt sie und ist frei von Affekten; auch das wahre Leben ist dort, denn das Leben hier und ohne Gott ist eine jenes nachahmende Spur des Lebens, das Leben dort aber ist Energie des Intellekts, und durch Energie erzeugt es auch die Götter in wandelloser Berührung und Gemeinschaft mit jenem, erzeugt es die Schönheit, die Gerechtigkeit, die Tugend; denn damit geht die gotterfüllte Seele schwanger und dies ist für sie Prinzip und Ziel; Prinzip, weil sie von dorther stammt, Ziel, weil das Gute dort ist und weil sie dort angelangt selbst auch wird was sie war. Denn das Dasein hier unten und in dieser Umgebung ist ein Herausfallen, eine Flucht und ein Verlieren des Gefieders. Es beweist, dass dort das Gute ist und die der Seele eingeborene Liebessehnsucht; demgemäss wird auch in Schriften und Mythen der Eros mit den Seelen verbunden. Denn da jene verschieden ist von Gott, aber aus ihm stammt, so sehnt sie sich nach ihm mit Notwendigkeit; und dort weilend hat sie die himmlische Liebe, denn dort ist die himmlische Aphrodite, während sie hier gleichsam zur gemeinen Hetäre wird; und es ist jede Seele eine Aphrodite. Das deutet auch der Mythus von dem Geburtstag der Aphrodite und dem mit ihr geborenen Eros dunkel an. In ihrem natürlichen Zustande sehnt sich also die Seele nach Gott, um liebend mit ihm eins zu werden, gleichwie eine Jungfrau eine edle Liebe liegt zum edlen Vater; wenn sie aber zur Erzeugung herabgestiegen gleichsam durch sinnlichen Liebesgenuss verblendet ist, dann hat sie einen andern, sterblichen Eros eingetauscht und gebärdet sich frech in der Trennung vom Vater; doch fangt sie die Laszivitäten hier unten wieder an zu hassen, so reinigt sie sich wieder von irdischem Beisatz: entsühnt wendet sie sich aufs neue zum Vater und nun ist ihr wohl. Und diejenigen, denen ein solcher Affekt unbekannt ist, mögen an den Äußerungen der irdischen Liebe abnehmen, was es heißt den besonders geliebten Gegenstand zu erlangen, und bedenken, dass diese Gegenstände der Liebe sterblich und schädlich und, wie auch die Liebe sich nur auf Scheinbilder richtet, wandelbar sind, weil sie nicht das wahrhaft Liebenswerte sind, nicht unser eigentliches Gut und was wir suchen. Dort aber ist das wahrhaft Liebenswerte, mit dem der, welcher es ergriffen hat und wirklich besitzt, vereint bleiben kann, da es von außen nicht mit Fleisch und Blut umkleidet ist. Wer es geschaut hat, weiß was ich sage, wie nämlich die Seele dann ein anderes Leben empfängt, wenn sie herzutritt und schon herzugetreten ist und Teil an ihm gewonnen hat, also dass sie in diesem Zustande erkennt, dass der Chorführer des wahrhaftigen Lebens da ist und es keines andern mehr bedarf; im Gegenteil, man muss alles andere ablegen, in diesem allein stehen und dies allein werden, nachdem wir alle irdischen Hüllen abgestreift haben; darum müssen wir eilen von hier fortzukommen und unwillig sein über unsere Fesseln, damit wir mit unserm ganzen Wesen ihn umfangen und keinen Teil mehr an uns haben, mit dem wir nicht an Gott hangen. Da dürfen wir denn auch jenen und uns selbst schauen, wie es zu schauen frommt; uns selbst im Strahlenglanz, voll intelligiblen Lichtes oder vielmehr als reines Licht selbst, unbeschwert, leicht, Gott geworden oder vielmehr seiend; entzündet ist dann unsers Lebens Flamme, sinken wir aber wieder, wie ausgelöscht.

Warum bleibt nun der Mensch nicht dort? Weil er noch nicht gänzlich von hier ausgewandert ist. Es wird aber für ihn die Zeit des dauernden Schauens kommen, wenn er von keiner Unruhe des Körpers mehr belästigt wird. Es ist indessen das Schauende nicht das Beunruhigte sondern das Andere, wenn das Schauende ablässt vom Schauen, aber nicht ablässt von dem Wissen, das in Beweisgründen und Überredungskünsten und in der Dialektik der Seele besteht; das Schauen hingegen und das Schauende ist nicht mehr Begriff, sondern größer als der Begriff und vor dem Begriff und unter Voraussetzung [Einwirkung] des Begriffs, wie auch das Geschaute. Nachdem er sich nun selbst erblickt hat, wird er sich dann, wenn er schaut, als einen solchen schauen, oder vielmehr wird mit sich selbst als einem solchen verbunden sein und sich als einen solchen fühlen, der einfach geworden ist. Vielleicht darf man nicht einmal sagen: er wird schauen. Was das Geschaute anbetrifft, wenn anders man hier von zweien reden darf, dem Schauenden und dem Geschauten, und nicht vielmehr beides als eins bezeichnen muss - freilich eine kühne Redeweise - so schaut nicht noch unterscheidet noch stellt es der Schauende als zweierlei vor, sondern gleichsam ein anderer geworden und nicht mehr er selbst noch sich selbst angehörend, gelangt er zugleich dort an und jenem angehörig ist er eins mit ihm, wie ein Zentrum ans Zentrum an ihn geknüpft; sind doch auch hier zusammentreffende Dinge eins und findet die Zweiheit nur statt, wenn sie getrennt sind.

Das Einswerden im Mysterium der Offenbarung
So reden auch wir jetzt von einem Unterschiedenen. Deshalb lässt sich auch ein solches Schauen schwer beschreiben. Wie sollte jemand auch etwas als ein Verschiedenes ankündigen, wenn er jenes, als er schaute, nicht als ein Verschiedenes erblickte, sondern als eins mit sich selbst?

Dies will offenbar das Gebot derartiger Mysterien, den Uneingeweihten nichts mitzuteilen, besagen. Da jenes nicht mitteilbar sei, so verbot es das
Göttliche jemandem zu offenbaren, dem es nicht auch selber vergönnt gewesen sei zu schauen. Da also nicht zwei da waren, sondern der Schauende selbst und das Geschaute eins waren, gleich als wäre es kein Geschautes sondern Geeintes, so dürfte wer durch Vereinigung mit jenem eins geworden, wenn er sich erinnert, in sich ein Bild von jenem haben. Es war aber auch an sich eins, ohne irgend eine Differenz mit sich noch mit andern in sich zu haben; denn nichts bewegte sich in ihm, kein Zorn, keine Begierde nach etwas anderem war nach seinem Aufsteigen bei ihm vorhanden, ja auch kein Begriff, kein Gedanke, überhaupt er selbst nicht, wenn man auch dies sagen darf; sondern wie entzückt und gottbegeistert steht er gelassen in einsamer Ruhe und ohne Wandel da, mit seinem Wesen nirgends abweichend und sich nicht einmal um sich selbst herum drehend, überall fest stehend und gleichsam Stillstand geworden; auch um das Schöne bekümmert er sich nicht, sondern auch über das Schöne ist er hinaus, hinaus auch über den Reigen der Tugenden, einem Mann vergleichbar, der in das innerste Heiligtum eingedrungen ist und die Götterbilder im Tempel hinter sich gelassen hat, welche ihm beim Herausgehen aus dem Adyton wieder zuerst begegnennach der Schau drinnen und dem Umgang mit dem, was nicht Gestalt und Bild sondern das göttliche Wesen selbst ist; die Bilder waren denn also Gegenstände des Schauens in zweiter Linie. Dies aber ist vielleicht nicht eine Schau, sondern eine andere Art des Sehens, eine Ekstase, eine Vereinfachung und Hingabe seiner selbst, ein Streben nach Berührung, eine Ruhe und ein Sinnen auf Vereinigung, wenn überhaupt einer das Wesen im Adyton schauen wird. Blickt er auf andere Weise, so ist ihm nichts gegenwärtig. Dies also sind bildliche Analogien, und die Weisen unter den Propheten deuten wenigstens an, wie jener Gott geschaut wird; ein weiser Priester aber, der das Geheimnis versteht, möchte dort angelangt das Schauen des Allerheiligsten wohl erwirken. Und ist er dort nicht angelangt, so wird er dies Adyton, weil er es für etwas Unsichtbares, für Quelle und Prinzip hält, kennen wie er durch das Prinzip das Prinzip schaut und mit ihm sich vereint und durch Gleiches Gleiches perzipiert, indem er nichts von dem Göttlichen, soviel die Seele fassen kann, dahinten lässt. Und vor dem Schauen verlangt er nach dem, was von dem Schauen noch erübrigt; es erübrigt aber für den, der alles überschritten hat, das was vor allem und über allem ist. Denn die Natur der Seele wird ja nicht bei dem schlechthin Nichtseienden anlangen, sondern herabsteigend wird sie beim Bösen anlangen und so bei dem Nichtseienden, nicht bei dem schlechthin Nichtseienden; auf dem entgegengesetzten Wege wird sie anlangen nicht bei einem anderen, sondern bei sich selbst, und so ist sie, weil nicht in einem andern, in nichts, sondern in sich selbst; in sich allein sein und nicht in dem Seienden, heißt in jenem sein; denn es wird auch jemand selbst nicht Substanz, sondern er überragt die Substanz insoweit, als er mit Gott in Gemeinschaft steht. Wenn nun jemand sieht, dass er dies geworden, so hat er an sich selbst ein Ebenbild jenes, und wenn er von sich selbst aus hinübergeht wie das Abbild zum Urbild, so hat er das Ziel der Reise erreicht. Ist er aber aus dem Schauen gefallen, so wird er die Tugend in sich erwecken, sich selbst als allseitig geschmückt wahrnehmen und so sich wieder aufschwingen, durch die Tugend zum Intellekt, durch die Weisheit zu Gott. Und so ist das Leben der Götter, der göttlichen und glückseligen Menschen eine Befreiung von allen Erdenfesseln, ein Leben ohne irdisches Lustgefühl, eine Flucht des einzig Einen zum einzig Einen.

Aus: Plotin: Enneaden, S. 496, 1237, 1276, 1292, 1306-1323 (Schreibweise wurde behutsam aktualisiert)
Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
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