Deutscher Philosoph, der von 1946 - 1976 Professor in Münster war und Schriften zur Aktualisierung der griechischen Philosophie und zur katholischen Tugendlehre verfasste, wobei er sich insbesondere mit Positionen der thomistischen Ethik auseinandersetzte.. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Irdische Kontemplation
»Ewiges Leben«
Irdische
Kontemplation
Dass die endgültige Stillung durch den Trank Glückseligkeit auf
der anderen Seite des Todes in der Weise des Schauens geschieht, geschehen wird,
das ist eine in der großen Überlieferung selbstverständliche
und unantastbare Wahrheit. Immer aber ist diese von der letzten Vollendung redende
eschatologische Aussage so verstanden worden, dass damit auch über
den hiesigen, irdischen Menschen etwas gesagt sei. Gesagt ist folgendes: Auch
der leibhaft existierende, geschichtliche Mensch sei ein letzten Grundes auf
Schauen angelegtes und nach Schauen verlangendes Wesen, und dies so sehr, dass
menschliches Glück genau ebensoweit reiche wie die Kontemplation.
Das ist, so scheint es auf den ersten Blick, eine von den Bahnen des gegenwärtigen
Denkens über den Menschen so weit abliegende Auskunft, dass sie schon
fast als Absurdität erscheint. Mit dieser scheinbaren Absurdität haben
wir es hier zu tun. Es ist darin mehreres mitgedacht und vorausgesetzt, das
nicht ohne weiteres zutage liegt.
Zum Beispiel und vor allem ist vorausgesetzt, daß nicht allein der Akt des jenseitigen Schauens eine hiesige Vorform,
eine inchoative, beginnhafte Vorausgestalt habe, daß vielmehr auch der
Gegenstand, der göttliche Trank Glückseligkeit, uns
in der irdischen Kontemplation irgendwie — und sei es noch so unvollkommen
— müsse zuteil werden können. Weil die Welt Schöpfung ist, creatura, darum ist Gott anwesend in der Welt. Der »außerweltliche
Gott«, das ist nicht eine christliche, sondern eine aufklärerische
Vorstellung. Weil also Gott nicht »aus der Welt« ist, darum kann
er dem auf die Tiefe der Dinge gerichteten Blick wahrhaft vor die Augen kommen.
Beglückend freilich, glücklich machend wird das Sehen erst durch die
Liebe. Das ist eine völlig unromantische, rein diagnostische Feststellung.
Nur das Anschauen dessen, was man liebt, macht glücklich, und eben dies
gehört mit zum Begriff der Kontemplation [»geistiges
Versenken in Gott«], dass sie ein aus der liebenden, bejahenden
Zuwendung entfachtes Anschauen sei, so dass nun mit einigem Anspruch auf
begriffliche Vollständigkeit die volle unabgeschwächte Bedeutung von
Kontemplation formulierbar geworden ist. Wenn sich unsere Bejahungskraft, unsere
Liebe also, auf die unendliche, die göttliche Stillung richtet, die alles
Wirkliche von seinem Grunde her durchströmt, und wenn dieses Geliebte sich
dem Blick der Seele zeigt, in einem völlig unmittelbaren,
ganz und gar ruhigen Ansichtigwerden, und sei es für nicht länger
als die Dauer eines Blitzes, dann und nur dann geschieht im uneingeschränkten
Sinn Kontemplation.
Vielleicht aber ist es wichtiger, das andere zu sagen:
immer dann geschieht Kontemplation! Das nämlich scheint
mir das besonders Bedenkenswerte an der alten Lehre von der Kontemplation zu
sein, dass dies beglückende Gewahrwerden der göttlichen Stillung
sich an schlechterdings allem entzünden kann, was begegnet, auch an dem
nichtigsten Anlaß. Kontemplation ist keineswegs gebunden an die Voraussetzung
von Kreuzgang und Klosterzelle. Das Entscheidende der Kontemplation kann realisiert
sein, ohne dass auch nur der Name bekannt zu sein braucht, so dass
Kontemplation wahrscheinlich weit häufiger geschieht, als es zu dem Bilde
passt, das man sich durchweg vom modernen Menschen zurechtgemacht hat.
Aus: Josef Pieper . Lesebuch, S.163f. (in Über
die Schwierigkeiten, heute zu glauben)
Vorwort von Hans Urs von Balthasar
© 1981 by Kösel-Verlag GmbH & Co., München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Kösel-Verlages
»Ewiges
Leben«
Drei Sätze über die Glückseligkeit
— Erstens: Glückseligkeit
heißt Vollendung. Es gehört
zum Begriff der Glückseligkeit als des äußersten Glückes,
dass»nichts zu wünschen übrigbleibt«,
dass also, wer immer glückselig ist, das letzte Ziel erreicht hat. »In der vollkommenen Glückseligkeit vollendet sich der ganze Mensch.«
— Zweitens: Vollendung
heißt Verwirklichung. Der Mensch
erreicht Vollendung, indem der Entwurf, der er selber ist, realisiert und »aus-verwirklicht«
wird. Wenn also Glückseligkeit soviel bedeutet wie Vollendung, dann gilt: »Die Glückseligkeit muß in dem äußersten Wirklichsein
des Menschen bestehen.«
— Drittens: Verwirklichung
geschieht durch Wirken. Damit ist jetzt
nicht gemeint, nur durch Tun und Machen werde etwas zustandegebracht. Der Sinn
ist vielmehr dieser: »Wirken ist die letzte Verwirklichung
dessen, der wirkt«; das heißt: nur indem der Mensch wirkt,
verwirklicht er sich selbst.
Natürlich existiert er schon, bevor er wirkt; ohne das vermöchte er
gar nicht zu wirken. Das ist selbstverständlich. Es gibt aber eine über
das bloß faktische Da-sein hinausdringende Selbstverwirklichung, in der
die lebendigen Wesen ein intensiveres und »wirklicheres« Wirklichsein
gewinnen: indem sie wirken. Es sollte dem Deutschen, dessen Muttersprache das
Seiende als »das Wirkliche« bezeichnet, nicht schwer fallen, diesen
Gedanken vom dynamischen Charakter des Seins zu vollziehen. — Die Glückseligkeit
also muss gedacht werden als ein Wirken, das alle Seinsmöglichkelten
des Menschen zu äußerster Verwirklichung entfacht.
Dies sei, so sagt Thomas, auch der Sinn des Wortes, mit dem die heiligen Bücher
vor allem die Glückseligkeit benennen: Ewiges Leben. Der Name meint nicht
einfachhin unbeendliches Lebendigsein, sondern höchste Steigerung des Lebendigseins
in einem vollkommenen »Lebens-Tun« [— während die Verkehrung des Tuns in sein Gegenteil zugleich Minderung
des Lebens bedeutet — und also mit Fug passio
heißt, in beiderlei Sinn: »Passivität«
und »Leiden«, dessen letzte und endgültige
Gestalt der Tod ist].
Aus: Josef Pieper . Lesebuch, S.259f. (in Glück
und Kontemplation)
Vorwort von Hans Urs von Balthasar
© 1981 by Kösel-Verlag GmbH & Co., München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Kösel-Verlages