Charles Péguy (1873 – 1914)

  Französischer Dichter, Schriftsteller und Sozialist, der sich zum Katholizismus bekannte, jedoch ein entschiedener Gegner jeglicher Art von Klerikalismus blieb. Er vertrat einen katholisch-mystischen Traditionalismus und Nationalismus. Kennzeichnend ist in seiner poetischen Ausdrucksweise eine nur leicht variierende litaneiförmige Wiederholung. Péguy ist in der Marneschlacht gefallen.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon
 

Das Wunder der Hoffnung
Aber die Hoffnung, sagt Gott, das verwundert mich wirklich.
Mich selber.
Das ist wirklich erstaunlich.

Dass diese armen Kinder sehen, wie das alles geschieht,
und dass sie glauben, morgen ginge es besser.
Dass sie sehen, wie das alles heute geschieht, und dass sie
glauben, morgen früh ginge es besser.

Das ist verwunderlich, und das ist entschieden das größte
Wunder unserer Gnade.
So dass es mich selber verwundert.

In der Tat muss meine Gnade doch eine unglaubliche Stärke besitzen.
Und einer unerschöpflichen Quelle entfließen, breit wie ein Strom.
Seitdem sie zum erstenmal strömte, und seit sie von Ewigkeit strömt.

In meiner natürlichen und übernatürlichen Schöpfung.
In meiner geistigen Schöpfung, in der fleischlichen und wiederum geistigen.
In meiner ewigen Schöpfung, in der zeitlichen und wiederum
ewigen, Sterblichen und unsterblichen.

Und damals, o damals, seitdem sie ausfloß wie ein Strom
von Blut aus der durchbohrten Seite meines Sohnes.

Wie groß muss da nicht meine Gnade und die Kraft meiner
Gnade gewesen sein, damit diese kleine Hoffnung,
flackernd unter dem Atem der Sünde, zitternd in
allen Winden, ängstlich beim kleinsten Hauch,
So unveränderlich sei, so treu sich halte, so aufrecht, so
rein; und unbesieglich und unsterblich, und gar
nicht auszulöschen; wie die kleine Flamme des Heiligtums.

Die immerdar brennt in der getreuen Lampe.
Ein schlotterndes Flämmchen hat alle Widerstände der
Welten durchschritten.
Ein flackerndes Flämmchen hat alle Widerstände der
Zeiten durchschritten.
Ein angstvolles Flämmchen hat alle Widerstände der
Nächte durchschritten.

Seit jenem ersten Mal, da meine Gnade zu strömen begann
für die Schöpfung der Welt.
Seit unvordenklich, da meine Gnade strömte für die
Erhaltung der Welt.
Seit damals, da das Blut meines Sohnes zu strömen begann
für das Heil dieser Welt.
Ein Flämmchen, unversehrbar, unauslöschlich dem Hauch des Todes.

Was mich wundert, sagt Gott, das ist die Hoffnung.
Da komme ich nicht mit.
Diese kleine Hoffnung, die nach gar nichts aussieht.
Dies kleine Mägdlein Hoffnung.
Unsterblich.
S.140-142
Aus: Jakob Studer, Für alle Tage, Ein christliches Lesebuch, Fretz & Wasmuth Verlag AG. Zürich