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Inhaltsverzeichnis
Weisheit, Demut, Leiden
Weisheit
Durch die unermessliche Fülle der von Gott auf die Menschen ausgebreiteten
göttlichen Gnade wird uns nach Gottes Heilsplan manchmal Einsicht in etwas
gewahrt, was sonst wegen seiner Größe, seiner übermenschlichen
Art, seiner unendlichen Überlegenheit über unsere dem Todesgeschick
verfallene Menschennatur dem Verständnis der sterblichen Vernunftwesen
ewig entzogen bliebe. Diese unübertreffliche und unendliche Gnade Gottes
vermittelt Jesus Christus für uns unter Mitwirkung des Heiligen Geistes.
Während z.B. die Menschennatur den Besitz der Weisheit nicht erlangen kann,
nicht wissen kann, wie das All geschaffen ist — denn alles hat Gott, nach
David, in Weisheit geschaffen —, wird dennoch das Unerreichbare durch
unseren Herrn Jesus Christus für uns erreichbar, da Er für uns Weisheit
von Gott geworden ist und Gerechtigkeit und Heilung und Erlösung (1. Kor.
1, 30). »Welcher Mensch wird je Gottes Willen erkennen?
Wer wird erfassen, was der Herr mit uns beabsichtigt? Die Gedanken der Sterblichen
sind ohnmächtig und unsere eigenen Absichten schwankend und unsicher. Der
vergängliche Leib bedrängt ja die Seele, und das irdische Zelt lastet
schwer auf dem vielsinnenden Geist. Mühsam nur deuten wir das Irdische.
Doch das Himmlische — wer hätte es je ausgespürt?« (Weish.
9, 13-16.) Wer möchte wohl leugnen, dass es für den Menschen
unerreichbar ist, das »Himmlische auszuspüren«? Und trotzdem wird dies Unmögliche durch die überragende Gnade
Gottes möglich...
Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band I, Die
Väter der Kirche . Herausgegeben von Walter Tritsch (S.133), Holle Verlag
, Darmstadt
Demut
Mir scheint, wenn Jesus solche auserwählt und zu Dienern seiner Lehre gemacht
hätte, die nach dem Urteil der Menge weise sind und so denken und reden
können, wie es dem Haufen gefällt, er wohl mit Recht in den Verdacht
gekommen wäre, einen gleichen Lehrgang einzuschlagen wie irgendein Philosoph,
der eine Sekte gegründet hat, und es wohl nicht erscheinen würde,
wie göttlich seine Lehre ist. Es wäre ein Wort und eine Verkündigung
gewesen in den Überredungskünsten des Stils und schmucken Rede, und
der Glaube daran hätte, ähnlich dem Philosophen dieser Welt an ihre
Sätze, »in Menschenweisheit, nicht in Gotteskraft« gewurzelt.
Wir lernen von ihm, dass er »sanft und demütig von Herzen« und es nicht verschmäht, über derlei Dinge mit einem wassertragenden
Weibe zu verhandeln, die aus großer Armut aus der Stadt gekommen war und
sich mit Wasserschöpfen abmühte. Es staunen auch die hinzukommenden
Jünger, welche vorher die Größe seiner Gottheit geschaut, und
sie wundern sich darüber, wie ein so Großer auf solche Art mit dem
Weibe reden kann; wir aber, von eitlem Hochmut und Geringschätzung geleitet,
wir verachten die geringeren Seelen und vergessen, dass auf jeden Menschen
das Wort geht: »Lasst uns den Menschen machen
nach unserem Bilde und nach unserem Gleichnisse.« Und wir denken
nicht an den, der »im Mutterleibe bildet« und der »alle Herzen
der Menschen einzeln formt« und der »Einsicht
hat in alle ihre Werke«, und wir scheinen nicht zu wissen, dass Gott »der Helfer der Verachteten und Kleinen ist,
der die Schwachen aufnimmt, den Verzweifelten beisteht, der Retter der Verstoßenen«.
Wir müssen es wagen, dies auszusprechen, dass eine größere
und göttlichere und wahrhaft die Güte des Vaters spiegelnde Güte Jesu aufschien, als er »sich erniedrigte, gehorsam geworden bis zum Tode,
zum Tode aber des Kreuzes«, ... als wenn er nicht ihr das Heil der Welt
sich hätte versklaven wollen.
Er ist derselbe, der den »Himmel mit Finsternis
bedecken« und ihn wie »mit einem Sack bekleiden« wird,
der vom Vater »das Wort der Rede« erhalten
hat und der weiß, wie »man das Wort sagen
muss«, das ihm Gott anvertraut, und er »legte
sein Ohr an ihn«, um mehr zu hören als alle Hörenden,
und die Rede des Vaters eröffnete ihm das Ohr, denn er war »nicht
ungläubig« dem Vater gegenüber, der ihn sandte, und »nicht
widersprechend«. Mit seinen Werken selbst lehrte er die Lernbegierigen
die Milde und die lobwürdige Demut. Es war aber notwendig, dass er
dies durch Taten lehre, dass er »seinen Rücken
herhalte den Geißelstreichen und seine Wangen den Ohrfeigen, und sein
Gesicht nicht abwende vor der Schmach des Speichels«, auf dass
er (so denke ich) uns, die es wert waren, all diese Ehrlosigkeiten zu leiden,
erlöse, indem er sie selbst für uns litt. Nicht nämlich ist er
für uns gestorben, damit wir nicht stürben, sondern damit wir nicht
für uns sterben, und er wurde nicht darum ins Gesicht geschlagen und angespien,
damit wir, die wir wegen unserer Sünden all dessen würdig waren, es
nicht erlitten, sondern damit wir es als gerechte Genugtuung entgegennähmen
und dankbar litten.
Leiden
Das Heilsmal des Vaters in der Welt ist der Sohn, das Heilsmal des Sohnes in
der Welt ist das Kreuz.
»Daß ihr erstarket, um mir allen Heiligen zu fassen, welches die
Breite und Länge ist, die Höhe und Tiefe«. Dies alles aber besitzt
das Kreuz Christi, durch welches er »auffahrend
in die Höhe« gefangennahm die Gefangenschaft und »abstieg
in das Unterste der Erde«; denn es hatte das Kreuz »Höhe«
und »Tiefe«. Und über die ganze
Erde breitete es sich aus, indem es ihre »Breite«
und »Länge« einholte. Und wer
»Christo mitgekreuzigt« ist und mit
ihm mitausgespannt, der ist‘s, der »die Breite
und Länge und Höhe und Tiefe« fasst.
Nicht alle überlieferten ihn in derselben Absicht: Der Vater überlieferte
ihn wegen seiner Liebe zum Menschengeschlecht, er, der »seines
Einziggeborenen nicht schonte, sondern ihn für uns alle übelieferte«. Die übrigen aber überlieferten ihn in schlimmer Absicht: Judas aus
Habgier, die Priester aus Neid, der Teufel aus Angst, dass ihm durch seine
Lehre das Menschengeschlecht aus der Hand entrissen würde ... Und dass
doch Jesus nur in die Hände jener Sünder überliefert worden wäre!
Nun aber glaube ich, dass Jesus immerdar »in
die Hände der Sünder überliefert« wird, wenn solche,
die scheinbar an Jesus glauben, Jesus in Händen halten, obwohl sie Sünder
sind.
»Aber nicht, wie ich will, sondern wie du.« Denn es ist ja jedem treuen Gläubigen eigentümlich, zuerst etwas Schmerzliches
nicht leiden zu wollen, besonders wenn es bis zum Tode führt, denn der
Mensch ist fleischlich — wenn es aber Gott will, auch gegen seinen Willen
zuzustimmen, damit er nicht mehr in sich zu verzagen scheine, als er auf Gott
hofft.
»Nicht wie ich will, sondern wie du.«
Als der »Sohn der Liebe« Gottes liebt
er in seinem Vorherwissen zwar jene, die aus den Heiden später glauben
sollten; die Juden aber, den Samen der heiligen Väter, »welchen
Annahme an Kindesstart und Herrlichkeit und Bundesschluß und Verheißungen
gehören«, liebte er wie die Zweige des guten Ölbaums.
Und indem er sie liebte, sah er auch voraus, was sie leiden würden dafür,
dass sie um seinen Tod bitten und Barabbas zum Leben erwählen würden.
Und darum sprach er, leidend für sie: »Vater,
wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber.« Wiederum aber seine Begierde zurückrufend und sehend, welch großen
Nutzen die ganze Welt aus seinem Tode ziehen würde, sprach er: »Aber
nicht wie ich will, sondern wie du.« Und wiederum sah er, dass
auch Judas, einer der Zwölf, wegen dieses Leidenskelches der »Sohn
des Verderbens« sein würde und begriff weiterhin, dass durch jenen Leidenskelch die »Fürsten und Mächte« in seinem [mystischen] Leibe triumphieren würden, und so sprach er uns
derentwillen, deren Verderben infolge seines Leidens er abwenden wollte, das
Wort: »Vater, wenn es möglich ist, so gehe
dieser Kelch an mir vorüber.« Dann aber besinnt er sich und
sagt im Gedenken des ganzen Menschengeschlechts, das durch seinen Tod für
Gott erworben werden sollte: »Aber nicht wie ich
will, sondern wie du.« Das heißt: Wenn es möglich ist,
dass ohne mein Leiden all dies Gute geschehe, das durch mein Leiden gewirkt
werden soll, so »gehe« dies Leiden »an mir vorüber«, damit sowohl
die Welt gerettet werde, als auch die Juden nicht durch mein Leiden zugrunde
gehen. Wenn aber das Heil der Vielen nicht ohne das Unheil einiger gewirkt werden
kann, weil es deine Gerechtigkeit so will, so gehe er »nicht«
vorbei, »wie ich will, sondern wie du«. Also sagte er: Ich will mehr deinen Willen tun, als den meinen. [...]
Indem Christus geschlagen und ans Kreuz gehängt wurde, brachte er die Quellen
des Neuen Bundes hervor, und darum steht von ihm geschrieben: »Ich
werde den Hirten schlagen und die Schafe werden zerstreut werden.« Es
war also notwendig, dass jener geschlagen wurde. Denn wäre er nicht
durchstoßen worden, so wäre nicht »Wasser und Blut aus seiner
Seite« geflossen, so würden wir alle noch den »Durst
nach dem WORTE Gottes erleiden.«
Denn Christus hat den Erdkreis mit heiligen und göttlichen Wasseradern
überschwemmt, er strömt den Dürstenden den göttlichen Quell
und lässt das »Wasser« aus
der Seitenwunde fließen, die ihm das Schwert wie einen Mund aufriss.
Die Kirche ist es ... die aus der Seitenwunde Christi entsprang und als seine
Braut erfunden ward.
Indem der Herr das Scharlachgewand auf sich nahm, nahm er das Blut der Welt
auf sich, und in der Dornenkrone nahm er die Dornen unserer Sünden auf
sich, die in sein Haupt eingeflochten sind. Von dem Gewande steht geschrieben,
dass sie ihm zuletzt »das Scharlachgewand« auszogen. Über
die Dornenkrone aber haben die Evangelisten nichts Ähnliches berichtet,
denn sie wollten, dass wir uns selber die Frage stellten, wie es mit der
Dornenkrone stehe, die ihm einmal aufgesetzt wurde und niemals wieder abgenommen.
Es will mir also scheinen, dass jene Dornenkrone vom Haupte Jesu übernommen
worden ist, damit unsere alten Dornen nicht mehr wären, nachdem sie Jesus
einmal von uns auf sein ehrwürdiges Haupt übertragen hat. Wem aber
auch über das Rohr, das sie ihm in die Rechte gaben, etwa gesagt werden
soll, so wollen wir dies erwähnen: Jenes Rohr war das Geheimnis des eiteln
und zerbrechlichen Zepters, auf das wir uns alle stützten, bevor wir zum
Glauben kamen ... Er übernahm dieses Rohr, ... und gab uns dafür das
Zepter des himmlischen Reiches.
Aus: Origenes, Geist und Feuer, Ein Aufbau aus seinen
Schriften von Hans Urs von Balthasar (S.154-159), Christliche Meister 43
© Johannes Verlag Einsiedeln, Freiburg 1991, Veröffentlichung auf
Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Johannes Verlages Einsiedeln