Johann Friedrich Oberlin (1740 – 1826)
Evangelischer
Pfarrer und Pädagoge aus dem Elsass, der die Wohlfahrt und Bildung in seiner
verarmten Gemeinde (Steinthal) förderte
und 1770 die erste Kleinkinderschule für noch nicht schulpflichtige Kinder gründete. Oberlin leugnete die ewige Verdammnis und glaubte – wie Lavater und Jung-Stilling – an eine Reinigung und Läuterung der Seele nach dem Tode durch einen Aufenthalt im »Fegefeuer«. Er hielt den Verkehr mit Verstorbenen für wirklich möglich und
behauptete entsprechende übersinnliche Erfahrungen selbst gemacht zu
haben. Siehe auch Wikipedia, Heiligenlexikon und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Vom
Rapport mit der Geisterwelt Geistersehen |
Schild gegen die Pfeile des Schreckens |
Vom
Rapport mit der Geisterwelt
Meine Frau hatte, wie ich später von ihr in der unsichtbaren
Welt erfuhr, eine Erscheinung
von ihrer verewigten Schwester, der Gattin meines Bruders, des Prof.
Oberlin zu Straßburg. Diese sagte ihr, dass sie bald sterben werde,
und welche Vorbereitungen sie treffen solle. Meine Frau glaubte und folgte.
Sie machte ihren Kindern doppelte Kleider, richtete die Speisen für ihre
Leichenmahlzeit zu, nahm abends, ohne von ihrer Erwartung etwas zu entdecken,
gerührten Abschied von mir und meinen Kindern und starb den anderen Morgen.
Gleich in der folgenden Nacht erschien sie mir im Traum,
und von da an sah ich sie neun Jahre lang fast alle Tage, träumend und
wachend, teils, hier bei mir, teils drüben in ihrem Aufenthaltsort in der
unsichtbaren Welt, wo ich merkwürdige Dinge, auch politische Veränderungen,
lang ehe sie vorgingen, von ihr er fuhr.
Sie erschien aber nicht nur mir, sondern auch meinen Hausgenossen und vielen
Personen im Steinthal, warnte sie oft vor Unglück,
sagte voraus, was kommen werde, und gab Aufschluss über die Dinge jenseits.
Nach neun Jahren geschah es, dass ein Bauer von meinem Filial Belmont, Joseph
M., ein Mann, der samt seiner ganzen Familie oft Erscheinungen hatte, in der unsichtbaren Welt war. Dem sagte
mein verstorbener Sohn, seine Mutter sei jetzt in einen höhern Zustand
versetzt worden und könne fortan nicht mehr auf der Erde erscheinen. Auch
wurde M. zu seinem Onkel Odil geführt, der
in einem Walde als Holzhauer arbeitete, weil er so viele Schulden hinterlassen
hatte, aber ganz heiter dem M. erzählte, ich hätte eine Subskriptionsliste
im Ort herumgehen lassen, um seine Schulden zu bezahlen, und er hätte die
meisten Stimmen. Den letzteren Umstand wusste ich noch nicht, als mir Joseph
M. von seinem Gesicht erzählte, und erfuhr erst am Abend, da der
Zettel zurückkam, dass es wirklich so war. Von da an aber sah ich meine
Frau nicht wieder.
Geistersehen
Es ist freilich wahr, wenn mich mein Nachbar, der alle Tage im Walde draußen
ist und in der Dämmerung einen alten Holzstock oft hat flimmern sehen,
recht darauf aufmerksam macht, so sehe ich am Ende, selbst am Tage, im Schatten
des Waldes dasselbe Flimmern. Aber ich muss doch, wenn es nicht Einbildung
sein soll, ein gutes Auge dazu mitbringen. Es gehört auch eine besondere
Anlage zum Geistersehen, eine besondere Natur, wie es die Natur des Eisens ist,
die für den Magnetismus
empfänglich macht. Ich habe mir die Leute, welche die Gabe des Hineinsehens
in die unsichtbare Welt hatten, oft betrachtet;
es sind, wie ihr es hier im Steinthale sehen könnt,
manchmal kränkliche, zärtliche Personen, aber andere Male auch ganz
starke, arbeitsame. Ich habe da viele Stücke Kiesel. Sie sind allesamt
Kiesel; aber in dem einen ist viel Eisen eingemischt, das ja magnetisch
werden könnte, in dem andern wenig oder keines. Mitunter ist wohl ein kränkliches
Wesen, das die Seele
vom Leibe schon ein
wenig losmacht oder die sichtbare Decke, unter der ihre Kräfte schlummern,
emporhebt, was dem Nachtwind der Gräber den Zugang eröffnet.
Schild
gegen die Pfeile des Schreckens
Die Geister,
die an der Grenze zwischen Hölle und Tod auf den noch in die Erde hineinragenden Stufen des Kidrontales der Unterwelt
wohnen, sind die grobkörperlichsten, die sich
am leichtesten sichtbar machen können; sie drängen sich in ihrer Qual
und Angst an jede Menschenseele hinan, die ein anzügliches Element für
solche Naturwesen hat. Man muss sich aber sehr in Acht nehmen, mit dergleichen
Gesellen sich keck messen zu wollen; sein Schild gegen
solche Pfeile des Schreckens hat der Christ immer bei sich; aber herausfordern
soll er den Feind, der mit so feinen Waffen kämpft, niemals.
S. 319-322
Aus: Geist und Geisterwelt, Fragmente aus der Literatur des Übersinnlichen
von Thomas Wandler, Rudolf Kaemmerer Verlag, Berlin-Dresden 1923