Nikolaus von Kues (1401 - 1464)
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Inhaltsverzeichnis
Das konkret
Größte ist Jesus, der Gottmensch
Das Mysterium
der Auferstehung
Christus ist der
Richter der Lebendigen und der Toten
Das
konkret Größte ist Jesus, der Gottmensch
… die Fülle der Zeit ist vorüber und Jesus, der gepriesen
sei in Ewigkeit, ist der Erstgeborne der ganzen Schöpfung.
Teils aus dem, was er als Mensch in übermenschlicher, göttliche
Weise vollbracht hat, teils aus seinen Aussagen von sich selbst, der in Allem
wahrhaftig erfunden worden, teils aus den mit Hingabe des eigenen Lebens bekräftigten
Zeugnissen seiner vertrauten Freunde behaupten wir mit unerschütterlicher,
durch unzählige Beweise längst feststehender Gewißheit, Er sei
der, den die ganze Schöpfung, als in der Zeit erscheinend von Anfang an
erwartet, der sein Erscheinen in der Welt durch die Propheten vorhergesagt hat.
Er kam, um Alles zu erfüllen. Allen
gab er wieder gesundes Leben, alle verborgenen Tiefen und Geheimnisse der Weisheit
schloß er auf, wie Einer, der Macht hat über Alles. Sünden vergab
er wie Gott, er erweckte Tote, verwandelte die Natur, gebot den bösen Geistern,
dem Meere und den Winden, schritt auf dem Wasser dahin und gab ein Gesetz, das
die Ergänzung aller Gesetze zu ihrer Vollkommenheit bildet. Nach dem Zeugnisse
jenes ganz ausgezeichneten Verkünders der Wahrheit, des heiligen Paulus,
der in einer Entzückung die Erleuchtung von Oben erhielt, haben wir in
Jesus die Vollendung von Allem (perfectionem
omnium), die Erlösung und Vergebung
der Sünden. Er ist das Abbild
des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborne der ganzen Schöpfung; denn
in ihm ist Alles erschaffen, im Himmel und auf Erden, Sichtbares und Unsichtbares,
Thronen, Herrschaften, Fürstentümer und Gewalten. Alles
ist durch ihn und in ihm erschaffen,
er ist vor Allem und Alles besteht in ihm. Er ist das Haupt des Körpers
der Kirche; denn er ist der Anfang selbst, der Erstling aus den Toten, so daß
er in Allem den Primat einnimmt; denn dem Vater gefiel es, daß in ihm
die ganze Fülle wohne und Alles durch ihn mit dem Vater versöhnt werde.
Diese und viele andern Zeugnisse der Heiligen beständigen es, daß
er Gott und Mensch ist; die Menschheit
ist in ihm durch das Wort mit der Gottheit geeint, so daß er nicht in
sich, sondern in dem Worte sein Bestehen hat, dieweil die Menschheit auf ihrer
höchsten Stufe und in ihrer ganzen Fülle nicht anders, als in der
göttlichen Person des Sohnes bestehen konnte.
Und nun über unsern Verstand hinaus, gleichsam in gelehrtem Nichtwissen
die Person zu verstehen, die den Menschen mit sich geeinigt hat, so wollen wir
für unser Verständnis einen höhern Standpunkt einnehmen und auf
den Satz zurückgehen, den wir früher besprochen haben, daß nämlich
Gott durch Alles in Allem und Alles durch Alles in Gott ist. Da diese Sätze
kopulativ zu verstehen sind und Gott insofern in Allem ist, als Alles in Gott,
und da das göttliche Sein selbst die höchste Gleichheit und Einfachheit
ist, so ist Gott, sofern er in Allem ist, nicht graduell in Allem, als ob er
sich stufen- und teilweise mitteilte. Das All kann aber ohne graduelle Unterschiede
nicht sein. Es ist daher mit gradueller Verschiedenheit in Gott. Da nun Gott
insofern in Allem ist, als Alles in ihm, so erhellt, daß
Gott ohne Veränderung seines Wesens in
der Gleichheit des Seins Alles ist in der Einheit mit der größten
Menschheit Jesu. Denn der größte Mensch kann in ihm nicht
anders als in der größten Weise (maxime)
sein. So sind denn in Jesus, der Gleichheit alles Seins, als in dem
göttlichen Sohne, der die mittlere göttliche Person ist, der
ewigeVater und der heilige Geist, und Alles ist in ihm als in dem Worte,
jede Kreatur ist in der höchsten und vollkommensten Menschheit,
welche universell Alles, was erschaffen werden kann, (omnia
creabilia) in sich faßt, so daß
Jesus die ganze Fülle ist, die in ihm wohnt. Wir können
uns dies einigermaßen durch folgende Vergleichung veranschaulichen. Die
Sinnenerkenntnis ist ein beschränktes (contracta)
Erkennen, weil der Sinn nur Einzelnes erfaßt. Die Vernunfterkenntnis ist
universell, weshalb sie im Vergleich zur Sinnenerkenntnis absolut ist und frei
von der Beschränktheit auf das Einzelne. Die Sinnentätigkeit (sensatio)
erscheint nur in verschiedenen Graden, wodurch, je nach den edleren und vollkommeneren
Graden, verschiedene Arten von Tieren entstehen. Wiewohl nun die Sinnentätigkeit
sich nach dem oben Gezeigten nicht auf den schlechthin höchsten Grad erhebt,
so tritt sie doch in jener Art, welche in der Gattung der tierischen Wesen die
wirklich höchste ist, also in der menschlichen, als ein lebendiges Wesen
auf, das insofern lebendes Wesen ist, daß es zugleich Geist ist (denn
der Mensch ist als Geist Selbstbewußtsein - homo
enim suus est intellectus), so daß hier die konkrete Sinnlichkeit
gewissermaßen in der geistigen Natur hypostatisch ruht (suppositatur),
indem die geistige Natur ein gewisses göttliches, abgesondertes, abstraktes
Sein ist, während die Sinnlichkeit ihrer Natur nach zeitlich und zerstörlich
bleibt. Nach dieser obwohl entfernten Vergleichung müssen wir Jesus auffassen.
Die Menschheit ruht in ihm hypostatisch in der Gottheit, weil sie anders nicht
in ihrer ganzen Fülle die größte sein könnte. Da nämlich
die Vernunft Jesu (intellectus Jesu) die vollkommenste
und ganz und gar aktuell ist, so kann sie nur in der göttlichen Vernunft,
die allein Alles in Wirklichkeit ist, persönlich ruhen
(suppositari). Die Vernunft ist nämlich in allen Menschen der Möglichkeit
nach Alles, sie geht stufenweise von der Möglichkeit in die Wirklichkeit
über. Da nun die größte Vernunft der Höhepunkt (terminus)
der Macht der ganzen vernünftigen Natur ist, in vollständiger Aktivität,
so kann sie dies nur sein, wenn sie insofern Vernunft
ist, als sie zugleich Gott ist, der Alles in Allem ist. Die menschliche
Natur sei das in einem Kreis beschriebene Polygon, der Kreis die göttliche
Natur. Soll nun das Polygon das größtmögliche sein, so dürfte
es nicht in bestimmten Winkeln für sich bestehen, sondern in der Kreisform,
so, daß es keine besondere Gestalt seines Bestehens hätte, die von
der ewigen kreisförmigen Gestalt losgelöst werden könnten. Die
höchste Vollendung der menschlichen Natur zeigt sich in ihrem Substantiellen
und Wesentlichen, also in der Vernunft, der alles Körperliche dienen muß.
Der vollkommenste Mensch braucht also nicht im Accidentiellen hervorzuragen,
außer so weit sich dieses auf die Vernunft bezieht. Es ist nicht erforderlich,
daß er ein Riese oder uralt oder von dieser oder jener Größe,
Farbe, Gestalt etc. sei. Nur das wird erfordert, daß sein Körper
die Extreme vermeide, um ein ganz taugliches Werkzeug der Vernunft zu sein,
der er ohne Widersetzlichkeit oder Ermattung gehorchen und Folge leisten muß.
Von unserm Jesus, in dem alle Schätze der Wissenschaft und Weisheit, auch
so lange er als das Licht in der Finsternis auf dieser Welt wandelte, verborgen
waren, nimmt man zufolge der Überlieferung der heiligen Zeugen seines Lebens
an, er habe einen dem Zwecke der eminentesten Vernünftigkeit ganz entsprechenden,
vollkommenen Körper gehabt. S.175-180 […]
Das
Mysterium der Auferstehung
Der dem Leiden und Tode unterworfene Mensch Christus konnte auf keinem andern
Wege in die Herrlichkeit des Vaters, der als das absolute Leben die Unsterblichkeit
selbst ist, eingehen, als wenn das Sterbliche die Unsterblichkeit anzog. Dies
war ohne den Tod nicht möglich; denn wie sollte das Sterbliche die Unsterblichkeit
anziehen, außer wenn es der Sterblichkeit entkleidet wird? und wie sollte
dies geschehen, außer wenn dem Tode der Tribut entrichtet wird? Daher
sagt die Wahrheit selbst, diejenigen seien unverständig und von langsamer
Einsicht, welche nicht einsehen, »daß Christus
sterben und so in seine Herrlichkeit eingehen mußte.« Da
wir nun vorhin gezeigt haben, Christus sei für uns des grausamsten Todes
gestorben, so müssen wir folgerichtig sagen: weil die menschliche Natur
nicht anders, als durch den Sieg über den Tod zum Tempel der Unsterblichkeit
hinaufgeführt werden konnte, so starb Christus,
damit die menschliche Natur mit ihm zum ewigen Leben auferstehe und der tierische
sterbliche Körper ein geistiger und unzerstörlicher werde.
Er konnte kein wahrer Mensch sein, wenn er nicht sterblich war, und er konnte
die sterbliche Natur nicht zur Unsterblichkeit führen, wenn nicht die Sterblichkeit
durch den Tod entwaffnet war. Höre, wie schön uns die Wahrheit selbst
hierüber belehrt, wenn sie sagt: »Wenn das Weizenkorn nicht in die
Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; stirbt es aber, so bringt es
viele Frucht.« Wäre also Christus immer sterblich geblieben, wenn
er auch nie gestorben wäre, wie hätte er, ein sterblicher Mensch,
der menschlichen Natur die Unsterblichkeit gegeben? Wäre er nie gestorben,
so wäre er eben allein, ohne zu sterben, sterblich geblieben. Er
mußte also von der Möglichkeit des Sterbens durch den Tod befreit
werden, wenn er viele Früchte bringen sollte,
auf daß er so erhöhet Alles an sich ziehe, wenn seine Macht
sich nicht bloß auf die Welt und vergängliche Erde, sondern auch
auf den unvergänglichen Himmel erstreckte. Wir werden dies in unserer Unwissenheit
einigermaßen erfassen, wenn wir das oft Gesagte uns vergegenwärtigen.
Wir haben gezeigt, Jesus, der größte Mensch, habe in sich, abgesondert
von der Gottheit, kein Bestehen, weil er der größte ist. Deshalb
wird der gegenseitige Austausch der göttlichen und menschlichen Prädikate
(communicatio idiomatum) gestattet, so daß das Menschliche mit dem Göttlichen
koinzidiert, weil jene Menschheit, unzertrennlich von der Gottheit, in Folgeder
höchsten Einigung, gleichsam durch die Gottheit angezogen und angenommen
(quasi per divinitatem induta et assumta) abgesondert kein persönliches
Sein und Bestehen hat. Nun ist der Mensch aus Körper und Seele geeint;
die Scheidung ist der Tod. Da nun der größte Mensch in der göttlichen
Person hypostatisch ruht (suppositatur), so konnte auch nach der lokalen Scheidung
unmöglich entweder die Seele oder der Leib im Moment des Todes von der
göttlichen Person, ohne welche der größte Mensch nicht bestand,
losgetrennt werden. Christus starb also nicht in der Weise, als hätte seine
Person einen Mangel gehabt, sondern, abgesehen von der lokalen Scheidung, blieb
er in Hinsicht auf das Zentrum, in welchem seine Menschheit ruhte, mit der Gottheit
hypostatisch geeint. Nach der niedern
Natur, welche ihrem Wesen nach eine Scheidung von Seele und Leib gestattet,
ist diese Scheidung zeitlich und räumlich erfolgt, so daß in der
Todesstunde Seele und Leib nicht mehr in derselben Zeit und in demselben Raume
zugleich waren. In Körper und Seele war eine Zerstörlichkeit nicht
möglich, da sie mit der Ewigkeit geeint waren, allein die zeitliche Geburt
war dem Tode und der zeitlichen Scheidung unterworfen, so daß, nachdem
der Kreislauf von der Zusammensetzung zur Auflösung vollendet und namentlich
der Leid von aller zeitlichen Bewegung frei geworden war, das
wahre Wesen der Menschheit (veritas humanitatis),
das überzeitlich mit der Gottheit geeint unversehrt
geblieben, wie es dieses wahre Wesen erforderte,
den wahren Leib mit der wahren Seele vereinte (veritatem corporis veritati
animae adunaret), so daß das Schattenbild der Wahrheit (Idee) des Menschen
entlassen wurde (dimissa umbrosa imagine veritatis hominis) und der in der Zeit
erschienene wahre Mensch frei von aller Einwirkung der Zeitlichkeit auferstand.
Es ist also ein und derselbe Jesus, erhoben über alle zeitliche Bewegung,
um nicht mehr zu sterben, in Wirklichkeit auferstanden, durch eine Wiedervereinigung
der Seele und des Leibes. Ohne diese Wiedervereinigung wäre die unzerstörliche
Wahrheit (Idee) der Menschheit nicht auf das Wahrste, ohne Vermischung der Naturen,
mit der göttlichen Person hypostatisch vereinigt gewesen. Unterstütze
die Schwäche und Unwissenheit des Geistes durch das Beispiel Christi vom
Weizenkorn! Das Weizenkorn wird als ein Einzelnes zerstört, aber die spezifische
Wesenheit desselben bleibt unversehrt, durch welche die Natur eine Menge von
neuen Körnern auferweckt. Wäre nun das einzelne Weizenkorn das größte
und vollkommenste seiner Art, und würde es in dem besten und fruchtbarsten
Erdreiche ersterben, so könnte es nicht bloß hundert- und tausendfache
Frucht bringen, sondern so viele, als im Bereiche der ganzen Möglichkeit
seiner Art enthalten ist. Das ist der Sinn jenes Wortes der ewigen Wahrheit:
»es bringt viele Frucht«; denn das Viele ist eine zahllose Endlichkeit.
Verstehe es wohl! Die Menschheit Jesu muß, so gut sie als konkrete Erscheinung
des Menschen Christus aufgefaßt wird, ebenso zugleich auch als vereint
mit der Gottheit gedacht werden. In letzterer Hinsicht ist sie absolut (plurimum
absoluta), sofern Christus als wahrer Mensch betrachtet wird, ist sie konkret,
so daß er durch die Menschheit Mensch ist. So ist die Menschheit Jesu
die Mitte zwischen dem rein Absoluten und rein Konkreten. Sie ist eben deshalb
nur relativ zerstörlich, schlechthin aber unzerstörlich
(non fuit corruptibilis, nisi secundum quid, et simpliciter incorruptibilis).
Der Zeitlichkeit nach, auf die sie eingeschränkt war, war sie zerstörlich,
als frei von der Zeit, über der Zeit, mit der Gottheit geeint, war sie
unzerstörlich. Die Wahrheit in ihrer zeitlichen Erscheinung (veritas ut
est temporaliter contracta) ist Symbol und Abbild der überzeitlichen Wahrheit.
So ist auch die zeitliche Erscheinung des Körpers gleichsam Schattenbild
des wahren überzeitlichen Körpers, und die konkrete Seele das Schattenbild
der von der Zeitlichkeit befreiten Seele. So lange diese in der Zeit ist, wo
sie ohne Bilder der Dinge (sine phantasmatibus)
nichts auffaßt, erscheint sie mehr als Sein oder Verstand, denn als Vernunft;
ist sie aber über die Zeitlichkeit erhaben, so ist die Vernunft (von diesen
Bildern) frei und unabhängig. Da nun die Menschheit Jesu unauflöslich
nach Oben in der göttlichen Unzerstörlichkeit wurzelte, so konnte,
nachdem der vergängliche zeitliche Lebenslauf vollendet war, die Lösung
nur nach der Wurzel der Unzerstörlichkeit hin erfolgen. Daher ist Jesus
nach dem Ende des zeitlichen Lebenslaufes, welches der Tod war, nach Entfernung
von Allem, was sich zeitlich der Wahrheit der menschlichen Natur beigesellte,
auferstanden, nicht mit einem schweren, zerstörlichen, unvollkommenen (umbrosa),
leidensfähigen und mit den andern, der zeitlichen Zusammensetzung anklebende
Mängel behafteten Leibe, sondern in einem wahren, verherrlichten, leidensunfähigen,
beweglichen und unsterblichen Leibe, wie es die Wahrheit, frei von zeitlichen
Bedingungen, erforderte. Diese Wiedervereinigung (von Seele und Leib) war durch
die Wahrheit der hypostatischen Einigung der göttlichen und menschlichen
Natur geboten. Es mußte also Christus von den Toten auferstehen, wie er
selbst sagte: »So mußte Christus leiden und
am dritten Tage von den Toten auferstehen.« S.192
–197 [...]
Christus
ist der Richter der Lebendigen und der Toten
Welcher Richter ist gerechter, als der, welcher die Gerechtigkeit selbst ist?
Christus, das Haupt und der Anfang jedes vernünftigen Geschöpfes,
ist die größte Vernunft selbst, von der jede Vernunft stammt. Die
Vernunft fällt das unterscheidende Urteil. Sonach ist der mit Recht
der Richter der Lebendigen und der Toten, der mit allen vernünftigen
Naturen die menschliche Natur angenommen hat und dabei Gott geblieben ist, der
der Vergelter von Allem ist.
Christus richtet Alles überzeitlich, durch sich und in sich, weil er alle
Geschöpfe als der größte Mensch, in dem Alles ist, in sich begreift.
Gott als Gott ist das unendliche Licht, in dem keine Finsternis ist, das Alles
erleuchtet, so daß in diesem Lichte dem Lichte selbst Alles ganz klar
und offenbar ist. Dieses unendliche vernünftige Licht umfaßt überzeitlich
so Gegenwart als Vergangenheit, Lebendes und Totes in sich, wie das physische
Licht die Hyposthase aller Farben ist. Christus ist
wie das reinste Feuer, das vom Lichte
unzertrennlich ist, und nicht in sich, sondern im Lichte seinen Bestand hat.
Er ist das Feuer des geistigen und vernünftigen Lebens, das,
indem es Alles verzehrt und in sich aufnimmt, eben dadurch Alles prüft
und beurteilt. Alle vernünftigen Geister werden in Christus
so geprüft, wie das dem Feuer Übergebene (ignibile)
im Feuer. Einiges wird, während es im Feuer aushält, doch ganz in
die Ähnlichkeit mit dem Feuer umgewandelt. So wird das beste und vollkommenste
Gold im Feuer so in Feuer verwandelt, daß man nicht Gold mehr als Feuer
wahrnimmt. Anderes nimmt an der Intensität des Feuers nicht in diesem Grade
Anteil, wie das geläuterte Silber, Erz und Eisen. Jedoch scheint Alles
in Feuer verwandelt, obwohl Jegliches in einem besondern Grade. Dieses Gericht
übt jedoch nur das Feuer aus, nicht die vom Feuer ergriffenen Gegenstände
(ignitum), da jeder der letztern in jedem andern
nur das heftige Feuer bemerkt, nicht aber die Gradunterschiede der vom Feuer
ergriffenen Gegenstände, gleichwie auch wir, wenn wir geschmolzenes Gold,
Silber und Kupfer in einem sehr großen Feuer sehen, die Unterschiede der
Metalle, wenn sie in die Form des Feuers umgestaltet sind, nicht wahrnehmen.
Hätte nun dieses Feuer Bewußtsein und Vernunft, so kennete es die
Grade der Vollkommenheit eines Jeden, und die Fähigkeit für die Aufnahme
eines intensiven Feuers würde in Jedem graduell verschieden erscheinen.
Wie es daher einige dem Feuer unterworfene Stoffe gibt, die im Feuer unzerstörlich
verharrend Licht und Wärme in sehr hohem Grade aufnehmen und vermöge
ihres geläuterten Zustandes leicht zur Ähnlichkeit des Feuers sich
umgestalten lassen, während andere Stoffe wegen ihrer unreinen Beschaffenheit
zwar wärmefähig, aber nicht in Licht verwandelbar sind, so teilt auch
Christus der Richter in Einem einfachsten und unterschiedlosen Ausspruche
(judicium), in Einem Momente, an Alle auf die gerechteste Weise, ohne
alle Mißgunst, nicht in zeitlicher, sondern natürlicher Ordnung,
die Wärme der anerschaffenen Verständigkeit (calorem
creatae rationis communicat) aus, und ist diese Wärme von Jedem
aufgenommen, so gießt er das göttliche Licht der Vernunft von Oben
ein, so daß Gott Alles in Allem ist und Alles durch ihn, den Mittler,
in Gott und ihm (dem Mittler) gleich, so weit dies nach der Empfänglichkeit
eines Jeden möglich ist. Daß aber einige Stoffe (quaedam),
die mehr geeint und geläutert sind, nicht nur für Wärme, sondern
auch für Licht empfänglich sind, andere kaum für Wärme,
aber nicht für Licht, ist eine Folge der mangelhaften Disposition der Gegenstände.
Da nun jenes unendliche Licht die Ewigkeit und Wahrheit selbst ist, so muß
das verständige Geschöpf, das durch dasselbe erleuchtet werden will,
sich über Welt und Zeit zu dem Wahren und Ewigen hinwenden. Denn Körperliches
und Geistiges sind Gegensätze. Das bloße Vegetieren ist körperlicher
Natur, es verwandelt die von Außen aufgenommene Nahrung in die Natur des
Genährten, es verwandelt sich nicht das Tier in Brot, sondern umgekehrt.
Der vernünftige Geist hingegen, dessen Tätigkeit überzeitlich,
gleichsam am Horizont der Ewigkeit sich bewegt, kann das Ewige, weil es ewig
ist, nicht in sich verwandeln; allein er kann auch sich, da er gleichfalls unzerstörlich
ist, nicht so in das Ewige verwandeln, daß er aufhört, eine vernünftige
Substanz zu sein. Er wird daher so in jenes verwandelt, daß er zur Ähnlichkeit
mit dem Ewigen umgestaltet wird (absorbeatur), jedoch mit graduellem Unterschiede.
Ist er stärker und inniger dem Ewigen zugewandt, so geht seineVollendung
durch das Ewige auch tiefer (profundius ab aeternis perficiatur)
und sein Sein verbirgt sich in dem ewigen Sein (et abscondatur ejus esse
in ipso esse aeterno). Da Christus unsterblich ist und fortlebt, ja das Leben
und die Wahrheit ist, so wendet sich, wer zu ihm sich wendet, zum Leben und
zur Wahrheit hin; mit je regerem Eifer es geschieht, desto mehr erhebt er sich
über das Zeitliche und Vergängliche zum Ewigen hin, so daß sein
Leben verborgen ist in Christus. Die Tugenden sind die ewige Gerechtigkeit,
die in alle Ewigkeit dauert, das Leben und die Wahrheit. Wer sich der Tugend
zuwendet, wandelt auf den Wegen Christi, auf den Wegen der Reinheit und Unsterblichkeit.
Die wahren Tugenden sind eine göttliche Erleuchtung
(divinae illuminationes). Wer sich daher in diesem
Leben durch Christus, der die Tugend ist, zur Tugend wendet, wird, wenn er von
diesem zeitlichen Leben befreit ist, in der Reinheit des Geistes erfunden werden,
und eingehen dürfen in die Freude, Gott ewig zu besitzen. Die Hinkehr (conversio)
unseres Geistes erfolgt, wenn er sich mit allen seinen geistigen Kräften
zur reinsten ewigen Wahrheit im Glauben, dem er Alles hintansetzt, hinwendet
und diese Wahrheit als das allein Liebenswürdige liebt. Die Hinkehr zu
Christus, der die Wahrheit ist, im felsenfesten Glauben ist Verachtung der Welt
und siegreiches Bezähmen alles Weltlichen (est mundum
istum deserere atque in victoria calcare). Christus auf das Herzlichste
lieben, heißt in geistiger Bewegung zu ihm hinziehen, der nicht nur liebenswürdig,
sondern die Liebe (caritas) selbst ist. Zieht der
Geist in den Stufen der Liebe zur Liebe selbst hin, so vertieft er sich, erhoben
über die Zeit und alle weltliche Bewegung, in der Liebe (in
ipsam caritatem profundatur). Wie jeder Liebende in der Liebe, so leben
Alle, welche die Tugend lieben, in Christus. Und wie jeder Liebende durch die
Liebe liebt, so lieben alle Freunde der Wahrheit die Wahrheit durch Christus.
Niemand kennt also die Wahrheit, es sei denn der Geist Christi in ihm. Wie es
unmöglich ist, daß ein Liebender ohne Liebe sei, so ist es unmöglich,
daß Jemand Gott besitze ohne den Geist Christi, in welchem Geist wir allein
Gott anbeten können. Daher sind die Glaubenslosen, die sich nicht Christus
zuwenden, als unempfänglich für das zur Glorie umgestaltende Licht
schon verurteilt zur Finsternis und zum Schatten des Todes; denn sie sind weggewandt
von dem Leben, das Christus ist, von dessen Fülle allein Alle in der Herrlichkeit
durch die Vereinigung mit ihm gesättigt werden.
Aus: Nicolaus von Cues: Von der Wissenschaft des Nichtwissens,
S. 175-180,192-197, 204-209
Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
Veröffentlichung auf Philo-Website mit freundlicher Erlaubnis des Verlages
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